Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)
Don Adone
Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Wie Madonna Sirena, der während dessen die Befreiung des Mönches oblag, selbst wieder ins Freie kommen würde, hatte sie sich folgendermaßen ausgedacht: sie wollte zunächst dem Mönche, sobald sie in seine Zelle gelangt sein würde, den Ort nachweisen, wo der alte Schließer seinen Schlüsselbund hinzuhängen pflegte. Der durch sie Befreite sollte dann seinerseits ihr wieder heraushelfen, nachdem Griso sich völlig zur Ruhe begeben haben würde. Da die Portierloge nach damaligem Brauch kein Thürschloß hatte, war dieser Plan keineswegs unausführbar, vorausgesetzt, Griso sei heute nicht munterer als gewöhnlich, was sich bald zeigen mußte, und wonach sie die Veranstaltungen zu ihrer eignen Wiederbefreiung weiter bemessen wollte.

Mit diesem Feldzugsplan im Kopfe ging sie nach der Portierloge und öffnete die Thür. Drinnen war es fast dunkel. Griso, zum Schein eingenickt, saß hinter der Thür auf einem Stuhl und fuhr im Tone eines erschrocknen und etwas rauschigen Schläfers auf: 358 Wer ist da? Holla! wer ist da? Ladri! mariuoli! scioperoni! Spitzbuben, Schelme, Müßiggänger!

Madonna Irena ists, gab die auf der Schwelle stehende zur Antwort; schließ mir das Gefängnis auf, Alter.

Verzeiht, Eccellenza, verzeiht.

Schon gut, Griso.

Soll ich . . . Zecco rufen, Eccellenza? – Er stand wie schlaftrunken auf.

Weshalb?

Ihr wolltet ja . . . verzeiht, Eccellenza . . . ich bin wohl noch halb im Traume . . .

Was hast du dem Mönche verabreicht?

Brot, Eccellenza . . . Brot . . . viel Brot.

Und Wasser; ich sah ihn trinken.

Oi bò, Eccellenza! einen Krug guten Terminiweins, Eccellenza; der arme Schlucker schien mir halb ausgetrocknet zu sein; guten Syrakuser Weins, ich half ihm trinken, Eccellenza. Oi bò, Wasser? Fi! Fi!

Das war brav von dir. Hier nimm. Der leiblichen Kost wird er jetzt entraten können. Ich will ihm ins Gewissen reden.

Sie griff in die Börse, und der alte Schließer – von dem Marchese dahin instruiert – sträubte sich gegen ihre Spende auch nicht allzu sehr.

Er ist berauscht, sagte Sirena frohlockend zu sich, und mein Geld wird ihn in solcher Verfassung noch minder schwierig machen. Alles geht nach Wunsch.

In der That war Griso, sobald seine Finger die reichliche Spende glücklich in die Tasche gebracht hatten, die Holdseligkeit selbst. Kommt, kommt! lallte er, aber Ihr müßt Euch einschließen lassen. Das sage 359 ich Euch, Eccellenza. Bei mir geht alles streng nach der Regel. Und wenns der heilige Petrus wäre, der drinnen sitzt, und unser heiliger Vater käme, ihn zu besuchen, einschließen müßt ich den heiligen Vater, ebenso wie Euch, Eccellenza. Einschließen müßt ich ihn.

Es dauerte eine Weile, ehe er den rechten Schlüssel, und dann, ehe er das Schloß des Gefängnisses fand. Endlich saß der Schlüssel aber im Schlosse, und im nächsten Augenblicke stand Sirena in dem nur vom Sternenlichte und seinem unsichern Widerschein im Meere matt erhellten Raume.

Don Adone hatte vorhin einen kleinen Teil der auf der Terrasse gepflognen Unterhaltungen mit angehört. Daß sich die drei Damen – wie er annahm, auf Antrieb des Governatore – für das Entkommen jenes Fra Ippolito, von dem der Steckbrief redete, interessierten, glaubte er verstanden zu haben. Das klang nicht übel. Dagegen war er einigermaßen beunruhigt, daß der vermeintlichen Beata daneben nur ganz obenhin gedacht worden war; er hoffte aber, die Verheißungen des Governatore würden sich auch, was sie anlangte, schon mit der Zeit bewahrheiten.

Du bist Fra Ippolito? sprach Sirena den im Dämmerdunkel von seinem Sitze sich aufrichtenden Mönch an.

Ihr sagt es, Eccellenza, gab Don Adone zur Antwort.

Ich komme zum Zweck deiner Befreiung, fuhr die Eingetretne in leiserm Tone fort, indem sie durch Zeichen zu verstehn gab, der Schließer sei zwar in unzurechnungsfähigem Zustande, stehe aber draußen auf der Lauer.

360 Ihr seid eine mitleidige Seele! antwortete Don Adone gedämpften Tons, und wenn der gute Governatore vielleicht auch Sorge tragen möchte, daß Fiam . . . ., daß Schwester Beata, meine ich, ihre Freiheit wiedererlangt, so ginge alles besser, als ichs zu hoffen wagte.

Du hast deine allerdings erst kurze Gefangenschaft nicht zum besten benutzt, gab Donna Sirena scharf zur Antwort, indem sie hinzufügte, sie bitte, den Tyrannen von Castellammare nicht gegen sie zu erwähnen; was sie thue, thue sie gegen dessen Willen. Ich glaubte übrigens, fuhr sie fort, du würdest mich mit der Versicherung empfangen, daß du zwar nicht die Flucht aus dem Kloster bereutest, wohl aber diese unziemliche Genossenschaft. Wie kommt ein ernster Mann auf den Einfall, sich bei dem Wiedererobern seiner Freiheit auch noch mit einem Frauenzimmer zu beladen? Man sagt von den Affen, um sie zu fangen, brauche man nur eine Hand voll Datteln in ein Gefäß zu schütten, durch dessen Hals die leere Hand wohl hinein, aber die volle nicht wieder herausgelange. Auch du, Fra Ippolito, möchtest wohl lieber zu dauernder Gefangenschaft verurteilt bleiben, als ohne die Datteln abziehn?

Don Adone war einigermaßen verdutzt. Ich meine nur, wandte er vorsichtig ein – denn es kam ihm vor, als hänge die Gunst der vornehmen Dame an einem gar dünnen Fädchen –, sie ist doch einmal meine . . . Leidensgefährtin.

Das läßt sich hören, sagte Donna Sirena, schließt wenigstens nicht aus, daß sich dein Gefühl für sie jetzt nur noch auf bloßes Mitleid beschränkt. Ich kann bei dem spärlichen Licht, das hier eindringt, 361 deine Züge nicht erkennen. Nach deiner Stimme zu urteilen, bist du aber noch ganz jung, ich könnte den Jahren nach wohl deine Mutter sein. Laß mich darum in dem Tone einer Mutter zu dir reden, denn von deinen Antworten, junger Mann, hängt alles weitere ab. Dann muß ich aber fragen: Wie in aller Welt bist du so früh in eine solche Thorheit hineingekommen? Ich schäme mich wahrlich meines Geschlechts! Muß ihm denn jeder Jüngling seinen Tribut zahlen? Hattest du denn gar keinen Ehrgeiz, Ippolito? Fehlte es dir denn ganz an Thatendurst? Daß du dich ins Kloster hast stecken lassen, dafür bist du vielleicht nicht verantwortlich. Wer weiß, wie früh du dort hinein geraten bist! Aber welche Schwächlichkeit, in der Haft der Klausura neben der Freiheit – dem höchsten Menschengut – noch irgend etwas andres als ersehnenswert gelten zu lassen! Ein rechter, männlicher Stahlgeist hätte sich, wie der Vogel im Käfig, an den Gittern seines Kerkers den Kopf blutig gestoßen. Aber zugleich vor Nestbaubedürfnis krank geworden – das wäre er nicht.

Don Adone hätte sich am liebsten mit Leib und Seele verschworen, sein Lebtag sei er nicht auf den Gedanken gekommen, sich mit einem Weibe einzulassen, aber zur rechten Zeit fiel ihm ein, daß er ja Fra Ippolitos Rolle – und zwar nicht als der Bruder Beatas – fortspielen solle, und so sagte er beschönigend, indem er sich gern an eine wirklich erlebte Geschichte hielt: Ich hatte früher einmal eine Meise, Eccellenza, die machte es ganz, wie Ihr mir zumutet. Als ich aber dem armen Tierchen ins Freie verhalf, war es ihm vor allem um eine kleine Meisin zu thun gewesen, die draußen immer gepiepst hatte, und keine 362 Woche war herum, so merkte ich schon, daß beide einig waren.

Donna Sirena schüttelte die aschblonden Locken. Du thust mir leid, sagte sie, und auch ich thue mir leid – warum? Weil ich meinem Bruder gar zu gern einen rechten Tort angethan hätte. Aber weshalb soll ich einem Wesen zur Freiheit verhelfen, setzte sie hinzu, dem nichts dringender am Herzen liegt, als sich ihrer baldmöglichst wieder zu begeben?

Don Adone erschrak. Er suchte sich herauszureden. Da habt Ihr mich aber doch wohl falsch verstanden, sagte er.

Deine Meisengeschichte war, denk ich, deutlich genug. Doch gut, gehn wir der Sache etwas näher auf den Grund. Hast du jemals etwas von dem unglückseligen Manne gehört, der sich Petrus Abälardus nannte.

Nein, Eccellenza; ist er von hier?

Nicht doch, Ippolito. Er lebte in Frankreich.

So kenne ich ihn nicht.

Und ist auch längst tot.

Nein, Eccellenza, so kenne ich ihn durchaus nicht.

Ich fragte nicht, ob du ihn, ich fragte, ob du seine Geschichte kenntest. Da dies nicht der Fall ist, laß dir sagen, wie es ihm erging. Er war ein Mann von ausgezeichneten Gaben, scholastischer Philosoph und Theolog. Starken Geistes hatte er die Wissenschaft zu seiner Geliebten erkoren. In mancherlei Streitigkeiten über Glaubenspunkte verwickelt, schwebte er oft in Gefahr, ging aber aus jeder solchen Bedrängnis mit wachsendem Ansehen und gefestigtem Charakter hervor. Er war ein Lehrer von hohem Ansehen: einer seiner Schüler wurde Papst. Nun 363 merke auf. Petrus Abälardus war achtunddreißig Jahre alt geworden, ehe es einem Weibe gelang, ihn zu fangen. Was, sage mir, hätte aus ihm werden sollen, wenn er sich schon in seinem zwanzigsten Jahre wie du in Myrten hätte betten wollen!

Don Adone war sich bewußt, nie einen solchen Plan gehegt zu haben. Aber die Warnung des Marchese saß ihm im Nacken, und so antwortete er: Ich muß Euch vollkommen beistimmen, Eccellenza, aber gestattet mir ein Zitat. Ein Weiser des Altertums, dem man ganz ähnliches erzählte, that die Gegenfrage: »Ging es jenem Unglücklichen denn nicht gerade deshalb so schlecht, weil er schon so steinalt war, als er sich noch verliebte?«

Du scheinst mir ein unverbesserlicher Windbeutel zu sein, entgegnete Donna Sirena dem Mönche in gereiztem Tone; entgeht dir denn so völlig, wo der Schwerpunkt der Geschichte Abälards liegt? Doch gewiß nicht an und für sich in dem Ungemach, das er erduldete. Unzähligen Narren ist das Nämliche begegnet. Aber hat die Nachwelt darum für alle diese Narren Thränen? Beileibe nicht. Weshalb greift sie denn mit ihrer Teilnahme noch heute auf ein Privatunglück zurück, über das so viele Jahrhunderte lang schon Gras gewachsen ist? Warum? frage ich. Und ich antworte: weil der davon Betroffne ein bedeutender Mensch war. Das zu werden, dazu gehört aber Zeit, Arbeit, Zucht. Mit zwanzig oder meinetwegen zweiundzwanzig Jahren ist man noch ein bloßer Gelbschnabel. Überlege das.

Don Adone hatte ein Gefühl, als drücke ihm Don Angiolo Zoppo, der grobe Einsiedler, den Hut über Augen und Nase.

364 Er hielt für das beste, zu schweigen.

Und so fuhr Sirena denn in etwas schonenderm Tone fort: Du siehst, ich nehme kein Blatt vor den Mund. Wozu auch? Wer sein eignes Geschlecht nicht schont, sollte einen vom andern Geschlecht schonen? Nichts liegt mir ferner. Im Gegenteil! Geradezu erkläre ich dir: ich sehe deinen gegenwärtigen Zustand für eine Kinderkrankheit an. Und warum darf ich so reden? Weil ich über die Mängel des weiblichen Geschlechts klarer bin als die Mehrheit der Menschen; scheint doch alles Böse, was die Weiber anrichten, die Männer nur noch mehr zu umnebeln; mehrt doch jede Thorheit, auf die die Weiber verfallen, ihre Macht über das in Betracht seiner Widerstandsfähigkeit wahrlich nicht starke Geschlecht; möchte man doch in der That dem hypochondrischen alten Kirchenvater beistimmen, der den von Gottvater gegen Adam geschleuderten Paradiesesfluch: Dornen und Disteln soll dir dein Acker tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen, in die Worte zusammenfaßte: Kurzum, du sollst zur Strafe, daß du dich mit Eva einließest, ein Esel sein und bleiben. . . . Übrigens würde ich die letzte sein, den Weibern alle und jede gute Seite abzusprechen; doch fällt, was zu ihren Gunsten zu sagen ist, sehr wenig ins Gewicht, und soll ich meine ganze Meinung aussprechen, so schätze ich an ihnen eigentlich ohne jeden Vorbehalt nur das eine: daß ich keine von ihnen zu heiraten brauche.

Sie machte einen Gang durch das Zimmer und begann dann von neuem:

Unter solchen Umständen, Ippolito, stimmt es gewiß nur mit allem, was ich vorausschickte, wenn ich das Recht beanspruche, über deine Befreiung 365 hinaus – für den Fall ich sie ins Werk setze – noch eine Weile nicht sowohl für deine Sicherheit als für die Vervollständigung deiner innern Umwandlung Sorge zu tragen. Meine Dienerschaft ist anhänglich und zuverlässig. Mein Landsitz liegt im allerrauhesten Teile des Monte Ceriti. Niemand sucht dich dort. Mein einziger Hausfreund, ein alter Pfarrer, ist Freigeist. Dahin also würde ich dich in meiner Maultiersänfte führen. Aber ohne ein bündiges Gelöbnis deiner Umkehr zu einer ernstern Auffassung des Lebens thue ich für dich keinen weitern Schritt.

Don Adone hatte längst auf eine Pause gepaßt, um womöglich dann doch zu zeigen, daß die wunderliche Dame zu ihm in einem ganz falschen Tone spreche. Was meine Reue betrifft, sagte er demnach, so ist ihre Aufrichtigkeit Euch vielleicht am glaubhaftesten zu machen durch die Versicherung, daß ich, während Ihr mir so menschenfreundlich ins Gewissen redetet, mir unablässig die bisher von mir verachteten, jetzt aber von mir hochgehaltnen Worte jenes alten Weltweisen wiederholte, der auf die Frage, ob man heiraten solle, die Antwort gab: »Ist es ein Junger – so heirate er noch nicht; ist es ein Alter – so heirate er nicht mehr.«

Ich freue mich deiner Belesenheit, versetzte Donna Sirena, wie wenig mir der schmutzige Diogenes, der diesen Ausspruch gethan hat, auch sonst sympathisch ist.

So erlaubt, sagte Don Adone, daß ich mit einem Zitat aus einem saubrern Schriftsteller aufwarte. Was ich von Jugend und Schönheit, den zwei Hauptverführungsmitteln der Weiber, halte, wird Euch danach nicht mehr zweifelhaft sein. Ein Römer wurde befragt, warum er sich von seinem Weibe geschieden 366 habe, da selbiges doch jung und schon sei. Hierauf gab er Bescheid, indem er seinen Schuh vom Fuße zog und den Fragern entgegenhielt: »Ist dieser Schuh nicht schön, und ist dieser Schuh nicht auch jung? Und kann er mich möglicherweise demungeachtet nicht doch recht unleidlich drücken?«

Sirena lachte. Vortrefflich! sagte sie; wenn sich doch alle Männer über die Trüglichkeit des schönen Scheins, soweit die Weiber in Betracht kommen, so aufrichtig aussprechen möchten! Es gäbe nicht so viele Betrogne ringsum. Daß du wirklich in Beata nur noch die Leidensgefährtin siehst und deshalb um sie bangst, beginnt mir allmählich glaubhafter zu werden. Freilich, du hast bis jetzt nur noch von der Jugend und der Schönheit als den Verführungsmitteln gesprochen, deren sich die Weiber mit dem meisten Erfolg bedienen. Aber Iddio in seiner Unerforschlichkeit soll uns auch mit Witz und geistiger Behendigkeit – so behaupten die Männer – ausgestattet haben. Fühlst du dich gegen diese thörichte Annahme ebenfalls gesichert?

Don Adone glaubte eine Schlinge zu wittern.

Eccellenza, sagte er vorsichtig, in seiner berühmten Rede über oder eigentlich gegen die Einmischung der Weiber in Staatsgeschäfte kommt der weise Cato zu folgendem Ausspruch: »Von dem Augenblick an, wo die Weiber in ihrer rechtlichen Stellung anfangen werden, euch Männern gleich zu sein, werden sie euch auch überlegen sein . . .«

Und was folgerst du aus dem thörichten Gewäsch jenes alten Narren? fragte sie.

Ich folgere daraus, sagte Don Adone stotternd – denn er fühlte sich sehr unsicher –, daß dieser 367 sein Ausspruch, eben weil er von sonst so weisen Lippen floß, dabei aber in der That . . . wie soll ich sagen? thöricht oder dunkel oder schwer verständlich ist, daß dieser Ausspruch also – will ich sagen – einen neuen Beleg für den erfahrungsmäßigen Satz liefert: Der Gescheiteste wird zum Narren, wenn er über Weiber redet – Ihr begreift, Madonna, daß ich Euch gern selbst das letzte Wort in dieser Sache zugestehn möchte.

Sirena bekannte, daß sie eben vorher gefürchtet habe, er selbst beginne für jenen Erfahrungssatz einen Beweis abzugeben. Halte aber mit deinen Gedanken nicht zurück, sagte sie.

Vielleicht, suchte Don Adone sich herauszureden, da er sich jetzt nur noch unsichrer fühlte, vielleicht wäre es schicklich, dieses Thema durch einen Hinweis auf das, was die Alten den ewigen innern Widerspruch nannten, abzuthun. Ich will mich darüber in einigen Beispielen verständlicher zu machen suchen. Als Bion die Wahrsager mit Feuer und Schwert verfolgte, rief ihm der Philosoph Menedemos zu: »Du erwürgst Tote.« – Und doch leben die Wahrsager noch heute, und sogar die klügsten unsers Geschlechts leihen ihnen gern das Ohr. – Der große Tonkünstler Dionysodoros pflegte mit Stolz zu behaupten, keine der von ihm ersonnenen Melodien sei je auf einem Schiffe oder an einem Brunnen gehört worden. Und doch hat es andern Dichtern und Liedersängern vor und nach ihm immer für eine Ehre gegolten, wenn auf Straße und Markt alt und jung ihre Strophen nachsangen und sich an ihnen erlabten. – Was will ich damit beweisen? Daß es viele Meinungen giebt und nirgend eine Gewißheit über ihre Berechtigung. 368 Der beste kann im Irrtum befangen sein, also auch Cato, also auch ich, ja auch Ihr selbst, Eccellenza. Von Sokrates wird berichtet, er habe den Jünglingen empfohlen, sich oft im Spiegel zu sehen, denn, habe er hinzugefügt, »seid ihr schön, so wird der Spiegel euch sagen: betragt euch demgemäß; seid ihr aber häßlich, so ermahnt er euch zur Bildung euers Geistes, um durch diesen vergessen zu machen, daß ihr häßlich seid.« – Hinwieder verbot Polemon seinen Schülern den Spiegel, da jeder ihn schon so zu hängen wisse, daß nicht die Wahrheit dabei herauskomme. – Wer hatte Recht? – Lakydes lehnte die Einladung des Königs Attalos mit der Bemerkung ab: »Man muß Könige und Gemälde nur von weitem beschauen.« Dagegen rühmte Zenon die Weltklugheit, die er sich aus seinem nahen Umgang mit König Antigonos erworben habe. – Aus Liebe zu den Kindern, so behauptete Krates, habe er sich mit der Cynikerin Hipparchia verbunden. Als man aber den Tales fragte, warum er nicht heirate, gab er zur Antwort: »Aus Kinderliebe!« – Wer hat Recht? Wer hat Unrecht? Weiß es Cato? Weiß ich es? Wißt Ihr es, Eccellenza?

Madonna Sirena dachte: Wenn ich hier diesem merkwürdigen Querkopf Rede stehe, so können wir Griso bis an der Welt Ende draußen warten lassen. Welcher Fund aber, dieser immer zum Disputieren aufgelegte und augenscheinlich ohne Mühe leitbare junge Mann! – Und so antwortete sie denn: Lassen wir für jetzt die Frage abgethan sein, und reden wir nur noch kurz von den Studien, die dir zu Ruhm und Ansehen verhelfen sollen. Ich bin im Besitz einer reichen Bibliothek, auch pflege ich den armen 369 Leuten, die keinen Doktor bezahlen können, Medikamente zu verabreichen. Im gleichen fertige ich Streitschriften für Prozessierende aus, da ich Freude an dem Entwirren verwickelter Rechtsfragen habe, und meine Klienten über das ganze Golfufer verstreut wohnen. Von astronomischen und astrologischen Beschäftigungen findet sich ebenfalls zeitweilig dies und das. Mit einem Worte: du hast bei mir die Auswahl. Wenn ich nicht irre, ist dein vorhin erwähnter Gewährsmann, der mit dem Worte »steinalt« so früh bei der Hand war, kein Geringerer gewesen als Hippokrates. Bist du etwa der Krankenpflege kundig?

Ich kann leider Eure Frage nicht bejahen, erwiderte Don Adone, wohl aber darf ich behaupten, eine Menge theoretischer Kenntnisse auf dem Gebiete der Krankheitserscheinungen zu haben.

Zum Exempel?

Zum Exempel ist mir die Art, wie Pamphigus behandelt werden sollte, recht wohl bekannt, und wenn ich einen mir nahe, sehr nahe befreundeten Patienten – er zuckte unwillkürlich, denn die Nesseln und der Dornenbusch waren noch nicht verschmerzt –, schon seit gestern mit diesem schmerzhaften Übel behaftet, ohne Anwendung von Medikamenten umherlaufen lasse, so war bisher nur der Mangel einer Apotheke schuld daran.

Ich gratuliere dir. Kenntnisse sind der beste Panzer gegen Verführungen, sagte Donna Sirena wohlgefällig, aber was verstehst du unter Pamphigus?

Blattern, Eccellenza.

Wirkliche Blattern?

Keine wirklichen, vielmehr das, was man gemeinhin Pusteln nennt.

370 Also das, woran die Pfleglinge Tommasas drüben im Ursulinerkloster zu leiden pflegen, lachte Sirena.

Leider muß ich fürchten, sagte Don Adone, im übrigen vorzugsweise über die Behandlung solcher Krankheiten gelesen zu haben, die an diesem schönen Ufer kaum jemals vorkommen.

Zum Exempel?

Zum Exempel: die Konstipation.

Madonna Sirena nahm sich zusammen, um nicht abermals zu lachen. So ungelehrt ich bin, sagte sie, so glaube ich doch dir hier widersprechen zu können. Man hat für dieses Übel an unserm Golf einen landläufigern Namen, dessen ich mich freilich in diesem Augenblick nicht entsinne, der aber nicht existieren würde, wenn das Übel selbst nicht existierte.

Sie stand sehr erheitert auf.

Ich habe meiner weiblichen Schwäche, dem Vielreden, sagte sie, schon allzu kostbare Minuten geopfert. Hier ist mein Burnus, Frate Ippolito. Lege in dem finstern Winkel dort deine Mönchskutte ab; hülle dich dann völlig in meinen Burnus ein, und laß dir während dessen genau sagen, was dir draußen weiter obliegt.

Don Adone zog sich mit lebhaften Danksagungen in den dunkeln Winkel zurück, und Donna Sirena gab, während sie am Gitterfenster den sich draußen immer noch umhertreibenden Schließer beobachtete, dem Mönche nun, indem sie gedämpften Tons über die Achsel sprach, alle Weisungen, die er zum Zwecke auch ihrer Befreiung draußen zu befolgen haben würde.

Dann, nachdem Donna Sirena in die Mönchskutte hineingeschlüpft war, rief sie den Schließer 371 herbei, damit er sie hinauslasse, und während sie sich darauf dem die Thür öffnenden Alten im Hintergrunde des dunkeln Gemachs, ohne zu reden, zum Zwecke der Revision als Fra Ippolito präsentierte, schritt Don Adone, in den leuchtend roten Burnus gehüllt, im Sternenschein mit einem in hohem Tone gesprochnen: Va bene! an Griso vorüber und verschwand spornstreichs hinter den Gebüschen des Gartens. 372

 

 


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