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»Eine Frau führte Entwürfe aus, die eines Mannes würdig.« Diese Worte Friedrichs II. über Maria Theresia, welche eigentlich nur in Bezug auf ihre Bemühungen um die Reorganisation des Kriegswesens in den österreichischen Staaten gemeint waren, dürfen mit gutem Fug als Motto über den Abschnitt ihrer Geschichte gesetzt werden, in welchem sie, nach Beendigung des Erbfolgekrieges, von bedeutenden Männern unterstützt, die Nothwendigkeit durchgreifender Reformen einsah, um ihre Regierung innerlich zu befestigen und ihre Staaten zu ertüchtigen. Allerdings war hiebei die Aussicht auf einen Krieg vielleicht der nächstliegende Beweggrund. Davon nun abgesehen, ist es erquicklich, nach den Berichten über Kriegsoperationen, nach den Blicken auf soviel Zweideutigkeit und theilweise Perfidie, auf soviel unbegreiflichen und unverantwortlichen Leichtsinn und soviel nichtswürdige Verworfenheit, wie man dies in der europäischen Politik und an den meisten Höfen jener Zeit wahrnehmen mußte, – bei Marien Theresien eine Klarheit des Erkennens, eine Festigkeit des Strebens, eine Redlichkeit des Wollens zu beobachten, soweit dies Letztere nicht unter anerzogenen Vorurtheilen leiden mußte; ja um so erquicklicher, wenn man sieht, wie ein so gesunder Sinn, als ihn Maria Theresia besaß, sich selbst unter der Last solcher Vorurtheile hervorzuringen und aufzurichten bemühte.
Man erinnere sich nur, unter welchen Verhältnissen diese Frau den Thron bestieg, und wieviel sie binnen weniger Jahre in der Schule des Lebens gelernt, wie sich ihr ganzer Charakter herangebildet hatte. Eine Erziehung, welche sorgfältig, aber nach den beschränkten Begriffen jener Zeit angelegt war, und für die außerordentlichen Verhältnisse nicht ausreichte, in welche die junge Fürstin sobald kommen sollte; ein weites Panorama von Hoffnungen, und, soweit der Horizont reichte, plötzlich fast nichts als ein Anblick von Treulosigkeit! Nun ein Anspannen aller Kräfte und Fähigkeiten, ein Abmühen und Abmatten derselben, weil, wenn auch einzelne ehrenwerthe Kräfte ihr zur Verfügung stehen, doch kein System, keine Oekonomie der Kräfte, keine durchgreifende, belebende Idee des Staates; alles anfänglich bloß Interesse der Dynastie, die erst durch die äußerste Noth und Gefahr gleichsam dahingestoßen wird, ihre Sache in der des Staates, die des Staates in der der Nationen zu suchen. Dieser Impuls mußte lebhaft genug durchfühlt werden, um allmälig erkannt, reiflich gewürdigt zu werden bis zu dem Punkte, wo die Einsicht von dem Wechselverhältniß zwischen Recht und Pflicht der Regierenden und Regierten sich ausbilden konnte.
Das Nächste, was Maria Theresia begann, war, daß sie sich um die Neugestaltung eines tüchtigen Ministeriums und um die Sonderung der Elemente bekümmerte, durch deren richtige Stellung zu einander und naturgemäßes Ineinandergreifen das Staatsganze spontane Bewegung erhält. Aber auch sonst war im Großen noch genug voraus zu erwägen und voraus zu schaffen, bevor man tiefer ins Einzelne eingehen konnte. Zunächst Berücksichtigung der großen Faktoren, von denen zwei, Adel und Geistlichkeit, der Monarchie fast über den Kopf gewachsen waren, so daß man sie nicht umgehen, wenigstens nicht genug schonen konnte, während das Bürgerthum, mit allen Fruchtkeimen für die Zukunft, bloß eines schöpferischen Rufes harrte, um aus langem Scheintode zu erwachen. Dann, wenn Alles vom Gesichtspunkte des Staatsganzen betrachtet worden, Berücksichtigung der nationalen Einzelheiten mit allem jeder einwohnenden Eigenthümlichen! Hier lag die große und schwere Aufgabe vor, aus nothwendiger Achtung vor dem geschichtlichen Stamme auch etwaige Auswüchse vorläufig noch mit Schonung zu betrachten, jede Volksindividualität zu respektiren und doch wieder zu versuchen, alle Selbstklänge aus den Dissonanzen zur Harmonie zu bringen. Weiter hinabsteigend von jenem ersterwähnten Gesichtspunkt, ergeben sich dann die mannichfaltigsten Abstufungen der verschiedenartigen innig ineinandergreifenden und einander ergänzenden Bestandtheile des Staatslebens, und somit die Nothwendigkeit einer unglaublichen Menge von Reformen, oder vielmehr nichts Geringeres als der Anfang der Schöpfung einer neuen Welt aus einem unerquicklichen Chaos zusammengewürfelter Bildungsstoffe; da mußten inneres Staatsleben und auswärtige Politik, Kirche und Staat, Hof und Staat, Justiz und Verwaltung, geistige und materielle Interessen, u. s. w. gesondert, jedes Gesonderte als selbstständig anerkannt und ausgebildet werden.
Diese große Aufgabe erfüllte Maria Theresia allmählig, vorsichtig, anfänglich hie und da noch von alten Ansichten und Vorurtheilen befangen, aber von Schritt zu Schritt an Erkenntniß wachsend, an geistiger Ueberlegenheit gewinnend, und wir wollen nun ihr Wirken in den einzelnen Zweigen näher ins Auge fassen.
Zuerst aber die Umgestaltung des Ministeriums, – ebenfalls eine Schöpfung aus dem Chaos; denn ob auch bis dahin einzelne Staatsmänner in ihrem Kreise Achtenswerthes geleistet, – es hatte, so zu sagen, keine Marke eines bestimmten Characters, als Ausdruck einer leitenden Idee; Alles lief mehr gewissermaßen auf augenblickliche Bedürfnisse, auf nothdürftiges Abkommen und Zurechtstellen hinaus. Mit der Wahl Kaunitzens that Maria Theresia einen erfolgreichen Griff des Genies.
Wir wissen, daß der Staatssecretär Johann Christoph von Bartenstein das Vertrauen Marien Theresiens zu Anfang ihrer Regierung besaß, ein Mann nicht ohne Fähigkeiten, aber gefährlich in der Nähe einer unerfahrenen jungen Fürstin. Denn, indem er einen ungemeinen Eifer für das Haus Oesterreich an den Tag legte und seine Gebieterin zu überzeugen suchte, daß sie Selbstherrscherin sein, daß sie alle Detailgeschäfte der Regierung und Politik persönlich leiten müsse, wollte er dabei im Grunde doch sich selbst unentbehrlich machen; er selbst war es ja, von dem sie alle erdenklichen Vorschläge unterbreitet bekam. Maria Theresia lernte übrigens ihre Selbstständigkeit bald immer kräftiger ausbilden, als es Bartenstein lieb sein konnte. Er versah sie, wie Coxe sagt, mit Gründen gegen die Glieder des Staatsraths und vermochte sie zu einem geheimen Briefwechsel mit ihren Gesandten, den er eigentlich führte. Dabei gewann sie nun, bei ihren natürlichen Anlagen, gar bald einen Ueberblick, eine Sicherheit, wogegen Bartenstein für die Dauer nicht aufkommen konnte, und er mußte ihr Vertrauen verlieren, wie er hinter den Fortschritten ihres Geistes zurückblieb, sie mußte, als sie den ihres Vertrauens würdigeren Mann fand, jenen Elementarlehrer in der Politik bei Seite rücken, ohne daß sie jedoch eine Maxime aufgab, welche sie von ihm gelernt, nämlich: für sich allein mit einem Vertrauten im Stillen zu handeln, d. h. die eigentlichen entscheidenden Triebfedern in Bewegung zu setzen, und die diplomatischen Figuranten in ihren gewohnten Stellungen gewähren zu lassen.
So lange Sintzendorff lebte, hatte er vollauf damit zu thun, dem Einflusse Bartenstein's entgegen zu arbeiten, was allerdings keine Kleinigkeit war, wobei aber auch eine Menge Zeit und Mühe für Wichtigeres verloren ging. Nach dem Tode Sintzendorf's, der bei allen Schroffheiten und Fehlern doch einen großen Theil Achtung mit sich ins Grab nahm, war es Bartenstein, derselbe Bartenstein, den man von Seiten der Aristokratie als »Emporkömmling« über die Achsel ansah, und den man von Seiten des großen Publikums nicht liebte, welcher gegen die öffentliche Stimme, gegen die Wünsche des Hofes die Ernennung des Grafen von Uhlefeld an Sintzendorf's Stelle bei Marien Theresien durchsetzte. Siehe Seite 189. Bartenstein stand sich bei dem neuen Conferenzministerium, welches aus Uhlefeld als Staatskanzler, dem Reichsvicekanzler Grafen Colloredo, dem Feldmarschall Königseck und dem Feldmarschall Batthiany, Obersthofmeister des Erzherzogs Joseph bestand, ganz gut; diese Alle behaupteten den Rang und Glanz und ließen Bartenstein allein arbeiten, weil sie theils (mit Ausnahme Colloredo's) seinem Einfluß sich beugten, theils (wie Batthiany, welcher ausschließlich Kriegsmann war,) von der Staatskunst weniger verstanden. Der französische Gesandte am Wiener Hofe, Marquis von Aubeterre, schilderte später in einem Briefe an Rouillé, der im August 1754 das Departement der französischen auswärtigen Angelegenheiten übernahm, (ich nehme die Angabe von Schlosser [Gesch. des 18. Jahrhdts 2 Bd.]) den Vicekanzler Colloredo als einen Mann ohne Kenntnisse, höchst unfleißig, glänzend, im eigentlichen Sinne des Worts ein großer Herr, eitel, dem Kaiser sehr lieb, der Kaiserin gar nicht; Uhlefeld – taub, und ohne allen Einfluß; Batthiany, Militär, ein ehrlicher, aber beschränkter Mann ohne Bedeutung.
Bartenstein sah (wie gesagt) seinen ausschließlichen Einfluß auf Marien Theresien durch eben jenes Mißtrauen gegen allen anderen Einfluß, welches er in ihr zu erwecken gewußt, durch ihren von ihm gepflegten Trieb nach Selbstanschauung und Selbstthätigkeit in kurzer Zeit gefährdet. Sie wollte überall mit eigenen Ohren hören, und es ist wohl ebenso auf Rechnung ihres Geschlechts wie auf die ihrer Redlichkeit zu setzen, wenn sie nicht genug Quellen finden konnte, durch deren Vernehmung sie den Punkt der Wahrheit und Zweckmäßigkeit zu treffen hoffte. So hörte sie auch gerne den Rath des Freiherrn von Wasner, welcher früher lange Gesandter in England gewesen und die Verhältnisse und Absichten des britischen Hofes kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hatte. Glaubte Bartenstein in Wasner einen Nebenbuhler fürchten zu müssen, so war dies auch bei Marien Theresiens Geheimsekretär Koch der Fall, welcher zu vielen Geschäften gebraucht wurde, die Uhlefeld besorgen sollte. So sehen wir Marien Theresien voll emsiger Thätigkeit in ihrem Kabinet, in einem Suchen, Prüfen und Wählen nach dem Manne, der ihres Vertrauens würdig, bis sie endlich Kaunitz findet, der später als fünfter Konferenzminister in das Konferenzministerium eintritt. Hier ist nun der Ort, die früheren Lebensverhältnisse dieses merkwürdigen Mannes zu überblicken.