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In dem Hause der Rue du Helder bereitete sich am Morgen des 21. Mai alles vor, um dem Worte des jungen Mannes Ehre zu machen. Albert von Morcerf bewohnte einen Pavillon, der an der Ecke eines großen Hofes und einem andern für die Dienerschaft bestimmten Gebäude gegenüber lag. Nur zwei Fenster dieses Pavillons gingen auf die Straße, während drei nach dem Hof und zwei weitere rückwärts nach dem Garten schauten. Zwischen dem Hofe und dem Garten erhob sich die modische, geräumige Wohnung des Grafen und der Gräfin von Morcerf.
Aus der Wahl des zur Wohnung für Albert bestimmten Pavillons leuchtete die zarte Fürsorge einer Mutter, die sich von ihrem Sohne nicht trennen wollte, aber wohl einsah, daß ein junger Mann vom Alter des Vicomte seiner vollen Freiheit bedurfte. Zugleich ergab sich daraus auch der verständige Egoismus des jungen Mannes, dem es das freie, müßige Leben eines minderjährigen Sohnes angetan hatte, das man ihm vergoldete, wie dem Vogel seinen Bauer.
Durch die nach der Straße gehenden Fenster konnte Albert sich von den Vorgängen draußen unterrichten, und wenn er sich weiter orientieren wollte, durch eine kleine Tür gehen, die neben der Wohnung des Pförtners angebracht war. Es sah aus, als sei es ein seit Erbauung des Hauses vergessenes und zu fortwährender Vergessenheit verurteiltes Pförtchen, so bestaubt und bescheiden erschien es beim ersten Blick; aber bei näherer Betrachtung zeugten Schloß und Angeln, sorgfältig eingeölt, von einer geheimen beständigen Benutzung.
Am Ende eines weiten, stillen, als Vorzimmer dienenden Ganges öffneten sich rechts der nach dem Hofe gehende Speisesaal Alberts und links sein kleiner Salon, von dem man die Aussicht nach dem Garten hatte. Gesträuche und Schlingpflanzen breiteten sich fächerartig von den Fenstern aus und verbargen dem Hofe und dem Garten das Innere der zwei einzigen im Erdgeschosse liegenden Zimmer, in die unbescheidene Blicke hätten dringen können. Im ersten Stocke fanden sich die gleichen Zimmer, außerdem ein drittes, das als Vorzimmer diente. Diese drei Gelasse waren ein Salon, ein Schlafzimmer und ein Boudoir. Der untere Salon war nur eine Art algerischen Rauchzimmers. Das Boudoir des ersten Stockes ging in das Schlafzimmer und stand durch eine unsichtbare Tür mit der Treppe in Verbindung. Es waren, wie man sieht, alle Vorsichtsmaßregeln getroffen.
Über diesem ersten Stocke fand sich ein geräumiges Atelier, das man, Mauern und Scheidewände einreißend, vergrößert hatte . . . ein Pandämonium, das der Künstler dem Stutzer streitig machte. Dort sammelten sich alle Spuren der verschiedenen Neigungen Alberts: Waldhörner, Baßgeigen, Flöten, ein ganzes Orchester, denn Albert hatte einen Augenblick nicht Begabung, sondern Neigung zur Musik gehabt; sodann fanden sich dort Staffeleien, Paletten, Pastelle, auf die Neigung zur Musik war nämlich die Neigung zur Malerei gefolgt, ferner Rappiere, Boxhandschuhe und Stöcke aller Art, denn nach den Überlieferungen der jungen Modeherren der Zeit pflegte Albert mit unendlich mehr Ausdauer, als er dies bei der Musik und Malerei getan, jene drei Künste, welche die Erziehung des Salonlöwen vollenden, die Fechtkunst, das Boxen und die Handhabung des Stockes.
Im übrigen bestand die Ausstattung in alten Truhen aus der Zeit Franz I., die mit chinesischem Porzellan, japanischen Vasen, Fayencen von Lucca della Robbia und Platten von Bernard de Palissy gefüllt waren; in antiken Lehnstühlen, worin vielleicht Heinrich IV. oder Ludwig XIII. gesessen hatte, denn zwei von diesen Stühlen waren mit dem geschnitzten Lilienwappen geschmückt. Auf diesen Stühlen lagen durcheinander kostbare Stoffe aus Persien oder Indien. An dem am meisten in die Augen fallenden Platze stand ein prächtiges Piano. Überall, längs den Wänden, über den Türen, an der Decke sah man Schwerter, Dolche, Keulen, Äxte, ganz vergoldete Rüstungen; Kräuterbücher, Haufen von Mineralien, ausgestopfte Vögel u. s. w.
Es versteht sich von selbst, daß dieses Zimmer Alberts Lieblingszimmer war.
Am Tage des Wiedersehens hatte jedoch der junge Mann sein Hauptquartier in dem kleinen Salon im Erdgeschosse aufgeschlagen und alle Anordnungen zu einem würdigen Empfange seines Gastes getroffen.
Um drei Viertel auf zehn Uhr trat ein Kammerdiener ein. Er bildete für gewöhnlich mit einem kleinen Reitknecht, der nur englisch sprach und auf den Namen John antwortete, die ganze Dienerschaft Alberts. Der Kammerdiener, der Germain hieß und das vollkommene Vertrauen seines jungen Herrn genoß, hielt in der Hand einen Stoß Zeitungen, die er auf den Tisch legte, und ein Päckchen Briefe, das er Albert übergab.
Albert schaute mit zerstreutem Auge die verschiedenen Schreiben an, wählte zwei mit zarter Schrift und wohlriechenden Umschlägen, öffnete sie und las sie mit einiger Aufmerksamkeit.
Lassen Sie Frau Danglars sagen, wandte er sich dann an den Diener, ich nehme den Platz an, den sie mir in ihrer Loge anbietet . . . Warten Sie doch . . . im Verlaufe des Tages gehen Sie zu Rosa und melden ihr, ich werde ihrer Einladung zufolge nach der Oper bei ihr zu Nacht speisen; bringen Sie ihr sechs Flaschen ausgesuchten Wein, Cyprier, Xeres und einen Korb Ostender Austern . . .
Um welche Zeit soll gedeckt werden?
Servieren Sie um halb elf Uhr. Debray muß vielleicht in sein Ministerium gehen . . . Und überdies . . . es ist die Stunde, die ich dem Grafen angegeben habe, am 21. Mai um halb elf Uhr morgens; wenn ich auch nicht erwarte, daß er sein Versprechen hält, so will ich doch pünktlich sein. Wissen Sie nicht, ob die Frau Gräfin aufgestanden ist?
Wenn es der Herr Vicomte wünscht, werde ich mich erkundigen.
Ja . . . erbitten Sie sich von ihr einen Likörkasten, meiner ist unvollständig; sagen Sie ihr, ich werde um drei Uhr die Ehre haben, zu ihr zu kommen.
Der Kammerdiener ging ab. Albert warf sich auf einen Diwan, blätterte in ein paar Zeitungen, sah nach den Theatern, machte eine Grimasse, als er wahrnahm, daß man eine Oper und kein Ballett gab, warf ein Blatt nach dem andern beiseite und murmelte gähnend: Diese Zeitungen werden in der Tat immer erbärmlicher.
In diesem Augenblick hielt ein leichter Wagen vor der Tür, und eine Minute nachher kam der Kammerdiener zurück, um Herrn Lucien Debray zu melden. Ein großer, blonder, bleicher junger Mann, mit grauem, sicherem Auge, dünnen, kalten Lippen, mit weißer Kravatte und einem an einer seidenen Schnur hängenden Monokle trat, ohne zu lächeln, ohne zu sprechen und mit einer halboffiziellen Miene ein. Er war nämlich Privatsekretär des Ministers des Innern. Die beiden jungen Leute sprachen von allerlei Stadtklatsch, und Debray erzählte eben, ihr gemeinschaftlicher Bekannter, Baron von Danglars, habe in spanischen Papieren eine Million gewonnen, als der Kammerdiener eintrat und Herrn Beauchamp anmeldete.
Herein! Herein! Furchtbare Feder! rief Albert, aufstehend und dem jungen Manne entgegengehend, hier ist Debray, der Ihr Gegner ist, ohne Sie zu lesen . . . so sagt er wenigstens.
Er hat recht, erwiderte Beauchamp, es geht ihm wie mir, ich kritisiere ihn, ohne zu wissen, was er tut. Doch sage mir, lieber Albert: Frühstücken wir oder speisen wir zu Mittag? Die Deputiertenkammer nimmt mich in Anspruch. Es ist, wie Sie sehen, nicht alles rosa in unserm Berufe.
Wir frühstücken nur; wir erwarten noch zwei Personen und setzen uns zu Tische, sobald sie gekommen sind.
Ich werde also zum Nachtisch zurückkehren. Heben Sie mir Erdbeeren, Kaffee und Zigarren auf. Ich esse mein Kotelett in der Kammer.
Tun Sie das nicht, Beauchamp, denn wir frühstücken Punkt elf Uhr; mittlerweile machen Sie es wie Debray, kosten Sie meinen Xeres und meine Zwiebacke.
Gut, ich bleibe; ich muß mich heute unbedingt zerstreuen.
Sie machen's gerade wie Debray, doch mir scheint, wenn das Ministerium traurig ist, sollte die Opposition heiter sein.
Ah! sehen Sie, lieber Freund, sagte Debray, Sie wissen nicht, was mir droht. Ich werde heute in der Deputiertenkammer eine Rede von Herrn Danglars hören. Der Teufel hole die konstitutionelle Regierung!
Ich begreife, Sie bedürfen eines Vorrats an Heiterkeit.
Machen Sie Herrn Danglars' Reden nicht schlecht, sagte Albert zu Beauchamp, wenn er auch zur Opposition gehört. Erinnern Sie sich doch, daß die Pariser Chronik von einer Heirat zwischen mir und Fräulein Eugenie Danglars spricht. Ich kann Sie also nicht mit gutem Gewissen die Beredsamkeit eines Mannes anzweifeln lassen, der mir eines Tages sagen soll: Herr Vicomte, Sie wissen, daß ich meiner Tochter zwei Millionen mitgebe.
Still doch! sagte Beauchamp, diese Heirat wird nie stattfinden. Der König konnte ihn zum Grafen machen, er kann ihn zum Pair ernennen, aber er wird ihn nie zum Edelmann machen, und der Graf von Morcerf ist ein viel zu aristokratischer Degen, um gegen zwei armselige Millionen in eine Mesalliance zu willigen. Der Vicomte von Morcerf darf nur eine Marquise heiraten.
Lassen Sie ihn reden, Morcerf, versetzte Debray nachlässig, und heiraten Sie! Sie heiraten die Etikette eines gewissen Sacks, nicht wahr? Wohl, was liegt Ihnen daran? Es ist besser, ein Wappenschild weniger bei dieser Etikette und eine Null mehr; Sie haben sieben Amseln in Ihrem Wappen, Sie geben Ihrer Frau drei, und es bleiben Ihnen immer noch vier; das ist eine mehr, als Herr von Guise gehabt hat, der beinahe König von Frankreich geworden wäre, und dessen Vetter Kaiser von Deutschland war.
Meiner Treu, ich glaube, Sie haben recht, erwiderte Albert zerstreut.
Herr von Chateau-Renaud! Herr Maximilian Morel, sagte der Kammerdiener, zwei neue Gäste meldend.
Vollzählig also! rief Beauchamp, denn wenn ich mich nicht täusche, erwarteten Sie nur noch zwei Personen, Albert?
Morel! murmelte Albert erstaunt; Morel, wer ist das?
Doch ehe er vollendet hatte, nahm Herr von Chateau-Renaud, ein junger Mann von etwa dreißig Jahren, ein Edelmann vom Scheitel bis zur Zehe, Albert bei der Hand und sagte zu ihm: Erlauben Sie mir, mein Lieber, Ihnen den Spahi-Kapitän, Herrn Maximilian Morel, meinen Freund und meinen Retter, vorzustellen, obgleich ein solcher Mann wohl keiner Vorstellung bedarf. Begrüßen Sie meinen Helden, Vicomte.
Und er trat auf die Seite, um den großen, edeln, jungen Mann mit der breiten Stirne, mit dem durchdringenden Auge, mit dem schwarzen Schnurrbart vorzustellen, den unsere Leser bereits in Marseille unter so dramatischen Umständen kennen gelernt haben. Eine reiche, halb französische, halb orientalische, stolz getragene Uniform ließ seine breite, mit dem Kreuze der Ehrenlegion geschmückte Brust und die kühnen Linien seines Wuchses noch besser hervortreten.
Der junge Mann verbeugte sich mit anmutreicher Höflichkeit.
Mein Herr, sagte Albert mit zuvorkommender Freundlichkeit, Herr von Chateau-Renaud wußte zum voraus, welches Vergnügen er mir durch Ihre Bekanntschaft bereiten würde; Sie gehören zu seinen Freunden, lassen Sie sich auch zu den unsern zählen.
Sehr gut, rief Chateau-Renaud, Sie können nur wünschen, daß er eintretendenfalls für Sie tun möge, was er für mich getan hat.
Und was hat er denn getan? fragte Albert.
Oh! es ist nicht der Mühe wert, davon zu reden, sagte Morel; der Herr übertreibt.
Wie? entgegnete Chateau-Renaud, es ist nicht der Mühe wert, davon zu reden? Das Leben ist nicht wert, daß man davon spricht . . .? In der Tat, was Sie da sagen, ist zu philosophisch, mein lieber Herr Morel. Gut für Sie, der Sie Ihr Leben jeden Tag aufs Spiel setzen, aber nicht für mich, der es zufällig einmal in Gefahr brachte.
Aus Ihren Worten entnehme ich, daß Ihnen Kapitän Morel das Leben gerettet hat, unterbrach ihn Albert.
Ja, es ist so, erwiderte Chateau-Renaud.
Bei welcher Gelegenheit? fragte Beauchamp.
Sie wissen alle, daß mir der Gedanke kam, nach Afrika zu gehen.
Das ist ein Weg, den Ihnen Ihre Ahnen, die Kreuzfahrer, vorgezeichnet haben, mein lieber Chateau-Renaud, bemerkte Morcerf höflich.
Ja, doch ich zweifle, daß es bei Ihnen auch die Befreiung des Grabes Christi galt, warf Beauchamp ein.
Sie haben recht, Beauchamp, versetzte der junge Aristokrat. Ich ging nur, um mich im Pistolenschießen zu üben. Das Duell widerstrebt mir, wie Sie wissen, seitdem zwei Zeugen, die ich gewählt, um eine Sache beizulegen, mich zwangen, einem meiner besten Freunde den Arm zu zerschmettern . . . oh! bei Gott, dem armen Franz d'Epinay, den ihr alle kennt.
Ah! ja, es ist wahr, ihr habt euch geschlagen, sagte Debray. Aus welcher Veranlassung?
Der Teufel soll mich holen, wenn ich mich dessen erinnere, erwiderte Chateau-Renaud; ich weiß nur noch, daß ich mich schämte, ein Talent wie das meinige ruhen zu lassen, und daß ich an den Arabern die Pistolen versuchen wollte, die ich zum Geschenke bekommen habe. Demzufolge schiffte ich mich nach Oran ein und begab mich nach Constantine, wo ich gerade ankam, als die Belagerung aufgehoben wurde. Ich zog mich daher zurück wie die andern. 48 Stunden lang ertrug ich den Regen bei Tage, den Schnee bei Nacht, am dritten Morgen endlich starb mein Pferd vor Kälte. Armes Tier! Als es tot war, mußte ich zu Fuß zurückgehen. Da sprengten sechs Araber im Galopp herbei, mir den Kopf abzuhauen. Ich schoß zwei mit der Flinte, zwei mit meinen Pistolen nieder; aber es blieben noch zwei übrig, und ich hatte keine Waffe mehr. Der eine nahm mich bei den Haaren, weshalb ich sie jetzt kurz trage, denn man kann nicht wissen, was wieder geschieht; der andere zielte mit seinem Yatagan nach meinem Halse, und ich fühlte bereits das kalte Eisen, als dieser Herr, den Sie hier sehen, ebenfalls auf sie eindrang, den, welcher mich bei den Haaren hielt, mit einem Pistolenschuß niederstreckte und dem andern, der mir mit einem Säbelhieb den Hals abschlagen wollte, den Schädel spaltete. Der Herr hatte sich die Aufgabe gestellt, an diesem Tage einen Menschen zu retten, der Zufall wollte, daß ich dies war; wenn ich einmal reich bin, lasse ich dem Zufall eine Statue errichten.
Ja, sagte Morel lächelnd, es war am 5. September, am Jahrestage einer wunderbaren Rettung meines Vaters, ich feiere daher auch, soviel in meinen Kräften liegt, diesen Tag jedes Jahr durch irgend eine Handlung.
Durch eine heldenmütige, nicht wahr? unterbrach ihn Chateau-Renaud; kurz ich war der Auserwählte, doch das ist noch nicht alles. Nachdem er mich vom Eisen errettet, rettete er mich vor der Kälte, indem er mir seinen Mantel gab; dann schützte er mich vor dem Hunger dadurch, daß er sein kostbares Pferd, von dem wir, vom Hunger getrieben, jeder ein Stück mit großem Appetit verzehrten, mit mir teilte.
Ich ahnte, Sie würden mein Freund werden, Herr Graf, sagte Morel; überdies habe ich bereits die Ehre gehabt, Ihnen zu bemerken, daß ich an diesem Tage dem Schicksal eine Gabe als Wiedervergeltung für die Gunst schuldig bin, die uns einst zu teil geworden ist.
Die Geschichte, auf die Herr Morel anspielt, fuhr Chateau-Renaud fort, ist eine ganz bewunderungswürdige Geschichte, die er Ihnen eines Tages erzählen wird, wenn Sie nähere Bekanntschaft mit ihm gemacht haben; für heute wollen wir den Magen und nicht das Gedächtnis stärken. Um wieviel Uhr frühstücken Sie, Albert?
Um halb elf Uhr.
Auf den Punkt? fragte Debray, seine Uhr ziehend.
Ah! Sie werden mir doch die fünf Wartminuten gewähren, erwiderte Morcerf, denn ich erwarte ebenfalls einen Retter.
Einen Retter wessen?
Von mir, bei Gott! antwortete Morcerf. Glauben Sie, man könne mich nicht auch retten, wie einen andern, und nur die Araber schlagen Köpfe ab? Unser Frühstück ist ein philanthropisches Frühstück, und wir werden, wenigstens hoffe ich es, zwei Wohltäter der Menschheit bei Tische haben.
Und woher kommt er? fragte Debray.
Das weiß ich nicht, erwiderte Albert. Als ich ihn vor drei Monaten einlud, war er in Rom; doch wer kann sagen, welchen Weg er seitdem gemacht hat?
Glauben Sie, daß er Pünktlichkeit besitzt? fragte Debray.
Ich glaube, daß er alle guten Eigenschaften besitzt.
Passen Sie ja auf! Mit Ihren fünf Wartminuten sind's noch zehn.
Ich werde sie benutzen, um Ihnen ein Wort von meinem interessanten Gaste zu sagen. Ich war während des letzten Karnevals in Rom und wurde von Räubern entführt.
Es gibt keine Räuber, sagte Debray.
Allerdings gibt es welche und zwar abscheuliche, das heißt liebenswürdige, denn ich habe sie zum Fürchten zu schön gefunden. Die Räuber hatten mich also entführt und an einen jammervollen Ort gebracht, den man die Katakomben von San Sebastiano nennt. Man kündigte mir an, ich sei Gefangener gegen Lösegeld für erbärmliche 4000 römische Taler. Zum Unglück besaß ich nicht mehr als fünfzehnhundert; ich war am Ende meiner Reise und mein Kredit erschöpft. Ich schrieb an Franz, daß ich mich, wenn er nicht um sechs Uhr morgens mit den 4000 Talern käme, zehn Minuten später in der Gesellschaft der Heiligen und glorreichen Märtyrer befinden würde, und Luigi Vampa, dies ist der Name meines Räuberhauptmanns, hätte gewissenhaft sein Wort gehalten, das dürfen Sie glauben.
Doch Franz kam mit den 4000 Talern? sagte Chateau-Renaud. Zum Teufel! Man ist um 4000 Taler nicht in Verlegenheit, wenn man Franz d'Epinay oder Albert von Morcerf heißt!
Nein, er kam einfach in Begleitung des Gastes, den ich Ihnen ankündige und vorzustellen hoffe.
Oh! dieser Herr ist also ein Herkules.
Nein, er ist ein Mann etwa von meiner Figur.
Bis unter die Zähne bewaffnet?
Er hatte nicht einmal eine Stricknadel bei sich.
Unterhandelte er wegen Ihres Lösegeldes?
Er sagte dem Anführer zwei Worte ins Ohr, und ich war frei.
Man entschuldigte sich sogar bei Ihnen, daß man Sie festgenommen hatte? sagte Beauchamp.
Allerdings, sagte Morcerf.
Der Mann war also ein Geisterbanner?
Es war der Graf von Monte Christo.
Es gibt keinen Grafen von Monte Christo, sagte Debray.
Ich glaube nicht, fügte Chateau-Renaud mit der überlegenen Miene eines Mannes bei, der sein europäisches Adelsbuch an den Fingern auswendig weiß, daß irgend wer irgend was von einem Grafen von Monte Christo gehört hat.
Verzeihen Sie, meine Herren, sagte Maximilian, ich glaube, ich kann Ihnen einen Fingerzeig geben. Monte Christo ist eine kleine Insel, von der ich die Matrosen im Dienste meines Vaters oft sprechen hörte . . . ein Sandkorn im Mittelländischen Meere.
Ganz richtig, versetzte Albert. Nun, dieses Sandkorns Gebieter und König ist der, von dem ich eben rede; er wird das Grafendiplom irgendwo in Toskana gekauft haben.
Ihr Graf ist also reich?
Haben Sie Tausendundeine Nacht gelesen?
Bei Gott, eine schöne Frage!
Wissen Sie denn, ob die Leute, die man dort sieht, reich oder arm sind? Ob ihre Getreidekörner nicht Diamanten oder Rubinen sind? Sie sehen aus wie armselige Fischer, nicht wahr? Plötzlich öffnen sie Ihnen eine geheimnisvolle Höhle, worin Sie einen Schatz finden, für den man Indien kaufen könnte.
Nun?
Nun, mein Graf von Monte Christo ist einer von diesen Fischern. Er hat sogar einen entsprechenden Namen angenommen, denn er nennt sich Simbad der Seefahrer und besitzt eine Höhle voll Gold.
Und haben Sie diese Höhle gesehen, Morcerf? sagte Beauchamp.
Ich nicht, aber Franz. Doch still! Man darf kein Wort davon in seiner Gegenwart sprechen. Franz stieg mit verbundenen Augen in die Höhle hinab und wurde von Stummen und von Frauen bedient, gegen die Kleopatra nur eine Lorette ist. Nur ist er nicht ganz sicher in Beziehung auf diese Frauen, weil er sie erst gesehen hat, nachdem er Haschisch gegessen hatte, so daß möglicherweise das, was er für tanzende Frauen hielt, eine Quadrille von Statuen war.
Die jungen Leute schauten Morcerf mit Augen an, als wollten sie sagen: Sind Sie wahnsinnig, oder wollen Sie unser spotten?
In der Tat, sagte Morel nachdenklich, ich habe einen alten Matrosen namens Penelon etwas erzählen hören, was mit Herrn von Morcerfs Erzählung übereinstimmt.
Ah! rief Albert, es ist ein Glück, daß mir Herr Morel zu Hilfe kommt. Nicht wahr, es ärgert Sie, daß er einen Faden in mein Labyrinth wirft?
Verzeihen Sie, lieber Freund, entgegnete Debray, Sie erzählen uns so unwahrscheinliche Dinge.
Ja, aber mein Graf von Monte Christo existiert.
Bei Gott! Die ganze Welt existiert, ein schönes Wunder also!
Allerdings existiert die ganze Welt, aber nicht unter ähnlichen Bedingungen. Nicht die ganze Welt hat schwarze Sklaven, fürstliche Galerien, Waffen wie in der Kasauba, Pferde für 6000 Franken das Stück, eine griechische Geliebte.
Haben Sie die griechische Geliebte gesehen?
Ja, ich habe sie gesehen und gehört, gesehen im Teatro Argentina, gehört eines Tages, als ich bei dem Grafen frühstückte.
Ihr außerordentlicher Mann ißt also?
Meiner Treu, wenn er es tut, ist es so wenig, daß es sich nicht der Mühe lohnt, nur davon zu sprechen.
Sie werden sehen, es ist ein Vampir.
Lachen Sie, wenn Sie wollen. Das war auch die Ansicht der Gräfin G***.
Falbes Auge, dessen Stern sich nach Belieben vermindert oder erweitert, sagte Debray; stark hervortretende Gesichtswinkel, herrliche Stirn, Leichenblässe, schwarzer Bart, weiße, spitzige Zähne, Höflichkeit ebenso.
Ganz genau getroffen, Lucien, rief Morcerf, das Signalement paßt Zug für Zug. Ja, spitzige, einschneidende Höflichkeit. Er hat mich oft schaudern lassen, so eines Tages, als wir gemeinschaftlich einer Hinrichtung beiwohnten und ich ihn kalt über alle Arten von Hinrichtungen sprechen hörte.
Hat er Sie nicht auch in die Ruinen des Kolosseums geführt, um Ihnen das Blut auszusaugen, Morcerf? fragte Beauchamp.
Spotten Sie, solange Sie wollen, meine Herren, versetzte Morcerf etwas gereizt. Wenn ich Sie anschaue, Sie, den schönen Pariser, und mir daneben diesen Mann vorstelle, so kommt es mir vor, als wären wir nicht von demselben Geschlechte.
Jedenfalls, sagte Chateau-Renaud, ist Ihr Graf in seinen verlorenen Augenblicken ein artiger Mann, abgesehen von seinem Verkehr mit den italienischen Banditen.
Es gibt keine italienischen Banditen! sagte Debray.
Keine Vampire! fügte Beauchamp hinzu.
Keinen Grafen von Monte Christo, sagte Debray. Hören Sie, Albert, es schlägt halb elf Uhr. Gestehen Sie, daß Sie der Alp gedrückt hat, und lassen Sie uns frühstücken!
Doch die Pendeluhr hatte vom Schlage noch nicht zu schwingen aufgehört, als die Tür sich öffnete; Germain trat ein und meldete: Der Graf von Monte Christo.
Alle Zuhörer fuhren in die Höhe, so sehr hatte sie Morcerfs Erzählung erregt; Albert selbst konnte sich einer ungestümen Bewegung nicht erwehren. Man hatte weder einen Wagen auf der Straße noch Tritte im Vorzimmer gehört; selbst die Tür hatte sich geräuschlos geöffnet.
Der Graf erschien auf der Schwelle mit der größten Einfachheit gekleidet, aber auch der anspruchsvollste Gesellschaftslöwe hätte an seiner Toilette nichts zu tadeln gefunden. Alles war vom feinsten Geschmack und aufs eleganteste gearbeitet.
Er schien kaum fünfunddreißig Jahre alt zu sein, und allen Anwesenden fiel beim ersten Blick die große Ähnlichkeit mit dem von Debray entworfenen Porträt auf.
Der Graf trat lächelnd mitten in den Saal und ging auf Albert zu, der ihm mit zuvorkommendem Eifer die Hand reichte.
Die Pünktlichkeit, sagte Monte Christo, ist die Höflichkeit der Könige, wie einer Ihrer Fürsten behauptet hat; doch sie ist nicht immer die der Reisenden, trotz ihrem besten Willen. Ich hoffe indessen, mein lieber Vicomte, Sie werden zu gunsten meines guten Willens die paar Sekunden entschuldigen, die ich zu spät erscheine. Fünfhundert Meilen macht man nicht, ohne auf Hindernisse zu stoßen, besonders in Frankreich, wo es, wie mir scheint, verboten ist, die Postillone durchzuprügeln.
Herr Graf, erwiderte Albert, ich war eben damit beschäftigt, Ihren Besuch einigen meiner Freunde anzukündigen, die ich aus Veranlassung Ihrer Zusage eingeladen und nun Ihnen vorzustellen die Ehre habe. Es sind dies der Herr Graf von Chateau-Renaud, dessen Adel bis zu den zwölf Pairs hinaufsteigt, und dessen Ahnen an der Tafelrunde gesessen haben; Herr Lucien Debray, Privatsekretär des Ministers des Innern, Herr Beauchamp, ein furchtbarer Journalist, der Schrecken der französischen Regierung, von dem Sie jedoch vielleicht trotz seiner nationalen Berühmtheit in Italien niemals etwas gehört haben, weil seine Zeitung wegen ihrer freien Haltung in Italien nicht zugelassen wird, ferner Herr Maximilian Morel, Kapitän bei den Spahis.
Bei diesem Namen machte der Graf, der bis dahin höflich, aber mit echt englischer Kälte und Unempfindlichkeit gegrüßt hatte, einen Schritt vorwärts, und ein leichter rötlicher Ton zog wie ein Blitz über seine bleichen Wangen hin.
Der Herr trägt die Uniform der neuen französischen Sieger? sagte er; es ist eine schöne Uniform.
Man hätte schwer sagen können, was die Stimme des Grafen so tief ertönen ließ, was den unwillkürlichen Glanz in sein Auge lockte, das so schön, so ruhig, so durchsichtig war, wenn er nicht irgend einen Grund hatte, es zu verschleiern.
Sie haben unsre Afrikaner nie gesehen? sagte Albert.
Nie, erwiderte der Graf, der nun wieder vollkommen seiner Herr geworden war.
Wohl, unter dieser Uniform schlägt eins der bravsten und edelsten Herzen des Heeres.
Oh! Herr Vicomte . . . unterbrach ihn Morel.
Lassen Sie mich sprechen, Kapitän. Wir haben soeben von diesem Herrn einen so edelmütigen Zug erfahren, fuhr Albert fort, daß ich mir, obgleich ich ihn heute zum erstenmal sehe, die Gunst erbitte, ihn als meinen Freund vorstellen zu dürfen.
Bei diesen Worten konnte man beim Grafen abermals den seltsamen Blick und das leichte Zittern des Augenlides wahrnehmen, wodurch sich bei ihm eine innere Bewegung kundgab. Ah! der Herr hat ein edles Herz, desto besser, sagte er.
Dieser mehr dem eigenen Gedanken, als dem, was Albert gesagt hatte, entsprechende Ausruf überraschte alle, besonders Morel, der Monte Christo ganz erstaunt anschaute. Aber der Ton war zu gleicher Zeit so sanft und weich, daß man sich, so seltsam auch der Ausruf erscheinen mußte, unmöglich darüber ärgern konnte.
Warum sollte er daran zweifeln? sagte Beauchamp leise zu Chateau-Renaud.
In der Tat, versetzte Chateau-Renaud ebenso, der mit seiner Welterfahrenheit und der Schärfe seines aristokratischen Blickes alles bei Monte Christo durchdrungen hatte, was bei ihm zu durchdringen war, in der Tat, Albert hat uns nicht getäuscht; dieser Graf ist eine seltsame Person. Was sagen Sie dazu, Morel?
Meiner Treu, sagte Morel, er hat ein offenes Auge und eine sympathische Stimme, und er gefällt mir, trotz der sonderbaren Bemerkung, die er soeben über mich gemacht hat.
Meine Herren, sagte Albert, Germain meldet mir, daß aufgetragen ist. Mein lieber Graf, erlauben Sie mir, Ihnen den Weg zu zeigen.
Man ging schweigend in den Speisesaal.
Meine Herren, sagte der Graf, nachdem er sich gesetzt hatte, erlauben Sie mir ein Geständnis, das zur Entschuldigung für jede Unschicklichkeit dienen soll, die ich begehen dürfte; ich bin fremd, und zwar dergestalt fremd, daß ich zum erstenmal nach Paris komme. Das französische Leben ist mir folglich unbekannt, und ich habe bis jetzt nur ein orientalisches Leben geführt, das den guten Pariser Traditionen am allerwenigsten entspricht. Ich bitte Sie also, mich zu entschuldigen, wenn Sie an mir etwas zu Türkisches, zu Neopolitanisches oder zu Arabisches finden. So, nun lassen Sie uns aber frühstücken, meine Herren!
Wie er das alles sagt! murmelte Beauchamp; es ist entschieden ein vornehmer Herr.
Ein vornehmer Herr aus fremden Lande, flüsterte Debray.
Ein vornehmer Herr in allen Ländern, sagte Chateau-Renaud.
Der Graf war, wie man sich erinnern wird, ein mäßiger Esser. Albert befürchtete, das Pariser Leben könnte dem Gast schon von Anfang an durch seine materiellste, aber zugleich notwendigste Seite mißfallen, und sagte daher zu ihm: Mein lieber Graf, ich fürchte, die Küche der Rue du Helder wird Ihnen nicht so sehr munden, als die der Piazza di Spagna. Ich hätte Ihren Geschmack zu Rate ziehen und Ihnen einige Gerichte nach Ihrer Phantasie bereiten lassen sollen.
Wenn Sie mich näher kennten, antwortete der Graf lächelnd, so würden Sie sich deswegen nicht die geringste Sorge bei einem Reisenden machen, der abwechselnd von Maccaroni in Neapel, von Polenta in Mailand, von Olla potrida in Valencia, von Pilau in Konstantinopel, von Carick in Indien und von Schwalbennestern in China gelebt hat. Es gibt keine Küche für einen Kosmopoliten wie ich bin. Ich esse von allem und überall, nur esse ich wenig, und heute, wo Sie mir meine Nüchternheit zum Vorwurf machen, habe ich gerade Appetit, denn seit gestern morgen ist nichts über meine Lippen gekommen.
Wie, seit gestern morgen? riefen die Gäste; Sie haben seit vierundzwanzig Stunden nichts mehr gegessen?
Nein, erwiderte Monte Christo, ich war genötigt, von der Straße abzugehen und in der Gegend von Nimes Erkundigungen einzuziehen; dadurch verspätete ich mich etwas, und dann wollte ich nicht mehr anhalten.
Und Sie speisten in Ihrem Wagen? fragte Morcerf.
Nein, ich schlief, wie mir dies begegnet, wenn ich mich langweile, ohne den Mut zu haben, mich zu zerstreuen, oder wenn mich hungert, ohne daß ich Lust habe zu essen.
Sie können also dem Schlaf befehlen?
So ungefähr.
Besitzen Sie ein Rezept hierzu?
Ein untrügliches.
Das wäre gut für uns Afrikaner, die wir nicht immer zu essen und selten zu trinken haben, bemerkte Morel.
Ja, erwiderte Monte Christo, doch so vortrefflich mein Rezept für einen Menschen ist wie ich, der ein ausnahmsweises Leben führt, so gefährlich wäre es für eine ganze Armee, die nicht mehr erwachen würde, wenn man ihrer bedürfte.
Darf man wissen, worin dieses Rezept besteht? fragte Debray.
Oh! mein Gott, ja, ich mache kein Geheimnis daraus. Es ist eine Mischung von vortrefflichem Opium, das ich selbst in Canton geholt habe, um es rein zu besitzen, und vom besten Haschisch, den man im Orient, das heißt zwischen dem Tigris und Euphrat, findet. Man mengt diese beiden Ingredienzien zu gleichen Teilen und macht daraus eine Art von Pillen, die man im Augenblick des Bedürfnisses verschluckt. Zehn Minuten nachher tritt die Wirkung ein. Fragen Sie den Baron Franz d'Epinay, ich glaube, er hat eines Tages davon gekostet.
Ja, versetzte Morcerf, er erzählte mir davon, und er bewahrt eine sehr angenehme Erinnerung an diesen Genuß.
Sie führen also diese Droge stets bei sich? fragte Beauchamp, der in seiner Eigenschaft als Journalist sehr ungläubig war.
Beständig, antwortete Monte Christo.
Wäre es unbescheiden, wenn ich Sie bitte, diese Pillen sehen zu dürfen? fuhr Beauchamp fort, in der Hoffnung, den Fremden auf einer Blöße zu ertappen.
Nein, mein Herr, erwiderte der Graf; und er zog aus seiner Tasche eine wundervolle Bonbonnière, die aus einem einzigen Smaragd gearbeitet und mit einer Schraube verschlossen war, und die, wenn man sie aufschraubte, ein Kügelchen von grünlicher Farbe und von der Größe einer Erbse durchließ. Dieses Kügelchen hatte einen scharfen, durchdringenden Geruch; es waren vier oder fünf ähnliche in dem Smaragd, der ungefähr ein Dutzend fassen mochte. Die Bonbonnière machte die Runde um die Tafel, doch die Gäste ließen sie mehr umhergehen, um den prachtvollen Smaragd zu bewundern, als um die Pillen zu beriechen.
Und diese Speise bereitet Ihnen Ihr Koch? fragte Beauchamp.
Nein, erwiderte Monte Christo; ich überlasse meine reellen Genüsse nicht der Willkür unwürdiger Hände. Ich bin ein ziemlich guter Chemiker und bereite meine Pillen selbst.
Das ist ein bewunderungswürdiger Smaragd . . . es ist der größte, den ich je gesehen habe, obgleich meine Mutter als Familienwertstücke verschiedene ziemlich merkwürdige Juwelen besitzt, sagte Chateau-Renaud.
Ich hatte drei gleiche, versetzte Monte Christo; den einen gab ich dem Großsultan, der ihn an seinen Säbel fassen ließ; den andern unserem heiligen Vater, dem Papst, auf dessen Geheiß er auf seine Tiara, als Gegenstück zu einem ähnlichen, aber doch minder schönen Smaragd, einer Gabe Napoleons an seinen Vorgänger Pius VII., eingesetzt wurde. Den dritten behielt ich für mich; ich ließ ihn aushöhlen, was ihm ungefähr die Hälfte seines Wertes benommen, aber für den Gebrauch, zu dem ich ihn bestimmte, bequemer gemacht hat.
Alle schauten Monte Christo erstaunt an; er sprach mit so viel Einfachheit, daß er offenbar die Wahrheit sagte oder verrückt sein mußte. Beim Anblick des Smaragds in seinen Händen aber neigte man natürlich zu der ersten Vermutung.
Und was haben Ihnen diese beiden Herrscher dagegen gegeben? fragte Debray.
Der Großherr die Freiheit einer Frau, antwortete der Graf, unser heiliger Vater, der Papst, das Leben eines Mannes. So war ich einmal in meinem Dasein so mächtig, als hätte mich Gott auf den Stufen eines Thrones geboren werden lassen.
Es ist Peppino, den Sie befreit haben, nicht wahr? rief Morcef; für ihn haben Sie Ihr Begnadigungsrecht angewendet?
Vielleicht, antwortete Monte Christo lächelnd.
Herr Graf, Sie machen sich keinen Begriff, welches Vergnügen es mir bereitet, Sie so sprechen zu hören, sagte Morcerf. Ich hatte Sie zum voraus meinen Freunden als einen fabelhaften Mann, als einen Zauberer aus Tausendundeiner Nacht, als einen Hexenmeister angekündigt; doch die Pariser sind so paradoxe Leute, daß sie die unbestreitbarsten Wahrheiten für Launen der Einbildungskraft halten, wenn diese Wahrheiten nicht in ihrer täglichen Existenz in Erscheinung treten. Nehmen Sie zum Beispiel hier Debray, der alle Tage liest, und Beauchamp, der täglich druckt, daß man auf dem Boulevard ein verspätetes Mitglied des Jockeyklubs geplündert, daß man vier Personen in der Rue Saint-Denis oder im Faubourg Saint-Germain ermordet hat, daß zehn Diebe in einem Kaffeehause des Boulevard du Temple verhaftet worden sind, und dennoch bestreiten sie das Vorhandensein von Banditen in der römischen Campagna. Sagen Sie ihnen doch selbst, Herr Graf, daß mich Banditen festgenommen, und daß ich ohne Ihre edelmütige Vermittelung aller Wahrscheinlichkeit nach heute die ewige Auferstehung in den Katakomben von San Sebastiano zu erwarten hätte, statt Ihnen in meinem unwürdigen Häuschen in der Rue du Helder ein Frühstück zu geben.
Bah! rief Monte Christo, Sie haben mir versprochen, von dieser Kleinigkeit nie zu sprechen.
Nicht ich, Herr Graf, entgegnete Morcerf; Sie verwechseln mich mit einem andern, dem Sie wahrscheinlich denselben Dienst geleistet haben, wie mir. Sprechen wir im Gegenteil davon, ich bitte Sie! Denn wenn Sie sich entschließen, hiervon zu reden, so werden Sie mir vielleicht nicht nur das wiederholen, was ich weiß, sondern auch vieles sagen, was ich nicht weiß.
Es scheint mir aber, entgegnete der Graf lächelnd, Sie haben bei dieser ganzen Angelegenheit eine genügend wichtige Rolle gespielt, um ebensogut wie ich zu wissen, was vorgefallen ist.
Wollen Sie mir versprechen, wenn ich alles sage, was ich weiß, mir Ihrerseits zu sagen, was ich nicht weiß?
Das ist nur billig, antwortete Monte Christo.
Gut, sagte Morcerf, und sollte es auch auf Kosten meiner Eitelkeit gehen. Ich hielt mich drei Tage lang für den Gegenstand der Liebesblicke einer Maske, die mir als neue Julia oder Poppäa erschien, während ich doch in Wahrheit von einer Bäuerin geködert wurde. Ich weiß nur, daß ich Dummkopf einen jungen Banditen von fünfzehn bis sechzehn Jahren mit bartlosem Kinn und von schlankem Wuchse für diese Bäuerin hielt, der im Augenblick, wo ich mir die Freiheit nehmen wollte, einen Kuß auf seine keusche Schulter zu drücken, mir die Pistole vor die Brust setzte und mich mit Hilfe von sieben oder acht Gefährten in die Katakomben von Sebastiano führte oder vielmehr schleppte. Hier fand ich einen wissenschaftlich gebildeten Banditenanführer, der Cäsars Kommentar las und sich nur bewogen fühlte, seine Lektüre zu unterbrechen, um mir zu sagen, daß ich, wenn ich am andern Morgen um sechs Uhr nicht viertausend Taler in seine Kasse entrichtet hätte, um Viertel auf sieben Uhr zu leben aufhören würde. Der Brief ist noch in Franzens Händen, von mir unterzeichnet und mit einer Nachschrift von Luigi Vampa versehen. Zweifeln Sie an meinen Worten, so schreibe ich an Franz und lasse die Echtheit der Unterschriften bescheinigen. Das ist alles, was ich weiß. Was ich aber nicht weiß, ist der Umstand, wie es Ihnen gelungen ist, den Banditen so große Achtung einzuflößen. Ich gestehe Ihnen, daß Franz und ich von Bewunderung erfüllt waren.
Nichts ist einfacher, antwortete der Graf; ich kannte den berüchtigten Vampa seit mehr als zehn Jahren. Als er noch ganz jung und Hirte war, gab er mir eines Tages dafür, daß ich ihm irgend eine Goldmünze schenkte, weil er mir den Weg gezeigt hatte, einen von ihm selbst geschnitzten Dolch, den Sie wohl in meiner Waffensammlung gesehen haben. Später, . . . hatte er nun dieses Vorkommnis vergessen, oder hatte er mich nicht erkannt . . . wollte er mich einmal festnehmen; es gelang mir aber im Gegenteil, ihn mit einem Dutzend seiner Leute gefangen zu nehmen. Ich konnte Vampa der römischen Justiz ausliefern, die ziemlich rasch zu Werke geht und in seinem Fall sich noch mehr als gewöhnlich beeilt haben würde, aber ich tat es nicht; ich entließ ihn und die Seinigen.
Unter der Bedingung, daß sie nicht mehr sündigen würden, sagte der Journalist lachend. Ich sehe mit Vergnügen, daß sie ihr Wort gewissenhaft gehalten haben.
Nein, entgegnete Monte Christo, unter der einzigen Bedingung, daß sie mir und den Meinen Achtung erweisen. Was ich Ihnen sage, kommt Ihnen vielleicht seltsam vor, meine Herren Sozialisten, Progressisten, Humanisten, aber ich kümmere mich nie um meinen Nächsten, ich suche nie die Gesellschaft zu beschützen, die mich nicht beschützt und sich, ich darf es wohl behaupten, im allgemeinen nur mit mir beschäftigt, um mir zu schaden, und indem ich sie gering achte und ihnen gegenüber Neutralität beobachte, sind mir die Gesellschaft und mein Nächster das gleiche schuldig.
Das gefällt mir! rief Chateau-Renaud; das ist der erste Mensch, den ich ehrlich und geradeheraus die Selbstsucht predigen höre. Sehr schön, bravo, Herr Graf!
Es ist wenigstens offenherzig, bemerkte Morel; doch ich bin überzeugt, der Herr Graf bereut es nicht, daß er einmal von den Grundsätzen abgegangen ist, die er soeben so unbedingt gegen uns ausgesprochen hat.
Wieso bin ich von diesen Grundsätzen abgegangen? fragte Monte Christo, der von Zeit zu Zeit Maximilian unwillkürlich so aufmerksam anschaute, daß der kühne junge Mann schon ein paarmal die Augen vor dem klaren, durchsichtigen Blicke des Grafen niedergeschlagen hatte.
Mir scheint, antwortete Morel, indem Sie Herrn von Morcerf, der Ihnen unbekannt war, befreiten, dienten Sie Ihrem Nächsten und der Gesellschaft.
Deren schönste Zierde er bildet, sagte Beauchamp ernst und leerte mit einem Zuge ein volles Glas Champagner.
Herr Graf, rief Morcerf, Sie sind gefangen, Sie, einer der schärfsten Logiker, die ich kenne, und Sie werden sehen, man beweist Ihnen sogleich, daß Sie kein Egoist, sondern ein Philanthrop sind. Ah, Herr Graf, Sie sagen, Sie seien Orientale, Malaie, Indianer, Chinese, Wilder, Sie nennen sich Monte Christo mit Familiennamen, Simbad der Seefahrer mit Vornamen, und an dem Tage, wo Sie Paris zum erstenmal betreten, besitzen Sie bereits das größte Verdienst oder den größten Fehler unserer überschwenglichen Pariser, das heißt, Sie maßen sich Laster an, die Sie nicht haben, und verbergen die Tugenden, die Sie besitzen.
Lieber Vicomte, sagte Monte Christo, ich sehe in allem, was ich gesprochen oder getan, nicht das geringste, was des Lobes wert wäre, das ich soeben von Ihnen und diesen Herren empfangen habe. Sie waren kein Fremder für mich, da ich Sie kannte, da ich Ihnen zwei Zimmer abgetreten, da ich Ihnen ein Frühstück gegeben, da ich Ihnen meinen Wagen geliehen, da wir miteinander auf dem Korso die vorüberziehenden Masken betrachtet und von einem Fenster der Piazza del popolo einer Hinrichtung zugeschaut hatten, die einen so gewaltigen Eindruck auf Sie machte, daß Ihnen beinahe übel geworden wäre. Ich frage nun alle diese Herren: Konnte ich meinen Gast in den Händen der Banditen lassen, wie Sie diese Leute nennen? Auch hatte ich, als ich Sie rettete, wie Sie wissen, einen Hintergedanken; ich wollte gern durch Sie in die Pariser Salons eingeführt werden, wenn ich nach Frankreich käme. Sie konnten das damals für einen flüchtigen Einfall halten, heute aber sehen Sie, daß es eine ernste Wahrheit ist, der Sie sich unterwerfen müssen, wenn Sie Ihr Wort nicht brechen wollen.
Ich werde es halten, sagte Morcerf, doch ich fürchte sehr, es wird eine Entzauberung bei Ihnen eintreten, lieber Graf, da Sie durch romantische Begebenheiten und phantastische Ereignisse verwöhnt sind. Bei uns finden Sie keine Spur von Episoden der Art, wie sie in Ihrem abenteuerlichen Leben zur Regel gehören. Unser Chimborasso ist der Montmartre, unser Himalaya der Mont-Valérien, unsere große Wüste die Ebene von Grenelle, wo man einen artesischen Brunnen gegraben hat, damit die Karawanen Wasser finden. Wir haben auch Räuber, viele Räuber, wenn auch nicht so viele, wie man sagt, aber diese Räuber fürchten der weitem mehr den kleinsten Spion, als den mächtigsten Herrn: kurz, Frankreich ist ein so prosaisches Land und Paris eine so zivilisierte Stadt, daß Sie in allen unseren Departements keinen Berg finden, auf dem nicht eine Telegraphenstange stände, und keine etwas dunkle Grotte, in der die Polizei nicht hätte eine Glastür einsetzen lassen. Ich kann Ihnen folglich nur einen Dienst leisten, lieber Graf, und für diesen stehe ich zu Ihrer Verfügung: ich kann Sie überall vorstellen oder durch meine Freunde vorstellen lassen. Übrigens brauchen Sie niemand hierzu; mit Ihrem Namen, mit Ihrem Vermögen und Ihrem Geiste – Monte Christo verbeugte sich mit leichtem ironischem Lächeln – stellt man sich überall selbst vor und wird überall gut aufgenommen. Ich kann Ihnen also nur in einer Beziehung nützlich sein. Gereicht es mir bei Ihnen zur Empfehlung, daß ich ein wenig mit dem Pariser Leben vertraut bin, einige Erfahrung im Komfortablen habe und unsere Basare kenne, so verfügen Sie über mich, wenn Sie sich ein bequemes Haus aussuchen wollen. Ich wage es nicht, Ihnen den Vorschlag zu machen, meine Wohnung mit mir zu teilen, wie ich die Ihrige in Rom geteilt habe, ich, der ich mich nicht zum Egoismus bekenne, aber nichtsdestoweniger vorzugsweise Egoist bin; denn bei mir würde es, mich selbst ausgenommen, kein Schatten aushalten, dieser Schatten müßte denn der einer Frau sein.
Ah! rief der Graf, das ist ein ganz ehrlicher Vorbehalt. Sie haben mir in der Tat in Rom ein paar Worte von einem Heiratsplane gesagt; darf ich Ihnen zu Ihrer nahe bevorstehenden Verbindung Glück wünschen?
Meinem Vater ist daran gelegen, und ich hoffe Ihnen binnen kurzem, wenn nicht meine Frau, doch meine Braut, Fräulein Eugenie Danglars, vorzustellen.
Eugenie Danglars! rief Monte Christo, warten Sie doch . . . ist Ihr Vater nicht der Graf Danglars?
Ja, antwortete Morcerf, aber ein Graf neuer Herkunft.
Oh! Was tut das? entgegnete Monte Christo. Wenn er nur dem Staate Dienste geleistet hat, welche diese Auszeichnung als gerechte Belohnung erscheinen lassen.
Ungeheure Dienste, sagte Beauchamp. Er hat, obgleich in seinem Innern liberal, im Jahre 1829 ein Anlehen von sechs Millionen für den König Karl X. zu stande gebracht und wurde von diesem dafür zum Grafen und Ritter der Ehrenlegion ernannt, und so trägt er das Band nicht an seiner Westentasche, wie man glauben könnte, sondern hübsch am Knopfloch seines Frackes.
Oh! rief Morcerf lachend, Beauchamp, Beauchamp, sparen Sie sich das für das Journal Amusant und den Charivari, aber schonen Sie in meiner Gegenwart meinen künftigen Schwiegervater!
Sich an Monte Christo wendend, fragte Morcerf: Sie haben soeben seinen Namen ausgesprochen, wie einer, der den Grafen kennt?
Ich kenne ihn nicht, antwortete Monte Christo mit nachlässigem Tone, werde jedoch wahrscheinlich bald seine Bekanntschaft machen, da ich einen offenen Kredit auf ihn durch das Haus Thomson und French in Rom habe.
Beim Aussprechen dieser Namen warf der Graf aus einem Winkel seines Auges Morel einen Blick zu.
Hatte der Fremde auf Morel eine Wirkung hervorzubringen gehofft, so täuschte er sich nicht. Morel zitterte, wie vom elektrischen Schlag getroffen. Thomson und French, sagte er, kennen Sie dieses Haus?
Es sind meine Bankiers in der Hauptstadt der christlichen Welt, antwortete ruhig der Graf, kann ich Ihnen bei diesen Herren in irgend einer Beziehung nützlich sein?
Oh! Herr Graf, Sie könnten uns vielleicht in Nachforschungen unterstützen, die bis jetzt fruchtlos gewesen sind. Dieses Haus hat einst dem unsrigen einen großen Dienst geleistet, diesen Dienst aber, ich weiß nicht warum, stets abgeleugnet.
Ich stehe zu Befehl, sagte der Graf, sich verbeugend.
Aber wir sind vom Gegenstande unseres Gespräches abgekommen, bemerkte Morcerf. Es war davon die Rede, eine taugliche Wohnung für den Grafen von Monte Christo auszusuchen. Also meine Herren, wir wollen uns besinnen! Wo werden wir unsern neuen Gast einquartieren?
Im Faubourg Saint-Germain, sagte Chateau-Renaud, der Herr findet dort ein reizendes kleines Hotel zwischen Garten und Hof.
Bah! Chateau-Renaud, rief Debray, Sie kennen nur Ihren öden, langweiligen Faubourg Saint-Germain. Hören Sie nicht auf ihn, Herr Graf! Wohnen Sie in der Chaussée-d'Antin, das ist der wahre Mittelpunkt von Paris.
Boulevard de l'Opéra, sagte Beauchamp, im ersten Stock, ein Haus mit Balkon, der Herr Graf läßt Kissen von Silberstoff dahin bringen und sieht, seinen Tschibuk rauchend oder seine Pillen schluckend, die ganze Hauptstadt vor seinen Augen vorüberziehen.
Haben Sie keinen Gedanken, Morel, daß Sie nichts vorschlagen? sagte Chateau-Renaud.
Doch wohl, erwiderte lächelnd der junge Mann; ich habe einen Gedanken, wartete aber, ob sich der Herr Graf nicht durch einen von den glänzenden Vorschlägen, die man ihm macht, verführen lassen würde. Nun, da er nicht geantwortet, glaube ich ihm eine Wohnung in einem reizenden kleinen Hotel . . . ganz Pompadour . . . anbieten zu dürfen, das meine Schwester seit einem Jahr in der Rue Meslay gemietet hat.
Sie haben eine Schwester? fragte Monte Christo.
Ja, mein Herr, eine vortreffliche Schwester.
Verheiratet?
Seit bald neun Jahren, und so glücklich, als es ein menschliches Geschöpf nur sein kann, antwortete Maximilian; sie hat den Mann geheiratet, den sie liebte, der uns in unserem Unglück treu geblieben ist: Emanuel Raymond.
Monte Christo lächelte unmerklich.
Ich wohnte dort während meines halbjährigen Urlaubs, fuhr Maximilian fort, und stehe mit meinem Schwager Emanuel mit jeder Auskunft zu Diensten, deren der Herr Graf bedürfen sollte.
Einen Augenblick, rief Morcerf, noch ehe der Graf von Monte Christo Zeit gehabt hatte zu antworten. Bedenken Sie wohl, was Sie tun, Herr Morel; Sie wollen einen freien, schrankenlosen Reisenden, Simbad den Seefahrer, an das Familienleben fesseln; Sie wollen aus einem Mann, der gekommen ist, Paris zu sehen und zu genießen, einen Patriarchen machen.
Oh nein, erwiderte Morel lächelnd. Meine Schwester ist fünfundzwanzig Jahre alt, mein Schwager dreißig; sie sind beide jung, heiter und glücklich. Zudem wird der Graf in eigenen Räumen leben, völlig sein eigener Herr sein und seine Wirte nur sehen, so oft es ihm beliebt, sich zu ihnen zu begeben.
Ich danke, ich danke, sagte Monte Christo, ich werde mich begnügen, Ihrer Schwester und Ihrem Schwager durch Sie vorgestellt zu werden, wenn Sie mir diese Ehre erweisen wollen; aber ich nehme keines von den Anerbieten der Herren an, da schon eine Wohnung für mich bereit steht.
Wie? rief Morcerf, Sie wollen im Gasthof absteigen? Das wird sehr unbequem für Sie sein.
War ich denn in Rom so übel dran? fragte Monte Christo.
Oh! in Rom, entgegnete Morcerf, dort haben Sie fünfzigtausend Piaster ausgegeben, um sich eine Wohnung möblieren zu lassen, doch ich setze voraus, Sie sind nicht geneigt, sich jeden Tag eine solche Ausgabe zu machen.
Das hätte mich nicht zurückgehalten, sagte Monte Christo; doch ich war entschlossen, ein Haus in Paris zu haben, ein eigenes Haus, und schickte meinen Kammerdiener voraus, der mir dieses Haus kaufen und möblieren lassen mußte.
Haben Sie denn einen Kammerdiener, der Paris kennt? rief Beauchamp.
Er kommt, wie ich, zum erstenmal nach Frankreich, mein Herr, ist schwarz und spricht nicht.
Dann ist es Ali? versetzte Albert, während alle erstaunt aufblickten.
Ja, es ist Ali, mein Nubier, mein Stummer, den Sie, wie ich glaube, in Rom gesehen haben.
Allerdings, ich erinnere mich seiner, sagte Morcerf.
Aber wie konnten Sie einen Nubier beauftragen, Ihnen ein Haus zu kaufen, einen Stummen, es möblieren zu lassen? Der arme Unglückliche wird alles verkehrt gemacht haben.
Sie täuschen sich, Herr; ich bin im Gegenteil überzeugt, daß er alles nach meinem Geschmack eingerichtet hat, denn Sie wissen, mein Geschmack stimmt mit dem gewöhnlichen nicht überein. Er ist vor acht Tagen angekommen und wird in der Stadt mit dem Instinkte eines guten Jagdhunds herumgelaufen sein. Er kennt meine Neigungen, meine Schrullen, meine Bedürfnisse, und ich zweifle nicht, daß er alles nach meinem Sinn gewählt hat. Er wußte, daß ich heute um zehn Uhr ankomme, und wartete auf mich seit neun Uhr an der Barrière de Fontainebleau. Dort übergab er mir dieses Papier, auf dem meine neue Adresse steht; sehen Sie! Monte Christo reichte das Papier Albert, und dieser las: Champs-Elysées Nr. 30.
Das ist in der Tat originell, rief Beauchamp unwillkürlich.
Und ganz fürstlich, fügte Chateau-Renaud hinzu.
Sie kennen Ihr Haus nicht einmal? fragte Debray.
Nein, erwiderte Monte Christo. Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich die Stunde nicht versäumen wollte. Ich machte meine Toilette im Wagen und stieg vor der Tür des Vicomte aus.
Die jungen Leute schauten sich an; sie wußten nicht, ob Monte Christo Komödie spielte; doch alles, was aus dem Munde dieses Mannes kam, trug ein solches Gepräge der Einfachheit, daß man an keine Lüge denken konnte. Warum sollte er auch gelogen haben?
Wir werden uns also begnügen müssen, dem Herrn Grafen alle die kleinen Dienste zu leisten, die in unserer Macht liegen, sagte Beauchamp. Ich meinerseits öffne ihm in meiner Eigenschaft als Journalist alle Theater von Paris.
Ich danke, versetzte Monte Christo lächelnd, mein Intendant hat bereits Befehl erhalten, mir in jedem eine Loge zu mieten.
Ist Ihr Intendant auch ein Nubier, ein Stummer? fragte Debray.
Nein, er ist ein Landsmann von Ihnen, soweit man bei einem Korsen überhaupt von Landsmannschaft reden kann, er ist also ein Korse: doch Sie kennen ihn, Herr von Morcerf?
Sollte es etwa der brave Signor Bertuccio sein, der so gut Fenster zu mieten versteht?
Ganz richtig, Sie haben ihn bei mir an dem Tage gesehen, wo ich Sie beim Frühstück zu empfangen die Ehre hatte. Er ist ein sehr braver Mann, der ein wenig Soldat, ein wenig Schmuggler, ein wenig von allem, was man sein kann, gewesen ist. Ich möchte nicht schwören, daß er nicht einmal mit der Polizei wegen einer Lumperei, etwa wegen eines Messerstichs, in Konflikt gekommen ist.
Und Sie haben diesen ehrlichen Weltbürger zum Intendanten gewählt, Herr Graf? sagte Debray. Wieviel stiehlt er Ihnen jährlich?
Auf mein Ehrenwort, nicht mehr als ein andrer, dessen bin ich sicher; doch er besorgt meine Angelegenheiten, kennt keine Unmöglichkeit, und ich behalte ihn.
Also Sie haben ein völlig eingerichtetes Haus, sagte Chateau-Renaud, ein Hotel in den Champs-Elysées, Bediente, Intendanten; es fehlt Ihnen nur noch eine Geliebte.
Albert lächelte; er dachte an die schöne Griechin, die er in der Gesellschaft des Grafen gesehen hatte.
Ich habe etwas Besseres, antwortete Monte Christo, ich habe eine Sklavin. Sie mieten Ihre Geliebten im de l'Opéra, im Théâtre des Variétés, ich habe die meinige in Konstantinopel gekauft; sie hat mich sehr viel gekostet, aber ich brauche mich in dieser Beziehung um nichts mehr zu bekümmern.
Doch Sie vergessen, sagte Debray lachend, wir sind, wie König Karl gesagt hat, frank dem Namen nach, frank der Natur nach, und somit ist Ihre Sklavin, sobald sie den Fuß auf die Erde Frankreichs gesetzt hat, frei geworden.
Wer wird es ihr sagen? fragte Monte Christo.
Der nächste beste.
Sie spricht nur Neugriechisch.
Das ist etwas anderes.
Aber wir werden sie wenigstens sehen, fragte Beauchamp, oder besitzen Sie auch Eunuchen, wie Sie einen Stummen haben?
Nein, erwiderte Monte Christo, so weit treibe ich den Orientalismus nicht. Jedem von meiner Umgebung steht es frei, mich zu verlassen, und wer mich verläßt, bedarf weder mehr meiner, noch irgend einer andern Person, darum verläßt man mich vielleicht nicht.
Inzwischen war man längst beim Nachtisch und bei den Zigarren angelangt.
Mein Lieber, sagte Debray, als er aufstand und wegging, zum Wirt, es hat halb drei Uhr geschlagen, Ihr Gast ist entzückend, aber die Gesellschaft mag so gut sein, wie sie will, man verläßt sie doch endlich . . . zuweilen einer schlechten zu Liebe; ich muß in mein Ministerium zurückkehren. Über den Grafen spreche ich mit dem Minister, und wir erfahren sicherlich, wer er ist.
Nehmen Sie sich in acht, entgegnete Morcerf; die Schlauesten haben darauf Verzicht geleistet.
Bah! wir haben drei Millionen für unsere Polizei; sie sind allerdings fast immer zum voraus ausgegeben, doch gleichviel, es bleiben immerhin fünfzigtausend Franken, die man hierauf verwenden kann.
Und wenn Sie wissen, wer er ist, werden Sie es mir sagen?
Ich verspreche es Ihnen. Auf Wiedersehen, meine Herren!
Mit diesen Worten verließ Debray die Gesellschaft und rief ganz laut im Vorzimmer: Vorfahren!
Gut, sagte Beauchamp zu Albert, ich gehe nicht in die Kammer, aber ich habe nun meinen Lesern etwas Besseres zu bieten, als eine Rede von Danglars.
Ich bitte, Beauchamp, erwiderte Morcerf, ich bitte, kein Wort, hiervon; berauben Sie mich nicht des Verdienstes, ihn vorzustellen. Nicht wahr, er ist interessant?
Er ist noch mehr, sagte Chateau-Renaud, er ist in der Tat einer der außerordentlichsten Menschen, die ich in meinem Leben gesehen habe. Kommen Sie mit, Morel?
Lassen Sie mich nur meine Karte dem Grafen geben, der uns einen Besuch zugesagt hat.
Seien Sie versichert, daß ich nicht verfehlen werde, ihn abzustatten, sagte der Graf mit einer Verbeugung.
Nachdem hierauf Morel dem Grafen seine Karte überreicht hatte, entfernte er sich mit dem Baron von Chateau-Renaud und ließ Monte Christo mit Morcerf allein.