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Vierzehntes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 36 (in dieser Übersetzung Band 2, Kapitel 14):

'Tis strange to see the humours of these men,
These great aspiring spirits, that should be wise:

For being the nature of great spirits to love
To be where they may be most eminent;
They, rating of themselves so farre above
Us in conceit, with whom they do frequent,
Imagine how we wonder and esteeme
All that they do or say; which makes them strive
To make our admiration more extreme,
Which they suppose they cannot, 'less they give
Notice of their extreme and highest thoughts.

Samuel Daniel (1605): Tragedy of Philotas.


Herr Vincy kehrte von der Verlesung des Testaments mit einer in Betreff vieler Dinge sehr veränderten Auffassung nach Hause zurück. Er war ein geradsinniger Mann, aber sehr geneigt, seiner jeweiligen Stimmung einen indirecten Ausdruck zu geben. Wenn er mit dem Ergebniß einer Speculation in seidenen Litzen unzufrieden war, schimpfte er auf den Stallknecht; wenn sein Schwager Bulstrode ihn geärgert hatte, machte er beißende Bemerkungen über die Methodisten, und jetzt gab er seinem plötzlich strenger gewordenen Urtheil über Fred's Trägheit dadurch Ausdruck, daß er eine gestickte Mütze kurzweg aus dem Rauchzimmer auf den Vorplatz hinauswarf.

»Nun lieber Freund,« bemerkte er, als Fred an jenem Abend zu Bett gehen wollte, »ich hoffe, Du hast Dich jetzt entschlossen, nächstes Semester wieder auf die Universität zu gehen und Dein Examen zu machen. Ich meinerseits habe meinen Entschluß gefaßt und rathe Dir, ohne Zeitverlust auch den Deinigen zu fassen.«

Fred gab keine Antwort; er war gar zu muthlos. Noch vor vierundzwanzig Stunden hatte er geglaubt, daß er um diese Zeit, statt sich darüber klar werden zu müssen, was er beginnen wolle, wissen werde, daß er gar nichts zu beginnen brauche, sondern nur nöthig haben werde, im rothen Jagdrock zu jagen, sich ein vorzügliches Jagdpferd zu halten und auf einem andern schönen Pferde bis zum Revier zu reiten, um sich der allgemeinsten Achtung zu erfreuen, daß er ferner sofort im Stande sein werde, Herrn Garth zu bezahlen, und daß Mary keinen Grund mehr haben werde, ihn nicht zu heirathen. Und das Alles hätte ihm ohne Arbeit oder sonstige Unbequemlichkeit, lediglich durch die Vorsehung in Gestalt der Gunst eines alten Mannes zufallen sollen.

Und nun nach Ablauf dieser vierundzwanzig Stunden hatten sich alle jene zuversichtlichen Hoffnungen als trügerisch erwiesen. Da war es nun doch sehr hart, daß Fred, während er unter dieser bitteren Enttäuschung seufzte, sich behandelt sehen mußte, als trage er selbst die Schuld an seinem Mißgeschick. Aber er ging schweigend zu Bett und überließ es seiner Mutter, sich für ihn zu verwenden.

»Sei nicht hart gegen den armen Jungen, Vincy. Er wird sich schon noch machen, obgleich der elende alte Mensch ihn betrogen hat. So gewiß, wie ich hier sitze, wird aus Fred noch etwas Tüchtiges, – warum wäre er uns sonst wohl wiedergeschenkt, als er schon am Rande des Grabes stand? Und ich nenne es einen Raub! Ihm das Land versprechen, hieß doch wohl soviel wie es ihm schenken, und wenn das nicht versprechen heißt, wenn man alle Leute glauben macht, man habe etwas versprochen, so weiß ich es nicht. Und Du siehst ja, er hatte ihm zehntausend Pfund hinterlassen und hat sie ihm dann wieder weggenommen.«

»Hat sie ihm dann wieder weggenommen!« wiederholte Herr Vincy verdrießlich. »Ich sage Dir, Lucy der Junge hat Unglück, und Du hast ihn immer verzogen.«

»Nun, Vincy, er war mein erstes Kind, und Du hast auch nicht wenig Aufhebens von ihm gemacht, als er zur Welt kam. Warst Du stolz auf den Jungen!« sagte Frau Vincy mit ihrem gewohnten heitern Lächeln, das sich rasch wieder bei ihr eingestellt hatte.

»Wer kann sagen, was aus Kindern noch einmal werden wird? Ich war närrisch genug, das gebe ich zu,« entgegnete Herr Vincy in gleichwohl milderem Tone.

»Wer hat denn aber hübschere und bessere Kinder als wir? Fred ist ja doch ein ganz anderer Mensch als anderer Leute Söhne, man kann es ja an seiner Sprache hören, daß er mit vornehmen Leuten auf der Universität gewesen ist. Und Rosamunde – wo giebt es noch ein solches Mädchen? Sie kann es mit jeder Dame im Lande aufnehmen. Du siehst, Herr Lydgate, der in der ersten Gesellschaft gelebt hat und überall gewesen ist, hat sich gleich in sie verliebt. Nicht daß ich es nicht lieber gesehen hätte, wenn Rosamunde sich nicht verlobt hätte. Sie hätte bei einem Besuch Jemanden treffen können, der eine viel bessere Partie gewesen wäre; ich meine bei ihrer Schulfreundin Fräulein Willoughby. In der Familie haben sie ebenso vornehme Verbindungen wie in Herrn Lydgate's Familie.«

»Hol' der Henker vornehme Verbindungen!« erwiderte Herr Vincy. »Davon habe ich genug. Ich kann keinen Schwiegersohn brauchen, der sich durch nichts empfiehlt als durch seine vornehmen Verbindungen.«

»Was?« sagte Frau Vincy. »Du schienst ja höchst zufrieden mit der Sache zu sein. Ich war freilich nicht zu Hause, aber Rosamunde erzählte mir, Du habest nichts gegen die Verlobung einzuwenden gehabt, und sie hat ja schon angefangen, das feinste Leinen und das feinste Kammertuch für ihr Unterzeug einzukaufen.«

»Nicht mit meiner Zustimmung,« entgegnete Herr Vincy, »ich werde dieses Jahr auch ohne Aussteuer ganz genug an dem haben, was mich unser fauler Thunichtgut von Sohn kostet. Es sind sehr schlechte Zeiten! Alle Menschen sind ruinirt und ich glaube nicht, daß Lydgate einen Schilling im Vermögen hat. Mit meiner Zustimmung werden sie sich noch nicht heirathen. Laß sie warten, wie es vor ihnen schon manche gethan haben.«

»Rosamunden wird das sehr unangenehm sein, Vincy, und Du weißt, Du hast es nie über Dich gewinnen können, ihr zuwider zu sein.«

»O doch. Je früher die Verlobung wieder aufgehoben wird, desto besser.. Bei der Art, wie er zu Werke geht, glaube ich nicht, daß er es je zu einer ordentlichen Einnahme bringen wird. Er erwirbt sich Feinde, das ist Alles, was ich über seinen Erwerb höre.«

»Aber er ist sehr gut angeschrieben bei Bulstrode, lieber Freund; dem würde, glaube ich, die Heirath gefallen.«

»Ich scheere mich den Henker darum, ob die Heirath Bulstrode gefällt oder nicht!« erwiderte Herr Vincy. »Er giebt ihnen nichts. Und wenn Lydgate sich einbildet, daß ich ihnen etwas geben werde, um ihren Haushalt zu bestreiten, so irrt er sich sehr, und damit Punktum. Ich werde wohl bald meine Pferde abschaffen müssen. Du thätest besser Rosy mitzutheilen, was ich Dir da sage.«

Es war ein bei Herrn Vincy nicht ungewöhnliches Verfahren, daß er ohne Ueberlegung vergnüglich seine Zustimmung zu etwas gab und dann, wenn er später inne wurde, daß er voreilig gehandelt habe, Andere dazu gebrauchte, sein gegebenes Wort wieder rückgängig zu machen. Frau Vincy, die nie absichtlich etwas gegen den Willen ihres Mannes that, theilte schon am nächsten Morgen Rosamunden mit, wie sich ihr Vater über ihre Verlobung ausgesprochen habe.

Rosamunde, welche eben mit der Besichtigung einiger Weißstickereien beschäftigt war, hörte ihrer Mutter schweigend zu und machte erst, als dieselbe mit ihrer Mittheilung fertig war, eine eigenthümliche Bewegung mit ihrem schönen Halse, welche, wie man freilich erst bei näherer Bekanntschaft mit ihr wissen konnte, entschiedenen Trotz bedeutete.

»Was meinst Du dazu, liebes Kind?« fragte ihre Mutter im Tone zärtlicher Ergebenheit.

»Papa meint das Alles gar nicht im Ernst,« sagte Rosamunde ganz ruhig. »Er hat immer gesagt, er wünsche, daß ich einen Mann heirathe, den ich liebe. Und ich werde Herrn Lydgate heirathen. Es sind jetzt sieben Wochen her, daß Papa seine Zustimmung gegeben hat – und ich hoffe, wir bekommen Frau Bretton's Haus.«

»Nun, liebes Kind, ich muß es Dir überlassen, mit Deinem Papa fertig zu werden. Du wirst ja immer mit allen Menschen fertig. Aber wenn wir dazu kommen Damast auszusuchen, so müssen wir zu Sadler gehen; der hat viel bessere Sachen als Hopkins. Frau Bretton's Haus ist aber sehr groß; ich möchte sehr gern, daß Du ein solches Haus bekämest, aber es gehört sehr viel dazu: Möbel und Teppiche und alles Mögliche, Geschirr und Glas noch gar nicht zu rechnen. Und Du hast gehört, daß Papa erklärt, er wolle nichts dazu geben. Glaubst Du, daß Herr Lydgate darauf rechnet?«

»Du denkst doch nicht, daß ich ihn danach fragen werde, Mama, er wird wohl wissen, was er thut.«

»Er hat aber vielleicht auf Geld gerechnet, liebes Kind, und wir haben ja Alle geglaubt, daß Du so gut wie Fred eine hübsche Summe erben würdest; – und nun ist alles so traurig; man kann jetzt, wo der arme Junge so enttäuscht ist, an nichts mit Vergnügen denken.«

»Das hat nichts mit meiner Heirath zu thun, Mama. Fred muß es aufgeben zu faullenzen. Ich will jetzt mit diesen Weißstickereien zu Fräulein Morgan hinaufgehen; sie macht sehr gute Hohlsäume. Vielleicht könnte Mary Garth auch jetzt etwas für mich arbeiten Sie näht vorzüglich; das ist Mary's beste Eigenschaft. Ich möchte so gern alle meine Kammertuchgarnirungen auf beiden Seiten gesäumt haben. Und das dauert sehr lange.«

Frau Vincy's Ueberzeugung, daß Rosamunde es sehr gut verstehe, mit ihrem Papa umzugehen, war wohl begründet. Abgesehen von seinen Diners und seinen Jagdparthien hatte Herr Vincy, trotz seiner rasch aufbrausenden Heftigkeit, so wenig eigenen Willen wie ein Premierminister. Die Gewalt der Umstände wurde leicht zu viel für ihn, wie sie es für die meisten gut conservirten und dem Vergnügen ergebenen Männer wird, und die »Rosamunde« genannten Umstände übten durch eine milde Beharrlichkeit, – vermöge welcher ja, wie wir wissen, eine weiße weiche organische Substanz sich ihren Weg durch felshartes Gestein bahnt –, eine besonders starke Gewalt auf Herrn Vincy aus. Papa Vincy war kein Felsen, nichts war beständig an ihm als die Unbeständigkeit seiner Entschlüsse und diese Beschaffenheit seines Charakters war am wenigsten geeignet, ihn das einzige entschiedene Verfahren in Betreff der Verlobung seiner Tochter einschlagen zu lassen, nämlich sich gründlich nach Lydgate's Verhältnissen zu erkundigen, sich außer Stande zu erklären, Geld herzugeben und eine rasche Heirath ebenso bestimmt zu untersagen wie eine zu lange Verlobung.

Ein solches Verfahren, sollte man denken, wäre leicht und einfach gewesen; aber auf den Bestand eines von Herrn Vincy in der Frühe eines kalten Morgens gefaßten unangenehmen Entschlusses war so wenig zu rechnen wie auf die Dauer eines Nachtfrostes, und wie dieser hielt ein solcher Entschluß selten gegen die erwärmenden Einflüsse des Tages vor. Die indirecte, wenn auch sehr emphatische Art, seine Meinung auszusprechen, wie sie Herr Vincy liebte, war im vorliegenden Falle nur in sehr beschränktem Maße anwendbar; Lydgate war ein stolzer Mann, welchem mit Anspielungen auf den Leib zu rücken nicht gerathen erschien; expressive Pantomimen, wie das zu Bodenwerfen des Hutes, waren hier vollends ganz außer Frage.

Eine Menge kleiner Dinge wirkten zusammen, Herrn Vincy von der Ausführung feines Entschlusses abzuhalten: ein bischen Scheu vor Herrn Lydgate, ein bischen Stolz darauf, daß dieser Rosamunde gewählt habe, ein bischen Abneigung gegen die Erörterung einer Geldfrage, bei welcher seine Stellung keine vortheilhafte sein würde, ein bischen Furcht, in der Discussion mit einem Manne von besserer Erziehung und größerer Bildung als er selbst den Kürzeren zu ziehen, und ein bischen Angst, etwas zu thun, was seiner Tochter unangenehm sein würde.

Die Rolle, welche Herr Vincy zu spielen verzog, war die des liebenswürdigen Wirths, den Niemand kritisirt. Während der ersten Hälfte des Tages machte das Geschäft jede förmliche Mittheilung eines unangenehmen Entschlusses unmöglich; die andere Hälfte des Tages wurde durch das Mittagessen, den Nachtisch bei der Flasche, eine Partie Whist und sonstige Annehmlichkeiten, welche Alle in eine heitere Stimmung versetzten, ausgefüllt. Inzwischen aber lieferte jede versäumte Stunde ihren kleinen Beitrag zu dem schließlich entscheidenden Grunde für ein unthätiges Verhalten, dem Grunde nämlich, daß es zum Handeln zu spät sei.

Der acceptirte Liebhaber brachte seine meisten Abende in Lowick-Gate zu, wo ein von schwiegerväterlichen Geldvorschüssen und voraussichtlichen Berufseinnahmen ganz unabhängiger, zärtlicher Verkehr unter Herrn Vincy's eigenen Augen seinen ungestörten Fortgang nahm.

Junges Liebesglück, dieses Sommerfädengewebe! kaum wahrnehmbar in seinen feinen Verschlingungen selbst an den Punkten, an die es sich anschmiegt! Flüchtige Berührungen der Fingerspitzen, Begegnungen strahlender Blicke aus blauen und aus dunklen Augen, unvollendete Sätze, leichter Wechsel der Farbe auf Wangen und Lippen, leises Zittern! Und der Stoff, aus welchem dieses Gewebe gemacht ist, ist der Glaube zweier Menschen an einander mit seinen unsagbaren Freuden, das Sehnen eines Lebens nach einem anderen, Visionen der Vollkommenheit, unendliches Vertrauen.

Und Lydgate war in unglaublich kurzer Zeit emsigst beschäftigt, die Fäden dieses Gewebes aus seinem eigenen Innern herauszuspinnen, trotz seiner, wie er meinte, durch sein Drama mit Laure abgeschlossenen Lebenserfahrungen und trotz seiner gründlichen physiologischen und anthropologischen Studien. Denn die berufsmäßige Betrachtung von bloßgelegten Muskeln und Augen oder anderen Gegenständen einer wissenschaftlichen Untersuchung ist, wie man oft beobachtet hat, weniger unverträglich mit einer poetischen Liebe, als eine angeborne Stumpfheit des Temperaments oder eine beflissene Hingabe an die Prosa des Lebens.

Rosamunde war wie eine Wasserlilie, die ob ihres eigenen wunderbaren Wachsthums staunt, und spann auch ihrerseits emsig an den feinen Fäden, die ihr Wesen immer enger mit dem Lydgate's verweben sollten. Das Alles ging in der Ecke des Salons, wo der Flügel stand, vor sich und erschien bei all seiner unfaßbaren Feinheit doch in der Beleuchtung des Lampenlichts wie eine Art von künstlichem Regenbogen, der noch für andere Augen als die Farebrother's sichtbar wurde. Auch ohne förmliche Anzeige wurde es in Middlemarch allgemein als ausgemacht betrachtet, daß Fräulein Vincy mit Herrn Lydgate verlobt sei.

Tante Bulstrode fühlte sich abermals ängstlich aufgeregt; aber dieses Mal wandte sie sich an ihren Bruder und ging direkt zu ihm auf's Comptoir, um nicht bei dieser Gelegenheit mit Frau Vincy's flüchtigem Wesen in Berührung zu kommen. Seine Antworten lauteten nicht befriedigend.

»Walther, Du willst mich doch nicht glauben machen, daß Du alles das hast geschehen lassen, ohne Dich nach Herrn Lydgate's Aussichten zu erkundigen?« sagte Frau Bulstrode, indem sie ihre noch weiter als gewöhnlich geöffneten Augen mit einem feierlichen Blick auf ihren Bruder richtete, der in seiner verdrießlichsten Comptoirlaune war. »Denke doch nur, in welchem, leider allzu weltlichem Luxus das Mädchen auferzogen ist, wie soll sie sich mit einem kleinen Einkommen begnügen?«

»Hol' es der Henker, Harriet! Was kann ich dafür, wenn Leute, ohne um meine Erlaubniß zu fragen, sich in der Stadt niederlassen? Hast Du Dein Haus vor Lydgate verschlossen? Bulstrode hat ihn mehr als irgend Jemand poussirt. Ich habe nie viel Aufhebens von dem jungen Menschen gemacht. Du solltest mit Deinem Manne darüber reden und nicht mit mir.«

»Nun, Walter, ich begreife Dich wirklich nicht; was kann Bulstrode für Tadel treffen? Ich bin überzeugt, daß er die Verlobung nicht gewünscht hat.«

»Wenn Bulstrode ihn nicht unter seinen Schutz genommen hätte, würde ich ihn nie eingeladen haben.«

»Aber Du hast ihn in's Haus gerufen, um Fred zu behandeln und das war gewiß ein wahres Glück,« erwiderte Frau Bulstrode, die ihren Faden in den labyrinthischen Verschlingungen des Gegenstandes verlor.

»Ich weiß von keinem Glück,« entgegnete Herr Vincy mürrisch, »ich weiß nur, daß mir meine Familie mehr zu schaffen macht, als mir lieb ist. Ich habe gewiß immer als guter Bruder gegen Dich gehandelt, Harriet, ehe Du Bulstrode heirathetest, aber ich muß sagen, er zeigt nicht immer die freundliche Gesinnung gegen Deine Familie, die man von ihm erwarten durfte.«

Herr Vincy hatte sehr wenig von einem Jesuiten an sich, aber der vollendetste Jesuit hätte nicht geschickter einer Unterhaltung eine andere Wendung geben können.

Harriet sah sich genöthigt, ihren Gatten zu vertheidigen, anstatt ihren Bruder zu tadeln, und die Unterhaltung endete an einem Punkte, der so weit von dem Ausgangspunkte entfernt war, wie ein kürzlich stattgehabter Wortwechsel der Schwäger bei einer Kirchenvorsteherversammlung.

Frau Bulstrode unterließ es, ihrem Gatten die Klagen ihres Bruders zu wiederholen; am Abend aber sprach sie mit ihm von Lydgate und Rosamunden; er nahm jedoch keinen so warmen Antheil an dem Falles wie sie und sprach nur mit Resignation über die von dem Beginn einer medizinischen Praxis unzertrennlichen Gefahren, und wie äußerst wünschenswerth in einem solchen Falle Vorsicht sei.

»Wir haben gewiß die Pflicht, für das gedankenlose Mädchen – so wie sie erzogen ist, – zu beten,« sagte Frau Bulstrode in dem Wunsch, ihren Mann lebhafter für die Sache zu interessiren.

»Gewiß, liebes Kind,« erwiderte Herr Bulstrode zustimmend, »die nicht von dieser Welt sind, können wenig anderes thun, um den Irrthümern der eigensinnigen Weltkinder abzuhelfen. Diese Wahrheit anzuerkennen müssen wir uns auch in Betreff der Familie Deines Bruders gewöhnen. Ich würde es lieber gesehen haben, wenn Herr Lydgate eine solche Verbindung nicht eingegangen wäre; aber meine Beziehungen zu ihm beschränken sich auf jenen Gebrauch seiner Gaben für die Zwecke Gottes, welchen uns die göttliche Vorsehung in beiden Offenbarungen lehrt.«

Frau Bulstrode sagte nichts weiter und schrieb ein Gefühl der Unbefriedigtheit, dessen sie sich nicht erwehren konnte, einem Mangel an echt kirchlichem Geiste zu. Sie hielt ihren Mann für einen von den Leuten, die es verdienen, daß ihre Memoiren nach ihrem Tode geschrieben werden.

Lydgate selbst hatte sich, nachdem sein Antrag angenommen war, darauf gefaßt gemacht, sich in alle Folgen seines Schrittes, die er vollkommen klar zu übersehen glaubte, zu finden. Natürlich mußte er sich jetzt in einem Jahre, vielleicht in einem halben Jahre verheirathen. Das war freilich nicht seine ursprüngliche Absicht gewesen; aber die Ausführung anderer Pläne würde ja dadurch nicht gehindert werden. Diese Pläne würden sich einfach mit den neuen Verhältnissen in Einklang zu bringen haben.

Natürlich mußten die gewöhnlichen Vorbereitungen für die Heirath getroffen werden. Anstatt der Zimmer, die er jetzt inne hatte, mußte ein Haus gemiethet werden und Lydgate, der Rosamunde von dem in Lowick-Gate belegenen Hause der alten Frau Bretton mit Entzücken hatte sprechen hören, nahm Notiz davon, als das Haus nach dem Tode der alten Dame frei wurde, und trat sofort in Unterhandlungen über dasselbe. Er that das in einer beiläufigen Weise, gerade wie er bei seinem Schneider Alles zu einer vollkommenen Toilette Erforderliche beorderte, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß er damit etwas Extravagantes thue. Im Gegentheil, er würde jede verschwenderische Ostentation verachtet haben; sein Beruf hatte ihn mit allen Graden der Armuth vertraut gemacht und er hatte ein warmes Herz für die mit Entbehrungen Kämpfenden.

Er würde sich vollkommen gut an einem Tische benommen haben, wo die Sauce in einem Gefäß mit abgebrochenem Henkel servirt worden wäre, und er würde von einem großen Diner keine andere Erinnerung nach Hause gebracht haben als etwa die, daß er sich mit Jemandem gut unterhalten habe. Aber es war ihm nie eingefallen, daß er je anders, als was er »in der gewöhnlichen Weise« nannte, würde leben können – mit grünen Rheinweingläsern und vortrefflicher Aufwartung bei Tische.

Er hatte sich an französischen socialen Theorien erwärmt, ohne sich dabei im Mindesten zu versengen. Wir dürfen uns ungestraft mit den extremsten socialen Ansichten befassen, so lange uns nur unsere Möbel, unsere Diners und unsere Vorliebe für Wappenschilder unauflöslich mit der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung verknüpfen. Und Lydgate hatte keine Neigung zu extremen Ansichten: er würde kein Freund barfüßiger Doctrinen gewesen sein, da er sehr eigen auf seine Stiefel war: er war nur radikal in Bezug auf medizinische Reformen und die Verfolgung von Entdeckungen. In Betreff des übrigen praktischen Lebens ließ er sich durch angeerbte Gewohnheiten leiten, halb aus jenem persönlichen Stolz und unreflectirten Egoismus, den ich bereits als »niedrige Gesinnung« bezeichnet habe, und halb aus jener Naivetät, welche von der Preoccupation mit Lieblingsideen unzertrennlich zu sein pflegt.

Alle inneren Kämpfe, welche Lydgate in Betreff der Folgen dieser, er wußte selbst nicht wie, eingegangenen Verlobung zu bestehen hatte, drehten sich mehr um die Knappheit der Zeit als um die des Geldes. Unzweifelhaft that das Verliebtsein und das fortwährende Erwartetwerden von einem Mädchen, das ihm jedes Mal noch hübscher erschien als das Bild, welches er von ihr in sich trug, der gewissenhaften Anwendung freier Stunden Eintrag, welche von einem »fleißig ochsenden Deutschen« vielleicht dazu benutzt werden würde, die große, noch ausstehende Entdeckung zu machen.

Das war in der That ein Grund mehr, die Heirath nicht zu lange zu verschieben, wie Lydgate es eines Tages Farebrother zu verstehen gab, als der Pfarrer mit einigen Wasserthierchen, die er gern unter einem besseren Mikroskop, als es sein eigenes war, untersuchen wollte, zu ihm auf's Zimmer kam. Als Farebrother Lydgate's Tisch voll von unordentlich durcheinanderliegenden Apparaten und Präparaten sah, bemerkte er sarkastisch:

»Eros ist entartet; ursprünglich hat er Harmonie und Ordnung in die Welt gebracht und jetzt bringt er wieder das Chaos.«

»Ja, in einigen Stadien seiner Laufbahn,« erwiderte Lydgate lächelnd und mit in die Höhe gezogenen Augbrauen, während er sich anschickte, sein Mikroskop zurechtzustellen. »Nachher aber bringt er nur eine um so bessere Ordnung.«

»Bald?« fragte der Pfarrer.

»Ich hoffe es sehr. Dieser Uebergangszustand nimmt Einem alle Zeit, wo Einem sonst, wenn man wissenschaftliche Ideen hat, jeder freie Augenblick Gelegenheit zur Verfolgung derselben bietet. Ich bin fest überzeugt, daß eine Heirath das Beste für einen Mann ist, der ungestört arbeiten will. Er hat dann alles, was er nur wünschen kann, bei sich zu Hause – braucht sich keinen quälenden Grübeleien zu überlassen – er findet Ruhe und Freiheit.«

»Was Sie für ein beneidenswerther Mensch sind,« sagte der Pfarrer, »solche Aussichten zu haben – Rosamunde und Ruhe und Freiheit, Alles auf einmal. Und ich habe nichts als meine Pfeife und Wasserthierchen. Sind Sie fertig?«

Eines andern Grundes, den Lydgate hatte, die Zeit seines Brautstandes abzukürzen, that er gegen den Pfarrer keine Erwähnung. Es war ihm selbst in seinem jetzigen Zustande, wo der Wein der Liebe in seinen Adern rollte, lästig, soviel mit der Gesellschaft im Vincy'schen Hause verkehren und so viel Antheil an Middlemarcher Klatsch, langen Diners, Whistpartien und andern werthlosen Dingen nehmen zu müssen. Er mußte mit ehrerbietiger Miene zuhören, wenn Herr Vincy mit der Zuversicht der Unwissenheit diätetische Fragen, namentlich in Betreff der Getränke, welche die beste innere Einpökelung gegen die Einwirkungen schlechter Luft gewährten, entschied. Frau Vincy hatte in ihrem einfachen offenen Wesen keine Ahnung davon, daß sie bisweilen dem feinen Geschmacke ihres künftigen Schwiegersohns Anstoß gab, und Lydgate konnte sich nicht verhehlen, daß er in seinem Verhältniß zu Rosamunden's Familie gesellschaftlich eine kleine Stufe herabgestiegen sei. Aber dieses auserlesene Wesen litt ja selbst unter dem Drucke dieser Verhältnisse! – und so bot ihm dieser Zustand der Dinge doch wenigstens die entzückende Genugthuung, sich sagen zu dürfen, daß er Rosamunden, indem er sie heirathe, zu einer ihr so nöthigen Verpflanzung in eine andere Sphäre behülflich sein werde.

»Lieber Engel!« sagte er eines Abends zu ihr in seinem sanftesten Tone, indem er sich zu ihr setzte und sie scharf fixirte –

Ich muß aber vorausschicken, daß er sie allein im Salon gefunden hatte, wo das große altmodische, fast die ganze Seite des Zimmers einnehmende Fenster offen stand und den, aus dem Garten an der Rückseite des Hauses, aufsteigenden sommerlichen Düften freien Zutritt gestattete. Ihre Eltern waren in Gesellschaft gegangen und die übrigen Mitglieder der Familie waren alle ausgeflogen.

»Lieber Engel, Deine Augenlider sind ja geröthet.«

»So?« fragte Rosamunde, »ich weiß nicht, woher das kommt.«

Es lag nicht in ihrer Art, ihre Wünsche oder Bekümmernisse auszuströmen. Sie ließ sie sich nur mit anmuthiger Zurückhaltung abringen.

»Als ob Du vor mir etwas verbergen könntest!« sagte Lydgate, indem er seine Hand zärtlich auf ihre beiden Hände legte. »Sehe ich da nicht ein Tröpfchen auf einer Deiner Wimpern? Dich quält etwas und Du sagst es mir nicht. Ist das wohl recht von einer Geliebten?«

»Warum sollte ich Dir sagen, was Du doch nicht ändern kannst? Was mich quält, sind ganz gewöhnliche Dinge: – vielleicht sind sie seit Kurzem ein bischen schlimmer geworden.«

»Familienwiderwärtigkeiten? Scheue Dich nicht, davon zu reden. Ich kann mir die Sache lebhaft vorstellen.«

»Papa ist neuerdings ungewöhnlich reizbar. Er ist böse auf Fred, und diesen Morgen hat es wieder einen Zank gegeben, weil Fred damit droht, seine ganze gelehrte Erziehung über Bord zu werfen und etwas zu unternehmen, was ganz unter seiner Würde ist. Und außerdem –«

Rosamunde zauderte und erröthete leicht. Lydgate hatte sie seit jenem Morgen ihrer Verlobung nie wieder bekümmert gesehen, und er hatte sie noch nie so leidenschaftlich geliebt wie in diesem Augenblick. Er küßte die zaudernden Lippen sanft, als wolle er sie ermuthigen.

»Ich merke daß Papa mit unserer Verlobung nicht ganz zufrieden ist,« fuhr Rosamunde fast flüsternd fort, »und er sagte gestern Abend, daß er ganz gewiß mit Dir reden und Dir sagen wolle, daß unsere Verlobung zurückgehen müsse.«

»Willst Du sie zurückgehen lassen?« fragte Lydgate rasch in einem energischen, fast zornigen Tone.

»Ich gebe nie etwas, was ich aus freier Wahl zu thun beschlossen habe, wieder auf,« erwiderte Rosamunde, die bei Berührung dieser Saite ihre Ruhe wiederfand.

»Gott segne Dich dafür,« sagte Lydgate, indem er sie abermals küßte. Diese Beständigkeit in der Verfolgung eines Zweckes im rechten Augenblick erschien ihm anbetungswürdig. Er fuhr fort: »Es ist jetzt zu spät, als daß Dein Vater unsere Verlobung noch zurückgehen lassen könnte. Du bist mündig, und ich fordere Dich als die meinige. Wenn irgend etwas geschehen ist, Dich unglücklich zu machen, so kann das nur ein Grund sein, unsere Hochzeit zu beschleunigen.«

Ein nicht zu mißdeutendes Entzücken strahlte ihm aus ihren blauen Augen entgegen, und dieser Glanz schien ihm seine ganze Zukunft mit mildem Sonnenschein zu erhellen. Ein idealisches Glück, – von der Art, wie es uns in den Mährchen von Tausend und eine Nacht geboten wird, wo wir eingeladen werden, aus der Mühsal und dem Gewirre der Gasse in ein Paradies zu treten, in welchem uns Alles gegeben und nichts von uns verlangt wird –, stand ihnen nach einer kürzeren oder längeren Zeit des Harrens in sicherer Aussicht.

»Warum sollen wir es aufschieben?« drang er eifrigst in sie. »Ich habe das Haus gemiethet und alles andere kann ja rasch genug beschafft werden, nicht wahr? Es wird Dir doch nichts daran liegen, Deine neuen Kleider fertig zu haben, die können wir ja nachher kaufen.«

»Was Ihr gescheidten Männer für wunderliche Ideen habt!« sagte Rosamunde, indem sie über diese ergötzliche Ungehörigkeit so herzlich lachte, daß ihre Grübchen mehr als gewöhnlich zum Vorschein kamen. »In meinem Leben habe ich noch nicht gehört, daß man Hochzeitskleider nach der Hochzeit kauft!«

»Du wirst aber doch nicht im Ernst verlangen wollen, daß ich einiger Kleider wegen noch Monate lang warte?« fragte Lydgate, der halb glaubte, daß Rosamunde ihn zum Spaß martere und halb fürchtete, daß sie wirklich vor einer zu raschen Heirath zurückschrecke. »Vergiß nicht, daß wir einer noch glücklicheren Zeit entgegengehen, als die wir jetzt verleben, – einer Zeit, wo wir beständig zusammen sein und unabhängig von Anderen unser Leben einrichten werden, wie es uns gutdünkt. Komm Geliebte, sage mir, wie bald Du ganz die Meine werden kannst.«

Lydgate sagte das in einem ernst bittenden Tone, als ob er fühle, daß sie ihn durch irgend einen auf nichtige Gründe gestützten Aufschub kränken würde. Auch Rosamunde wurde ernst und ein wenig nachdenklich. In der That ließ sie sich die verwickeltsten Fragen des Spitzenbesatzes, der Aufsäume an Unterröcken und der Anschaffung von Strumpfwaaren durch den Kopf gehen, um Lydgate's Frage wenigstens annähernd genau beantworten zu können.

»Sechs Wochen sind reichlich, sag' das, Rosamunde,« fuhr Lydgate dringend fort, indem er ihre Hände los ließ und seinen Arm sanft um sie schlang.

Sofort stutzte sie mit der einen ihrer kleinen Hände ihr Haar zurecht, während sie durch eine Wendung des Halses ihrer nachdenklichen Stimmung Ausdruck gab, und sagte dann ernst:

»Es müßten noch das Leinenzeug weggelegt und die Möbel aufgestellt werden; aber das könnte Mama besorgen, während wir fort sind.«

»Jawohl, gewiß, wir müssen doch auch etwa eine Woche verreisen.«

»O länger,« sagte Rosamunde eifrig.

Sie dachte an ihre Abendtoilleten für den Besuch bei Sir Godwin Lydgate, auf den sie seit lange im Geheimen, als auf eine reizende Verwendung wenigstens eines Viertels ihrer Flitterwochen gehofft hatte, selbst wenn sie ihre Einführung bei Lydgate's Onkel, einem Doctor der Theologie, – einer gleichfalls aus dem verwandtschaftlichen Gesichtspunkt angenehmen, wenn auch bescheidenen gesellschaftlichen Stellung –, sollte verschieben müssen. Dabei sah sie ihren Geliebten mit einem etwas erstaunt vorwurfsvollen Blick an, und er begriff sofort, daß sie wohl die liebliche Zeit einer Einsamkeit zu Zweien zu verlängern wünsche.

»Wie Du willst, lieber Engel, sobald nur einmal der Tag unserer Hochzeit festgesetzt ist. Aber laß uns darüber entscheiden und allen Unbehaglichkeiten, unter denen Du etwa zu leiden hast, ein Ende machen. Ich bin überzeugt, daß sechs Wochen vollkommen ausreichen werden.«

»Ich könnte gewiß die Arbeiten für die Aussteuer beschleunigen,« erwiderte Rosamunde. »Willst Du es denn Papa mittheilen? Ich glaube es wäre besser, wenn Du ihm schriebest.«

Sie erröthete und sah ihn an, wie uns die Blumen in einem Garten ansehen, wenn wir in der bezaubernden Abendbeleuchtung glückselig an ihnen vorüberschreiten. Wohnt nicht in jenen zarten Blumenblättern, die den dunkelfarbigen Kern athmend umgeben, eine jeder genaueren Bezeichnung spottende Seele, die halb einer Nymphe und halb einem Kinde anzugehören scheint?

Er berührte ihr Ohr und ein Stückchen des Halses mit seinen Lippen und so saßen sie bei einander eine lange Zeit, die ihnen verfloß wie ein plätscherndes Bächlein, das die Sonnenstrahlen küssen. Rosamunde glaubte, kein Mädchen könne verliebter sein als sie, und Lydgate glaubte, daß er nach all' seinen wilden Verirrungen und seiner albernen Leichtgläubigkeit endlich vollendete Weiblichkeit gefunden habe. Ihm war zu Muth, als fühle er sich schon von der zartesten ehelichen Liebe angehaucht, wie sie nur ein vollendetes Wesen gewähren könne, das, voll Ehrfurcht vor seinen hohen Ideen und seinen ernsten Arbeiten, ihn niemals bei denselben stören werde, das wie mit einem stillen Zauber im Hause walten, Ordnung um ihn her verbreiten und doch stets bereit sein werde, mit ihren Fingern die Laute zu rühren und das Leben in einen Roman zu verwandeln, das endlich innerhalb der dem weiblichen Geiste gezogenen Schranken und nicht um eines Haares Breite darüber hinaus unterrichtet, zugleich aber gelehrig und fähig sein würde, auch Geheiße, welche jene Grenze überschritten, zur Ausführung zu bringen. Es war ihm jetzt klarer als je, daß seine Idee, Junggeselle zu bleiben, ein Irrthum gewesen sei; die Ehe würde kein Hinderniß, sondern eine Förderung für seine Weiterentwickelung werden.

Als er am nächsten Tage zufällig einen Patienten nach Brassing begleitete, sah er hier ein Eßservice, welches ihn so sehr als gerade das Rechte frappirte, daß er es auf der Stelle kaufte. Es sparte ja offenbar Zeit, solche Dinge, wenn man eben an sie denke, zu thun, und Lydgate haßte häßliches ordinäres Geschirr. Das fragliche Eßservice war allerdings theuer, aber das mochte wohl bei Eßservicen nicht anders sein können. Die Einrichtung kostete natürlich viel Geld, aber sie brauchte ja auch nur einmal angeschafft zu werden.

»Es muß reizend sein,« sagte Frau Vincy, als Lydgate das Eßservice andeutend beschrieb. »Das ist grade so ein Service, wie es für Rosy paßt. Gott gebe nur, daß es nicht zerbrochen wird.«

»Man muß eben Dienstboten miethen, die nichts zerbrechen,« sagte Lydgate. Diesem Raisonnement lag denn freilich eine sehr mangelhafte Voraussicht der Zukunft zu Grunde. Aber zu jener Zeit gab es keine Art von Raisonnement, die nicht durch Männer der Wissenschaft sanctionirt gewesen wäre.

Natürlich war es nicht nöthig, mit irgend einer Mittheilung zurückhaltend gegen Mama zu sein, die nicht leicht für eine andere als heitere Auffassung der Dinge zugänglich war und die im Vollgefühle ihres eigenen Glücks bei dem Gedanken an die Heirath ihrer Tochter kaum etwas anderes als Stolz empfand. Aber Rosamunde hatte gute Gründe, es Lydgate als räthlich zu bezeichnen, Papa's Genehmigung schriftlich zu erbitten.

Sie begleitete ihren Vater am nächsten Morgen nach seinem Comptoir und nahm diese Gelegenheit wahr, ihn auf den Brief vorzubereiten, indem sie ihm unterwegs mittheilte, daß Lydgate bald zu heirathen wünsche.

»Unsinn, liebes Kind!« entgegnete Herr Vincy, »Worauf will er denn heirathen? Du thätest viel besser, die Verlobung zurückgehen zu lassen. Ich habe Dir das ja schon früher ziemlich deutlich gesagt. Wozu habe ich Dir eine solche Erziehung geben lassen, wenn Du jetzt einen armen Mann heirathen willst? So etwas ist sehr bitter für einen Vater.«

»Herr Lydgate ist nicht arm, Papa. Er hat Herrn Peacock's Praxis gekauft, die auf acht- bis neunhundert Pfund jährlich geschätzt wird.«

»Dummes Zeug! Was heißt das, eine Praxis kaufen? Ebenso gut könnte Einer die nächstjährigen Schwalben kaufen. Die ganze Praxis wird er sich bald genug aus der Nase gehen lassen.«

»Im Gegentheil, Papa; er wird die Praxis noch vergrößern. Sieh doch nur, wie er zu Chettam's und Casaubon's gerufen worden ist.«

»Ich hoffe er weiß, daß er von mir nichts zu erwarten hat – bei dieser Enttäuschung mit Fred und der bevorstehenden Auflösung des Parlaments und den Zerstörungen der Maschinen, wie sie jetzt überall vorkommen, und den bevorstehenden Neuwahlen –«

»Lieber Papa, was hat das Alles mit meiner Heirath zu thun?«

»Seht viel, liebes Kind! Bei dem Zustand, in welchem sich jetzt das Land befindet, können wir Alle ruinirt werden. Einige sagen, die Welt werde untergehen, und hol' mich der Henker, es sieht wahrhaftig danach aus. Wie dem aber auch sei, jedenfalls ist die Zeit nicht danach angethan, jetzt Geld aus meinem Geschäfte zu ziehen, und ich möchte, daß Lydgate das wüßte.«

»Ich bin überzeugt, daß er nichts von Dir erwartet, Papa, und er hat ja so vornehme Verwandte. Auf eine oder die andere Weise wird er ganz gewiß seinen Weg machen. Er beschäftigt sich mit wissenschaftlichen Entdeckungen.«

Herr Vincy schwieg.

»Ich kann auf mein einziges Glück nicht verzichten, Papa. Herr Lydgate ist ein Gentleman, und ich könnte nie jemand lieben, der nicht ein vollkommner Gentleman wäre. Du möchtest doch gewiß nicht, daß ich die Auszehrung bekäme, wie Arabella Hawley, und Du weißt, daß ich meinen Sinn nie ändere.«

Papa schwieg noch immer.

»Versprich mir, Papa, daß Du Dich unsern Wünschen nicht widersetzen willst. Wir werden nie von einander lassen, und Du weißt, daß Du immer ein Feind von langen Verlobungen und späten Verheirathungen gewesen bist.«

Es bedurfte noch einiger Argumente von ähnlicher Eindringlichkeit, bis Herr Vincy endlich sagte:

»Nun gut, mein Kind, aber er muß mir doch erst schreiben, ehe ich ihm antworten kann,« – und Rosamunde nun sicher war, ihr Spiel gewonnen zu haben.

In seiner Antwort auf Lydgate's Schreiben beschränkte sich Herr Vincy wesentlich auf das Verlangen, daß Lydgate sein Leben versichern solle – ein Verlangen, welches dieser sich sofort zu erfüllen bereit erklärte. Das war eine köstliche Beruhigung für den Fall, daß Lydgate sterben sollte; aber gleichwohl keine Garantie für sein Auskommen, so lange er lebte.

Indessen schienen alle unangenehmen Gedanken in Betreff der Heirath nun wieder verflogen zu sein und die nothwendigen Einkäufe wurden in bester Laune, jedoch nicht ohne vorsichtige Erwägungen, fortgesetzt. Eine junge Frau, die während ihrer Flitterwochen einen Besuch bei einem Baronet machen soll, muß natürlich einige allerfeinste Schnupftücher haben, aber abgesehen von diesem ganz unerläßlichen halben Dutzend Schnupftücher, verzichtete Rosamunde für ihre übrige Aussteuer auf die feinste Stickerei und auf Valenciennes Gemeint sind die in dieser frz. Stadt seit dem 18. Ih. gefertigten Klöppelspitzen, die international berühmt waren. – Anm.d.Hrsg..

Auch Lydgate, welcher fand, daß seine achthundert Pfund, seit er nach Middlemarch gekommen, bedeutend zusammengeschmolzen waren, bezwang seine Lust, einiges Silbergeschirr von antiker Form anzuschaffen, das ihm in einem Laden in Brassing, wo er Messer und Gabeln kaufen wollte, gezeigt wurde. Er war zu stolz, um so zu verfahren, als wenn er annähme, daß Herr Vincy ihm Geld für die Einrichtung vorschießen würde, und da es nicht nothwendig war, Alles gleich baar zu bezahlen, vielmehr einige Rechnungen bis auf später zurückgelegt werden konnten, verlor er keine Zeit damit, Vermuthungen darüber anzustellen, wie viel sein Schwiegervater ihm in Gestalt einer Mitgift geben würde, um ihm die Bezahlung der Einrichtung zu erleichtern. Er wollte nichts Extravagantes thun; aber die nothwendigen Dinge mußten doch angeschafft werden, und es würde ja eine schlechte Oekonomie gewesen sein, diese Dinge in einer schlechten Qualität zu kaufen.

Alles das waren Nebensachen. Lydgate war überzeugt, daß die Wissenschaft und sein Beruf die einzigen Gegenstände seien, die er künftig mit Enthusiasmus verfolgen werde; aber es erschien ihm unmöglich, seinen höchsten Zwecken in einem Hause wie dem Wrench's obzuliegen, wo alle Thüren immer offen standen, das Wachstuch abgenutzt war, die Kinder in schmutzigen Ueberzügen umherliefen und die Reste des Frühstücks in Gestalt von abgegessenen Knochen auf schlechtem Geschirr mit Messern mit schwarzen Griffen noch lange nach der genossenen Mahlzeit auf dem Tische standen.

Aber Wrench hatte eine unglückliche lymphatische Frau, die in ihrem großen Shawl, in welchem sie im Hause umherschlich, wie eine Mumie aussah, und er hatte ersichtlich seine Haushaltung mit einer schlechten Einrichtung empfangen.

Inzwischen erging sich Rosamunde ihrerseits viel in gewissen Conjecturen, wiewohl ihre glückliche Anempfindungsgabe sie von einer rückhaltlosen Aeußerung dessen, was sie beschäftigte, abhielt.

»Ich freue mich so sehr, Deine Familie kennen zu lernen,« sagte sie eines Tages, als die Hochzeitsreise besprochen wurde. »Vielleicht ließe es sich einrichten, daß wir auf der Rückreise bei ihnen vorsprächen. Welchen Deiner Onkel hast Du am liebsten?«

»O ich glaube, meinen Onkel Godwin. Er ist ein gutmüthiger alter Kerl.«

»Du warst als Knabe immer in seinem Hause in Quallingham, nicht wahr? Ich möchte gar zu gern die Stätte und alles, woran sich für Dich Jugenderinnerungen knüpfen, sehen. Weiß er, daß Du im Begriff stehst, Dich zu verheirathen?«

»Nein,« warf Lydgate nachlässig hin, indem er sich in seinem Stuhle umwandte und sich die Haare aus dem Gesicht strich.

»So schreib' es ihm doch, Du unartiger respectloser Neffe. Er ladet Dich dann vielleicht ein, mit mir nach Quallingham zu kommen, und Du könntest mich da im Garten herumführen, und ich könnte mich in Deine Knabenzeit versetzen. Bedenke doch, daß Du mich in unserem, seit meiner Jugend fast ganz unveränderten Hause siehst und daß es nicht billig wäre, wenn ich von den Räumen, in welchen Du Deine Knabenjahre zugebracht hast, gar nichts zu sehen bekäme. Aber vielleicht würdest Du Dich meiner ein wenig schämen, daran habe ich nicht gedacht.«

Lydgate lächelte ihr zärtlich zu und ließ es sich wirklich gesagt sein, daß das stolze Vergnügen, den Leuten eine so reizende junge Frau zu zeigen, wohl einige Mühe und Unbequemlichkeit werth sei. Und jetzt, wo er der Sache näher nachdachte, schien es ihm auch, daß er die alten Plätze in Rosamunden's Gesellschaft gern wiedersehen würde.

»Nun, so will ich ihm schreiben. Aber meine Vettern sind langweilige Bursche.«

Es erschien Rosamunden als etwas Herrliches, so geringschätzig von der Familie eines Baronets sprechen zu können, und die Aussicht, sich in den Stand gesetzt zu sehen, diese Vettern aus eigener Bekanntschaft geringschätzig zu beurtheilen, gewährte ihr große Befriedigung.

Aber Mama hätte fast Alles wieder verdorben, als sie ein paar Tage später sagte: »Ich hoffe, Ihr Onkel Sir Godwin wird nicht vornehm auf Rosy herabsehen. Ich sollte denken, er müßte etwas für Euch thun. Ein Paar tausend Pfund können ja einem Baronet nichts ausmachen.«

»Mama!« rief Rosamunde hoch erröthend, und Lydgate empfand ein so tiefes Mitleid mit ihr, daß er schwieg und an's andere Ende des Zimmers ging, um sich eine Lithographie genauer anzusehen, als ob er gar nichts gehört hätte. Mama mußte sich nachher eine kleine töchterliche Vorlesung gefallen lassen und war gelehrig wie immer.

Aber Rosamunde mußte sich sagen, daß, wenn Einer jener langweiligen vornehmen Vettern sich veranlaßt finden sollte, Middlemarch zu besuchen, er in ihrer eigenen Familie vieles zu sehen bekommen würde, was ihn choquiren müßte. Daher schien es ihr wünschenswerth, daß Lydgate sich allmälig anderswo als in Middlemarch eine ausgezeichnete Stellung verschaffe, und das konnte doch unmöglich schwer für einen Mann sein, der einen adeligen Onkel hatte und wissenschaftliche Entdeckungen zu machen verstand.

Man sieht, Lydgate hatte mit Rosamunden feurig von seinen Hoffnungen auf die Verwendung seines Lebens für die Verfolgung der höchsten Zwecke gesprochen und hatte es entzückend gefunden, von einem Wesen angehört zu werden, welches ihm durch seine ihn ganz erfüllende Neigung Schönheit und Ruhe bringen und ihn fördern würde, wie der sommerliche Himmel und die blumenbesäeten Wiesen belebend auf unsere Ideen wirken.

Lydgate setzte großes Vertrauen in den wohlthätigen Einfluß dessen, was ich der Abwechslung wegen einmal die psychologische Verschiedenheit von Männchen und Weibchen nennen will, namentlich in die angeborne Unterwürfigkeit des Weibchens in seinem schönen Verhältniß zu der Stärke des Männchens.



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