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Zwanzigstes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 42 (in dieser Übersetzung Band 2, Kapitel 20):

How much, methinks, I could despise this man
Were I not bound in charity against it!

Shakespeare: Henry VIII.


Bald nach der Rückkehr von seiner Hochzeitsreise machte Lydgate einen ärztlichen Besuch im Herrenhause von Lowick, und zwar in Veranlassung eines ihm zugegangenen Schreibens, in welchem er gebeten worden war, die Zeit seines Besuches voraus zu bestimmen.

Casaubon hatte Lydgate nie über die Natur seiner Krankheit befragt, noch auch je selbst gegen Dorothea irgend welche Besorgniß wegen einer von seinem Leiden zu befürchtenden Abkürzung seiner Arbeiten oder seines Lebens geäußert. In dieser wie in jeder anderen Beziehung scheute er das Mitleid, und wenn ihn schon der unbewußte Argwohn, für irgend etwas in seinen Lebensschicksalen bemitleidet zu werden, erbitterte, so mußte ihm der Gedanke, durch das offene Eingeständniß einer Beunruhigung oder einer Besorgniß ein demonstratives Mitleid hervorzurufen, vollends unerträglich sein.

Jeder stolze Sinn hat etwas Aehnliches an sich erfahren und vielleicht kann diese Scheu nur durch ein ächtes Gefühl der Brüderlichkeit, welches uns alle Versuche, uns zu isoliren, nicht erhaben, sondern niedrig und klein erscheinen läßt, überwunden werden.

Aber Casaubon brütete jetzt über Plänen, welche ihm die Frage nach seiner Gesundheit und seinem Leben in einsamen Stunden in noch peinlicherer Weise nahe brachten, als es selbst die herbstliche Unreife seiner Autorschaft zu thun vermochte. Zwar durfte man diese Autorschaft mit Recht als den eigentlichen Kernpunkt seines Ehrgeizes betrachten; aber es giebt einige Arten von Autorschaft, deren bei weitem bedeutendstes Ergebniß in der im Bewußtsein des Autors angesammelten unbehaglichen Empfindlichkeit besteht.

Man schließt auf die Nähe eines Flusses aus wenigen schmalen Wasserstreifen inmitten einer lang angesammelten Ablagerung häßlichen Schlammes. So war es mit Casaubon's schweren geistigen Arbeiten. Ihr charakteristisches Ergebniß war nicht der ›Schlüssel zu allen Mythologien‹, sondern ein krankhaftes Bewußtsein davon, daß Andere ihm nicht von selbst den Platz einräumten, den sich in unbestreitbarer Weise zu erringen ihm nicht gelungen war, ein fortwährendes argwöhnisches Vermuthen, daß die über ihn verbreiteten Urtheile ihm nicht günstig seien, ein trauriger Mangel an Leidenschaft in seinem Streben nach Vollendung und ein leidenschaftliches Sträuben gegen das Selbstbekenntniß, daß er nichts vollendet habe.

So bot ihm sein geistiger Ehrgeiz, welcher nach der Meinung Anderer ihn ganz zu absorbiren und aufzuzehren schien, in der That keinen sicheren Schutz gegen Kränkungen, am wenigsten gegen Kränkungen, die ihm von Dorotheen bereitet wurden. Und jetzt hatte er angefangen, sich im Geiste mit künftigen Möglichkeiten zu beschäftigen, welche ihn in gewisser Weise mit bitterern Gefühlen erfüllten, als sie sein Gemüth noch je belastet hatten.

Gegen gewisse Thatsachen fühlte er sich ganz wehrlos: gegen die Existenz von Will Ladislaw, das von ihm wie eine Herausforderung empfundene Verweilen desselben in dortiger Gegend und seine leichtfertige Art, über die Inhaber ächter wohlgestempelter Gelehrsamkeit zu denken; gegen das Wesen Dorothea's, die immer nach einer neuen Form leidenschaftlicher Thätigkeit rang und die selbst unter Demuth und Schweigen feurige Ideen barg, an die nur zu denken ihn in eine gereizte Stimmung versetzte; gegen gewisse Begriffe und Neigungen endlich, die sich ihres Geistes in Betreff von Gegenständen bemächtigt hatten, über welche er unmöglich mit ihr discutiren konnte.

Es war nicht zu läugnen, daß Dorothea eine so tugendhafte und liebenswürdige junge Dame sei, wie er sie sich zum Weibe nur habe wünschen können; es stellte sich aber heraus, daß eine junge Dame eben ein störsameres Element sei, als er es sich gedacht hatte. Sie pflegte ihn, sie las ihm vor, sie sah ihm seine Wünsche an den Augen ab und war eifrig bestrebt, seine Gefühle zu schonen; aber dem Gatten hatte sich die Ueberzeugung aufgedrängt, daß sie ihn beurtheile und daß ihre weibliche Hingebung einer reuigen Sühne für ketzerische Gedanken gleiche, daß diese Hingebung begleitet sei von einer Fähigkeit des Vergleichens, welche sie seine Worte und seine Handlungen allzu klar im Zusammenhange mit den Dingen im Allgemeinen betrachten ließ. Seine Unzufriedenheit drang wie ein Dunst durch alle ihre sanften zärtlichen Kundgebungen hindurch, auf die ihm von einer Welt, welche ihm in Dorotheen nur noch näher getreten schien, versagte Würdigung.

Der arme Casaubon! Diese peinlichen Empfindungen thaten um so weher, als sie gleichsam durch einen Verrath hervorgerufen schienen: das junge Mädchen, das ihn vertrauensvoll angebetet, hatte sich rasch in die kritische Frau verwandelt, und verschiedene schon so bald vorgekommene Fälle eines kritischen und empfindlichen Verhaltens hatten einen Eindruck auf ihn gemacht, welchen keine noch so zärtliche Ergebenheit später wieder verwischen konnte.

In seiner argwöhnischen Stimmung sah er jetzt in Dorothea's Schweigen eine verhaltene Auflehnung, in jeder harmlosen Bemerkung, die sie ohne Vorbedacht hinwarf, eine Kundgebung bewußter Ueberlegenheit; aus ihren sanften Antworten hörte er eine verstimmende Behutsamkeit heraus, und wenn sie ihm zustimmt, e so hielt er das nur für die Aeußerung einer selbstgefälligen Resignation.

Die Beharrlichkeit, mit welcher er danach rang, diese inneren Kämpfe zu verbergen, machten dieselben nur um so schmerzlicher für ihn; wie wir das, was wir von Andern nicht gehört wünschen, nur um so schärfer hören.

Ich meinestheils finde in diesem jammervollen Zustande Casaubon's durchaus nichts Merkwürdiges, sondern etwas ganz Gewöhnliches. Begegnet es nicht uns Allen, daß ein kleiner in unser Gesichtsfeld fallender Fleck die Herrlichkeit der Welt für uns austilgt? Ich kenne aber keinen Fleck, der so störend werden könnte wie unser Ich. Und wer würde, wenn Casaubon ihn zum Vertrauten seiner Unzufriedenheit, – seines Argwohns, daß er nicht mehr der Gegenstand einer kritiklosen Anbetung sei –, gemacht hätte, haben läugnen können, daß er guten Grund habe, so zu empfinden?

Im Gegentheil, es gab für ihn noch einen starken Grund zur Unzufriedenheit, den er selbst nicht mit klarem Bewußtsein in Rechnung brachte, den nämlich, daß er nicht durchaus anbetungswürdig war. Er hatte jedoch auch davon wie von anderen Dingen eine Ahnung, ohne es sich selbst zu gestehen, und fühlte, wie wir Alle es thun, wie wohlthuend es ihm gewesen sein würde, eine Lebensgefährtin zu haben, die diese Wahrheit nie erkannt hätte.

Diese traurige Empfindlichkeit gegen Dorothea war schon im Keime vorhanden, noch bevor Will Ladislaw nach Lowick zurückgekehrt war, und was seitdem vorgefallen war, hatte Casaubon's unglückliche Neigung, Alles mit argwöhnischen Augen zu betrachten, nur noch krankhaft gesteigert. Allen ihm bekannten Thatsachen fügte er noch eingebildete in Gegenwart und Zukunft hinzu, und zwar wirkten die letzteren noch gewaltiger auf ihn als die ersteren, weil sie ihm zu einer noch tieferen Abneigung, zu einer noch leidenschaftlicheren Verbitterung Anlaß gaben. Argwohn und Eifersucht gegen Will Ladislaw's Absichten, Argwohn und Eifersucht gegen Dorothea's Eindrücke arbeiteten unablässig in ihm.

Man würde ihm sehr Unrecht gethan haben.wenn man ihn einer niedrigen Verdächtigung Dorothea's für fähig gehalten hätte; vor einem solchen Mißgriff schützten ihn gleichermaßen seine eigenen Gewohnheiten im Denken und Handeln und die offene Hoheit ihres Wesens. Eifersüchtig war er auf ihre Ansichten, auf die Richtung, in welche ihr feuriger Geist mit seinen Urtheilen vielleicht würde gelenkt werden können, und die künftigen Möglichkeiten, zu welchen diese Ansichten und diese Urtheile sie bringen möchten.

Was Will anlangte, so hielt sich Casaubon, wiewohl er außer seinem letzten herausfordernden Brief nichts Positives gegen ihn anzuführen hatte, doch zu der Annahme berechtigt, daß er jedes Unternehmens fähig sei, das geeignet wäre, an ein zur Auflehnung geneigtes Temperament und eine dem leisesten Antriebe nachgebende, ungezügelte Natur hinreißend zu wirken.

Er war fest überzeugt, daß Dorothea die Ursache der Rückkehr Will's von Rom und seines Entschlusses sei, sich hier in der Gegend niederzulassen, und er war scharfsichtig genug, sich vorstellen zu können, daß Dorothea Will unschuldiger Weise zu diesem Verfahren ermuthigt habe.

Es war so klar wie möglich, daß ihr Wesen ganz, danach angethan sei, sich an Will zu attachiren und von seinen Eingebungen beherrschen zu lassen. So oft Dorothea noch mit ihm allein zusammen gewesen war, hatte sie von einer solchen Begegnung neue verwirrende Eindrücke empfangen, und die letzte Zusammenkunft der Beiden, von welcher Casaubon wußte, (davon, daß sie Will gelegentlich ihres Besuches in Freshitt Hall gesprochen, hatte Dorothea zum ersten Male geschwiegen) hatte zu einer Scene geführt, welche ihn gegen Beide heftiger aufgebracht hatte, als er es noch je gewesen war. Dorothea's nächtliche Expectorationen über Geldangelegenheiten hatten den Erfolg gehabt, das Gemüth ihres Gatten mit noch finsterern Vorahnungen zu erfüllen.

Dabei war ihm die kürzlich stattgehabte Erschütterung seiner Gesundheit immer gegenwärtig. Allerdings hatte er sich wieder sehr erholt, hatte seine ganze gewohnte Arbeitskraft wieder erlangt und durfte sich der Hoffnung hingeben, daß die Krankheit nur eine Folge von Ueberanstrengung gewesen sei und daß er vielleicht noch zwanzig Jahre zum Vollenden vor sich habe, welche die vorangehende dreißigjährige Vorbereitung rechtfertigen würden.

Diese Aussicht war um so reizender, als sich in sie ein Vorgeschmack der Rache mischte, welche er an den voreiligen Spöttereien der Carp und Genossen würde nehmen können; denn selbst in den Momenten, wo Casaubon mit seiner Fackel unter den Gräbern der Vergangenheit wandelte, drängten sich jene modernen Gestalten durch das trübe Halbdunkel an ihn heran und störten ihn bei seinen fleißigen Forschungen. Carp seines Irrthume überführen und ihn zwingen können, seine Aeußerungen beschämt zurückzunehmen, würde eine sehr angenehme Zugabe zu dem Triumph der Autorschaft sein, eine Zugabe, deren Reiz selbst durch die Aussicht, noch lange im Gedächtniß der Menschen auf Erden und bis in alle Ewigkeit im Himmel fortzuleben, nicht vermindert wurde.

Wenn aber selbst die Voraussicht seiner eigenen ewigen Seligkeit die Bitterkeit der Gefühle einer reizbaren Eifersucht und Rachsucht nicht zu beschwichtigen vermochte, so kann es umso weniger überraschen, daß die Wahrscheinlichkeit einer vorübergehenden irdischen Seligkeit, deren sich andere Personen zu erfreuen haben würden, wenn er selbst schon in das Himmelreich eingegangen sein werde, nicht eben sehr angenehm auf ihn zu wirken vermochte. Wenn es wahr sein sollte, daß er an einem geheimen, sein Leben untergrabenden Uebel leide, so stand nur zu sehr zu fürchten, daß Andere Veranlassung haben würden, sich seines Todes zu freuen. Und wenn Will Ladislaw einer dieser Andern sein sollte, so war das für Casaubon ein so peinlicher Gedanke, daß ihm der darüber empfundene Verdruß unzertrennlich auch von seinem künftigen Leben schien.

Aber diese Art, den Fall zu betrachten, litt doch an gar zu handgreiflichen Mängeln. Die menschliche Seele wandelt auf vielen Wegen und Casaubon hatte, wie wir wissen, einen Sinn für Rechtschaffenheit und einen ehrenwerthen Stolz, den Forderungen der Ehre zu genügen, welche ihn nöthigten, nach anderen Gründen seines Verfahrens zu suchen, als sie ihm Eifersucht und Rachsucht an die Hand geben konnten. Casaubon legte sich daher den Fall in folgender Weise vor:

»Als ich Dorothea Brooke heirathete, hatte ich die Pflicht, für ihr Wohlergehen nach meinem Tode zu sorgen. Aber Wohlergehen ist nicht durch den unabhängigen Besitz eines großen Vermögens bedingt; im Gegentheil, es könnten sich Gelegenheiten finden, bei welchen ein solcher Besitz sie nur um so größeren Gefahren aussetzen würde. Sie ist eine leichte Beute für jeden Mann, der es versteht, mit Geschick die Saiten ihres liebenden Feuereifers oder ihres donquixotischen Enthusiasmus anzuschlagen, und neben ihr steht ein Mann, der grade solche Absichten hegt, ein Mann, der kein anderes Princip als flüchtige Launenhaftigkeit kennt und der eine persönliche Animosität gegen mich hat, dessen bin ich gewiß, eine Animosität, welche durch das Bewußtsein seiner Undankbarkeit nur noch genährt wird und welcher er unablässig durch spöttische Bemerkungen über mich Luft gemacht hat, dessen bin ich so sicher, als ob ich es gehört hätte. Selbst wenn ich leben bleibe, werde ich nicht ohne Sorge in Betreff dessen sein können, was er durch indirecte Einflüsse vielleicht zu erreichen versuchen möchte. Dieser Mensch hat Dorothea's Ohr gewonnen. Er hat sie wie durch einen Zauber zu fesseln verstanden; er hat es offenbar versucht, ihr die Meinung beizubringen, daß er Ansprüche an mich habe, die weit über das hinausgehen, was ich für ihn gethan habe. Wenn ich sterbe – und er wartet nur darauf – wird er sie überreden, ihn zu heirathen. Das würde für sie ein Unglück, für ihn die Erfüllung seiner Wünsche sein. Sie würde es freilich nicht für ein Unglück halten, er würde ihr Alles einreden können; sie hat eine Tendenz zu maßloser Zuneigung, deren Mangel bei mir sie mir innerlich zum Vorwurf macht, und schon arbeitet sie in Gedanken daran, ihm eine glänzende Zukunft zu bereiten. Er träumt von einer leichten Eroberung, die ihn in mein Nest führen soll. Dem will ich entgegentreten! Eine solche Heirath würde verhängnißvoll für Dorothea sein. Hat er je außer aus Widerspruchsgeist bei irgend einer Sache ausgeharrt? In Bezug auf Kenntnisse hat er immer danach gestrebt, mit billigem Flitter zu prunken; in religiösen Dingen hat er sich, so lange es ihm paßte, zum Echo von Dorothea's Träumereien gemacht. Von jeher ging oberflächliche Halbwisserei Hand in Hand mit laxen Grundsätzen. Ich habe das tiefste Mißtrauen gegen seine Moral, und es ist meine Pflicht, seine Pläne, soweit es in meinen Kräften steht, zu vereiteln.«

Die von Casaubon bei seiner Heirath getroffenen Bestimmungen ließen ihm noch einen weiten Spielraum zu späteren Verfügungen; das Nachdenken über die von ihm geplanten Maßregeln führte ihn aber zu einer so eingehenden Erwägung der Chancen seiner eigenen Lebensdauer, daß das dadurch erweckte Verlangen, über diesen Punkt so genau wie möglich in's Klare zu kommen, ihn endlich sein stolzes Schweigen hatte überwinden und den Entschluß fassen lassen, Lydgate über die Natur seiner Krankheit zu befragen.

Er hatte Dorotheen gesagt, daß Lydgate einer mit ihm getroffenen Verabredung gemäß um halb vier Uhr zu ihm kommen werde, und hatte auf ihre besorgte Frage, ob er sich unwohl fühle, geantwortet:

»Nein, ich wünsche nur seine Ansicht über einige habituell gewordene Symptome zu hören. Du brauchst ihn nicht zu sehen, liebes Kind. Ich werde Ordre geben, daß man ihn nach der Eibenbaumallee, wo ich meinen gewöhnlichen Spaziergang machen werde, zu mir schickt.«

Als Lydgate in die Eibenbaumallee eintrat, sah er Casaubon, wie er, nach seiner Gewohnheit die Hände auf dem Rücken und den Kopf vornübergebeugt, langsam vor ihm herschritt. Es war ein lieblicher Nachmittag, die Blätter der mächtigen Linden fielen schweigend auf das finstere Immergrün, während Licht und Schatten wie regungslos nebeneinander lagen; kein Laut war vernehmbar als das Krächzen der Krähen, welches für ein daran gewöhntes Ohr wie ein Wiegenlied oder wie das letzte feierliche Wiegenlied, wie ein Grabgesang klingt.

Lydgate konnte sich im Vollgefühl seiner jugendlichen Kraft eines gewissen Mitleids nicht erwehren, als die Gestalt, welche er rasch genug eingeholt haben würde, sich umkehrte und, indem sie sich ihm näherte, deutlicher als je die Spuren frühen Alters, die mageren Glieder, den melancholischen Zug um den Mund und den gebeugten Rücken des Gelehrten zeigte.

»Der arme Mann!« dachte er bei sich, »es giebt Männer in seinen Jahren, die kräftig sind wie Löwen und über deren Alter man nichts sagen kann, als daß sie erwachsen sind.«

»Ah, Herr Lydgate, ich bin Ihnen ungemein verbunden für Ihre Pünktlichkeit,« sagte Casaubon mit seiner nie versagenden Höflichkeit. »Wir wollen, wenn es Ihnen gefällig ist, bei unserer Unterhaltung auf- und abgehen.«

»Ich hoffe, Ihr Wunsch, mich zu sehen, rührt nicht von dem Wiederauftreten unerfreulicher Symptome her,« sagte Lydgate, um eine Pause auszufüllen.

»Nicht unmittelbar – nein. Um Ihnen diesen Wunsch zu erklären, muß ich erwähnen, was sonst zu bemerken unnöthig sein würde, daß mein in allen übrigen Beziehungen unwichtiges Leben durch den unvollendeten Zustand von Arbeiten, welche meine besten Jahre ausgefüllt haben, möglicherweise eine gewisse Wichtigkeit gewinnen kann. Kurz, ich habe seit langer Zeit ein Werk unter den Händen, das ich gern wenigstens in einem solchen Zustande hinterlassen möchte, daß es der Presse, wenn auch von Anderen, übergeben werden könnte. Wenn ich die Gewißheit hätte, daß dies das Aeußerste ist, worauf ich vernünftiger Weise rechnen kann, so würde in dieser Gewißheit für mich eine nützliche Beschränkung meiner Bestrebungen und ein Leitstern sowohl für die positive wie die negative Richtung meines Weges liegen.«

Bei diesen Worten hielt Casaubon inne, zog die eine Hand hinter dem Rücken hervor und steckte sie zwischen die Knöpfe seines einreihigen Rockes. Für einen mit den menschlichen Geschicken vertrauten Geist konnte es kaum etwas Interessanteres geben als den inneren Conflict, der sich in dieser förmlich abgemessenen, mit dem gewöhnlichen salbungsvollen Ton und dem Neigen des Kopfes vorgetragenen Anrede kundgab. Ja, es giebt vielleicht wenige Situationen von so erhabener Tragik wie das Ringen der Seele mit dem Verzicht auf die Vollendung eines Werks, welches dem Leben dieser Seele seine ganze Bedeutung gegeben hat eine Bedeutung, welche dahin schwinden wird wie das Wasser, das vorüberfließt, wo Niemand seiner bedarf.

Aber die Erscheinung und das Auftreten Casaubon's boten nichts, was Andere als erhaben hätte berühren können, und Lydgate, der von kleinlicher Gelehrsamkeit ziemlich geringschätzig dachte, empfand neben dem Mitleid, das ihm Casaubon einflößte, ein gewisses Ergötzen über dessen Persönlichkeit. Er wußte noch zu wenig von der Mannigfaltigkeit des menschlichen Unglücks, um das Pathos eines Menschenschicksals zu begreifen, in welchem nichts tragisch ist als der leidenschaftliche Egoismus des Dulders.

»Reden Sie von den Hindernissen, die Ihnen möglicherweise aus Ihrem Gesundheitszustande erwachsen könnten?« fragte Lydgate in dem Wunsche, Casaubon zum Aussprechen dessen, was ihm am Herzen lag und womit er nicht recht von der Stelle kommen zu können schien, behülflich zu sein.

»Allerdings. Sie haben. mir bisher nicht zu verstehen gegeben, daß die Symptome, welche Sie, wie ich mich Ihnen zu bezeugen verpflichtet fühle, mit so gewissenhafter Sorgfalt beobachtet haben, auf ein verhängnißvolles Leiden schließen lassen. Sollte das aber gleichwohl der Fall sein, Herr Lydgate, so würde ich wünschen, daß Sie mich rückhaltlos von der Wahrheit in Kenntniß setzten, und ich ersuche Sie um eine genaue Mittheilung Ihrer Schlüsse, ich bitte Sie darum als um einen Freundschaftsdienst. Wenn Sie mir sagen können, daß mein Leben durch nichts anderes als durch gewöhnliche Unfälle bedroht ist, so werde ich mich aus den bereits angegebenen Gründen darüber freuen. Wenn dem aber nicht so sein sollte, so würde es noch wichtiger für mich sein, die Wahrheit zu erfahren.«

»Unter diesen Umständen,« erwiderte Lydgate, »kann ich über das, was mir Ihnen gegenüber zu thun obliegt, nicht zweifelhaft sein; vor allen Dingen aber möchte ich Sie davon durchdringen, daß meine Schlüsse in zwiefacher Hinsicht unsicher sind – unsicher nicht nur meiner Fehlbarkeit wegen, sondern weil es besonders schwierig ist, auf Herzleiden Voraussagungen in Betreff der Lebensdauer eines Menschen zu gründen. Es giebt keinen Fall, in welchem uns die ungeheure Ungewißheit des Lebens stärker entgegenträte.«

Casaubon litt ersichtlich unter diesem Ausspruche, aber er verneigte sich.

»Ich glaube, daß Ihr Leiden das ist, was wir eine Fettentartung des Herzens nennen, eine Krankheit, welche von Laennec, dem Manne, der uns vor noch nicht allzu langer Zeit mit dem Stethoskop beschenkt hat, zuerst entdeckt und erforscht wurde. Es bedarf aber zu ihrer genaueren Erkenntniß noch längerer Beobachtung und Erfahrung. Ihrer Erklärung gegenüber ist es aber meine Pflicht, Ihnen zu sagen, daß diese Krankheit oft mit einem plötzlichen Tode endigt. Andererseits aber läßt sich ein solcher Ausgang nicht mit Bestimmtheit voraus sagen. Ihr Zustand schließt die Möglichkeit einer ganz erträglichen Existenz für die Dauer von fünfzehn Jahren oder noch länger keineswegs aus. Ich wüßte dem Gesagten nichts weiter hinzuzufügen als etwa anatomische oder medizinische Einzelnheiten, welche über Ihre Aussichten durchaus kein helleres Licht verbreiten würden.«

Lydgate hatte feinen Takt genug, um zu fühlen, daß eine offene, von beflissener Behutsamkeit ganz freie Sprache von Casaubon als ein ihm gezollter Tribut der Hochachtung würde empfunden werden.

»Ich danke Ihnen, Herr Lydgate,« sagte Casaubon nach einer kleinen Pause: »Ich möchte Sie nur noch eines fragen: Haben Sie das, was Sie mir eben gesagt haben, meiner Frau mitgetheilt?«

»Theilweise – ich meine in Betreff des möglichen Ausgangs.«

Lydgate wollte eben noch erklären, warum er das Dorotheen mitgetheilt habe; aber Casaubon machte eine nicht zu mißdeutende kleine abwehrende Handbewegung, wiederholte: »Ich danke Ihnen,« und ging zu einer Bemerkung über das außerordentlich schöne Wetter über.

Lydgate, der sah, daß sein Patient allein gelassen zu werden wünsche, verließ denselben bald, und die schwarze Gestalt mit den Händen auf dem Rücken und dem vorgebeugten Kopfe fuhr fort, in der Eibenbaumallee auf und ab zu gehen, wo die düsteren Bäume ihm eine melancholische Gesellschaft zu leisten schienen und wo die kleinen Schatten von Vögeln oder Blättern, die über die sonnigen Stellen hinflogen, schweigend, als fühlten sie die Nähe des Kummers, vorüber huschten.

Der Mann, der hier auf und ab ging, sah jetzt zum ersten Mal dem Tode in's Angesicht, durchlebte einen jener seltenen Augenblicke innerer Erfahrung, wo wir die Wahrheit eines Gemeinplatzes in uns erleben, was so verschieden von dem ist, was wir denselben kennen heißen, wie der Anblick wirklich fließenden Wassers verschieden ist von der fieberkranken Vision eines Wassers, nach welchem die brennende Zunge vergebens verlangt. Wenn sich der Gemeinplatz: »Wir müssen Alle sterben« plötzlich in das klare Bewußtsein des: »Ich muß sterben – und zwar bald,« verwandelt, dann fühlen wir uns wie von den grausamen Fingern des Todes angepackt! Nachher mag er dann kommen, uns in seine Arme zu schließen, wie es einst unsere Mutter that, und mag unser letzter Augenblick trüben irdischen Bewußtseins unserm ersten Augenblicke gleichen.

Casaubon war jetzt zu Muthe, als stehe er plötzlich am Rande des dunkeln Todtenflusses und vernehme das Plätschern des nahenden Ruders, ohne Gestalten unterscheiden zu können, aber in Erwartung der Aufforderung, den Kahn zu besteigen. In solchen Augenblicken entäußert sich der Geist nicht seiner lebenslänglich befolgten Richtung, sondern läßt sich von ihr in das erträumte Jenseits begleiten und blickt zurück – vielleicht mit der göttlichen Ruhe eines von reinem Wohlwollen erfüllten Gemüths, vielleicht mit der kleinlichen Angst eines an sich selbst zweifelnden Bewußtseins.

Für das Verständniß der Geistesrichtung Casaubon's werden uns seine Handlungen als Schlüssel dienen können. Er hielt sich, unter einigen geheimen gelehrten Vorbehalten, in seinen gegenwärtigen Anschauungen und seinen Hoffnungen für die Zukunft für einen gläubigen Christen. Dasjenige aber, nach dessen Befriedigung wir trachten, ist, mögen wir es auch eine entfernte Hoffnung nennen, doch in der That ein unmittelbarer Wunsch. Den künftigen Staat, für welchen die Menschen Städte gründen, hegen sie schon liebevoll in ihrer Einbildungskraft. Und Casaubon's unmittelbarer Wunsch war nicht auf die Gemeinschaft mit Gott und ein von irdischen Schlacken gereinigtes Licht gerichtet. Der arme Mann! Mit leidenschaftlichem Verlangen klammerte er sich wie ein tief herabhängender Nebel an Stellen, die im tiefsten irdischen Schatten lagen.

Dorothea war, als sie erfuhr, daß Lydgate fortgeritten sei, in dem natürlichen Gefühle, gleich zu ihrem Gatten zu gehen, in den Garten getreten. Aber sie zauderte in der Besorgniß, ihn durch Zudringlichkeit zu verletzen; denn ihr unablässig zurückgewiesener Feuereifer diente bei ihrem außerordentlichen Gedächtniß nur dazu, ihre ängstliche Befangenheit zu erhöhen, wie Energie, die sich zurückgestoßen sieht, sich leicht in eine nervöse Aengstlichkeit verwandelt, und sie ging langsamen Schrittes wiederholt um die dem Hause nächste Baumgruppe, bis sie Casaubon näher kommen sah.

Jetzt ging sie auf ihn zu und – hätte für einen gottgesandten Engel gelten können, der mit der Verheißung erschienen wäre, daß die kurzen noch übrigen Stunden mit jener treuen Liebe ausgefüllt werden sollten, welche durch das Verständniß eines Kummers nur um so inniger wird. Aber der Blick, mit welchem er den ihrigen erwiderte, war so kalt, daß ihre Befangenheit nur noch größer wurde; gleichwohl trat sie auf ihn zu und legte ihre Hand in seinen Arm.

Aber Casaubon fuhr fort, die Hände auf dem Rücken zu halten, und ließ es ruhig geschehen, daß sie ihren weichen Arm nur mit Anstrengung an seinen straff herabhängenden Arm schmiegen konnte.

Der Eindruck, den diese abwehrende Härte auf Dorothea hervorbrachte, war furchtbar. Das ist ein starkes Wort, aber nicht zu stark. Gerade durch solche, Kleinigkeiten genannte, Handlungen und Unterlassungen werden die Saaten der Freude für immer verwüstet, bis Mann und Weib mit verstörtem Antlitz auf die angerichtete Verwüstung blicken und sagen: ›Die Erde trägt keine lieblichen Früchte‹.

Vielleicht fragt Ihr, wie es doch möglich war, daß Casaubon als Mann sich so benehmen konnte. Erwäget, daß er eine unüberwindliche Scheu vor Allem hegte, was Mitleid hieß. Habt Ihr je beobachtet, wie auf einen solchen Menschen der Argwohn wirkt, daß Das, was sein Gemüth bekümmert, einem andern Menschen, der ihn schon durch sein Mitleid verletzt, zu einer Quelle gegenwärtiger oder künftiger Genugthuung werde. Ueberdies wußte Casaubon wenig von Dorothea's Gefühlen und hatte es sich nicht klar gemacht, daß ihre Empfindlichkeit bei einer Veranlassung wie der gegenwärtigen vielleicht eben so stark sein werde wie seine eigene Empfindlichkeit über Carp's Kritik.

Dorothea zog ihren Arm nicht zurück, vermochte aber, kein Wort hervorzubringen. Casaubon sagte nicht: »ich wünsche allein zu sein«, lenkte aber seine Schritte schweigend dem Hause zu, und als sie in die in dasselbe führende Glasthür traten, zog Dorothea ihren Arm zurück und blieb absichtlich auf der Fußmatte stehen, um ihren Gatten ganz frei zu lassen. Er trat in die Bibliothek und schloß sich ein, um mit seinem Kummer allein zu sein.

Dorothea ging in ihr Boudoir. Durch das offene Bogenfenster ergoß sich die heitere Pracht des Nachmittags von der Lindenallee, wo die Bäume lange Schatten warfen, ins Zimmer. Aber Dorothea hatte keinen Sinn für diesen Anblick. Sie warf sich auf einen Stuhl, ohne es zu beachten, daß sie sich dabei den blendenden Sonnenstrahlen aussetze; wenn sie sich dadurch unbehaglich fühlte, wie konnte sie wissen, ob nicht auch dieses Gefühl ein Ausfluß ihres innern Jammers sei?«

Sie war noch ganz unter dem Eindruck einer zornigen Entrüstung, wie sie sie gleich stark seit ihrer Verheirathung noch nicht empfunden hatte. Nicht durch Thränen, sondern durch Worte machte sie sich Luft:

»Was habe ich gethan, wer bin ich, daß er mich so behandeln. darf? Er versteht mich nicht, er kümmert sich nicht um das, was in mir vorgeht. Wozu nützt Alles, was ich thue? Er wünscht, er hätte mich nie geheirathet!«

Sie fing an, ihre eigenen Worte zu hören, und gebot sich selber Schweigen und überschaute, wie ein Wanderer, der seinen Weg verloren hat und erschöpft ist, mit einem Blicke alle die Bahnen, an denen ihre jungen Hoffnungen gewandelt waren und die sie nie wieder finden sollte. Und eben so sah sie in trauriger Klarheit ihre eigene und ihres Gatten Einsamkeit, wie sie ein Jeder seines Weges gingen, so daß sie nicht umhin konnte, ihn ängstlich zu beobachten. Wenn er sie an sich gezogen hätte, würde sie ihn nie beobachtet, sich nie gefragt haben: »Ist er es werth, daß ich für ihn lebe?« sondern würde ihn einfach wie einen Theil ihres eigenen Lebens betrachtet haben. Jetzt sagte sie sich bitter: »Es ist seine Schuld, nicht meine.«

Der Mißklang, der ihr ganzes Wesen zerriß, verschloß ihr Ohr für die Stimme des Mitleids. War es ihre Schuld, daß sie an ihn, daß sie an seine Würdigkeit geglaubt hatte? Und wer war er, denn eigentlich? Sie war vollkommen im Stande, ihn zu beurtheilen – sie, die zitternd an seinen Blicken hing und ihre Seele in ihr tiefstes Innere zurückdrängte, wo sie nur selten heimlich mit ihr verkehrte, auf daß sie klein genug sei, um ihm zu gefallen. Es giebt Frauen, die in solchen Krisen, wie sie Dorothea jetzt durchlebte, zu hassen anfangen.

Die Sonne war schon tief hinabgesunken, als Dorothea beschloß, nicht wieder hinunter zu gehen, sondern ihrem Gatten sagen zu lassen, daß sie nicht wohl sei und es vorziehe, allein auf ihrem Zimmer zu bleiben. Noch nie hatte sie sich mit Bewußtsein in dieser Weise von einer gereizten Stimmung beherrschen lassen; aber es schien ihr jetzt, daß sie ihren Gatten nicht würde wiedersehen können, ohne ihre Gefühle offen gegen ihn auszusprechen, und fand, daß sie einen Moment abwarten müsse, wo sie das ohne Unterbrechung würde thun können.

Vielleicht daß er sich über ihre Botschaft wundern und durch dieselbe verletzt fühlen werde. Mochte er sich immerhin wundern und verletzt fühlen. Ihr Zorn sagte ihr, wie es der Zorn nur zu gern thut, daß Gott mit ihr sei – daß alle Schaaren seliger Geister in allen Himmeln, wenn sie sie beobachteten, auf ihrer Seite sein müßten. Sie wollte eben die Glocke ziehen, als an ihre Thür geklopft wurde.

Casaubon ließ sagen, daß er in der Bibliothek zu Mittag essen wolle. Er wünsche den Abend ganz allein zu bleiben, da er sehr beschäftigt sei.

»Dann werde ich gar nicht zu Mittag essen, Tantripp.«

»O gnädige»Frau, lassen Sie mich Ihnen doch etwas bringen.«

»Nein, ich bin nicht wohl. Legen Sie mir Alles in meinem Ankleidezimmer für die Nacht zurecht, aber bitte, stören Sie mich nicht mehr«.«

Fast regungslos saß Dorothea in ihrem Kampfe da, während die Nacht allmählich hereinbrach. Aber in ihrem Kampfe wechselte sie fortwährend ihre Stellung, wie ein Mann, der bereits zum Schlagen ausgeholt hat, dann aber seines Verlangens, den Schlag zu führen, noch rechtzeitig Herr wird. Die Energie, die zu einem Verbrechen treiben kann, reicht auch hin, den wohlüberlegten Entschluß der Ergebung herbeizuführen, wenn eine edle Gewöhnung der Seele sich geltend zu machen weiß.

Der Gedanke, mit welchem Dorothea ihrem Gatten entgegen gegangen war, ihre Ueberzeugung, daß er sich über die mögliche Unterbrechung der Arbeit seines Lebens Gewißheit habe verschaffen wollen und daß die erhaltene Auskunft ihn tief bekümmert haben müsse, – dieser Gedanke mußte bald wieder neben seinem Bilde vor ihr aufsteigen wie ein schattenhafter Mahner, der mit traurig vorwurfsvollem Blick auf ihren Zorn herabschaute.

Es kostete sie heiße Gebete, in denen sie sich seinen Kummer in allen Gestalten ausmalte und stille Thränen vergoß, auf daß sie sich mit dem Erbarmen für diesen Kummer durchdringe; aber die Ergebung, die sie zu erringen strebte, kam. Und als es im Hause ruhig geworden war und die Zeit herankam, wo, wie Dorothea wußte, Casaubon gewöhnlich zu Bette ging, öffnete sie leise ihre Thür, trat hinaus und wollte draußen im Dunkeln warten, bis er mit einem Licht in der Hand die Treppe hinaufkommen würde. Wenn er nicht bald kommen sollte, wollte sie, selbst auf die Gefahr, noch einmal zurückgestoßen zu werden, hinuntergehen. Auch das sollte sie fortan nicht mehr schrecken.

Aber schon im nächsten Augenblick hörte sie, wie sich die Thür der Bibliothek öffnete, und langsam näherte sich das Licht, während die Fußtritte durch den Teppich geräuschlos wurden. Als Casaubon endlich dicht vor ihr stand, schien ihr sein Gesicht noch verstörter. Er fuhr leicht zusammen, als er ihrer ansichtig wurde, und sie schaute mit stehenden Blicken schweigend zu ihm auf.

»Dorothea,« sagte er in einem sanften Ton der Ueberraschung, »hast Du auf mich gewartet?«

»Ja, ich wollte Dich nicht gern stören.«

»Komm, liebes Kind, komm. Du bist noch jung und brauchst Dein Leben nicht durch Wachen zu verlängern.«

Als die sanfte ruhige Melancholie dieser Worte Dorothea's Ohr traf, empfand sie etwas von der Dankbarkeit, die sich in uns regen würde, wenn wir mit genauer Noth der Gefahr entgangen wären, einem lahmen Kinde wehe zu thun. Sie legte ihre Hand in die ihres Gatten, und sie gingen zusammen über den breiten Corridor hin.

Ende des zweiten Bandes.


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