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1684 – 1721
hat nur ein Alter von 37 Jahren erreicht. Emil Hannover (A. Watteau. Berlin 1889. S. 64 ff) sagt von ihm:
Seine ganze große Produktion kann mit zweifellosem Rechte als ein großes Entbehren, ein großes Sehnen aufgefaßt werden, – das Sehnen eines kranken Mannes nach Gesundheit und Kraft, eines von den Schönheitsgöttinnen verschmähten Mannes nach der Liebe und Anmut einer Frau.
Denn er trug im Inneren ein unheilbares Leiden, und hatte von der Geburt an ein häßliches Äußere. Schon als Kind trug er wahrscheinlich den Keim der Brustkrankheit in sich, die sein Leben so schnell enden sollte. Seine Arbeitsweise ist die eines kranken Mannes, seine Lebensweise zeugt von einer gepeinigten Seele, sein Aussehen ist das Bild der Schwindsucht selbst. Es existiert eine kleine Reihe Selbstporträts, welche die Aussage der Biographen über seine Persönlichkeit bestätigen. Caylus sagt: »Watteau hatte keinen anderen Feind als sich selbst und einen gewissen Geist der Unstätigkeit, der ihn beherrschte.« »Düster, traurig, furchtsam und scharf«, nennt er ihn. Gersaint sagt von ihm, daß er ruhelos war, von kaltem Wesen und Fremden gegenüber zurückhaltend. »Ein guter aber schwieriger Freund, ein Misanthrop«, ja, »einen boshaften und beißenden Kritiker« nennt er ihn. Julienne (und Gersaint) berichten, daß er klein von Wuchs war, und von schwächlicher Konstitution. Über sein Äußeres geben uns die Porträts ergänzende Aufklärungen: er war häßlich, unförmlich und von geistlosen Gesichtszügen. Die Stirn war hoch und ohne Leben, die Augen groß und tot, wie die eines jungen Vogels, die Nase lang und charakterlos, der Mund schlaff und unbeweglich mit hervorspringender Oberlippe. Auf einem Porträt, wo er sich selbst ohne Perücke dargestellt hat, ist das Haar kurz, struppig und ungeordnet. Die Schultern sind niedrig, die Kleider hängen lose über der schmalen mageren Brust, die Hände sind knochig und groß.
In der neuesten Würdigung Watteaus, die uns Edmund Hildebrandt (Berlin 1922. Propyläen-Verlag) geschenkt hat, teilt er des Künstlers Leben in vier Perioden. 1: 1684 bis 1705. II: 1705–1712. III: 1712–1717. IV: 1717 bis 1721. Diese letzte Periode ist die Zeit der höchsten Reife. Zunehmende Kränklichkeit treibt den Ruhelosen von Quartier zu Quartier. Im Spätherbst macht sich Watteau nach London auf, um dort bei einem berühmten Arzt Heilung von seinem Brustleiden zu suchen.
Dieser Arzt war Richard Mead (1673–1754). Er war ein sehr berühmter Praktiker seiner Zeit, der auch ein sehr gutes Handbuch geschrieben hat. Darin warnt er z.B. vor der Unterdrückung der Fieber und gibt die China in Wechselfiebern mit großer Vorsicht, meist nur mit Rhabarber als Abführmittel. (E. Morwitz, Geschichte der Medizin. Leipzig 1848 I, 347 u. II, 221 f.) Max Neuburger nennt ihn den hervorragendsten Praktiker Englands in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der ganz auf dem Boden der Stahl'schen Lehre stand. (Die Lehre von der Heilkraft der Natur im Wandel der Zeiten. Stuttgart 1926. S. 90 und N. Moore in Dict. of Nat. Biography Bd. 37, S. 181 ff.)
Neben der Medizin beschäftigten Mead auch die Grenzgebiete. So schrieb er ein Werk »Medica sacra usw. Amsterdam 1749«, in dem er die in der Bibel vorkommenden merkwürdigen Krankheiten besprach. (W. Ebstein. Die Medizin im Alten Testament. Stuttgart 1901. Derselbe: Die Medizin im Neuen Testament. Stuttgart 1903.) Weiter schrieb Mead »de nummis quibusdam Smyrnaeis in medicorum honorem percussis« (London 1724). Auch besaß Mead eine große Gemäldesammlung, wie er überhaupt nicht nur ein freigebiger Förderer der Wissenschaften, sondern auch der bildenden Künste war. Davon zeugt der in Mead's Todesjahr (1754) erschienene: »Catalogue of the genuine and capital collection of pictures by the most celebrated masters oft the late great and learned Doctor Richard Mead.« (Hannover a. a. O. S. 127.) Bei Mead, der zugleich Arzt des englischen Königs war, wohnte Watteau und hat vermutlich gegen seine Krankheit Rat gesucht. Er malte auch einige kleinere Sachen für Mead, und ebenso bestellte der König vier Bilder bei ihm.
Doch wirkte die herbstliche Stimmung Londons mit ihrem Nebel und Kohlenrauch ungünstig auf Watteaus Gesundheit. Sein Brustleiden, seine Schwermut nahmen zu, und er wurde bitter, besonders gegen die nichtsvermögenden Ärzte, über die er sich – ähnlich wie Molière – in seiner Kunst lustig machte. Die Verzweiflung treibt ihn einem Charlatan in die Arme. »Qu' ai-je fait, assassins maudits?«, lautete die – nicht von Watteau verfaßte – Unterschrift auf einer nur im Stich erhaltenen Gemäldekarikatur, die er nach seiner Heimkehr entwirft: ein Zug von Quacksalbern, die, mit Klystierspritzen bewaffnet, einen Patienten verfolgen; dazwischen die hohe Fakultät, einen Eselssattel tragend. (E. Hildebrandt S. 136 f und Abbildung 87, Seite 171.)
»Das Leiden, das sich so oft mit einem gesteigerten Verlangen nach Lebensgenuß verbindet, die Schwindsucht, nagte an diesem mißhandelten Körper und grub ihm ein allzufrühes Grab. Mit diesen Faktoren war der Keim zur Tragödie gegeben, die mit dem ersten Schritt ins Leben begann und erst mit dem letzten endete. Ihre Pausen hießen – Arbeit. Diesen Pausen, die in vielen Monaten des Jahres nur nach Stunden zählten, verdankt die Welt das Werk Watteaus.« (Hildebrandt S. 131.)
Nach seiner Rückkehr zieht Watteau aufs Land; er plant auch noch eine Reise in die Heimat, die letzte Hoffnung aller Schwindsüchtigen. Es kommt aber nicht mehr dazu. Am 18. Juli 1721 stirbt der große Künstler in seines Freundes Gersaint Armen.