Georg Ebers
Ein Wort
Georg Ebers

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Vierzehntes Kapitel

Ulrich war zum erstenmal Zeuge beim Tod eines Menschen geworden.

Wie oft hatte er über den Narren gelacht oder seine Reden gar für aberwitzig und frevlerisch gehalten; – aber der tote Mann flößte ihm Ehrfurcht ein, und der Gedanke an den Leichnam des Alten wirkte weit tiefer und nachhaltiger auf ihn als das vermeinte Ende seines Vaters.

Bis dahin hatte er sich diesen nur wie bei Lebzeiten vorstellen können, jetzt aber trat er ihm oft in lang ausgestreckter Stellung und so bleich und starr wie der verstorbene Pellicanus vor das innere Auge.

Der Maler war ein schweigsamer Mann und verstand es besser, mit Linien und Farben als mit Worten zu denken und zu reden. Nur wenn das Gespräch Gegenstände betraf, die mit seiner Kunst in Zusammenhang standen, wurde er beredt und feurig.

Zu Toulouse erstand er drei neue Pferde und nahm ebensoviel französische Diener an. Er ging auch zu einem Juwelier und kaufte dort mancherlei ein. In der Herberge tat er die Kettlein und Ringe, die er erworben, in fünf artige Kästchen und schrieb darauf in sauberen Frakturlettern mit besonderer Sorgfalt: Helena, Anna, Minerva, Europa und Lucia; je einen dieser Namen auf jedes.

Ulrich schaute ihm zu und sagte, seine Kinder hießen doch anders.

Da schaute Moor auf und entgegnete lächelnd: »Das sind lauter junge Malerinnen, sechs Schwestern, und jede ist mir so lieb und wert, als wär's meine eigene Tochter. Wir finden sie hoffentlich in Madrid, die eine, Sofonisba, auf alle Fälle.«

»Aber es sind nur fünf Schachteln,« bemerkte der Knabe, »und Sofonisba habt Ihr auf keine geschrieben.«

»Die bekommt etwas Besseres,« schmunzelte der Künstler. »Mein Bild, an dem ich schon gestern malte, wird hier für sie fertig. Reich mir den Spiegel, den Stock und die Farben.«

Das gab ein herrliches Bildnis, und es fehlte daran nichts und gar nichts. Die reine Stirn zog sich an den Schläfen zu hohen Wölbungen hinauf, die kleinen Augen gerieten so klug und klar wie im Spiegel, der energische Mund mit dem dünnen Schnurrbart sah aus, als wollt' er sich eben zu einem freundlichen Worte öffnen. Das spitz geschnittene Haar an Wange und Kinn schmiegte sich an die weiße Krause, welche die Wäscherin eben mit dem Tolleisen aus der Hand gelegt zu haben schien.

Wie schnell und sicher der Meister den Pinsel führte! Und die Sofonisba, für die Moor ein solches Geschenk bestimmt hatte, wie sollt' er sich die nur denken? Und der anderen fünf Schwestern! Um ihretwillen freute er sich erst recht auf Madrid.

In Bayonne ließ der Meister den Wagen zurück. Das Gepäck wurde auf Maultiere geladen, und als der Reisezug aufbrach, bildete er eine ansehnliche Karawane.

Ulrich äußerte sein Befremden über solchen Aufwand, und Moor entgegnete ihm freundlich: »Pellicanus sagt: »Man muß unter Narren ein Narr sein!« Wir ziehen als Gäste des Königs in Spanien ein, und bei Hof hat man schwache Augen und beachtet nur, was sich breit macht.«

Zu Fuenterrabia, der ersten spanischen Stadt, die sie berührten, wurde der Künstler mit vielen Ehren empfangen, und von hier an bis Madrid gab ihm eine stattliche Reiterschar das Geleit.

Moor kam zum dritten Male als Gast des Königs Philipp in die Hauptstadt und wurde dort mit jeder Rücksicht, welche man sonst nur großen Herren erwies, aufgenommen.

Sein altes Quartier, im Schatzhause des Alkazar, des Palastes der Könige von Kastilien, tat sich ihm wieder auf. Es bestand aus der Werkstätte und einer Reihe von Zimmern, welche auf besonderen Befehl des Monarchen mit fürstlichem Glanz für ihn ausgestattet worden waren.

Ulrich konnte sich vor Staunen nicht lassen. Wie klein und dürftig wollte ihm hier alles erscheinen, was ihn noch vor kurzem auf dem Rappoltstein in Bewunderung und Erstaunen versetzt hatte.

In den ersten Tagen glich das Empfangszimmer des Meisters einem Bienenstocke, denn vornehme Herren und Frauen, weltliche und geistliche Würdenträger gingen ab und zu, Pagen und Lakaien brachten Blumen, Fruchtkörbe und andere Geschenke. Was zum Hofe gehörte, wußte, in wie hoher Gunst der Maler bei Seiner Majestät stand, und beeilte sich darum, ihn durch Huldigungen und Gaben für sich zu gewinnen. In jeder Stunde gab es Neues, Bewunderungswürdiges zu sehen, aber am meisten setzte den Knaben der Meister selbst in Erstaunen.

Der schlichte Mann, der auf der Reise mit den armen Kranken, die er am Wege auflas, mit den Wirten und Geleitsmännern so freundlich verkehrt hatte, als ob sie seinesgleichen wären, war hier ein ganz anderer. Zwar blieb er schwarz gekleidet, aber er trug nicht mehr Tuch und Seide, sondern Samt und Atlas und unter der Halskrause zwei goldene Ehrenketten. Gerade den Größten gegenüber gebärdete er sich, als erweise er ihnen eine Gunst, wenn er sie empfing, und als sei er ein unnahbar vornehmer Herr.

Gleich am ersten Tage hatten ihn Philipp und seine Gemahlin Isabella von Valois vor sich kommen lassen und mit einer neuen kostbaren Kette geschmückt.

Bei dieser Gelegenheit hatte Ulrich den König gesehen, denn er mußte Moor im Gewande eines Pagen das Gemälde nachtragen, das er seinem königlichen Gastfreund als Geschenk mitgebracht hatte.

Bei ihrem Eintritt in den großen Empfangssaal saß der Monarch regungslos da und schaute in die Luft, als ob alle, die hier um ihn versammelt waren, gar nicht für ihn vorhanden seien. Sein Haupt war weit zurückgebogen und drängte die steife Krause, auf der es wie auf einer Schüssel zu ruhen schien, nach hinten zurück. Das wohlgebildete Gesicht des blonden Mannes hatte das starre, leblose Ansehen einer Maske. Mund und Nasenflügel waren ein wenig zusammengezogen, als ob sie sich scheuten, die gleiche Luft mit anderen Menschenkindern zu atmen.

So verblieb das unbewegliche Antlitz des Monarchen, während er den Legaten des Papstes und die Gesandten der Republik Venedig empfing. Als Moor ihm entgegengeführt wurde, konnte man unter dem rundlich nach unten gewölbten weichen Schnurrbart und dem kurz gehaltenen Haar an Kinn und Wangen ein leises Lächeln bemerken; auch gewannen die matten Augen des Fürsten einiges Leben.

Am Tage nach dem Empfang erscholl eine Glocke in der Werkstätte. Diese mußte nun eiligst von allen Anwesenden geräumt werden, denn sie verkündete das Nahen des Königs, welcher ganz allein erschien und zwei volle Stunden bei Moor verblieb.

All diese Auszeichnungen hätten ein schwächeres Hirn wohl verwirren können, aber Moor ließ sie einfach über sich ergehen, und sobald er mit Ulrich oder Sofonisba allein war, zeigte er sich nicht weniger schlicht und gütig als zu Emmendingen und auf der Reise durch Frankreich.

Acht Tage nach dem Einzuge in das Schatzhaus erhielten die Diener den Auftrag, Herren und Damen, ohne Rücksicht auf Rang oder Person, abzuweisen, und zwar mit dem Bescheid, daß der Meister für Seine Majestät zu arbeiten habe.

Nur für Sofonisba Anguisciola war Moor immer zu sprechen. Wie ein Vater sein leibliches Kind, hatte er dies seltene Mädchen bei der Ankunft begrüßt.

Ulrich war zugegen gewesen, wie ihr der Meister sein Bildnis überreicht und mit angesehen, wie Sofonisba, von Freude und Dankbarkeit überwältigt, die Hände vor das Antlitz geschlagen hatte und in lautes Schluchzen ausgebrochen war.

Die Cremoneserin war bei dem ersten Aufenthalt des Meisters in Madrid als ganz junge Malerin mit dem Vater und fünf Schwestern an den Hof des Königs gekommen, und von vornherein hatte es ihr obgelegen, diese sechs zu ernähren.

Der alte Cavaliere Anguisciola war ein Edelmann aus vornehmem Hause, welcher sein großes väterliches Erbe leichtsinnig vertan hatte und, wie er sich gern ausdrückte, »mit Gottvertrauen« in den Tag hinein lebte. Ein großer Teil des Verdienstes seiner ältesten Tochter wurde von ihm mit froher Zuversicht auf das Talent, welches auch bei seinen jüngeren Töchtern hervortrat, und wiederum mit dem, was er »Gottvertrauen« nannte, verspielt und mit leichtfertigen Edelleuten verjubelt. Der geistreiche, heitere Italiener war überall ein gern gesehener Gast, und während Sofonisba sich von früh bis spät quälte und oft nicht wußte, wie sie ihre Schwestern und sich selbst angemessen kleiden und nähren sollte, war sein Leben eine Reihe von Gelagen und Festtagen. Dabei bewahrte das edle Mädchen den vom Vater ererbten frohen Mut; und was mehr ist: auch in der Not hörte sie nicht auf, es ernst mit der Kunst zu nehmen und nichts aus der Hand zu geben, was sie nicht für vollendet hielt.

Moor hatte sie zuerst stillschweigend beobachtet und sie dann eingeladen, in seiner Werkstätte zu arbeiten und sich seinen Rat und Beistand gefallen zu lassen. So war sie seine Schülerin, seine Freundin geworden.

Bald hatte sie vor ihm kein Geheimnis, und die Einblicke, die ihm in ihr häusliches Leben zu tun gestattet waren, rührten ihn und brachten sie ihm näher und näher.

Der alte Cavaliere pries den glücklichen Zufall und war gern bereit, sich gefällig zu erweisen, als Moor ihm anbot, ein Haus, das er gekauft hatte, mit seinen Töchtern zu beziehen, um es in wohnlichem Zustand zu halten, und als der Künstler den König veranlaßt hatte, Sofonisba ein höheres Jahresgehalt auszusetzen, schaffte der Alte sich sogleich ein zweites Roß an.

Für so viele Wohltaten war sie dem Meister dankbar ergeben, aber sie hätte ihn auch ohne sie geliebt. Der Verkehr mit ihm ging ihr über alles. Bei ihm sein und malen, sich mit ihm in Gespräche über die Kunst, ihre Aufgaben, Mittel und Ziele vertiefen zu dürfen, war ihr höchster, reinster Genuß. Wenn sie die Pflichten, welche der Dienst bei der Königin ihr auferlegte, ausgeübt hatte, zog sie das Herz zu dem geliebten, verehrten Manne, und jedesmal, wenn sie ihn verließ, war es ihr, als sei sie in der Kirche gewesen, als habe sie sich in einem Seelenbade geläutert.

Moor hatte gehofft, auch ihre Schwestern in Madrid zu finden; aber der alte Cavaliere hatte sie mit sich fort nach Italien genommen. Sein »Gottvertrauen« war belohnt worden, denn er hatte eine stattliche Erbschaft gemacht. Was sollte er länger in Madrid! Die steifen, pathetischen Spanier zu unterhalten und zum Lachen zu bringen, sagte ihm weit weniger zu, als in der Heimat mit heiteren Genossen fröhlich zu sein und sich unterhalten zu lassen.

Sofonisba war versorgt, und es fehlte der schönen, munteren, wohlberufenen Hofdame auch nicht an Freiern. Dem reichsten und vornehmsten unter ihnen, dem sizilianischen Baron Don Fabbrizio di Moncada hatte er gegen den Wunsch seiner Tochter Hoffnung auf ihre Hand gegeben. »Erobert die Festung! Wenn sie sich ergibt – Ihr dürft sie behalten,« waren seine letzten Worte gewesen, aber die Burg schien uneinnehmbar, obgleich der Belagerer als wackere Hilfstruppen ritterliches, vornehmes Wesen, unbefleckten Ruf, eine schöne männliche Gestalt, gewinnendes Wesen und großen Reichtum ins Feld zu führen hatte.

Ulrich fühlte sich ein wenig enttäuscht, die fünf jungen Mädchen, von denen er geträumt hatte, nicht in Madrid zu finden; es würde vergnüglich gewesen sein, hübsche Gefährtinnen bei der Arbeit zu haben, die bald beginnen sollte.

Neben der Werkstätte befand sich ein kleiner, durch einen verschließbaren Gang und einen schweren Teppich von dieser gesonderter Raum. Hier wurde für Ulrich in günstigem Licht ein Arbeitstisch eingerichtet, an dem die fünf Mädchen recht gut Platz gefunden hätten. – Er mußte nach plastischen Modellen zeichnen, und an diesen war kein Mangel im Alkazar, denn hier befand sich ein turmartiger, drei Stockwerke hoher Flügel, in den sich König Philipp gerne zurückzog, wenn er, müde des ränkevollen Spieles seiner Staatskunst und des höfischen Zwanges, der einzigen freundlichen Regung seiner düstern Seele nachgab und sich an den edlen Gebilden der Kunst erfreute.

In dem runden Saale zu ebener Erde wurden in Nußbaumschränken von auserlesener Arbeit zahllose Pläne, Risse, Zeichnungen und Kunstblätter aufbewahrt. Über diesem edel ausgeschmückten Saale befand sich die Bücherei und im dritten Stockwerk der große Saal mit den Meisterwerken des Tizian.

Der rastlose Politiker Philipp war nicht weniger eifrig bedacht, neue und schöne Schöpfungen des großen Venezianers zusammenzubringen und zu erwerben, als seine eigene Macht und die Gewalt der Kirche zu stützen und zu erhöhen. Aber diese Schätze wurden eifersüchtig verschlossen gehalten und waren keinem Sterblichen zugänglich, als ihm selbst und seinen Künstlern.

Philipp war sich alles in allem; der Zweite und Dritte galt ihm nichts; darum brauchten sie auch nichts von dem mitzugenießen, was er genoß.

Wenn sich für ihn außerhalb der Kirche überhaupt etwas aus dem Nichts hervorhob, so war es der Künstler, und darum gönnte er ihm, was er jedem anderen versagte.

Nicht nur hier oben, sondern auch in den unteren Räumen waren an passenden Stellen antike und neuere Bildsäulen und Büsten aufgestellt, und unter ihnen stand Moor die Wahl frei, denn ihm gestattete der König, was keinem anderen vergönnt war.

Oftmals ließ er ihn in den Tiziansaal berufen, und öfter noch zog er die Klingel und betrat dann den ihm allein zugänglichen hölzernen Verbindungsgang, der aus den der Kunst und Wissenschaft gewidmeten Räumen in das Schatzhaus und die Werkstätte führte, um stundenlang bei Moor zu verweilen.

Ulrich ging mit Eifer an die Arbeit, und der Meister verfolgte sein Mühen als treuer, aufmerksamer und strenger Lehrer. Dabei hütete er sich, den Knaben zu überbürden, ließ sich von ihm auf manchem Spazierritt begleiten und riet ihm, sich in der Stadt umzuschauen.

Anfänglich schlenderte Ulrich gern durch die Straßen und schaute den langen, glänzenden Prozessionen nach oder zog sich scheu zurück, wenn tief vermummte Männer, von deren Gestalten nichts sichtbar war als Augen und Füße, einen Toten vorbeitrugen oder mit geheimnisvollen Zielen durch die Straßen huschten. Die Stiergefechte hätten ihn wohl gefesselt, aber er liebte die Pferde, und es tat ihm weh, die edlen Tiere verstümmeln und töten zu sehen.

An den geistlichen und weltlichen Zeremonien, die es beinahe täglich zu schauen gab, und die auf die Madrider stets die gleiche Anziehungskraft übten, hatte er sich bald satt gesehen. Von Geistlichen wimmelte es im Alkazar, und Soldaten von allen Truppengattungen zogen täglich in den Palast auf Wache oder an ihm vorbei.

Auf der Reise waren ihm genug Maultiere mit bunten Puscheln und Quasten, eigentümlich gekleidete Bauern und Bürger begegnet. Herren in glänzender Hoftracht, Prinzen und Prinzessinnen sah er täglich in den Höfen, auf den Treppen, im Park des Schlosses.

Zu Toulouse und in anderen Städten, die er passiert hatte, war das Leben weit geschäftiger, reger und munterer gewesen als in dem stillen Madrid, wo alles einherging, als befinde es sich auf dem Kirchgang, wo ein heiteres Gesicht zu den Seltenheiten gehörte und Männer und Frauen nichts Schöneres und Fesselnderes kannten, als arme Ketzer und Juden verbrennen zu sehen.

Ulrich brauchte die Stadt nicht, und die Burg Alkazar war eine Welt für sich und bot ihm alles, was er begehrte.

In den Ställen verweilte er gern, denn dort konnte er sich sicher hervortun; aber es war auch schön bei der Arbeit, denn Moor suchte ihm Modelle und Vorlagen aus, die ihm gefielen, und Sofonisba Anguisciola, die oft stundenlang in der Werkstätte neben dem Meister malte, kam in den Pausen zu ihm, sah, was er vollendet, half ihm, lobte oder schalt, und verließ ihn nie ohne einen Scherz auf den Lippen.

Freilich blieb er auch manchmal sich selbst überlassen; denn der König rief den Meister zuweilen ab und verließ dann auf mehrere Tage mit ihm das Schloß, um entlegene Landhäuser mit ihm zu besuchen und dort – der alte Holländer hatte es ihm anvertraut – unter Leitung des Meisters zu malen.

Im ganzen gab es hier Neues, Seltsames, Erfreuliches genug, um die Empfindung des Glücks in dem Knaben lebendig zu halten. Verdrießlich war nur, daß er sich mit den Leuten so schlecht verständigen konnte; aber auch das sollte bald besser werden, denn der Schüler bekam zwei Kameraden.


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