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D'Artagnan verfügte sich unmittelbar zu Herrn von Tréville. Er hatte bedacht, der Kardinal würde in wenig Minuten durch diesen verwünschten Unbekannten, der sein Agent zu sein schien, in Kenntnis gesetzt werden, und urteilte ganz richtig, daß da kein Augenblick zu verlieren sei. Herr von Tréville war in seinem Salon mit seinem gewöhnlichen Hof von Edelleuten. D'Artagnan, den man als einen Hausfreund kannte, ging geradeswegs in sein Kabinett und ließ ihm melden, er erwarte ihn in einer wichtigen Angelegenheit. D'Artagnan war noch kaum fünf Minuten hier, als Herr von Tréville eintrat. »Sie ließen mich ersuchen, lieber Freund?« sprach Herr von Tréville. »Ja, mein Herr!« entgegnete d'Artagnan, »und Sie werden mir verzeihen, hoffe ich, daß ich Sie gestört habe, wenn Sie erfahren, wie wichtig die Angelegenheit ist, um die es sich handelt.« »Sprechen Sie, ich höre.« D'Artagnan sagte mit gedämpfter Stimme: »Es handelt sich um nichts Geringeres, als um die Ehre, vielleicht auch um das Leben der Königin.« »Was sagen Sie da?« rief Herr von Tréville und blickte rings umher, ob sie auch gewiß allein wären; dann richtete er seinen Blick wieder auf d'Artagnan. »Ich sage, mein Herr! daß ich zufällig ein Geheimnis erfuhr . . .« »Welches Sie wohl bewahren werden, junger Mann, bei Ihrem Leben!« »Das ich Ihnen aber anvertrauen muß, mein Herr! denn Sie allein können mir bei einer Sendung behilflich sein, die ich von Ihrer Majestät erhalten habe.« »Gehört das Geheimnis bloß Ihnen an?« »Nein, mein Herr, es ist das der Königin.« »Sind Sie von Ihrer Majestät berechtigt, es mir anzuvertrauen?« »Nein, mein Herr, im Gegenteil wurde mir das strengste Stillschweigen aufgetragen.« »Und warum wollen Sie es mir gegenüber verletzen?« »Weil ich, wie gesagt, ohne Sie nichts zu tun vermag, und weil ich fürchte, Sie könnten mir die Gnade verweigern, um die ich bitte, wenn Sie nicht wüßten, zu welchem Endzweck ich bitte.« »Behalten Sie Ihr Geheimnis, junger Mann, und sagen Sie mir, was Sie wünschen.« »Ich wünsche, Sie möchten mir bei Herrn des Essarts einen Urlaub von vierzehn Tagen erwirken.« »Wann das?« »Noch in dieser Nacht.« »Verlassen Sie Paris?« »Ich gehe in einem Auftrag.« »Dürfen Sie sagen, wohin?« »Nach London.« »Hat jemand ein Interesse dabei, wenn Sie nicht an Ihr Ziel gelangen?« »Der Kardinal gäbe alles in der Welt darum, glaube ich, wenn er mich daran verhindern könnte.« »Reisen Sie allein?« »Ich reise allein.« »In diesem Falle kommen Sie nicht über Bondy hinaus, das sage ich Ihnen, so wahr ich Tréville bin.« »Warum?« »Man wird Sie umbringen lassen.« »Dann sterbe ich in der Erfüllung meiner Pflicht.« »Doch Ihre Sendung ist nicht vollbracht.« »Das ist wahr,« entgegnete d'Artagnan. »Glauben Sie mir,« fuhr Tréville fort, »bei solchen Wagnissen sind vier vonnöten, wenn einer ankommen soll.« »Sie haben recht, mein Herr,« versetzte d'Artagnan, »allein Sie kennen Athos, Porthos und Aramis, und wissen, daß ich über sie verfügen kann.« »Ohne ihnen das Geheimnis anzuvertrauen, das ich nicht wissen wollte?« »Wir gelobten uns ein- für allemal blindes Zutrauen und Ergebenheit in jeder Probe; überdies können Sie ihnen sagen, daß Sie all Ihr Vertrauen in mich setzen, und sie werden nicht weniger gläubig sein als Sie.« »Ich kann bloß jedem von ihnen einen Urlaub von vierzehn Tagen schicken; Athos, der immer noch an seiner Wunde leidet, daß er die Bäder von Forges gebrauche; Porthos und Aramis, daß sie ihren Freund begleiten, den sie in einer so traurigen Lage nicht verlassen wollten. Die Übersendung des Urlaubs dient ihnen zum Beweis, daß ich sie zur Reise berechtige.« »Dank, mein Herr, Sie sind hundertfach gütig.« »Gehen Sie also auf der Stelle zu ihnen uud bringen Sie in dieser Nacht alles zur Ausführung. Fürs erste aber schreiben Sie Ihr Urlaubsgesuch an Herrn des Essarts. Vielleicht war Ihnen ein Spion auf der Spur, und Ihr Besuch, um den der Kardinal bereits weiß, wird dadurch legitimiert.« D'Artagnan faßte diese Bittschrift ab; Herr von Tréville übernahm sie und versicherte ihm, daß die vier Urlaubsscheine noch vor zwei Uhr morgens in den Wohnungen der Reisenden sein werden. »Haben Sie die Güte,« sagte d'Artagnan, »den meinigen zu Athos zu senden. Ich fürchte eine schlimme Begegnung, wenn ich nach Hause zurückkehrte.« »Seien Sie ruhig. Gott befohlen und Glück zur Reise. Doch hören Sie,« rief Herr von Tréville zurückrufend. D'Artagnan kam wieder zurück. »Haben Sie Geld?« D'Artagnan ließ den Sack klingeln, den er in der Tasche trug. »Ist es genug?« fragte Herr von Tréville. »Dreihundert Pistolen.« »Gut, damit reist man bis ans Ende der Welt. Gehen Sie also.« D'Artagnan empfahl sich Herrn von Tréville, der ihm die Hand anbot, die der junge Mann mit Ehrfurcht und Dankbarkeit drückte.
Seinen ersten Gang machte er zu Aramis; er war seit jenem bewußten Abend, wo er Madame Bonacieux folgte, nicht mehr bei seinen Freunden gewesen. Ja, er hatte den jungen Musketier kaum gesehen, und so oft das geschah, glaubte er in seinem Antlitz eine tiefe Traurigkeit zu bemerken. Auch an diesem Abend war Aramis trübselig und träumerisch; d'Artagnan befragte ihn ob dieser fortwährenden Melancholie; Aramis entschuldigte sich mit einer Kommentierung des achtzehnten Hauptstückes des heiligen Augustin, das er für die kommende Woche lateinisch zu schreiben hätte, und das ihn sehr viel Anstrengung kosten würde. Kaum hatten sich die zwei Freunde ein Weilchen unterredet, als ein Diener des Herrn von Tréville eintrat und ein versiegeltes Paket brachte. »Was ist das?« fragte Aramis. »Der Urlaub, den der Herr verlangt hat,« sprach der Bote. »Ich? ich habe keinen Urlaub verlangt.« »Schweigt und nehmt,« sagte d'Artagnan. »Und Ihr, mein Freund! da habt Ihr eine halbe Pistole für Eure Mühe. Meldet Herrn von Tréville, daß sich Aramis herzlich bedanke. Geht.« Der Lakai verneigte sich bis zur Erde und entfernte sich. »Was hat das zu bedeuten?« fragte Aramis. »Nehmt, was Ihr zu einer Reise nach vierzehn Tagen benötigt und folgt mir.« »Ich kann aber Paris augenblicklich nicht verlassen, ohne zu wissen . . .« Aramis hielt inne. »Was aus ihr geworden ist – nicht wahr?« fuhr d'Artagnan fort. »Aus wem?« fragte Aramis. »Aus der Frau, die hier war, aus der Frau mit dem gestickten Sacktuch.« »Wer hat Euch gesagt, daß hier eine Frau war?« fragte Aramis und wurde blaß wie der Tod. »Ich habe sie gesehen.« »Und wißt Ihr, wer sie ist?« »Ich glaube es wenigstens zu vermuten.« »Hört,« sprach Aramis, »weil Ihr denn so vieles wisset, ist es Euch auch bekannt, was aus dieser Frau geworden ist?« »Ich bin der Meinung, daß sie nach Tours zurückkehrte.« »Nach Tours? ja, so ist's; Ihr kennt sie. Warum kehrte sie aber nach Tours zurück, ohne mir etwas zu sagen?« »Weil sie verhaftet zu werden fürchtete.« »Weshalb hat sie mir nicht geschrieben?« »Weil sie besorgt war, euch zu gefährden.« »Ja, so ist's, d'Artagnan; Ihr erweckt mich wieder zum Leben. Ich glaubte mich verachtet, verraten. Ich war so glücklich, sie wiederzusehen, und konnte es gar nicht glauben, sie würde für mich ihre Freiheit wagen, und doch, weshalb wäre sie nach Paris zurückgekehrt?« »Aus demselben Grunde, der uns heute nach England gehen heißt.« »Und was ist das für ein Grund?« fragte Aramis. »Das werdet Ihr einst schon erfahren, Aramis, für jetzt aber will ich die Zurückhaltung der Nichte des Doktors nachahmen.« Aramis lächelte, da er sich an das erinnerte, was er eines Abends seinen Freunden erzählte. »Da sie nun Paris wieder verlassen hat und Ihr das gewiß wisset, d'Artagnan, so hält mich hier nichts mehr zurück, ich bin Euch zu folgen bereit. Ihr sagt, wir gehen . . .« »Für den Augenblick zu Athos, und wenn Ihr mitkommen wollet, so bitte ich zu eilen, da wir schon viel Zeit verloren haben. Doch sagt es Bazin.« »Soll Bazin mit uns reisen?« fragte Aramis. »Vielleicht. Aber jedenfalls ist es gut, wenn er uns zu Athos folgt.« Aramis berief Bazin, und nachdem er ihm aufgetragen hatte, zu Athos nachzukommen, sprach er: »Gehen wir also.« Als sie fortgingen, legte Aramis seine Hand auf d'Artagnans Arm, blickte ihn fest an und sagte: »Ihr habt mit niemandem über jene Frau gesprochen?« »Mit keiner Seele in der Welt.« »Nicht einmal mit Athos und Porthos?« »Ich gab keinen Laut von mir.« »Das ist gut.« Aramis beruhigte sich über diesen wichtigen Punkt, setzte mit d'Artagnan den Weg fort und gelangte alsbald zu Athos.
Sie trafen ihn, wie er eben seinen Urlaub in der einen und den Brief des Herrn von Tréville in der andern Hand hielt. »Könnt Ihr mir erklären, was dieser Urlaub und dieser Brief, die ich eben empfing, zu bedeuten haben?« fragte Athos erstaunt. »Mein lieber Athos! Ich will, da es Ihre Gesundheit durchaus erfordert, daß Sie vierzehn Tage lang ausruhen. Gebrauchen Sie also die Bäder von Forges oder irgend ein anderes, das Ihnen zusagt, und suchen Sie, sich bald wiederherzustellen. Ihr wohlgeneigter Tréville.« »Nun, Athos! dieser Urlaub und dieser Brief bedeuten, daß Ihr mit mir reisen sollt.« »In die Bäder von Forges?« »Dorthin oder anders wohin.« »Für den Dienst des Königs?« »Des Königs oder der Königin; sind wir nicht Diener Ihrer Majestäten?« In diesem Moment trat Porthos ein. »Beim Himmel!« rief er, »das ist eine sonderbare Geschichte; seit wann wird bei den Musketieren ein Urlaub bewilligt, wenn sie ihn nicht ansuchen?« »Seit es Freunde gibt, die ihn für sie erbitten,« entgegnete d'Artagnan. »Ah, ah!« versetzte Porthos, »ist da etwas Neues im Spiel?« »Ja, wir reisen ab,« sagte Aramis. »In welches Land?« fragte Porthos. »Bei meiner Treu, das weiß ich selbst nicht,« erwiderte Athos, »befrag' d'Artagnan darüber.« »Nach London, meine Herren,« sagte d'Artagnan. »Nach London!« rief Porthos; »was haben wir denn in London zu tun?« »Das kann ich Euch nicht sagen, meine Herren, Ihr müßt mir vertrauen.« »Um aber nach London zu reisen,« fügte Porthos hinzu, »ist Geld vonnöten, und das habe ich nicht.« »Ich auch nicht,« sagte Aramis. »Ich ebenfalls nicht,« versetzte Athos. »Aber ich habe es, sprach d'Artagnan, nahm seinen Schatz aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch. »In diesem Sack sind dreihundert Pistolen. Jeder von uns nimmt davon fünfundsiebzig, das reicht aus, um nach London und von dort wieder zurückzureisen. Überdies seid ruhig, wir werden nicht alle bis London kommen.« »Warum das?« »Weil aller Wahrscheinlichkeit zufolge einige von uns auf dem Wege bleiben werden.« »Ist es also gefährlich, was wir unternehmen?« »Und zwar sehr gefährlich, das kann ich Euch sagen.« »Hm, da wir Gefahr laufen, getötet zu werden,« sagte Porthos, »so möchte ich wenigstens wissen, warum?« »Da wirst du es weit bringen,« sagte Athos. »Indes teilte ich die Ansicht des Porthos,« versetzte Aramis. »Pflegt Euch denn der König Rechenschaft abzulegen? Nein, er sagt Euch bloß: ›Meine Herren! In der Gascogne oder in Flandern gibt es zu kämpfen, geht und kämpft!‹ – Ihr geht dahin. Warum? das kümmert Euch nicht.« »D'Artagnan hat recht,« sprach Athos. »Da sind unsere drei Urlaubscheine, die von Herrn von Tréville kommen, und hier dreihundert Pistolen, die Gott weiß woher kommen. Lassen wir uns also töten, wo man uns sagt, daß wir hingehen sollen. Wann reisen wir also ab?« fragte Athos. »Auf der Stelle,« antwortete d'Artagnan; »es ist keine Minute zu verlieren.« »Jetzt entwerfen wir unsern Feldzugsplan,« sagte Porthos. »Wohin wollen wir fürs erste gehen?« »Nach Calais,« erwiderte d'Artagnan. »Das ist die geradeste Linie, um nach London zu kommen.« »Nun,« versetzte Porthos, »vernehmt meine Meinung.« »Sprich.« »Vier Männer, die mitsammen reisen, würden sich verdächtig machen; d'Artagnan wird jedem von uns seine Weisungen geben. Ich reise voraus nach Boulogne, um den Weg lichter zu machen; Athos reist zwei Stunden später ab auf der Straße nach Amiens; Aramis folgt uns auf jener von Royon; was d'Artagnan betrifft, so wähle er sich selbst seinen Weg, und nimmt die Kleider von Planchet, indes uns Planchet als d'Artagnan in der Gardeuniform folgt.« »Meine Herren,« sprach Athos, »nach meiner Ansicht sollte man Lakaien nicht in solche Angelegenheiten ziehen; ein Geheimnis kann von Edelleuten wohl zufällig verraten werden, doch verkauft wird es fast immer von Lakaien.« »Der Plan des Porthos kommt mir nicht ausführbar vor,« sagte d'Artagnan, »indem ich selbst nicht weiß, was für Weisungen ich Euch geben soll. Ich habe einen Brief zu überbringen, das ist alles. Ich kann und darf nicht drei Abschriften von dem Briefe machen, da er versiegelt ist; wir müssen somit, glaube ich, miteinander reisen. Diesen Brief trage ich hier in der Tasche. (Er deutete auf die Tasche, worin sich der Brief befand.) Wenn man mich umbringt, so nehme ihn einer von Euch, und Ihr setzet die Reise fort; wird auch dieser umgebracht, so trifft die Reihe einen andern, und so fort; es ist genug, wenn nur einer ans Ziel kommt.« »Bravo, d'Artagnan! ich teile deine Ansicht,« rief Athos, »Überdies muß man konsequent sein. Ich will die Bäder gebrauchen, Ihr begleitet mich; statt der Bäder in Forges will ich Seebäder nehmen; ich kann tun, was ich will. Man will uns verhaften; ich weise den Brief des Herrn von Tréville, und Ihr weiset Euren Urlaub vor; man greift uns an, wir setzen uns zur Wehr; man zieht uns vor Gericht, wir behaupten fest und starr, wir haben nichts anderes vor, als uns einigemal ins Meer zu tauchen; vier vereinzelte Männer wären bald aufgerieben, während vier verbundene eine Rotte bilden; wir bewaffnen die vier Lakaien mit Pistolen und Musketen; sendet man gegen uns eine Armee, wir liefern ihr eine Schlacht, und der Überlebende wird, wie d'Artagnan gesagt hat, den Brief an Ort und Stelle bringen.« »Gut gesprochen!« rief Aramis; »du sprichst nicht viel, Athos, doch was du sagst, hat Hände und Füße. Ich billige den Plan von Athos. Und – du, Porthos?« »Auch ich,« entgegnete Porthos, »wenn er d'Artagnan gefällt. Da d'Artagnan der Überbringer des Briefes ist, so ist er natürlich auch das Haupt des Unternehmens; er entscheide, und wir wollen ausführen.« »Gut,« sprach d'Artagnan, »ich stimme für den Plan des Athos, und wir brechen in einer halben Stunde auf.« »Angenommen!« riefen die drei Musketiere im Chore.