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Vom Stall her erscholl Wiehern und Hufgestampf, und der Verwalter und seine Leute kamen und brachten ›Eva‹ daher. Das Pferd ließ sich gutwillig führen, aber ein unruhiges Zucken in seinen Gliedern verriet, daß es nervös war. Der Rittmeister rief es an, und es spitzte die Ohren, als es seines Herrn Stimme vernahm.
»Legt den Sattel auf!« rief der Rittmeister.
Der Stallknecht kam mit dem Sattel gelaufen und wollte ihn eben aufschnallen, als ihn Asbjörn Krag aufhielt mit dem Zuruf:
»Nein, lassen Sie das!«
»Willst du auf ungesatteltem Pferde reiten?« fragte der Rittmeister verblüfft. Der Detektiv gab keine Antwort, sondern sagte nur zu dem Stallknecht:
»Tun Sie, wie ich es gesagt habe.«
Der Knecht legte den Sattel auf die Erde. Plötzlich hob das Pferd den Kopf und starrte erschreckt Asbjörn Krag an, der etwa zwanzig Schritte von ihm entfernt stand.
»Lassen Sie das Pferd los!« rief der Detektiv. Seine Stimme klang so befehlend, daß der Verwalter unwillkürlich das Pferd fahren ließ, das sofort stieg, und dann mit den Vorderhufen den Boden schlug. Da rief der Detektiv dem Beamten aus Oslo zu:
»Beginnen Sie mit der Vorstellung!«
Der Beamte warf die Dokumentenmappe weg, lief rasch zu dem Pferde hin, gab ihm einen Schlag mit der flachen Hand auf den Schenkel und rief:
»En avant, Eva, en avant!«
Im selben Augenblick stürzte das Pferd auf Asbjörn Krag los, stellte sich auf die Hinterbeine und würde den Detektiv niedergeschlagen haben, wenn ihm dieser nicht entschlossen einen Hieb auf die Nüstern gegeben hätte. Der Schlag war so stark, daß das Pferd unwillkürlich mit einem schmerzvollen Stöhnen zurückwich. Zitternd und mit bebenden Nüstern blieb es stehen und starrte Krag an.
»En avant, Eva!« rief der Polizeibeamte wieder, und mit Schnauben stürzte das Pferd von neuem auf den Detektiv los. Aber wieder wurde es durch einen Peitschenschlag zurückgetrieben. Und nun waren die Rollen getauscht. Jetzt war es nicht mehr das Pferd, das angriff, jetzt war es Asbjörn Krag, der mit erhobener Peitsche das Tier dem Stalle zutrieb. Hier wurde es von dem Verwalter und den Stallknechten eingefangen, die sich höchst erstaunt vor der Stalltüre aufgestellt hatten. Der Rittmeister sprang herzu und faßte Asbjörn Krag am Arme.
»Was in aller Welt hat das zu bedeuten!« rief er.
»Das hat zu bedeuten: ›Hier steht der Mörder!‹« sprach Krag und zeigte mit einer vorstellenden Handbewegung auf ›Eva‹.
»Der Mörder!« rief alles äußerst erstaunt im Chor.
»Ja«, sagte Krag, »niemand anders als ›Eva‹ ist der Mörder. Ich bedauere lebhaft, daß ich ihn nicht verhaften kann, aber es fehlen uns die Strafbestimmungen gegen Pferde.« Gelassen zog Krag den Gummimantel wieder aus. »Ich glaube jetzt auch nicht mehr, daß wir Regen bekommen werden«, sagte er und deutete lächelnd an den wolkenlosen Himmel hinauf. »Du kannst deinen Regenmantel wieder haben, lieber Freund. Führen Sie das Pferd in den Stall, Herr Verwalter, die Ruhe wird ›Eva‹ gut tun auf den Schrecken.«
Asbjörn Krag faßte den Rittmeister unter dem Arm und ging mit ihm in seines Freundes Arbeitszimmer. Der Polizeibeamte aus Oslo kam nach; er hatte seine Dokumentenmappe wieder vom Boden ausgehoben. Als die Herren Platz genommen hatten, sagte Asbjörn Krag zu seinem Freunde:
»Du bist vielleicht ein wenig erstaunt?«
»Erstaunt?« erwiderte dieser. »Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich denken soll.«
Asbjörn Krag deutete auf das entzweigeschlagene Fenster. »Ich habe sofort gesehen, daß das Fenster von einem Pferde eingeschlagen sein müsse. Das Blut an den Splittern zeigte, daß ein Tier das getan hatte. Wenn ein kräftiger Mann mit der Faust den Schlag geführt hätte, so wäre bedeutend mehr Blut geflossen.«
»Du willst mir doch nicht erzählen, ›Eva‹ habe ...« fing der Rittmeister an. Asbjörn Krag nickte.
»Doch, ›Eva‹ ist es gewesen, die den alten Oberst Holger so schwer verletzt hat, und es ist ›Eva‹ gewesen, die den Rechtsanwalt totgeschlagen hat. Ich bedauere, lieber Freund, daß du so viel für das Pferd bezahlt hast, denn du wirst genötigt sein, es totzuschießen. Aber du wirst vermutlich den Verlust mit Fassung tragen, da sich jetzt alles für dich zum Besten wendet.«
Ein beinahe unbemerkbares Beben von des Rittmeisters Lippen verriet dessen tiefe Bewegung. Mit seinen Gedanken war er aus einem Gut in der Nähe, wo ein junges Mädchen war, das sich unendlich unglücklich fühlte.
»Geben Sie die Papiere her«, sagte Krag zu dem Beamten. Dieser reichte ihm die Dokumentenmappe, und Asbjörn Krag öffnete sie.
»Was hat dich eigentlich auf den Gedanken gebracht, daß das Pferd der Mörder sein könnte?« fragte der Rittmeister.
»Es war ein Zufall, oder richtiger gesagt, eine Reihe von zusammentreffenden Zufällen. Erstens war es ja merkwürdig, daß der Oberst und der Rechtsanwalt auf die ganz gleiche Weise verletzt worden waren. Beide wurden gejagt und eingeholt, und beide hatten einen ganz ähnlichen gelbbraunen Gummimantel wie der deine. In der Einsamkeit deines Zimmers dachte ich näher über den Zusammenhang nach, und da erinnerte ich mich, daß gerade zu der Zeit, wo du die geheime Unterredung mit Dagny hattest, der alte Oberst überfallen wurde. Du hattest dein Pferd grasen lassen, denn du wußtest ja nicht anders, als daß es auf der Weide ein friedliches Tier sei, und es muß beim Grasen bis in die Nähe jenes Orts gekommen sein, wo Holger überfallen worden ist. Ich erinnerte mich an die Verwundung des Obersten. So etwa trifft ein Pferd, wenn es mit den Vorderbeinen schlägt. Und während wir um den totgeschlagenen Rechtsanwalt herumstanden, bemerkte ich, daß dein Pferd in der Nähe weidete, und der Verwalter erzählte mir, daß diese Stelle die Pferdeweide sei. Damals hatte ich schon beinahe keine Zweifel mehr, aber um sicher zu sein, telegraphierte ich nach Oslo.«
Der junge Beamte, der mit Teilnahme Asbjörn Krags Auseinandersetzung gefolgt war, nickte verständnisvoll.
»Und ich machte mich gleich auf und suchte zu ergründen, wo der Herr Rittmeister das Pferd gekauft hatte«, sagte er. »Darum wußte ich auch vor einer Weile so genau, daß Sie sechstausendfünfhundert Kronen dafür bezahlt hatten.«
Asbjörn Krag reichte dem Rittmeister ein Papier, das er aus der Dokumentenmappe nahm.
»Dies ist der Kaufkontrakt«, sagte der Detektiv. »Kennst du ihn?« Der Rittmeister betrachtete das Schriftstück.
»Jawohl«, sagte er. »Da steht ja auch meine Unterschrift.«
»Und aus diesen anderen Papieren können wir ersehen, wem das Pferd vorher gehört hat«, fuhr Krag fort. »›Eva‹ ist Zirkuspferd gewesen. Das erfuhr ich gestern abend durch ein Telegramm, und nun hatte ich keinen Zweifel mehr. Und wenn ich noch einen Zweifel gehabt hätte, so wäre er gleich zerstreut worden, als ich das eingeschlagene Fenster zu sehen bekam. Das konnte nur ein Pferd und kein Mensch getan haben.«
»Zirkuspferd!« rief der Rittmeister sehr erschrocken. »Davon hatte ich keine Ahnung. Derartige Tiere haben immer ihre besonderen Tücken.«
»Ja, dressierte Tiere sind immer gefährlich, weil sie nie wissen, wann sie ihre Kunststücke machen sollen und wann nicht. Aus diesen Papieren ist weiter zu ersehen, daß ›Eva‹ in der Manege bei einer komischen Pantomime mitgewirkt hat, genannt ›Der Mann mit dem Regenmantel‹. Dabei hatte sie unter anderem die Aufgabe, auf die Hinterbeine zu steigen und eine mit einem Gummimantel bekleidete ausgestopfte Figur, die einen Einbrecher vorstellte, niederzuschlagen. Sie spielte überhaupt in dieser Pantomime das kluge Pferd. Leider hat sie dann später ihre Klugheit verkehrt angewendet, aber damit hatte sich das Schicksal verschworen, und das Schicksal rächt.
Ich habe dir früher schon die Tragödie deiner Verlobung erklärt. Jetzt steht nichts mehr im Wege, daß du und Dagny das glücklichste Paar des Landes werden. Und nun hast du auch die Erklärung der zweiten Tragödie, die damit Hand in Hand ging, ja, damit verkettet war – die der beiden Ueberfälle. Möchtest du sonst noch etwas wissen?«
Der Rittmeister starrte seinen Freund an. Nur allmählich konnte er das alles fassen.
»Aber wird es nicht schwierig sein, zu beweisen, daß das Pferd der Schuldige ist?«
»Das meinte ich bis gestern abend auch«, sagte der Detektiv. »Darum ging ich ins Haus des Obersten hinüber. Und nun wird es nicht mehr schwierig sein zu beweisen, daß das Pferd der Täter ist.«
»Wie geht das zu?«
»Der alte Oberst ist zu sich gekommen.«
Erregt faßte der Rittmeister seines Freundes Hand.
»Ist das wirklich wahr?« fragte er sehr bewegt.
»Ja«, erwiderte Krag. »Schon gestern abend war er einen Augenblick bei Bewußtsein, und da sprach sein Mund einige Worte, die den andern sinnlos vorkamen, die ich aber gut verstand.«
»Was sagte er?«
»Er sagte: ›Grüßt den Rittmeister von mir und sagt ihm, er solle das Pferd totschießen!‹ Aber ich habe dir auch noch einen anderen Gruß zu bestellen.«
»Von wem?«
»Von Dagny. Sie hatte dir etwas zu sagen, aber sie möchte es dir am liebsten selbst mitteilen.«
Der Rittmeister stand lange Zeit gedankenvoll mitten im Zimmer.
»Das Schicksal rächt!« sagte er vor sich hin. »Es hat schon ein Leben genommen.«
»Wir können wohl sagen zwei!« fiel Krag ein.
»Wessen Leben noch, außer dem des Rechtsanwalts?«
»Das des Pferdes!« sagte der Detektiv und packte gelassen die Papiere wieder zusammen.