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Nach dieser entscheidenden Unterredung setzte der Deichgraf, dem Blandine einen Teil der Machenschaften Landrillons enthüllt hatte, allerdings nur diejenigen, deren Opfer sie nicht selbst gewesen war, den Bedienten vor die Thür. Der Graf wollte sich lieber den schlimmsten Folgen dieser Verabschiedung aussetzen, als noch länger mit jenem Schurken dieselbe Luft atmen, und Blandine, die sich ganz zu den Ansichten ihres Herren bekehrt hatte, machte sich jetzt nichts mehr aus dem Skandal, mit dem der Halunke beständig gedroht hatte.
Landrillon war sprachlos über seine unerwartete Entlassung.
Er glaubte, dem Ziele ganz nahe zu sein, Blandine und den Grafen völlig in seiner Hand zu haben. Und nun unterstanden sie sich, ihn fortzujagen!
In der That, er konnte sich nicht genug darüber wundern.
Allein obwohl er im ersten Augenblick bestürzt war, als Kehlmark, der ihn hatte rufen lassen, ihm seine sofortige Entlassung ankündigte, so gewann doch seine natürliche Unverschämtheit bald wieder die Oberhand:
»Holla, Herr Graf«, höhnte er, »Sie scheinen zu glauben, daß unsere Beziehungen damit zu Ende sind! Ach nein! So schnell werden Sie mich nicht los. Man weiß mancherlei, denn man hat seine Augen und Ohren offen gehalten!«
»Elender!« rief Kehlmark, indem er dem Schuft fest und unerschrocken in die Augen sah, so daß jener, der sich schmeichelte, ihn in Angst zu versetzen, verwirrt den Blick zu Boden senkte. »Hinaus! Ich verachte Ihre Ränke. Doch merken Sie sich, daß bei der geringsten üblen Nachrede, die Sie gegen mich oder die Wesen, die mir teuer sind, ausstreuen, ich Sie zur Rechenschaft ziehen und den Gerichten übergeben werde ...«
Und als der Bursche den Mund öffnete, um dem Grafen eine unflätige Redensart zuzurufen, wies Kehlmark mit so hoheitsvoller gebieterischer Handbewegung ihm die Thür, daß der Elende gesenkten Hauptes hinausschlich und ihm das Schimpfwort in der Kehle stecken blieb.
*
Als Landrillon seine Sachen gepackt hatte, suchte er bleich vor Wut und rachetrunken Blandine auf, da er glaubte, diese für zwei einschüchtern zu können.
»Es wird also ernsthaft? Man erklärt mir den Krieg? Seht euch vor!« sagte er zu ihr.
»Thun Sie, was Sie nicht lassen können!« erwiderte Blandine, die jetzt ebenso ruhig und kaltblütig wie Kehlmark war. »Wir sind von Ihrer Seite auf alles gefaßt!«
»Wir? Man ist also wieder ein Herz und eine Seele mit dem ... Päderasten? Doch an sowas stößt sich die Kleine ja nicht. Sehr genügsam, in der That! Teilen wir also mit seinem ... Buben. Immer hübsch höflich und zuvorkommend, das ist recht. Ein dreieckiges Verhältnis! Meine aufrichtigsten Glückwünsche! ...«
Seine Anschuldigungen entlockten ihr nicht einmal ein Achselzucken. Sie sah ihn nur verachtungsvoll an.
Diese Unempfindlichkeit Blandinens brachte die Überraschung des Stallknechts auf den Gipfel.
Die Spitzbübin entwischte ihm womöglich noch. Hatte er gar keinen Einfluß mehr auf sie? Um sich darüber zu vergewissern, hub er wieder an:
»Es handelt sich auch gar nicht um alles das! Genug der Possen! Du hast mit mir einen Pakt geschlossen. Man jagt mich fort: du wirst mir folgen!«
»Niemals!«
»Was soll das heißen? Du gehörst mir ... Hast du deinem Schweinegrafen schon erzählt, daß du dich mit mir eingelassen hast? Oder soll ich ihn darüber aufklären?«
»Er weiß alles!« sagte sie.
Sie log absichtlich, um jedem Angriff Landrillons von vornherein die Spitze abzubrechen. Wenn er redete, so würde der Graf ihm doch nicht glauben. Das hochherzige Weib wollte, daß Kehlmark immer darüber im Ungewissen bliebe, wie weit ihr Opfer für seine Ruhe gegangen war; sie fürchtete, ihn zu demütigen oder vielmehr ihm einen fortwährenden Kummer zu verursachen, wenn sie ihn erkennen ließ, wie sehr sie ihn geliebt hatte.
»Und trotzdem nimmt er dich noch wieder!« rief Landrillon. »Pfui Deibel! Na, ihr seid einer des andern würdig ... Also liebst du ihn noch, diesen schäbigen, verlebten Jammerlappen? ...«
»Du hast's gesagt. Und womöglich noch mehr als je ...«
»Mir gehörst du. Ich will dich haben, sofort ... Es war doch nicht das letzte Mal? ...«
»Niemals wieder! Ich bin frei und lache über deine Angriffe und Projekte!«
*
Landrillon war so verdutzt über diese Wendung und so verblüfft über die augenscheinliche verzweifelte Entschlossenheit der Bewohner von Escal-Vigor, daß er vorläufig noch nicht wagte, etwas zu unternehmen und das zu verbreiten, was er gesehen, oder wenigstens von dem zu sprechen, was er mutmaßte.
Im Dorfe gab er vor, Escal-Vigor auf eigenen Wunsch verlassen zu haben, um sich selbständig zu machen, und da man von seiten des Schlosses dieser Version nicht entgegentrat, so gab dort das unerwartete Ereignis nicht allzuviel Anlaß zu müßigem Gerede.
Da Landrillon nicht offen gegen seinen ehemaligen Herren aufzutreten wagte, so versuchte er, dessen Beliebtheit und Ansehen heimlich zu untergraben.
Er machte Klaudia eifrig den Hof, die sich das gern gefallen ließ, weil sie an den schlüpfrigen Späßen des Possenreißers immer Gefallen gefunden hatte. Außerdem schmeichelte er der Eigenliebe des Pilgerhofbauern. Da Blandine ihn abgewiesen, so hatte er sein Auge auf die reiche Erbin des Pilgerhofes geworfen; aber diese neue Laune wollte er nur in den Dienst des unauslöschlichen Hasses stellen, den er jetzt gegen die Geliebte des Deichgrafen hegte, ein Haß, wie er so häufig aus verschmähter Liebe hervorgeht. Es hatte ihn jetzt ein wahnsinniges Verlangen nach diesem Weibe überkommen, die ihm entschlüpfte, die mit ihm gespielt hatte. Jawohl, sie betrog ihn, sie bestahl ihn, sie beraubte ihn.
Landrillon erschien jetzt auch im Gottesdienst und der Predigt des Pfarrers Balthus Bomberg. Er schmeichelte sich ein in die Gunst der Pastorsgattin und der beiden alten Tanten, der Schwestern des Pilgerhofbauern.
Der ehemalige Diener wagte noch nicht offen hervorzutreten, aber er wollte einen schrecklichen Sturm gegen Kehlmark, seine Beischläferin und seinen Lustknaben entfesseln. Ihren Stolz, ihre Kühnheit konnte er nicht begreifen. »Sie thun sich wahrhaftig noch groß und wichtig damit! Wie kann man solche Sitten mit Würde und Ehre in Einklang bringen wollen! Sie brauchten nur noch ihre Schande mit dem Nimbus des Ruhmes zu umkleiden!«
Der Taugenichts wähnte sich völlig bewandert in dieser Sache. Er glaubte sich berechtigt, seinen ehemaligen Herren aus tiefster Seele zu verachten. Die tausend Gemeinheiten, zu denen der mit Körper und Seele verkaufte Soldat sich wie ein Prostituierter während der Zeit seines Militärdienstes hingab, sie stellten in seinen Augen nur unschuldige Kleinigkeiten vor, die keinerlei Folgerungen zu ziehen gestatteten. Zu jeder Zeit hat das Laster die wahre Liebe verurteilt und verdammt, und die Kehlmark sind die Ehrenrettung der Landrillon. Die große Menge wird Jesu stets einen Barrabas vorziehen.
Landrillon begann seine Wühlarbeit, indem er sich an Michael Govaertz heranmachte und ihn gegen den Schloßherrn von Escal-Vigor einzunehmen versuchte; er bemühte sich, die Begeisterung von Vater und Tochter abzukühlen, das Mannweib zur Rache gegen Blandine aufzustacheln, dann ganz leise die Beziehungen zwischen Guido und Kehlmark zu verdächtigen.
»An Ihrer Stelle«, sagte er eines Tages aufs Geratewohl zu Michael und Klaudia, »würde ich den jungen Guido nicht im Schlosse lassen. Die unsaubre Wirtschaft des Grafen und seiner Kebse ist ein böses Beispiel für einen jungen Mann!«
Als beide ihn erstaunt auslachten, sah er ein, daß er einen falschen Weg eingeschlagen, und brach ab.
Landrillon hätte den Beweis für die nichtswürdigen Beschuldigungen kaum zu erbringen vermocht, die er so brennend gerne gegen den Herren von Escal-Vigor ausgesprochen hätte. Und der Schurke hatte sich noch geschmeichelt, daß er Blandine gegen ihn würde vorführen können!
Der Graf, gewarnt und aufmerksam gemacht, würde sich jetzt zusammennehmen und sich hüten, sich eine Blöße zu geben oder in eine Schlinge zu geraten. Er kannte zu gut, was ihm sonst bevorstand.
Die Anwesenheit Guidos im Schlosse ließ sich in jeder Hinsicht rechtfertigen. Weit entfernt, sich von ihm zu trennen, hatte ihn der Graf nunmehr als seinen Sekretär an sich gefesselt.
Einen Augenblick dachte Landrillon daran, die Tagelöhner aus Klaarwatsch anzustiften und zu falschen Aussagen zu verleiten, jene fünf Prachtgestalten, die der Graf im Schlosse angestellt hatte und die ihm in seinem Atelier Modell standen. Aber diese einfachen, ungeschlachten Burschen waren ganz vernarrt in ihren Herrn und hätten ihn beim ersten Wort, das seinen Plan andeutete, wie einen Todfeind abgemurkst. Er mußte es von hinten herum versuchen, sie übertölpeln, sie auf eine geeignete Weise herumkriegen, ohne die Sache zu übereilen.
Er beschränkte sich also vorläufig darauf, die jungen Leute von Klaarwatsch, die nicht im Schloß arbeiteten, zu umgarnen, jene kraftstrotzenden Seeleute, welche den athletischen Spielen und den Turnieren zum Schmuck dienten, welche das Material zu den »Masken« und lebenden Bildern stellten, die der Deichgraf arrangierte.
Landrillon hetzte sie systematisch auf gegen die fünf Bevorzugten und besonders gegen den kleinen Günstling, die die großen Rollen bei diesen Maskeraden, wie der Diener sie nannte, innehätten, während doch dieser letztere gerade wegen der dort vorkommenden Roheiten von der Teilnahme an diesen Wettspielen streng ausgeschlossen blieb. Die Statisten waren schließlich durch Landrillons Einwirkung ganz überzeugt, daß der Einfluß Guidos, der kleinen bartlosen Rotznase, auf den Deichgrafen schon allzusehr gestiegen sei. Dieser Macchiavell in der Stalljacke kalkulierte nämlich, daß wenn sie erst gegen den Pagen aufgebracht seien, sie auch bald den Schloßherren weniger freundlich ansehen würden.
Andrerseits lenkte der entlassene Reitknecht die mißgünstige Aufmerksamkeit der Dorfhonoratioren von Zoutbertingen auf das allzu eifrige Interesse, das Heinrich den kleinen Strolchen aus Klaarwatsch am andern Ende der Smaragdinsel bewies.
Landrillon sah auch Balthus Bomberg jetzt recht häufig. Er beschränkte sich darauf, ihn von der unsauberen Wirtschaft Blandinens und des Grafen zu unterhalten, ohne ihm bisher noch von jener anderen anstößigen und schrecklichen moralischen Unregelmäßigkeit zu erzählen.
Der Pfarrer, der sich den Kopf zerbrach, um den Deichgrafen zu stürzen und zu vernichten, hatte niemals, selbst in seinen kühnsten Träumen nicht, an eine so giftige Waffe gedacht, wie die, deren sich Landrillon einst zu bedienen hoffte. Das würde einen Hauptspaß geben, wenn die Bombe mal platzte! Wenn diese Mine eines schönen Tages losginge, würden die ärgsten Strauchdiebe gegen diesen unwürdigen Günstling rein dastehen! Nicht ein ehrlicher Kerl auf der ganzen Insel würde dem Ausgestoßenen die Hand reichen. –
»Was soll man anfangen, mein lieber Herr Landrillon«, fragte der Priester erwartungsvoll seinen neuen Verbündeten, »um diese Fanatiker zur Umkehr zu bewegen, um sie diesem Hexenmeister, diesem Verderber abspenstig zu machen! ...«
»Ja, ja, Verderber ist nicht übertrieben!« unterbrach ihn Landrillon mit einem Lachen, aus dem ein anderer als dieser allzu strenge, aber beschränkte Pfaffe noch mancherlei hätte heraushören können.
»Bemerken Sie«, protestierte dieser, »daß ich diesem vornehmen Wüstling nicht zürne, sondern einzig mein Eifer für die Religion, die guten Sitten und die Sache des Heils reißt mich dahin! ...«
»Um letzterer zu dienen, hochwürdiger Herr«, begann Landrillon mit seinem Gaunergesicht wieder, »müßte man etwas bei dem Grafen von Kehlmark ausfindig machen, eine Ausschreitung, die ein feststehendes Vorurteil über den Haufen stieße, etwas, das in unserer sozialen und christlichen Weltordnung unumstößlich begründet wäre; Sie begreifen, was ich meine, eine Abscheulichkeit, die nicht nur die Rache des Himmels herausfordern müßte, sondern auch selbst die weniger empfindlichen Sündergemüter ...«
»Ganz recht, aber wer wird uns den Beweis eines derartigen Frevels liefern!« seufzte Bomberg.
»Geduld, mein hochwürdiger Herr, Geduld!« näselte die elende Bedientenseele.
*
Balthus Bomberg hielt seine kirchlichen Vorgesetzten auf dem Laufenden über die günstige Wendung der Dinge auf Escal-Vigor.
Unterdessen begann Klaudia, der von Landrillon beständig zugesetzt wurde, über die Langsamkeit und das ewige Zögern des Grafen Kehlmark ungeduldig zu werden. Es trug nicht zu ihrer Beruhigung bei, daß die abgewiesenen Bewerber ringsumher sich nicht scheuten, sie öffentlich aufzuziehen und in den Kneipen Spottlieder auf sie zu singen. Landrillon ließ sie glauben, daß Blandine noch immer zu dem Deichgrafen halte. So wurde das dicke Frauenzimmer immer wütender auf die Schloßverwalterin, diese Zimperliese. Landrillon hütete sich wohlweislich, ebenso wie er Bomberg gegenüber an sich gehalten, die leicht erregbare Bauerndirne auf die richtige Fährte zu bringen.
»Donnerwetter, das wird eine nette Geschichte werden, wenn die dicke Klaudia mal die Wahrheit erfährt! Das wird einen schönen Krach geben!« dachte der Tückebold, indem er sich die Hände rieb und sich ins Fäustchen lachte.
Er triumphierte schon im voraus; er kostete den Vorgeschmack seiner Rache, während er voll heimtückischer Wollust das Messer schärfte, mit dem er nicht eher zustoßen wollte, als bis er seines Zieles sicher und selbst in Sicherheit war.
Klaudia dagegen verzichtete noch keineswegs auf ihren Plan. Sie würde schon über ihre mondscheinblasse Rivalin den Sieg davon tragen und Kehlmark für sich erobern.
Als Landrillon, den sein Haß hellsichtig machte, bemerkte, daß sie noch immer so auf den Deichgrafen versessen war, begann er, ihr die heikle pekuniäre Lage des Grafen zu enthüllen; dann sagte er ihr den Ruin des hohen Herren und sogar seine demnächstige Abreise voraus.
Klaudia war zuerst allerdings sehr überrascht über die Enthüllungen des Kammerdieners, doch faßte sie sich bald, ja sie fand, daß das in ihren Plan vortrefflich paßte. Sie freute sich sogar über den finanziellen Zusammenbruch des Grafen, da sie sich schmeichelte, ihn, wenn nicht durch Liebe, so doch dann durch ihr Geld zu gewinnen. Von diesem Augenblick an hätschelte sie ein Plänchen, das, wie sie sich einbildete, unfehlbar zum Ziele führen mußte, von dem sie aber noch gegen niemand ein Wort verlauten ließ.
War Kehlmark ruiniert, oder doch beinahe ruiniert, so hatte Klaudia genug für zwei. Sie gewann dann immer noch den Titel Gräfin und das Ansehen, das sich an den legitimen Besitz von Escal-Vigor knüpfte! Die Govaertz hielten sich für reich genug, um imstande zu sein, das Wappen der Kehlmarks neu zu vergolden.
Unterdessen schloß sich Klaudia offenkundig der Bewegung an, die Landrillon gegen den Deichgrafen angefacht hatte und immer heftiger schürte, und schien selbst absichtlich die Bemühungen des Schurken zu ermutigen.
In der Parochie genierten sich die Spaßvögel gar nicht, zu sagen, sie wolle sich aus Ärger darüber, daß sie die Grafenkrone nicht ergattern könne, an der Bedientenlivree mit den Wappenknöpfen schadlos halten.
Es paßte in den Schlachtplan Klaudias, den Deichgrafen vollständig zu isolieren und ganz Smaragdis von ihm abwendig zu machen; dann, wenn er ganz und gar von allem abgeschnitten sein würde, wollte sie ihm wie ein rettender Engel erscheinen. Sie gedachte Kehlmark sogar mit dem Bürgermeister zu entzweien und ihm den jungen Guido wieder wegzunehmen.
Kehlmark hatte bereits seine Würde als Deichgraf niedergelegt; er verzichtete auch auf den Vorsitz in den Vereinen und Vergnügungsgesellschaften; er zog sich ganz vom öffentlichen Leben zurück. Er veranstaltete jetzt keine üppigen Feste mehr. Es brauchte nicht mehr, um ihn auch noch die letzten zwei Drittel seiner Popularität verlieren zu lassen.
Klaudia hatte sich auch mit den beiden Schwestern ihres Vaters ausgesöhnt, ohne Vorwissen des letzteren. Ermächtigt und aufgereizt von ihrer Nichte zwangen sie ihren Bruder, klein beizugeben, indem sie ihm nur die Wahl ließen: »Entweder du brichst mit dem Schloßherrn von Escal-Vigor, oder du zwingst uns dazu, deine geliebte Klaudia zu enterben!«
Govaertz würde sich vielleicht, wenn es sich nur um ihn gehandelt hätte, widersetzt haben, aber er hatte doch nicht das Recht, die Zukunft seiner Kinder zu gefährden. Klaudia kam ihm zu Hülfe und erklärte ihm, daß sie nicht mehr Gräfin werden wolle. Außerdem packte sie ihren Vater bei der Eitelkeit: seitdem der Graf ins Land gekommen, zähle Michael Govaertz für gar nichts mehr; er sei nur noch dem Namen nach Bürgermeister.
Govaertz warf sich endlich ganz dem Pfarrer in die Arme.
Es war ein Ereignis, als Vater und Tochter eines schönen Tages wieder in der Kirche erschienen.
Der Pastor donnerte mit mehr Gift und Galle als je gegen den Schloßherren und seine Konkubine. Während des Gottesdienstes betrachtete Klaudia mit einer Art lüsterner Neugier die Fresken, die das Martyrium des heiligen Olfgar vorstellten.
Wenn der Bürgermeister sich wieder mit Bomberg anfreundete, dann mußte er sich unfehlbar mit Kehlmark entzweien. Govaertz, der sich immer von seiner Tochter beraten ließ, machte diesen Bruch offenkundig, indem er den jungen Guido nach Hause forderte. Aber mittlerweile hatte dieser seine Großjährigkeit erlangt und er bereitete seinem Vater einen Empfang, wie dieser seiner Zeit dem Pfarrer bei seinem Annäherungsversuch. Diese Widersetzlichkeit des jungen Burschen überraschte Klaudia, doch dachte sie nicht weiter darüber nach.
Auf Escal-Vigor sah man gar keine Gäste mehr; sie lebten nur für einander. Seit der Entlassung Landrillons hatte Kehlmark seine Besuche auf dem Pilgerhofe eingestellt. Das hauptsächlich hatte Klaudia bewogen, ihm offen den Krieg zu erklären.
Kehlmark war jetzt ein ganz anderer geworden und hatte seinen Mut und seine Lebensphilosophie wiedergefunden.
Während der Periode der peinlichen Enthüllungen hatten ihn oft noch trübe Stimmungen überwältigt; aber seitdem er Blandine sein Herz ausgeschüttet, fühlte er sich wie neugeboren; er warf jetzt die letzten Fesseln des Christentums weit von sich; er hielt sich für mehr als einen Empörer, für einen Apostel neuer freierer Anschauungen; er wollte jetzt die Offensive ergreifen und über seine Richter zu Gericht sitzen.
Während er eine günstige Gelegenheit abwartete, um die Arena zu betreten, schmiedete er sich Waffen aus Schriften und Büchern, durchstöberte, durchforschte und verglich allerhand Urkunden und trug aus Geschichte und Litteratur die Beispiele berühmter Männer zusammen, die geeignet waren, seine Ansichten zu bekräftigen und zu stützen.
Wahrlich, der berühmte Arzt, den die alte Gräfin Kehlmark einst bezüglich ihres Enkels konsultiert hatte, ahnte gewißlich nicht, welcher Art Aposteltum sich derjenige widmen würde, dessen Genie und außerordentliche Bestimmung er vorhergesehen hatte ...
*
Wann mochte wohl Landrillon auf den Gedanken gekommen sein, Bomberg, und zwar nur diesem allein, heimlich jene schwerwiegenderen Mutmaßungen gegen die Lebensführung des Grafen mitzuteilen? Wahrscheinlich an dem Tage, als Klaudia ihm zu verstehen gab, daß sie noch so sehr von Kehlmark eingenommen sei.
Beim ersten Wort, das der Pfarrer von der geschlechtlichen Verirrung seines Feindes vernahm, heuchelte er einen Schmerz, der nicht von Entrüstung frei war, und ein Mitleid, wie es seinem geistlichen Beruf wohl anstand. Innerlich aber frohlockte er. Doch wie sollte man diesen vortrefflich geeigneten Vorwurf gegen den Grafen erhärten? Es gab keine bestimmten Beweise. Und selbst wenn man solche erlangen konnte, durfte man so weit gehen, auch den jungen Govaertz der Schande preiszugeben? Die beiden edlen Kampfgenossen kamen nach reiflicher Überlegung überein, noch zu warten, bis eine günstige Gelegenheit sich fände. Wer weiß; vielleicht gelang es, eines schönen Tages, den kleinen Mißleiteten gegen seinen nichtswürdigen Verführer aufzuwiegeln.
Unterdessen sank die Beliebtheit des Deichgrafen immer mehr. Landrillon begann wieder mit einiger Hoffnung auf Erfolg jene Herumstreicher aus Klaarwatsch zu ›bearbeiten‹, mit denen sich der Graf solange mit Vorliebe umgeben und wovon die ungeschlachtesten noch in seinem Dienst geblieben waren.
*
»Warum habe ich das nicht alles schon früher gemerkt?« dachte Bomberg, als der Angeber gegangen war. »Dreifaches Rindvieh, das ich bin. Alles hätte mich doch darauf hinweisen sollen, mich diese Scheußlichkeiten ahnen lassen sollen! Hatten sich die Eltern dieses Wüstlings nicht in einem Übermaß geliebt, das um Rache zum Himmel schrie? Lebten sie nicht nur für einander, beide ganz für sich allein? Wollten sie nicht die ewigen Gesetze Gottes über den Lebensgang des Universums hinsichtlich ihrer auf eine körperliche und moralische Zweiheit beschränken, indem sie in ihrem sträflichen Egoismus sich weigerten, Kinder zu haben, nur weil sie fürchteten, dadurch einer vom andern abgezogen zu werden?«
Der Pfarrer war über diese Besonderheit im Leben der Eltern Heinrichs von seinem Vorgänger unterrichtet worden. Das Kind war nur infolge eines unglückseligen Zufalls, eines Versehens, erzeugt worden, nachdem diese unnatürliche Ehe bereits mehrere Jahre bestanden hatte.
Später, in jener entfernten Periode seines Lebens, als sich Heinrich von Kehlmark Gewissensbisse über sein Andersgeartetsein machte, hatte er von seiner Großmutter erfahren, bis zu welchem Übermaß sich seine Eltern geliebt hatten, und er schrieb seine Anomalie der lästerlichen Betrübnis zu, die seine Eltern über seine Empfängnis empfinden mußten.
Ohne Zweifel waren sie erzürnt darüber, ein Wesen in die Welt gesetzt zu haben, das sich als drittes zwischen ihre Zärtlichkeit drängen sollte. Der junge Graf bildete sich lange Zeit fest ein, unter dem Obwalten dieses mütterlichen Grolles hervorgebracht worden zu sein. Diese Empfindung von Abneigung hatte zwar bei seiner liebevollen Mutter nicht angedauert; Heinrich hatte Beweise dafür. Indessen blieb er doch bis zum Tage seiner vollständigen moralischen Befreiung überzeugt, daß ein Kind, das unter dem Einfluß einer Antipathie gezeugt würde, verhängnisvoll in seinen Beziehungen verkehrt sein müsse, und notwendigerweise dem Weibe im allgemeinen ebenso einen Widerwillen entgegenbringen werde, wie ihn eine Zeitlang seine Mutter ihm bewiesen.
Dies war auch die Überzeugung Bombergs.
Doch jetzt hatte sich Heinrich zum Gefühl seiner Würde, seiner Selbständigkeit und seiner Gewissensfreiheit durchgerungen.
Im Verein mit Guido und Blandine fühlte er sich stark genug, eine Religion absoluter Liebe, sei es heterosexueller, sei es homosexueller, zu schaffen.
Er war fröhlich wie ein ›Bekenner‹ am Abend vor seinem Aufbruch zu einer gefährlichen, aber unabweislichen Mission.