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Während das Geheul der auf Buytenhoff versammelten Menge immer furchtbarer zu den beiden Brüdern emporstieg und Johann von Witt drängte, die Abreise seines Bruders Cornelius zu beschleunigen, war, wie wir gesagt haben, eine Deputation von Bürgern nach dem Stadthause gegangen, um die Zurückberufung der Kavallerieabteilung Tillys zu verlangen.
Vom Buytenhoff bis zum Hoogstraet war es nicht weit, auch sah man, wie ein Fremder, der von Beginn dieses Auftrittes an alle Einzelheiten neugierig beobachtet hatte, mit den anderen oder vielmehr hinter den anderen her nach dem Stadthause eilte, um die Nachricht von den dortigen Vorfällen eher zu erfahren.
Dieser Fremde war ein sehr junger, kaum zwei- oder dreiundzwanzig Jahre alter Mann, ohne scheinbare Kraft. Er verhüllte, denn wahrscheinlich hatte er Gründe, um nicht erkannt zu werden, sein blasses und langes Gesicht unter einem feinen Taschentuch von friesischer Leinewand, mit dem er seine schweißtriefende Stirn oder seine glühenden Lippen unaufhörlich wischte.
Mit dem raubvogelartig festen Blick, der langen Adlernase, dem feinen und geraden Mund, offen oder vielmehr wie die Ränder einer Wunde auseinanderstehend, hätte dieser Mann Lavater, wenn Lavater zu jener Zeit gelebt hätte, einen Stoff zu physiologischen Studien gegeben, die zuerst nicht zu seinem Vorteile ausgefallen wären.
»Welchen Unterschied,« sagten die Alten, »kann man zwischen dem Gesicht des Eroberers und des Seeräubers finden?« Den zwischen dem Adler und dem Geier.
Heitere Ruhe oder Unruhe.
Auch war dieses leichenblasse Gesicht, dieser gebrechliche und kränkliche Körper, dieser unruhige Gang, der vom Buytenhoff bis zur Hoogstraet hinter diesem ganzen heulenden Volke herschritt, vollkommen der Typus und das Bild eines mißtrauischen Meisters oder eines unruhigen Diebes; und ein Polizist hätte wegen der Mühe, die er sich gab, sich zu verbergen, jedenfalls auf letzteres geschlossen.
Übrigens war er einfach gekleidet und ohne sichtbare Waffen. Sein magerer, aber sehniger Arm, seine dürre, aber weiße, feine und aristokratische Hand stützte sich nicht auf den Arm, sondern auf die Schulter eines Offiziers, der, die Hand am Degen, bis zu dem Augenblicke, wo sich sein Gefährte in Bewegung gesetzt und ihn mit fortgezogen hatte, alle Auftritte auf dem Buytenhoff mit einem leicht begreiflichen Interesse betrachtet hatte.
Auf dem Platze vor dem Hoogstraet angelangt, zog der Mann mit dem blassen Gesichte den Anderen unter einen Vorbau und richtete die Augen starr nach dem Balkon des Stadthauses.
Auf das wütende Geschrei des Volkes öffnete sich das Fenster des Hoogstraets und ein Mann trat heraus, um mit der Menge zu unterhandeln.
»Wer erscheint dort auf dem Balkon?« fragte der junge Mann den Offizier und winkte nur mit dem Auge nach dem Redner, der sehr erregt schien und sich an dem Geländer eher festhielt als hinüberbeugte.
»Es ist der Abgeordnete Bowelt,« versetzte der Offizier.
»Was für ein Mensch ist dieser Abgeordnete Bowelt? Kennen Sie ihn?«
»O, ein braver Mann, soviel ich wenigstens glaube, gnädiger Herr.«
Als der junge Mann diese von dem Offizier gegebene Charakterschilderung Bowelts hörte, verriet er eine Regung so seltsamer Enttäuschung, so sichtlicher Unzufriedenheit, daß dem Offizier es nicht entging und er sich hinzuzufügen beeilte:
»Wenigstens sagt man es, gnädiger Herr. Persönlich vermag ich keine bestimmte Versicherung zu geben, da ich Herrn Bowelt nicht kenne.«
»Braver Mann,« wiederholte der junge Mann, welcher gnädiger Herr angeredet wurde; »wollen Sie damit sagen, daß der brave Mann ein beherzter Mann ist?«
»Ach, Sie müssen mich entschuldigen, gnädiger Herr; ich wage einem Manne gegenüber, den ich, wie ich es Ew. Hoheit wiederhole, nur von Gesicht kenne, nicht einen solchen Unterschied festzustellen.«
»Nun,« murmelte der junge Mann, »so wollen wir warten; wir werden es ja sehen.«
Der Offizier verneigte sich zum Zeichen seiner Zustimmung und schwieg.
»Wenn dieser Bowelt ein beherzter Mann ist,« fuhr seine Hoheit fort, »so wird er die Forderung, die diese wütenden Menschen an ihn richten wollen, drollig aufnehmen.«
Und das nervöse Zucken seiner Hand, die wider seinen Willen auf der Schulter seines Gefährten umherfuhr wie die Finger eines Spielers auf den Tasten eines Klaviers, verriet seine brennende Ungeduld, die in gewissen Augenblicken und namentlich in diesem Augenblicke unter der eisigen und düsteren Miene des Gesichtes nur schlecht verstellt war.
Darauf hörte man, wie der Führer der Bürgerdeputation den Abgeordneten fragte, wo sich seine Kollegen, die anderen Abgeordneten, befänden.
»Meine Herren,« wiederholte Herr Bowelt zum zweitenmale, »ich sage Ihnen, daß ich in diesem Augenblicke mit Herrn von Asperen allein bin und für mich allein keinen Entschluß fassen kann.«
»Den Befehl! den Befehl!« schrien mehrere tausend Stimmen.
Herr Bowelt wollte sprechen, aber man hörte seine Worte nicht und sah nur, wie seine Arme in vielfachen verzweifelten Bewegungen umherfochten.
Als er indessen sah, daß er sich nicht verständlich machen konnte, drehte er sich nach dem offenen Fenster um und rief Herrn von Asperen.
Herr von Asperen erschien nun gleichfalls auf dem Balkon, wo er mit einem noch kräftigeren Geschrei als Herr Bowelt zehn Minuten vorher begrüßt wurde.
Auch er unternahm die schwierige Aufgabe, die Menge anzureden. Aber anstatt die Rede des Herrn von Asperen anzuhören, zog es die Menge vor, die Wache der Stände zurückzudrängen, die überdies dem souveränen Volke keinen Widerstand entgegensetzte.
»Ei,« sagte kalt der junge Mann, während das Volk durch die Hauptthür des Hoogstraets hineindrängte, »die Beratung scheint im Innern stattfinden zu sollen, Oberst. Wir wollen die Beratschlagung mit anhören.«
»O, gnädiger Herr, gnädiger Herr, seien Sie auf Ihrer Hut!«
»Wovor?«
»Unter diesen Abgeordneten stehen viele mit Ihnen in Verbindung, und nur ein einziger brauchte Ew. Hoheit zu erkennen.«
»Ja, damit man mich beschuldigt, der Anstifter von diesem allen zu sein. Du hast Recht,« sagte der junge Mann, der einen Augenblick vor Bedauern, daß er bei seinen Wünschen eine so große Eile gezeigt hatte, errötete, »ja, du hast Recht, wir wollen hier bleiben. Von hier aus werden wir sie mit oder ohne Genehmigung zurückkehren sehen und können daraus erkennen, ob Herr Bowelt ein braver oder ein beherzter Mann ist, was ich gern wissen möchte.«
»Aber,« versetzte der Offizier, während er den jungen Mann, dem er den Titel gnädiger Herr beilegte, erstaunt ansah, »Ew. Hoheit nimmt, wie ich wähne, nicht einen Augenblick an, daß die Abgeordneten Tillys Reitern sich zurückzuziehen befehlen, nicht wahr?«
»Weshalb?« fragte der junge Mann kalt.
»Weil ein solcher Befehl ganz einfach die Unterzeichnung des Todesurteils der Herren Cornelius und Johann von Witt bedeuten würde.«
»Wir werden ja sehen,« erwiderte die Hoheit kalt; »Gott allein kann wissen, was im Herzen der Menschen vorgeht.«
Der Offizier blickte verstohlen das leidenschaftslose Gesicht seines Gefährten an und erblaßte.
Er war zugleich ein braver und ein beherzter Mann.
Von der Stelle aus, wo sie geblieben waren, vernahmen Seine Hoheit und ihr Gefährte das verworrene Geschrei und das Stampfen des Volkes auf den Treppen des Stadthauses.
Dann hörte man, wie dieser Lärm aus den offenen Fenstern dieses Saales mit dem Balkon, auf dem vorher die Herren Bowelt und von Asperen erschienen waren, herausdrang und sich über den Platz verbreitete. Letztere Herren waren wieder in das Innere zurückgekehrt, wahrscheinlich aus Furcht, daß sie das Volk bei einem zu lebhaften Herandrängen über das Geländer stürzen könnte.
Darauf sah man, wie sich schnell bewegende und lärmende Schatten vor diesen Fenstern vorübereilten.
Das Beratungszimmer füllte sich.
Plötzlich hörte der Lärm auf; ebenso plötzlich erhob er sich dann wieder mit noch größerer Stärke und erreichte einen solchen Höhegrad, daß das alte Gebäude bis zum Giebel erbebte.
Nun begann sich der Strom endlich von neuem durch die Gänge und die Treppen hinab bis zur Thüre zu wälzen, aus der man sich eine wahre Flut ergießen sah.
An der Spitze der ersten Schar lief nicht, sondern flog ein vor Freude schrecklich entstellter Mensch.
Es war der Feldscherer Tyckelaer.
»Wir haben ihn, wir haben ihn!« rief er und schwenkte ein Papier in der Luft.
»Sie haben den Befehl!« murmelte der Offizier bestürzt.
»Jetzt bin ich ins Klare gekommen,« sagte ruhig die Hoheit. »Sie wußten nicht, mein lieber Oberst, ob Herr Bowelt ein braver oder ein beherzter Mann wäre. Er ist keins von beiden.«
Darauf folgte er dieser ganzen Menge, die sich vor ihm her wälzte, ohne die Stirn zu runzeln, mit dem Auge und sagte:
»Kommen Sie jetzt nach dem Buytenhoff, Oberst; ich glaube, wir werden ein seltsames Schauspiel zu sehen bekommen.«
Der Offizier verneigte sich und folgte seinem Herrn ohne zu antworten.
Die Menge auf dem Platze und vor den Thüren des Gefängnisses war unermeßlich. Aber Tillys Kavallerie hielt sie noch immer mit gleichem Glücke und vor allem mit gleicher Entschlossenheit im Zaume.
Bald vernahm der Graf den wachsenden Lärm, den das Nahen dieser Menschenflut hervorrief, deren erste Wellen er bald mit der Geschwindigkeit eines Katarakts heranbrausen sah.
Gleichzeitig bemerkte er, wie das Papier über den zusammengeballten Händen und den blitzenden Waffen in der Luft hin- und hergeschwenkt wurde.
»Ha!« sagte er, indem er sich auf seinen Steigbügeln emporrichtete und seinen Lieutenant mit dem Degenknopfe berührte, »ich glaube, die Elenden haben ihren Befehl.«
»Feige Schufte!« rief der Lieutenant.
Es war wirklich der Befehl, den die Bürgerwehr mit jubelndem Gebrüll empfing.
Sofort setzte sie sich in Bewegung und marschierte mit abgenommenem Gewehr und unter großem Geschrei gerade auf die Reiter des Grafen von Tilly zu.
Aber der Graf war nicht der Mann dazu, sie zu nahe herankommen zu lassen.
»Halt!« rief er, »halt! oder ich lasse sofort einhauen!«
»Hier ist der Befehl!« riefen hundert freche Stimmen.
Er nahm ihn mit Bestürzung, warf einen schnellen Blick darauf und sagte ganz laut:
»Die Unterzeichner dieses Befehls sind die wahren Henker des Herrn Cornelius von Witt. Ich für meine Person möchte nicht um meine beiden Hände auch nur einen einzigen Buchstaben dieses nichtswürdigen Befehles geschrieben haben.«
Den Mann, der ihm denselben wieder abnehmen wollte, stieß er mit seinem Degenknaufe zurück und bemerkte:
»Einen Augenblick; ein Schreiben wie dieses ist wichtig und muß aufgehoben werden.«
Er faltete das Papier zusammen und steckte es sorgfältig in die Tasche seiner Uniform.
Darauf drehte er sich nach seiner Abteilung um und kommandierte:
»In Reihen gesetzt, rechts um!«
Und dann fügte er halbleise und doch in einer Weise, als ob seine Worte nicht für jedermann verloren wären, hinzu:
»Und jetzt, ihr Kehlabschneider, macht euch ans Werk!«
Und ein wütendes Geschrei, halb von gierigem Hasse und halb von wilder Freude eingegeben, begrüßte auf dem Buytenhoff diesen Abmarsch.
Langsam zog die Reiterei rottenweise ab.
Der Graf bildete den Schluß und bot dem trunkenen Pöbel, der immer mehr Raum gewann, je weiter das Roß des Rittmeisters zurückging, bis zum letzten Augenblicke die Stirn.
Wie man sieht, hatte Johann von Witt die Gefahr nicht übertrieben, als er zur Abreise drängte und seinem Bruder beim Aufstehen half.
Auf den Arm des Exgroßpensionärs gestützt, stieg Cornelius also die Treppe, die nach dem Hofe führte, hinab.
Unten an der Treppe fand er die schöne Rosa ganz zitternd.
»Ach, Herr Johann,« sagte sie, »was für ein Unglück!«
»Was giebt es denn, mein Kind?« fragte von Witt.
»Sie sollen nach dem Hoogstraet gegangen sein, um einen Befehl zum Abzuge der Reiter des Grafen von Tilly zu erwirken.«
»O, o!« versetzte Johann. »Wenn die Reiter abziehen, wird die Lage wirklich für uns schlimm, mein Kind.«
»Wenn ich Ihnen einen Rat geben dürfte, dann . . .« sagte das junge Mädchen ganz zitternd.
»Gieb ihn, mein Kind. Wäre es denn erstaunlich, daß Gott durch deinen Mund zu mir spräche?«
»Nun, Herr Johann, ich würde die Stadt nicht auf der großen Straße verlassen.«
»Und weshalb nicht, da Tillys Reiter noch immer auf ihrem Posten sind?«
»Ja, aber so lange er nicht zurückberufen wird, lautet der Befehl vor dem Gefängnis zu bleiben.«
»Sicherlich.«
»Haben Sie denn jemand, damit er Sie zur Stadt hinaus begleitet?«
»Nein.«
»Dann lassen Sie es sich gesagt sein: sobald Sie über die ersten Reiter hinaus sind, werden Sie dem Volke in die Hände fallen.«
»Aber die Bürgerwehr?«
»O, die Bürgerwehr ist gerade am allerrasendsten.«
»Was dann thun?«
»An ihrer Stelle, Herr Johann,« fuhr das junge Mädchen schüchtern fort, »würde ich das Gefängnis durch die Poteren verlassen. Der Ausgang führt auf eine einsame Straße hinaus, denn alle Welt befindet sich auf der großen Straße und wartet vor dem Haupteingange. Ich würde die Straße benutzen, die direkt nach dem Stadtthore geht, durch das Sie müssen.«
»Aber mein Bruder wird nicht gehen können,« erwiderte Johann.
»Ich werde es versuchen,« erklärte Cornelius mit einem Ausdruck von erhabener Festigkeit.
»Haben Sie denn keinen Wagen?« fragte das junge Mädchen.
»Der Wagen hält leider vor der Hauptthür.«
»Nein,« entgegnete das junge Mädchen. »Ich dachte, Ihr Kutscher wäre ein ergebener Mann, und sagte ihm, er sollte Sie vor der Poterne erwarten.«
Die beiden Brüder schauten sich gerührt an, und beider Blicke richteten sich mit einem Ausdrucke tiefster Dankbarkeit auf das junge Mädchen.
»Jetzt,« sagte der Großpensionär, »bleibt nur noch zu wissen, ob uns Gryphus diese Thür wird öffnen wollen?«
»O, das wird er sicherlich nicht wollen.«
»Nun, was dann?«
»Ei, ich habe seine Weigerung vorausgesehen, und während er zum Fenster seiner Wohnung hinaus mit einem Musketier von der Bürgerwehr plauderte, habe ich den Schlüssel von seinem Schlüsselbunde abgemacht.«
»Und du hast ihn, diesen Schlüssel?«
»Hier ist er, Herr Johann.«
»Mein Kind,« sagte Cornelius, »ich habe dir für den Dienst, den du mir erweisest, nichts anderes als die Bibel zu schenken, die du in meinem Zimmer finden wirst. Es ist das letzte Geschenk eines redlichen Mannes; ich hoffe es wird dir Glück bringen.«
»Dank, Herr Cornelius, sie soll mich nie verlassen,« erwiderte das junge Mädchen.
Dann seufzte sie laut auf und sagte zu sich selbst:
»Wie schade, daß ich nicht lesen kann!«
»Höre nur, wie das Geschrei immer stärker wird, meine Tochter,« sagte Johann; »ich glaube, es ist kein Augenblick mehr zu verlieren.«
»Kommen Sie also,« sagte die schöne Friesin und führte die beiden Brüder durch einen geheimen Gang nach der anderen Seite des Gefängnisses.
Immer von Rosa geleitet, stiegen sie eine Treppe von zwölf Stufen hinab, durchschritten einen kleinen Hof, von einer mit Schießlöchern versehenen Brustwehr eingefaßt, und da die gewölbte Thür geöffnet war, befanden sie sich auf der einsamen Straße an der anderen Seite des Gefängnisses dem Wagen gegenüber, der mit geöffnetem Schlage auf sie wartete.
»Schnell, schnell, meine Herren, hören Sie sie?« rief der Kutscher ganz außer sich.
Aber nachdem er Cornelius hatte zuerst einsteigen lassen, wandte sich der Großpensionär noch erst nach dem jungen Mädchen um.
»Lebe wohl, mein Kind,« sagte er; »alles, was wir dir sagen könnten, würde dir unsere Dankbarkeit nur schwach ausdrücken. Wir empfehlen dich Gott, der, wie ich hoffe, eingedenk sein wird, daß du zwei Menschen das Leben gerettet hast.«
Rosa ergriff die Hand, die ihr der Großpensionär reichte, und küßte sie ehrfurchtsvoll.
»Fahren Sie ab,« rief sie, »fahren Sie ab, es ist, als ob sie die Thür einschlagen.«
Schnell stieg Johann von Witt ein, nahm neben seinem Bruder Platz und zog den Vorhang vor, während er rief:
»Nach Tol-Hek!«
Tol-Hek hieß das Gatter hinter dem nach dem kleinen Hafen Schweningen führenden Thore, einem Hafen, in dem ein kleines Schiff die beiden Brüder erwartete.
Zwei kräftige flamländische Rosse führten in Galopp die beiden Flüchtlinge fort.
Rosa blickte ihnen nach, bis sie um die Straßenecke bogen.
Darauf kehrte sie zurück, schloß die Thür hinter sich zu und warf den Schlüssel in einen Brunnen.
Jener Lärm, der Rosa hatte ahnen lassen, daß das Volk die Thür einschlug, rührte wirklich vom Volke her, das jetzt, nachdem die Soldaten den Platz vor dem Gefängnisse geräumt hatten, auf diese Thür losstürzte.
So fest sie auch sein mochte, und so hartnäckig sich auch der Kerkermeister Gryphus, – diese Gerechtigkeit muß man ihm widerfahren lassen – die Thür zu öffnen weigerte, so sah man doch ein, daß sie nicht lange widerstehen würde, und sehr blaß, fragte sich eben Gryphus, ob es nicht besser wäre, diese Thür zu öffnen als zerbrechen zu lassen, als er plötzlich fühlte, daß man ihn leise am Rocke zupfte.
Er wandte sich um und sah Rosa.
»Hörst du die Rasenden?« fragte er.
»Ich höre sie so gut, mein Vater, daß ich an deiner Stelle . . .«
»Daß du öffnen würdest, nicht wahr?«
»Nein, ich ließe die Thür einschlagen.«
»Aber sie werden mich töten.«
»Ja, wenn sie dich sehen.«
»Wie willst du es anstellen, daß sie mich nicht sehen?«
»Verberge dich.«
»Wo denn?«
»In dem geheimen Verließ.«
»Aber du, mein Kind?«
»Ich, mein Vater, werde mit dir hinabsteigen. Wir lassen die Thür über uns hinab, und steigen aus unserem Versteck erst wieder hervor, wenn sie das Gefängnis verlassen haben.«
»Du hast wahrhaftig recht,« rief Gryphus; »es ist ganz erstaunlich,« fuhr er fort, »was für ein Urteil in diesem kleinen Köpfchen steckt.«
Als dann die Thür unter dem großen Jubelgeschrei der Menge einzustürzen drohte, sagte Rosa, indem sie eine kleine Fallthür öffnete:
»Komm, komm, mein Vater!«
»Aber was wird aus unseren Gefangenen werden?« wandte Gryphus ein.
»Gott wird über sie wachen, mein Vater,« sagte das junge Mädchen; »erlaube mir über dich zu wachen.«
Gryphus folgte seiner Tochter, und die Fallthür fiel über ihren Köpfen in demselben Augenblicke wieder zu, wo die zerschmetterte Thür dem Pöbel Durchlaß gewährte.
Übrigens bot der Gefängnisraum, in den Rosa ihren Vater hinabsteigen ließ und den man das geheime Verließ zu nennen pflegte, den beiden Personen, die wir jetzt auf einen Augenblick verlassen müssen, ein sicheres Asyl, da es nicht bekannt ist, daß je Behörden einen jener großen Verbrecher hineinsperrten, für welchen man einen Aufstand oder eine Entführung fürchtet.
Das Volk stürzte in das Gefängnis mit dem Rufe:
»Tod den Verrätern! Fort mit Cornelius von Witt an den Galgen! Zum Tode, zum Tode!«