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Rosa hatte sich nicht getäuscht. Am nächsten Tage kamen die Richter nach dem Buytenhoff und verhörten Cornelius van Baerle. Übrigens dauerte das Verhör nicht lange. Es wurde erwiesen, daß Cornelius diese unglückselige Correspondenz der Witt mit Frankreich bei sich aufbewahrt hatte.
Er leugnete es nicht.
In den Augen der Richter war nur zweifelhaft, ob ihm diese Correspondenz von seinem Paten Cornelius von Witt eingehändigt war.
Da Cornelius van Baerle jedoch seit dem Tode der beiden Märtyrer nichts mehr zu schonen hatte, so leugnete er nicht nur nicht, daß ihm Cornelius die Papiere persönlich anvertraut hatte, sondern erzählte sogar noch, wie, auf welche Weise und bei welcher Gelegenheit sie ihm anvertraut waren.
Diese offene Erklärung verwickelte ihn in das Verbrechen des Paten.
Zwischen den beiden Cornelius fand offenbare Mitschuld statt.
Cornelius beschränkte sich nicht auf dieses Geständnis: er sagte die ganze Wahrheit hinsichtlich seiner Sympathien, seiner Gewohnheiten, seines Umgangs. Er bekannte seine Gleichgiltigkeit in der Politik, seine Liebe zum Studium, zu den Künsten, zu den Wissenschaften und zu den Blumen. Er erzählte, daß er seit jenem Tage, wo Cornelius nach Dordrecht gekommen und ihm diese Papiere anvertraut, sie nicht ein einziges Mal berührt oder auch nur gesehen hätte.
Man wandte ihm ein, in dieser Hinsicht könnte er unmöglich die Wahrheit sagen, da die Papiere gerade in einen Schrank eingeschlossen wurden, in den er täglich hineinfaßte und hineinblickte.
Cornelius antwortete, das wäre allerdings wahr, aber er faßte nur in den Schrank, um sich zu überzeugen, ob seine Zwiebeln trocken wären, er blickte nur hinein, um sich zu überzeugen, ob seine Zwiebeln zu keimen anfingen.
Man wandte ihm ein, seine angebliche Gleichgiltigkeit hinsichtlich dieser Papiere könnte nicht als richtig betrachtet werden, denn nachdem er solche Papiere aus der Hand seines Paten erhalten hätte, müßte er ihre Wichtigkeit notwendig erkannt haben.
Darauf erwiderte er, sein Pate Cornelius hätte ihn zu sehr geliebt und wäre namentlich ein zu kluger Mann gewesen, um ihm etwas von dem Inhalt dieser Papiere zu sagen, da ein solches Vertrauen nur dazu gedient hätte, ihn zu quälen.
Man wandte ihm ein, hätte Herr von Witt so gehandelt, so würde er für den Fall der Not zu den Papieren einen Zettel des Inhalts gefügt haben, daß sein Pate dieser Correspondenz völlig fremd wäre, oder hätte ihm während seines Prozesses einen Brief geschrieben, der zu seiner Rechtfertigung dienen könnte.
Cornelius erwiderte, sicherlich hätte sein Pate nicht gedacht, daß seine Papiere, in einem Schranke verborgen, welcher dem ganzen Hause van Baerle ebenso sicher als die Arche Noah galt, irgend eine Gefahr liefen; folglich hätte er ein Zeugnis für unnötig gehalten, in Bezug auf einen Brief hätte er noch eine dunkle Erinnerung, daß unmittelbar vor seiner Verhaftung, als er in die Betrachtung einer der merkwürdigsten Zwiebeln versunken gewesen, der Diener des Herrn Johann von Witt in sein Trockenzimmer getreten wäre und ihm ein Papier überreicht hätte; von dem allen hätte er sich jedoch nur eine traumartige Erinnerung bewahrt; der Diener wäre verschwunden, und das Papier ließe sich vielleicht, wenn man es suchte, wiederfinden.
Kraeke war es unmöglich wiederzufinden, da er Holland bereits verlassen hatte.
Die Auffindung des Papieres war so unwahrscheinlich, daß man sich nicht einmal die Mühe, es zu suchen, gab.
Cornelius selbst legte auf diesen Umstand wenig Gewicht, da dieses Papier, selbst wenn es sich wiederfinden sollte, mit der Correspondenz, die das corpus delicti bildete, in keiner Beziehung stehen konnte.
Die Richter stellten sich, als trieben sie Cornelius zur besseren Verteidigung an. Sie beobachteten ihm gegenüber jene milde Geduld, die entweder einen von Teilnahme für den Angeklagten ergriffenen Richter, oder einen Sieger zu erkennen giebt, der seinen Gegner niedergeschmettert hat und seiner so vollkommen Herr ist, daß er ihn nicht zu unterdrücken braucht, um ihn zu verderben.
Cornelius nahm diese heuchlerische Protektion nicht an, und in einer letzten Antwort, die er mit dem Adel eines Märtyrers und der Ruhe eines Gerechten erteilte, sagte er:
»Sie fragen mich nach Dingen, meine Herren, auf die ich Ihnen nichts zu antworten habe, als die reine Wahrheit. So lassen Sie sich denn die reine Wahrheit gesagt sein. Das Päckchen ist auf dem beschriebenen Wege zu mir gekommen; ich beteure vor Gott, daß ich den Inhalt nicht kannte und auch jetzt noch nicht kenne; erst am Tage meiner Verhaftung erfuhr ich, daß diese Papiere die Correspondenz des Großpensionärs mit dem Marquis von Louvois wären. Ich beteure endlich, daß ich nicht weiß, wie man erfahren konnte, daß dieses Päckchen bei mir war, und namentlich, wie ich deshalb strafbar sein kann, daß ich das, was mir mein berühmter und unglücklicher Pate brachte, angenommen habe.«
Das war Cornelius ganze Verteidigungsrede. Die Richter schritten nun zur Abstimmung.
Sie erwogen:
Da jeder Teilnehmer an dem Bürgerzwiste dadurch verderblich ist, daß er den Krieg von neuem belebt, so liegt es im Interesse aller, ihn zu vernichten.
Einer von ihnen, und zwar ein Mann, der als ein tiefer Beobachter galt, behauptete, daß dieser scheinbar so phlegmatische junge Mann in Wirklichkeit sehr gefährlich sein müßte, da er unter dem Eismantel, der ihm als Hülle diente, ein glühendes Verlangen verbergen müßte, die Herren Witt, seine Verwandten, zu rächen.
Ein Anderer bemerkte, die Tulpenliebe vertrüge sich vollkommen mit der Politik, und es sei historisch erwiesen, daß mehrere höchst gefährliche Männer den Gartenbau mit einem Eifer betrieben hätten, als ob sie nur für ihn lebten, während sie sich mit ganz anderem beschäftigt hätten. Er berief sich auf Tarquinius Priscus, der Mohn baute, und den großen Condé, der in seinem Turme zu Vincennes seine Nelken begoß, und zwar in dem Augenblicke, wo jener an seine Rückkehr nach Rom und dieser an seine Flucht aus dem Gefängnis dachte.
Aus diesem Dilemma folgerte der Richter:
Entweder liebt Herr Cornelius van Baerle die Tulpen sehr oder er liebt die Politik sehr. In beiden Fällen hat er uns belogen, erstlich weil es bewiesen ist, und zwar durch die Briefe, die man bei ihm gefunden hat, daß er sich mit Politik beschäftigte, sodann, weil es bewiesen ist, daß er sich mit Tulpen beschäftigte. Die vorhandenen Brutzwiebeln liefern den Beweis. Da sich Cornelius van Baerle zugleich mit Tulpen und mit Politik beschäftigte, so wäre er, und darin bestände die ganze Abscheulichkeit, von einer Bastardnatur, von einer Amphibienbeschaffenheit, die sich der Tulpe wie der Politik mit gleicher Begeisterung hingäbe, was ihm alle Charaktere der der öffentlichen Ruhe gefährlichsten Menschenart zuführen würde, und ihm eine gewisse oder vielmehr vollständige Analogie mit jenen großen Geistern verliehe, von denen soeben Tarquinius Priscius und der Herr von Condé ein Beispiel gaben.
Das Ergebnis aller dieser Folgerungen war, der Prinz-Statthalter von Holland müßte dem Gericht sicherlich einen unendlichen Dank dafür wissen, daß es ihm die Verwaltung der sieben Provinzen durch die völlige Vernichtung der Verschwörung gegen sein Ansehen erleichterte.
Dieser Grund gewann die Oberhand, und um erfolgreich den Keim der Verschwörung zu vernichten, wurde gegen Herrn Cornelius van Baerle, angeklagt und überführt, unter dem unschuldigen Scheine eines Tulpenfreundes an den abscheulichen Intriguen und schändlichen Komplotten der Herren von Witt gegen die holländische Nationalität und an ihren geheimen Beziehungen zu dem französischen Feinde teilgenommen zu haben, einstimmig die Todesstrafe ausgesprochen.
Kurz zusammengefaßt lautete das Urteil: der erwähnte Cornelius van Baerle sollte aus dem Gefängnis Buytenhoff hinausgeführt und nach dem auf dem gleichnamigen Platze errichteten Schafotte gebracht werden, wo ihm der Scharfrichter den Kopf abschlagen sollte.
Da die Beratschlagung ernst gewesen war, hatte sie eine volle halbe Stunde gedauert, und während dieser halben Stunde war der Gefangene in sein Gefängnis zurückgeführt worden.
Dort las ihm der Gerichtsschreiber das Urteil vor.
Meister Gryphus wurde durch das Fieber, das ihm sein Armbruch verursachte, im Bette zurückgehalten. Seine Schlüssel waren in die Hände eines seiner Untergebenen übergegangen und hinter diesem Untergebenen, der den Gerichtsschreiber eingeführt, hatte sich Rosa, die schöne Friesin, in die Thürecke gestellt, ein Taschentuch vor dem Munde, um ihre Seufzer und ihr Schluchzen zu ersticken.
Cornelius hörte das Urteil mit einem mehr erstaunten als traurigen Gesicht.
Nach Vorlesung des Urteils fragte ihn der Gerichtsschreiber, ob er etwas zu erwidern hätte.
»Nicht das Geringste. Nur gestehe ich, daß ich unter allen Todesursachen, die ein vorsichtiger Mann, um sie abzuwehren, voraussehen kann, diese nie geahnt habe.«
Auf diese Antwort grüßte der Schreiber Cornelius van Baerle mit der ganzen Achtung, die solche Beamte allen derartigen großen Verbrechern zu schenken pflegen.
Und als er hinausgehen wollte, sagte Cornelius:
»Wollen Sie mir nicht gefälligst angeben, wann es geschehen soll?«
»Ei heute,« versetzte der Schreiber, durch die Kaltblütigkeit des Verurteilten ein wenig unangenehm berührt.
Ein Schluchzen ließ sich hinter der Thür vernehmen.
Cornelius beugte sich vor, um zu sehen, wer dieses Schluchzen ausgestoßen hätte; aber Rosa hatte die Bewegung geahnt und war zurückgewichen.
»Und um welche Stunde findet die Hinrichtung statt?«
»Um Mittag, mein Herr.«
»Potztausend,« rief Cornelius, »schon vor zwanzig Minuten hörte ich, wie ich glaube, zehn Uhr schlagen. Ich habe keine Zeit zu verlieren.«
»Um sich mit Gott zu versöhnen, da haben Sie Recht, mein Herr,« erwiderte der Schreiber, indem er sich bis zur Erde verneigte, »und Sie können jeden Geistlichen, den Sie wünschen, verlangen.«
Mit diesen Worten ging er rückwärts hinaus, und der stellvertretende Kerkermeister folgte ihm und wollte Cornelius Thür verschließen, als sich ein weißer, zitternder Arm zwischen diesen Mann und die schwere Thür schob.
Cornelius sah nur die Haube mit dem goldenen Reifen und den weißen Spitzen, dem Kopfputze der schönen Friesinnen; er hörte nur ein Gemurmel an dem Ohre des Wächters; aber dieser legte seine schweren Schlüssel in die weiße Hand, ging einige Stufen hinab und setzte sich dann mitten auf die Treppe, so daß diese oben von ihm, unten von dem Hunde bewacht wurde.
Die goldene Haube drehte sich plötzlich um, und Cornelius erkannte das von Thränen überflutete Gesicht und die großen blauen, ganz feuchten Augen der schönen Rosa.
Beide Hände auf seine gebeugte Brust gelegt, trat das junge Mädchen auf Cornelius zu.
»Ach, mein Herr, mein Herr!« rief Rosa.
Sie vermochte nicht weiter zu sprechen.
»Mein schönes Kind,« versetzte Cornelius gerührt, »was wünschen Sie von mir? Ich erinnere Sie daran, daß ich nunmehr hienieden nicht mehr viel besitze.«
»Ich habe eine Bitte an Sie, mein Herr,« sagte Rosa und streckte ihre Hände halb nach Cornelius hin, halb zum Himmel empor.
»Weinen Sie nicht so, Rosa,« sagte der Gefangene; »denn Ihre Thränen rühren mich mehr als mein nahe bevorstehender Tod. Und Sie wissen ja, je unschuldiger der Gefangene ist, desto mehr muß er mit Ruhe und sogar mit Freude sterben, da er als Märtyrer stirbt. Weinen Sie also nicht mehr und sagen Sie mir Ihren Wunsch, meine schöne Rosa.«
Das junge Mädchen sank auf die Knie.
»Verzeihen Sie meinem Vater,« sagte es.
»Ihrem Vater?« fragte Cornelius erstaunt.
»Ja, er ist so hart gegen Sie gewesen! Aber das liegt einmal in seiner Natur, er ist gegen uns alle so und hat Sie nicht allein so rauh behandelt.«
»Er ist durch den Unfall, der ihm zustieß, bestraft, liebe Rosa, ja mehr als bestraft, und ich verzeihe ihm.«
»Herzlichen Dank!« sagte Rosa. »Und nun sprechen Sie, kann ich meinerseits etwas für Sie thun?«
»Sie können Ihre schönen Augen trocknen, liebes Kind,« erwiderte Cornelius mit seinem freundlichen Lächeln.
»Aber für Sie . . . für Sie . . .«
»Wer nur noch eine Stunde zu leben hat, der ist ein großer Sybarit, wenn er noch etwas gebraucht, liebe Rosa.«
»Man hat Ihnen ja einen Geistlichen angeboten.«
»Ich habe Gott mein ganzes Leben lang verehrt, Rosa. Ich habe ihn in seinen Werken verehrt, in seinem Willen gepriesen. Gott kann nichts gegen mich haben. Ich werde Sie also um keinen Geistlichen bitten. Der letzte Gedanke, der mich beschäftigt, Rosa, richtet sich auf die Verherrlichung Gottes. Stehen Sie mir, meine Liebe, freundlichst in der Erfüllung dieses letzten Gedankens bei.«
»Ach, Herr Cornelius, reden Sie, reden Sie!« rief das junge Mädchen, in Thränen zerfließend.
»Geben Sie mir Ihre schöne Hand und versprechen Sie mir nicht zu lachen, mein Kind.«
»Lachen!« rief Rosa voller Verzweiflung, »lachen in diesem Augenblick! Aber haben Sie mich denn nicht angesehen, Herr Cornelius?«
»Ich habe Sie angesehen, Rosa, und zwar mit Augen des Leibes wie der Seele. Nie habe ich ein schöneres weibliches Wesen und eine reinere Seele vor mir gehabt; und wenn ich Sie von diesem Augenblick an nicht mehr immer unverwandt anschaue, so geschieht es, weil ich jetzt, wo ich aus dem Leben scheiden soll, keinen Gegenstand meiner Sehnsucht zurücklassen will.«
Rosa bebte. Als der Gefangene diese Worte sagte, schlug es auf dem Wachtturme des Gefängnisses elf Uhr.
Cornelius verstand sie.
»Ja, ja, beeilen wir uns,« sagte er, »Sie haben Recht, Rosa.«
Aus seiner Brusttasche, in der er es wieder aufbewahrt hatte, seitdem er nicht mehr durchsucht zu werden befürchtete, zog er das Papier, das seine drei Brutzwiebeln umschloß und sagte:
»Meine schöne Freundin, die Blumen habe ich sehr geliebt. Es geschah in der Zeit, wo ich nicht wußte, daß man auch noch anderes lieben könnte. O, erröten Sie nicht, wenden Sie sich nicht ab, Rosa, als wollte ich Ihnen eine Liebeserklärung machen. Das würde keine Folgen haben, armes Kind. Dort drüben auf dem Buytenhoff wird in sechzig Minuten ein gewisses Schwert über meine Unbedachtsamkeit Recht behalten. Ich liebte also die Blumen, Rosa, und hatte, wie ich wenigstens glaube, die geheime Kunst zu der Hervorbringung der berühmten schwarzen Tulpe entdeckt, eine Kunst, die man für unmöglich hält, und auf welche, wie Sie wissen oder nicht wissen, die Harlemer Gartengesellschaft einen Preis von hunderttausend Gulden gesetzt hat. Diese hunderttausend Gulden, und Gott weiß, daß nicht sie der Gegenstand meiner Wünsche sind, habe ich hier in diesem Papier; mit den drei Brutzwiebeln, die es enthält und die Sie nehmen können Rosa, denn ich schenke sie Ihnen, werden diese hunderttausend Gulden gewonnen.«
»Herr Cornelius!«
»O, Sie dürfen sie annehmen, Rosa, Sie thun dadurch niemand unrecht, mein Kind. Ich stehe allein in der Welt; mein Vater und meine Mutter sind tot; eine Schwester oder einen Bruder habe ich nie gehabt. Nie habe ich daran gedacht irgend jemand von Herzen zu lieben, und wenn jemand mich liebte, so habe ich es nie erfahren. Sie sehen es ja überdies, Rosa, daß ich verlassen bin, da Sie allein in dieser Stunde mit Trost und Beistand im Gefängnis bei mir sind.«
»Aber, mein Herr, hunderttausend Gulden . . .«
»Ach, lassen Sie uns ernsthaft reden, liebes Kind,« sagte Cornelius. »Hunderttausend Gulden werden eine hübsche Mitgift zu Ihrer Schönheit bilden. Sie werden sie erhalten, die hunderttausend Gulden, denn ich kann mich auf meine Brutzwiebeln verlassen. Sie werden sie also erhalten, liebe Rosa, und ich verlange dafür von Ihnen nur das Versprechen, daß Sie einen braven, jungen Burschen heiraten, den Sie lieben, und der Sie ebenso liebt, wie ich die Blumen. Unterbrechen Sie mich nicht, Rosa, ich habe nur noch wenige Minuten.«
Das arme Mädchen drohte unter seinem Schluchzen zu ersticken.
Cornelius ergriff sie bei der Hand.
»Hören Sie mich,« fuhr er fort. »Lassen Sie sich sagen, was Sie dabei zu thun haben. Sie müssen Erde aus meinem Garten in Dordrecht nehmen. Fordern Sie von meinem Gärtner, Butruysheim, Düngererde von meiner Rabatte Nr. 6; pflanzen Sie diese drei Zwiebeln in einen tiefen Kasten; im Mai des nächsten Jahres, also in sieben Monaten, werden sie dann blühen, und wenn Sie die Blüte auf dem Stengel sehen, so bringen Sie die Nächte damit zu, sie vor dem Winde zu bewahren, und die Tage sie gegen die Sonne zu schützen. Sie wird schwarz blühen, davon bin ich überzeugt. Benachrichtigen Sie dann den Präsidenten der Harlemer Gesellschaft davon. Er wird durch den Verein die Farbe feststellen lassen und Ihnen die hunderttausend Gulden auszahlen.«
Rosa stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Jetzt,« fuhr Cornelius fort, und wischte eine Thräne vom Rande seines Augenlides, die am meisten dieser herrlichen schwarzen Tulpe galt, welche er in diesem Leben, aus dem er zu scheiden im Begriff stand, nicht mehr sehen sollte, »jetzt habe ich nur noch die Bitte, daß die Tulpe den Namen rosa baerlensis erhält, damit er an unsere beiden Namen erinnert, und da Sie höchst wahrscheinlich nicht lateinisch verstehen und diesen Namen vergessen könnten, so suchen Sie mir einen Bleistift und etwas Papier zu verschaffen, damit ich ihn Ihnen aufschreibe.«
Rosa brach in Schluchzen aus und reichte ihm ein in Leder gebundenes Buch hin, welches die Anfangsbuchstaben C. W. trug.
»Was soll ich damit?« fragte der Gefangene.
»Ach,« erwiderte Rosa, »es ist die Bibel Ihres armen Paten Cornelius von Witt. Aus ihr hat er die Kraft geschöpft, die Folter auszuhalten und sein Urteil ohne zu erblassen anzuhören. Nach dem Tode des Märtyrers habe ich sie in diesem Zimmer gefunden und sie wie eine Reliquie bewahrt. Heute brachte ich sie Ihnen, denn dieses Buch schien mir eine göttliche Kraft in sich zu haben. Sie bedurften ihrer nicht, denn Gott hat diese Kraft in Sie selbst gelegt. Innig sei er dafür gepriesen! Schreiben Sie, was Sie zu sagen haben, auf, Herr Cornelius, und wenn ich auch das Unglück habe, nicht lesen zu können, so soll doch, was Sie schreiben, ausgeführt werden!«
Cornelius nahm die Bibel und küßte sie ehrfurchtsvoll.
»Womit soll ich schreiben?« fragte er.
»Es liegt ein Bleistift in der Bibel,« versetzte Rosa. »Er lag darin, ich habe ihn aufgehoben.«
Es war der Bleistift, den Johann von Witt seinem Bruder geliehen und nachher nicht von ihm zurückgefordert hatte.
Cornelius nahm ihn und schrieb auf das zweite Blatt, – denn wie man sich erinnert, war das erste ausgerissen, – ebenfalls wie sein Pate unmittelbar vor dem Tode und mit gleich fester Hand folgende Zeilen:
»Heute, den 23. August 1672, im Begriffe, wenn auch unschuldig, auf dem Schafott zu sterben, vermache ich Rosa Gryphus das einzige Gut, das mir nach Konfiszierung aller meiner Habseligkeiten in dieser Zeitlichkeit geblieben ist. Ich vermache, sage ich, Rosa Gryphus drei Brutzwiebeln, die nach meiner tiefen Überzeugung im nächsten Monat Mai die berühmte schwarze Tulpe, auf welche die Harlemer Gesellschaft den Preis von hunderttausend Gulden ausgesetzt hat, geben müssen, und wünsche, daß sie an meiner Stelle und als meine einzige Erbin diese hunderttausend Gulden unter der bloßen Bedingung erhalte, einen jungen Mann von ungefähr meinem Alter, der sie und den sie liebt, zu heiraten und der berühmten schwarzen Tulpe den Namen rosa baerlensis, das heißt, unsere beiden Namen vereint zu geben.
Gott sehe mich gnädig an und schenke ihr Kraft und Stärke!
Cornelius van Baerle.«
Darauf gab er Rosa die Bibel und sagte zu ihr:
»Lesen Sie!«
»Ach,« entgegnete das junge Mädchen Cornelius, »wie ich Ihnen schon gesagt habe, kann ich nicht lesen.«
Nun las Cornelius Rosa das Testament vor, das er soeben aufgesetzt hatte.
Das Schluchzen des armen Kindes verdoppelte sich.
»Nehmen Sie meine Bedingungen an?« fragte der Gefangene wehmütig lächelnd und küßte die zitternden Fingerspitzen der schönen Friesin.
»Ach, ich kann nicht, mein Herr,« stammelte sie.
»Sie können nicht, mein Kind, und weshalb denn?«
»Weil ich eine dieser Bedingungen nicht halten kann.«
»Welche? Ich glaubte doch unsern Bund annehmbar gemacht zu haben.«
»Sie geben mir diese hunderttausend Gulden unter dem Namen einer Mitgift?«
»Ja.«
»Und um einen Mann, den ich liebe, zu heiraten?«
»Gewiß.«
»Nun, dieses Geld kann mir nicht gehören. Ich werde nie jemanden lieben und mich nie verheiraten.«
Und nach diesen mühsam ausgesprochenen Worten wankten Rosa die Knie und sie war vor Schmerz einer Ohnmacht nahe.
Erschreckt sie so blaß und so matt zu sehen, wollte Cornelius sie in seine Arme nehmen, als sich auf der Treppe plötzlich ein schwerfälliger Schritt nebst anderen Unheil verkündenden Tönen, von Hundegebell begleitet, vernehmen ließ.
»Man kommt Sie abzuholen!« rief Rosa und rang die Hände. »Mein Gott, mein Gott, mein Herr, haben Sie mir noch irgend etwas zu sagen?«
Und den Kopf in ihre Hände vergrabend und von Schluchzen und Thränen ganz erstickt, sank sie auf die Knie.
»Ich habe Sie nur aufzufordern, Ihre drei Zwiebeln sorgfältig zu verbergen und sich genau an meine Vorschriften zu halten, und zwar aus Liebe zu mir. Leben Sie wohl, Rosa.«
»Ach ja,« sagte sie, »ich will alles thun, was Sie mir gesagt haben, nur werde ich mich nicht verheiraten, denn das ist mir wahrhaftig unmöglich.«
Und sie verbarg Cornelius teuren Schatz an ihrem ängstlich klopfenden Herzen.
Der Lärm, welchen Cornelius und Rosa vernommen hatten, rührte vom Schreiber her, der, vom Scharfrichter, von den zur Umstellung des Schafotts bestimmten Soldaten und den neugierigen Hausgenossen im Gefängnisse gefolgt, erschien, um den Verurteilten abzuholen.
Ohne Schwäche wie ohne jedes prahlerische Wesen empfing Cornelius sie eher als Freunde denn als Verfolger und ließ geduldig alles mit sich vornehmen, was die Ausführung ihres Amtes von diesen Leuten verlangte.
Ein Blick, den er durch sein kleines Gitterfenster auf den Platz hinaus warf, zeigte ihm darauf das Schafott und zwanzig Schritt von demselben den Galgen, von dem auf Befehl des Statthalters die entweihten Reliquien der beiden Brüder Witt entfernt waren.
Als er hinabgehen mußte, um der Wache zu folgen, suchte Cornelius mit den Augen den engelgleichen Blick Rosas, sah aber hinter den Schwertern und Hellebarden nur neben einer hölzernen Bank einen ausgestreckt auf dem Fußboden liegenden Körper und ein von langen Haaren halb bedecktes, leichenblasses Gesicht.
Aber selbst als sie besinnungslos zusammenbrach, hatte Rosa, um noch ihrem Freunde zu gehorchen, die Hand auf ihr Samtmieder gelegt und fuhr sogar in leblosem Zustande instinktmäßig fort, das ihr von Cornelius anvertraute köstliche Gut zu bewahren.
Und als er das Gefängnis verließ, konnte der junge Mann zwischen Rosas zusammengepreßten Fingern dieses gelbe Bibelblatt bemerken, auf welches Cornelius von Witt die wenigen Zeilen, die, wenn Cornelius sie gelesen, unbedingt einen Menschen und eine Tulpe gerettet haben würden, so mühsam und so schmerzhaft geschrieben hatte.