Georg Ebers
Im Schmiedefeuer
Georg Ebers

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Fünfzehntes Kapitel.

Ein Tag folgte dem andern, eine Woche verging, und weder von Heinz Schorlin noch von Kätterle war eine Botschaft nach Schweinau gekommen.

Wohl hatte der Schultheiß erfahren, daß die Brüder Siebenburg und die Raubritter, die sich an sie geschlossen, ihre Burgen hartnäckig verteidigten und es Heinz Schorlin schwer machten, seine Aufgabe zu lösen; wohl war ihm gestern bekannt geworden, die starke Bergfeste des Absbachers sei gefallen, die verbündeten Ritter hätten bei einem gemeinsamen Ausfalle, der sich zu einer kleinen Schlacht gestaltete, den kürzeren gezogen, und die Siebenburgs könnten sich nicht mehr lange halten; doch für seinen treuen Diener auch nur das geringste zu thun, schien der Ritter im Drang der Pflichten vergessen zu haben. Wenigstens hatte der Protonotar Gottfried, ein Freund Herrn Bertholds, durch dessen Hand sämtliche Briefe gingen, die an den Kaiser gelangten, ihm bestimmt versichert, es wären zwar Kriegsberichte genug angelangt, in keinem aber habe der junge Heerführer von seinem Diener auch nur ein Wort geredet. Er, der Protonotar, sei zu günstiger Stunde in den Herrn gedrungen, Biberli, 243 zum Lohn für seine seltene Treue, weiteren Verfolgungen der Nürnberger zu entziehen; Kaiser Rudolf habe ihn indes nicht einmal zu Ende gehört, weil er sich grundsätzlich von der Einmischung in Angelegenheiten fernhalte, deren Schlichtung dem ehrbaren Rate von Rechts wegen zustehe.

Als der Schultheiß bald darauf bei einem Berichte, den er dem Kaiser abzustatten hatte, für den braven Burschen selbst eintrat, hatte der Habsburger sich mit dem starken Herrschergedächtnis der Fürsprache des Protonotars erinnert und Herrn Berthold auf den Bescheid hingewiesen, den er jenem erteilt, und weniger gnädig als sonst bemerkt, der kaiserliche Schultheiß müsse wissen, daß er der letzte sei, Privilegien anzutasten, die die Stadt ihm selbst verdanke.

Endlich war es sogar dem Burggrafen Friedrich, dessen Teilnahme Herr Berthold für Biberli gewonnen, nicht besser ergangen.

Seine Interessen gingen denen des Rates vielfach entgegen, und zwischen den Ehrbaren und ihm hörten Händel um mancherlei Gerechtsame nicht auf, ein wie wohldenkender Herr er auch sonst war. Als er nun begonnen hatte, den Kaiser zu veranlassen, durch einen Gnadenakt eine Grausamkeit zu verhindern, die der Rat einem Diener des Ritters Schorlin anzuthun gedenke, der sich jetzt so gut bewähre, versicherte der Kaiser auch ihm, dem Freunde und Schwager, der ihm am wirksamsten geholfen, die Krone zu erlangen, daß er sich auch nicht zu eines lieben Bruders Gunsten in die Beschlüsse des Rates zu mischen gestatte, und die Gründe, die er dem hohen Bittsteller anvertraute, brachten ihn zum 244 Schweigen. Gewichtiger noch als diejenigen, mit denen er den Schultheißen zurückgewiesen, erschien dem Burggrafen der Wunsch des Kaisers, die »Ehrbaren« willig zu erhalten, ihm die große Anleihe zu bewilligen, die er zu Gunsten seiner leeren Kasse bei ihnen zu machen gedachte.

Dem guten Willen des Rates konnte die Begnadigung Ernst Ortliebs und Wolff Eysvogels dagegen nur Vorschub leisten. Jene erfolgte sogleich, diese nur bedingungsweise, nachdem der erste Losunger der Stadt mit einigen anderen Ehrbaren sie befürwortet hatte. Der Kaiser hielt es nämlich für geraten, die Vollziehung dieses Gnadenaktes aufzuschieben. Ein Bruch des Landfriedens, der unter seinen Augen begangen war, durfte nicht während seiner Anwesenheit an der Stätte der Blutthat verziehen werden. Das hätte den schweren Ernst der wichtigen Maßregel, die jeden Angriff auf Leben und Eigentum anderer mit den härtesten Strafen bedrohte, in Frage gestellt.

Solange der Kaiser in Nürnberg Hof hielt, sollte Wolff, gegen den noch kein Kläger aufgestanden war, darum verborgen bleiben; hatte der Herrscher der Stadt den Rücken gekehrt, mochte er sich wieder unter die Mitbürger mischen. Ein kaiserliches Schreiben, das auf den Dank hinwies, den Rudolf den Kampfgenossen vom Marchfelde, zu denen der Uebelthäter gehörte, und der ganzen guten Stadt Nürnberg für die gastliche Aufnahme schuldete, die sie ihm und den Seinen erwiesen, sollte dem jungen Patrizier, der nur im Stande der Notwehr das Schwert gezogen, Straflosigkeit zusichern und dem Gesuche des Rates entgegenkommen, Wolff Eysvogel in die verwirkten Rechte wieder einzusetzen.

245 Die Mitteilung dieser Zusage bereitete Els nach langen Tagen des Mißbehagens und der schwersten inneren Not die erste glückliche Stunde. Zwar schienen die Maßregeln der Freunde sie vor den Angriffen der alten Gräfin Rotterbach sicher gestellt zu haben, Frau Rosalinde aber fühlte sich, seit sie sich freier bewegen durfte als die in das obere Stockwerk verbannte Mutter, wie eine Barke, die steuerlos stromab treibt. Sie bedurfte der Leitung, und da Els jetzt in ihrem Hause gebot, verlangte sie von ihr Weisungen auch für das Geringste. Wie ein von der Wärterin verlassenes Kind drängte sie sich an sie und trug ihr dazu die feindseligen und hämischen Aeußerungen zu, an denen es die Gräfin nicht fehlen ließ, so oft es der Tochter gefiel, ihre Einsamkeit zu teilen. In den letzten Tagen hatte die alte Dame Rosalinde wieder an sich gezogen und daraus war Els eine feindliche, oft höchst tückische Gegnerschaft erwachsen, die um so schwerer erträglich war, je bestimmter ihr töchterliches Verhältnis ihr verbot, sich ihrer kräftig zu erwehren.

Am schmerzlichsten für die gutwillige Pflegerin war indes das Verhalten des Kranken; denn wenn Herr Kaspar auch nur selten zu vollem Bewußtsein gelangte, gab er ihr doch oft genug durch Blicke, Geberden und mühsam hervorgestammelte Worte seine üble Gesinnung zu erkennen.

Aber die Geduld des wackeren Mädchens schien unerschöpflich, und auch dem Schwersten, was die Wartung des Leidenden ihr auferlegte, unterzog sie sich redlich. Ja der Gedanke, daß Wolff ihm das Leben verdankte, half ihr, sich gegen den Schwiegervater, wie weh er ihr auch oft that, stets freundlich zu erweisen und seiner nicht 246 weniger sorgsam zu warten, wie früher der leidenden Mutter.

So hatte sie wacker standgehalten. bis ihr am Ende einer langen, qualvollen Woche etwas zustieß, das ihr den Mut brach. Bei der Heimkehr von einem Gang in die Stadt wurde sie vor der Thür des Krankenzimmers von der künftigen Schwiegermutter mit der Erklärung empfangen, sie würde die Pflege des Gatten selbst in die Hand nehmen und sich nicht länger von dem Eindringling die Stelle vorenthalten lassen, die ihr allein gebühre. – Die Ueberredungskunst der alten Gräfin hatte ihr den Mut gestärkt, und die ungewohnte Thatkraft der schwachen, mehr als gefügigen Frau wirkte so überraschend und zugleich entmutigend auf das gequälte und ermüdete junge Geschöpf, daß es den Widerstand aufgab. Dem Zuspruch des Arztes und des braven Teufel gelang es indes, sie zum weiteren Ausharren zu bestimmen. Als sich aber um weniges später der nämliche Vorgang wiederholte, wollte es sie unmöglich dünken, auch nur noch einen Tag in diesem Hause zu verbleiben.

Ohne der Mutter des Geliebten zu widersprechen, zog sie sich in ihr Schlafgemach zurück, packte dort, still weinend, so dringend die barmherzige Schwester sie auch bat, stand zu halten, die wenigen Sachen, die sie mit sich geführt hatte, zusammen, und schickte sich an, den so schwer behaupteten Posten zu verlassen. Unter dem Schutze des Schultheißenpaares wieder mit Eva vereint zu sein, war jetzt das schönste Ziel ihrer Sehnsucht. In den Ortliebhof wollte sie nicht; denn der Vater hatte nach der Freilassung aus dem Luginsland eine lange Unterredung mit Wolff und dem alten Berthold Vorchtel gehabt und war dann auf Wunsch des Rates nach Augsburg und Ulm geritten, um dort die Angelegenheiten des Eysvogelschen Hauses zu ordnen. Er hatte sich daheim entbehrlich gefühlt, da er die jüngere Tochter in Schweinau gut aufgehoben wußte und erfahren hatte, daß die Begnadigung Wolffs nicht lange auf sich warten lassen würde.

Auch Eva hatte schwere Tage verlebt und manche Nacht sorgenvoll durchwacht. Zwar war Biberli und die Botengängerin mit ihren Kindern zu den Beghinen gebracht worden, wo sie sicher vor der Roheit der verbrecherischen Gäste des Siechenhauses ihrer Samariterpflicht nachkommen konnte, aber wie schwere Besorgnisse hatten die Kranken ihr bereitet, die sie dem Tode abringen mußte, wie angstvoll schaute sie einer Nachricht aus der Gegend der Siebenburg entgegen, wie bange Stunden wurden ihr vom Prior der Dominikaner und seinen Abgesandten bereitet, die bei ihr vorsprachen, um sie zu der Ueberzeugung zu führen, daß ihr Vorhaben, dem Kloster zu entsagen, ein Verrat gegen Gott sei, und daß die Kühnheit, mit der sie sich von den früheren Leitern ihres Seelenlebens befreit und mit der sie den eigenen Weg suchte, sie in Ketzerei und Verdammnis führen würde. Wie peinlich war ihr dabei die Empfindung, daß man sie aushorchte, um zu erfahren, ob die Aebtissin Kunigunde keine Mitschuld an ihrer Sinnesänderung traf.

Die Folter, die derberen Männern selten ans Leben ging, schien dem des zarteren früheren Schulmeisters ein Ziel setzen zu wollen. Anfänglich glaubte auch der Medicus Otto, der Els und Frau Christine zu Gefallen und gerührt von der wackeren Gesinnung dieses schlichten Mannes, Biberli in der ersten Zeit täglich besucht hatte, ihn nicht 248 erhalten zu können. Auf dem Stroh und bei der mangelhaften Pflege im Siechenhause hätte er auch ein schnelles Ende gefunden, und was wäre aus seinen armen gebrochenen Zehen und Fingern unter der Hand der Bader, die dort walteten, geworden?

Bei den Beghinen hatte ihm der menschenfreundliche und geschickte alte Arzt Hände und Füße so sorgsam verbunden wie dem vornehmsten Herrn, und liebevoller und geduldiger konnte kein Fürst von geübten Krankenwärterinnen gepflegt werden; denn – wunderbar! – Eva, die der Schwester so willig die Sorge um die leidende Mutter überlassen, die sich oft selbst gezürnt hatte, weil sie es am Lager der geliebten Kranken Els auch nicht von fern hatte gleich thun können, leistete dem wunden Herrenknechte jeden Dienst mit so sicherer und leichter Hand, daß der alte Arzt ihr oft mit frohem Erstaunen zusah.

Die Umsicht, die ihr am meisten gemangelt, schien nach langem Schlummer plötzlich mit doppelt hellen und weitsichtigen Augen erwacht zu sein. Galt es den Kranken zu wenden, zollte sie jeder schmerzenden Stelle an seinem gemarterten Körper besondere Rücksicht und ersann Vorrichtungen, die sie mit geduldiger Mühwaltung herstellte, um ihm ein Weh zu ersparen.

Ihr eigenes Lager war in der Kammer der Witwe neben der Biberlis aufgeschlagen worden, und schon von der Nacht an, die ihr Muhme Christine im Beghinenhause zu bleiben gestattete, war sie, die früher gern und fest geschlafen hatte, auf den leisesten Wink des Kranken bei der Hand gewesen. Schon am dritten Tage leistete sie ihm jeden Dienst, für dessen Verrichtung ihr anfangs die Hilfe einer Beghine nötig gewesen war, mit eigener 249 Hand. Anmutig und tröstlich Zuspruch zu leisten, hatte sie auch der Mutter gegenüber besser als jede andere verstanden, und wie schön gelang es ihr oft, wenn den dem Verzagen nahen Mann zehn wilde Schmerzen auf einmal quälten, ihn mit neuem Mut zu beseelen. Wie freundlich lehrte sie ihn, welchen Trost der Leidende findet, der beim Gebete nicht nur, wie er bisher gethan, die Lippen bewegt und den Rosenkranz dreht, sondern sich und seinen Schmerz demjenigen ans Herz legt, der am Kreuze noch Schwereres erduldet. Wie zufrieden lächelte der Leidende, der in Fieberphantasien die Worte »standhaft und treu« so oft wiederholt hatte, wenn sie versicherte, er habe seine Lieblingstugenden samt dem T und St in bewunderungswürdiger Weise zu Ehren gebracht und ihm das Lob und den Dank seines Herrn in Aussicht stellte.

Das alles klang ihr um so wärmer von den Lippen, je deutlicher sie sich dabei denjenigen vergegenwärtigte, für den der brave Bursche dies Martyrium auf sich genommen, je wohler es ihr that, Heinz, wenn auch ohne sein Wissen, die große Dankesschuld abzahlen zu helfen, die er diesem vielgetreuen Manne schuldete. Sie ahnte es selbst nicht, aber die stärksten aller erzieherischen Mächte: Leid und Liebe, waren es, die aus der weltfremden, launenhaften »kleinen Heiligen« ein großes, opferfähiges Weib machten. Was sie für den Geliebten zu werden wünschte, dazu bildete sie sich heran, und die geheime Kraft, deren Wirksamkeit auf ihr gesamtes Wesen sie bei jedem Gelingen deutlich fühlte, nannte sie selbst, indem sie dabei der letzten Worte der sterbenden Mutter gedachte: »Das Schmiedefeuer des Lebens«.

250 Anfangs war es Biberli höchst peinlich gewesen, sich gerade von derjenigen mit so opferwilliger, liebreicher Güte pflegen zu lassen, von der er seinen Herrn mit allem Eifer abzuwenden getrachtet; bald aber drängte die wärmste Erkenntlichkeit jede andere Empfindung in den Schatten, und wenn er aus dem Halbschlummer, der ihn oft umfangen hielt, erwachte und Eva an seinem Lager erblickte, ging das Herz ihm auf, und es war ihm, als habe der Himmel sie ihm gesandt, um ihm das Beste, um dessen Besitz er rang: Leben und Gesundheit, zurückzugeben.

Als er sich wohler zu fühlen begann, hing der treue Bursche schon mit aller Festigkeit an ihr; doch that dies der Liebe zu seinem Herrn und zu der abwesenden Braut keinen Eintrag. Im Gegenteil. Je weiter die Besserung vorschritt, desto häufiger und sorgenvoller dachte er an Heinz und Kätterle, desto wohler that es ihm, von ihnen zu reden und mit Eva zu erwägen, was beiden begegnet sein könnte.

Unmöglich – des war Biberli so gewiß wie seine Pflegerin – konnte Heinz des Gefährten lieblos vergessen und Kätterle, was sie auf sich genommen, vernachlässigt haben. So vereinten sich denn beide in der Vermutung, die Boten der Abwesenden müßten verhindert worden sein, das Ziel ihrer Sendung zu erreichen.

Und sie trafen mit dieser Annahme das Rechte; denn zwei Reisige, die Heinz ausgesandt hatte, waren von den Siebenburgs aufgehoben worden, und der Bote des Mädchens hatte sich als Schelm an ihr erwiesen, indem er statt nach Schweinau zu wandern, den kargen Lohn, den sie ihm gezahlt, für sich behalten und einen andern Auftrag angenommen hatte. Von den Briefen des Ritters, 251 die in falsche Hände gelangt waren, hatte der eine Kaiser Rudolf um Gnade für den treuen Diener gebeten, der andere Biberli gedankt und ihm gemeldet, daß sein Herr seiner gedenke und für ihn wirke.

Kätterle hatte Heinz erreicht, ihm bis ins einzelne mitteilen müssen, was sie von Eva und Biberli wußte, und war dann beauftragt worden, dem Diener zu wiederholen, was er dem Briefe schon anvertraut hatte. Auf dem Heimwege war sie indes nur bis Schwabach gekommen; denn das lange Wandern in schrecklicher Angst und bei strömendem Regen, bis sie sich zu Heinz durchgefragt hatte, besonders aber die furchtbaren Erregungen der letzten Tage, waren auch für ihren kräftigen Körper zu viel gewesen. Mit fliegenden Pulsen und glühendem Haupte hatte sie bei dem Fuhrmann Apel angeklopft, der sie in Schweinau auf seinen Wagen genommen, und bei dem braven Alten und seiner Hausfrau Aufnahme und Pflege gefunden. War die Macht des Fiebers aber auch bald gebrochen gewesen, hatte ihr doch die zurückgebliebene Schwäche untersagt, sich zu Fuß nach Schweinau zurückzubegeben, und da Apel erst im Anfang der nächsten Woche nach Nürnberg zu fahren gedachte, hatte sie sich bis dahin mit der Absendung des Boten begnügen müssen, der ihr Vertrauen getäuscht.

Wie schwer wurde Kätterle das Warten, und ihre Ungeduld erreichte den höchsten Grad, als, bevor sie wieder aufbrechen konnte, Reisige des Kaisers die Rosse bei dem Fuhrmann einstellten und meldeten, die Siebenburg und das feste Raubnest des Absbachers wären gebrochen. Wie Sankt Georg hätte Heinz Schorlin gekämpft. Jetzt hielten ihn nur noch die Burgen der Ritter Hirschhorn und 252 Oberstein zurück, deren Lage auf unzugänglichen felsigen Höhen die kaiserliche Streitmacht lange aufzuhalten drohte.

Daß die kerngesunde Schweizerin erkrankt sei, kam weder Biberli noch Eva in den Sinn; er aber frug sich in stillen Stunden, wen er wohl schmerzlicher auf immer missen möchte: die schöne junge Pflegerin oder die Landsmännin und Verlobte. Kätterle allein gehörte sein Herz; doch Eva gegenüber folgte er der alten, ihm eigenen Art und hängte sich so fest wie bis dahin an den Herrn, an diejenige, in der er jetzt schon die künftige Gebieterin erblickte.

Das sollte, das mußte sie werden, – schon weil ihm ohne den Klang ihrer Stimme das Leben nicht mehr wohlgefallen hätte. Eine reinere, tiefer ins Herz gehende hatte er nimmer vernommen, und wäre es Heinz vergönnt gewesen, mit anzuhören, wie sie mit den Herren Dominikanern sprach, er hätte von dem Wunsche, der Welt zu entsagen, gelassen und statt in das Kloster zu gehen, Leib und Leben daran gesetzt, um sich diese wunderbare Jungfrau zu eigen zu machen, für die er ja ohnehin in so heißer Minne entbrannt war.

Als sie auf der Weigerung bestand, den Schleier zu nehmen, weil sie erfahren, daß es auch mitten in der Welt angehe, in Frieden mit sich selbst zu leben, sich eins zu fühlen mit Gott und in Liebe und Treue den Fußspuren des Heilands zu folgen, hatte sie manches gütige Mahnungswort, manchen scharfen Tadel und manche herbe Drohung von den Dominikanern zu hören bekommen, aber sich nicht irre machen lassen und sich so klug und lebhaft zu verteidigen verstanden, daß ihm das Herz aufgegangen war und er sich gefragt hatte, wie denn eine 253 achtzehnjährige Jungfrau im stande sei, so willensstark, so klug und mit so großer Kenntnis der Schrift wohlunterrichteten frommen Herren, ja den allergelehrtesten und strengsten, stand zu halten.

Auch die Aebtissin Kunigunde war bisweilen an seinem Lager erschienen. Den Gesprächen Evas mit ihr hatte er entnommen, daß sie bei den Klarissinnen das Rüstzeug für den Widerstand gegen die Dominikaner gewonnen. Anfänglich war auch die würdige Frau mit aller Dringlichkeit bestrebt gewesen, sie für das Kloster zurückzugewinnen; vorgestern aber war sie mit zwei Dominikanern zusammengetroffen, und die deutlichen Bemühungen namentlich des einen, der eine hervorragende Stellung unter den Seinen einzunehmen schien, Eva für seinen Orden zu gewinnen und sie den Klarissinnen, die ihm auf weniger Gott gefälligen Wegen zu wandeln schienen, abwendig zu machen, war der Aebtissin so nahe gegangen, daß ihr die Kraft und vielleicht auch der Wille versagt hatten, die ihr sonst eigene Ruhe zu behaupten. Gestern war sie dann auch dem Wunsche der Nichte, in der Welt zu verbleiben, weniger lebhaft als sonst entgegengetreten, ja sie hatte sie beim Abschied in die Arme geschlossen und ihr gleichsam die Freiheit zurückgegeben, indem sie bekannt, daß verschiedene Wege in das Himmelreich führten.

Das war dem Genesenden Balsam auf die Wunden gewesen; denn er hegte keinen heißeren Wunsch, als seinen lieben Herrn an den Traualtar zu begleiten, an dem Eva Heinz Schorlin als sein vielgetreues Gemahl die Hand reichen würde, und der letzte Besuch der Aebtissin schien diesem Verlangen Vorschub zu leisten. Außerdem hatte er, der sich offenen Auges im Leben umgeschaut, nie 254 gesehen, daß ein tapferer junger Streiter, bald nachdem er wohlverdienten Ruhm geerntet, nach der Mönchskutte Verlangen getragen hätte. Zweifel, Leid und eine furchtbare Gefahr, der er wunderbar entronnen, hatten den fröhlichen Heinz mit dem Wunsche beseelt, der Welt zu entsagen; jetzt nahm es vielleicht der Himmel selbst auf sich, ihm zu zeigen, daß er ihn nicht am Leben erhielt, um sich in ein Kloster zu vergraben, sondern um ihn mit dem schönsten und herrlichsten seiner Geschenke zu segnen: die Minne eines Weibes, dessengleichen es nach seiner Meinung nicht gab, so weit der Himmel blau war.

Gräfin Cordula taugte nicht für seinen Herrn. Hundert Gründe hatten ihn während des langen Stillliegens in dieser Meinung bestärkt. Derjenige, für den er so große Schmerzen standhaft ertragen und immer noch litt, war dazu einer schöneren, frömmeren, stetigeren Gefährtin würdig, ja der holdseligsten und besten, und das war in seinen Augen diejenige, für die Heinz vor dem unseligen Spielgewinne die Leidenschaft so gewaltig ergriffen. Dieses mächtige Liebesfeuer konnte wohl mit Sand und Asche niedergehalten werden, verlöschen. aber ließ es sich nimmer.

So dachte Biberli und vergegenwärtigte sich den gestrigen Tag. Er hatte Eva weniger gleichmäßig bei ihrem liebreichen Walten gefunden als sonst. Eine Sorge, die etwas anderes betraf wie ihre Kranken, schien sie zu bedrücken. Zwar hatte sie es nicht eingestehen wollen; aber sein Auge war scharf.

Heute morgen hatte sie ihm, bald nach Sonnenaufgang, den Verband am zerquetschten Daumen, der noch immer nicht heilte, sorgsam erneuert. Dann war sie 2553 fortgegangen, und zwar, wie sie versichert hatte, nur auf wenige Stunden. Jetzt stand die Sonne schon ziemlich hoch, und sie kehrte und kehrte nicht zurück, obgleich die Stunde längst vorüber, in der die Umschläge erneut und dem todkranken Minoriten in der Nebenkammer die Tropfen, die ihn am Leben erhielten, gereicht werden mußten. Das beunruhigte ihn, und als die Sorge einmal Wurzel in ihm geschlagen, versandte sie ihre Triebe vorwärts und rückwärts, und es kam ihm mancherlei in den Sinn, was an Eva gestern anders als früher gewesen. Warum hatte sie so lange mit dem Schultheißen geflüstert und dann so traurig auf ihn, Biberli, hingeschaut? Weshalb war Frau Christine gestern nachmittag nicht weniger als dreimal und gegen Abend noch einmal gekommen? Auch mit dem Medicus Otto hatte sie etwas Geheimes besprochen. War eine Veränderung in seinem Befinden eingetreten und hatte der Arzt im Sinne, ihn des Daumens oder gar der Hand zu berauben? Aber nein! Gestern noch war ihm versichert worden, er könnte alle fünf Finger und auch den schwer beschädigten linken Fuß behalten. Die Witwe befand sich besser, und daß es mit dem Minoriten zu Ende ging, stand ja schon seit vorgestern außer Frage. Evas Sorge mußte sich auf etwas anderes beziehen, und auffahrend frug er sich, ob sie etwa schlimme Kunde von seinem Herrn oder Kätterle erhalten.

Eine große Unruhe befiel ihn. Das Bedürfnis, wem es auch sei, die Besorgnis anzuvertrauen, die sich seiner bemächtigt, ergriff den gesprächigen Mann, und er rief darum die kleine Walpurga aus der Nebenkammer zu sich. Doch statt auf sein Lager, eilte sie mit dem frohen Rufe: »Sie kommt!« der Thür und Eva entgegen.

256 Bald darauf trat diese mit dem Kinde an der Hand in das Zimmer. Als ginge die Sonne noch einmal auf, war es dem Diener. Wie heiter klang auch ihr Gruß, etwas wie Gutes schien ihm der Blick ihrer blauen Augensterne im voraus zu verkünden. Wem diese Jungfrau angehörte, der war wohl geborgen, in dessen Hause fehlte es nicht an Licht, wie dunkel die Nacht auch heraufzog.

Was die Sorge anging, die sie vorhin um seinetwillen bedrückt zu haben schien, mußte er falsch gesehen haben. Statt des Schlimmen brachte sie ihm vielmehr ganz gewiß etwas Gutes. Ja, das allerbeste war es; denn Kätterle, vertraute ihm Eva, würde bald kommen. Doch auch seine Braut sei leidend gewesen. Die Wangen hätten sich ihr noch nicht wieder runden und das frische Rot noch nicht zurückgewinnen wollen.

Da wurde der scharfblickende Biberli aufmerksam und rief: »Dann ist sie schon hier! Denn, Herrin, woher wüßtet Ihr sonst, wie es mit ihren Wangen bestellt ist?«

Bald darauf stand die Heimgekehrte auch wirklich am Lager des Genesenden.

Eva ließ beide sich des Wiedersehens ungestört freuen und begab sich in die Kammer der beiden anderen Kranken. Als sie zu den Neuvereinten zurückkehrte, hatte Kätterle schon berichtet, was sie in Schwabach erfahren. Es war nicht viel mehr gewesen, als was Eva schon von dem Oheim und anderen vernommen. Daß Seitz Siebenburg, den er mit großem Ungestüm haßte, von der eigenen Hand seines Herrn im Schwertkampfe gefällt worden sei, berichtete Biberli mit der lebhaftesten Freude. Zum Verdruß gereichte ihm nichts von dem Gehörten, als das Ausbleiben des Boten und die 257 Wahrscheinlichkeit, daß noch einige Zeit vergehen würde, bis Heinz das Schwert in die Scheide stecken konnte.

Wohl röteten sich Eva die Wangen vor Freude und Stolz, als sie wiederholen hörte, wie herrlich der Geliebte das Vertrauen seines kaiserlichen Gönners rechtfertigte. Dem Redefluß Biberlis bis ans Ende zu folgen, schien ihr aber unmöglich. Sie war in Eile, und was die Sorgen anging, die sie bedrückten, hatte er recht gesehen.

Gestern schon war sie bangen Herzens an sein Lager getreten und hatte alle Kraft aufbieten müssen, um die Angst, die sie für ihn erfüllte, vor ihm zu verbergen; denn wenn sie nicht heute noch, wenn sie nicht ungesäumt für ihn eintrat, wenn seine Begnadigung nicht noch während der Sitzung des Rugamtes in der Frühe des morgenden Tages auf dem Rathause verkündet werden konnte, dann mußte der nur halb Genesene sich zum andernmale den Richtern stellen, und auch Medicus Otto war der Meinung, die Folter würde seinem geschwächten Leibe verhängnisvoll werden.

Der Schneider und sein Anhang setzten, wie Eva von dem Schultheißen wußte, alles daran, um seine Verurteilung zu bewirken und der Stadt damit zu beweisen, daß sie nicht bloß als leichtfertige Verleumder das Treiben im Ortliebschen Hause verdammt hätten. Auch Eva und ihre Schwester würden bei der Untersuchung wieder genannt werden, und es drohte ihnen sogar, selbst vernommen zu werden.

Das hatte sie anfangs erschreckt, doch die Versicherung des Oheims, dies Verhör würde ihre Schuldlosigkeit vollends, und zwar vor aller Welt erweisen, war ihr glaubhaft erschienen. Um ihrer selbst willen hätte Eva 258 sich gewiß nicht Tag und Nacht von so schwerer Angst quälen lassen und so viel unternommen und zu wagen beschlossen. Der Gedanke, der treue Mann, den sie und ihre geduldige Pflege dem Tode abgerungen und den sie liebgewonnen hatte, sollte nun dennoch ums Leben gebracht und Heinz Schorlin der Möglichkeit beraubt werden, das Seine für ihn zu thun, war es vielmehr, was jede andere Befürchtung tief in den Schatten gedrängt und sie gestern abend und heute morgen in Bewegung gehalten hatte.

Aber was sie und mit ihr Frau Christine auch für den schwer Bedrohten unternommen, – alles war vergebens gewesen. Sich nochmals an den Kaiser zu wenden, hatte jedermann und auch der Schultheiß für unthunlich erklärt, nachdem selbst der Burggraf eine Zurückweisung erfahren.

Die Ehrbaren vom Rate und die Schöffen im Rugamt hatten auf die Fürsprache Frau Christinens hin die Verhandlung schon tagelang aufgeschoben; jetzt aber verbot das Gesetz, noch länger von ihr abzusehen. Hätten die einzelnen den Angeklagten auch gern mit der Folter verschont, wäre ihre Anwendung doch kaum zu umgehen gewesen; denn wie viele Kläger und Zeugen traten gegen ihn auf, und kam es zu schwer belastenden Aussagen und wenig glaubhaften Entgegnungen des Angeklagten, so war die Tortur doch nicht zu vermeiden. Sie gehörte von Rechts wegen in den Lauf der Untersuchung, und wie viele, die von der letzten Folter noch keineswegs genesen, mußten fortwährend in die Marterkammer treten. Die Schöffen wurden von dem Schneider und seinem Anhang in dieser Angelegenheit ohnehin der Parteilichkeit geziehen, 259 und hier so augenfällig Gunst zu üben, drohte dem Ansehen des Gerichtshofes zu schaden.

Auf guten Willen war sie überall gestoßen, – doch vor einer festen Zusage hatte sich jeder gehütet. Es war auch so leicht, sich hinter die klangvollen Worte »Recht« und »Gesetz« zurückzuziehen, und dann: Wer mochte einem Herrenknechte zu gefallen, der noch dazu einem fremden Ritter diente, den Handwerkerstand, der die Sache des Schneiders zu der seinen gemacht, mit gerechtem Unwillen erfüllen?

Was Muhme und Nichte auch versucht hatten, es war völlig oder doch halb mißlungen. – Eva hatte sich ohnehin zurückhalten müssen, um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, für die eigene Sache zu reden; von Frau Christine aber mochte mancher denken, sie spreche für den Diener und meine die verleumdeten Töchter des Bruders.

Als Eva Kätterle vor dem Siechenhause getroffen hatte, war sie, ohne sie zu bemerken, an ihr vorübergegangen, so tief hatten Kummer, Sorge und das Sinnen nach einer Auskunft sie in Anspruch genommen.

Da war es ihr denn sauer genug gefallen, Biberli unbefangen entgegenzutreten; doch es war ihr sogar gelungen, der Botengängerwitwe sowie dem Pater Benedictus, dessen Stunden gezählt zu sein schienen, und der ihr gestern noch bitter weh gethan hatte, ein heiteres Gesicht zu zeigen.

Als sie aus der Kammer des greisen Minoriten in die Biberlis zurücktrat, war das Liebespaar nicht mehr allein. Von seinem Lager aus schaute ihr das frische, freundliche Gesicht einer derben Frau entgegen, die den Leidenden schon mehrmals besucht.

260 Da ihr Blick, während sie einander begrüßten, dem Evas begegnete, fand diese plötzlich, wonach sie lange vergebens gesucht. Die »Berner Gertrud« konnte ihr helfen, das Wagnis auszuführen, das sie in der letzten Not auf sich zu nehmen gedachte; denn sie war die Hausfrau des Schweizer Thorhüters im burggräflichen Schlosse. Ihr fiel es gewiß nicht schwer, ihr Zutritt zu der Frau Burggräfin Elisabeth zu verschaffen. Vermochte die hohe Frau nicht selbst zu helfen, so war es ihr doch gestattet, sie – bei diesem Gedanken wich ihr das Blut aus den Wangen, aber sie hielt trotzdem an ihm fest – sie zu ihrem Bruder, dem Kaiser, zu führen.

Als Eva Frau Gertrud leise eröffnete, was sie auf der Burg zu bewirken hoffte, erfuhr sie, der Kaiser sei mit der Erzherzogin Agnes und einem zahlreichen Gefolge in den Reichsforst geritten, um der böhmischen Schwiegertochter die Bienenzucht der Zeidler zu zeigen und werde kaum vor Sonnenuntergang zurückkehren; die Frau Burggräfin aber sei wegen eines leichten Unwohlseins zu Hause geblieben.

Trotzdem wollte Eva sich auf die Burg begeben, und welche Aufnahme ihr auch von seiten der hohen Frau zu teil ward, möglichst bald nach Schweinau zurückkehren; denn es stand so schlecht um Pater Benedictus, daß sie nicht lange fern von ihm bleiben durfte.

Konnte die Burggräfin nichts für Biberli thun, dann wollte sie sich des Wagnisses unterfangen, vor dem sie zitterte, weil es sie, die Jungfrau, zwang, sich ganz allein an den Hof mit all seinen spähenden Augen und scharfen Zungen zu begeben. Noch einmal wollte sie dann auf die Veste, um den Kaiser selbst um Gnade anzuflehen.

261 Gerade heute konnte sie sich ganz frei bewegen; denn der Oheim war in die Stadt geritten und gehörte, wie Frau Gertrud versicherte, zu denen, die den Kaiser zu den Zeidlern begleiteten; die Muhme aber hatte sich vorhin nach Nürnberg tragen lassen, um Els aufzusuchen, die sie in einem verzweiflungsvollen Schreiben angefleht hatte, sie nach Schweinau kommen zu lassen, weil ihre Widerstandskraft erschöpft sei.

Wie gern hätte Eva die Muhme zu der Schwester begleitet, um ihr Mut einzusprechen.

Welche merkwürdige Umkehrung der Dinge!

So lange sie denken konnte, hatte Els sie mit ihrer überlegenen Kraft und Beharrlichkeit aufrecht erhalten; jetzt sollte sie die Stärkere sein und sie Geduld üben lehren!

Das Recht dazu meinte sie sich erworben zu haben.

Während Eva Frau Gertrud noch eröffnete, was sie im Sinne trug, bemerkte sie selbst, daß sie die Zeit nicht mit in Rechnung gezogen.

Es war bald Mittag, und ließ sie sich in der Sänfte zur Stadt tragen und wieder zurück nach Schweinau, wäre es zu spät geworden, um dem Kaiser als Bittstellerin zu nahen. Nur wenn sie ritt, ließ ihr Vorhaben sich zur Ausführung bringen; doch die Thorhütergattin gab Eva zu bedenken, daß es gegen den Gebrauch verstoßen, ja kaum angehen würde, dem Kaiser oder auch nur seiner hohen Schwester im Reitkleid aufzuwarten.

Der heiße Wunsch zu helfen, ließ das Mädchen indes schnell eine Auskunft finden. Auf ihrem flinken Zelter, den der Oheim längst nach Schweinau hatte bringen lassen, damit sie sich durch einen Ritt von ihren erschöpfenden Pflichten erhole, wollte sie in die Stadt 262 traben, im Ortliebhofe vorsprechen und ihre neuen kostbaren Trauerkleider auf die Burg bringen lassen. Es fragte sich nur, ob sie sich in der Wohnung des Schweizers umkleiden konnte, und ob Frau Gertrud ihr dabei hilfreiche Hand leisten wollte.

Dazu war die Schweizerin mit Freuden bereit. Weder fehlte es in ihrem Quartiere an Raum dazu, noch ihr, die der Burggräfin, bevor sie den Thorhüter geheiratet, viele Jahre als Gürtelmagd gedient hatte, an Geschick und gutem Willen.

So begab sich denn Frau Gertrud auf ihrem Maultiere sogleich nach Hause; Eva aber kehrte, nachdem sie dem Kranken bald wiederzukehren verheißen, in das Schlößchen des Oheims zurück.

Dort bestieg sie den Zelter und erreichte eine gute Weile vor der Schweizerin das Stadtthor. Im Ortliebhofe war schnell ausgesucht, wessen sie bedurfte. Dann begab sie sich in der Sänfte mit ihren Sachen auf die Veste, und der Roßknecht führte ihr den Zelter dorthin nach. Gräfin Cordula hatte sie nicht zu Hause gefunden; denn auch sie war mit dem Kaiser in den Reichsforst geritten.

Die Burggräfin Elisabeth zeigte sich gern bereit, das anmutige Kind zu empfangen, dessen Schicksal ihr warme Teilnahme einflößte. Eben war ihr erst das Schönste und Beste von Eva berichtet worden; denn ihr Siechtum hatte den Medicus Otto zu ihr geführt, und der alte Herr war übergeflossen vom Lobe beider Schwestern. Entrüstet gedachte er auch der schnöden Verleumdungen, in die sich der Name des Ritters Schorlin mischte, und die schändliche Bosheit an die unschuldigen Jungfrauen, für deren reine Sittsamkeit er einstehe, geheftet.

263 Die hohe Frau, die sich wohl erinnerte, Heinz beim Tanz auf Eva hingewiesen zu haben, verstand sehr wohl, daß diese beiden einander anziehen mußten. Von allen Rittern im Gefolge ihres kaiserlichen Bruders schien der hohen Dame keiner würdiger ihrer Gunst als der frische, junge Landsmann, dessen Mutter ihr in der Jugend nahe gestanden. Gerade ihm hätte sie sich mit Freuden dienlich erwiesen, und zwar in diesem Falle nicht nur um seiner selbst, sondern vielmehr auch um der seltenen Treue seines Dieners willen, der ja gleichfalls ihren geliebten Schweizerbergen entstammte. Aber diese Angelegenheit noch einmal vor den Kaiser zu bringen, schien ihr trotz alledem unmöglich. Sie kannte den Gemahl, und nach der Zurückweisung, die er wegen des gefolterten Mannes erfahren, würde er ihr zürnen, wenn auch sie sich vor dem erhabenen Bruder seiner annähme.

Aber ihr gutes Herz und das Wohlgefallen, das Eva wie Heinz Schorlin ihr einflößten, bestärkten sie in dem Verlangen, der wackeren Jungfrau, die ihre Sache mit so redlicher Wärme zu führen wußte, so weit es sich thun ließ, Beistand zu leisten, und die Erklärung der Bittstellerin, sich im äußersten Falle in eigener Person an den Herrscher zu wenden, zeigte ihr den Weg, den guten Willen zur That zu machen.

Mochte Evas Jugend und Schönheit denn versuchen, den Kaiser zu einem Gnadenakte zu bewegen, dessen Erlaß er der Weisheit und Macht abgeschlagen hatte.

Nach dem Abendmahl empfing ihr Bruder die verschiedensten Gäste, und eine Nürnberger Patriziertochter, die ihm schon bekannt und deren seltene Anmut ihm aufgefallen war, ihm zuzuführen, das lag in ihrer Macht.

264 Obgleich sie von dem Ritt in den Forst hatte fern bleiben müssen, war sie doch wohl genug, in der ihrer Burg nah gelegenen des Kaisers bei der Abendmahlzeit zu erscheinen. Wenn die Tafel aufgehoben war, wollte sie Eva dann dem hohen Bruder in eigener Person zuführen.

Das eröffnete sie ihr, und der Dank, den sie dafür erntete, war so hold und warm, daß es ihr das Herz bewegte und sie das schöne, mutige Kind beim Abschiede in die Arme schloß und küßte.

 

 


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