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Wenzel Anton, Graf von Kaunitz-Rittberg,

war aus einem alten mährischen Adelsgeschlechte entsprossen, welches dem Hause Habsburg schon Diplomaten gegeben hatte, – Wenzel Antons Großvater, Dominik Andreas, welcher als kaiserlicher Botschafter 1697 den Ryswiker Frieden schloß, und des letztgenannten Sohn, Maximilian Ulrich, vermählt mit der Tochter des letzten Grafen von Rittberg, Maria Ernestine Franziska, gestorben am 6. Septbr. 1749. Dieses Letzteren Sohn, Wenzel Anton, erblickte das Licht am 2. Februar 1711 zu Wien, und wurde, als Einer der jüngeren von 19 Geschwistern, für den geistlichen Stand bestimmt; schon in frühester Kindheit erhielt er die Stelle eines Domicellars zu Münster. In Folge des frühzeitigen Ablebens seiner älteren Geschwister wurde jedoch seine Bestimmung verändert; er mußte sich dem Studium der Rechtswissenschaften zuwenden. Diesem widmete er sich auf der Universität zu Wien, worauf er beim Reichshofrath praktizirte, sich bei der fürwährenden allgemeinen Reichsversammlung zu Regensburg aufhielt, und die Universitäten Leipzig und Leyden besuchte. Die auf den Hochschulen erworbenen Kenntnisse sollte nun die Schule des Lebens erweitern und ergänzen; und so unternahm denn Kaunitz Reisen nach England, Holland, Belgien, Frankreich und Italien. Ueberall zogen ihn Neigung und Bestimmung zur Bekanntschaft der bedeutendsten Geister, aus deren Umgang er den reichsten Gewinn für allseitige wissenschaftliche und praktische Bildung zu ziehen wußte.

Zurückgekehrt vermählte sich Kaunitz am 6. Mai 1736 mit Maria Anna Ernestine, Tochter des Grafen Franz Anton von Stahremberg Sie starb am 6. Septbr. 1749.. Ein Jahr später ernannte ihn Kaiser Karl VI. zum Reichshofrath mit Sitz und Stimme auf der Herrenbank, im Jahre 1739 zum Mitkommissär bei der fürwährenden allgemeinen Reichsversammlung zu Regensburg; aus welcher Stellung er jedoch schon im nächsten Jahre – in Folge von Karls VI. Ableben – ausschied, und sich auf die Besitzungen seines Vaters in Mähren zurückzog.

Maria Theresia trat die Erbschaft ihrer Ahnen an und gedachte in den vielfachen Bedrängnissen, von welchen sie heimgesucht wurde, des damals dreißigjährigen Grafen Kaunitz. Sie sandte ihn 1741 nach Italien, womit seine diplomatische Laufbahn beginnt. Er hatte sich nach Florenz begeben, um eine Landung der Franzosen und Spanier, welche man besorgte, von Toskana abzuwenden, und nach Rom, um den Papst für den Beistand Marien Theresiens zu gewinnen. Noch wichtiger war Kaunitzens Sendung im folgenden Jahre (1742) an den sardinischen Hof. Hier galt es, einen Monarchen wie Karl Emanuel zu durchschauen, welcher bei allen Verbindungen mit fremden Mächten mit der größten Gewandtheit immer nur den eigenen Vortheil zu erringen und jede neue Chance dafür zu benutzen wußte. Hier konnte Kaunitz bereits die englische Politik studiren, welche sich so sehr großmüthig, in Bezug auf Marien Theresien und zugleich so auffallend friedliebend benahm, daß ein tieferblickender Geist wohl über die Uneigennützigkeit jener Großmuth Zweifel fassen und die Frage aufwerfen konnte, ob England mehr im Interesse Marien Theresiens als in jenem Sardiniens, oder ob es nicht vielmehr überall zunächst und hauptsächlich in seinem eigenen handelte, und Oesterreich durch anscheinend günstige Bündnisse eher zu beeinträchtigen und langsam zu verderben als zu heben strebte? Der Verlauf zeigte allerdings, daß Englands Politik nicht so uneigennützig war, als sie den Anschein nahm, daß sie eigentlich bloß Frankreich durch Oesterreich in Schach halten, daß sie auch Oesterreich nur so lange stützen wollte, als ihr dieß Letztere zu dem genannten Zwecke diente, und daß sie kein Bedenken trug, Oesterreich fallen zu lassen, sobald sie von Frankreich nichts mehr befürchten zu müssen glaubte. So begreift es sich wohl, warum England in Italien Sardinien stützte und in Deutschland so unermüdlich zur Vermittlung Oesterreichs mit Preußen – freilich auf Unkosten Oesterreichs – rieth wie wir bereits im Verlauf dieser Geschichten gesehen haben! Was nun Kaunitzens Benehmen bei jener Sendung betrifft, so wußte er sich der Letzteren trefflich zu entledigen, und entwickelte bereits jene Fähigkeiten, mit Aufopferung seiner Gewohnheiten und Liebhabereien, durch geschmeidige Gewandtheit, liebenswürdiges Eingehen in alle fremden Besonderheiten, kluges Verschweigen, wie eben so kluge Offenheit am rechten Ort und zur rechten Zeit, durch Nachgeben und Imponiren, mit der vollen Siegerkraft eines überlegenen Geistes zum Ziele zu gelangen. Drei Jahre brachte er in Italien zu; sie reichten hin, ihm eine vollständige, genaue Einsicht in alle Verhältnisse der Halbinsel zu verschaffen.

Kaunitz-Rittberg

Als er von Italien nach Wien zurückkehrte, eröffnete ihm Maria Theresia alsbald ein neues Feld für seine Thätigkeit in den österreichischen Niederlanden (Belgien), über welche sie die General-Statthalterschaft ihrer Schwester, der Erzherzogin Maria Anna und dem Gemahl derselben, dem Prinzen Karl von Lothringen (vermählt am 7. Januar 1744) verlieh; Kaunitz wurde zum Obersthofmeister der Erzherzogin und zum bevollmächtigten Minister Marien Theresiens am Brüsseler Hofe ernannt. Schon am 16. Dezember 1744 starb die Erzherzogin Maria Anna und bald nahmen die französischen Waffen rasche Fortschritte in den Niederlanden; es erfolgte die bereits erwähnte Schlacht zu Fontenoy (11. Mai 1745), die Einnahme von Fontenoy, Tournay, Gent, Oudenaarde, Dendermonde, Nieuwport und Ath, die Eroberung Brüssels (20. Februar 1746), Mechelns, Löwen's, Antwerpens, Mons', St. Ghislains', Charleroy's, Namur's. Was dieß Unglück der österreichischen Waffen noch förderte, war die Uneinigkeit beim Heere zwischen dem Prinzen Karl, dem Herzog von Cumberland und dem Fürsten von Waldeck. Vergeblich bot Kaunitz alles Mögliche auf, um die so nöthige Einigkeit herzustellen; als er sich überzeugte, daß keine Bemühung fruchtete, bat er, ungeduldig, auf einem verlorenen Posten sich nutzlos abzumühen, Marien Theresien um seine Entlassung. Sie verweigerte ihm dieselbe und gab ihm bloß Urlaub nach Aachen, um in den dortigen Bädern seine Gesundheit wiederherzustellen.

Von dort berief ihn Maria Theresia nach Wien und im Dezember 1747 sendete sie ihn nach London, wo er hinlänglich Gelegenheit hatte, der englischen Politik vollkommen auf den Grund zu blicken, und seine Ueberzeugung von derselben in der kurz vorher erwähnten Weise festzustellen. Wie er namentlich die Stellung der Seemächte zu den österreichischen Niederlanden durchschaute, welche Oesterreich bloß als Bollwerk gegen Frankreich halten sollte, ohne dortselbst seine Kraft frei entwickeln zu dürfen, wie er die Unabhängigkeit Oesterreichs von fremder Bevormundung herbeizuführen suchte, das bewiesen seine Bemühungen zur Aufhebung des Barrierenvertrages von 1718, durch welchen Holland das Recht erhalten hatte, zur Sicherung der Gränzen mehrere Festungen der österreichischen Niederlande, wie Namur, Tournay, Menin, Furnes, Warneton, Ypern und Fort Knocke mit seinen eigenen Truppen, Dendermonde (Termonde) gemeinschaftlich mit österreichischen zu besetzen; wogegen Oesterreich sich noch verpflichten mußte, zur Unterhaltung jener fremden Besatzungen in seinen eigenen Festungen jährlich 500,000 Thaler an Holland zu bezahlen. Nicht mit Unrecht betrachtete Kaunitz diesen Vertrag als einen für Oesterreich schimpflichen, und schlug vor, die reichen Hülfsquellen der Niederlande besser zu benützen, um den Ertrag für die Aufstellung eines eigenen Schutzheeres zu verwenden. Noch kurze Zeit vor dem Abschluß des Aachener Friedens verweigerte er die Bezahlung jener Summe, worin er nur einen schmählichen Tribut erkannte, aus dem Grunde, weil Belgien fast ganz vom Feinde besetzt sei und Marien Theresien gar keine Einkünfte mehr bringe. Diese Vorschläge, welche Maria Theresia billigte, gaben zu sehr heftigen Erörterungen Anlaß, durch welche sie gegen die Seemächte, die nun auch, besonders England, mit größter Anmaßung hervortraten, nur immer mehr gereizt werden mußte. Die Seemächte hielten, da es sich um ihr Interesse handelte, die Aufrechthaltung des berüchtigten Traktates für ein Fundament der europäischen Ruhe, dessen unabänderliche Gültigkeit für unantastbar. Anders dachte Maria Theresia von der Natur der Verträge. Sie erkannte auch darin etwas, das mit dem ewig Werdenden der Staatenorganismen in inniger Wechselwirkung steht. Am Ende erklären die Mächtigen die Natur der Verträge immer so, wie es ihnen jezeitig am gelegensten ist.

Nach dem Abschluß des Aachener Friedens, wobei Kaunitz seinen energischen Eifer für den Vortheil und die Ehre des Hauses Oesterreich ebenso sehr wie seine ausgezeichneten Fähigkeiten bewiesen hatte, begab er sich nach Wien, wo er von Marien Theresien und ihrem kaiserlichen Gemahl aufs Ehrenvollste aufgenommen wurde. Maria Theresia bewies, welchen Werth sie auf ihn legte, durch das Vertrauen, welches sie ihm schenkte. Schon war Bartensteins Einfluß im Sinken; Kaunitz mußte häufig dessen Berichte controliren und verbessern; bei jeder wichtigen Angelegenheit wurde er insgeheim zu Rath gezogen, ohne daß Bartenstein und die übrigen Mitglieder des Konferenzministeriums, ja selbst der Kaiser, eine Ahnung davon hatten, welchen gewaltigen Umschwung der Verhältnisse Kaunitz unermüdlich vorbereitete, und daß er – im entschiedenen Gegensatze zu den Ministern der Höfe von Wien und Versailles – eine Annäherung der beiden Letzteren in's Werk zu setzen bemüht war. Uebrigens darf man immer nicht vergessen, daß Bartenstein schon früher Marien Theresiens Mißtrauen gegen die Aufrichtigkeit der Seemächte erregt hatte.

Um die angesponnenen Fäden zum festen Bande zu weben, ging Kaunitz im Jahre 1750 als österreichischer Gesandter nach Paris. Eine interessante Epoche seines Lebens! Wie er in Frankreich, immer sein Ziel fest im Auge behaltend, der Aufgabe, die er vollbringen will, gleichsam ein Doppelleben lebt, in Versailles ein scheinbar leeres, nichtiges, bloß in dem Höflingstreiben aufgehendes Außenleben, um den König und die Pompadour für seine Person und dadurch für seine Idee zu gewinnen, – in Paris ein feinbeobachtendes Stillleben mit den besten Geistern Frankreichs; wie er zugleich seine Monarchin immer im Eifer erhält, und von Frankreich aus die Behandlung des französischen Gesandten am Wiener Hofe leitet! Eine der feinsten Intriguenkomödien in der Geschichte der neueren Politik! Das Größte zu erreichen, dünkte ihm das Kleinlichste nicht zu gering; er ward äußerlich ganz Franzose, um Frankreich zu Gunsten Oesterreichs zu benützen. Bei einer Annäherung Frankreichs zu Oesterreich rechnete er nicht auf die Stärke des Ersteren, sondern berechnete nur dessen Erschlaffung bei diesem neuen Bunde, dessen Zustandbringung nach der seit den Zeiten Maximilians I. vorhandenen Eifersucht und Feindseligkeit zwischen den Herrscherhäusern Frankreichs und Oesterreichs einem jeden gewöhnlichen Blick wie eine Chimäre erscheinen mußte, sollte nicht Frankreich für sich gewinnen, sondern bloß Oesterreich sichern helfen. Welche Umsicht, welche dialektische und mimische Kunst, welche Geduld und Ausdauer, um an einem Hofe, der, wie von Wahnsinn getrieben, an der Beschleunigung moralischer Verwesung arbeitete, durch alle tausendfältigen Intriguen, durch alle Maskeraden der Erbärmlichkeit und Verworfenheit hindurch, in einem Zustande völliger Rechtlosigkeit und Anarchie, wobei bloß der status quo des Augenblickes galt, – Schritt für Schritt vorandringend, einen Zweck zu erreichen, welcher der ganzen französischen Nation als antinationaler verhaßt sein mußte! Und es gelang Kaunitz in der That, diesen Zweck zu erreichen, die Annäherung Frankreichs und Oesterreichs, nachdem es ihm gelungen war, die Abneigung des Ersteren gegen das Letztere zu überwinden und den Beherrscher Frankreichs zu überzeugen, daß er im Bunde mit Preußen eigentlich nur diesem letzteren diene, daß er sich von Preußen bevormunden lasse! Ein Blick auf das Verhältniß des Königs von Frankreich oder vielmehr seiner durch Kaunitz inspirirten Pompadour zu seinen Ministern macht weniger einen komischen Eindruck, weil für eine solche lebendige Leiche wie Ludwig XV. alles Interesse verloren geht, als der Blick auf das Verhältniß zwischen dem deutschen Kaiser Franz I., dem achtungswerthen Gemahl einer ihn aufs Zärtlichste liebenden Fürstin, zu Kaunitz, der den Ansichten des Kaisers gerade entgegenhandelte, ohne daß dieser es wußte oder hindern konnte. Während der Kaiser mit der größten Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit Rechnungen revidirte, machte Kaunitz einen Strich durch das große Schuldbuch Oesterreichs, worin Frankreich vor allen andern Schuldnern am meisten mit »Soll« belastet war, und vermochte die tugendhafteste Fürstin ihrer Zeit, an eine Maitresse wie die Pompadour, ein Schreiben in den verbindlichsten fast freundschaftlichen Ausdrücken zu richten; eine Herablassung, welche unbegreiflich erscheinen müßte, wenn man nicht die ganze Macht ihres Hasses gegen Friedrich II. in Anschlag brächte!

Die Blüte war in der Knospe ausgebildet, aber die letztere noch geschlossen, als Maria Theresia ihren Gesandten vom Versailler Hofe nach Wien zurückberief; sie fühlte das Bedürfniß seiner persönlichen Nähe, das Bedürfniß, ihn als den vor Allen Befähigten zur Reorganisation ihrer Staaten zu verwenden. War doch sein Werk am französischen Hofe in Bezug auf Oesterreichs äußere Politik so festbegründet vorbereitet, daß der definitive Abschluß durch einen nur halbwegs tüchtigen Diplomaten über allen Zweifeln zu stehen schien. Uebrigens hatte Kaunitz auch für die Heranbildung seines Nachfolgers auf dem französischen Gesandtschaftsposten in seinem Geiste trefflich gesorgt, und deßhalb den Grafen Stahremberg nach Paris zu sich berufen, ihn in Bezug auf sein Verhalten am und zum französischen Hofe praktisch unterwiesen. Somit konnte er denn im Mai 1753 nach Wien zurückkehren und sich dem großen Wirkungskreise hingeben, welchen ihm Maria Theresia bestimmt hatte.

Sie wollte Kaunitz mit jener Machtvollkommenheit an die Spitze des Ministeriums stellen, welche bloß das Vertrauen auf ihn als höchstes Gesetz in der so gut wie absoluten Monarchie beschränkte. – Der Wendepunkt selbst hat etwas Drastisches! Die Sachen sind schon soweit gediehen, daß man ein neues System der Politik (den Bund Oesterreichs mit Frankreich, wovon später noch mehr,) wenigstens in Erwägung ziehen, daß man die Stimmen dafür und dagegen vernehmen kann, zumal, da ja die Beziehungen zwischen beiden Mächten freundlicher geworden, (Kaunitzens große Vorarbeit.) Maria Theresia beruft nun einen Staatsrath. Da sind Uhlefeld, Königseck, Harrach, Bartenstein, und Kaunitz als der Jüngste. Man prüft das neue System gegen das alte, und für das Letztere sprechen sich die Erstgenannten mit großer Wärme und einem nicht geringen Aufwand von Gründen aus. Der zweiundvierzigjährige Kaunitz scheint alles das, was sie für die Fortsetzung eines Bundes zwischen Oesterreich und den Seemächten vorbringen, nicht zu beachten; er schneidet Federn, er läßt seine Uhr repetiren, er ordnet dieß und jenes an seinem nach den Vorschriften der neuesten französischen Mode sorgfältig gewählten Anzug mit solcher anscheinender Gleichgültigkeit und Theilnahmlosigkeit für den Gegenstand der Unterhaltung, daß die lebhafte Kaiserin darüber – wohl nur scheinbar – unwillig wird. Endlich ist das letzte Wort gesprochen, und alle Gründe für den Fortbestand des Bündnisses mit den Seemächten scheinen erschöpft. Da kommt die Reihe an Kaunitz; da erhebt er seine Stimme und die ganze Macht seines Geistes gegen die herkömmlich beliebte Ansicht; immer ruhig bleibend, aber von Grund zu Grund immer schärfer, eindringlicher, immer gewaltiger zur Ueberzeugung hinreißend, so daß die Gegner aus dem Felde geschlagen sind. – Kaunitz wird Minister der auswärtigen Angelegenheiten, und bald darauf geheimer Haus-, Hof- und Staatskanzler; die andern Minister treten unter diesen und jenen Titeln in den Hintergrund; so Uhlefeld als Obersthofmeister; so Bartenstein als böhmisch-österreichischer Vicekanzler, er bekam dagegen einen andern wichtigen Wirkungskreis angewiesen, einen größeren Antheil an der Erziehung des Kronprinzen Joseph (wovon später); die Ministerialkonferenz war erloschen.

Unter Einem noch ein Blick auf Kaunitzens Persönlichkeit! Der britische Geschichtschreiber des Hauses Oesterreich schildert ihn als einen langen, schlanken Mann von guter Haltung; sein Gesicht nicht lebhaft, aber mit einem Ausdruck von viel Verstand und Scharfsinn, die Züge regelmäßig, den Blick durchdringend; den Anzug fein gewählt, das Benehmen »stutzerhaft mit deutscher Schwerfälligkeit«; er zuerkennt ihm außer der Geschicklichkeit im Unterhandeln und dem Talent, die verwickeltsten Händel klar darzulegen, außer der Kunst, seine Geheimnisse vor allen Späheraugen der Diplomaten undurchdringlich zu bewahren, auch eine sehr seltene Tugend, nämlich unsträfliche Rechtschaffenheit »Der Minister solle« (sagte Kaunitz einst am Schlusse einer Instruktion) »unterhandeln, wie die Kaiserin regiere, nämlich also, daß er die Redlichkeit, das gute Trauen und Glauben und die getreue Erfüllung des gegebenen Wortes zum Grund aller Handlungen lege und darin den höchsten Vorzug suche.« – »Die Verstellung« (sagt Flassan, Histoire générale et raisonnée de la diplomatie française) »ging bei Kaunitz nie auf Kosten der Unredlichkeit; seine ausnehmende Zurückhaltung bestand darin, seine Gedanken nicht zu offenbaren, aber nie sagte er, was er nicht dachte.«. Als Schattenseiten Kaunitzens bezeichnet er dagegen eine große Eigenliebe, Ehrgeiz, Eitelkeit und hartnäckiges, herrisches Wesen, das von Anmaßung nicht frei war, – Fehler, welche er als begreifliche Folgen seiner geistigen Ueberlegenheit und seines unbegränzten Ansehens betrachtet. Um diese Schilderung zu ergänzen, sei es erlaubt, theilweise die Ansichten und Worte des Freiherrn von Hormayr anzuführen, der »nur sieben Jahre nach Kaunitzens Ableben in dessen Departement eingetreten, aus den Angaben seiner vertrauten Sekretäre und nächsten Umgebungen geschöpft hat.« Hormayr bezeichnet ihn durchaus nicht als genialischen, aber als einen äußerst talentvollen Mann, bei dem der Verstand unbedingt vorherrschte. Der größten, ernsten, tiefen und durchdringenden Anstrengung fähig, widmete er sein ganzes Leben ernster Arbeit und unausgesetztem Nachdenken, haßte er nichts mehr als Oberflächlichkeit und Selbsttäuschung. »Seine Affektation französischer Art und Sitte war mit einem unaustilgbaren Reste deutscher Steifheit und Pedanterie, aber Gottlob auch deutschen Fleißes, deutscher Gründlichkeit und deutschen Biedersinnes gepaart.« Mußte alles, was er trug, aus Paris kommen, gab er Frankreichs Sitte, Gewohnheiten, Literatur und Gelehrten den Vorzug vor jenen Deutschlands, so war doch in der Verwaltung des Staates »kein lauterer Freund deutscher Sitte und deutschen Sinnes, kein unermüdeterer Verfolger der allzubreiten und allzufeinen französischen Grundsätze und Erziehung, kein eifrigerer Beschützer selbst der trockensten Wissenschaften, wenn er ihrer nur einigermaßen zu seinen großen Zwecken bedurfte.« Ueberhaupt schätzte er Gelehrte und Künstler, zog sie an seine Tafel und brach für ihre ehrenvolle Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft zuerst in Oesterreich die Bahn. Wie er selbst freimüthig war und nie den Meinungen und Launen seiner Gebieter schmeichelte, so achtete er Freimüthigkeit auch an Andern, wenn sie sich auf Talent stützte. Jene Schroffheit, welche Coxe hervorhebt, zeigte er (nach Hormayr) gegen Niemand mehr als gegen Diejenigen, die sich, ohne eigenes Verdienst, auf weiter nichts als ihre Herkunft berufen konnten, und (so muß man hinzufügen) nie hartnäckiger, als wenn er Vorurtheilen Trotz bot. Den schneidenden Gegensatz zwischen seiner ganzen Denk- und Handlungsweise als Privatmann und als Staatsmann schildert Hormayr in folgender Weise: »Es ist nicht anders, als ob jedesmal seine Seele aus sich hinausgetreten wäre, um die großen Geschäfte mit ganz andern Mitteln, nach ganz anderen Grundsätzen zu ordnen, und sich dann wieder zurückzog, um an seiner Person und in seinem Hause gleichsam zu tändeln. Hier erschien er nicht selten eigensinnig, kleinlich, furchtsam streng haushaltend, hin und wieder eitel. Dort war er immer für das Liberale, für das Edlere, für das Größte, bescheiden, wiewohl sehr freimüthig, nie entetirt. Meinungen, die er nicht durchsetzen konnte, ließ er ohne Groll, ohne Empfindlichkeit fallen, und handelte dann mit eben der Loyalität, mit eben der Wärme nach den entgegengesetzten, wenn sie einmal beschlossen waren Der französische Gesandte Aubeterre äußerte sich in dem bereits angeführten Briefe (bei Schlosser a. a. O.) über Kaunitz: » Il s'énonce parfaitement bien et rend très-clairement une affaire. Son goût ne le porte point au travail et il le craint à cause de la foiblesse de sa santé. Le soin de sa personne, qu'il chérit par-dessus tout, prend une grande partie de son tems. Amateur de sa liberté il ne se gêne pour quoi que ce soit, ne rend à personne et ne paroit rien exiger. Souvent il pousse l'indifférence jusqu'à ne point daigner instruire ceux qu'il a obligés des services qu'il leur a rendus. On prétend qu'il est très-attaché à son opinion, qu'il la soutient avec opiniâtreté; ses amis assurent pourtant que si on pouvait lui prouver qu'elle ne valût rien, il l'abandonneroit facilement. Les partis fermes paroissent de son goût. Partisan des usages françois qui conviennent à sa façon de vivre, il voudroit les établir en ce pays-ci. Il fait cas de la nation françoise pour la partie des lettres et des arts, sur tout le reste il paroit peu la priser. Il est extrèmment jalousé par les autres ministres, peu aimé du public qu'il ne ménage en aucune façon. Il est celui qui paroit avoir le plus de crédit sur l'esprit de l'impératrice, et à qui cette princesse témoigne le plus de confiance.«

Dies war der Mann, mit welchem und durch welchen Maria Theresia durchgreifende wohlthätige Reformen in ihren Staaten begann und ausführte. Bevor sich jedoch das Bild dieser Reformen selbst abrollt, ist es von Interesse, an die früher berührten Verhältnisse des Wiener Hofes zu seinen bisherigen Verbündeten, England und Holland, einige Fäden zu knüpfen; ich stelle das Folgende einstweilen als Prolog des diplomatischen Drama's hin, welches unter dem Titel: »das neue System« vom Jahre 1748 bis zum Jahre 1756 gespielt wurde, und an welches sich das blutige des siebenjährigen Krieges anschloß.

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