Alexander Dumas
Die drei Musketiere
Alexander Dumas

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Der Rat der Musketiere

Wie es Athos vorhergesehen hatte, war die Bastei, die man kurz zuvor eingenommen hatte, nur von einem halben Dutzend Toter, sowohl Franzosen als Rocheller, besetzt. »Meine Herren!« rief Athos, der bei dieser Expedition das Kommando führte, »indes Grimaud die Tafel zurechtmacht, wollen wir die Gewehre und Patronen sammeln. Übrigens können wir uns mitten unter diesem Geschäft besprechen, denn diese Herren hören uns nicht,« fügte er hinzu, indem er auf die Toten zeigte. »Wir könnten sie immerhin in die Gräben hinabwerfen,« versetzte Porthos, »wenn wir uns vorher versichert, daß sie nichts in den Taschen haben.« »Ja,« erwiderte Athos, »doch das ist ein Geschäft für Grimaud.« »Wohl,« entgegnete d'Artagnan, »Grimaud mag sie untersuchen und dann über die Mauer werfen.« »O, nicht doch,« sagte Athos, »sie können uns dienlich sein.« »Die Toten können uns dienlich sein?« fragte Porthos, »ei, Freund, du faselst.« »Urteilt nicht voreilig,« antwortete Athos. »Wieviel Büchsen, meine Herren?« »Zwölf,« sagte Aramis. »Wieviel Schüsse zum Abfeuern?« »Etwa hundert, das ist soviel als nötig ist; lasset uns laden.« »Meine Herren,« versetzte Athos, »ich hoffe Euch zugleich Vergnügen und Ruhm zu verschaffen. Ich ließ Euch einen reizenden Spaziergang machen; hier steht ein sehr einladendes Frühmahl, und dort unten sind fünfhundert Personen, wie Ihr durch die Schießscharten sehen könnt, die uns für Narren oder für Helden halten; zwei Gattungen Schwachköpfe, die sich ziemlich ähnlich sind.« »Doch das Geheimnis?« rief d'Artagnan. »Das Geheimnis«, sagte Athos, »ist, daß ich gestern abends Mylady sah.« D'Artagnan bewegte eben sein Glas an die Lippen, doch bei dem Namen Mylady bebte seine Hand derart, daß er es auf den Boden stellte, um den Inhalt nicht auszuschütten. »Du sahst deine Gem . . .« »Stille doch,« unterbrach ihn Athos. »Ihr vergeßt, mein Lieber, daß diese Herren nicht wie Ihr in das Geheimnis meiner häuslichen Angelegenheit eingeweiht sind. Ich sah Mylady.« »Wo das?« fragte d'Artagnan. »Etwa zwei Meilen von hier in der Schenke ›Zum roten Taubenschlag‹.« »Wenn das ist, so bin ich verloren,« sagte d'Artagnan. »Nein, noch nicht so ganz,« erwiderte Athos, »denn zu dieser Stunde muß sie die Küste Frankreichs verlassen haben.« D'Artagnan atmete wieder. »Aber sagt doch, wer ist denn diese Mylady?« fragte Porthos. »Eine reizende Frau,« entgegnete Athos, indem er sein Glas perlenden Wein schlürfte. »Ja, es ist eine reizende Frau, welcher Freund d'Artagnan hier einen schlimmen Streich gespielt hat, wofür sie sich damit zu rächen suchte, daß sie ihn vor einem Monat mit Musketenschüssen töten lassen wollte, und daß sie gestern vom Kardinal seinen Kopf verlangte.« »Wie, sie hat vom Kardinal meinen Kopf verlangt?« fragte d'Artagnan, vor Schrecken blaß. »Ja,« versetzte Athos, »es ist die lautere Wahrheit, ich hörte es mit meinen eigenen Ohren.« »Ich gleichfalls,« fügte Aramis hinzu. »Nun,« rief d'Artagnan, indem er mutlos die Arme sinken ließ, »nun ist es unnütz, länger zu kämpfen; es ist besser, ich jage mir eine Kugel durch den Kopf, und alles ist vorüber.« »Das ist die letzte Dummheit, die man zu begehen hat, sagte Athos, »denn sie ist die einzige, für die es kein Gegenmittel gibt.« »Doch solchen Feinden werde ich niemals entschlüpfen,« versetzte d'Artagnan, »zuvörderst meinem Unbekannten in Meung, dann Herr« von Wardes, dem ich vier Degenstiche versetzte; ferner Mylady, deren Geheimnis ich entdeckte, und endlich dem Kardinal, dessen Rache ich vereitelt habe.« »Nun,« sagte Athos, »alles das macht zusammen nur vier. Einer gegen einen, beim Himmel! Wenn wir den Zeichen glauben dürfen, die uns Grimaud gibt, so werden wir mit einer größeren Anzahl zu tun bekommen. Was ist's, Grimaud? Wegen der Wichtigkeit der Umstands erlaube ich dir zu reden, Freund, aber kurz gefaßt, wenn ich bitten darf; was siehst du?« »Eine Truppe.« »Von wieviel Leuten?« »Von zwanzig.« »Was für Leute?« »Sechzehn Gefangene, vier Soldaten.« »Wie weit von uns entfernt?« »Fünfhundert Schritte.« »Gut, wir haben noch Zeit, dieses Geflügel ganz zu verzehren und ein Glas Wein zu trinken. Auf deine Gesundheit, d'Artagnan!« »Auf deine Gesundheit!« wiederholten Porthos und Aramis. »Gut denn, auf meine Gesundheit, obwohl ich nicht glaube, daß mir Eure Wünsche viel frommen werden.« »Bah!« rief Athos, »Gott ist groß, wie die Mohammedaner sagen, und die Zukunft ruht in seiner Hand.« Athos trat zu einer Schießscharte, Porthos, Aramis und d'Artagnan taten desgleichen. Grimaud mußte sich hinter die vier Freunde stellen und die Gewehre wieder laden. Ein Weilchen darauf sah man die Truppe erscheinen: sie schritt durch eine Art Schlauchgraben, der die Bastei mit der Stadt verband. »Bei Gott!« rief Athos, »es verlohnte sich wohl der Mühe, unsere Mahlzeit zu unterbrechen wegen zwanzig solcher mit Hauen, Beilen und Schaufeln bewaffneter Schufte! Grimaud hätte ihnen nur ein Zeichen machen dürfen, daß sie gehen, und ich bin versichert, sie hätten uns in Ruhe gelassen.« »Daran zweifle ich,« versetzte d'Artagnan, »denn sie rücken sehr entschlossen heran.« Bei diesen Arbeitern waren vier Soldaten und ein Brigadier mit Waffen ausgerüstet. »Sie haben uns nicht bemerkt,« sagte Athos. »Meiner Treu!« rief Aramis, »es tut mir weh, auf diese armen Teufel von Bürgersleuten zu schießen.« »Das ist schlecht,« entgegnete Porthos, »wenn man Ketzer bemitleidet.« »Wahrlich,« sprach Athos, »Aramis hat recht, ich will sie warnen.« »Was Teufel tut Ihr denn?« fragte d'Artagnan, »Ihr wollt Euch ja niederschießen lassen, mein Lieber.« Doch Athos achtete nicht darauf, stieg auf die Bresche, sein Gewehr in der einen, den Hut in der andern Hand, wandte sich höflich grüßend gegen die Soldaten und Arbeiter, die verwundert über diese Erscheinung etwa fünfzig Schritte vor der Bastei anhielten, und rief ihnen zu: »Meine Herren, ich und einige Freunde sitzen hier in der Bastei beim Frühmahl. Ihr wisset recht wohl, wie unangenehm es ist, wenn man beim Frühstück gestört wird. Wir bitten Euch also, wenn Ihr da unerläßliche Geschäfte habt, entweder zu warten, bis unsere Mahlzeit vorüber ist oder später wiederzukommen, wenn Ihr, was das Ersprießlichste wäre, keine Lust habt, die Partei der Aufrührer zu verlassen, und mit uns hier zu trinken auf die Gesundheit des Königs von Frankreich.« »Sei auf der Hut, Athos,« sprach d'Artagnan, »siehst du nicht, daß sie auf dich anschlagen?« »Ja, ja,« versetzte Athos; »doch sind es Bürger, die sehr schlecht schießen und nicht darauf achten, ob sie mich treffen.« Wirklich knallten fast in demselben Augenblick vier Schüsse, und die Kugeln sausten rings um Athos, ohne daß ihn eine einzige traf. Vier Schüsse antworteten ihnen fast in derselben Sekunde, doch hatten unsere Freunde besser gezielt als die Angreifenden; drei Soldaten fielen tot nieder, und ein Arbeiter war verwundet. »Eine andere Büchse, Grimaud!« rief Athos, der noch immer auf der Bresche stand. Grimaud gehorchte unverweilt. Die drei Freunde hatten ihre Gewehre selber geladen; der Brigadier und zwei Pioniere fielen tot nieder, der Rest der Truppen entfloh. »Auf, meine Herren, einen Ausfall!« rief Athos. Die vier Freunde stürzten aus dem Fort hervor, kamen bis zum Kampfplatz, rafften die vier Musketen der Soldaten und die Halbpicke des Brigadiers auf, und in der Überzeugung, daß die Fliehenden erst bei der Stadt anhalten würden, kehrten sie mit ihren Siegestrophäen in die Bastei zurück. »Grimaud, lade abermals die Gewehre,« rief Athos, »und wir, meine Herren, kehren zu unserm Festmahl zurück, und setzen unser Gespräch fort. Wo sind wir dabei geblieben?« »Ich erinnere mich,« versetzte d'Artagnan, »du sagtest, daß Mylady Frankreich verließ, nachdem sie vom Kardinal meinen Kopf verlangt hatte. Und wohin geht sie denn?« fügte d'Artagnan hinzu, der sich mit dem Reiseplan der Mylady sehr zu beschäftigen schien. »Sie segelt nach England,« erwiderte Athos. »Zu welchem Ende?« »Um dort Buckingham umzubringen, oder umbringen zu lassen.« D'Artagnan stieß einen Schrei der Überraschung und Entrüstung aus und sagte: »Das ist doch schändlich!« »Glaubt mir,« antwortete Athos, »was das anbelangt, so bin ich wenig beunruhigt. – Da du jetzt fertig bist, Grimaud,« fuhr Athos fort, »so nimm die Halbpicke unseres Brigadiers, knüpfe daran eine Serviette und pflanze sie auf der Bastei auf, damit diese aufrührerischen Rocheller sehen mögen, daß sie es mit wackeren und echten Soldaten zu tun haben. Ich war,« sprach er dann weiter, »wie du wohl begreifen kannst, d'Artagnan, am meisten darauf bedacht, der Mylady eine Art Unterfertigung abzunehmen, die sie dem Kardinal abgedrungen hatte, und mittels welcher sie sich ungestraft deiner und vielleicht unser aller hätte entledigen können.« »Diese Kreatur ist denn doch ein leibhaftiger Teufel!« rief Porthos. »Und diese Schrift«, fragte d'Artagnan, »blieb in ihren Händen?« »Nein, sie ging über in die meinigen,erwiderte Athos; »ich kann aber nicht sagen, daß das so ohne alle Anstrengung geschah.« »Lieber Athos,« rief d'Artagnan, »ich kann es nicht mehr zählen, wie oft Ihr mir schon das Leben erhalten habt.« »Du hast uns also verlassen, um zu ihr zurückzukehren?« fragte Aramis. »Ja.« »Und du bist im Besitz der Schrift des Kardinals?« fragte d'Artagnan. »Hier ist sie,« entgegnete Athos. Er nahm das kostbare Papier aus der Tasche. D'Artagnan entfaltete es unter einem Zittern, das er nicht zu bergen vermochte und las: »Der Träger dieses hat auf meinen Befehl und zur Wohlfahrt des Staates gehandelt. Den 3. August 1628. Richelieu.« »Wahrlich,« rief Aramis, »das ist eine Lossprechung nach allen Regeln.« »Man muß dieses Papier vertilgen,« sagte d'Artagnan, dem es vorkam, als läse er darin sein Todesurteil. »Das muß man im Gegenteil sorgsam aufbewahren,« erwiderte Athos; »ich gäbe dieses Papier nicht her, und wenn man es mir mit Goldstücken überdecken wollte.« »Und was mag sie jetzt wohl tun?« fragte der junge Mann. »Nun,« versetzte Athos gleichgültig, »sie wird dem Kardinal wahrscheinlich schreiben, daß ihr ein verdammter Musketier namens Athos gewaltsam ihren Geleitbrief weggenommen habe. Auch wird sie ihm darin den Rat erteilen, daß er sich zugleich seiner und seiner zwei Freunde Porthos und Aramis entledigen wolle. Der Kardinal wird sich erinnern, daß es dieselben Männer seien, denen er jederzeit auf seinen Wegen begegnet ist. Sofort wird er an einem hübschen Morgen d'Artagnan einziehen lassen, und damit er sich nicht ganz allein zu sehr langweile, wird er auch uns in die Bastille schicken, um ihm Gesellschaft zu leisten.« »He da, mein Lieber,« sagte Porthos, »es scheint, daß du da traurige Spaße machst.« »Ich scherze nicht,« versetzte Athos. »Weißt du,« sprach Porthos, »daß es keine so schwere Sünde wäre, dieser verdammten Mylady den Hals umzudrehen, als dasselbe den armen Teufeln von Hugenotten zu tun, die keine andere Sünde begangen haben, als daß sie die Psalmen französisch singen statt, wie wir, lateinisch?« »Was spricht Aramis dazu?« fragte Athos gelassen. »Ich sage,« antwortete Aramis, »daß ich die Ansicht von Porthos teile.« »Ich gleichfalls,« bemerkte d'Artagnan. »Glücklicherweise ist sie von hier fern,« sagte Porthos, »denn ich gestehe, daß sie mich hier beengen würde.« »Sie beengt mich ebensowohl in England wie in Frankreich,« sprach Athos. »Sie beengt mich überall,« fügte d'Artagnan hinzu. »Da du sie aber in deinen Händen hattest,« rief Porthos, »warum hast du sie nicht ertränkt, erwürgt, aufgehenkt? – Nur die Toten kommen nicht mehr.« »Mir kommt ein Gedanke,« sprach d'Artagnan. »Sprecht,« riefen die Musketiere. »Zu den Waffen!« schrie Grimaud. Die jungen Männer rafften sich schnell auf, und eilten zu ihren Gewehren.

Es marschierte ein kleiner Heerhaufe heran, der aus zwanzig bis fünfundzwanzig Mann bestand; doch waren es nicht mehr Arbeiter, sondern Soldaten der Besatzung. »Wollen wir doch ins Lager zurückkehren,« rief Porthos, »denn mir scheint, die Kräfte sind ungleich.« »Das ist aus drei Gründen unmöglich,« erwiderte Athos; »fürs erste haben wir unser Frühstück noch nicht ganz verzehrt, fürs zweite haben wir uns noch wichtige Dinge mitzuteilen, und fürs dritte fehlen noch zehn Minuten, bis die Stunde voll ist.« »Wohlan,« sagte Aramis, »wir müssen aber einen Schlachtplan entwerfen.« »Die Sache ist ganz einfach,« entgegnete Athos, »wir geben Feuer, wie der Feind in die Schußweite vorrückt. Dringt er noch weiter vor, so feuern, wir abermals und schießen fort, so lang wir geladene Büchsen haben; will dann der Überrest jener Truppen Sturm laufen, so lassen wir die Belagerer bis zum Graben herankommen, und werfen ihnen dann einen Flügel von dieser Mauer, die nur durch ein Wunder im Gleichgewicht steht, über die Köpfe.« »Bravo,« rief Porthos. »Du bist ausgemacht zum General geboren, Athos, und der Kardinal, der sich für einen großen Krieger hält, darf sich mit dir nicht vergleichen.« »Meine Herren,« sprach Athos, »ich bitte, teilt Euch nicht zu zweien, jeder nehme seinen Mann auf sich.« »Ich habe den meinigen,« rief d'Artagnan. »Und ich den meinigen,« sagte Porthos. »Ich gleichfalls,« versetzte Aramis. »Gebt Feuer!« rief Athos. Die vier Schüsse waren nur ein Knall, und vier Soldaten stürzten nieder. Sogleich schlug der Tambour, und die kleine Truppe lief Sturm. Darauf fielen die Schüsse regelmäßig hintereinander, und waren aufs genaueste gezielt, allein die Rocheller rückten stets im Sturmschritt vor, als kennten sie die numerische Schwäche des Feindes. Auf drei Schüsse fielen immer zwei Mann, und dennoch wurde der Schritt der Übrigbleibenden nicht langsamer. Als die Feinde am Fuße der Bastei ankamen, zählten sie nur noch zwölf bis fünfzehn Mann. Sie bestanden ein letztes Feuer, ließen sich aber nicht aufhalten. Sie sprangen in den Graben, um auf die Bresche zu klettern.

»Auf, Freunde!« rief Athos, »führen wir den letzten Schlag. Zur Mauer! Zur Mauer!« Die vier Freunde nebst Grimaud stemmten sich mit den Gewehrläufen an einen großen Mauerflügel, der sich überneigte, als ob ihn der Sturmwind erfaßte, von seiner Grundlage losließ und mit furchtbarem Getöse in den Graben stürzte. Sofort hörte man ein entsetzliches Geschrei, eine Staubwolke wogte zum Himmel empor, und alles war vorüber. »Haben wir sie wirklich vom ersten bis zum letzten zermalmt?« rief Athos. »Meiner Treu, so scheint es,« entgegnete d'Artagnan. »Nein,« sagte Porthos, »seht, dort suchen sich noch zwei oder drei hinkend fortzuschleppen.« In der Tat entflohen drei oder vier von den Unglücklichen, mit Kot und Blut bedeckt, in den Hohlweg, und gelangten in die Stadt. Das war alles, was von dem kleinen Haufen übrigblieb. Athos sah auf seine Uhr und sagte: »Meine Herren, jetzt sind wir eine Stunde hier, und haben unsere Wette gewonnen, aber wir mußten wacker spielen; übrigens hat uns d'Artagnan noch nicht seinen Gedanken mitgeteilt.« Nach diesen Worten setzte sich der Musketier mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit zu den Überresten des Frühmahls. »Ihr wollet meinen Plan wissen,« sagte d'Artagnan zu seinen drei Freunden, als sie nach der Niederlage der kleinen Truppe Rocheller wieder beim Schmause saßen. »Ja,« versetzte Athos, »Ihr sagtet, daß Euch ein Gedanke gekommen sei.« »Richtig, er fällt mir wieder ein,« sagte d'Artagnan. »Ich reise abermals nach England, suche Herrn von Buckingham auf und sage ihm von dem Komplott, das gegen ihn geschmiedet wird.« »Ihr werdet das nicht tun, d'Artagnan,« sprach Athos kalt. »Warum nicht? Habe ich es nicht schon einmal getan?« »Jawohl, doch damals lagen wir nicht im Krieg, und Herr von Buckingham war noch ein Verbündeter von uns, und nicht ein Feind. Was Ihr da tun wollet, würde Euch als Verrat angerechnet.« D'Artagnan begriff das Gewicht dieses Urteils und schwieg. »Mir scheint aber,« sagte Porthos, »daß ich gleichfalls einen Gedanken habe. Ich nehme einen Urlaub von Herrn von Tréville unter irgend einem Vorwand, den Ihr finden werdet, da ich eben nicht stark bin in Vorwänden. Mylady kennt mich nicht. Ich nähere mich ihr, ohne daß sie mich fürchtet, und wenn ich meine Schöne antreffe, so will ich sie erwürgen.« »Ei,« sagte Athos, »ich bin nicht ganz abgeneigt, der Ansicht von Porthos beizustimmen.« »Pfui,« rief Aramis, »eine Frau umbringen! Hört, ich habe den wahren Gedanken.« »So sprich, Aramis,« versetzte Athos, der für den jungen Musketier große Achtung hatte. »Man müßte der Königin davon Nachricht geben.« »Ah, meiner Treu, ja,« riefen zu gleicher Zeit Porthos und d'Artagnan; »ich glaube, wir haben das rechte Mittel.« »Der Königin Nachricht geben?« fragte Athos, »und wie das? Haben wir denn Verbindungen bei Hofe? Können wir jemanden nach Paris schicken, ohne daß man es im Lager erfährt? Von hier nach Paris sind hundertvierzig Meilen, unser Brief wäre noch nicht in Angers, und wir säßen schon im Kerker.« »Was das betrifft, Ihrer Majestät mit Sicherheit einen Brief zu übermitteln,« sprach Aramis errötend, »so nehme ich es auf mich, da ich in Tours eine geschickte Person kenne . . .«

Aramis hielt inne, als er sah, daß Athos lächelte. »Nun, Athos. seht Ihr das nicht ein?« fragte d'Artagnan. »Ich bin nicht gänzlich dagegen,« erwiderte Athos, »ich wollte aber Aramis nur bemerken, daß er das Lager nicht verlassen kann; daß keiner von uns sicher ist. daß zwei Stunden nach Abgang des Boten alle Euren Brief auswendig wissen, und daß man Euch und Eure geschickte Person ins Gefängnis setzen wird.« »Abgesehen davon,« sagte Porthos, »daß die Königin wohl Herrn von Buckingham, aber nicht auch uns retten wird.« »Meine Herren,« sprach d'Artagnan, »was Porthos einwendet, ist ganz vernünftig.« »Ha, ha, was geht denn in der Stadt vor?« rief Athos. »Man schlägt den Generalmarsch.« Die vier Freunde horchten, der Trommelschlag drang wirklich bis zu ihnen. »Ihr werdet sehen,« sprach Athos, »man wird ein ganzes Regiment schicken.« »Ihr hofft doch nicht,« sagte Porthos, »einem ganzen Regiment Trotz bieten zu können?« »Warum nicht?« antwortete der Musketier. »Ich fühle mich jetzt im Zug, und könnte einer ganzen Armee Trotz bieten, hätten wir nur aus Vorsicht ein Dutzend Flaschen mehr mitgenommen.« »Auf Ehre, die Trommeln rücken näher,« sagte d'Artagnan. »Laßt sie nur näher kommen,« versetzte Athos. »Es ist eine Viertelstunde Wegs von hier nach der Stadt, und somit auch von der Stadt bis hierher. Das ist mehr Zeit, als wir benötigen, um unsern Plan zu entwerfen. Wenn wir uns von da entfernen, finden wir keinen so passenden Platz mehr. Und halt, gerade jetzt fällt mir der rechte Gedanke ein.« »Nun, so sprecht.« »Erlaubt nur, daß ich Grimaud einige unerläßliche Aufträge gebe.« Athos gab seinem Diener einen Wink herbeizukommen. »Grimaud,« sprach er und zeigte auf die Toten, die in der Bastei lagen. »Du nimmst diese Herren, stellst sie an die Mauer, setzest ihnen ihre Hüte auf den Kopf, und gibst ihnen ihre Büchsen in die Hand. »O, vortrefflicher Mann,« rief d'Artagnan, »ich verstehe dich.« »Ihr versteht ihn?« fragte Porthos. »Und du. Grimaud, hast du mich begriffen?« sagte Athos. Grimaud bejahte mit einem Kopfnicken. »Mehr ist nicht vonnöten,« sprach Athos. »Kommen wir wieder zurück auf meinen Gedanken.« »Ich möchte doch aber begreifen,« versetzte Porthos. »Das ist nicht notwendig.« »Ja, ja, den Gedanken von Athos,« riefen zugleich Aramis und d'Artagnan. »Wie Ihr mir gesagt habt, d'Artagnan, glaube ich, so hat diese Mylady, diese Frau, diese Kreatur, dieser Satan einen Schwager?« »Ja, ich kenne ihn recht wohl, und bin überzeugt, er hat keine große Sympathie für seine Schwägerin.« »Das ist nicht übel,« erwiderte Athos, »und es wäre noch viel besser, wenn er sie hassen und verabscheuen möchte.« »Für diesen Fall geht uns die Sache nach Wunsch.« »Ich möchte indeß doch wissen, was Grimaud tut,« sagte Porthos. »Stille, Porthos!« rief Aramis. »Wie heißt denn dieser Schwager?« »Lord Winter.« »Und wo lebt er gegenwärtig?« »Er kehrte bei dem ersten Kriegslärm nach London zurück.« »O, das ist gerade der Mann, dessen wir bedürfen,« sprach Athos. »Er ist es, dem wir mitteilen, was da vorgeht. Wir entdecken ihm, seine Schwägerin führte im Schilde, jemanden umzubringen, und bitten ihn, daß er sie nicht aus den Augen lasse. Gewiß gibt es in London Anstalten nach Art der Madelonnetten oder Büßerinnen. Er läßt seine Schwägerin dahin bringen, und wir können unbesorgt sein.« »Ja,« versetzte d'Artagnan, »bis sie wieder herauskommt.« »Ha, meiner Treu, d'Artagnan! Ihr begehrt etwas zu viel,« sagte Athos; »ich gab alles, was ich hatte, und leugne es nicht, daß mein Sack völlig ausgeleert ist.« »Was mich betrifft, so halte ich's fürs Beste, zugleich der Königin und Lord Winter Nachricht zu geben.« »Jawohl, aber durch wen lassen wir den Brief nach Tours und den Brief nach London überbringen?« »Ich stehe Bürge für Bazin,« sagte Aramis. »Und ich für Planchet,« entgegnete d'Artagnan. »In Wahrheit,« sagte Porthos, »wenn wir das Lager nicht verlassen können, so können es doch unsere Bedienten.« »Ja,« versetzte Aramis, »wir schreiben die Briefe noch heute, geben ihnen Geld und lassen sie abreisen.«

»Wir geben ihnen Geld?« fragte Athos. »Ihr habt also Geld?« Die vier Freunde blickten sich an, und über ihre Stirn schwebte eine dunkle Wolke. »Frisch auf,« rief d'Artagnan, »ich sehe schwarze und rote Punkte, die sich da unten bewegen. Was sprecht Ihr denn von einem Regiment, Athos; es ist ja eine wirkliche Armee.« »Meiner Treu! da rücken sie heran,« sagte Athos. »Seht nur, die Duckmäuser kommen ohne Trommeln und Trompeten. Bist du fertig, Grimaud?« Grimaud bejahte durch ein Kopfnicken und zeigte auf ein Dutzend Tote, die er in pittoresker Stellung aufgerichtet hatte; die einen schulterten das Gewehr, die andern legten gerade an, und wieder andere hielten die Säbel in der Hand. »Bravo,« rief Athos, »das macht deinem Geschmack Ehre.« »Gleichviel,« sagte Porthos, »ich möchte nur begreifen können.« »Laßt uns erst fortgehen,« sagte d'Artagnan, »dann werdet Ihr schon begreifen.« »Einen Augenblick, meine Herren! einen Augenblick, lassen wir nur Grimaud noch Zeit, daß er aufräume.« »Ha, seht nur,« rief Aramis, »die schwarzen und die roten Punkte vergrößern sich sichtlich, und ich pflichte d'Artagnans Ansicht bei; ich denke, wir hätten keine Zeit zu verlieren, um noch ins Lager zurückzukommen.« »Meiner Treu!« sagte Athos, »ich wende nichts ein gegen den Rückzug.« Grimaud war mit dem Korb und Nachtisch schon vorausgegangen. Die Freunde folgten hinter ihm her und machten etwa zehn Schritte, als Athos rief: »Zum Teufel! meine Herren, was tun wir denn?« »Hast du noch etwas vergessen?« fragte Aramis. »Donnerwetter, die Fahne! Man soll in des Feindes Hand keine Fahne lassen, wäre es auch nur eine Serviette.«

Athos stürzte in die Bastei, kletterte auf die Höhe und riß die Fahne herab. Als aber die Rocheller bis zur Schußweite herangerückt waren, eröffneten sie ein schreckliches Feuer auf diesen Mann, der sich den Kugeln gleichsam zu seinem Vergnügen aussetzte. Es war aber, als ob Athos einen Talisman bei sich trüge; denn die Kugeln pfiffen an ihm vorbei, ohne daß ihn eine einzige traf. Athos schwang seine Fahne, während er den Leuten von der Stadt den Rücken zuwandte und die im Lager begrüßte; von der einen Seite ertönte Geschrei der Wut und von der andern Jubel des Enthusiasmus. Auf die erste Ladung erfolgte eine zweite, drei Kugeln durchlöcherten die Serviette, und machten sie wirklich zu einer Fahne. Man vernahm von dem ganzen Lager das Geschrei: »Herab, herab!« Athos sprang herab; seine Freunde, die schon ängstlich seiner warteten, sahen ihn zu ihrer größten Freude wieder zum Vorschein kommen. »Schnell, Athos, schnell,« rief d'Artagnan, »rasch von hinnen; jetzt, wo wir alles gefunden haben, bis auf das Geld, wäre es töricht, sich totschießen zu lassen.« Doch Athos schritt fortwährend majestätisch einher, und als seine Freunde sahen, daß jede Bemerkung vergeblich war, so richteten sie ihren Gang nach dem seinigen ein. Grimaud und sein Korb waren bereits voraus und schon außerhalb der Schußweite. Gleich darauf hörte man ein furchtbares Gewehrfeuer knallen. »Was ist das?« fragte Porthos, »und auf wen schießen sie? Ich höre keine Kugeln mehr sausen und sehe niemand.« »Sie schießen auf unsere Toten,« entgegnete Athos. »Doch unsere Toten werden nicht antworten.« »Allerdings, dann fürchten sie einen Hinterhalt, und beratschlagen, sie schicken einen Parlamentär ab, und wenn sie den Spaß merken, sind wir schon außer dem Bereich der Kugeln. Es ist daher unnötig, daß wir uns durch zu große Eilfertigkeit ein Seitenstechen zuziehen.« »O, jetzt begreife ich,« sagte Porthos verwundert. »Das ist ein Glück,« versetzte Athos, die Achseln zuckend. Als die Franzosen ihre vier Freunde zurückkehren sahen, erhoben sie ein Jubelgeschrei.

Endlich ließ sich ein neues Musketenfeuer vernehmen, die Kugeln prallten jetzt rings um die vier Freunde an die Kieselsteine, und sausten bedrohlich an ihre Ohren. Die Rocheller bemächtigten sich der Bastei. »Diese Leute sind doch recht ungeschickt,« sprach Athos. »Wie viele haben wir niedergemacht?« »Zwölf oder fünfzehn.« »Wie viele haben wir mit der Mauer zermalmt?« »Acht oder zehn.« »Gegen alles das nicht einmal eine Schramme; doch halt, was habt Ihr an der Hand, d'Artagnan? Blut, wie mir dünkt.« »Es ist nichts,« erwiderte d'Artagnan. »Eine verirrte Kugel?« »Selbst nicht das.« »Was also?« Wir sagten es schon einmal, Athos liebte d'Artagnan wie sein eigenes Kind, und dieser düstere, unbeugsame Charakter hegte bisweilen für den jungen Mann eine väterliche Fürsorge. »Es ist eine Verletzung der Haut,« entgegnete d'Artagnan; »mein Finger wurde zwischen zwei Steine geklemmt, zwischen den der Mauer und den meines Ringes und das hat die Haut geritzt.« »Das hat man davon, wenn man Diamanten trägt,« sagte Athos verächtlich, »Ha doch,« rief Porthos, »er hat einen Diamant? Was Teufel klagen wir über Mangel an Geld, da er einen Diamant hat?« »Ja, es ist wahr,« versetzte Aramis. »Ganz wohl, Porthos, diesmal habt Ihr meinen Gedanken.« »Allerdings,« erwiderte Porthos, der sich bei Athos' Kompliment aufblähte, »da er einen Diamant hat, so wollen wir ihn verkaufen.« »Es ist aber der Diamant der Königin,« entgegnete d'Artagnan. »Das ist noch ein Grund mehr,« antwortete Athos. »Die Königin rettet Herrn Buckingham, nichts ist billiger als das; die Königin rettet uns, ihre Freunde, und nichts ist moralischer als das. Wir verkaufen den Diamant. Was hält Herr Aramis von der Sache? Ich frage auch nicht Porthos, da er seine Ansicht schon kundgegeben hat.« »Ich bin der Meinung,« versetzte Aramis errötend, »daß d'Artagnan seinen Ring verkaufen kann, da er nicht von einer Geliebten kommt, und somit kein Liebespfand ist.« »Mein Lieber, sprecht; Euer Rat ist also?« »Den Diamant zu verkaufen,« antwortete Aramis. »Gut,« sagte d'Artagnan heiter; »verkaufen wir den Diamant, und reden wir nichts weiter davon.«

»Nun?« fragte der Kardinal, als er La Houdinière zurückkehren sah. »Monseigneur,« antwortete dieser, »drei Musketiere und ein Garde haben mit einem Herrn von Busigny gewettet, in der Bastei Saint-Gervais zu frühstücken; sie hielten sich zwei Stunden lang gegen den Feind, und erlegten, ich weiß gar nicht wie viele Rocheller.« »Habt Ihr Euch nach den Namen der drei Musketiere erkundigt?« »Ja, Monseigneur.« »Wie heißen sie?« »Es sind die Herren Athos, Porthos und Aramis.« »Immer meine drei Wackern!« murmelte der Kardinal; »und der Garde ist . . .?« »Herr d'Artagnan.« »Immer mein junger Brausekopf; diese vier Männer müssen entschieden mir zugehören.« Am Abend desselben Tages beredete sich der Kardinal mit Herrn von Tréville über den Vorfall vom Morgen, der das Gespräch des ganzen Lagers bildete. Herr von Tréville, der sich denselben von denjenigen erzählen ließ, die dabei selbst die Helden waren, teilte ihn Seiner Eminenz mit allen Umständen mit und vergaß dabei nicht den Zwischenfall mit der Serviette. »Gut, Herr von Tréville,« sprach der Kardinal, »ich bitte Sie, mir diese Serviette zu verschaffen, ich lasse drei goldene Lilien darauf sticken, und gebe sie Ihrer Kompagnie als Standarte.« »Monseigneur,« versetzte Herr von Tréville, »damit geschähe den Garden ein Unrecht, denn Herr d'Artagnan gehört nicht mir, sondern Herrn des Essarts.« »Gut, so nehmen Sie ihn zu sich,« sagte der Kardinal, »es ist nicht mehr als billig, daß die wackeren Krieger, die sich so warm lieben, in derselben Kompagnie dienen.«

An demselben Abend überbrachte Herr von Tréville den drei Musketieren und d'Artagnan die frohe Botschaft, und lud alle vier zum Frühmahl für den folgenden Tag ein. D'Artagnan war voll des Entzückens; Musketier zu sein war ja, wie wir wissen, der Traum seines Lebens. Auch die drei Freunde waren voll Freude. »Meiner Treu!« sprach d'Artagnan zu Athos, »du hattest einen herrlichen Gedanken, wir erwarben uns Ruhm, wie du uns voraussagtest, und konnten ein höchst wichtiges Gespräch führen.« »Das wird jetzt nach unserm Belieben fortsetzen können, denn wir werden von jetzt an mit Gottes Hilfe als Kardinalisten gelten.« An diesem Abend machte d'Artagnan Herrn des Essarts seine Aufwartung, um ihm seine Beförderung mitzuteilen. Herr des Essarts, der d'Artagnan sehr gewogen war, bot ihm seine dienstfertige Hand an, denn diese Übersiedlung war in bezug auf die Equipierung mit großen Kosten verknüpft. D'Artagnan lehnte das Anerbieten ab, wollte jedoch die gute Gelegenheit nutzen, und ersuchte ihn, daß er den Diamant schätzen lasse, den er ihm übergab und zu veräußern wünschte. Am folgenden Tag um acht Uhr in der Früh kam der Bediente von des Essarts zu d'Artagnan, und überbrachte ihm einen Sack voll Gold im Werte von siebentausend Franks. Das war der Preis für den Diamant der Königin.


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