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III.

Am Nachmittag des St. Olfgar-Tages lustwandeln die Weiber von Smaragdis in Scharen, von Bude zu Bude, von Schenke zu Schenke, lärmend, schreiend, herausfordernd, und ziehen dann auf allen Wegen dahin vom Abend bis tief in die Nacht hinein.

Auch die jungen Burschen streifen Arm in Arm bandenweise umher. Sie reiben sich an den Weibern, wo sie mit ihnen zusammentreffen, aber letztere zeigen sich noch angriffslustiger.

Zu Anfang des Treffens handelt es sich nur um leichte Scharmützel, um ein einfaches Geplänkel lüsterner Redensarten, um Ausfall und Abwehr.

Von beiden Seiten neckt man sich; man ereifert sich, man wird wärmer. Es fallen tausend Sticheleien hüben und drüben. Man fordert sich mit Worten und selbst mit Bewegungen heraus.

Heimliche Umarmungen, verstohlene Püffe, flüchtige Berührungen, tausend Schliche und Kniffe: man lockt mit Schmeicheleien, man ködert mit Bitten, man stellt sich schwerhörig, man antwortet ausweichend.

Die beiden Lager, die beiden Geschlechter, sie gleichen Feinden, welche auf dem Posten sind, welche vom Platz aus plänkeln, welche ihre Stellungen wahren. Man betrachtet sich, man ruft sich an, man feilscht, man streicht die Ware heraus, man sucht die Preise zu drücken. Vor Abend dürfen die Liebeskämpfer nicht aneinander. In den Kneipen tanzen und drehen sich die Männer untereinander; die Weiber desgleichen. Wilde, tolle, unzüchtige Sprünge; plumpe, wüste, lüsterne Springer ...

Wenn während des Tages eine Bande von Weibern auf eine Schar Burschen stößt, giebt es ein Kreuzfeuer, eine Kanonade von obscönen, ungeheuerlichen Redensarten. Körper streckt sich nach Körper aus, hier raubt man, da läßt man ein Küßchen sich rauben, man pufft sich, man kneift sich, alles Kleinigkeiten zur Einleitung vor dem eigentlichen Ausbruch des Kampfes. Blusen und Mieder, Hosen und Röcke reiben und scheuern sich beim Aneinanderstreifen.

Wenn die Nacht herabsinkt und die Sonne untergegangen ist, dann tönt es wie eine rasende Fanfare über die ganze Insel hin, dann beginnt die Zeit des ernsthafteren Handgemenges.

Die Liebenden vereinigen sich mit ihren Freundinnen, und sobald sich die Paare gebildet haben, die sich entweder nur für die eine Nacht oder für immer zusammengefunden, gelten sie den herumjagenden Horden für heilig, die jauchzend und heulend durch die sie begünstigende Finsternis weiterstürmen.

Bei jedem Zusammentreffen fallen auf beiden Seiten einige ab; diese Abtrünnigen schließen sich zu Paaren zusammen. Die Weiber, ebenso kühn wie die Männer, sie versorgen sich ...

Die Züge lichten sich allmählich infolge dieser wiederholten Ausscheidungen.

Das dauert, bis alle, oder doch beinahe alle, sich ihre Tänzer und Liebhaber für den übrigen Teil des Festes erobert haben. Die letzten sind natürlich die tollsten. Oft besteht die Schelmerei der Burschen darin, sich suchen zu lassen, ja ordentliche Hetz- und Treibjagden von den rasenden Weibern auf sich anstellen zu lassen. Sie thun, als ob sie das Spiel aufgäben, verstecken sich und scheinen sich dem galanten Frohndienst entziehen zu wollen.

Aufgeregt durch das Trinken, das Tanzen, das Umhersuchen und die lüsternen Berührungen irren die Weiber mit heiserer Stimme und schäumendem Munde wie läufische Wölfinnen von Winkel zu Winkel umher, oder sie lauern geduckt im Gebüsch mit verhaltenem Atem, bereit, sich auf die Beute zu stürzen.

Spottlieder antworten auf das brünstige Geschrei, das sie bisweilen ausstoßen. Ihr Wild verhöhnt sie; es hat seine Freude daran, sie auf Abwege zu locken, sie auf falsche Fährte zu führen, diese beutegierigen Jägerinnen.

Wehe dem Einsamen, dem Verirrten, dem Nachzügler, den sie zu packen kriegen: der muß für die anderen büßen.

Wehe auch dem Uneingeweihten, dem Fremden, der in ihre Hände fällt; er wird aufgefordert, seine Wahl zu treffen oder zu folgen, um derjenigen zu dienen, der das Los ihn zuteilt. Die Bänkelsänger wissen davon manche Schauergeschichte zu berichten, und der heilige Olfgar blieb nicht das einzige Opfer, das der Liebeswut der üppigen Dirnen von Smaragdis anheimfiel.

Heinrich von Kehlmark kannte diese wilden Gebräuche sehr wohl. So lüstern er auch sonst nach außergewöhnlicher Kurzweil war, an diesem Kirmeßnachmittage hatte er doch immer vermieden auszugehen. Es war dies die einzige öffentliche Lustbarkeit, das einzige ortsgebräuchliche Fest, an dem er nicht teilnahm. Man hatte ihm bisher dieses Fernbleiben in Rücksicht auf das Maßlose und Ungeheuerliche dieser Saturnalien weiter nicht übel genommen. Eine so hoch stehende Persönlichkeit konnte sich anständiger Weise mit diesen liebestollen Weibern nicht einlassen. Hielten sich doch auch die sittsamen Mädchen an diesem Tage zu Hause eingeschlossen, ebenso wie auch die jungen Gatten und Bräutigams sich diesen wüsten Orgien fernhielten.

*

Der Besuch Klaudias hatte Kehlmark in einen Zustand von Niedergeschlagenheit versetzt, wie er ihn in diesen letzten Tagen nicht mehr gekannt hatte. Der Haß dieses Mannweibes war ihm peinlich und betrübend zugleich. Er machte sich sogar Vorwürfe, daß er ihr nicht die Wahrheit gestanden. Aber hätte das nicht soviel gehießen, wie Guido verraten, ihn preisgeben, vielleicht zu Grunde richten? Nein, was er einer Heiligen, wie es Blandine war, gestehen konnte, durfte er nicht einem grobgearteten Geschöpf wie Klaudia eröffnen. Richtiger gesagt bereute er auch eigentlich mehr die Liebeskomödie, die er ihr so lange vorgespielt hatte.

Guido, trübe gestimmt durch die üble Laune seines Freundes, der ihm den Antrag Klaudias verschweigen zu müssen glaubte, hatte die Absicht geäußert, auszugehen und sich den Kirmeßtrubel anzusehen; er hoffte, daß die frische Luft ihm gut thun würde.

Heinrich bemühte sich, ihn zurückzuhalten, ihm die Sache auszureden.

Aber es war, als ob den jungen Govaertz etwas gebieterisch nach unten, nach dem Dorfe zöge. Geheimnisvolle Kräfte, dunkelwaltende, unheilwirkende Mächte schienen ihn zu beherrschen.

»Nein, lasse mich!« sagte er endlich zu Kehlmark. »Zu zweien würden wir nur dieses Frösteln und Fieberschauern bei uns gegenseitig verstärken, das, wie man wohl annehmen muß, bei der jährlichen Wiederkehr dieses Tages in der Luft liegt. Wir würden uns schließlich noch streiten, oder uns doch weniger gut verstehen, als sonst. Noch niemals habe ich mich so reizbar, so kribbelig, so seltsam empfindlich gefühlt. Man könnte an ein moralisches Nesselfieber denken. Diese Miasmen bestialischer Tollheit dringen bis in unser stilles Retiro. Es dünkt mich besser, ihnen in frischer, freier Luft entgegenzutreten. Auch wird dies, da wir morgen abreisen, mein letzter Spaziergang auf Smaragdis sein, mein Lebewohl an die heimatliche Insel, wo ich soviel gelitten, doch dann auch so unendlich glücklich wurde, indem ich dich lieben lernte, mich wiederfand in dir! ...«

Vergebens gab sich Kehlmark alle Mühe, ihn von diesem Ausflug abzubringen; Guido schien wie besessen und beherrscht von einer geheimnisvollen Macht, die ihn gebieterisch nach draußen rief.

*

Ohne an etwas Böses zu denken, hatte der junge Govaertz sich auf dem Kirmeßplatz in müßigem Geplauder mit seinen ehemaligen Kameraden verspätet; der Gedanke, daß er sie morgen für immer verlassen sollte, lieh ihnen neue Anziehungskraft. Er schoß mit ihnen mit Bogen, Armbrust und Büchse, er spielte mit ihnen Kugel- und Scheibenwerfen, er lief mit den Jungen aus Klaarwatsch nackt bis zum Gürtel um die Wette; er erfreute sich an den freundschaftlichen, fast herzlichen Umarmungen, an dem engen Aneinanderschmiegen der lebenswarmen Körper beim Ringen, er wurde einigemal ›geworfen‹, er warf dann auch andere, indem er sich freute an seiner Kraft, seiner schmiegsamen und geschmeidigen Grazie und in diesem Moment ganz die tieferen Genüsse geistiger Arbeit und künstlerischer Bethätigung vergaß.

Guido dachte gar nicht an das, worauf es an diesem Tage besonders ankam, nämlich daß er mittlerweile großjährig geworden und nach den Bräuchen der Insel gehalten war, unter den Töchtern des Landes eine Wahl zu treffen. Dies auf Smaragdis herrschende Gesetz war ihm ganz aus dem Sinn gekommen. Seine Träume schweiften schon weit, weit darüber hinaus.


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