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IX.

Asbjörn Krag erhob sich halbwegs in seinem Bett und stützte sich auf den Ellbogen.

»Machen Sie Licht,« sagte er. »Ich möchte die Leute sehen, mit denen ich spreche.«

»Wo ist der Knopf für das elektrische Licht?« fragte die Stimme.

»Rechts von der Tür, durch die Sie wahrscheinlich hereingekommen sind.«

Als Licht gemacht war, erblickte Krag die Person, die zu ihm eingedrungen war. Es war ein schlanker, dunkelblonder Mensch; in Kleidung und Haltung lag etwas von englischer Art. Das scharfgeschnittene Gesicht zeigte regelmäßige, männliche Züge.

Der Fremde steckte die elektrische Lampe in die Tasche, blieb dann stehen und beobachtete Krag neugierig, aber auch triumphierend, indem er wie spielend seinen Revolver auf Krags Kopfkissen richtete.

»Wünschen Sie, das Bett zu verlassen?« fragte der Fremde.

»Am liebsten, ja,« gab Krag zur Antwort. »Ich fürchte sonst, daß das Melodramatische dieser Situation leicht zur Komik werden könnte.«

Nur mit seinem Pyjama bekleidet setzte sich Krag dem Fremden gegenüber in einen bequemen Stuhl.

Während Asbjörn Krag augenscheinlich vollauf damit beschäftigt war, den Eindringling neugierig zu betrachten und abzuwarten, was er ihm zu sagen hätte, sann er mit Anstrengung darüber nach, wie er die Oberhand gewinnen könne. Wie die Dinge jetzt lagen, spielte der andere die Herrenrolle. Situationen wie diese – ein Unbewaffneter vor dem Lauf eines Revolvers – kannte Krag aus Erfahrung. Schon oft hatte er hinter dem Revolver gestanden, wobei ihm stets recht wohl zumute gewesen war, dem Revolver gegenüberzustehen, war ihm jedoch nicht so ganz angenehm.

Wo in aller Welt war ein Ausweg aus dieser fatalen Situation? Krags Stuhl stand am Bett. Ihm gegenüber – den Rücken der durch eine Portiere verdeckten Tür ins Nebenzimmer zugewandt – saß der Fremde, der ihm damit die einzige Möglichkeit zur Flucht nahm. Es wurde ihm klar, daß ihm nur noch ein Weg offen stand, nämlich der, Hilfe herbeizurufen. Sein Diener und Gehilfe, der in allen Dingen gewandte Jens, schlief in seinem Zimmer. Mit diesem hatte er ein Glockenzeichen verabredet, wonach zweimaliges Klingeln bedeuten sollte, daß Krag seine Gegenwart wünsche, weil Gefahr drohe. Dieses Signals konnte sich Krag leider nicht bedienen, weil der Fremde ganz in der Nähe der Klingel saß. Außerdem konnte man ja nie wissen, ob Jens noch wirklich in der Wohnung sei. Möglicherweise war er auch von dem Eindringling unschädlich gemacht worden, damit dieser zu ihm hatte eindringen können.

Der Fremde mochte bemerkt haben, daß Krag sich mit der Glocke in Gedanken beschäftigte; er fragte ihn:

»Suchen Sie eine Glocke? Der Knopf befindet sich hier. Machen Sie aber keinen Versuch, ihn zu erreichen. Ich habe wohl nicht nötig, Ihnen zu sagen, daß ich nicht nur wegen leerer Drohungen mitten in der Nacht zu Ihnen eingedrungen bin.«

Krag blieb ruhig sitzen.

Die Glocke an der Wand war nicht die einzige Verbindung, außerdem war noch ein geheimer Knopf zur elektrischen Leitung vorhanden. Das Aergerliche aber war, daß sich auch dieser Knopf in der Nähe des Fremden befand, so daß Krag auch den nicht erreichen konnte, ohne des andern Mißtrauen zu erregen. Indem er die Mündung des Revolvers betrachtete, kam er zu dem Entschluß, sich mit dem unheimlichen Gast auf guten Fuß zu stellen. »Da Sie in dieser etwas eigenartigen Weise in mein Schlafzimmer eingedrungen sind, nehme ich an, daß Sie ein sehr wichtiges Anliegen haben,« begann Krag.

»Ja, Sie haben ganz recht,« entgegnete der Fremde. »Die Sache ist von größter Wichtigkeit.«

»Wer sind Sie denn eigentlich?«

»Sie kennen mich also nicht?«

Krag sah ihn eine Weile an.

»Ja doch,« sagte er. »Ich kenne Ihre Hände; eine derselben durchsuchte heute abend meine Tasche.«

»Dann werden Sie auch wissen, warum ich gekommen bin.«

»Wegen des Manschettenknopfes?«

Der Fremde nickte.

»Der Knopf ist allerdings sehr wertvoll,« sagte der Detektiv, »für Sie muß er aber von noch viel größerem Wert sein, wenn man sich die von Ihnen gemachten Anstrengungen zu seiner Wiedererlangung erklären kann.«

»Wie Sie ganz richtig vermuten, ist der Knopf für mich von außerordentlichem Wert.«

»Wie Sie wissen,« fuhr der Fremde fort, »habe ich schon allerhand getan, um wieder in den Besitz des Knopfes zu gelangen; ich bin auch imstande, noch mehr zu tun, ja, ich schrecke vor dem Aeußersten nicht zurück. – Würden Sie mir den Knopf verkaufen? Nein; Sie schütteln den Kopf. Sie wollen auch jetzt noch nicht? Wir müssen aber zu einer Einigung kommen, mein Herr, wir müssen. Sehen Sie mich an. Glauben Sie mir oder glauben Sie mir nicht – ich sage Ihnen aber, ich riskiere das Aeußerste, um wieder in den Besitz des für mich so wertvollen Knopfes zu kommen.«

»Das glaube ich Ihnen,« sagte Krag ohne Bedenken.

»Ich habe nicht viel Zeit. Geben Sie mir den Knopf und bestimmen Sie den Preis.«

Krag lächelte. »Wenn ich Ihnen nun erkläre, daß der Knopf gar nicht mehr in meinem Besitz ist, sondern wohlverwahrt im Kriminalamt liegt, glauben Sie mir das, oder glauben Sie es nicht?«

»Ich glaube es nicht,« entgegnete der Fremde. »Ich glaube es absolut nicht, was Sie da sagen.«

»Wenn ich aber darauf bestehe, daß sich der Knopf hier nicht befindet?«

»Dann müssen Sie sich auf die Folgen gefaßt machen,« war die Antwort des Fremden, der sich in nicht mißzuverstehender Weise mit dem Revolver zu schaffen machte. »Sie haben mein Ehrenwort; ich glaube Ihnen nicht. Ich überlasse es Ihnen, die Folgen zu bedenken, denen Sie sich aussetzen. Ich gebe Ihnen eine Minute Bedenkzeit.«

»Lassen Sie uns um des Himmels Willen keine Zeit verlieren,« unterbrach ihn der Detektiv, der sich erhoben hatte. »Ich werde den Knopf holen.«

Der Revolver des Fremden brachte ihn aber zum Stehen.

»Bemühen Sie sich ja nicht,« sprach der Gast. »Mir ist es lieber, Sie sagen mir, wo sich der Knopf befindet, dann werde ich ihn selbst holen. Vorläufig bin ich nicht davon erbaut, daß Sie sich frei im Zimmer bewegen, dazu möchten denn doch zu viele Glocken angebracht sein.«

Ueber diese Ansicht mußte Krag unwillkürlich lächeln. Der Fremde ahnte wahrscheinlich gar nicht, wie wahr er gesprochen hatte. Laut sagte er:

»Gut, ich gehe auf Ihren Vorschlag ein; möchte aber wissen, was Sie dann noch vorhaben.«

»Sowie ich im Besitze des Knopfes bin, werde ich genau so geräuschlos verschwinden, wie ich gekommen bin.«

»Sie sind also ganz geräuschlos gekommen?« fragte Krag.

Der Fremde nickte geheimnisvoll, als wolle er damit sagen, daß kein moderner Einbrecher weniger geräuschlos zu Werke gehen könne als er. Asbjörn Krag konnte indessen diesen Worten entnehmen, daß Jens in Sicherheit sei. Er wies auf eine Kassette, die in der Nähe der Tür stand und die Form einer zugedeckten Schreibmaschine hatte. »In dieser Kassette liegt der Knopf,« sagte er.

Der Fremde wandte sich der Kassette zu; behielt aber währenddessen Asbjörn Krag im Auge, ließ auch die Hand mit dem Revolver nicht sinken.

»Wo ist der Schlüssel?« fragte er.

»Die Kassette läßt sich ohne Schlüssel öffnen. Drücken Sie zweimal auf den metallenen Knopf rechts unten am Deckel.«

Die Kassette ließ sich jedoch nicht öffnen. »Haben Sie mich zum besten?«

Krags Sinnen und Trachten war darauf gerichtet, Zeit zu gewinnen. War Jens auf seinem Posten, mußte er nun das Signal gehört haben, das ihm ankündigte, daß sein Herr sich in Gefahr befände und er sich unter Anwendung äußerster Vorsicht zu ihm zu begeben hätte.

»Glauben Sie denn, daß ein Geheimschloß so leicht zu öffnen ist?« fragte er ruhig. »Versuchen Sie, den Deckel ein wenig zurückzuschieben. Nicht wahr, er gibt etwas nach? Das ist nämlich das zweite Geheimnis an diesem Schloß. Das dritte besteht darin, daß ...

In diesem Augenblick bemerkte er den Schatten einer Gestalt in dem danebenliegenden Zimmer.


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