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Die weiße Zeit


Wassersturz bei Vico Soprano

Ich liege in Nacht.
Über Felsen ein Fall
Dem Berg entrollt,
Prasselt mich schlaffrei.

Die andern vom Erdschoß,
Die faulen Brunnen
Des verborgenen Dunkels –
Langweilige Wasser!

Er aber stürmte zu Tag,
Wirbelt dahin im Lärm des Lichts,
Nachts mich heilig andonnernd
Mit Abgrundweisheit.

Über mich auch rase hinweg
Reißenden Falls,
Wenn mein Wort lahmt,
Rauchendes Wasser.

 

Der Vorläufer

Wen ich, mich beugend, ehre, hasse ich.
Denn grüße ich das Nicht-ich, sterbe ich.
Knirschend zu sehen eine Welt, die
Nie zu mir wird,
Nie
An mir zerbirst.
O, nur im Traum
[Seh] ich sie tot.
Und ewig wachsend saust ob mir das Schwert
Des Grußes, Tod, das Nicht-ich, bis ich es.
Sieger auf Leichen thronen? Ich nicht!
Weg – Wurf fall ich,
Meine Tage, ach, zermalmt sind
Hufen eines Siegers, dessen Nahn
Röchelnd zu ahnen Atem in mich stieß.

 

Auf der hartherzigen Erde

Dem Rauch einer Lokomotive jubel ich zu,
Mich freut der weiße Schneetanz der Gestirne,
Hell aufglänzend der Huf eines Pferdes,
Mich freut baumhinanblitzend ein Eichhorn
Oder heilig schimmernd ein See,
Forellen im Bach,
Schwatzen der Spatzen auf dürrem Gezweig.
Aber nicht blüht mir
Freund noch Feind auf der Erde,
Ferne Wege frier ich durch das Feld hin.
Ich zertrat das Gebot:
»Ring, o Mensch, dich zu freuen
Und Freude zu geben den andern!«
Düster umwandel ich mich,
Vermeidend die Mädchen und Männer,
Seit mein weiches, Blut tränendes Herz
Im Staube zerstießen, die ich verehrte.
Nie neigte sich
Meinem einsam jammernden Sinn
Die Liebe der Frauen,
Denen ihr Atmen ich dankte.
Ich, der Fröstelnde, lebe dies weiter.
Lange noch.
Ferne Wege schluchz ich durch die Wüste.

 

Rückkehr

Ich unentwegter Hoffer
Sank zum Dienstmann,
Trug deinen Koffer,
Aber ein anderer knipst dich.
Was nützt es, wenn nun auch ich,
Die Faust geballt,
Eine andere nehme?
Ich flüchte mich doch
Bei ihr in dich.
Und dieses Allzubequeme,
Schäme dich, schäme!
Tatest du mir.

 

Verschmachten

Reifer Vater, noch keine Rettung mir,
Der in der Wüste lagert?
Nichts als den breiten Sand,
Der mich umweht?!
Fernab den gazellenäugigen,
Mondwangigen Brauntöchtern der Oasen
Krümm ich mich im Durst.
Nur in den Ohren rauscht mir
Das Geschwätz eines Baches,
Der Mädchen Silberrede,
Die nicht verstummt.
Ihr schlanken Palmen voll Süße,
Jungen Stuten der Zelte,
Soll ich euch niemals fühlen
Heißer als der Sand, am Abend,
Wenn die Kamele verschwunden sind,
Und nur der Himmel spricht
Mit Sternen zu mir?

 

Erkenntnis

Ich habe Wein gegessen,
Trunken fauchte mein Aug;
Ich habe Sterne gemessen
Und meine Seele war die Zahl.

Entschwang ich mich,
Heller und dunkler mich mengend
In fernes Geseel toter Völker,
Tobt ich melancholisch dahin
In engverschnürten Versen
Oder freihingießend die Worte,
Nicht war in Wein und Stern und Wort
Die Lust zu groß.
Fleisch ist süßer als Wein.
Und weiser ist, wer gar nichts weiß,
Und nur,
Wie süß der Frauen Mund
Dem Gliede schmeckt.

 

Die weiße Zeit

Ich sehnte mich nach Weibern ärschig, brüstig,
Nach einem weichen Bauche Lager bildend,
Den daunenzarten Küsten
Eines schlanken Mädchens,
Umwarb, durchsuchte körperliche Tiefen
Und fand das Nichts, zu Fleisch gestaltet.
Empfangen, abgeschlagen von ehernen
Oder butterweichen, ewig gleichen Gliedern,
Gebrechlich knochigen wie auch ganz dicken
Kühen, von Wogeeuter rings umhängt,
Sog ich, sog mich die Lust.
Aber die weiße Zeit brach ins Haar mir,
Herz und Hirn verfärbend,
Und in mein dumm zerlebtes Leben fuhr
Der Strahl: »Real ist alles,
Nur die Welt ist's nicht!«

 

Aber Hagel wird unter dem Himmel

Ihr Tanz gebar mir Mitleid.
Träumend: »Ach, sie ist hilfloses Gesträuch,
Wegspült sie ein Wellchen,
Bis sie ein Strohhalm ergreift«,
Aß ich Freundschaft mit der Schlange.
Übertäubend das schaurige Rot
Des hinübersterbenden Blutes
Nannt ich das Weib: das Angenehm-Weiche.
Es war
Gift, Nacht, Rabengewölk!
Nicht kann ich mehr die Anker lichten,
Aus frohem Wasser hoch zur Sonne heben.
Nicht mehr fleh ich betend
Die Hände empor zu den heiligen Türmen,
Lautauf drohe ich schon
Dem blauhinhallenden Himmel.
Den Mond möcht ich schlucken
Und ausspeien ins All.
Heimtückisch ein jeder gebohrt in die Wölbung,
Den Aussatz des Himmels, die Sterne,
Acht ich längst nicht mehr.

 

Morgengebet

Nun sind schon alle Huren müd.
Noch wach im leeren Freudenhaus
Wischt sich mit dem verschlafnen Glied
Die Ärmste ihre Augen aus.
O Vater, der du über Wolken stehst,
Dein Menschvolk sonst hoch übergehst,
Der uns in lumpige Lust verstieß,
Beschütze uns vor Syphilis.

 

Abdankung

Was geschieht,
Stürmt immer einher,
Es fließt in den leichten
Flammen des Wassers
Der kühl strahlende Mond,
Und es dröhnt die Sonne
In des Feuers Erscheinung.
Eh mich die Erde gebar,
Habe ich Böses getan.
So hat mir des Gottes Macht
Nicht die Wege bereitet,
Anfielen mich Einsamen
Die Dorne der Erde.
Kein Streicheln war –
Verdorrte mein Haar!
Nichts mehr ersehn ich.
Nur gönnt mir den freundlichen Atem
Kurze Zeit.
Ich bin zufrieden, wenn ich bin.

 

Heimkehr

Wo sind deine alten Wellen, o Fluß,
Und wo sind euere runden Blätter,
Ihr Akazienbäume der Jugend,
Und wo der frische Schnee
Der entwanderten Winter?
Heim kehr ich und finde nicht heim.
Es haben die Häuser sich anders gekleidet,
Schamlos versammelt sind sie
Zu unkenntlichen Straßen,
Es haben die Zopf tragenden
Mädchen meiner scheuesten Liebe
Kinder bekommen.

 

Leid

Wie bin ich vorgespannt
Dem Kohlenwagen meiner Trauer!
Widrig wie eine Spinne
Bekriecht mich die Zeit.
Fällt mein Haar,
Ergraut mein Haupt zum Feld,
Darüber der letzte
Schnitter sichelt.
Schlaf umdunkelt mein Gebein.
Im Traum schon starb ich,
Gras schoß aus meinem Schädel,
Aus schwarzer Erde war mein Kopf.

 

Abend

Ins Dunkel neigt sich gern mein Weg.
Schon irrt meine Seele
Abprallend von den eckigen
Marmorsteinen des Friedhofs
Wundgestoßen, klagend
Zwischen den Gräbern einher,
Den toten künftigen Nachbarn,
Entweicht verblassend vor dem Moder der Erde
Ins Fliedergehölz der dämmernden Nacht.
Urnen bequemt sich mein Sinn.
Leicht entgleitet zwischen den Fingern
Mir meine Asche,
Streusand der Winde.
Oder werden Bruderschaft trinken
Aus mir die Algen, Bruderschaft fressen
Die Fische des goldenen Meeres?
Genehm wäre mir dies,
Denn gleichgültig ward mir der Erdball,
Er entgleitet mir zwischen den Fingern.

 

Internationale

Völker sind nur Benzin
In den Automobilen,
Mittel sie, niemals Zweck
Dem Entwicklungswillen.

Brüllend um des Lebens Weg
Würgen sich die Kräfte,
Lenkt, Rote, eure Waffen in
Aller Bürger Säfte.
Wer da nicht Kraft, Fahrer ist,
Ist schon überfahren.
Wer da nicht selbst Herrscher ist,
Stirbt, Kot in den Haaren.

Auswahl ist – Massenblut,
Menschenhirn schluckt der Teufel Feuer;
Ewig heult des Todes Glut,
Ländchen hin, Ländchen her,
Ihr tötet nicht um Katzenschmeer:
Der Menschheit Kampf ist euer!

Völker sind nur Benzin
In den Automobilen,
Mittel sie, niemals Zweck
Dem Entwicklungswillen.

 

Erlösung

Der Weiber Fjord, den süßen,
Hab ich lang entbehren müssen.
An Nehmerinnen des Goldes,
Den Gütig-Käuflichen nehm ich Schaden,
Seele will nur bei Seele zu Gast sich laden.
Mich ekelt der grobe Zeitvertreib
Mit einem Krummholz-Bauernweib.
Lieber will ich an dir, der sehnsuchtsschlanken
Traumheiligen von Byzanz
Hilflos erkranken.

Am Ufer zagst du wellenlüstern
In der Furchen Furcht.
Wenn dein Lichtgesicht
Der Stromwind anfährt,
Bist du die Flucht vor der Frucht,
Vor dem Wasserberg,
Der deiner Knöchel heiliges Land
Nagend beragt.

Lügen sitzen auf mir.
In deinem Körper möcht ich baden.
O, du blaues Glockenblümchen,
Schwälbchen, Hühnchen, Goldfasänchen,
Sei du meine Überzeit!

Horsten will ich in deinem jungen
Schenkelforst.
Inbrunst, deine frischen Beine
Zu überschatten!
Und ihr Laub ist liebes Liebeslager.

Tröpfe müssen Mädchen schwängern.
Trost spendet der schwellende Leib:
Eine kleine Unsterblichkeit.
Tod-krank ist der Mensch,
Rasch überspült die Sturzflut,
Die Zeit
Seine Gestade.
Geht aber ein Mann ein
In den wilden Waldwinkel,
Überstirbt sein Schatten in Kindern
Den Abendgang,
Den Tod seiner Sonne.

 

Ewigkeit

Morgen hauchend, hingenebelt
Liegt die Landschaft
Still und ruhig.
Standhält die Erde ungemessene Zeiten,
Unzerrüttbar scheint ihre Form.
Es überdauert den Menschen die Masse,
Ziel enttäuscht seine Hoffnung.
Emsig zwar rundet seinen Gesang der Dichter,
Ihre Wabe die Biene,
Aber, o Zeit!
Es enttropft der Honig
Und faulend
Zerkrümmt sich die fleißige Form des Wachses.

 

Ruhm

Sie besudeln das Firmament,
Sie werden statt ihrer Journale
Die Sterne bedrucken.
Mich widert der faulige Atem
Williger Besprecheriche.
Bitterer Arbeit Abendstirn
Spült doch ruckweise der Tod hinab!
Wir sind ja nur ein armes Gurgelwasser
Im Röcheln der Hure Zeit.

 

Ich bin des Lebens und des Todes müde

Und ob die großen Autohummeln sausen,
Aëroplane im Äther hausen,
Es fehlt dem Menschen die stete,
Welt erschütternde Kraft.
Er ist Schleim, gespuckt auf eine Schiene.

Und löst sich selbst die Klammer um die fernste
Ferne,
Erdklammer, die uns noch nicht läßt,
Weist dereinst am Eck
Ein heiliger Weltenschutzmann
Zum nächsten Nebelstern kürzeste Wege –
Sterblich vor allen ist die Erinnerung,
Die staubabwischende Göttin;
Schöne Laubfrösche wuchsen
Der Dämmernden auf
Und starben dann.
Die brausenden Ströme ertrinken machtlos im
Meer.
Nicht fühlten die Siouxindianer
In ihren Kriegstänzen Goethe,
Und nicht fühlte die Leiden Christi
Der erbarmungslos ewige Sirius!

Nie durchzuckt vom Gefühl,
Unfühlend einander und starr
Steigen und sinken
Sonnen, Atome: die Körper im Raum.

 

Unrast

Ich laufe wild, geschlechtstoll durch die Straßen,
Der Sommer beschenkt mich,
Der Winter bedrängt mich,
Nichts kann ich fassen.
Ich schreie hin,
Schreie her,
Gehe Wege,
Geh sie zurück,
Keiner bringt mir
Mich zurück.
Schon trägt ein Kahn
Durch schweren Nebel
Die Seele mir,
Die abwärts schwirrt.

 

Aufflug

Was, ach, sollen mir noch Spaziergang,
Sommer und Winter,
Essen zu jeglicher Zeit,
Und Trinken der einerlei Weine,
Liegen bei Mädchen zur Nacht,
Und Wissen um Worte, und Freunde?
Was auch sind mir Kopf ahnende Rümpfe
Der Leser, oder höhnisches Schlingern
Arschköpfigen, walzenfüßigen Schleimes,
Oder Ermunterung mir und
Lob der Meistergenossen?!
Mögen euch andern die Weisen der Lust
Durch die Ewigkeit tönen –
Nichts tränkt meine Seele!

So, wenn einst mich von grellen Fiebern wild
Umschrillten
Der eisige Zahn des Todes
Wegreißt vom Ufer des rastlos vorüber
Fließenden Flusses,
Seligen Auges will ich enteilen,
Endlich zu treffen dich,
Unerhörte,
Nicht gesehene,
Ungeborene,
Nie erschaffene!

 

Schrei

Ich, der Knabe, träumte mich Engel, Ritter.
Da warf mich ein Blitz.
Mein Leben wurde schütter.
Ich fragte:
Wo sind meines Daseins Güter?
O Welt, wie bist du bitter!
Ich klagte:
Zeit ist Gott,
Ort der Tod.
Kennen möcht ich das Tier,
Das die Zeit frißt!

 

Worte des Dämons

Wenn ich mich erhebe
Aus dem Gekröse der Nacht,
Um mich her meine Seele
Starrend von Ichbesessenheit wacht.

Ihr Schwachen lobet den Tag,
Da der hellere Schein lichte Ambrosia scheint.
Ich hasse das Feuer der Sonne,
Die Atem spendende Wut.
Den lebenblökenden Schafen
Bin ich ein feindlicher Stern.

Ich Wisser der Erden,
Entweichend dem wirbelnden Rade des Lebens,
Rate mir gern:
Stirb, ohne zu werden!

 

Der ewige Schlaf

Ich war der silberschenklige Schenke
Und schenkte den Welt entrückenden Wein.
Bin ich entwirbelt schon
Dem Freudentanz der Zeiten,
Hat schon die Lust
Sich drehend umgeschwungen in Trauer?
Rollend liegt das Wunder »Jahr«
Vor meinen Sandalen,
Ich aber muß verhetzt und wund,
Bloßfüßig über Stoppelfelder.
Im Fließen des Wassers sah ich den Durst,
Im Leuchten der Sonne Mond und die Sterne.
Genuß verlor mir allen Leib,
Des Ruhmes Purpur gilbt –
Aus Horen werden Keren.
Der Erinnerung Wälder, so todesstille,
Kamen und Unkenrufe.
Was wollt ihr Weiber, arm und nackt,
Schmerz, Liebesfurchen um die jungen Augen?

Nicht acht ich eure leichte Landschaft,
Das windgewiegte Schlummergras.
Ich hör euer Haar ergrauen!
Ich? Wer bin ich? Ich bin ein Zeitblock,
Der bröckelt ab und fällt zurück ins Meer.
Ich bin der Winselwind, der Pfützen trübt,
Ich bin der Blitz, der zuckend verzuckt,
Ich bin der Schnee, der kommt und vergeht,
Ich bin die Ruderspur,
Die sich im Teich verliert.
Ich bin der Samen im Schoß einer Hur!
So laß auch du die blutige Gebärde:
Du bist der gute Tod,
Ich bin ein Häuflein Erde.
O komme bald und menge mich
Erde in die Erde.

 

Wanderers Lied

Meine Freunde sind schwank wie Rohr,
Auf ihren Lippen sitzt ihr Herz,
Keuschheit kennen sie nicht;
Tanzen möchte ich auf ihren Häuptern.

Mädchen, das ich liebe,
Seele der Seelen du,
Auserwählte, lichtgeschaffene,
Nie sahst du mich an,
Dein Schoß war nicht bereit,
Zu Asche brannte mein Herz.

Ich kenne die Zähne der Hunde,
In der Wind-ins-Gesicht-Gasse wohne ich,
Ein Sieb-Dach ist über meinem Haupte,
Schimmel freut sich an den Wänden,
Gute Ritzen sind für den Regen da.

»Töte dich!« spricht mein Messer zu mir.
Im Kote liege ich;
Hoch über mir, in Karossen befahren
Meine Feinde den Mondregenbogen.

 


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