Alexander Dumas d. Ä
Zehn Jahre später
Alexander Dumas d. Ä

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3. Kapitel.
Mazarin

Der König schritt, nur von einem Kammerdiener begleitet, dem Flügel zu, wo der allgewaltige Diplomat wohnte. Inzwischen trat aus einem kleinen Kabinett, das von dem Vorzimmer – dem Aufenthalt des Wachthabenden – durch eine dünne Bretterwand getrennt war, der Offizier mit dem Schnauzbart und kehrte leise an seinen früheren Platz zurück. Er hatte mitangehört, was zwischen den beiden Königen gesprochen worden war. Er schüttelte den Kopf und sprach in gaskognischem Dialekt: »Fürwahr, ich diene da einem traurigen Herrn!«

Darauf ließ er sich in seinen Lehnstuhl fallen, streckte die Beine von sich und schloß die Augen.

Mazarin hatte einen leichten Anfall von Gicht gehabt und war zeitig zu Bett gegangen. Aber er schlief noch nicht, sondern arbeitete an einem Pult, das er sich auf das Bett hatte legen lassen. – »Diese verwünschten Zahlen,« sprach er, während er seinem Kammerdiener Bernouin in die Feder diktierte. »Hast du geschrieben? – 3 900 000 Livres auf Lyon – 7 Millionen auf Bordeaux – 4 Millionen auf Madrid. Das Geld gehört dem König, Bernouin, ich zahle des Königs Geld. Die Leute sind verrückt, wenn sie mich für unermeßlich reich halten. Albernes Geschwätz das! Hast du geschrieben? Weiter! Allgemeine Einkünfte 7 Millionen – Grundbesitz 9 Millionen – Kassenbestand 600 000 Livres – Mobiliar verschiedener Schlösser 2 Millionen – was macht das alles zusammen, Bernouin? Sind 40 Millionen voll?«

»Nein, Eminenz, es fehlen daran noch 740 000 Livres.« – »Nicht einmal 40 Millionen!« rief Mazarin, wie bei sich selbst. »Diese Summe muß erreicht werden. Aber wie? Ich werde alt, wer weiß, ob mir noch Zeit verbleibt. Ei nun, ich werde aus Spanien noch etwas herausschlagen können. Die Leutchen haben jetzt Peru entdeckt, ein neues Goldland.«

Bernouin war hinausgegangen, denn ein Geräusch war vor der Tür zu hören gewesen, jetzt kam er ganz bestürzt zurück und meldete: »Seine Majestät der König!«

»Der König? Zu solcher Stunde noch?« rief Mazarin und versteckte rasch die Papiere mit den Rechnungen. »Was gibt es denn?« – »Nichts, Kardinal,« antwortete Ludwig selbst, indem er ins Zimmer trat. »Ich habe Ihnen nur etwas Wichtiges mitzuteilen.« – »Ich sollte Eure Majestät stehend anhören,« unterbrach ihn der Minister, »allein meine Gicht –« – »Keine Etikette zwischen uns, Eminenz,« versetzte der König. »Auch komme ich nicht als König, sondern als Bittender zu Ihnen. Hören Sie – soeben war mein königlicher Vetter Karl II. von England bei mir . . .«

Mazarin, der schon vermutet hatte, der König wolle von Maria Mancini sprechen, fuhr wie elektrisiert auf. »Karl II.!« rief er in heiserm Tone, »Karl II. hat Sie besucht?« – »König Karl II.,« antwortete Ludwig mit einigem Nachdruck. »Der unglückliche Fürst hat mir sein Herz ausgeschüttet, und ich weiß ja auch schon aus Erfahrung, was es heißt, wenn einem König der rechtmäßige Thron streitig gemacht wird.« – »Ei, warum hat Karl II. nicht auch einen Giulio Mazarini?« entgegnete der Kardinal. »Dann würde sich niemand an seiner Krone vergriffen haben!« – »Ich weiß, was ich Ihnen verdanke, Eminenz, und werde es nie vergessen,« erwiderte der König stolz. »Aber da mein königlicher Vetter von England keinen so genialen Mann an der Seite hat, so bedarf er eben um so mehr des Beistandes.« – »Majestät,« versetzte Mazarin kalt, »die Briten sind tolle Kerle, sie haben ihren König geköpft, sie haben sich mit Fürstenblut besudelt, wir wollen nichts mit ihnen zu tun haben.«

»Es handelt sich aber jetzt darum, Karl II. wieder auf den Thron zu setzen.« – »Mein Gott,« rief Mazarin, »sollte die arme Majestät wirklich solchen Hirngespinsten nachjagen?« – »Seine Aussichten sind vielmehr sehr günstig,« antwortete Ludwig eifrig, »und um zum Ziele zu gelangen, braucht er nur eine lumpige Million.«

»Eine lumpige Million,« versetzte Mazarin in spöttischem Tone. »O, diese erbärmliche Familie von Bettlern!« – »Herr, diese Familie ist ein Zweig meines Hauses!« rief Ludwig und warf das Haupt in den Nacken. – »Haben Sie denn so viel Geld, daß Sie gleich eine Million wegschenken können? Wahrlich, Majestät, wir brauchen selber Geld – es fehlt uns an allen Enden daran. Sehen Sie hier!« rief er und zog das Blatt Papier unter seinem Kopfkissen hervor, indem er es nun mit kecker Stirn als einen Beweis für seine Behauptung verwendete, während es doch vielmehr das Gegenteil hätte beweisen können. »Hier sehen Sie die Summe, die wir selber haben müssen, um die notwendigen Ausgaben zu decken. Annähernd 40 Millionen!«

Der König ballte die Fäuste. »So muß also der König von England verhungern?« rief er zornig. – »Sire,« versetzte Mazarin kalt, »ich nannte Ihnen schon oft als Ausdruck der gesundesten Politik das alte Sprüchwort: Freue dich deiner Armut, wenn nur dein Nachbar auch arm ist.« – »Und es ist ganz unmöglich, mir die Million zu beschaffen, die ich verlange?« – »Ganz unmöglich.« – »Bedenken Sie, Karl II. wird unser Feind, wenn er später doch noch den Thron wieder besteigt.« – »Wenn das Ihre einzige Sorge ist,« antwortete Mazarin, »so können Sie einstweilen noch ruhig schlafen. Doch, Majestät, wenn ich Ihnen auch dies abschlagen muß, verlangen Sie etwas anders, und ich will all Ihre Wünsche erfüllen.«

»Gut!« rief Ludwig freudig, »ich halte Sie beim Wort. Ich verlange etwas, das leichter zu beschaffen ist als eine Million.« – »Etwas für sich selbst, Majestät?« fragte Mazarin, in der Erwartung, daß nun endlich die Rede auf Maria Mancini kommen würde. – »Nein, nicht für mich, sondern ebenfalls wieder für meinen Vetter Karl.« – »Majestät!« unterbrach Mazarin ihn in strengem Tone, »ich weiß sehr wohl, was nun kommen soll. Soll ich Ihnen wiederholen, was der Brite zu Ihnen gesprochen hat. ›Wenn dieser Geizhals,‹ hat er gesagt, ›dieser filzige Italiener –‹ – »Nicht doch, Eminenz!«

»In diesem Sinne hat er sich ausgedrückt, vielleicht genau in diesen Worten,« fuhr Mazarin unbeirrt fort. »Ich bin ihm deshalb nicht böse, Sire. Jeder Mensch sieht durch die Brille seines Temperaments. ›Wenn dieser filzige Italiener,‹ hat er also gesagt, ›Ihnen die Million verweigert, ob aus wirklichem Geldmangel, ob aus politischen Rücksichten, so fordern Sie für mich fünfhundert Mann –‹«

Der König sah den Kardinal betroffen an. Mazarin fuhr fort: »›Wenn sie Frankreichs Banner, französische Uniformen um mich geschart sehen,‹ – so hat Karl II. gesprochen – ›dann wird der Sieg mein sein. Ihnen aber wird die Ehre gehören.‹ Und das hat er wahrscheinlich noch mit ein paar Phrasen aufgeputzt, denn die ganze Familie ist geschwätzig; der König hat sich sogar noch auf dem Schafott als Schwätzer gezeigt.« – Ludwig war entrüstet, als er seinen Blutsverwandten so beschimpfen hörte, allein er wußte nicht, was er Mazarin entgegnen sollte. »Herr Kardinal,« antwortete er, »ich habe nie an Ihrem Scharfblick gezweifelt, und Sie haben im Grunde auch hier wieder richtig geraten; allein es handelt sich nicht um 500, sondern nur um 200 Mann. Ich war überzeugt, Sie würden meinem Vetter Karl eine solche Kleinigkeit nicht abschlagen.«

»Majestät,« erwiderte Mazarin, »ich treibe nun schon 30 Jahre lang Politik: erst unter Richelieu und nun selbständig. In dieser Politik habe ich nicht immer das Gebot der Ehrlichkeit befolgt, das gebe ich gern zu, aber ungeschickt waren meine Schachzüge nie. Die Politik jedoch, die Eure Majestät in diesem Augenblick befolgen will, ist beides zugleich: unredlich und ungeschickt.« – »Unredlich, Eminenz?« brauste der König auf. – »Sire, wir haben einen Vertrag mit Cromwell geschlossen, und dieser Vertrag besteht, obwohl Cromwell tot und sein Sohn das Protektorat niedergelegt hat, dennoch zu Recht. Warum wollen Sie ihn nun umgehen, Sire? Es hat sich ja noch nichts geändert in England. Das Unrecht würde auf unserer Seite sein. Ein Krieg könnte daraus entstehen; denn ob Sie 500 oder 200 Mann nach England schicken, das bleibt sich gleich. Ja, eine einzige französische Uniform repräsentiert in solchem Falle schon die ganze Nation, stellt eine Armee vor. Karl II. wird bereits von Holland beschützt. Nun, lassen Sie doch Holland mit ihm fertig werden. Lassen Sie doch England und Holland um seinetwillen aneinandergeraten und sich befehden. Es sind die beiden einzigen Seemächte, und sie mögen getrost ihre Flotten gegeneinander aufreiben. Aus den Trümmern bauen wir uns Schiffe. Nein, nein, Majestät, lassen Sie die Finger davon! Karl II. gibt Ihnen nicht die geringste Gewähr für einen vorteilhaften Ausgang des Unternehmens, und was er als Heerführer leisten kann, das hat er bei Worcester bewiesen.«

»Dort focht er gegen Cromwell, und Cromwell ist nicht mehr,« versetzte Ludwig. – »Aber Monk ist noch da, und der ist noch gefährlicher als Cromwell,« antwortete die Eminenz. »Cromwell war ein Bierwirt und zugleich ein Schwärmer. In Augenblicken der Begeisterung, der Verzückung deckte er seine ganze Seele auf. Aber Monk! O, Gott bewahre Eure Majestät vor Monk! Wegen dieses Menschen habe ich seit einem Jahre graue Haare bekommen. Monk offenbart uns nie, was in seiner Seele vorgeht, was für Ziele er verfolgt. O, fallen Sie nur nicht diesem verschlossenen, starrsinnigen Politiker in die Hände, der nicht nur Politiker, sondern auch Soldat und Feldherr ist. Sein Helm ist ein eiserner Koffer, der alle seine Pläne enthält, und den Schlüssel dazu hat kein Mensch. Und ebenso soll Karl II. sich ja hüten, mit Monk zusammenzugeraten, es würde vernichtend für ihn ablaufen. Majestät könnten Ihrem Vetter allenfalls eine Jahresrente aussetzen und eins Ihrer Schlösser zur Wohnung überlassen – doch nein! auch das können Majestät nicht, denn der Vertrag mit England enthält für Sie ausdrücklich die Verpflichtung, Karl II. nicht in Ihrem Lande aufzunehmen.«

»Halt!« rief Ludwig dazwischen, »Sie haben das Recht, mir eine Million und 200 Soldaten zu verweigern, denn Sie sind der leitende Staatsmann meines Reichs, aber Sie haben nicht das Recht, mir Gastfreundschaft gegen meinen Vetter zu verbieten. Hier endet Ihre Macht, hier beginnt mein Wille.« – »Majestät,« antwortete der Kardinal, der froh war, seinen Zweck soweit erreicht zu haben, »den Willen meines Königs werde ich stets respektieren. Geben Sie Karl II. Obdach auf einem Ihrer Schlösser, Mazarin darf darum wissen, der Minister allerdings nicht.« – Mit einem flüchtigen Gruß entfernte sich der König. Er fand Karl II. in fast unveränderter Haltung auf dem gleichen Fleck sitzend. Der Brite stand auf und sah den Franzosen prüfend an. »Sie bringen mir keine gute Nachricht,« sprach er, »doch gleichviel, Sie sind gut und freundschaftlich zu mir gewesen, und das werde ich Ihnen nie vergessen.« – »Es muß allerdings leider bei meinem guten Willen bleiben,« antwortete Ludwig traurig. – Karl wurde blaß und taumelte ein wenig. »Dann habe ich nichts mehr zu hoffen,« murmelte er und machte eine Bewegung, als wollte er gehen. – »Uebereilen Sie nichts, Vetter,« rief Ludwig, ihn zurückhaltend. »Begeben Sie sich auf eines meiner Schlösser und warten Sie ab, wie die Dinge sich entwickeln werden. Wir können dann gelegentlich beraten, was weiter zu tun ist.«

Karl trat zurück. »Ich habe den größten König der Erde erfolglos um Hilfe gebeten,« sprach er in schmerzlichem Tone, »nun kann ich nur noch Gott um ein Wunder bitten.« – Er verneigte sich und ging in stolzer Haltung, mit dem Ausdruck tiefsten Schmerzes in den Zügen, hinaus. Der Musketier-Leutnant schritt ihm auf dem Korridor mit einer Fackel voran. An der Tür richtete der verstoßene König das Wort an den Offizier. »Sie sagen, Sie haben meinen Vater gekannt?« sprach er, »vielleicht haben Sie für ihn gebetet. Ist dem so, dann vergessen Sie auch mich in Ihren Gebeten nicht. Begleiten Sie mich nicht weiter!« – Der Offizier verneigte sich und kehrte mit seinen Musketieren ins Schloß zurück. – »Ein erbärmlicher Dienst!« brummte er vor sich hin. »Ich habe es satt, mich für einen König aufzureiben, der am Gängelbande eines Ministers und einer Mutter hängen bleibt.«

Er trat eben ins Vorgemach, als aus dem Innenzimmer jemand ihn rief. – »Was gibt's?« versetzte er. – »Der König will Sie sprechen,« war die Antwort. – »Hollah!« murmelte der Recke, »vielleicht wird's nun doch anders.«



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