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Scheinbar erlitt das Leben auf Escal-Vigor, sowie die Beziehungen zwischen Kehlmark, Blandine, dem jungen Govaertz und Landrillon keinerlei Veränderung.
Der Diener, der von der Auseinandersetzung, die Blandine mit dem Grafen gehabt hatte, nichts wußte, glaubte sie ganz für seine Pläne gewonnen und zögerte nicht, ihr an einem trüben Tage die Beziehungen zwischen dem Deichgrafen und seinem Schützling ausführlich darzulegen. Sie sah sich gezwungen, seine abscheulichen Späße anzuhören, und mußte die Heuchelei so weit treiben, mit dem Elenden in ein Horn zu stoßen. Außerdem drängte Landrillon sie, sich ihm hinzugeben. Als Blandine ihn zurückwies, sagte er ungeduldig:
»Komm, sei nett zu mir, und ich verpflichte mich, sein Idyll mit dem jungen Govaertz in keiner Weise zu stören; sonst stehe ich für nichts!«
Blandine bemühte sich krampfhaft, ihn bei guter Laune zu erhalten, um Zeit zu gewinnen. Sie ging sogar so weit, ihm die Ehe zu versprechen, unter der Bedingung, daß er seinen Mund halte.
»Ich nehme den Wechsel«, stimmte er bei, »doch mußt du ihn nach Sicht honorieren.«
»Bah!« wendete Blandine ein, »nichts drängt uns; bleiben wir noch einige Zeit hier, um unsern Besitz abzurunden.«
Dieses Weib, die verkörperte Ehrenhaftigkeit, spielte also die geriebene Spitzbübin vor den Augen des Halunken, der sie jetzt erst recht bewunderte, da er nie zuvor auf ähnliche Heuchelei und Verstellungskunst gestoßen war. Diese Doppelzüngigkeit entzückte ihn, erschreckte ihn aber doch auch ein wenig. War die Schelmin nicht am Ende ihm an Gerissenheit überlegen? Zum Unglück für Blandine geriet er von Tag zu Tage mehr in sinnliche Glut für sie. Er hätte gar zu gerne ein wenig vor der Mahlzeit genascht! sagte er. Blandine verteidigte sich nur schwach; wohl wäre sie gern noch der Vollendung des Opfers ausgewichen, doch lange konnte sie sich ihm nicht mehr entziehen.
Landrillon verdoppelte seine Zudringlichkeiten.
In Wahrheit hatte Blandine Heinrich von Kehlmark nie zuvor so geliebt wie jetzt. Man stelle sich nun ihr Martyrium vor: auf der einen Seite ausgesetzt den Zudringlichkeiten eines Menschen, den sie verabscheute, gezwungen, seiner Rachsucht gegen den Deichgrafen zu schmeicheln; auf der andern Seite verpflichtet, dem vertraulichen Verkehr, der engen Gemeinschaft Kehlmarks mit dem jungen Govaertz beständig beizuwohnen.
Welch grausames Doppelfeuer! An gewissen Tagen gewannen Natur und Instinkt ihre Rechte wieder. Oft war sie nahe daran, den Diener bei seinem Herrn anzuzeigen, doch sagte sie sich dann wieder, daß Landrillon, wenn man ihn fortgejagt hätte, sich an Kehlmark gerächt haben würde, indem er enthüllte, was er die Schändlichkeiten des Deichgrafen nannte. Zu anderen Malen war Blandine, die sich mit ihrer Kraft am Ende fühlte, da sie sich vor die schreckliche Alternative gestellt sah, entweder sich Landrillon hingeben zu müssen, oder Kehlmark zu verlieren, fest entschlossen, zu fliehen, alles in Stich zu lassen; sie wünschte sich sogar den Tod und dachte schon daran, sich ins Meer zu stürzen; aber ihre Liebe für den Grafen hinderte sie immer wieder, ihren Vorsatz zur Ausführung zu bringen. Sie durfte ihn ja nicht den Nachstellungen seiner Feinde preisgeben; sie hielt daran fest, daß sie über ihm wachen, ja daß sie ihm gegen sein eigenes Ich als Schutzwehr dienen mußte.
Obwohl sie sich Gewalt anthun mußte, um dem jungen Govaertz nicht zu viel Kälte zu zeigen, so vermied sie doch, mit ihm zusammenzutreffen und enthielt sich soviel wie möglich der Teilnahme an den gemeinsamen Mahlzeiten. Sie entschuldigte dieses Fernbleiben mit heftigen Kopfschmerzen.
»Was hat Fräulein Blandine nur?« fragte der kleine Govaertz seinen Freund. »Ich finde sie so sonderbar aussehend ...«
»Eine leichte Unpäßlichkeit, ein Nichts. Es wird vorübergehen. Beunruhige dich deshalb nicht.«
Oft raste das arme Weib durch das Haus wie von Furien gepeitscht; sie warf die Thüren und schob die Möbel mit großem Lärm durcheinander; es drängte sie, irgend etwas kurz und klein zu schlagen; am liebsten hätte sie ihr unerträgliches Weh laut hinausgeschrien. Aber wenn sie dann auf Kehlmark stieß, so bändigte dieser sie mit einem einzigen Blick.
Eines Tages, als Landrillon ihr ganz besonders zugesetzt hatte, indem er drohte, Kehlmark nicht länger zu schonen, wenn sie sich ihm nicht hingäbe, verlor sie ganz den Kopf, da sie noch vor diesem verhaßten Äußersten zurückschauderte und sich ihm gern entziehen wollte; in ihrer Aufregung drang sie ungestüm in das Atelier ein, wo der Graf mit seinem Schüler sich befand. Es war stärker als sie, es überwältigte sie. Sie konnte sich nicht enthalten, dem kleinen Bauernburschen einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen. Die beiden Freunde lasen gerade. Niemand von den dreien sprach ein Wort. Aber wohl niemals mochte ein Stillschweigen unheildrohender gewesen sein. Sie ging sofort wieder hinaus aus Angst vor den Folgen ihres unüberlegten Schrittes.
*
»Blandine, Sie vergessen unsere Abmachungen!« sagte Kehlmark zu ihr, als er sich das erste Mal darnach mit ihr allein befand.
»Verzeihen Sie mir, Heinrich, ich kann nicht mehr! Ich habe meine Kräfte überschätzt; ich habe mir zuviel zugemutet. Sie lieben nur noch ihn. Die übrige Welt hat aufgehört, für Sie zu existieren. Kaum, daß Sie mich noch eines Blickes, eines Wortes würdigen ...«
»Nun wohl, ja!« sagte er entschlossen, mit einer gewissen Feierlichkeit, zugleich mit dem Mut und der Unerschütterlichkeit des Stoikers, der seine Hand ins Feuer legt, »ja, ich liebe ihn über alles. Außer ihm finde ich kein Heil für mich auf der ganzen Welt ...«
»Liebe ein anderes Weib; ja, wenn du meiner überdrüssig bist, nimm diese Klaudia, die mit allen Fibern ihres Körpers nach dir verlangt, allein ...«
»Wenn ich dir doch schwöre, daß dieses Kind mir genügt ...«
»O, es ist nicht möglich!«
»Ich liebe ihn, ich werde niemals jemand anders lieben!«
Kehlmark wußte, daß er seiner Gefährtin einen grausamen Streich versetzte, aber er war seiner selbst nicht mächtig; die Waffe, mit der er sie traf, sie ging in sein eigenes Herz; man muß bedenken, daß er solche Qualen gelitten hatte, daß er wie ein Verdammter fühlte, der nur noch begehrt, seine Leiden geteilt zu sehen.
»Ach!« fing er wieder an, »du möchtest mich von diesem Kinde trennen! Um so schlimmer für dich! Nun wohlan, jetzt sollst du sehen, wie ich mich von ihm losreißen werde. Hier zum Beginn meine Antwort auf deine Mahnungen und Vorwürfe: von jetzt ab wird Guido mich überhaupt nicht mehr verlassen. Er wird im Schlosse wohnen ...«
»Nehmen Sie sich in acht! ... Ich leide derart, daß ich Ihnen weh thun könnte, ohne es zu wollen. Es giebt Augenblicke, wo ich fühle, daß ich toll werde; ich kann nicht mehr für mich stehen!«
»Und ich erst!« lachte wild und höhnisch der Deichgraf. »Ich bin zu Ende mit meiner Geduld. Du hast es gewollt, du hast mich zum äußersten gebracht. Ich schonte dich, ich beschränkte mich darauf, allein zu leiden. Um dich nicht zu betrüben, verbarg ich dir meine Pein, mein Geheimnis. Unglückliche Blandine, ja, ich schonte dich, weil ich überzeugt war, daß du selbst mich nicht würdest verstehen wollen, daß du dich von mir lossagen würdest, wenn du alles wüßtest ... Du hast alles wissen wollen, wohlan, jetzt sollst du es erfahren. Sei ganz ruhig, ich werde dir nichts verbergen, nichts verheimlichen. Von nun an brauchst du mir nicht mehr nachzuspionieren. Deine Eifersucht hat dich nicht getäuscht; ja, es ist Liebe, es ist die glühendste Liebe, die ich für diesen kleinen Guido empfinde ... Ich bete ihn an!«
Sie stieß einen Schrei des Schreckens aus. Die Liebende und die Christin fühlte sich gleichzeitig in ihr getroffen.
»O Heinrich, Erbarmen! Du lügst, du konntest dich nicht so erniedrigen ...«
»Mich erniedrigen? Im Gegenteil, ich bin stolz darauf!« Es kam zwischen ihnen zu immer heftigeren Scenen. Aber stets gab Blandine nach, sie unterwarf sich, von Schrecken und unendlichem Mitleid hin- und hergerissen; beides vereinigt bildet eine der aufreibendsten Formen der Liebe.
Von jetzt ab schlief Guido im Schloß. Blandine wich ihm aus, aber sie konnte es nicht vermeiden, ab und zu Kehlmark zu begegnen und der Ausdruck ihres Gesichtes war derart, daß der Graf in heftige Vorwürfe ausbrach.
»Nehmen Sie sich in acht, Blandine!« sagte er ein ander Mal zu ihr. »Sie spielen ein gefährliches Spiel. Ohne Sie aus wirklicher Liebe zu lieben, habe ich Ihnen eine Art Kultus geweiht, der auf tiefer Erkenntlichkeit beruhte. Ich verehrte Sie, wie ich nach meiner Großmutter kein Weib auf Erden je verehrt habe.
Aber ich werde Sie schließlich verabscheuen. Indem Sie sich immer wie ein Hemmnis meinen Herzensbedürfnissen entgegenstellen, werden Sie mir endlich so verhaßt werden, wie ein Henker, der mir Schlaf und Nahrung entziehen will! Ach jawohl, Sie üben da ein herrliches, ein echt christliches Werk, Sie spielen die Heilige, die Anbetungswürdige, die Engelgleiche!
Mit deinen stummen, vorwurfsvollen Mienen, deinem Aussehen wie die heilige Gottesmutter mit den sieben Schmerzen wirst du dich bald rühmen können, wenn ich im Wahnsinn zu Grunde gehe, daß du es hauptsächlich gewesen bist, die meine Vernunft untergraben hat ...
Seit einem Jahre belauerst du mich, umlagerst du mich, trittst mir entgegen, wo du weißt und kannst, und zerfleischest mein Herz mit Nadelstichen, alles unter dem Vorwande, mich zu lieben ...«
»Warum haben Sie mich denn verführt?« fragte sie.
»Dich verführen? Ach, du warst ja nicht mehr Jungfrau!« hatte er die Schlechtigkeit, ihr zu entgegnen.
»Pfui, Herr Graf! Wenn Sie so zu mir sprechen, sind Sie noch brutaler, als der arme Schelm, der mich vergewaltigt hat. Sie sind schuldiger als er, denn Sie haben mich ohne Freude und ohne Liebe besessen! Oh, warum?«
»Ich wollte mich verändern, mich besiegen, die in mir schlummernden Widersprüche zur Vernunft bringen ... Du warst übrigens das einzige Weib, das ich besessen, das einzige, das beinahe zu meinen Sinnen gesprochen.«