Alexander Dumas d. Ä
Zehn Jahre später
Alexander Dumas d. Ä

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Achter Teil

»Der Staat bin ich!«

1. Kapitel.
Letzte Grüße

Ein Befehl Ludwigs XIV. rief d'Artagnan nach Paris zurück. Er brachte seine Freunde nach Toulon und nahm hier Abschied von ihnen. Lange hielt er sie umfangen, ohne ein Wort zu sprechen. Dann gab er dem Pferde die Sporen und jagte davon, ohne sich noch einmal umzuschauen. – »Ich hab's nicht über's Herz gebracht, ihnen zuzulächeln,« sprach er vor sich hin. »Das ist ein schlimmes Vorzeichen! Ich werde beide nicht wiedersehen.«

Die Straßen von Toulon waren von Soldaten und Pferden angefüllt. Herr von Beaufort betrieb die Einschiffung mit dem Eifer und der Geschicklichkeit eines geübten Truppenführers. Er prüfte selbst die Ausrüstung eines jeden Mannes, untersuchte jedes einzelne Pferd, guckte in jedes Flinten- und Kanonenrohr und überzeugte sich von der Beschaffenheit jedes Munitionskastens. Rudolf hatte soviel zu tun, daß ihm keine Zeit zu trüben Gedanken blieb. Die Schiffe waren fertig zur Ausfahrt.

An dem letzten Abend, den sie für sich genießen durften, gingen Vater und Sohn auf die hohen Berge, die die Stadt Toulon überragen. Ein herrliches Schauspiel bot von hier aus die Stadt, das weite Meer, die Schiffe im Hafen, welches alles der Mond mit zauberhaftem Schimmer übergoß.

»Mein Sohn,« sprach der Vater, »jetzt, wo wir scheiden sollen, kommt mir der Gedanke, ich hätte nicht recht getan, dich in so einseitiger Weise zu erziehen, dich nur in ernstem, strengem Sinne denken und handeln zu lehren. Ich hätte dich an ein Leben der Freude, der Gesellschaft, des Geräusches gewöhnen sollen.« – »Ich weiß, weshalb Sie das sagen, mein Vater,« antwortete Bragelonne. »Doch Sie irren sich. Was ich jetzt bin, das haben nicht Sie aus mir gemacht, die Liebe hat es getan, und diese Liebe hat mich schon ergriffen, als ich fast ein Kind noch war. Die Beharrlichkeit aber, mit der ich nun daran hänge, ist der Grundzug meines Charakters. Was die Vergangenheit jetzt noch an Glück für mich enthält, was die Zukunft noch an Hoffnung für mich bietet – das liegt in Ihrer Person, mein Vater. Nein, ich habe nichts an dem Leben auszusetzen, das Sie mir zu führen gestattet haben. Ich segne Sie, Vater, und liebe Sie innig.«

»Deine Worte tun mir wohl, Rudolf. Aber künftig soll es anders sein. Wir werden, wenn du zurückkommst, nicht mehr so einsam leben; ich werde dir das Geld überlassen, das mein Landbesitz abwirft, und du wirst damit das Leben eines Kavaliers von Welt führen können, abwechslungsreich, geräuschvoll und vielseitig. Und du wirst mir dann, ehe ich ins Grab sinke, noch den Trost bescheren, daß unser Stamm nicht verlöscht.« – »Ich werde tun, was Sie, mein Vater, mir befehlen.« – »Du bist in diesem Feldzug Flügeladjutant, Rudolf, wirst dich also nicht ernsten Gefahren auszusetzen brauchen.« fuhr Athos fort. »Du hast in andern Kriegen oft genug bewiesen, wie wacker du im Feuer stehen kannst. Schone dich hier; denn es geht gegen Barbaren, gegen Meuchelmörder, und es bringt wenig Ruhm, in einem Hinterhalt sein Leben zu lassen.«

»Ich bin klug und habe immer Glück gehabt,« sagte Rudolf mit einem Lächeln, das dem armen Vater ins Herz schnitt. »Ich habe zwanzig Schlachten mitgemacht und nur eine Schramme davongetragen.« – »Und dann mußt du dich noch vorm Fieber hüten,« sagte Athos. »Das ist ein böses Leiden. Der König Ludwig der Heilige bat Gott, ihm lieber einen Pfeil vom Bogen eines Mohren als das Fieber zu schicken. Herr von Beaufort hat mir schon gesagt, daß Nachrichten von dir mit seinen persönlichen Depeschen mitgehen können, die alle vierzehn Tage nach Frankreich abgesandt werden. Du wirst mich dann nicht vergessen.« – »Nein, Vater!« rief Rudolf mit erstickter Stimme.

»Und wirst du bisweilen an mich denken?« – »O, in jeder Nacht, Vater! In meiner Kindheit sah ich Sie oft im Traume lächelnd eine Hand über mein Haupt halten – und deshalb habe ich auch immer so sanft und ruhig schlafen können – ehemals.« – »Wir lieben uns zu sehr,« sagte Athos, »als daß nicht, nun wir uns trennen, ein Teil unserer beiden Seelen, der meinen mit dir, der deinen mit mir ziehe und dort weile, wo wir weilen werden. Wenn du traurig bist, Rudolf, so wird auch mich Traurigkeit beschleichen, und wenn du mit Lächeln an mich denkst, so kannst du dir immer sagen, du sendest mir von dort einen Strahl Freude herüber.« – »Froh zu sein, verspreche ich Ihnen nicht,« antwortete Rudolf. »Aber ich versichere Ihnen, es wird keine Stunde vergehen, ohne daß ich an Sie denke, keine Stunde, solange ich lebe.«

Athos umarmte seinen Sohn und hielt ihn fest umschlungen. Ein Geräusch trennte sie. Grimaud, der seinem Herrn von weitem gefolgt war, trat herzu. – »Ah, guter Alter!« rief Rudolf. »Du willst uns sagen, daß es Zeit sei abzureisen.« – »Allein?« fragte Grimaud mit einem Blick auf Athos. – »Du hast recht,« rief Athos. »Nein, Rudolf soll nicht allein in das fremde Land ziehen. Er soll einen Freund mitnehmen, der ihn tröstet und an alles Liebe erinnert, das er hier zurückläßt.« – »Mich?« fragte Grimaud. – »O, wie gern!« rief Rudolf. »Aber du siehst, man geht schon zu Schiffe, und du bist nicht vorbereitet.« – »Doch,« antwortete Grimaud und wies den Schlüssel seines Reisekoffers vor. – »Du kannst aber doch den Herrn Grafen nicht allein lassen,« sagte Bragelonne noch, »bist du doch dein Lebtag noch nie von ihm gegangen.« – Grimaud sah Athos an und murmelte: »Ihm wird es so lieber sein.« – Und Athos nickte stumm.

In der Stadt wirbelten die Trommeln, schmetterten die Trompeten. Man sah die Regimenter durch die Straßen zum Hafen ziehen.

Eine halbe Stunde später waren Rudolf und Grimaud an Bord, und Athos stand allein am Gestade. Die Schiffe verließen langsam eins nach dem andern die Reede und steuerten dem Meere zu. Athos verlor das Fahrzeug, das seinen Sohn trug, nicht aus den Augen. Er sah ihn an der Strickleiter hängen, die er erklommen hatte, um seinem Vater noch recht lange sichtbar zu bleiben. Die Gestalt ward kleiner und kleiner, glich nur noch einem Punkt, einem Nebelfleck und verschwand. Dann verlor sich auch die Spitze des Mastbaums am Horizont, und Athos kehrte, matt wie ein Kranker, in seine Herberge zurück.

Inzwischen war d'Artagnan auf schnellen Pferden nach Paris geeilt, um sich dem König zur Verfügung zu stellen. Er erhielt den Befehl, mit seinen Musketieren nach Nantes zu reiten, wo die Versammlung der Generalstände stattfinden sollte, und vor allem Herrn Fouquet im Auge zu behalten. Ludwig fürchtete, der Oberintendant könne von Nantes aus nach Belle-Ile entschlüpfen, und da er entschlossen war, ihn nicht fliehen zu lassen, sondern seine Rechnung sofort nach der Stände-Versammlung mit ihm abzuschließen, so legte er seinem Kapitän betreffs der Person Fouquets ganz besondere Wachsamkeit ans Herz. Beruhigt verließ der Musketier den König. Er hatte schon während der ganzen Reise mit Schrecken daran gedacht, daß Ludwig XIV. ihn nun wohl nach Belle-Ile schicken würde, um Aramis und Porthos zu verhaften und seiner Rache zu überliefern. Indem er sich der Trauer de la Fères und Bragelonnes erinnerte, gestand er sich mit Unwillen, daß diesem jungen, rücksichtslosen König nun doch noch alle seine alten Freunde zum Opfer fallen würden. Und ihn, d'Artagnan, bestimmte das Los zum Vollstrecker. Hatte doch wahrlich nicht viel gefehlt, so hätte er auf der Insel Santa Margareta Athos und Rudolf niederschießen lassen. Dann kehrten seine Gedanken zu dem armen Zwillingsbruder zurück, der so grausam verurteilt worden war. Beklommenen Herzens betrat er daher den Palast, stellte er sich dem König vor – aber die Person dieses Monarchen übte ihren alten Zauber auf ihn aus. Nachdem er mit ihm gesprochen, schien dem Kapitän nichts selbstverständlicher, nichts richtiger, als seine Befehle pünktlich zu vollziehen.

Ehe d'Artagnan den Louvre verließ, sprach er auch mit Luise von Lavallière. Er traf sie in einer Galerie, wo sie mit mehreren Hofdamen spazieren ging. Sie empfing nämlich in ihrer Eigenschaft als anerkannte erste und einzige Mätresse des Königs jetzt von allen Seiten die schwärmerischsten Huldigungen und hatte sozusagen ihren kleinen Hofstaat für sich. Obwohl d'Artagnan nie ein Freund von Weibern gewesen war, so mochten die Damen ihn doch gern leiden, denn er wußte sich ebenso gebildet zu unterhalten wie tapfer zu schlagen, und der Ruf seiner Tapferkeit und ritterlichen Gesinnung erwarb ihm neben der Freundschaft der Männer die Bewunderung der Frauen.

Die Ehrenfräulein riefen ihn nun gleich herbei, denn man wußte, daß er eine Zeitlang fern von Paris gewesen war, und hoffte allerlei Interessantes von ihm zu hören. Man bestürmte ihn mit Fragen: wohin die Reise ihn geführt hätte – warum man ihn so lange nicht gesehen – was er Neues zu erzählen habe.

Er antwortete, er komme aus dem Lande der Orangen. Es war damals noch eine Zeit, wo eine Reise von hundert Meilen schon ein Problem war, dessen Lösung oftmals der Tod bildete. – »Aus dem Lande der Orangen?« rief Fräulein von Tonnay-Charente. »Also aus Spanien?« – »Bewahre!« – »Dann vielleicht von Malta?« – »Da sind Sie schon näher, Fräulein,« entgegnete d'Artagnan, »ich will Sie nicht in Ungewißheit lassen. Ich komme aus dem Hafen, wo Herr von Beaufort eben die Fahrt nach Afrika antritt.« – »Haben Sie die Armee, die Flotte gesehen?« – »Alles.« – »Haben wir Freunde dabei?« fragte die Tonnay-Charente gleichgültig, aber doch in einem Tone, der die Absichtlichkeit dieser Frage erkennen ließ.

»Ja,« antwortete d'Artagnan, »die Herren von Guillotière, von Mouchy und von Bragelonne sind dabei.« – Die Lavallière erbleichte. – »Ei was?« rief die boshafte Athenais, »Herr von Bragelonne ist in den Krieg gezogen? Wissen Sie, was ich davon halte? Alle Männer, die diesen Feldzug mitmachen, tun es aus Verzweiflung, aus unglücklicher Liebe und in der Erwartung, die Mohrinnen weniger grausam zu finden als die weißen Schönen.« – Einige Damen lachten; die Lavallière wußte nicht, was sie tun sollte; die Montalais hustete energisch.

Ein Weilchen herrschte tiefes Schweigen, dann wandte Athenais von Tonnay-Charente sich an Luise von Lavallière und sagte: »Wissen Sie, Luise, daß Sie da eine schwere Sünde auf dem Gewissen haben? Der junge Mann war Ihr Bräutigam. Er hat Sie geliebt, und Sie haben ihn von sich gestoßen.« – »Ein ehrbares Mädchen,« sprach die Montalais dazwischen, »darf einem jungen Manne den Abschied geben, wenn sie ihn nicht liebt. Es ist besser, als ihn dennoch zu heiraten.«

»Darin besteht auch nicht die Sünde Luisens,« erwiderte Athenais, »sondern darin, daß dieser Mann nun ihretwegen in den Krieg zieht und den Tod sucht. Wenn er stirbt, so haben Sie ihn getötet, das ist die Sünde.« – Luise preßte die eisige Hand auf die Stirn. Sie griff nach dem Arm des Kapitäns. »Sie wollten mir doch etwas sagen, Herr d'Artagnan?« fragte sie. – »Was ich Ihnen zu sagen hatte, Fräulein,« antwortete der Chevalier, »hat Ihnen eben Fräulein von Tonnay-Charente gesagt, zwar etwas grob, aber doch so, daß ich nichts hinzuzufügen habe.«

Luise seufzte tief und verließ ihn und die Damen, um in die Einsamkeit ihres Zimmers zu flüchten.



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