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Josef und ich waren etwa seit einer Stunde mit den Vorbereitungen zu meiner Abreise beschäftigt, als die Türglocke heftig gezogen wurde.
»Soll ich öffnen?« fragte Josef.
»Ja,« sagte ich, mich im stillen wundernd, wer zu dieser Stunde noch zu mir komme; denn daß es Margarete sei, wie mir eine geheime Ahnung sagte, wagte ich nicht zu hoffen.
»Es sind zwei Damen,« sagte Josef zurückkommend, »Ich habe sie in den Salon geführt.«
»Wir sind's, Armand!« rief mir eine Stimme zu, in der ich Prudence erkannte.
Ich flog in den Salon.
Prudence betrachtete einige Kunstsachen, die ich gesammelt hatte und in meinem Zimmer aufbewahrte. Margarete saß in nachsinnender Stellung auf dem Sofa.
Ich ging sogleich auf sie zu, faßte ihre beiden Hände und flüsterte das Wort Verzeihung.
Sie drückte mir einen Kuß auf die Stirn und sagte zu mir:
»Es ist schon das drittemal, daß ich Ihnen verzeihe.«
»Ich wollte morgen abreisen,« sagte ich.
»Mein Besuch darf Ihren Entschluß nicht ändern,« erwiderte Margarete. »Ich bin nicht gekommen, um Ihre Abreise zu verhindern, sondern weil ich heute noch keine Zeit gefunden habe, Ihnen zu antworten, und Ihnen nicht die Meinung lassen wollte, ich sei noch böse auf Sie. Prudence wollte auch nicht zugeben, daß ich hierher ginge, sie meinte, ich würde Sie vielleicht stören.«
»Sie – mich stören, Margarete! Wie wäre das möglich?«
»Es wäre ja möglich gewesen, daß wir ein zärtliches tête-à-tête unterbrochen hätten«, antwortete Prudence, »und eine solche Unterbrechung würde für beide Teile nicht angenehm gewesen sein.«
Während Prudence dies sagte, sah mich Margarete aufmerksam an.
»Liebe Prudence,« antwortete ich, »Sie wissen nicht, was Sie reden.«
»Ihre Wohnung ist wahrlich sehr nett,« erwiderte Prudence, »kann man das Schlafzimmer sehen?«
»O ja.«
Prudence trat in mein Zimmer, weniger um es zu sehen, als um die unüberlegten Worte, die sie gesprochen, wieder gut zu machen und um mich mit Margarete allein zu lassen.
»Warum hast Du Prudence mitgebracht?« sagte ich, Margaretens Hände wieder ergreifend.
»Weil sie mit mir im Theater war und weil ich von hier nicht gern allein fortgehen wollte.«
»War ich denn nicht da?«
»Jawohl, aber erstens wollte ich Dir keine Mühe machen und überdies wußte ich wohl, daß Du an meiner Haustür darauf bestehen würdest, mich auf mein Zimmer zu begleiten und da ich darein nicht willigen konnte, so wollte ich nicht, daß Du mir eine Weigerung vorzuwerfen hättest.«
»Und warum konntest Du mich nicht empfangen?«
»Weil ich sehr scharf beobachtet werde und durch den mindesten Verdacht in großen Schaden kommen könnte.«
»Ist das der einzige Grund?«
»Wenn noch ein anderer Grund vorhanden wäre, so würde ich ihn nicht verschweigen; wir haben ja keine Geheimnisse mehr voreinander.«
»Höre, Margarete, ich will keine Umwege nehmen, um zur Sache zu kommen. Sage aufrichtig, bist Du mir gut?«
»Von ganzem Herzen.«
»Warum hast Du mich denn getäuscht?«
»Lieber Freund, wenn ich eine Herzogin wäre, wenn ich zweihunderttausend Livres Renten hätte, wenn ich Deine Geliebte wäre und außer Dir noch einen Geliebten hätte, so würdest Du das Recht haben zu fragen, warum ich Dich täusche; aber ich bin Mademoiselle Margarete Gautier, ich habe vierzigtausend Franks Schulden, keinen Sou Vermögen und brauche jährlich hunderttausend Franks. Meine Antwort ist also ebenso überflüssig wie Deine Frage.«
»Das ist wahr,« sagte ich, indem ich meinen Kopf auf Margaretens Schulter sinken ließ – »aber ich liebe Dich zum Rasendwerden.«
»Du solltest mich etwas weniger lieben, aber mich etwas besser verstehen. Dein Brief hat mir viel Schmerz gemacht. Wenn ich frei wäre, so würde ich Dich gestern um Verzeihung gebeten haben, wie Du mich heute um Verzeihung bittest; ich würde meiner Liebe zu Dir alle anderen Rücksichten opfern und nur Dir allein leben. Ich hoffte einen Augenblick, dieses Glück sechs Monate lang genießen zu können: Du hast es nicht gewollt, Du wolltest die Mittel kennen lernen; ei, mein Gott, die Mittel waren sehr leicht zu erraten. Durch die Anwendung derselben brachte ich ein größeres Opfer als Du glaubtest. Ich hätte zu Dir sagen können: Ich brauche zwanzigtausend Franks; Du liebst mich, Du würdest die Summe aufgetrieben haben, auf die Gefahr hin, mir in der Folge einen Vorwurf darüber zu machen; ich zog es vor, Dir nichts zu verdanken. Diese zarte Rücksicht – denn eine solche ist es – hast Du nicht verstanden. Wir femmes entretenues geben den Worten und Dingen eine Ausdehnung und Bedeutung, welche die anderen Frauen nicht ahnen. Ich wiederhole also, daß das Mittel, durch welches Margarete Gautier ihre Schulden zu bezahlen suchte, eine zarte Rücksicht gegen Dich war und Du hättest dasselbe ohne Murren annehmen sollen. Wenn Du mich erst heute kennen gelernt hättest, so würdest Du überglücklich sein durch das, was ich Dir versprechen würde und Du würdest mich nicht fragen, was ich vorgestern getan. Wir sehen uns zuweilen in die Notwendigkeit versetzt, eine Befriedigung für unseren Geist mit schweren Opfern zu erkaufen.«
Ich betrachtete Margarete mit Bewunderung und Entzücken. Wenn ich bedachte, daß dieses wunderherrliche Wesen, von welchem mich sonst ein lächelnder Blick überglücklich gemacht haben würde, nur ganz Liebe und Hingebung für mich war und daß ich noch nicht zufrieden war mit dem, was sie mir gewährte, so fragte ich mich, ob die Wünsche des Mannes Grenzen haben, wenn er, trotz der unerwartet schnellen Befriedigung derselben, noch nach etwas anderem strebt.
»Höre, lieber Armand,« sagte Margarete zu mir, »wir Geschöpfe des Zufalles haben phantastische Wünsche und unbegreifliche Liebeslaunen. Wir gewähren dem einen, was wir dem andern versagen. Manche opfern ihr ganzes Vermögen, ohne etwas von uns zu erlangen; andere hingegen gewinnen uns mit einem Blumenstrauß. Unser Herz hat keine andere Zerstreuung und keine andere Entschuldigung, als seine Launen. Du hast mich schneller für Dich gewonnen, als dies je einem Manne gelungen ist, das schwöre ich Dir; warum? weil Du Mitleid mit mir hattest und teilnehmend meine Hand ergriffest, als ich Blut hustete, weil Du das einzige menschliche Wesen warst, das mich bedauerte. Ich will Dir etwas Albernes sagen, aber es ist vollkommen wahr. Ich hatte einen kleinen Hund, der mich immer ganz traurig ansah, wenn ich hustete, es war das einzige Geschöpf, das ich lieb hatte. Als er starb, weinte ich mehr als bei dem Tode meiner Mutter. Sie hatte mich freilich zwölf Jahre lang geschlagen ...
»Wenn die Männer wüßten, was sich mit einer Träne, mit einem teilnehmenden Blick erlangen läßt, so würden sie mehr geliebt werden und wir würden nicht so verschwenderisch sein.
»Dein Brief hat Dich Lügen gestraft, er hat Dir von meiner Liebe mehr entzogen, als alles, was Du hättest tun können. Es war freilich Eifersucht, aber spöttische, verletzende Eifersucht. Ich war schon traurig gestimmt, als ich Deinen Brief erhielt: ich hoffte Dich am Mittag zu sehen, mit Dir zu frühstücken und in Deiner Gesellschaft einen mich beständig verfolgenden Gedanken zu verscheuchen – einen Gedanken, dem ich früher, bevor ich Dich kannte, ohne Bedenken nachhing.
»Außerdem,« fuhr Margarete fort, »warst Du die einzige Person, vor welcher ich sogleich frei denken und reden zu können glaubte. Jeder, der sich uns nähert, hat ein Interesse, dem Sinn unserer geringsten Worte nachzuspüren, aus unseren unbedeutendsten Handlungen einen Schluß zu ziehen. Wir haben natürlich keine Freunde. Wir haben selbstsüchtige Anbeter, die ihr Vermögen nicht für uns, wie sie sagen, sondern für ihre Eitelkeit vergeuden.
»In die Launen dieser Leute müssen wir uns unbedingt fügen; wir müssen heiter sein, wenn sie zum Scherzen aufgelegt sind und Appetit haben, wenn sie soupieren wollen. Ein Herz dürfen wir nicht haben, bei Strafe der Verhöhnung und des Verlustes unseres ganzen Ansehens.
»Wir gehören uns selbst nicht mehr an. Wir sind keine Wesen mehr, sondern Sachen. Wir sind die ersten in ihrer Eigenliebe, die letzten in ihrer Achtung, Wir haben Freundinnen, aber es sind Freundinnen wie Prudence, vormalige femmes entretenues, deren Schönheit ihnen nicht mehr die Mittel zur Befriedigung ihrer kostspieligen Gelüste bietet. Sie werden dann unsere Freundinnen oder vielmehr unsere Tischgenossinnen. Ihre Freundschaft geht bis zur Untertänigkeit, nie bis zur Uneigennützigkeit. Sie geben uns nie einen anderen Rat als einen gewinnbringenden. Es kümmert sie nicht, ob wir zehn Verehrer mehr haben, wenn nur seidene Kleider und Schmucksachen für sie abfallen und ihnen ein Platz in unserem Wagen oder in unserer Loge eingeräumt wird. Sie schmücken sich mit den Buketts, die wir tags zuvor getragen haben und borgen unsere Kaschmirs. Sie erweisen uns nie den geringsten Dienst, ohne sich doppelt so viel als er wert ist, dafür bezahlen zu lassen. Du hast es selbst gesehen an dem Abende, wo mir Prudence sechstausend Franks brachte, die sie für mich von dem Herzoge geholt halte; sie hat fünfhundert Franks von mir geborgt, die sie mir nie wieder geben oder in Hüten bezahlen wird, die niemals aus ihren Schachteln kommen werden.
»Bei meiner oft trüben Stimmung und in meinem stets leidenden Zustande konnte ich nur ein Glück haben: einen Mann zu finden, der edel genug dachte, um mich über mein Leben nicht zur Rede zu stellen und mich ohne Selbstsucht liebte. Diesen Mann hatte ich in der Person des Herzogs gefunden, aber der Herzog ist ein Greis und das Greisenalter bietet weder Schutz noch Trost. Ich glaubte das Leben, das er mir bereitete, annehmen zu können; aber ich vermochte die Langweile nicht zu ertragen, das ruhige, eintönige Leben wäre mein Tod gewesen; wenn man einmal umkommen soll, so kann man sich ja ebensogut in die Flammen eines brennenden Hauses stürzen, als sich mit Kohlendampf ersticken.
»Da wurde ich mit Dir bekannt: in Deinem jugendlich-feurigen, gefühlvollen Wesen glaubte ich mein Ideal gefunden zu haben und ich beschloß, mitten in meiner geräuschvollen Gesellschaft nur Dir zu leben. Ich liebte in Dir nicht sowohl was schon da war, als vielmehr das, was ich noch erwartete. Du nimmst diese Rolle nicht an, Du weisest sie als Deiner unwürdig zurück, Du bist ein ganz gewöhnlicher Bewunderer meiner Reize; mache es wie die anderen, finde Dich mit mir ab und reden wir nicht mehr davon.«
Margarete, durch dieses lange Bekenntnis erschöpft, lehnte sich im Sofa zurück und drückte ihr Schnupftuch auf den Mund, um einen leichten Hustenanfall zu ersticken.
»Verzeih' mir,« stammelte ich: »ich habe das alles eingesehen, aber ich wollte es von Dir selbst hören, meine geliebte Margarete. Vergessen wir das Vergangene und erinnern wir uns nur, daß wir für einander geschaffen sind und daß wir uns lieben ... Margarete,« fuhr ich fort, indem ich sie in meine Arme schloß, »mache mit mir, was Du willst, ich bin Dein Sklave; aber um des Himmels willen zerreiß meinen Brief und laß mich morgen nicht abreisen; es würde mir das Leben kosten.«
Margarete zog meinen Brief aus dem Busen, überreichte mir ihn und sagte mit unaussprechlich zauberischem Lächeln:
»Ich habe ihn schon mitgebracht.«
Ich zerriß den Brief und bedeckte Margaretens Hände mit glühenden Küssen.
In diesem Augenblicke trat Prudence ein.
»Wissen Sie wohl, Prudence, was er von mir verlangt?« sagte Margarete.
»Daß Sie ihm verzeihen sollen.«
»Ganz richtig.«
»Und Sie verzeihen ihm?«
»Ich muß wohl; aber er verlangt noch etwas anderes ...«
»Was denn?«
»Er will mit uns soupieren.«
»Und Sie willigen ein?«
»Was sagen Sie dazu?«
»Ich sage, daß Ihr zwei Kinder seid, denen das Herz mit dem Kopf davonläuft; aber ich sage auch, daß ich großen Hunger habe und mich daher seiner Bitte anschließe.«
»Gut, gut, ich gewähre sie,« sagte Margarete.
»Wir Drei haben in meinem Wagen Platz ... Hier nimm meinen Schlüssel,« setzte sie, sich zu mir wendend, hinzu. »Nanine wird schon schlafen, Du öffnest die Tür, und ... wirst in Zukunft trachten, den Schlüssel nicht mehr zu verlieren.«
Ich küßte Margarete zum Ersticken.
In diesem Augenblicke trat Josef ein.
»Monsieur,« sagte er mit selbstgefälliger Miene, »die Reisekoffer sind gepackt.«
»Schon vollständig gepackt?«
»Ja, es ist alles bereit,«
»Nun, so packe nur wieder aus, ich reise nicht ab.«