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Der Rittmeister hielt seinen Freund noch einmal auf. »Wohin willst du?« fragte er mit gerunzelten Brauen.
»Ich habe kein bestimmtes Ziel für meinen Spaziergang.«
»Zum Kaufmann?«
»Durchaus nicht.«
»Zum Amtsrichter oder zum Amtsvorsteher?«
»Auch nicht.«
Krag blieb mit einem nachdenklichen Ausdruck auf dem Gesicht an der Türe stehen. Er deutete mit der Hand nach Osten.
»Wenn ich irgendwo hingehe, dann gehe ich in dieser Richtung«, sagte er.
Der Rittmeister fühlte sich von einer merkwürdigen Bewegung ergriffen. Er verstand, was sein Freund meinte.
»Zu ihr?« fragte er.
»Das ist noch nicht sicher. Soll ich vielleicht Grüße von dir bestellen?«
»Nein!« erwiderte der Rittmeister hart. »Ich habe ihr nichts zu sagen, ehe sie selbst gesprochen hat. Aber du kannst ihr erzählen, daß du mich gesehen hast und daß ich noch am Leben bin.« Ein bitteres Lächeln legte sich um seinen Mund. Asbjörn Krag nickte.
»Gut, wenn ich sie treffen sollte, werde ich ihr mitteilen, daß du noch am Leben bist«, sagte er. »In zwei Stunden bin ich wieder da.« Krag sah nach der Uhr. »Jetzt ist es neun Uhr. Bis elf Uhr bin ich wieder zurück.«
»Soll ich auf dich warten?«
»Ja.«
»Und wenn du bis elf Uhr nicht da bist?«
Asbjörn Krag überlegte.
»Wenn ich bis elf Uhr nicht da bin, so warte bis zwölf Uhr«, sagte er.
»Und wenn du auch bis zwölf Uhr nicht zurück bist?«
Der Detektiv wurde plötzlich sehr ernst. Er ging auf seinen Freund zu und ergriff dessen Hand.
»Wenn ich bis Mitternacht nicht da bin, so bedeutet das Gefahr«, antwortete er nachdrücklich. »Dann mußt du sofort deine Leute aufbieten. Du mußt dem Amtsrichter Botschaft senden und die Bauern zusammentrommeln.«
»Wozu sollen alle diese Menschen zusammengerufen werden?«
»Um nach mir zu streifen. Dann bin ich mit dem geheimnisvollen Wesen zusammengestoßen, das den Rechtsanwalt umgebracht hat und um ein Haar auch den alten Oberst Holger umgebracht hätte. Dann muß die ganze Gegend abgesucht werden. Geht über die Felder und Wiesen und bildet im Walde Ketten und ruht nicht eher, als bis ihr mich, tot oder lebendig, gefunden habt.«
Der Rittmeister erschrak sichtlich über diese ernsten Worte.
»Und du willst dennoch allein gehen?« fragte er. »Wenn ich mitginge, dann wären doch noch zwei kräftige Arme und ein sicherer Revolver mehr dabei.«
»Einer allein kann vielleicht etwas zu sehen bekommen, zwei werden jedenfalls nichts erkunden«, erklärte Krag. »Und ich habe mich nun einmal entschlossen, allein zu gehen. Ich freue mich der Gefahr, und ich habe keine Lust, sie mit jemand zu teilen. Darin bin ich selbstsüchtig. Aber vergiß nicht, wenn ich bis zwölf Uhr nicht zurück bin, dann komme ich vielleicht gar nie mehr.«
Mit diesen Worten entfernte er sich. Der Rittmeister mochte nicht noch einen Versuch machen, ihm seine Gesellschaft aufzudrängen; er kannte seinen Freund zu gut, als daß er nicht gewußt hätte, wie nutzlos das gewesen wäre. Er lauschte auf seine Schritte, die allmählich draußen verklangen.
Der Rittmeister war sichtlich nervös geworden. Das Unheimliche bei dieser Geschichte hatte sich schwer auf ihn gelegt und hatte ihn verwirrt. Gefährliche und nervenerregende Erlebnisse waren ihm nicht fremd, aber etwas so Unheimlichem hatte er noch nie gegenübergestanden.
Daß wirklich eine Gefahr vorhanden war, konnte er aus Krags Auftreten mit Sicherheit entnehmen. Der zur Untätigkeit verurteilte Rittmeister fühlte sich unsicher und nervös. Wenn er sich nicht durch Asbjörn Krags Anordnungen gebunden gefühlt hätte, wäre er ihm am liebsten nachgelaufen.
Um sich die Zeit zu vertreiben, ging er in das kleine Kabinett, in dem Krag nachgedacht hatte. Noch immer zogen dichte Rauchwolken an den Wänden hin; allein der Rittmeister fühlte sich in der schweren Luft ruhiger und legte sich aufs Sofa. Der Diener brachte ihm Whisky und Zigaretten, und die Rauchwolken verdichteten sich. Eine halbe Stunde verging. Plötzlich fuhr der Rittmeister auf. Er meinte, vor dem Hause ein Geräusch zu hören; es klang wie Tasten und Atmen und vorsichtige Schritte im weichen Grase. Das schwache Geräusch bewegte sich ums Haus und hörte unter den Fenstern seines Arbeitszimmers auf.
»Sollte am Ende Asbjörn Krag schon zurück sein?« dachte der Rittmeister, aber im nächsten Augenblick mußte er diesen Gedanken wieder fallen lassen. Sein Freund brauchte sich doch nicht wie ein Dieb an den Wänden entlang zu schleichen, wenn er ins Haus wollte. Oder sollte es am Ende der Unbekannte sein, der böse Geist der Umgegend?
Unter gewöhnlichen Umständen hätte der Rittmeister dieses Geräusch gar nicht beachtet. Möglicherweise war ja nur einer von den Leuten, vielleicht der Verwalter draußen und tastete sich durch die Dunkelheit. Aber das Gefühl des Unheimlichen hatte ihn nun einmal in den Klauen.
Der Rittmeister war jedoch ein mutiger Mann, und halb im Aerger darüber, daß er wirklich erschrocken war, stand er auf, um nach der Ursache des Geräusches zu forschen. Er tat ein paar Schritte auf die Tür zu, da stockte sein Fuß. Lautes Klirren von zerbrechendem Glase drang an sein Ohr.
Eines von den Fenstern seines Arbeitszimmers wurde in Stücke geschlagen. Klirrend fielen die Scherben auf den Fußboden.
Der Rittmeister griff in die Tasche nach seinem Revolver und stürzte in sein Arbeitszimmer.
Er hatte erwartet, einen Menschen drinnen zu finden, allein das Zimmer war leer. Ueber seinen ganzen Schreibtisch lagen die Splitter von den zerbrochenen Scheiben zerstreut. Der eine Fensterflügel war zertrümmert. Ein mehr als gewaltiger Schlag mußte gegen das Fenster geführt worden sein.
Draußen vor dem Fenster ließ sich ein schwaches Geräusch vernehmen. Es klang beinahe, wie mehrfache flüchtige Fußtritte in der Ferne.
Der Rittmeister lief ans Fenster und schoß auf gut Glück seinen Revolver ins Dunkel hinein ab. Dann zog er sich ins Innere des Zimmers zurück und wartete, was geschehen werde.
Aber in den ersten Minuten geschah nichts; dann vernahm er Schritte ums Haus her. Das waren seine Dienstleute, die, von dem Lärm aufgeschreckt, jetzt von allen Seiten zusammenliefen.
Der Rittmeister klingelte. Sein Diener kam und hatte vor Schreck ganz aus den Höhlen gequollene Augen.
»Rufe den Verwalter!« befahl der Rittmeister.
Blaß vor Erregung trat der Verwalter ein.
»Was ist Schlimmes geschehen?« fragte er und warf dann einen erschreckten Blick auf den Revolver in des Rittmeisters Hand, und einen zweiten auf das zerschmetterte Fenster.
»Hier ist nichts Schlimmes geschehen«, antwortete der Rittmeister. »Rufen Sie die Leute zusammen.«