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Friedrich von Hardenberg – Novalis

1772 – 1801

Der Dichter Novalis gehört auch zu den Frühvollendeten. Er hat nur ein Alter von 29 Jahren erreicht. (Geb. 2. Mai 1772, gest. 25. März 1801.) Aus den eben erschienenen »Ahnentafeln berühmter Deutscher«, die P. v. Gebhard und Hohlfeld herausgegeben haben, ergibt sich u.a., daß Novalis Onkel der Staatskanzler K. A. von Hardenberg (1750 bis 1822) war. Der Name Hardenberg stammt vom gleichnamigen Schlosse bei Nörten unweit Göttingen. Der Dichter Novalis starb als »Chursächsischer Salinenassessor und designierter Amtshauptmann in Thüringen«. Von einer dichterischen Begabung oder Betätigung ist bei keinem Vorfahren der Novalis etwas zu finden, seine Mutter ausgenommen. Novalis war der älteste von 11 Geschwistern (sieben Söhne und vier Töchter). Er war in seinen ersten Kinderjahren sehr schwächlich, ohne an eigentlichen oder schweren Krankheiten zu leiden. Im neunten Jahr überfiel ihn eine gefährliche Ruhr, die eine völlige Atonie des Magens zur Folge hatte. (Tieck nach Kluckhohn-Samuel. Novalis Schriften. Bd. 4. S. 449.) Diese konnte nur durch eine langwierige Kur und die schmerzhaftesten Reizmittel gehoben werden. »Nun schien sein Geist wie aus einem Schlaf zu erwachen, und er zeigte sich plötzlich als ein munteres, tätiges und geistreiches Kind.« Im Herbst 1790 ging Novalis zuerst zum Studium nach Jena, dann mit seinem Bruder Erasmus nach Leipzig, endlich nach Wittenberg, wo er seine akademische Laufbahn beschloß. (Herbst 1794.) Kurz danach lernte der 24jährige Sophie von Kühn, ein 13jähriges Mädchen, kennen. »Dieses liebenswürdige Geschöpf ward seine Madonna«, so schreibt Just in dem Nachruf. (Schlichtegroll's Nekrolog. Bd. 4. Gotha 1805. S. 202.) Neben den naturwissenschaftlichen Studien (Mathematik, Chemie, Geologie) zog ihn einerseits die Neigung zur Arzneikunde, mit deren herrschenden Systemen und neuesten Entdeckungen er bekannt war, anderseits hatte die Krankheit seiner Braut zur Folge, daß er sich mit der Arzneiwissenschaft noch näher bekannt machte. Sophie wurde von Joh. Chr. Stark behandelt, der besonders als Schillers Arzt bekannt geworden ist. (E. Ebstein, Schiller a. a. O. S. 212.) Stark war also nicht nur bei den Klassikern, sondern auch bei den Romantikern ein gesuchter Arzt und sollte auch bald Novalis selbst betreuen.

Am 23. November 1796 hat Stark an Novalis über Sophiens Krankheit berichtet. (Kluckhohn S. 160 f.) Zu der Lungenschwindsucht mit Fieber und Husten kam noch eine Eiterung, die als »Lebergeschwür« (ebenda S. 429 u. 452) bezeichnet wird, wohl aber als rechtsseitige Rippenfellentzündung gedeutet werden dürfte. Der rasche weitere Krankheitsverlauf (S. 511/512 u. 513) führte am 19. März 1797 mit einer Lungenblutung den Tod der nur fünfzehnjährigen Sophie herbei. Kaum vier Wochen später – am 14. April 1797 – starb Novalis Bruder Erasmus. Es mag hier gleich hinzugefügt werden, daß drei Wochen nach Novalis Tode (25. März 1801) seine älteste Schwester starb, die mit ihm erzogen war, sechs Monate nachher die zweite, und zwei Jahre darauf die dritte Schwester, so daß die Eltern, die sich noch 1796 im Besitz von 11 Kindern glücklich fühlten, im Zeitraum von 7 Jahren sechs erwachsene Kinder sterben sehen mußten. (Just bei Schlichtegroll a. a. O. S. 230. Anm.)

Die ersten Anfänge von Novalis Krankheit scheinen mir in den Mai 1797 zu weisen (Kluckhohn S. 387), wo von »Kolik« die Rede ist. Beim Grabe Sophiens fiel ihm ein – »daß ich durch meinen Tod der Menschheit eine solche Treue bis in den Tod vorführe.« Ein Jahr später (Juli bis August 1798) weilt Novalis zur Kur in Teplitz, und im Oktober scheint er in Jena Stark konsultiert zu haben. (S. 429.) Ende August 1800 wird die Lungenschwindsucht offensichtlich, aus den Tagebüchern (1797/98, S. 400) geht hervor, in welcher Weise er seine Krankheit nutzen will.

»Sollt ich krank werden, so sind Erbauungsschriften, Romane etc.– chemische Experimente, Zeichnen – Musiktreiben, Gitarre – Abschreiben oder Excerpieren – Kochen – Tafeln besehen – Handwerker besuchen, Drechseln, Schnitzen etc. – Kabinetter besehen – Beobachtung der Krankheit – akustische Versuche – Fossilienbeschreibungen – Wetterbeobachtungen etc. – Besuche – Motion – Ruhe – Gymnastik – (Spracherlernung) – und Geduld, an der Tagesordnung.

(Moral und Religion in der Krankheit – und möglichste Tätigkeit aller Art.) Sollt ich jetzt krank werden – so kann ich diese Stunden, außer einigen möglichen, obenangeführten wissenschaftlichen und technischen Benutzungen, vorzüglich zur Ausbildung meiner Sittlichkeit und Religiosität, asketisch moralisch und religiös benutzen. Gehts ohne Hoffnung oder sonst zu übel, so bleibt mir Bittermandelwasser und Opium. Meine Gesundheit kann ich vorzüglich wissenschaftlich und technisch benutzen.«

Diese Notizen in den Tagebüchern lassen einen Einblick tun, wie sehr sich Novalis mit der Krankheit, die er bereits in sich fühlte, beschäftigte.

Ende Juli 1800 (S. 404) schreibt Novalis folgende Verse nieder:

Ich will nicht klagen mehr, ich will mich froh erheben
Und wohl zufrieden sein mit meinem Lebenslauf.
Ein einz'ger Augenblick, wo Gott sich mir gegeben,
Wiegt jahrelange Leiden auf.

»Wenn man recht fleißig an die unendliche Unsicherheit der menschlichen Glücksgüter denkt, so muß man endlich gleichgültig und mutig werden.«

»Wenn nur körperliche Unruhe nicht immer Seelenunruhe würde! Auf den Körper läßt sich nicht immer würken; aber in der Seele sollte man sich die Herrschaft mit Gottes Hilfe zu erwerben suchen, um recht ruhig zu sein.«

»Ist die Seele ruhig, so wird auch der Körper bald beruhigt.« (S. 405.)

Am 6. September notiert Novalis im Tagebuch: »Ich kann noch lange Blut auswerfen – aber wird das helfen, daß ich mich jedesmal von neuem ängstige? Angst schadet, Mut stärkt. So ein Zufall verliert sich nicht gleich. Des Herrn Wille geschehe, nicht der meinige. Ich muß darauf gefaßt sein und denken, es wird sich schon nachgerade verlieren. Hat es der Rector doch zwei Jahre gehabt. Geduld und Ergebung in den Willen Gottes sind die besten Hülfsmittel. Auch diese Läuterung soll ich empfahen. Gott weiß die Zeit der Krankheit, denn jegliche Krankheit hat ihre Zeit. Fein kindlich, das ist das beste. Es ist nichts schwerer, als mit sich selbst Geduld haben – seine eigene Schwachheit zu tragen. Gott hilft zu allem.« (S. 407.) Im Oktober 1800 spricht Novalis viel von Ängstlichkeit. (S. 409 f.) So am 8. Oktober: »Spät abends drohte ein Anfall. Ich ward sehr ängstlich.« Am 9. Oktober: »Heut früh war ich zwar etwas ängstlich. Indes habe ich doch fleißig gearbeitet und mich nicht stören lassen. Morgen kann wieder das Blut in Ruhe und die alte Behaglichkeit wiederhergestellt sein...« »Ganz spät kam eine Beängstigung, wahrscheinlich von Blähungen, die bald abgingen, und ich vermochte durch innige religiöse Vorstellungen das fatale Erschrecken zu vermeiden ...«

16. Oktober: »Seither habe ich mich sehr wohl befunden und keinen Anfall von Ängstlichkeit gehabt. Dies beweist deutlich, daß alle Ängstlichkeit ganz unabhängig von äußeren Umständen ist. Am besten ist es, wenn man den Sinn hat, alles Geschehene mit freudigem Herzen wie eine Wohltat Gottes hinzunehmen. Durch Gebet erlangt man alles, Gebet ist eine universale Arznei.« Das sind Gedanken, wie wir sie auch in Gellerts Briefen und seinem Tagebuch finden.

Wenn Novalis erst mit seinem Dresdener Arzt Karl Weigel gesprochen hat, will er umständlich an Röschlaub schreiben, der Professor in Bamberg war. Dabei notiert er wiederum: »Opium und Mandelwasser anschaffen.« Heiratet er nicht, so will er nach Reichenhall und Klagenfurt. »Wird es schlimmer, so verreise ich nach Leipzig, Bamberg oder Jena.«

In Jena war Stark, der ihn Ende September dort in Behandlung hatte. In Leipzig Chr. Erh. Kapp (1739–1824), der der letzte Arzt war, der konsultiert wurde. In Dresden, wo der schwere Blutsturz erfolgte, wurde Jon. Nathanael Pezold (1739–1813) herbeigerufen, der ein alter erfahrener Arzt war. Die Behandlung mit China mußte aber aufgegeben werden, da sie zu purgierend wirkte. (S. 535.) Novalis will in der Dresdener schweren Erkrankung auch reiten, doch er ist zu schwach, sehr abgezehrt, und das Blutspeien hört nicht auf. (S. 533.) Dabei bestand Husten und kurzer Atem. Er fuhr täglich 4 Stunden spazieren und brauchte Kalkwasser und Eselsmilch. (S. 534.)

Es wurde noch die Reise von Dresden über Meißen, Oberhaldenhof und schließlich nach Weißenfels ausgeführt. Zunehmende Schwäche, die Auswürfe wurden »mit jedem Tage trüber«. Am 22. März trat ein Stickhusten auf. Novalis ahnte nichts von der Todesgefahr. Er entschlief am 25. März mittags sanft. In der amtlichen Nachricht heißt es, daß Novalis verstorben, »nachdem er seit einigen Monaten an der Auszehrung krank gewesen ist.« (Vgl. H. Rötteken, Besprechung von W. Dilthey's, Das Erlebnis und die Dichtung, in: Z. f. vergl. Litg. Bd. 18. 1919, bes. S. 121.)


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