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Seit vier Tagen befand sich der königliche Hof in Fontainebleau. Die prachtvollen Gärten boten einen feenhaften Anblick, und namentlich in der Nacht verbreiteten die von Colbert unter großem Kostenaufwand geschaffenen Beleuchtungseffekte märchenhaften Glanz über den herrlichen Park. Fouquet hatte die vier Millionen abgeliefert, von denen nun Colbert dieses Fest bezahlte. Aber er bemerkte bald zu seinem Entsetzen, daß das Geld ebenso rasch verpuffte, wie die Feuerwerkskörper, die allabendlich abgebrannt wurden. Jeder der unglaublich farbenschönen Raketenregen kam auf 100 000 Livres zu stehen, jede Beleuchtung der Wasserkunst kostete 30 000, und die Kleider für die Waldgötter, die Nymphen und Dryaden, die in den Balletten auftraten, waren ebenfalls sehr teuer. Kurz und gut, Colbert bemerkte, daß trotz aller Sparsamkeit die Ebbe in seiner Kasse nahe bevorstand.
Madame war die Königin aller Feste. Sie empfing mit unnachahmlicher Anmut die verschiedenen Deputationen von Abgesandten fremdartiger oder längst ausgestorbener Völkerschaften: die Skythen, die Hyperboräer, die Kaukasier und Patagonier. Sie war die Diana jeder einzelnen Jagd und fand an jedem Tage Gelegenheit, ihren Witz und ihre Unerschöpflichkeit an entzückenden Gedanken zu zeigen. Sie nahm die Huldigungen in Empfang, die ihr von allen Seiten dargebracht wurden, und man verglich den König mit dem Sonnengott und sie mit Phoebe. Von Monsieur war bei allem gar nicht die Rede, ganz als ob der König nicht mit Maria-Theresia von Spanien, sondern mit Lady Henriette von England vermählt gewesen sei.
Das freudetrunkene Paar drückte sich verstohlen die Hände und genoß in langen Zügen den durch Jugend, Schönheit, Macht und Liebe versüßten Trank des Glücks. Niemand konnte mehr im Zweifel darüber sein, daß Madame die erste Dame des Hofes geworden war. Man nannte sie ganz leise die Königin. Das hatte zur Folge, daß Monsieur, statt die zweite Person des Reiches zu sein, auf den dritten Platz gedrängt worden war. Und er mußte erkennen, daß es nach der Verbannung seines zweiten Feindes, des Grafen von Guiche, abermals schlimmer geworden war. Dem Grafen hatte er wenigstens Furcht einjagen können – jetzt aber stand ihm der König selbst im Wege. Und was konnte er gegen diesen tun? Ueberdies kam Madame an jedem Abend völlig erschöpft von den vielen Lustbarkeiten des Tages in ihre Gemächer und war für ihn auch dann nicht mehr zu sprechen.
Eines Tages war Monsieur spät aufgestanden, kleidete sich sehr sorgfältig an und nahm sich vor, mit Madame und seinem Hofstaat nach Moret zu fahren, um dort zu soupieren. Er begab sich in den Pavillon seiner Gemahlin und entdeckte zu seiner Verwunderung, daß die gesamte Dienerschaft verschwunden war. Nur eine Näherin fand er, die ihm berichtete, Madame sei mit allem Gefolge ins Bad gefahren. – »Das ist eine gute Idee,« dachte Monsieur. »Es ist eine drückende Hitze, ich will auch ein Bad nehmen.« – Aber als er nun ein Pferd verlangte, erfuhr er, daß weder Pferde noch Stallknechte da seien; es war alles ausgeflogen.
In höchst verdrießlicher Stimmung machte er sich – Muttersöhnchen, das er war – abermals auf den Weg zur Frau Mama. Im Begriff einzutreten, sah er, daß Ludwigs Gattin, Maria-Theresia von Spanien, bei Anna von Oesterreich war. Monsieur, der bereits die Portiere in die Höhe gehoben hatte, trat leise zurück und wollte nun mit anhören, was die beiden Frauen sprachen. Aber leider führten sie ihre Unterhaltung in spanischer Sprache, und der Prinz konnte nur aus dem Tonfall der Worte entnehmen, daß die junge Königin sich beklagte. Auch hörte er sie weinen. Er zweifelte nicht daran, daß sie Beschwerde über den König führte, der nur auf Vergnügungen bedacht war, an denen sie keinen Teil hatte.
Anna von Oesterreich tröstete ihre Schwiegertochter, doch schien diese sich nicht trösten zu lassen. Monsieur hörte, daß sie sich zum Gehen anschickte, und da er sich nicht beim Horchen überraschen lassen wollte, so trat er jetzt ein. Bei seinem Anblick trocknete die junge Königin sich rasch die Augen und setzte eine gleichgültige Miene auf. Monsieur bewahrte trotz aller Verstimmung den Takt des Hofmannes und belästigte die Damen nicht durch Fragen nach der Ursache ihrer Betrübnis.
»Verzeihung,« begann er, »ich glaubte, Madame hier zu finden.« – »Madame ist im Bade,« antwortete Anna von Oesterreich. – »Und der König?« fragte Monsieur in einem Tone, bei dem seine Mutter unwillkürlich erbebte. – »Ist auch im Bade,« sagte Maria-Theresia, »mitsamt dem ganzen Hofe.« – »Außer Ihnen, Majestät,« sagte Philipp. – »O, ich bin ein Schrecken für alle, die sich vergnügen,« murmelte die Infantin von Spanien. – »Ich scheinbar auch,« ergänzte Orléans.
Anna von Oesterreich gab ihrer Schwiegertochter einen Wink, und die Königin zog sich zurück. »Nun, was gibt es denn wieder?« wandte sie sich an ihren Sohn. – »Wissen Sie es nicht schon von meiner Schwägerin?« versetzte der Herzog. »Sie hat Ihnen doch eben ihr Leid geklagt.« – »Mein Gott, sie ist kindisch eifersüchtig,« antwortete Anna. – »Ich auch, Frau Mama,« sagte Philipp. »Jawohl! Der König fährt mit meiner Frau zum Bade, und seine Frau läßt er zu Hause. Und meine Frau geht mit und sagt mir nicht einmal was davon. Da soll ich nun wohl nicht einmal drüber böse sein?« – »Lieber Philipp, du übertreibst,« erwiderte die Fürstin. Du hast Buckingham vertrieben, du hast Guiche verbannen lassen, möchtest du nun vielleicht gar den König vom Hofe verjagen?« – »Das maße ich mir nicht an,« entgegnete er. »Aber ich kann meiner Wege gehen.« – »Wie? Eifersüchtig auf den König – auf den eigenen Bruder?« – »Ja, Mama! Eifersüchtig auf den König! eifersüchtig auf den Bruder! Eifersüchtig, eifersüchtig!« – »Wahrhaftig, Philipp,« antwortete sie mit erkünsteltem Unwillen, »ich muß glauben, du hast es drauf abgesehen, mir die Ruhe zu rauben. Ich muß dich dir selbst überlassen; denn gegen solche hirnverbrannten Ideen habe ich keine Waffen.« Damit ging sie hinaus.
Monsieur stand verblüfft da, dann erwachte sein Zorn; er eilte in seine Zimmer, zertrümmerte das beste Porzellan und legte sich dann gestiefelt und gespornt ins Bett.
Die Hofgesellschaft kehrte vom Bade zurück. Der prächtige Zug bewegte sich die Allee entlang, über der das Laub der zu beiden Seiten stehenden Bäume sich zu einem grünen Dach vereinte. Madame war schöner als je; der Aufenthalt im Wasser hatte sie erfrischt. Ihr noch feuchtes, rabenschwarzes Haar wallte auf den Nacken hernieder, und aus ihren schönen Augen strahlten Frohsinn und Gesundheit. Sie ritt einen andalusischen Zelter, dessen langer Schweif den Boden fegte. Man erzählte sich, daß Majestät sie in den Sattel gehoben und sie dabei den Arm um seinen Nacken geschlungen habe. Jetzt ritt der König an ihrer Seite und wich keinen Augenblick von ihr. Sie waren in ein sehr lebhaftes Gespräch vertieft, von dem jedoch die in gemessener Entfernung folgenden Kavaliere und Damen nichts verstanden. Nur hin und wieder schlug ein halb ersticktes Lachen oder ein leiser Schrei der Freude an die trotzdem neugierig gespitzten Ohren.
In das Schloß zurückgekehrt, begab sich Madame sogleich zu Monsieur, und der König wollte zu seiner Gattin. Aber sie ließ ihn nicht vor, und er mußte sich mit seiner Mutter begnügen, die ihm nun über ihre Unterredungen mit Maria-Theresia und mit Monsieur berichtete. In verdrießlicher Stimmung ging er auf sein Privatzimmer; dort brachte man ihm einen Brief. Er öffnete den Umschlag und las: »Kommen Sie geschwind, ich habe Ihnen tausend Dinge zu sagen. Ihre Schwägerin.«
In fünf Minuten war er bei Madame. Allein sie hatte, um jedes Aufsehen zu vermeiden, ihre Wohnung verlassen und war mit ihrem Gefolge in den Garten gegangen, unter dem Vorwande, eine Jagd auf Nachtschmetterlinge halten zu lassen. Sie saß in der Mitte eines großen Rasenplatzes auf einer Bank, von der aus man alles übersehen konnte, auch selbst von allen Seiten sichtbar war, jedoch keine Lauscher zu fürchten hatte. Sie wählte diesen Platz mit Absicht und erwartete hier den König, der, anscheinend von der Schönheit des Abends verlockt, das Schloß verließ und sich beim Anblick der fröhlichen Gesellschaft sofort nach dieser Seite des Gartens wendete. Darin konnte selbst das argwöhnischste Auge keine Verabredung vermuten.
»Mein Billett hat Sie überrascht, Sire?« begann die Prinzessin. – »Erschreckt sogar,« antwortete der König. »Aber ich habe Ihnen noch etwas viel Wichtigeres zu sagen.« – »Als ich Ihnen?« unterbrach ihn Henriette. »Unmöglich! Denken Sie sich, mein Mann hat mich heute abend nicht vorgelassen.« – »Meine Frau mich auch nicht,« sagte Ludwig. »Statt ihrer empfing mich meine Mutter mit einer großen Gardinenpredigt. Der langen Rede kurzer Sinn ist: Monsieur ist jetzt eifersüchtig auf mich.« – »Wir haben doch gar keine Veranlassung gegeben,« antwortete die Herzogin. »Ich wenigstens nicht.« – »Monsieur bezichtigt Sie der Koketterie. Er scheint obendrein noch ungerecht zu sein,« sagte Ludwig. »Nun will er sich nicht mehr beruhigen lassen.« – »Er hätte besser getan, sich gar nicht erst zu beunruhigen,« sagte Madame. »Eine böse Welt, daß nicht einmal Bruder und Schwester miteinander umgehen können, ohne Verdacht zu erregen. Wir tun doch nichts Böses und haben auch gar nicht die Absicht.«
Sie warf dabei dem König den ihr eigenen halb unschuldigen, halb verführerischen Blick zu, der selbst den kältesten Mann bezaubert haben würde.
»Für mich sind Sie ein Bruder,« fuhr sie fort; »wenn ich Ihre Hand halte, empfinde ich dabei nicht wie eine Liebende, sondern eben nur –« – »O, schweigen Sie!« rief Ludwig, »Sie foltern mich unbarmherzig.« – »Wieso denn?« fragte sie harmlos. – »Sie sagen es ja gerade heraus, daß Sie nichts für mich fühlen. Glauben Sie, ich sei von Marmelstein wie Sie? O, Henriette! Alle unsere Gespräche, die heimlichen Blicke, der oft getauschte Händedruck – das alles sollte –« – »Vorsicht,« warnte Madame, »Ihr Hofmeister Saint-Aignan sieht auf uns.«
»Ja doch!« rief Ludwig zornig. »Nie Freiheit, nie Aufrichtigkeit! Man glaubt, man hat einen Freund, und es ist ein Spion – man glaubt, man hat eine Freundin, und es ist nur eine Schwester.« – »Aber Monsieur ist doch eifersüchtig!« lispelte sie und sah ihn mit einem glühenden Blicke an. »Gegen Sie freilich hegt niemand Argwohn. Die Ruhe Ihres Hauses wird nicht gestört.« – »Ich sagte Ihnen doch schon, meine Frau ist auch eifersüchtig!« rief Ludwig. »Ich werde das Vergnügen haben, fortwährend schmollende Lippen und rotgeweinte Augen zu sehen.« – »Arme Majestät!« sagte Henriette und streichelte die Hand des Königs.
Sie schwiegen beide. Ihre Haare berührten sich, ihr Atem verschmolz zu einem, ihre Hände hielten sich fest. So vergingen fünf Minuten. Lady Henriette sah Ludwig in die Augen und erblickte im Innersten seines Herzens die Liebe, gleichwie ein Taucher die Perle in der Tiefe des Meeres wahrnimmt.
»Es gibt nur zwei Wege,« sagte sie leise. »Entweder ich kehre nach England zurück –« – »Das ist unmöglich, nennen Sie den zweiten!« fiel Ludwig ihr ins Wort. – »Oder,« fuhr sie fort, »man führt den Eifersüchtigen irre. Man tut so, als ob man einer andern den Hof machte.« – »Das ist ein sinnreiches Mittel, Henriette,« antwortete Ludwig, »und ich soll nun also unter den Damen Ihres Hofes eine auswählen, die wir als Scheinpüppchen gut verwenden können? Wie denken Sie über Fräulein von Tonnay-Charente?«Sie wurde später die Mätresse des Königs; die Geschichte kennt sie jedoch nur unter dem Namen ihres Mannes, von Montespan. – »Sie ist ein wenig zu blond,« antwortete die Prinzessin und nannte damit den einzigen Fehler, den man an der sonst so vollkommenen Schönheit der späteren Madame von Montespan finden konnte.
»Ei, so wählen Sie selbst die Dame,« sagte Ludwig, »aber treffen Sie eine gute Wahl, damit ich meine Rolle auch einigermaßen glaubhaft spielen kann, damit ich nicht, während ich jene andere ansehen soll, doch nur nach Ihnen schaue, nicht zu Ihnen spreche, wenn ich mit jener reden soll, kurz damit ich nicht mit Herz, Mund und Augen doch nach wie vor an Ihnen allein hänge!« – Diese Worte entströmten wie eine Liebesflut den Lippen des jungen Königs, und die Prinzessin errötete wonnetrunken und fand keine Antwort; ihr Durst nach Huldigungen war befriedigt.
»Ich werde nicht nach Ihrem Wunsche wählen,« sagte Madame nach langem Schweigen; »denn aller Weihrauch, den Sie auf dem Altar einer andern Göttin opfern, würde mich eifersüchtig machen. Ich werde daher mit Ihrer Erlaubnis diejenige unter meinen Damen wählen, die mir am wenigsten geeignet erscheint, Eure Majestät zu zerstreuen und einen Schatten auf mein Bild zu werfen. Sehen Sie dort drüben am Rande des Gebüsches die einzelne Dame sitzen, die allein sich nicht an der Jagd beteiligt?« – »Ganz recht, es ist die Lavallière,« antwortete Ludwig, »und sie jagt nicht mit, weil sie lahmt. Aber Sie wollen mir doch nicht dieses Mädchen bestimmen, Henriette? Sie ist eine langweilige Person. Nein, nein, Henriette!« – Madame blieb unerbittlich. – »Sie hinkt, aber es ist kaum bemerklich,« sprach sie. »Sie schweigt fast immer, aber wenn sie spricht, zeigt sie die wunderschönsten Zähne, und sie ist sanft wie ein Lamm und wird sich's gefallen lassen, von ihrem Könige getäuscht zu werden. Und wir werden endlich Ruhe haben.«
»Aber man wird sagen, ich habe einen sehr schlechten Geschmack!« rief Ludwig verdrießlich. »Das ist nicht sehr schmeichelhaft für mich.« – »Ei, alles was der König berührt, verwandelt sich in Gold,« antwortete Madame. »Man kommt. Majestät! Bieten Sie alle Vorsicht und Klugheit auf.« – »Nun, wenn es denn sein muß!« seufzte Ludwig. »Ich werde noch heute abend mit meiner Rolle beginnen.« – »Gemach!« versetzte Henriette. »Man würde nicht an die Echtheit des Gefühls glauben, wenn es so rasch aufloderte. Ein König sinkt nicht in einer Stunde von einer Henriette Stuart zu einer Lavallière herab. Jede Sache will ihre Vorbereitung, ihre Einleitung haben. Doch da kommen meine Damen mit den Schmetterlingen, die sie erbeutet haben. Wir müssen uns trennen.« – Sie reichte dem König die Hand und ging der heraneilenden Gruppe von Damen und Herren entgegen.