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Vorworte

Erich Ebstein, dem die medizinische Forschung und die Literaturwissenschaft gleicherweise verpflichtet sind, hat das Erscheinen dieses Werkes nicht mehr erlebt. Am 17. April dieses Jahres hat ein Hirnschlag ganz unerwartet dem Leben des arbeitsfrohen Fünfzigers ein viel zu frühes Ziel gesetzt. Der Schmerz um den schweren Verlust wird verschärft durch den Gedanken, daß es ihm nicht vergönnt war, gerade diese Arbeit zu Ende zu führen, die ihn seit langer Zeit beschäftigte und die ein wesentliches Kapitel in seinem gesamten Schaffen umschließen sollte. Denn neben den zahlreichen monographischen Studien auf dem Gebiet der inneren Medizin und der Geschichte der Medizin, neben Arbeiten literaturhistorischer Art aus dem Dichterkreis seiner Göttinger Heimat, über Bürger zumal und Lichtenberg, sind in seinem Schaffen solche Veröffentlichungen besonders charakteristisch, die sich mit dem Grenzgebiet des Körperlichen und Seelischen befassen. Das Abnorme oder geradezu Kranke in seiner Rückwirkung auf die geistige Haltung hat ihn immer wieder angezogen, die Rothaarigen fesselten ihn in solchem Zusammenhang ebenso wie etwa die Buckligen. Und auf dieser Linie lag auch sein Bemühen, mit dem ihm eigenen Sammlereifer alle geistig hervorragenden Tuberkulösen ausfindig zu machen und zu studieren.

Die vorliegende Untersuchung, die aus diesem allmählich gewonnenen Material nur eine Auswahl geben sollte, war im wesentlichen gedacht als eine Anregung, aus der die Forschung neue Erkenntnisse vom Wesen und den Lebensäußerungen der Tuberkulösen im Sinne konstitutioneller Eigentümlichkeit gewinnen könnte. Andrerseits wollte sie aber auch nichtärztlichen Kreisen einen Begriff geben, wie man heute das Wesen der Tuberkulose einschätzt und vom Schicksalsbegriff mehr oder minder loslöst. Die pathographischen Skizzen sollten dabei zeigen, daß kein Verlauf von Lungenschwindsucht dem anderen gleicht, daß alle denkbaren Möglichkeiten ihres Verlaufs und Ausganges vorhanden sind.

Freunde des Verstorbenen haben es übernommen, die Drucklegung des Buches zu Ende zu führen. Über diese mehr oder weniger technische Arbeit hinaus galt es, den Text selbst im Sinne des Verfassers noch zu ergänzen. In einem noch ungeschriebenen Kapitel wollte er die Ergebnisse aus den pathographischen Skizzen zusammenfassen und eine Darstellung des im Titel angedeuteten Themas »Tuberkulose und Schicksal« geben. Da das Buch ohne eine solche Zusammenfassung fragmentarisch geblieben wäre, hat Professor Gg. B. Gruber in Göttingen, der dem Verstorbenen freundschaftlich verbunden war, ein einführendes Kapitel über das Thema des Buches beigesteuert.

Und so übergeben wir dieses Buch dem Leser, wehmütig gedenkend dessen, der sich ein vielfaches Echo von seiner mühevollen und doch immer freudig geleisteten Arbeit erhoffen durfte, Erich Ebsteins.

[Vorrede von Georg B. Gruber (1884-1977) aus Urheberrechtsgründen gelöscht. Re]

Pathographische Skizzen von Calvin bis Klabund

1509 – 1928

In den letzten Jahren ist neben der Beschäftigung mit der Tuberkulose selbst das Interesse an der »Psyche des Lungenkranken« erwacht. So hat Erich Stern in seinem Buche (Halle, C. Marhold 1925) den »Einfluß der Lungentuberkulose und des Sanatoriumslebens auf die Seele des Kranken« trefflich zur Darstellung gebracht. Die Erfahrungen eines lungenkranken Arztes gibt Sanitätsrat Christian Bruhn unter dem Titel: »Vom gesunden und kranken Tuberkulösen,« in einem schmalen Hefte heraus (Verlag Parus, Hamburg 36. – 1926). Es spricht hier ein Kranker zum Kranken, und zwar mit bemerkenswerter Einfühlungsgabe.

An dieser Stelle mag auch die Schrift über Hermann Burchard (1861–1923) erwähnt werden, der »der Gründer und Förderer der Deutschen Heilstätte für minderbemittelte Lungenkranke in Davos« wurde (Hannover, Lutherhaus, 1929). Auch »die seelsorgerische Behandlung der Lungenkranken« hat kürzlich Heinrich Bohlen (Verlagsanstalt Tyrolia: Innsbruck-Wien-München) als einen »Beitrag zur Pastoralmedizin und Pastoraltheologie« behandelt.

Bereits 1917 hat Klabund in einer Erzählung: »Die Krankheit« das Leben und Treiben in Davos geschildert, und da fallen die Worte: »Davos ist Vineta, die bezauberte Stadt.« Später hat dann Thomas Mann in seinem Roman »Der Zauberberg« ebenfalls das Sanatoriumsleben in Davos dargestellt. Das Werk dieses großen Künstlers darf natürlich nicht zum Quellenstudium des Sanatoriumslebens verwandt werden. Sonst würde man es zum mindesten einseitig kennen lernen.

Man darf aber nicht allein die Psyche des heutigen Lungenkranken in dem modernen Sanatoriumsbetrieb beleuchten, sondern man fragt sich, wie haben sich vor dieser Zeit Schwindsüchtige mit ihrem Leiden abgefunden, wie haben sie sich zu der Krankheit gestellt und wie half man ihnen damals. Mich hat diese Frage schon seit langer Zeit beschäftigt (Erich Ebstein, Lungenschwindsucht in der Weltliteratur in: Z. f. Bücherfreunde. N. Folge. V, 2. S. 272 – 1914 –). So dichtete einer meiner Kranken in seinen »Reiboldsgrüner Reimereien«

Mich bewegen viele Fragen ....
Manches quält mich auch im Stillen –
Kommt bei mir das Versemachen
Nicht vielleicht von den Bacillen?

Der lungenkranke Dichter Klabund, der letzte in der Reihe dieser biographischen Skizzen, die, mit Calvin anfangend, gerade 400 Jahre umfassen, hat einmal in seiner »Geschichte der Weltliteratur usw.« (Leipzig 1923. S. 88) den für ihn naheliegenden Gedanken ausgesprochen: »Man müßte einmal eine Literaturgeschichte der Schwindsüchtigen schreiben. Diese konstitutionelle Krankheit hat die Eigenschaft, die von ihr Befallenen seelisch zu ändern. Sie tragen das Kainsmal der nach innen gewandten Leidenschaft, die Lunge und Herz zerfrißt.« Ähnlich hat sich Th. Wolff in seiner Einleitung zu Jens Peter Jacobsens »Niels Lyhne« geäußert.

Friedrich Schillers Krankheiten zeigen, daß der Dichter durch die Kraft seines Willens und einer fast nie versagenden Energie Herr über sein Leiden geblieben ist. Novalis, der selbst früh an der Lungenschwindsucht starb, erklärt, die Krankheiten seien wahrscheinlich »der interessanteste Stoff und Reiz unseres Nachdenkens und unserer Tätigkeit«, und wirft die Frage auf, »ob Krankheit nicht ein Mittel höherer Synthesis sein könnte.« Aus seinen Tagebüchern ergibt sich, in welcher Weise er seine Krankheit nutzen will.

Wenn auch eine Anzahl von Dichtern, Künstlern und Gelehrten durch ihre Krankheit nur eine beschränkte Lebenszeit hatten, so war es ihnen doch vergönnt, in ihren Werken hohe Werte zu schaffen und fortzuleben.


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