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Die Beisetzung des prächtigen Sarges Frau Maria Ortliebs unter dem Pflaster der Kapelle ihres Geschlechtes war vorüber. Die geringe Zahl der Teilnehmenden hatte die Kirche verlassen. Nur der Witwer war mit seinen Töchtern in der Kapelle zurückgeblieben, und da er sich selbst von den wenigen ungesehen wußte, die noch außer ihm und den Seinen im Gotteshause weilten, schloß er die Mädchen mit verhaltenem Schluchzen ans Herz.
So tiefen Jammer, so schwere Seelennot meinte er noch nie erfahren zu haben. Es war ihm nicht einmal vergönnt worden, von der geliebten Gefährtin in reinem Schmerz Abschied zu nehmen; denn bitterer Groll hatte sich ihm in den Kummer gemischt.
Nach dieser Beisetzung mit den Töchtern allein im eigenen Hause zu bleiben und ihren Fragen zu begegnen, schien ihm unmöglich.
Die Sitzung des Rates, die bald beginnen mußte, diente ihm zum Vorwand, sich von den Töchtern zu trennen. Was ihm eben angethan worden war, hatte Eva verschuldet, aber er wußte aufs genaueste, was sich mit dem unerfahrenen Mädchen und Heinz Schorlin 93 zugetragen, und darum auch, wie gering ihre Schuld war. Sie zu tadeln erschien ihm gleich schwer, wie sich gelassen mit ihr und der verständigen Els zu besprechen, was unter den obwaltenden Umständen zu thun sei; stand es doch ohnehin bei ihm fest, daß Eva jetzt nichts übrig blieb, als ungesäumt den Schleier zu nehmen, nach dem es sie ja von Kind an verlangte. Die Aebtissin Kunigunde, seine Schwester, hielt ihr die Thore des Klarissinnenklosters offen. Sie hatte den Mädchen versprochen, sie daheim zu erwarten. Beim Abschied bat er die Töchter nur, nicht auf ihn zu warten, weil der Rat nachher über das Schicksal der Eysvogelschen Handlung entscheiden würde und die Sitzung lange dauern könnte.
Da schaute ihm seine Els mit einem so dringlich flehenden Blick in die Augen, daß er ihr gerührt zunickte und im Tone des innigsten Bedauerns anhob: »Ich hülfe Deinem Wolff ja mehr als gern, liebes Mädchen; er bekannte Dir ja aber schon selbst, wie es steht. Was frommte es, wenn ich mich und euch mit mir für die Eysvogels und ihr morsches Haus zum Bettler machte? Hart bleiben gilt es jetzt, um Wolff und Dir, Els, später den Weg zu ebnen. Könnte Berthold Vorchtel sich entschließen, gemeine Sache mit mir zu machen, so stünde es anders; doch gerade er rief den Rat als Kläger zusammen. Und wenn er es ist, der den wankenden Bau zu Fall bringt, wer kann's ihm verdenken? Aber wie es auch kommt. Was ich verständigerweise für die Unglücklichen thun kann, das wird geschehen, mein Mädchen.«
Damit küßte er der älteren Tochter die Stirn, gewährte der jüngeren eilfertig das gleiche und verließ die Kapelle. Els aber hielt ihn zurück und raunte ihm zu: 94 »Was uns hier zugefügt ward, laßt es Euch nicht zu nahe gehen, Herr Vater. Es galt weder ihr, deren Frieden nichts mehr stört, noch Euch. Wir allein sollten . . .«
»Euch freilich,« fiel ihr Herr Ernst bitter ins Wort, »wollten sie zu fühlen geben, wie hoch erhaben sie sich in ihrer Tugend über euch dünken, die ihr besser und reiner seid als sie alle. Richte nur auch Eva den Mut auf! Ich sprach schon mit dem Ohm Schultheiß und der Muhme Christine. Ihr zogt sie ja selbst ins Vertrauen, – und gemeinsam wollen wir zusehen, wie man der Schlange aufs Haupt tritt.«
Damit entfernte er sich, Els aber kehrte zu der Schwester zurück, und nach einem kurzen Gebete verließen sie gesenkten Hauptes die Kirche.
Draußen warteten ihrer die Sänften. Jede wurde einzeln nach Hause getragen; beide aber zogen, trotz des hellen Sommerwetters, die Vorhänge zu, um ungesehen zu weinen und sich zu fragen, wie der Verstorbenen und ihnen selbst dergleichen hatte angethan werden können.
Glänzend war bei Hoch und Gering die Achtung vor dem Namen Ortlieb zur Geltung gekommen, als man die Leiche seines in der Schlacht gefallenen Sohnes in der Kapelle seines Geschlechtes beigesetzt hatte. Und die Mutter? Wie so manchem war sie wert und teuer gewesen, wie vielen hatte sie Gutes, Liebes, Freundliches erwiesen, wie groß war die Teilnahme der ganzen Stadt bei ihrer Erkrankung gewesen, und wie viele aus allen Ständen hatten sich zu der Seelenmesse eingefunden. Und nun bei der Bestattung, die eben vorüber?
Die Ehrbaren vom Rate waren freilich um des Vaters willen vollzählig erschienen; von ihren Frauen aber kaum 95 die Hälfte. – Von ihren Töchtern – Els hatte sie gezählt – im ganzen nur neun, und darunter nur drei, die sie ihre Freundinnen nannte. Die anderen waren doch wohl nur aus Neugier gekommen. Und das Volk: die Handwerker, die geringen Leute, die in unabsehbarer Menge den Sarg des Bruders zur Ruhe begleitet und bei der Seelenmesse das weite Schiff von St. Sebald gefüllt hatten? Ein dünnes Häuflein war es gewesen. Nur die Klarissinnen hatten sich bis auf die letzte Laienschwester eingefunden. Sie waren freilich der Mutter zu großem Danke verpflichtet und ihre Aebtissin die Schwester des Vaters. Sonst hatte es nur wenige Frauen zu sehen gegeben, außer den alten Weibern aus den Spitteln und Kinderstuben, die nirgends fehlten, wo es zu weinen gab oder zu lästern. Beim Gang durch das Kirchenschiff in die Kapelle waren die Schwestern an einer Gruppe von jüngeren Gesellen und Mädchen vorbeigekommen, die sich einander in so verletzend unehrerbietiger Weise angestoßen und allerlei zugeflüstert hatten, daß Els bemüht gewesen war, Eva so schnell wie möglich an ihnen vorbei zu ziehen.
Ihr Wunsch, die empfindlichere Schwester möge die häßlichen Geberden und kränkenden Worte der grausamen Buben und Dirnen nicht bemerken, war in Erfüllung gegangen. Freilich fühlte auch Eva mit lebhafter Entrüstung, daß ihrer geliebten Verstorbenen viel zu geringe Ehre widerfahren, daß die verblendeten Leute den Verleumdern glaubten, die ihrer Els noch weit Schlimmeres nachsagten als ihr selbst, und die arme Mutter, die wie eine Heilige gelebt und gelitten, hatten büßen lassen, was sie den Töchtern vorwerfen zu dürfen meinten; der Spott und die Verachtung aber, die dem Vater und der Schwester von mehr als einer Seite her in mancherlei Gestalt sich aufgedrängt hatten, waren ihr völlig entgangen. Zu einem eigenen, von den Anforderungen der Welt abgesonderten Denken und Empfinden hatte sie sich von früh an selbst erzogen. Worauf ihr Geist oder Gemüt sich richtete, das erfaßte sie ganz; hier aber war sie von der letzten stillen Rücksprache mit der Entschlafenen in Anspruch genommen worden, und ein Blick auf die in der Kirche Versammelten hatte ihr alles gezeigt, was sie von ihrer Umgebung zu wissen begehrte.
Heinz war schon vorgestern ins Feld gezogen. Auch ihm hatte ihr stummes Zwiegespräch gegolten. Wie machte er es ihr doch so schwer, festzuhalten an dem Entschluß, den sie in der Seelenmesse gefaßt, da er sich fern von ihr hielt und ihr auch nicht das kleinste Zeichen seines Gedenkens zukommen ließ. Zwar wiederholte ihr eine innere Stimme fortwährend, daß er so wenig von ihr lassen könnte, wie sie von ihm; dennoch aber bäumte ihr jungfräulicher Stolz sich gegen die Vernachlässigung auf, mit der er sie kränkte. Der trotzige Wunsch, ihn für seinen Aufbruch ohne Gruß und Abschied zu strafen, drängte sie wieder dem Kloster entgegen. Täglich hatte sie dort viele Stunden verbracht und in seinem stillen Frieden sich besser und wohler befunden als im Vaterhause oder wohin sie sonst sich begeben. Dort war die Muhme Aebtissin ihr auch wieder näher getreten. Zwar hatte sie Eva mit keinem Worte zu einer bestimmten Erklärung gedrängt, ihr aber deutlich genug zu fühlen gegeben, wie schmerzlich sie es empfinden würde, wenn sie, ihre Schülerin, es über sich gewänne, die Hoffnungen zu täuschen, die sie selbst in ihr genährt. Weigerte sie sich den Schleier zu nehmen, war 97 die gütige Freundin dann nicht berechtigt, sie einer Undankbarkeit sondergleichen zu zeihen, und auf wessen Meinung gab sie auch nur halb so viel wie auf die ihre, wenn sie von dem Geliebten absah, dessen Wertschätzung ihr höher stand als die der ganzen übrigen Welt?
Er war besser als sie, und wer konnte wissen, welcher triftige Grund ihn noch von ihr fern hielt? In die Andacht, die sie im Kloster gefunden, hatten sich zahllose weltliche Wünsche gemischt, und war es nicht die Aebtissin selbst gewesen, die sie gelehrt, ohne Rücksicht auf einzelne Menschen und ihr Urteil den für recht erkannten Forderungen der eigenen Natur, die im Einklang standen mit dem Willen des Höchsten, unentwegt Folge zu leisten? Und mit wie lauter Stimme gebot ihr alles, was in ihr war, festzuhalten an ihrer Minne! Sie hatte die Entscheidung getroffen, doch der gekränkte Stolz, die Erinnerung an die wohlig stillen Friedensstunden im Kloster, und allem voran die Furcht, die teure Leiterin ihrer Kindheit zu kränken, hielten sie von der festen und unwiderruflichen Bestimmung zurück, zu der ihr dem Schwanken und Zaudern abholdes Wesen sie drängte.
Je näher die Sänfte dem Ortliebhofe kam, desto schneller schlug ihr das Herz; denn heute noch, wahrscheinlich schon in der nächsten Stunde, würde die Aebtissin sie nötigen, zwischen dem Vaterhause und Kloster zu wählen.
Bleich und tief atmend entstieg sie bald nach Els dem Tragstuhl. Es war draußen sehr heiß gewesen. In dem gewölbten Soler mit den undurchdringlich festen Mauern umfing sie kühlere Luft, und eine frischere und 98 reinere, und dazu auch noch – wenigstens für die nächsten Stunden – ungestörten Frieden, hoffte sie in ihrem Gemache zu finden.
Doch was hatte das zu bedeuten?
Bei ihrem Eintritt war das Gespräch, das Els eben erst mit einigen anderen Frauen neben der Schreibstube begonnen haben konnte, plötzlich zum Schweigen gekommen. Es mußte mit Rücksicht auf sie verstummt sein; denn der bedeutungsvolle Blick war ihr nicht entgangen, mit dem die Schwester eben auf sie hingeschaut und den Finger dann von den Lippen entfernt hatte.
Jetzt trat auch die Aebtissin, die eine Wand von über einander gestellten Kisten bisher ihren Blicken entzogen, hervor und legte einem kleinen, ältlichen Weibe, das rot vor Erregung mit der Haushälterin Martsche, der das alte Kinn zitterte, gestritten haben mußte, die Hand auf die Schulter.
Sonst kümmerte sich Eva wenig um die Zänkereien des Gesindes; dieser Streit schien sich aber auf sie selbst zu beziehen, und seine Ursache konnte nicht gering sein, weil Muhme Kunigunde an ihm teil nahm.
Kaum hatte sie sich aber den anderen Frauen genähert, als die Aebtissin sie beiseite nahm und ihr einige bedeutungslose Fragen vorlegte. Sie sollten sie wohl von den Streitenden fern halten; Eva aber kannte das kleine Weib, und es verlangte sie, zu erfahren, was der Vorklerin augethan worden sei, die sich stets als eine bescheidene, ja demütige Wittib erwiesen. Ihr Eheherr selig hatte dem Ortliebschen Hause als Frachtfuhrmann, der sein Sechsgespann bis nach Mailand lenkte, treulich gedient, bis er in Tirol während der 99 Willkürzeit vor der Thronbesteigung Kaiser Rudolfs bei einem Ueberfalle räuberischer Ritter das Leben gelassen.
Unter Beistand des Herrn Ernst Ortlieb hatte die Wittib dann einen kleinen Handel mit Wachskerzen, Heiligenbildern, Rosenkränzen und bescheidenen Firmelungsgeschenken angelegt und sich mit ihren sieben Kindern redlich durchgeschlagen. Ihr ältester Sohn, der hüftlahm war und für schwere Arbeit nicht taugte, half ihr in der Handlung, ihr Jüngster aber war der Knecht Ortel, der Eva am Tage der Einsegnung der verstorbenen Mutter mit dem Korbe in den Wald gefolgt war. Ihre Tochter Metz stand als Gehilfin der Oberköchin gleichfalls im Dienste der Ortliebs.
War Frau Vorklerin einmal gekommen, um nach den Kindern zu sehen, hatte sie ihrer unterthänigen Erkenntlichkeit nicht lebhaft genug Ausdruck geben können; heute aber war sie wie verwandelt.
Schon die kurze Unterredung der Aebtissin mit Eva schien ihr zu lange zu dauern, und als die Muhme ihr gebot, ihre Sache nachher mit Els und der alten Martsche allein zu Ende zu führen, fuhr sie auf und versicherte, bei aller schuldigen Ehrfurcht vor der Frau Aebtissin, doch auch der Jungfrau Eva zu Gemüte führen zu müssen, was sie, ein tugendsam Weibsbild mit dankbarem Herzen bewege, ihre Kinder aus dem Dienste der Herrschaft zu ziehen, für die ihr Eheherr selig das Leben gelassen.
Da versuchte Els, die das beleidigende Anliegen der Witwe jedenfalls vor Eva zu verbergen wünschte, die Vorklerin zum Schweigen zu bringen; sie aber widerstand ihr trotzig und fuhr mit verdoppeltem Eifer fort, sie müsse reden, wenn es ihr das Herz nicht abdrücken sollte. Und 100 nun erklärte sie, daß sie stolz darauf gewesen sei, ihre Kinder in einem so frommen Hause untergebracht zu haben. Jetzt aber sei hier alles anders geworden, und wenn es ihr auch bis ins Innerste wehe thue, müsse sie auf dem Verlangen bestehen, die Metz und den Ortel seinem Dienste zu entziehen. Sie lebe von der Frömmigkeit der Leute, die es nach Kerzen für die lieben Heiligen und nach Schapeln für das Gebet verlange; aber auch die Frömmsten hätten die Augen überall, und wenn es ruchbar würde, daß ihre jungen Kinder in einem Hause dienten, wo solche Dinge vorkämen, wie sie, Gott sei's geklagt, in der ganzen Stadt den Töchtern dieses Hauses nachgesagt würden . . .
Hier unterbrach die alte Martsche das aufgebrachte Weib mit ehrlicher Entrüstung; doch die Vorklerin ließ sich nicht zum Schweigen bringen, sondern fuhr mit der Frage fort, was ein armes Ding wie ihre Metz außer ihrem guten Leumund denn habe? Wie schnell ließe sich einer Siebenzehnjährigen etwas anhängen, wenn sie in einem Hause diene, dem die Ehrbarkeit abgesprochen werde. Damit aber habe man schon begonnen, seit man die beiden Ortliebstöchter die »schönen« statt die frommen und »tugendsamen« E's benamset. Jetzt sehe man ja, wie solch Hervorheben von Antlitz und Gestalt christlichen Jungfrauen fromme. Gestern und heute hätte sie ihrem Heiligen eine Dreihellerkerze geweiht zum Danke, daß diese Greuel der Frau Mutter selig nicht mehr zu Ohren gekommen. Die Verblichene sei eine wahrhaft fromme Edelfrau gewesen, und ihre Seele werde es ihr 101 Dank wissen, wenn sie den mutterlosen Töchtern zu Gemüte führe, daß der Weg, auf den sie leichten Sinnes geraten . . .
Das war auch dem Knecht Ortel, der, von hochaufgetürmten Säcken verborgen, dieser Verhandlung beigewohnt hatte, zu viel gewesen, und mit bittend erhobenen Händen trat er nun der Mutter entgegen und flehte sie an, sich zu hüten, den schlechten Menschen nachzusprechen, die sich erdreisteten, auf die holdseligen Jungfrauen, die rein und schuldlos wären wie ihre Heilige selbst, Steine zu werfen.
Armer Ortel! Seine überströmenden, guten, jungen Augen baten so rührend mit, daß es einen Stein hätte erweichen können; die empörte Kerzenhändlerin deutete aber seine redliche Bewegung falsch, und sicherlich wäre er mit seiner Rede nicht so weit gekommen, hätten Aerger und Ueberraschung seine Frau Mutter früher zu Worte kommen lassen. Doch die Fähigkeit, die Zunge zu gebrauchen, ließ die Vorklerin niemals lange im Stich, und mit welcher Flut von Schmähungen über die verderbte Jugend dieser Zeit, die vergesse, was sie der leiblichen Mutter an Dankbarkeit und Ehrfurcht schulde, begann sie. Als aber der treue, im Ortliebschen Dienste ergraute Oberknecht Endres, dessen Aufsicht Ortel, der beim Aufladen half, unterstellt war, sie zur Ruhe verwies und ihr gebot, das Haus zu verlassen, und ihr Sohn, statt ihr zu folgen, sich zu dem alten Lehrherrn hielt, ging die Vorklerin in Klagen über die Verderbnis der ganzen Welt über und ließ es dabei nicht an Seitenhieben auf die beiden Töchter des Hauses fehlen.
Aber auch damit kam sie nicht weit; denn die Aebtissin 102 führte Eva die Treppe hinan, und die beiden Alten unter der Dienerschaft des Hauses, Martsche, der leitende Geist, und Endres, die rohe Kraft, machten gemeinsame Sache. Dieser unterstützte Ortel bei der Weigerung, das Haus zu verlassen, jene aber erklärte, Metz würde so lange bleiben, wie es nach erfolgter Kündigung üblich. Sie werde es der Vorklerin auch nicht erleichtern, das arme Kind zu zwingen, mit dem alten Geizhals, an den sie es hängen wollte, in einen ungleichen, kläglichen Ehestand zu treten.
Diese Bemerkung zielte auf den Schneidermeister Seubolt, den Vormund der Vorklerschen Kinder, der die sauber herangewachsene Metz, trotz der vierzig Jahre, die er früher geboren, zur Hausfrau begehrte und der der Witwe außerdem verheißen, seinem künftigen Schwager Ortel einen ansehnlichen Posten im Stall der deutschen Herren zu verschaffen. Nicht die empörte Sittlichkeit, sondern der Vormund und Freier in einer Person war es gewesen, der die Kerzenhändlerin veranlaßt hatte, ihre Kinder dem guten Dienste im Ortliebshofe zu entziehen. Jetzt ersparte ihre Furcht, durchschaut zu werden, den Verbündeten die Mühe, sie gewaltsam zum Weichen zu bringen. Während die Witwe sich aber langsam und im Krebsgange zurückzog, kreischte sie den Bedrängern die Drohung zu, der Vormund ihrer Kinder, kein geringerer als der ehrsame Schneidermeister Nickel Seubolt, sei der Mann, der ihr zu ihrem guten Recht verhelfen und die gefährdeten Seelen ihres Ortel und der armen jungen Metz dem zeitlichen und ewigen Verderben in diesem Sodom und Gomorrha entreißen . . .
Was ihr weiter die Seele bedrückte, mußte sie indes 103 der Straße anvertrauen; denn Endres warf die schwere Hausthür mit einer für sein Alter bemerkenswerten Kraft und Schnelligkeit hinter ihr zu.
Der Knecht Ortel fühlte sich in den Grundfesten erschüttert. Bald nach dem Verschwinden der Mutter zog er sich mit der siebenzehnjährigen Schwester in die Holzkammer zurück, und beide weinten dort bittere Thränen; denn Metz hatte das Herz an einen jungen Fuhrmann gehängt, der erst im Juli von einer Fahrt nach Frankfurt zurückerwartet wurde, und lieber wollte sie in die Pegnitz gehen, als dem alten, reichen Schneidermeister angehören, dem die Mutter – sie wußte es – ihre junge, hübsche Person als Hausfrau zuzuführen verheißen; ihr Bruder aber hielt wie viele seinesgleichen den des Führers eines Sechsgespannes vor dem Frachtwagen für den köstlichsten aller Berufe, und beide hingen an der Herrschaft und dem Hause, dem sie dienten, und fühlten dennoch, daß es eine schwere Sünde sei, der Mutter den Gehorsam zu kündigen.