Georg Ebers
Ein Wort
Georg Ebers

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Achtundzwanzigstes Kapitel

Ein ansehnliches, aber schnell zusammengerafftes Patriotenheer war bei Tisnacq von einer kleinen Schar von kriegskundigen Spaniern völlig zugrunde gerichtet.

Ulrich hatte das Seine beigetragen, den schnellen Sieg zu erfechten, und war von seinem alten Feldobersten, dem tapferen Romero, dem braven Reiterführer Mendoza und anderen angesehenen Offizieren wie einer der ihren begrüßt worden. Nachdem diese vornehmen Herren selbst Meuterer geworden, war der Eletto ihr Bruder, und sie verschmähten es nicht, sich seiner Mitwirkung bei dem Streich zu versichern, den auch sie gegen Antwerpen planten.

Er war mit großer Kühnheit ins Feuer gegangen, und wo er sich zeigte, streckten ihm die Seinen die Hand entgegen und gelobten ihm Gehorsam und Treue bis in den Tod.

Ulrich ging dahin wie von leichten Lüften getragen, das bloße Atmen war ihm ein Genuß. Kein Fürst konnte das Wonnegefühl der wachsenden Macht seliger empfinden als er. Am Abend nach der Entscheidung hatte ihn ein reiches Festmahl mit den Romero, Vargas, Mendoza, Tassis vereint, und am nächsten Morgen wurden ihm die Gefangenen vorgeführt, die den Seinen in die Hände gefallen.

Die Vernehmung der Studenten, Bürgersöhne und Bauern hatte er seinem Leutnant überlassen; aber da waren auch drei edle Herren, denen reiches Lösegeld auferlegt werden konnte. Die beiden Älteren hatten bewilligt, was er verlangte, und waren abgeführt worden, der dritte, ein hoher Mann in ritterlicher Rüstung, blieb als letzter bei ihm zurück.

Mit ihm war er persönlich zusammengetroffen, denn der Gefangene hatte sich hoch zu Roß an ihn gedrängt und ihm ernstlich zu schaffen gemacht; ja, der Sieg war für den Eletto noch nicht entschieden gewesen, als ein Musketenschuß das Pferd des anderen zu Boden gestreckt hatte.

Jetzt trug der Ritter den Arm in der Binde. Inmitten seines Panzers und auf den Schulterstücken der Rüstung prangte in getriebener Arbeit ein adeliges Wappen.

»Man hat Euch unter dem Pferde hervorgezogen,« redete der Eletto den Ritter an. »Ihr führt eine treffliche Klinge.«

Er hatte Spanisch gesprochen, der andere aber zuckte die Achseln und entgegnete auf Deutsch: »Ich verstehe kein Spanisch.«

»Ein Deutscher?« fragte Ulrich nun in der Muttersprache, »Wie kommt Ihr unter die niederländischen Rebellen?«

Der Edelmann schaute den Eletto verwundert an; der aber ließ ihm nicht Zeit zum Besinnen und fuhr fort: »Ich verstehe Deutsch; Eure Antwort?«

»Ich hatte in Antwerpen Geschäfte.«

»Geschäfte, und welche?«

»Das ist meine Sache.«

»Ganz wohl. Gehen wir also aus dem höflichen Ton in einen anderen über.«

»Nein, Herr! Ich bin der Besiegte und stehe Euch Rede.«

»Also?«

»Ich hatte Stoffe zu kaufen.«

»Seid Ihr ein Kaufmann?«

Der Ritter schüttelte den Kopf und entgegnete lächelnd: »Wir haben unsere Burg neu aufgebaut nach dem Brande.«

»Und nun braucht Ihr Tapeten und Kunstwebereien. Meintet Ihr die von uns zu erbeuten?«

»Kaum, Herr!«

»Was führte Euch also zu unseren Feinden?«

»Baron Floyon gehört zu der Sippe meiner Mutter. Er zog gegen Euch aus, und da seine Sache mir anstand ...«

»Und das Raufen Euch zusagt, lüstete es Euch, eine Lanze zu brechen.«

»Ganz richtig.«

»Und Ihr habt Eure Sache nicht übel gemacht. Wo seid Ihr zu Hause?«

»Ihr wißt's ja: in Deutschland.«

»Das ist sehr groß.«

»Am Schwarzwald, in Schwaben.«

»Und Euer Name?«

Der Gefangene schwieg; Ulrich aber heftete den Blick auf das Wappen an der Rüstung des Ritters, faßte ihn fester ins Auge, und ein seltsames Lächeln umspielte ihm den Mund, wie er nun auf ihn zutrat und in verändertem Tone sagte: »Ihr denkt, von dem Grafen von Frohlingen fordert der Navarrete ein Lösegeld so groß wie seine Wälder und Gründe?«

»Ihr kennt mich?«

»Vielleicht, Graf Lips.«

»Donnerwetter!«

»Aha, Ihr habt nach dem Kloster im Felde gelegen.«

»Nach dem Kloster? Herr, woher wißt Ihr?«

»Wir sind alte Bekannte, Graf Lips, seht mir nur einmal in die Augen!«

Der andere schaute den Eletto prüfend an, schüttelte den Kopf und sagte: »Ihr kamt mir von Anfang an nicht ganz fremd vor; doch ich war niemals in Spanien.«

»Aber ich bin in Schwaben gewesen, und von dazumal habt Ihr noch etwas zugute bei mir. Wäre Euer Lösegeld groß genug, um den Preis für ein eingeworfenes Kirchenfenster zu decken?«

Da riß der Graf die Augen weit auf, und ein helles Lächeln flog über sein Antlitz, als er in die Hände schlug und mit treuherziger Freude ausrief:

»Du, du – du bist der Ulrich! Verdammt will ich sein, wenn ich mich irre! Aber, wer zum Teufel wittert in dem spanischen Eletto ein Schwarzwälder Kind?«

»Daß ich's dennoch bin, bleibt fürs erste geheim zwischen uns beiden!« rief Ulrich und streckte dem Grafen die Hand entgegen. »Du schweigst, und nachher bist du frei. – Das Lösegeld wird mit dem Fenster gedeckt!«

»Heilige Jungfrau! Wenn alle Fenster im Kloster so teuer wären, die Mönche könnten sich mästen!« rief der Graf. »Ein Schwabenherz bleibt halt schwäbisch, auch unter dem spanischen Wams. Ein Glück, ein Türkenglück ist's, daß ich dem Floyon gefolgt bin; – und dein Alter, der Adam, und die Ruth – dies Vergnügen!«

»Du solltest es wissen ... Mein Vater ist tot, lange, lange!« sagte Ulrich und schaute zu Boden.

»Tot?« rief der andere. »Und lange? Vor drei Wochen hab' ich ihn noch am Amboß gesehen.«

»Meinen Vater? Am Amboß? Und Ruth? ...« stammelte Ulrich und schaute dem anderen bleich und fragend ins Antlitz.

»Sie leben, freilich, sie leben! In Antwerpen hab' ich ihn wiedergefunden. Er schmiedet dir Rüstzeug wie keiner. Es geht mit dem Teufel zu, oder du hast von dem Meister Schwab, dem Waffenschmied, gehört.«

»Der Schwab, der Schwab – der ist mein Vater?«

»Dein leibhaftiger Alter. Wie lange ist's her? Dreizehn Jahre, denn damals zählte ich sechzehn. Da hatte ich ihn zum letztenmal gesehen, und doch, doch, auf den ersten Blick hab' ich ihn wiedererkannt. Freilich, freilich, die Stund', in der das stumme Weib dem Juden den Pfeil aus der Brust zog, die will ich nie und nimmer vergessen. Was ich damals im Walde gesehen, steht mir heute noch vor Augen, als könnt' ich es greifen.«

»Er lebt, sie haben ihn nicht erschlagen!« rief der Eletto, und nun erst begann er sich der erschütternden Kunde zu freuen. »Lips, Mann, Philipp! Ich habe die Mutter wiedergefunden und nun auch den Vater. Warte, wart! Ich rede mit dem Leutnant. Er soll mich vertreten, und du und ich, wir beide reiten nach Lier, und da wirst du mir erzählen, erzählen! Heilige Jungfrau, hab Dank, tausend Dank! Ich soll den Vater wiedersehen, den Vater!«

Mitternacht war vorüber, und die Schulgenossen saßen immer noch in einem besonderen Zimmer im »Löwen« zu Lier beim Weine. Der Eletto ward nicht müde zu fragen, und Graf Philipp stand ihm gern Rede.

Ulrich wußte nun, welches Ende der Doktor genommen, und daß sein Vater nach Antwerpen gegangen und dort als Waffenschmied seit zwölf Jahren hause. Das stumme Weib des Juden war schon auf der Reise vor Kummer gestorben; aber Ruth lebte bei dem Alten und hielt für ihn Haus! Navarrete hatte den Meister Schwab und seine Arbeit oft rühmen hören und selbst eine Halsberge aus seiner Werkstätte getragen.

Von Ruth wußte der Graf mancherlei zu berichten. Er gestand, daß er nicht um der Waffen, sondern um der schönen Meisterstochter willen den Adam Schwab aufgesucht habe. Das Mädel sei schlank wie eine Tanne geworden. Und ihr Gesicht! Wer es einmal gesehen, vergess' es wohl nimmer. So könne die schöne Judith, die den Holofernes erschlug, oder die Königin Zenobia, oder die keusche Lukretia von Rom ausgesehen haben. Sie stehe nun in den Zwanzigen und in der Blüte der Schönheit, aber sie sei spröde wie Glas, und ob sie ihn auch gern habe von wegen seiner alten Freundschaft mit Ulrich und der Geschichte im Walde, heiße es doch bei ihr nur Ansehen, aber nicht Rühran. Die würde sich freuen, wenn sie höre, daß er noch lebe und was er geworden. Und der Meister, der Meister! Nein, nun gehe er nicht nach Hause, sondern wieder zurück nach Antwerpen, um der Bote Urichs zu sein! Aber jetzt möge auch er zum besten geben, wie es ihm ergangen.

Das geschah denn auch, aber rasch und flüchtig; denn der Eletto kam immer wieder auf die alte Zeit und den Vater zurück. Nach jedem, den sie gemeinsam gekannt, wurde gefragt.

Der alte Frohlinger Graf war noch am Leben, aber hatte viel von Podagra und der launischen jungen Frau zu leiden, die er als Witwer in älteren Jahren genommen. Der Hangemarx war schwermütig geworden und hatte doch noch am Stricke geendet, aber durch die eigene Hand. Der schwarze Xaver war in den geistlichen Stand getreten und lebte in Rom in hoher Geltung unter einem spanischen Orden. Der Abt stand dem Kloster immer noch vor und hatte viel Zeit für seine Studien; denn die Schule war aufgehoben worden, und da man einen Teil des Klostergutes eingezogen, hatte sich die Zahl der Mönche verringert. Der Vogt war fälschlich angeklagt gewesen, Mündelgelder unterschlagen zu haben. Ein Jahr lang hatte er im Gefängnis gesessen, und nach seiner Freisprechung war er an einem Leberleiden gestorben.

Der Morgen graute, als sich die Freunde trennten. Graf Philipp übernahm es, Ruth mitzuteilen, daß Ulrich die Mutter wiedergefunden. Sie sollte den Meister bestimmen, seiner Frau, von deren Lob des Sohnes Mund überfloß, zu vergeben.

Beim Abschied versuchte Philipp, dem Eletto zu Gemüte zu führen, beizeiten einzulenken, denn sein Weg sei gefährlich; aber Ulrich lachte ihm ins Gesicht und rief: »Du weißt, ich habe das rechte Wort gefunden und nutze es aus bis auf die Neige. Du bist zur Macht im Kleinen geboren, ich habe die meine selbst erworben und ruhe nicht eher, bis ich sie üben darf im Großen und Größten. Wenn etwas auf Erden wie Himmelskost schmeckt, so ist es die Macht!«

Im Lager fand der Eletto die Fähnlein von Aalst zum Aufbruch gerüstet, und als er dann des Weges hinritt, sah er im Geiste bald die Eltern, seine Eltern in neuem, glücklichem Verein, bald Ruth in vollem Glanz ihrer majestätischen Schönheit. Er erinnerte sich, wie er dem Vater und der Mutter stolz nachgeschaut hatte, wenn sie am Sonntag miteinander in die Kirche gegangen waren, und wie er Ruth auf der Flucht in den Armen getragen; und er sollte sie alle wiedersehen und Lust und Leid mit ihnen teilen.

Er gönnte den Seinen nur kurze Rast, denn es trieb und drängte ihn zu der Mutter. Mit solcher Kunde nach Hause kommen, das hieß eine Heimkehr! Wie fand er das Leben so herrlich und reizvoll, wie dankbar pries er sein Schicksal!

Die Sonne ging hinter dem freundlichen Aalst zur Rüste, als er ihm nahte, und der Himmel war wie mit Rosen bestreut.

»Schön, schön,« murmelte er und wies seinem Leutnant die glänzenden Farben am westlichen Horizonte.

Ein Bote war ihm vorangeeilt, Böllerschüsse und Fanfaren empfingen die Sieger, als sie durchs Tor zogen. Vor dem Rathaus sprang er vom Rosse und ward dort von dem Kapitän, der während seiner Abwesenheit das Kommando geführt hatte, empfangen.

Der Eletto schilderte schnell den Verlauf des glänzenden Siegeszuges und fragte dann, was sich neues ereignet.

Da blickte der Kapitän befangen zu Boden und sagte kleinlaut: »Nichts Großes, aber vorgestern hat sich doch etwas Arges begeben, und es wird Euch kränken. Eure Liebste, die Lagersibylle ...«

»Wer? Was? Was willst du sagen?«

»Sie ist zu Zorrillo gegangen und der hat sie – Ihr dürft nicht erschrecken, der hat sie erstochen.«

Da taumelte Ulrich und wiederholte dumpf: »Erstochen?« Dann faßte er den anderen bei der Schulter und kreischte: »Erstochen? Das heißt gemordet – getötet?«

»Er hat ihr den Dolch ins Herz gestoßen, mitten hinein, sie muß gestorben sein wie vom Blitz getroffen. Zorrillo ist dann davongegangen, Gott weiß wohin. Wer konnte auch ahnen, daß der ruhige Mensch ...«

»Ihr habt ihn entwischen lassen, dem Mörder fortgeholfen, ihr Hunde!« tobte der unglückliche Mann. »Wir sprechen uns wieder. Wo ist sie, wo ihre Leiche?«

Der Kapitän zuckte die Achseln und sagte in besänftigendem Tone: »Mäßigt Euch, Navarrete! Es ist auch uns leid um die Sibylle, sie wird manchem im Lager fehlen. Was den Zorrillo angeht, der hat die Losung und konnte zu jeder Stunde durchs Tor. Die Leiche liegt immer noch in seinem Quartier.«

»So, so!« stammelte der Eletto. Dann raffte er sich auf und sagte dumpf: »Ich will sie sehen!«

Der Kapitän schritt schweigend neben ihm her und öffnete ihm die Wohnung des Mörders.

Da lag die Frau, die ihn geboren, die ihn verlassen und dennoch so innig geliebt hatte, in einem ärmlichen Sarge von rohen Planken auf Hobelspänen gebettet. Ein armes Soldatenweib, dem sie Gutes erwiesen, hielt die Leichenwache, und ihr zu Häupten brannte mit gelblichem Licht qualmend ein einzelner Kienspan. Das weiße Hündchen hatte den Weg zu ihr gefunden und beschnupperte die Diele, die noch rot war vom Blute seiner Herrin.

Ulrich riß den Span aus der Klammer und leuchtete der Verstorbenen ins Antlitz. Sein feuchter Blick suchte die Züge der Mutter; aber er blieb nur einen Augenblick auf ihnen haften – dann schauerte er zusammen, wandte sich ab, und während er den Begleitern die Fackel reichte, sagte er leise: »Bedecket das Haupt.«

Die Soldatenfrau breitete die grobe Schürze über das Antlitz, das so freundlich zu lächeln verstanden hatte; Ulrich aber warf sich neben dem Sarg auf die Knie, schmiegte den Kopf in den Schoß der Toten, und so vergingen lange Minuten.

Endlich stand er langsam auf, rieb sich die Augen, als ob er aus einem wüsten Traum erwache, warf sich gewaltsam in die Brust und überschaute mit prüfendem Blick seine Umgebung.

Er war der Eletto, und so ehrte man das, was ihm lieb war!

In einem elenden Armsündersarg war seine Mutter gebettet, eine zerlumpte Vettel hielt bei ihr Wacht – keine Kerze stand ihr zu Häupten, kein Priester betete für das Heil ihrer Seele!

In seiner Brust raste der Schmerz, und nun sich der Ingrimm zu dem düsteren Gaste gesellte, brach er sich Bahn, und außer sich rief er:

»Hierher, Kapitän! Diese Tote, dies Weib – verkündet es allen – die Sibylle war meine Mutter – ja, ja, meine leibliche Mutter! Achtung, Achtung verlang ich für sie, wie für mich selbst! – Soll ich erzwingen, was ihr gebührt? Leute her, Leute mit Fackeln! Der Katafalk in der Martinskirche wird gerüstet und vor den Altar gestellt! Kerzen daneben, soviel sich finden! Es ist noch früh! Leutnant! Gut, daß Ihr da seid! Klopft die Domherren heraus und begebt Euch zum Bischof! Ich befehle ein feierliches Requiem für meine Mutter! Hergehen soll's wie beim Tod der Herzogin von Aerschot! Es wird zum Sammeln geblasen! Die Glocken werden geläutet! In einer Stunde ist alles im Martinsdome! Fackeln her, sag' ich! Hab' ich zu befehlen? Ja oder nein? Hierneben beim Schreiner stand ein großer eichener Sarg! Her mit ihm, her; ich brauche ein besseres Totenlager für meine Mutter. Du armes, armes, liebes Weib, wie gern hast du die Blumen gehabt, und keiner ist gekommen und hat dir auch nur eine gebracht! Kapitän Ortis! Ich habe befohlen! Wenn ich wiederkomme, ist alles bereit; – Leutnant, Ihr habt Eure Order!«

Nun eilte er aus dem Sterbezimmer in sein Quartier, in den Wohnraum. Mit fliegender Hand riß er Blumen und Stengel von den Stöcken. Die Zofen schauten ihm ängstlich zu, und er befahl ihnen barsch, was er pflücke, zusammenzuraffen und in das Sterbehaus zu tragen.

Seine Befehle hatten Gehorsam gefunden, und wie er sich vor dem Quartier Zorrillos zeigte, traten die zusammengeströmten Soldaten auseinander und machten ihm Platz.

Er winkte ihnen zu, und während er von dem einen zum anderen trat und immer nur sagte: »Die Sibylle war meine Mutter – Zorrillo hat meine Mutter ermordet,« wurde der Sarg in das Haus getragen.

Im Vorsaal lehnte er das Haupt an die Wand und stöhnte und ächzte, bis man sie eingebettet hatte und ein Soldat ihm die Hand auf die Schulter legte. Nun streute er Blumen auf die Leiche, und dann kam der Schreiner, um den Sarg zuzunageln. Die Hammerschläge taten ihm weh; es war ihm, als treffe ihn jeder mitten aufs Herz.

Der Zug brach sich Bahn durch die Soldaten, welche Kopf an Kopf die Straße erfüllten. Einige Offiziere kamen ihm entgegen, und Kapitän Ortis trat dicht an ihn heran und sagte: »Der Bischof verweigert den Katafalk und das große Requiem, das du forderst. Deine Mutter sei in Sünden, ohne Sakrament gestorben. Seelenmessen will er ihr gönnen, so viel du begehrst; aber so hohe Ehren ...«

»Die weigert er uns?«

»Nicht uns, der Sibylle!«

»Sie war meine Mutter, die Mutter eures Eletto. Zum Dome, vorwärts!«

»Er ist geschlossen und bleibt es für heute, denn der Herr Bischof ...«

»Dann sprengt man die Tore! Wir werden ihnen zeigen, wer hier die Macht hat.«

»Bist du von Sinnen? Die heilige Kirche!«

»Vorwärts, sag' ich! Wer kein Wicht ist, mir nach!«

Ulrich zog den Kommandostab aus dem Gürtel und schritt vorwärts, als ging' es zum Sturm; aber Ortis rief: »Wir kämpfen nicht gegen den heiligen Martin!« und ein beifälliges Gemurmel antwortete ihm.

Da hemmte Ulrich den Fuß und knirschte: »Nicht, nicht?« Dabei schaute er sich im Kreise der Kameraden um, die ihn auf allen Seiten umringten, und fragte: »Hat keiner Mut, mir zu meinem Recht zu verhelfen? Ortis, de Vega, Diego, folgt ihr mir, ja oder nein!«

»Nein, nicht gegen die Kirche!«

»So befehl' ich nun,« grollte der Eletto. »Alle Mann Achtung! Leutnant de Vega, voran mit Eurem Fähnlein und das Domtor gesprengt!«

Aber keiner gehorchte, und Ortis kommandierte: »Alle Mann kehrt! Sankt Martin ist mein Heiliger; wem seine arme Seele lieb ist, rührt die Kirche nicht an und verteidigt sie mit mir.«

Da schoß Ulrich das Blut zu Kopfe, und seiner selbst nicht mehr mächtig, schleuderte er den Kommandostab mitten in die Reihen der Meuterer und schrie: »Vor die Füße werf' ich ihn euch; wer ihn aufliest, mag ihn behalten.«

Die Soldaten stutzten; aber Ortis wiederholte sein »Kehrt«. Andere Offiziere gaben den gleichen Befehl und ihre Fähnlein gehorchten. Die Straße leerte sich, und der Mutter des Eletto folgten nur wenige Freunde des Sohnes; kein Priester schritt dem Zuge voran. Auf dem Friedhofe warf Ulrich drei Hände voll Erde in die offene Grube und ging dann gesenkten Hauptes nach Hause.

Wie öde, wie einsam war es jetzt in dem luftigen Blumenzimmer, und nun erst fühlte der Eletto sich recht verlassen. Er fand keine Tränen in seinem Jammer; denn die Schmach, die ihm heute widerfahren, weckte seinen Zorn, und er nährte ihn, als wär' es ein Trost.

Mit dem Stabe hatte er die Macht von sich geworfen. Die Macht! Auch sie war Töpferkram, den ein Steinwurf zerschmettert, eine überreife Blume, welche auseinanderfällt, wenn sie der Finger berührt! Kein edles Metall, Katzengold war sie!

Der Klopfer an der Tür stand nicht still. Ein Offizier nach dem anderen kam, um ihn zu besänftigen; aber selbst seinen Leutnant ließ er nicht vor.

Er freute sich seiner raschen Tat. Dem Glücke, dachte er, kann man nicht aus dem Wege gehen, von der Kunst kommt man nicht los, den Ruhm tritt man mit Füßen und er läuft uns doch nach. Das hat die Macht von den dreien voraus, daß man sie fortwerfen kann wie ein abgetragenes Wams. Mag sie denn fliegen! Hatte er ihr etwa die Herzensfreude der letzten Wochen zu danken? Nein, nein! Mit der Mutter wäre er auch ohne das Elettoamt, ohne Blumen, Rosse und Zofen in einem armen Bürgerhause glücklich gewesen. Ihr, nicht der Macht schuldete er jede gute Stunde; und nun die Mutter dahin war, wie öde sah es in seinem Herzen aus!

In dies innere Elend fiel wie Sonnenlicht der Gedanke an seinen Vater und Ruth. Das Elettospiel war nun vorbei, morgen ging's nach Antwerpen!

Warum hatte das Schicksal ihm gerade jetzt die Mutter entrissen, warum versagte es ihm das Glück, die Eltern vereinigt zu sehen? Der Vater – sie hatte ihn schwer gekränkt, aber was sühnt nicht der Tod? Er mußte ihm ein Erinnerungszeichen von ihr bringen und ging in die Kammer, um ihre Truhe danach zu durchsuchen. Sie stand nicht mehr an der alten Stelle. Die Besitzerin des Hauses, eine reiche Matrone, welche die Einquartierung in ein Giebelstübchen vertrieben, hatte die blasse Soldatenwaise und mit ihr den Kasten nach dem Tode Florettens in Pflege und Verwahrsam genommen.

Die brave niederländische Frau sorgte auch für das angenommene Kind und das Gut ihres Feindes, des Mannes, der mit den Seinen ihre Brüder und Vettern ausgeraubt hatte. Der Tod des Weibes da unten war ihr nahe gegangen, denn der wunderbare Zauber in Florettens Wesen hatten es auch ihr angetan.

Gegen Mitternacht nahm Ulrich die Leuchte und stieg die Treppe hinan. Er hatte es längst verlernt, um andere zu schonen, sich einen Wunsch zu versagen.

Das Klopfen am Tor und das Hinundher im Hausflur hatten Frau Geel wach erhalten. Als sie den schweren Schritt des Eletto auf der Treppe vernahm, fuhr sie erschreckt vom Spinnrocken auf, und die aus dem Halbschlaf gerissene Magd warf sich auf die Knie.

»Frau Geel!« rief es draußen.

Da erkannte sie die Stimme des Navarrete, öffnete und fragte nach seinem Begehr.

»Es war seine Mutter,« dachte die Alte, während er Kleider und Wäsche und mancherlei Tand aus der Truhe auf den Boden warf; »es war seine Mutter. Vielleicht verlangt ihn nach ihrem Rosenkranz oder Gebetbuch. Daß er ihr Sohn ist! Sie nahmen sich nebeneinander aus wie ein glückliches Pärchen. Ein wilder Soldat, aber bös ist er doch nicht.«

Sie leuchtete ihm, während er suchte, und schüttelte den Kopf über die krause Ordnung in den Sachen, die er durchwühlte.

Jetzt war Ulrich auf den Boden der Truhe gelangt. Da fand er zuerst ein kostbares Halsband, das Zorrillo erbeutet und seiner Gefährtin als Notpfennig geschenkt hatte. Das war für Ruth. Daneben ruhte ein Paketchen, zugeschnürt mit einem rosenroten Seidenbande, und darin lag ein winziges Kinderhemdchen, eine bunte Puppe und ein schmaler goldener Reifen: ihr Trauring! Den hatte ihr sein Vater gegeben, die Jahreszahl bewies es, und das Hemdchen und die Puppe, das waren Andenken an ihn, ihren Liebling.

Er sah sie an, er legte sie aus einer Hand in die andere, und plötzlich ging das Herz ihm über, und ohne der alten Frau, die ihm zusah, zu achten, weinte er leis vor sich hin und rief: »Müetterl, lieb Müetterl!«

Da fühlte er eine leichte Hand auf der Schulter, und eine freundliche Frauenstimme sagte: »Armer Mann, armer Mann! Ja, sie ist ein liebes Weibchen gewesen, und eine Mutter, eine Mutter – das ist schon genug!«

Der Eletto nickte der Alten mit feuchten Augen zu, und als sie noch einmal weich und voll herzlichen Anteils ihr »Armer Mann!« wiederholte, da klang ihm das lieblicher als die lauteste Huldigung, die je seinem Ruhme und seiner Macht dargebracht worden war.


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