Georg Ebers
Die Frau Bürgemeisterin
Georg Ebers

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Zweites Kapitel.

Der junge Adrian eilte den Werffsteg hinab, welcher seinem Geschlecht den Namen gegeben. Er beachtete weder die Linden zu beiden Seiten, in deren Kronen die ersten grünen Blättchen sich aus den spitzen Knospenhüllen hervordrängten, noch die Vögel, welche Nester bauend und zwitschernd in den gastlichen Zweigen der stattlichen Bäume hin und her flogen, denn er hatte nichts im Sinne, als möglichst schnell nach Hause zu kommen.

Jenseits der die Achtergracht überspannenden Brücke blieb er unschlüssig vor einem großen Gebäude stehen.

An der Mittelthür desselben hing der Klopfer, aber er wagte nicht sogleich ihn zu heben und ihn auf die glänzende Platte unter dem Schlosse fallen zu lassen, denn er hatte bei den Seinen keinen frohen Empfang zu erwarten.

Sein Wämmschen war beim Ringen mit dem stärkeren Gegner übel zugerichtet worden. Die zerrissene Halskrause hatte ihren rechtmäßigen Platz eingebüßt und sich's gefallen lassen müssen, in eine Tasche zu wandern, und das neue violette Strumpfwerk an seinem rechten Beine, dies unglückselige Strumpfwerk, war auf dem Pflaster völlig durchgerieben worden, und die große klaffende Wunde in demselben zeigte weit mehr von Adrian's weißem Knie, als ihm lieb war.

Die Pfauenfeder an dem sammetnen Mützlein ließ sich leicht ersetzen, aber das Wamms war nicht an der Naht, sondern im Tuche zerrissen und das Strumpfwerk kaum mehr zu stopfen.

Das that dem Knaben aufrichtig leid, denn der Vater hatte befohlen, das Zeug gut zu halten, um die Pfennige zu sparen; ging es doch in dieser Zeit knapp her in dem großen Hause, das mit drei Thüren, ebenso vielen mit schön geschwungenen Voluten geschmückten Giebeln und sechs Fenstern im untern und obern Stock gar stolz und stattlich dem Werffsteg zugewandt war.

Die Bürgemeisterei trug nicht viel ein, und das großväterliche Gewerbe der Sämischlederbereitung, sowie der Handel mit Fellen gingen rückwärts, denn dem Vater lagen andere Dinge im Sinne, Dinge, die nicht nur seinen Geist, seine Kraft und Zeit, sondern auch jeden überflüssigen Heller in Anspruch nahmen.

Adrian hatte zu Hause nichts Gutes zu erwarten, – gewiß nicht vom Vater und noch weniger von Frau Barbara, seiner Base.

Aber der Knabe fürchtete sich doch noch weniger vor dem Zorne dieser beiden, als vor einem unzufriedenen Blicke aus den Augen der jungen Frau, welche er seit kaum zwölf Monaten »Mutter« nannte und die nur sechs Jahre mehr als er selber zählte.

Sie sagte ihm niemals ein unfreundliches Wort, aber vor ihrer Schönheit, ihrem stillen, vornehmen Wesen zerschmolzen sein Trotz und seine Wildheit. Ob er sie lieb hatte, wußte er selbst nicht recht, aber sie kam ihm vor wie die gute Fee, von der die Märchen erzählten, und es wollte ihm oft scheinen, als ob sie viel zu zart und fein und holdselig für ihr einfach bürgerlich Haus wäre. Sie lächeln zu sehen machte ihn glücklich, und wenn sie traurig dreinschaute – und das kam nicht eben selten vor – so that ihm das Herz weh. Gütiger Himmel! Freundlich konnte sie ihn gewiß nicht empfangen, wenn sie dies Wamms anschaute und die Krause da in der Tasche und das unglückselige Strumpfwerk!

Und dann!

Da läutete es wieder!

Die Essenszeit war längst vorbei, und der Vater wartete auf Keinen. Wer zu spät kam, der hatte das Nachsehen, wenn sich seiner nicht Base Barbara in der Küche erbarmte.

Aber was half das Bedenken und Zaudern?

Adrian raffte sich auf, biß die Zähne zusammen, preßte die Linke fester um die zerrissene Halskrause in der Tasche und ließ den Klopfer kräftig auf die Stahlplatte schlagen.

Trautchen, die alte Magd, öffnete die Thür und bemerkte in der weiten, halbdunklen Hausflur, in welcher dicht aneinandergereiht die Lederballen lagerten, nichts von der Verwahrlosung seines äußern Menschen.

Schnell eilte er die Stiege hinauf.

Das Speisezimmer stand offen, und – o Wunder! – der gedeckte Tisch war noch unberührt – der Vater mußte länger als sonst auf dem Rathhause geblieben sein.

In großen Sätzen sprang Adrian auf sein Giebelstübchen, kleidete sich säuberlich um und trat, bevor der Hausherr den Segen gesprochen, zu den Seinen. In einer gelegenen Stunde konnten Wamms und Strumpfwerk den bessernden Händen der Base Barbara oder Trautchen's übergeben werden.

Adrian griff wacker in die dampfende Schüssel; aber bald ward ihm schwül um's Herz, denn der Vater sprach kein Wort und blickte so ernst und besorgt vor sich hin wie damals, als die Noth in der belagerten Stadt stieg.

Des Knaben junge Stiefmutter saß ihrem Gatten gegenüber und blickte oft in das ernste Antlitz Peter's van der Werff, um einem freundlichen Blick von ihm zu begegnen.

Jedesmal, wenn sie das vergeblich gethan, strich sie das feine, goldblonde Haar von der Stirn, warf den schönen kleinen Kopf zurück oder biß sich leicht in die Lippe und schaute still auf ihren Teller.

Auf der Base Barbara Fragen: »Was gab es im Rath? Kommt das Geld zu der neuen Glocke zusammen? Gebt ihr Jakob van Sloten die Wiese in Pacht?« gab er kurze, halb ablehnende Antworten.

Der feste Mann, der da so schweigsam und mit zusammengezogenen Brauen unter den Seinen saß und einigemal hastig, dann aber gar nicht wieder in die Schüssel griff, sah nicht aus wie Einer, der sich müßigen Launen hingibt.

Noch sprachen alle Anwesenden, nun auch Magd und Knecht, den Speisen zu, als der Hausherr sich plötzlich erhob und, indem er die zusammengefalteten Hände an den stark vorspringenden Hinterkopf preßte, stöhnend ausrief: »Ich kann nicht mehr. Sprich Du das Dankgebet, Maria. Geh' auf's Rathhaus, Janche, und frag', ob noch kein Bote herein ist.«

Der Knecht wischte sich den Mund und gehorchte sogleich. Es war ein großer, breitschultriger Friese, aber er reichte seinem Herrn nur bis an die Stirn.

Ohne die Seinen zu grüßen, wandte Peter van der Werff den Rücken, öffnete die zu seinem Arbeitszimmer führende Thür, zog sie, nachdem er die Schwelle überschritten, scharf in's Schloß und trat dann an den großen, aus Eichenholz festgefügten Schreibtisch, auf dem Papiere und Briefe in hohen, mit rohen Bleiplatten beschwerten Stößen geordnet lagen, und begann in den neu angekommenen Akten zu blättern. Eine Viertelstunde lang suchte er vergebens zu der nöthigen Aufmerksamkeit zu gelangen. Dann ergriff er den Arbeitsstuhl, um die gekreuzten Arme auf seine hohe, durchbrochene Rückenlehne von einfachem Schnitzwerk zu stützen. Dabei schaute er nachdenklich zu dem Holzgetäfel der Zimmerdecke hinauf. Nach einigen Minuten schob er mit dem Fuß den Sessel bei Seite, hob die Hand zum Munde, trennte den Schnurrbart von dem starken braunen Kinnbart und trat an's Fenster. Die kleinen, kreisrunden, mit Bleirahmen verbundenen Scheiben gestatteten, so spiegelblank sie auch geputzt sein mochten, doch nur einen engbegrenzten Theil der Straße zu überblicken, aber der Bürgemeister schien das, wonach er ausschaute, gefunden zu haben; denn er stieß das Fenster hastig auf und rief dem Knechte, welcher sich eilends dem Hause näherte, entgegen:

»Aufgeschaut, Janche; ist er herein?«

Der Friese schüttelte verneinend den Kopf, das Fenster flog wieder zu, und wenige Augenblicke später griff der Bürgemeister nach dem Hute, welcher zwischen einigen Reiterpistolen und einem einfachen derben Degen unter dem Bilde einer jungen Frau an der einzigen nicht völlig nackten Wand seines Zimmers hing.

Die marternde Unruhe, welche ihn erfüllte, duldete ihn nicht länger im Hause.

Er wollte das Pferd satteln lassen und dem erwarteten Boten entgegenreiten.

Ehe er das Zimmer verließ, blieb er sinnend stehen und trat dann noch einmal vor den Schreibtisch, um einige Papiere zu unterschreiben, die für das Rathhaus bestimmt waren; denn es konnte bis zu seiner Heimkehr Nacht werden.

Stehend überflog er die beiden Blätter, welche er vor sich ausgebreitet hatte, und griff nach der Feder. Da öffnete sich leise die Thür des Gemaches, und der frische Sand, mit dem die weißen Dielen bestreut waren, knisterte unter einem zierlichen Fuße. Er hörte es wohl, ließ sich aber nicht stören.

Jetzt stand sein Weib dicht hinter ihm. Vierundzwanzig Jahre jünger als er, glich sie ganz einem schüchternen Mädchen, als sie nun ihren Arm erhob und es doch nicht wagte, die Aufmerksamkeit ihres Gatten von den Geschäften abzulenken.

Ruhig wartete sie, bis er das erste Papier unterzeichnet hatte, dann wandte sie den lieblichen Kopf zur Seite und rief mit gesenkten Augen und leicht erröthend:

»Ich bin es, Peter!«

»Gut, mein Kind,« entgegnete er kurz und näherte die zweite Schrift den Augen.

»Peter!« rief sie zum andern Male, dringender als vorher, aber immer noch schüchtern. »Ich habe Dir etwas zu sagen.«

Van der Werff wandte das Haupt zu ihr hin, warf ihr einen kurzen, freundlichen Blick zu und sagte:

»Jetzt, Kind? Du stehst, ich habe zu thun, und da liegt schon mein Hut.«

»Aber Peter!« entgegnete sie; und es blitzte etwas wie Unwillen aus ihren Augen, während sie mit kaum merklich klagender Stimme fortfuhr: »Wir haben heute noch gar nicht mit einander geredet. Mir ist das Herz so voll, und was ich Dir sagen möchte, das ist, das muß ja . . .«

»Wenn ich heimkomme, Maria, jetzt nicht,« gab er sie unterbrechend zurück und seine tiefe Stimme klang dabei halb ungeduldig, halb bittend. »Erst die Stadt und das Land, – dann die Minne.«

Maria warf bei diesen Worten das Haupt zurück und sagte mit zuckenden Lippen:

»Das ist Deine Rede seit dem ersten Tag unserer Ehe.«

»Und leider, – leider – sie muß es bleiben, bis wir am Ziel sind,« entgegnete er fest.

Da stieg ihr das Blut in die zarten Wangen und rascher athmend rief sie schnell und entschieden:

»Ja wohl, dies Wort kenne ich seit Deiner Werbung, und ich bin meines Vaters Tochter und war ihm niemals entgegen, aber nun paßt es nicht mehr auf uns Beide und es sollte lauten: »Alles für's Land, und dem Weibe gar nichts«.«

Van der Werff legte die Feder aus der Hand und wandte sich voll seiner jungen Gattin zu.

Ihre schlanke Gestalt schien gewachsen zu sein und ihre in Thränen schwimmenden blauen Augen leuchteten stolz. Wie von Gott für ihn, und eigens für ihn geschaffen war diese Gefährtin. Das Herz ging ihm auf. Freimüthig streckte er dem geliebten Wesen beide Hände entgegen und sagte innig:

»Du weißt, was es gilt! Dies Herz ist unwandelbar, und es kommen andere Zeiten.«

»Wann werden sie kommen?« fragte Maria so dumpf, als glaubte sie nicht an eine bessere Zukunft.

»Bald!« entgegnete ihr Gatte fest. »Bald, wenn jetzt nur ein Jeder willig gibt, was das Vaterland fordert.«

Das junge Weib löste bei diesen Worten die Hände aus denen des Gatten; denn die Thür hatte sich geöffnet, und Frau Barbara rief von der Schwelle her ihrem Bruder entgegen:

»Herr Matenesse van Wibisma, der Glipper, steht in der Hausflur und will Dich sprechen.«

»Führ' ihn herauf,« sagte der Bürgemeister verdrossen.

Als er mit seiner Gattin wieder allein war, fragte er schnell:

»Willst Du Nachsicht üben, und willst Du mir helfen?«

Sie nickte bejahend und versuchte dabei zu lächeln.

Er merkte, daß sie nicht froh war, und weil ihm das wehe that, streckte er ihr nochmals die Hand entgegen und sagte:

»Es kommen bessere Tage, in denen ich Dir mehr sein darf als heute. Was wolltest Du mir vorhin sagen?«

»Ob Du es weißt oder nicht weißt, – für den Staat hat es nichts zu bedeuten.«

»Aber für Dich. So hebe nur wieder den Kopf und schaue mich an. Mach' schnell, Liebe, denn da sind sie schon auf der Treppe.«

»Es ist der Rede nicht werth. – Heute vor einem Jahre, – heute könnten wir unsern Hochzeitstag feiern.«

»Unsern Hochzeitstag!« rief er und schlug laut in die Hände. »Ja, richtig, wir schreiben den siebenzehnten Aprilis, und das, das hab' ich vergessen!« Liebreich zog er sie an sich, da ging schon die Thür, und Adrian führte den Baron in das Zimmer.

Van der Werff verneigte sich höflich vor dem seltenen Gast, dann rief er seiner Gattin, die sich erröthend entfernte, herzlich nach:

»Meinen Glückwunsch also! Ich komme nachher. Adrian, wir feiern heut ein schönes Fest, unsern Hochzeitstag, daß Du's weißt.«

Der Knabe schlüpfte schnell aus der Thür, die er noch in der Hand hielt; denn ihm ahnte, daß der vornehme Besuch auch für ihn nichts Gutes bedeute.

In der Hausflur blieb er sinnend stehen. Dann eilte er schnell die Treppe hinauf, holte sein federloses Mützlein und eilte hinaus vor das Thor.

Draußen sah er seine Kameraden, die sich mit Stöcken und Stangen in Schlachtordnung stellten.

Wohl hätte er sich gern an dem Kriegsspiel betheiligt; aber eben deswegen wollte er in diesem Augenblick das Rufen der Streiter lieber gar nicht hören und lief dem Zylhofe zu, bis er aus dem Bereich ihrer Stimmen war.

Nun hemmte er den Schritt und folgte in gebückter Haltung, manchmal auf den Knieen, einem kleinen, in den alten Rhein mündenden Graben.

Sobald seine Mütze von den weißen, blauen und gelben Frühlingsblumen, die er gepflückt hatte, übervoll war, setzte er sich auf einen Grenzstein, vereinte jene mit leuchtenden Augen zu einem schönen bunten Strauß und lief mit ihm nach Hause.

Auf der Sommerbank neben dem Thor saß die alte Magd, mit seiner kleinen sechsjährigen Schwester. Der übergab er die Blumen, welche er bis dahin auf dem Rücken versteckt gehalten, und sagte:

»Nimm, Elisabethchen, und bring' sie der Mutter, 's ist heute ihr Hochzeitstag; ich weiß es. Statte ihr auch einen schönen Glückwunsch ab von uns Beiden.«

Die Kleine erhob sich, die alte Magd aber sagte:

»Adrianchen, Du bist ein kreuzbraver Junge.«

»Meinst Du?« fragte er, und all' seine Sünden vom Vormittag kamen ihm in den Sinn.

Aber leider verursachten sie ihm keinerlei Reue; vielmehr begannen seine Augen schelmisch zu leuchten, und sein Mund lachte, als er die Schulter der Alten klopfte und ihr leise in's Ohr flüsterte:

»Es sind heute Haare geflogen, Trautchen. Droben in der Kammer unter dem Bett liegt mein Wamms und das neue Strumpfwerk. So wie Du kann doch keine stopfen.«

Die Magd drohte mit dem Finger, er aber wandte sich hurtig um und lief vor das Zylthor, um diesmal die Spanier gegen die Niederländer zu führen.


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