Georg Ebers
Ein Wort
Georg Ebers

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Sechstes Kapitel

Der Johannistag stand vor der Tür. Ulrich sollte morgen ins Kloster. Pater Benediktus hatte sich bis jetzt zufrieden gegeben und niemand den Doktor behelligt. Dennoch war das ruhesame Gefühl, das ihm so wohlgetan hatte, von ihm gewichen, und die Vorsichtsmaßregeln, die er zu treffen hatte, störten ihm, wie alles, was ihn mit der Welt in Zusammenhang brachte, den Fortgang der Arbeit.

Der Schmied mußte für die Einkleidung Ulrichs sorgen. Zu diesem Zweck begab er sich mit dem Buben und einem wohlgefüllten Beutel nicht in seinen Heimatsort, sondern in die nächste größere Stadt.

Dort hing bei dem Gewandschneider gar mancher stattliche Anzug, und der barfüßige Knabe errötete über und über vor Lust, als er vor der bunten Herrlichkeit stand. Da die Wahl ihm freigestellt wurde, erkor er sogleich ein Habit, welches ein Junker für seinen Sohn bestellt hatte, und das vom Fuß bis zum Kopf auf einer Seite blau und auf der anderen gelb war. Aber der Schmied schob es verdrossen beiseite, denn das Gelüst Ulrichs nach dem bunten Stoff erinnerte ihn an die Ausstattung seines Weibes, das rosenrote und grüne Fähnchen.

So nahm er denn zwei dunkle Gewänder.

Sie paßten dem geradgewachsenen Knaben wie angegossen, und als dieser in der Herberge sauber angetan, mit Schuhen an den Füßen und dem Schülerbarett auf dem Kopf vor ihm stand, mußte Adam ihn fast andächtig betrachten.

Der Herbergsvater flüsterte dem Meister zu, einen so schmucken Burschen hab' er lang nicht gesehen, und die Wirtin strich, nachdem sie das Bier hingestellt hatte, dem Buben mit der nassen Hand über die Locken.

Zu Hause erlaubte der Meister dem Sohne, den Doktor in dem neuen Habit zu besuchen, und Ruth schrie auf, als sie ihn sah, und ging wieder und wieder um ihn her und fühlte den wolligen Stoff des Wamses und die blauen Schlitze darin neugierig an und schlug dabei von Zeit zu Zeit in die Hände.

Ihre Eltern hatten geglaubt, daß sie der Abschied schmerzlich erregen würde, aber sie lachte ihrem Gefährten froh ins Gesicht, als er ihr Lebewohl sagte, denn sie nahm die Dinge in ihrer Weise, nicht wie sie waren, sondern wozu sie sie machte. Statt des linkischen Ulrich von heute stand der Märchenprinz, der nun aus ihm werden mußte, vor ihr, und um Weihnachten sollte er ja wiederkommen, und dann mußte es erst recht schön sein, mit ihm zu spielen. In der letzten Zeit waren sie mehr als sonst beisammen gewesen, und da hatten sie immer nach dem Worte gesucht und miteinander tausend herrliche Dinge ausgedacht, die er für sich und sie für ihn und andere dabei herbeizaubern wollte.

Es war gerade Sabbat, und an diesem Tage pflegte ihr die alte Rahel und am Sonntag die Mutter ein gelbseidenes Kleidchen anzuziehen. Das stach Ulrich immer besonders in die Augen, und wenn sie es anhatte, war er gefügiger als sonst und tat ihr jeden Gefallen. Darum freute sie sich, daß es gerade Sabbat war, und wie sie ihm über das Wams gefahren war, strich er jetzt mit der Hand über die Seide.

Sie hatten einander nicht viel zu sagen, denn in Gegenwart anderer stockten ihnen immer die Zungen. Dafür gab ihm der Doktor manch mahnendes Wort zu hören, und Frau Elisabeth küßte ihn und hängte ihm zum Andenken ein goldenes Ringlein mit einem schillernden Stein an den Hals, und die alte Rahel gab ihm ein Tuch voll frisch gebackener Dauerkuchen mit auf den Weg.

Am Johannistag um Mittag stand er mit seinem Vater vor der Pforte des Klosters. Dort warteten Knechte und mutige Rosse, und der Torwart wies auf sie hin und sagte: »Der Frohlinger Graf ist drinnen.«

Da erbleichte der Schmied, preßte den Knaben so fest an die Brust, daß er stöhnte, und bat dann einen Laienbruder, Pater Benediktus zu rufen. Dem übergab er sein Kind und machte sich gesenkten Hauptes auf den Heimweg.

Ulrich hatte bis dahin nicht gewußt, ob er sich auf die Klosterschule freuen oder vor ihr fürchten solle. Die Vorbereitungen waren vergnüglich gewesen, und die Aussicht, mit Junkern und feinen Bürgersöhnen auf der gleichen Bank zu sitzen, schmeichelte ihm; wie er aber den Vater abziehen sah, ward ihm weich ums Herz, und die Augen wurden ihm feucht. Als das der Pater bemerkte, zog er ihn an sich, klopfte ihm die Schulter und sagte: »Nur brav sein! Wirst sehen, 's ist schöner bei uns als drunten am Richtberg.«

Das gab dem Knaben zu denken, und er sah sich nicht um, als der Pater ihn die steile Anfahrt hinauf und an dem Refektorium vorbei in den Hof führte.

In den Kreuzgängen, die ihn umgaben, gingen Mönche still auf und nieder, und einer oder der andere hob das geschorene Haupt höher über die weiße Kapuze und warf einen Blick auf den neuen Schüler.

Hinter dem Hofe stand das stattliche Giebelhaus mit den Gastzimmern, und zwischen ihm und der Kirche lag der Schulgarten, eine mit Obstbäumen bepflanzte Wiese, die durch eine Mauer von der Landstraße getrennt ward.

Benediktus öffnete das Holztor und schob Ulrich auf den Spielplatz.

Dort war es laut genug hergegangen, aber bei seinem Erscheinen stockte das Spiel, und die künftigen Genossen stießen einander an und maßen ihn mit prüfenden Blicken.

Der Pater winkte einigen Schülern und machte sie mit dem Sohne des Schmiedes bekannt, dann strich er Ulrich noch einmal über die Locken und ließ ihn mit den anderen allein.

Am Johannistag hatten die Buben frei und durften nach Herzenslust spielen.

Sie kümmerten sich nicht sonderlich um Ulrich, und nachdem sie ihn weidlich begafft und einige Worte mit ihm gewechselt, setzten sie den unterbrochenen Versuch fort. Steine über das Kirchendach zu werfen.

Ulrich sah sich indessen seine Kameraden an.

Es waren kleinere und größere, blonde und braune darunter; aber keiner, mit dem er es nicht aufgenommen hätte. Darauf bezog sich seine Prüfung in erster Reihe.

Endlich wandte sich seine Aufmerksamkeit dem Spiel zu. So viel Steine auch geworfen wurden, so viele schlugen auf den Schiefer des Daches; keiner kam über die Kirche. Je länger die erfolglosen Anstrengungen dauerten, desto entschiedener wurde das überlegene Lächeln an Ulrichs Munde, desto schneller pochte sein Herz. Seine Augen suchten auf dem Rasen umher, und als er einen flachen, scharfkantigen Stein entdeckt hatte, bückte er sich schnell, drängte sich schweigend in die Reihe der Werfenden, schwang den Oberkörper weit zurück, nahm alle Kraft zusammen und schleuderte den Stein in einem schönen Bogen hoch in die Luft.

Vierzig funkelnde Augen folgten ihm, und als der Kiesel hinter dem Kirchendache verschwand, brach ein helles Jubelgeschrei los.

Nur ein lang aufgeschossener, schwarzhaariger Bursch blieb stumm und suchte, während die anderen Ulrich aufforderten, noch einmal zu werfen, nach einem Stein und setzte alles daran, es dem »Grünspecht« nachzutun, und beinahe wäre es ihm auch gelungen.

Nun ließ Ulrich dem ersten einen zweiten Stein folgen, und wieder gelang ihm der Wurf Der schwarze Xaver griff sogleich nach einem neuen Geschoß, und das, was nun kommen sollte, nahm die Aufmerksamkeit aller so sehr in Anspruch, daß sie nichts anderes sahen und hörten, bis eine tiefe Stimme ihnen bestimmt und doch nicht unfreundlich zurief: »Das Werfen hört auf, ihr Buben! Man treibt kein Spiel mit der Kirche!«

Dabei fielen den jüngeren Knaben die Steine, die sie für die Wettkämpfer herbeigebracht hatten, gar schnell aus den Händen, denn der sie angerufen hatte, war kein Geringerer als der Herr Abt.

Bald näherten sich diesem die Großen und Kleinen, um ihm die Hand oder den Ärmel zu küssen, und der stattliche Herr, welcher die ihm untergebene Schar mit den dunklen Augen sicher zu leiten verstand, ließ sich das schweigend und freundlich gefallen.

»Ernst im Dienst und heiter beim Spiel« war seine Devise. Der Graf von Frohlingen, welcher mit ihm zugleich in den Schulgarten getreten, schaute dagegen drein wie einer, dessen Wahlspruch lautet: »Niemals ernst und immerdar heiter.«

Der Graf war, seitdem Ulrichs Mutter ins Weite gegangen, nicht jünger geworden, aber seine Augen blickten noch immer froh in die Welt, und das Ziegelrot, welches sein hübsches Gesicht zwischen dem weichen blonden Vollbart und den Augen färbte, gab Kunde, daß er dem Wein nicht weniger freundlich gesinnt war als holdseligen Frauen. Und wie ihm das Atlasgewand ließ und die samtne Schaube, und wie schön sich die weißen Puffen von dem tiefen Blau der Kleider abhoben! Wie stolz wölbten sich die weiße und die gelbe Feder über das Barett, und wie fein waren die Spitzen an der Halskrause und den Manschetten! Sein Sohn, das leibhaftige Ebenbild des schmucken Vaters, stand neben ihm, und er hatte ihm den Arm zutraulich über die Schulter gelegt, als wäre er nicht sein Kind, sondern ein guter Kamerad.

»Teufelskerle!« raunte der Graf dem Abt zu. »Habt Ihr den Blondkopf werfen sehen? Aus welchem Hause stammt wohl der Junker?«

Der Prälat zuckte die Achseln und entgegnete lächelnd:

»Aus der Schmiede am Richtberg.«

»Dem Adam gehört er?« lachte der andere. »Alle Wetter! Um seiner Mutter willen hat man mir damals im Beichtstuhl eine saure Stunde bereitet. Das Haar und die Augen hat er von der schönen Florette; sonst gleicht er dem Vater. Mit Eurer Erlaubnis, Herr Abt, ich ruf' mir den Buben.«

»Später, später,« entgegnete der Leiter des Klosters in freundlich ablehnendem Tone, der keinen Widerspruch zuließ. »Kündet den Knaben zuerst, was wir beschlossen.«

Der Frohlinger verneigte sich ehrerbietig, zog dann seinen Sohn fester an sich und erwartete die Buben, die der Abt heranwinkte.

Sobald sie dicht aneinander geschlossen vor ihm standen, rief der Graf:

»Ihr habt vorhin von dem Tunichtgut Abschied genommen. Was würdet ihr sagen, wenn ich ihn noch bis Weihnachten unter euch ließe? Der Herr Abt will ihn solange behalten, und ihr, ihr ...«

Aber er hatte nicht Zeit, zu Ende zu reden, denn die Schüler stürmten auf ihn ein und riefen und schrien:

»Hierbleiben, Philipp! Graf Lips soll bleiben!«

Ein kleiner Flachskopf schmiegte sich fest an den neugewonnenen Beschützer, ein anderer küßte dem Grafen die Hand, und zwei größere Knaben faßten Philipp am Arm und versuchten, ihn von dem Vater fort und in ihren Kreis zurückzuziehen.

Der Abt sah diesem Treiben freundlich zu, und dem älteren Grafen rannen helle Tränen in den Bart, denn er hatte ein leicht zu rührendes Herz. Als er die Fassung wieder gewonnen, rief er:

»Lips bleibt, ihr Schelme, er bleibt! Und der Herr Abt hat gestattet, daß ihr heute mit mir aufs Jagdhaus kommt und ein Johannisfeuer anzündet, und dabei soll es an Wein und Kuchen nicht fehlen!«

»Hoch, hoch! Vivat der Graf!« schrien die Schüler, und wer das Barett aufhatte, warf es in die Höhe, und Ulrich ließ sich von den anderen fortreißen, und all die bösen Worte, mit denen sein Vater den schönen, fröhlichen Herrn dort so reichlich bedacht hatte, und des Hangemarx Schmähungen auf Ritter und Edelleute waren vergessen.

Der Abt und sein Begleiter entfernten sich, Graf Lips aber rief, sobald sich die Knaben unbeobachtet wußten:

»Du da, Grünspecht, du bist übers Dach gekommen. Ich hab's gesehen. Her mit dir, Bursche. Übers Dach? das wär' mir das Rechte! Wer das erste Fenster im Turme entzwei wirft, der ist der Sieger.«

Der Sohn des Schmiedes fühlte sich befangen, weil er sich vor dem Unfug scheute und es ihm vor dem Herrn Abt und dem Vater bangte; als aber der junge Graf ihm die geschlossenen Hände entgegenhielt und dazu sagte: »Triffst du den roten Kiesel, so wirfst du zuerst,« wies er auf die Rechte seines Genossen, und da der rote Stein darin versteckt lag, begann er das Wettspiel. Er warf und traf das Fenster, und unter lautem Jubel der Knaben löste sich mehr als eine runde Glastafel aus dem Blei und fiel in Splittern klirrend auf das Kirchendach und von dort still auf den Rasen. Graf Lips lachte laut auf vor Vergnügen und schickte sich an, es Ulrich nachzutun, aber nun war das hölzerne Tor heftig aufgestoßen und Bruder Hieronymus, der strengste von allen Patres, erschien auf dem Spielplatz. Die Wangen des eifrigen Mönches glühten vor Zorn, schrecklich klangen die Drohungen, die er ausstieß, und mit der Beteuerung, daß die Johannisfeier abgestellt werden würde, wenn sich der Ruchlose, welcher das Turmfenster tempelschänderisch zertrümmert, nicht melde, maß er die Schüler mit rollenden Augen.

Da trat der junge Graf keck hervor und sagte bittend:

»Ich hab's getan, Herr Pater, unversehens ... verzeiht mir.«

»Du?« fragte der Mönch, und seine Stimme klang milder und weniger laut, als er fortfuhr: »Unverstand, Übermut und kein Ende! Wann wirst du endlich Besonnenheit lernen, Graf Philipp? Weil du es ungern getan, so mag es denn heute so hingehen.«

Dabei verließ der Pater den Hof, und sobald die Tür sich hinter ihm geschlossen, trat Ulrich nahe an den großmütigen Genossen heran und sagte so leise, daß nur er ihn verstand, und doch dankbar aus dem tiefsten Grunde des Herzens: »Das vergelt' ich dir einmal.«

»Dummheit,« lachte der junge Graf und legte den Arm um die Schulter des Handwerkersohnes. »Wenn das Glas nicht klapperte, so würfe ich jetzt; aber morgen ist auch noch ein Tag.«


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