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An demselben Abend, da die beiden Freunde in Paris anlangten, war im königlichen Palast der gesamte Hof um den Kardinal Mazarin versammelt. Durch spanische Wände waren drei Tische voneinander getrennt. An einem derselben saß der junge König mit seiner Gemahlin und der Königin-Mutter. Die beiden Frauen spielten zusammen gegen Ludwig und den Kardinal, der im Bett lag und sehr angegriffen aussah. Die junge Landesherrin schien mehr auf die Augen ihres Gemahls, an dessen Seite sie sich wahrhaft glücklich fühlte, als auf die Karten zu achten. Mit umso größerer Aufmerksamkeit, ja fast mit Habgier folgte Mazarin dem Spiele; er war jedoch so schwach, daß die Gräfin von Soissons für ihn die Karten halten mußte. Er hatte sich von Bernouin schminken lasten, aber das aufgetragene Rot, das namentlich an den Backenknochen erglänzte, ließ die Blässe des Gesichts und den gelben Ton der Stirn nur um so mehr hervortreten. Seine Augen leuchteten fieberhaft, und in diese Augen blickten der König und die beiden Königinnen oftmals mit dem Ausdruck der Sorge und der Scheu, waren es doch die beiden Sterne, in denen die Franzosen des 17. Jahrhunderts an jedem Abend und Morgen ihr Geschick zu lesen pflegten. Mazarin spielte weder mit Glück noch mit Unglück, war daher weder vergnügt noch traurig.
Am ersten der beiden andern Tische saß Herzog Philipp von Anjou, der Bruder des Königs. Auf die Lehne seines Sessels stützte sich Chevalier von Lorraine, ein Günstling des Herzogs, und lauschte voll Neid den Worten eines andern Günstlings Philipps, des Grafen von Guiche, der von den Abenteuern Karls II. erzählte.
»Mein Vetter Karl ist kein schöner Mann,« sagte Philipp leichthin, »aber er ist tapfer und hat sich geschlagen wie ein Landsknecht. Wenn er so fortfährt, wird er auch noch eine Schlacht gewinnen.« – »Er hat ja keine Soldaten,« meinte Chevalier von Lorraine. – »Nun,« versetzte Philipp, »wenn ich König von Frankreich wäre, würde ich ihm eine Armee zur Verfügung stellen.« – Ludwig XIV. errötete, und Mazarin schien nur auf das Spiel zu achten. – »Sein Schicksal muß sich inzwischen entschieden haben,« sagte Graf von Guiche. »Hat Monk ihn betrogen, dann endet Karls Laufbahn mit Gefangenschaft, vielleicht mit dem Tode.« – »Ich möchte wohl wissen, wie es abgelaufen ist!« rief Philipp stürmisch. »Gewiß weißt du es schon, Bruder.« – »Frage den Kardinal,« antwortete Ludwig, abermals errötend. – »Außerhalb des Staatsrats, mein Sohn,« warf Anna von Oesterreich dazwischen, sich an Philipp wendend, »wird nicht von Staatsangelegenheiten gesprochen.« – Philipp nahm diesen Verweis gutgelaunt hin und machte erst gegen seine Mutter, dann gegen seinen Bruder eine Verbeugung, die, tief wie sie war, komisch wirkte.
Plötzlich erschien der Kammerdiener Bernouin hinter dem Kardinal und meldete: »Eminenz, ein Abgesandter des Königs von England.« – Der Kardinal sah betroffen auf, und alsbald erhob sich Ludwig XIV., um nicht indiskret zu erscheinen, und wünschte Mazarin gute Nacht. – »Bleiben Sie, Majestät,« sagte der Minister leise, »ich bin sofort zurück.« – Darauf verschwand er hinter dem Vorhang seines Bettes und folgte, im Schlafrock, dem Kammerdiener in sein Privatkabinett. Dort fand er den Grafen de la Fère. Mazarin trat, wie er pflegte, sehr leise ein und musterte ein Weilchen unbemerkt das Gesicht des Grafen. Er war der Meinung, aus den Zügen von Leuten, die sich unbeobachtet glaubten, das Ergebnis der Unterredung im voraus erraten zu können. Beim Grafen de la Fère hatte er damit aber kein Glück, ja er las in dessen Gesicht nicht einmal den schuldigen Respekt vor der Nähe des Allgewaltigen. Der Menschenkenner in Mazarin witterte daher von vornherein in der kühlen, fast hochmütigen Zurückhaltung des Grafen eine gewisse Feindseligkeit gegen seine Person. Athos trug ein schwarzes Gewand, auf dem man die drei Orden, die ihm verliehen waren, den vom Hosenband, den vom heiligen Geist und den vom Goldnen Vlies, erblickte: Auszeichnungen, die man bisher nur auf der Brust von Königen oder Schauspielern gesehen.
»Wie ich höre,« sagte Mazarin, »handelt es sich um eine Botschaft aus England.« Mit diesen Worten setzte er sich und gab seinem Kammerdiener Bernouin und seinem Sekretär Brienne ein Zeichen, ihn zu verlassen.
»Eine Botschaft von Seiner Majestät dem König von England,« antwortete Athos. – Mazarin, die Orden und das Gesicht des Gesandten aufmerksam betrachtend, sprach: »Sie beherrschen für einen Engländer die französische Sprache sehr gut.« – »Ich bin kein Engländer, sondern ein Franzose,« antwortete Athos. – »Sonderbar, daß der König von England seine Gesandten unter unsern Landsleuten aussucht,« meinte der Minister. »Ihr Name?« – »Graf de la Fère.« – Mazarin zuckte leicht mit den Achseln, als wollte er sagen: »Kenne ich nicht.« Und laut setzte er hinzu: »Sie sind gekommen, mir anzuzeigen –« – »Dem König von Frankreich anzuzeigen.« antwortete Athos, ohne das Stirnrunzeln Mazarins zu beachten, »daß Seine Majestät König Karl II. von England den Thron seiner Väter wieder bestiegen hat.«
»Haben Sie das nötige Kreditiv?« fragte Mazarin mißmutig. – Athos zog ein Dokument hervor. – »Verzeihung,« sagte er, als Mazarin die Hand danach ausstreckte, »es ist an den König adressiert.« – »Da Sie Franzose sind, so müssen Sie wissen, was für Befugnis der erste Minister am französischen Hofe hat,« entgegnete Mazarin ungehalten. – »Es gab eine Zeit, wo ich mich noch mit den Ministern befaßte,« versetzte Athos, »jetzt aber verkehre ich nur noch mit Königen.« – »Dann werden Sie hier weder zum Minister noch zum König gelangen,« rief Mazarin voll Zorn. »Was verstehen Sie unter Diplomatie?« – Athos stand auf, steckte die Depesche ein und verneigte sich, als wenn er gehen wollte. – »Eminenz,« sagte er, »wenn König Karl II. diese Depesche an Seine Majestät König Ludwig XIV. schreibt, so ist das Schreiben eben nicht an den Kardinal Mazarin gerichtet. Dabei ist von Diplomatie gar keine Rede.«
Mazarin richtete sich auf und schlug mit der Hand an seine welke Stirn. »Ah, nun entsinne ich mich!« rief er. »Nun kann ich mich auch nicht mehr wundern. Jetzt erkenne ich Sie.« – »Eure Eminenz hätten mich bei Ihrem vortrefflichen Gedächtnis eigentlich gleich erkennen sollen,« antwortete Athos. – »Immer Eisenfresser? Wie nannte man Sie doch gleich? Potamos – nein – Naxos? Nein, auch nicht. Es war der Name eines Berges – ah! jetzt fällt mir's ein. Athos! Es freut mich, Sie wiederzusehen. Aber die Fronde ist lange vorbei – warum währt Ihr Zorn noch heute? Meiner ist längst verraucht, trotz des Lösegeldes, das Sie mit Ihren Spießgesellen mir bei Rueil erpreßten.« – »Herr Kardinal, ich lasse mich in Betrachtungen dieser Art nicht ein. Es handelt sich hier um einen Auftrag. Wollen Sie mir behilflich sein, ihn auszuführen?« – »Es befremdet mich, daß Sie, Herr Athos,« fuhr Mazarin in boshaftem Tone fort, »sich darauf eingelassen haben, eine Botschaft an »den Mazarin«, wie man zur Zeit der Fronde sagte, auf sich zu nehmen.« – »Ich habe, wie ich schon betonte, nur eine Botschaft an den König.« – »Aber sie muß doch schließlich durch meine Hände gehen, seien Sie doch nicht lächerlich,« sprach Mazarin. »Ich kenne ja Ihr Geheimnis längst. Doch wenn Sie mir Ihr Schreiben nicht zeigen wollen, so kommen Sie mit auf mein Zimmer – dort können Sie mit dem König und vor dem König reden. Noch eins! Wer hat Ihnen den Orden vom Goldenen Vlies verliehen?« – »Karl II.«
Mazarin stand auf und kehrte, auf den Arm des Kammerdieners gestützt, in sein Schlafzimmer zurück. In diesem Augenblick wurde Prinz von Condé beim König angemeldet. Begleitet von mehreren Kavalieren, trat der Sieger von Rocroy und Nördlingen ein und begrüßte eben den König, als Mazarin hinter dem Vorhang hervortrat. Athos warf einen flüchtigen Blick in das Zimmer und erblickte Rudolf unter den Herren, die Condé gefolgt waren. Der letztere begrüßte sogleich auch den Kardinal. – »Sehr freundlich, Hoheit,« antwortete Mazarin, »einen kranken Freund zu besuchen.« – Athos stutzte, als er diese Worte hörte, und murmelte vor sich hin: »Seit wann nennen die beiden sich Freund?« – Mazarin mochte den Gedanken des Grafen erraten, denn er sah sich mit frohlockendem Lächeln um. – »Sire,« wandte er sich darauf zum König, »ich habe die Ehre, Ihnen den Grafen de la Fère, den Abgesandten Seiner Britischen Majestät, vorzustellen. Meine Herren, es handelt sich um Staatsangelegenheiten.« – Er winkte verabschiedend mit der Hand, und die ganze Gesellschaft entfernte sich, Prinz von Condé an der Spitze. – Rudolf konnte seinem Vater nur mit den Augen guten Tag wünschen.
Als auch die junge Königin und Philipp von Anjou hinausgehen wollten, sagte Mazarin in leiserem Tone: »Familienangelegenheiten!« und hielt sie auf ihren Plätzen zurück. »Der hier anwesende Abgesandte,« verkündete er darauf, »überbringt ein Schreiben, worin Karl II., der inzwischen den Thron wieder bestiegen hat, den Antrag stellt, Lady Henriette Stuart, die Enkelin Heinrichs IV., und Seine königliche Hoheit den Bruder des Königs zusammenzugeben. Wollen Sie dem König Ihr Kreditiv überreichen, Herr Graf?«
Athos war erstaunt. Wie konnte der Minister um den Inhalt eines Schreibens wissen, das er nicht aus den Händen gegeben hatte. Er faßte sich jedoch rasch und legte die Depesche vor Ludwig XIV. auf den Tisch. Ludwig XIV. sah den Grafen scharf an. – »Sie sind Franzose,« sagte er, »und Ihre Orden zeigen mir, daß Sie von hohem Stande und eine verdienstvolle Person sind. Sicher können Sie uns über die gegenwärtige Lage in England genaue Auskunft geben.« – »Majestät,« warf Mazarin ein, »das ist der Graf de la Fère, wie ich schon sagte, und,« setzte er hinzu, sich an die Königin-Mutter wendend, »einer Ihrer früheren Diener, Königliche Hoheit.«
Anna von Oesterreich hatte ein schwaches Gedächtnis. Sie sah Athos an und biß sich auf die Lippe. Mazarin nutzte den kleinen Triumph boshaft aus. »Der Graf stand im Dienste des hochseligen Königs,« fuhr er fort, »und war einer von Trévilles Musketieren. Er ist mehrmals in England gewesen und kennt das Land sehr genau.« – Ludwig XIV. bemerkte die Verlegenheit seiner Mutter und fühlte, daß sie nicht gern an jene stürmischen Zeiten erinnert sein mochte, die man auf immer erloschen geglaubt hatte. – »Reden Sie, Herr Graf,« rief der König und half durch diese Worte seiner Mutter und den Anwesenden über die peinliche Spannung hinweg, die die zweideutigen Worte des Ministers hervorgerufen.
»Sire,« begann Athos, »das ganze Geschick des Königs von England ist wie durch ein Wunder umgewandelt worden. Als er Haag verließ, war er schon kein Flüchtling mehr, sondern ein Eroberer, ein anerkannter König, der mit allgemeinem Jubel empfangen wurde.« – »Wahrlich ein Wunder!« sagte der König. »Aber Monk lebt doch noch, und was hat diesen Mann so ganz andern Sinnes gemacht?« – »Gott hat es gefügt, daß eine gewisse Person einen kühnen, abenteuerlichen Plan ausführte, während eine andere Person aus Anhänglichkeit zum König ebenfalls ein Wagstück unternahm. Die beiden Taten im Verein haben bewirkt, daß Monk aus einem erbitterten Feinde ein Freund des Königs wurde.« – »Und was sind das für zwei Männer, denen mein Vetter sein Glück verdankt?« fragte der König. – »Zwei Franzosen, Majestät.« – »Das freut mich.« – »Und was waren es für kühne Ideen?« rief Mazarin dazwischen. »Mich interessieren die Ideen mehr als die Menschen.«
»Die zweite Idee, um mit dieser anzufangen,« berichtete Athos weiter, »war die weniger gefahrvolle und bestand darin, eine Million in Gold auszugraben, die Karl I. einst in der Abtei von Newcastle versteckt hatte. Mit diesem Golde sollte Monks Beistand erkauft werden. Das Geld wurde zu Tage gefördert, obgleich Monk selbst mit seinem Heer zur Zeit die Abtei Newcastle besetzt hielt. Ja Monk half sogar mit, es auszugraben und fortzuschaffen, sodaß an einen Bestechungsversuch nicht gedacht werden konnte.« – »Hm,« sagte der König. »Als mein Vetter hier in Paris war, scheint er vom Vorhandensein dieser Million nichts gewußt zu haben.« – »Mir scheint vielmehr,« sagte Mazarin, »er hat zu dieser einen noch gern eine zweite haben wollen.« – »Sire,« antwortete Athos ernst, »von dieser Million hat Karl II. in der Tat keine Ahnung gehabt. Er erfuhr das Geheimnis erst durch einen französischen Edelmann, dem Karl I. in der Todesstunde den Schatz anvertraute.«
»Und die zweite Idee?« rief Mazarin. »Der abenteuerliche Entschluß – worin bestand er?« – »Darin, daß ein Franzose es unternahm, das einzige Hindernis, das sich dem vertriebenen König auf seinem Wege zum Throne entgegenstellte, wegzuräumen. Dieses Hindernis war die Person des Generals Monk.« – »Oho!« rief Mazarin. »Ein Kapitalverbrechen? Dann kann dieser geniale Franzose noch an den Galgen kommen.« – »Eminenz raten falsch,« entgegnete Athos trocken. »Es wurde kein Mord verübt, sondern Monk wurde einfach gefangengenommen.« – Der König fuhr auf, der Bruder Seiner Majestät klatschte in die Hände. – »Gefangengenommen?« rief Ludwig. »Aber der General war doch in seinem Lager, bei seinem Heer.« – »Ja, Sire, der Edelmann aber war allein. Nur zehn Mann hatte er bei sich.« – »Das ist großartig!« rief Philipp von Anjou in jugendlicher Begeisterung. – »Das grenzt ans Wunderbare,« setzte der schon etwas besonnenere Ludwig hinzu. – Beide hatten sich Athos genähert und standen nun neben ihm. »Weiter! weiter!« rief Philipp ungestüm. – »Der Edelmann raubte den General mitten aus seinem Lager, schleppte ihn nach Haag und stellte ihn dort dem König zur Verfügung. Der König schenkte dem General die Freiheit, und der General setzte aus Dankbarkeit für diese Großmut den König auf den Thron.«
Philipp von Anjou klatschte abermals in die Hände. Unter den Herren wurde ein Murmeln des Erstaunens laut. Mazarin allein bewahrte ein eisiges Schweigen.
»Können Sie für die Wahrheit Ihrer Angaben einstehen?« fragte der König den Grafen de la Fère. – »Ich war Augenzeuge.« – »Und der Edelmann, der die Million ausgrub, ist einer meiner Kavaliere? Wie heißt er?« – »Es ist Eurer Majestät gehorsamer Diener,« antwortete Athos, sich verneigend. – »Graf!« rief der König. »Sie haben meinem Vetter zum Thron verholfen, ich werde Sie zu belohnen suchen.« – »Ja, das ist ein Triumph, der das Haus Frankreich mit Freude erfüllt,« ließ sich Anna von Oesterreich vernehmen. – »Und wie heißt der Mann, der ganz allein mit nur zehn Mann den General Monk aus einem nach Tausenden zählenden Heer entführte?« – »Chevalier d'Artagnan, Musketier-Leutnant außer Dienst.«
Anna von Oesterreich errötete, Mazarin sah beschämt drein, Ludwig XIV. war verstimmt, ein Schweißtropfen rann von seiner Stirn. – »Das sind Männer!« sagte er leise, mit einem Blick auf Mazarin.
»Zur Sache nun!« rief der Minister. »Herr Graf, bringen Sie Ihr Anliegen vor!« – Athos bot im Namen des Königs die Hand der Lady Henriette Stuart dem Prinzen Philipp von Anjou an. Die Beratung währte eine Stunde, dann wurden die Türen geöffnet, und die Höflinge hatten wieder Zutritt. Sie nahmen ihre Plätze wieder ein, als ob keine Unterbrechung eingetreten wäre. Nun traf auch Athos mit Rudolf zusammen, Vater und Sohn konnten sich die Hand drücken. – Sie hatten nur wenige Worte gewechselt, als Prinz von Condé zu ihnen trat und um die Ehre ersuchte, dem Grafen de la Fère vorgestellt zu werden. – »Schade, daß Sie nicht mehr dienen, Herr Graf,« sprach der Prinz, eine hohe, edle Erscheinung mit stark ausgeprägter Adlernase und hervorstehenden Augen. »Der König wird auf einen Krieg mit England oder Holland rechnen müssen, und da tun Leute not wie Sie.« – »Ich glaube vielmehr, Königliche Hoheit,« antwortete Athos, »zwischen Frankreich und Großbritannien wird brüderliche Eintracht herrschen. Sehen Sie nur, was an dem Tische des Kardinals vor sich geht.«
Die Herren hatten weitergespielt, und Mazarin hatte in kurzer Zeit den vor der Unterbrechung durch Athos begonnenen Gewinst bedeutend vermehrt. Jetzt winkte er den Bruder des Königs zu sich heran, und indem er ihm den ganzen Haufen Goldmünzen zuschob, die auf seinem Tische lagen, sagte er: »Das alles schenke ich Ihnen, Hoheit.« – »Was?« rief Philipp von Anjou in ungekünsteltem Erstaunen. »Soviel Geld habe ich noch nie gehabt.« – »Ich habe zu Ihrem Besten gespielt,« antwortete Mazarin. »Es sind 50 000 Taler.« – »Mein Gott!« rief der Prinz, »ist das ein Glückstag!« Und alsbald griff er in das Gold hinein und stopfte sich die Taschen voll. Da diese den ganzen Reichtum nicht zu fassen vermochten, rief er den Chevalier von Lorraine herbei. »Hilf mir's wegschaffen,« sagte er, »denke nur, das alles schenkt mir der Kardinal.« – »Der Kardinal?« rief der Chevalier. »Das muß kurz vor seinem Ende sein.«
Der Auftritt erregte allgemeines Aufsehen. – »Es ist wohl das erstemal, daß die Eminenz etwas verschenkt,« sagte Condé gelassen. »Da muß er sehr krank sein.« – »Hören Sie, was der Prinz zu seinem Freunde sagt,« flüsterte Athos, denn die beiden gingen in diesem Augenblick, um das Geld fortzutragen, an ihnen vorüber. – »Es soll wohl mein Hochzeitsgeschenk sein,« sagte Philipp von Anjou. – »Was?« versetzte Lorraine. »Sie wollen heiraten? Machen Sie doch nicht solche Dummheiten.« – »O, ich mache sie auch nicht,« antwortete der Prinz. »Die andern machen sie für mich.« – Damit gingen sie.
»Aha!« sagte Condé. »Er soll die Schwester Karls II. heiraten.« – »Ich glaube, ja,« antwortete Athos. – »Dann allerdings können wir die Schwerter für ein Weilchen an den Nagel hängen,« sagte Condé mit einem Seufzer, in dem sich hochstrebender Ehrgeiz, getäuschte Erwartungen, zerstörte Hoffnungen ausdrückten. Darauf verabschiedete sich Condé, und auch der König ging. Athos erinnerte Rudolf mit einem Wink an die Einladung, die er ihm bereits ausgesprochen hatte. Das Zimmer wurde leer – Mazarin war allein. – »Bernouin, Bernouin!« rief er mit brechender Stimme. »Laß Guénaud kommen. Ich glaube, es geht mit mir zu Ende.« Bernouin eilte ins Kabinett, und wenige Minuten später sprengte ein Eilkurier mit verhängten Zügeln von dannen.
Guénaud fand den Zustand der Eminenz sehr bedenklich. Die Beine waren geschwollen, die Farbe bläulich; ein heftiger Anfall von Gicht hatte den Kranken sehr geschwächt. Der Arzt begleitete seine Untersuchung mit manchem Kopfschütteln und verhehlte dem hohen Patienten den Ernst der Lage nicht. Mazarin brach vollends zusammen. – »Ist meine Krankheit etwa tödlich?« stieß er hervor. – Der Arzt zuckte die Achseln. »Meine Kunst ist zu Ende, Eminenz,« seufzte er. »Seit ich Sie behandle, habe ich die berühmtesten Mediziner mit zu Rate gezogen. Als sie alle mir nichts mehr zu sagen wußten, habe ich mich an die Quacksalber, an die Heilkünstler gewandt. Auch damit sind wir nun fertig. Eminenz, es gibt keine Hilfe mehr.« – Mazarin keuchte. »Und wann muß ich sterben?« lallte er. – »Eminenz, das sagt man nie,« antwortete der Arzt. – »Mir können Sie es sagen, ich befehle es Ihnen!« rief der Kardinal mit erlöschender Kraft. – »Nicht wir Menschen schenken die Gnadentage, sondern Gott. Und Gott gewährt Ihnen noch vierzehn Tage,« war die Antwort des Mediziners.
Mazarin seufzte tief auf und sank in die Kissen zurück. »Ich danke Ihnen, Guénaud,« murmelte er. Der Arzt verneigte sich und wollte gehen. Der Kranke fuhr empor. »Hören Sie!« rief er mit funkelnden Augen. »Kein Wort davon!« – »Eminenz,« erwiderte Guénaud, »ich weiß es schon seit zwei Monaten und habe geschwiegen.« – »Gehen Sie. Ich werde Ihre Zukunft sicherstellen. Und sagen Sie meinem Sekretär, er soll mir Colbert schicken.«