Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel. Der Rechtsanwalt

Auf dem Hof traf Asbjörn Krag den Verwalter und ging sofort auf ihn zu.

»Ist etwas vorgefallen, Herr Verwalter?« fragte er.

»Vorgefallen?« versetzte der Verwalter, der sich die Frage nicht zu deuten vermochte, und schaute den Detektiv erstaunt an.

»Als ich dort auf dem Weg war, hörte ich einen Schrei«, erklärte Krag. »Er schien von dieser Seite zu kommen.«

»Einen Schrei? Hier hat niemand geschrien, das weiß ich.«

Der Verwalter betrachtete den Detektiv mit mißtrauischen Blicken. Er war ein breitschultriger, gesetzter Landmann, dem es augenscheinlich merkwürdig vorkam, was sich hier für Dinge ereigneten, seitdem ein Mann von der Polizei in dieser sonst so friedlichen Gegend angelangt war. Asbjörn Krag deutete auf den Rand des Gehölzes, das einige hundert Meter vom Hause des Rittmeisters entfernt war.

»Dorther kam der Schrei«, sagte er. »Er hörte sich an, als ob er vom Rande des Gehölzes herkäme.«

Nun fing der Verwalter an zu lachen.

»Dann waren es die Pferde!« rief er. »Die schreien zuweilen so, wenn es dunkel wird.«

Bei diesen Worten deutete er auf die Wiese hinaus, auf der sich mehrere dunkle Schatten hin und her bewegten. Das waren die Pferde auf der Weide. »Es wird wohl die wilde ›Eva‹ gewesen sein, die so geschrien hat«, meinte der Verwalter.

Die Pferde! Asbjörn Krag schwieg nachdenklich. Sein Gehirn arbeitete angestrengt.

»Ist des Herrn Rittmeisters Reitpferd sehr wild?« erkundigte er sich.

»Die ›Eva‹ hat ihre Zeiten«, erwiderte der Verwalter. »Es kommt zuweilen so über sie. Ich kenne mich mit diesem Pferde nicht aus.«

Asbjörn Krag brach die Unterhaltung kurz ab.

»Dann ist es also wohl eines der Pferde gewesen«, sagte er, nickte dem Verwalter zu und ging seines Weges. Als er einige Schritte gemacht hatte, drehte er sich um und fragte:

»Ist der Herr Rittmeister zu Bett gegangen?«

»Das glaube ich nicht. Er ist erst vor kurzer Zeit von einem Spaziergang nach Hause gekommen.«

»Wohin ist er denn gegangen?«

»Das weiß ich nicht.«

Die Pferde! ... Krag überlegte. Sollte das möglich sein? Sollte er den Notschrei eines Menschen und den Schrei eines wilden Pferdes nicht zu unterscheiden vermögen? Als Krag ins Zimmer kam, saß sein Freund am Kamin und wärmte sich; eine lange Pfeife hing ihm schlaff im Munde. Er schlummerte, wachte aber sofort auf, als die Schritte des Detektivs erklangen. Krag trat mit Absicht hart auf, um ihn zu wecken. Der Rittmeister fuhr auf und starrte den Eintretenden mit schlaftrunkenen, wirren Augen an. Wie um sich zu entschuldigen, sagte er:

»Ich habe in den letzten Tagen kein Auge zugetan.«

Asbjörn Krag setzte sich an seine Seite, und seine Stimme hatte einen weichen Klang, als er sagt:

»Armer Freund!«

Der Rittmeister preßte die Lippen zusammen.

»Ich habe mich nie gern bemitleiden lassen, und ich möchte auch nicht von dir bemitleidet werden«, sagte er.

Krag schwieg eine Weile, dann fing er an:

»Für morgen ist wieder eine Verhandlung angesetzt. Ich halte es für wahrscheinlich, daß das Gericht den Entschluß faßt, eine Verhaftung vorzunehmen. – Das scheint dich nicht stark anzufechten?«

»Geschehe, was da wolle, ich werde die Fassung nicht verlieren«, erwiderte der Rittmeister mit stoischer Ruhe.

Asbjörn Krag fuhr fort:

»Ich komme immer wieder auf eine Frage zurück, die ich schon mehrere Male gestellt habe: Kannst du mir nicht sagen, ob dir hier in der Gegend irgend jemand feindlich gesinnt ist?«

Der Rittmeister schüttelte den Kopf.

»Ich stelle mir vor, daß die meisten hier in der Gegend mir nicht wohlwollen. Aber irgendeinen besonderen Feind könnte ich nicht nennen. Ich kenne ja gar niemand näher.«

»Und wenn ich dir einen Namen nennte?«

»Nenne ihn nur einmal.«

»Rechtsanwalt Bomann!«

»Rechtsanwalt Bomann?«

Wieder schüttelte der Rittmeister den Kopf. Dieser Name schien ihn nicht besonders zu interessieren.

»Meinst du den, der seit einiger Zeit beim Kaufmann wohnt und aussieht wie ein Schullehrer?«

»Ja.«

»Er ist gewiß nur hier, um Wälder zu kaufen. Ich glaube, er ist der Agent einer Gesellschaft in Oslo. Weiter weiß ich überhaupt nichts von dem Manne. Aber heute bei der Untersuchung habe ich wahrgenommen, daß er ein auffallendes Interesse an den Tag gelegt hat. Er wittert wie ein Hund im Grase. Aber, lieber Freund, ich habe aufgehört, mich über die Neugier und Bosheit Unbeteiligter zu wundern.«

»Weißt du, ob er in irgendeiner Verbindung mit dem alten Oberst steht?«

»Es kommt mir vor, als ob der Oberst den Namen des Mannes einmal erwähnt hätte. Ich glaube, bei jener Gelegenheit erfuhr ich zuerst, daß er sich überhaupt in der Gegend aufhält. Der alte Holger hat wahrscheinlich in früherer Zeit einmal mit ihm zu tun gehabt, und ich meine, er habe den Namen mit einer Grimasse der Verachtung genannt.«

Asbjörn Krag überlas noch einmal den unvollendeten Brief, den er auf dem Tisch des Kaufmanns gefunden hatte. Dann reichte er das Schriftstück dem Rittmeister.

»Kennst du diese Handschrift?« fragte er.

Der Rittmeister warf einen Blick auf das Papier.

»Nein!« sagte er.

»Das ist die Handschrift dieses Rechtsanwalts Bomann«, erklärte Krag.

Der Rittmeister las nun den angefangenen Brief mit großem Interesse. Als er fertig war, sagte er erstaunt:

»Aber in diesem Briefe steht ja gar nichts von Wichtigkeit!«

Krag nickte.

»Es handelt sich um einen Waldkauf«, sagte er. »Aber der Brief hat jedenfalls Bedeutung für deine Sache.«

»Das begreife ich nicht. Davon steht doch kein Wort drin.«

»Dennoch hat der Brief seine Bedeutung, sage ich dir. Er ist von der Person geschrieben, die dir feindlich gesinnt ist.«

»Wirklich?«

»Von dem, der im Grase gewittert hat wie ein Hund, wie du sagst.«

»Und was weiter?«

»Er weiß auch die Geschichte mit den Pferdehufen. Morgen will er zur Verhandlung kommen.«

»Laß ihn nur kommen.«

»Er will dort das Resultat seiner Nachforschungen vorlegen. Diese stimmen mit den meinigen überein. Sie scheinen zu beweisen, daß du auf deinem Pferd drunten auf der Wiese gewesen bist zu der Zeit, wo der alte Oberst überfallen wurde.«

Der Rittmeister antwortete nur mit einem Achselzucken.

»Dann gibt es wohl eine Verhaftung, wie du gesagt hast«, meinte er dann.

»Ganz gewiß.«

»Nun gut, ich werde mich also auf eine Verhaftung vorbereiten.«

»Du?«

»Ja, und ich hoffe, daß du dennoch nicht von mir abfallen wirst. Du glaubst doch immer noch an meine Unschuld?«

Asbjörn Krag stand auf. Ein eigentümliches Lächeln spielte um seine Lippen.

»Mein lieber Freund, du sollst ja gar nicht verhaftet werden«, sagte er.

Rittmeister Rye sprang erregt auf.

Die beiden Männer sahen einander eine lange Weile in die Augen, ohne ein Wort zu reden. Der eine war ruhig, und um seine Lippen spielte ein Lächeln. Asbjörn Krag fühlte sich wieder klar und sicher. Der andere, der Rittmeister, stand blaß und erregt da.

»Was meinst du denn?« stammelte er, »wer soll verhaftet werden, wenn nicht ich!«

»Der Schuldige!« antwortete Asbjörn Krag mit Nachdruck.


 << zurück weiter >>