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Das Haus der Signora Trasi hatte bei ihren Lebzeiten nie so viel Gäste beherbergt, als am Tage ihrer Bestattung dort zusammen kamen. Sie war allerdings keine angenehme Wirtin gewesen, wenigstens keine, auf deren Art und Weise sich zählen ließ. In der That überstiegen ihre boshaften Einfälle zu Zeiten alles irgend Glaubliche, vor allem, seit ihr Mann gestorben war, und sie ihren Grillen völlig freie Zügel lassen konnte.
So war es bei einem Mittagmahl, das sie veranstaltet hatte, vorgekommen, daß sie heimlich den Nachtischwein mit Kanthariden versetzt hatte, was ihren Gästen noch wochenlang die größten Belästigungen verursacht hatte. Ein andres mal hatte sie zur Zeit der Feigenschnepfen für drei der berüchtigtsten Leckermäuler von Sant' Aniello eine so gewaltige Menge fetter Schnepfenpasteten auftischen lassen, daß alle drei ihre Eßlust beinahe mit dem Leben bezahlt hätten. Auch ging die Sage, sie habe einmal zwei Kapuziner aus ihrer Nachbarschaft in ihrem Weinkeller erwischt und sie dort volle vierzehn Tage eingesperrt gehalten; allerdings zu deren fröhlichster 18 Muße, da Signora Trasi damals drei Fässer vortrefflichen Bajäweins in Flaschen liegen hatte, aber doch kaum zu dauernder Wohlthat für Leib und Seele der Eingesperrten, da diese an sonstigen Lebensmitteln lediglich gesalzene Fische erhalten hatten. Daß ihre Gäste häufiger als billig mit Stühlen zusammenbrachen, durch plötzliches Rauchen aller Kamine hinausgetrieben oder von unvermerkt herankriechenden Spinnen, Hirschkäfern, Skorpionen und sonstigem Gezücht in Angst versetzt wurden, das war eine nicht minder bekannte Sache; ebenso daß unter ihnen immer irgend welche Raufereien ausbrachen – durch welche wohlberechnete Veranstaltung, das wußten die Gäste selbst nicht zu sagen. Genug, da solche Vorfälle immer mehr die Regel, ungetrübt verlaufende Zusammenkünfte aber die Ausnahme zu bilden begonnen hatten, so war der gesellige Verkehr im Hause der alten Dame von Jahr zu Jahr ein immer beschränkter geworden. Man hielt sie für närrisch oder aber für besessen, und der Auftritt bei ihrer endlichen Beerdigung nahm die wenigsten wunder.
Dennoch kamen solche Dinge wie der Teufelsspuk in ihrem Sarge denn doch nicht so häufig vor, daß man sich am Tage nach dem Vorfall die Mühe hätte verdrießen lassen, im Sterbehause zu herzlicher Beileidsäußerung und zu beiläufiger Ausforschung Don Adones und Fiammettas einzusprechen.
Das von dieser hergerichtete Totenmahl fand deshalb zahlreichen Zuspruch. Man wollte anfangs zwar nur kosten, kam dann aber von den blau gesottnen Merluzzen und Triglien an die Schüsseln mit den bräunlich gebacknen Palajas und Kapitonen; meinte darauf die als Frittura schmackhaft zubereiteten 19 Schwämme nicht verschmähen zu dürfen, wobei geschmorter Broccoli nebenbei belobt und zwar nicht allein belobt wurde; der eine erbarmte sich dann noch eines saftigen Zuffrittos, eines Ragouts aus Herz, Leber, Lunge, Milz und Magen des Schweines, denn schon die Ferkel der Signora Trasi, so hieß es, seien ja mit Orangeabfall gemästet, und die Wirkung dieser Fütterung müsse füglich herausgeschmeckt werden; der andre langte nach einer Schüssel Braccinoleklöße aus gehacktem Lammfleisch, die, so wurde laut gerühmt, nirgend anderswo als im Hause der Signora Trasi in so gutem Schmalz gebacken und so appetitlich mit Pinienkernen, Rosinen, Citronat und einer Pomme-d'oro-Sauce ausgetragen würden; wieder andre verknabberten das Backwerk Fiammettas, ihre schön bezuckerten Zeppolin und ihre gewürzreichen Pizzas; und Fra Ambrogio selbst, der behagliche Pater des Örtchens, hatte sichs gar in den Kopf gesetzt, mit dem Sorrentiner Wundarzt, Barbier und Apotheker, dem stattlich beringten Dottore Bourja, um die Wette die Jahrgänge der unterschiedlichen Weine seines verstorbnen Beichtkindes gewissenhaft festzustellen.
Fiammetta, sagte Don Adone zu seiner kleinen krausköpfigen Hausgenossin, als gegen Abend endlich der letzte Gast das Trauerhaus geräumt hatte, und die rastlos Thätige in ihrem Putz – seidnem buntschillerndem Rock, weißem Schürzchen und roter Tuchjacke, dazu einer silbernen Nadel im Haar und goldnen Gehängen in den Ohren – schmunzelnd mit aufgestemmten Armen dastand – denn mit dem Lobe wenigstens hatte keiner gekargt –, Fiammetta, sagte also Don Adone, laß alles jetzt stehn und liegen und komm auf ein Viertelstündchen mit mir aufs Dach.
20 Zu der Zeit des Vizekönigs waren die Dächer der Häuser um den Golf von Neapel nämlich schon gerade so flach oder doch nur nach der Mitte zu mäßig erhöht wie heute. Sie dienten nicht nur den Tag über zum Wäschetrocknen und zum Ausbreiten des noch nicht völlig reifen Getreides, sowie zum Ausklopfen des Senfstrohs, zum Dörren der Feigen und zu manchen andern wirtschaftlichen Zwecken, sie boten auch, ganz wie sies heute noch thun, sobald die Sonne nicht mehr allzu lästig war, den erwünschtesten Aufenthaltsort für die Hausgenossen. Wenn sich abends die Landschaft ringsum in die glühenden Farben des Sonnenuntergangs tauchte, wenn über das tiefblaue Meer das ferne Neapel mit seinen gelbgrauen, kaum erkennbaren Häusermassen herüberschimmerte, links die langgestreckte Insel Procida und das hochgetürmte Felseneiland Ischia winkten, rechts der reiche Kranz von Städtchen und Flecken, Portici, Torre del Greco, Pompeji – nein, Pompeji lag damals noch unter der Asche – aber Annunziata mit den Zwillingsbergen Somma und Vesuv als blaugrau verduftender Hintergrund das Rundgemälde vervollständigten, und näher an Sant' Aniello und Sorrent heran die malerischen Kalksteinmassen des Piccolo Sant' Angelo die volle Purpurglut des dem Meere senkrecht zusinkenden Sonnenballs auffingen, während ringsum aus den grünen Orangen- und Citronengärten, den sogenannten Masserien, das letzte Lied der Vögel ertönte, und in den vielen weit umhergestreuten Kirchlein und Kapellen das Ave-Maria-Läuten anhob – da belebte sichs auch – gerade wie es noch heute allabendlich geschieht – auf den Dächern im ganzen Umkreise dieses paradiesischen Meerbusens, und jeder liebte es, nach des 21 Tages Mühen sich dort in der Abendkühle zu erquicken.
Fiammetta, sagte also Don Adone, komm auf eine Viertelstunde mit mir aufs Dach.
Einen Tisch mit allerlei festlichen Leckerbissen ausstatten ist ohne Zweifel ein ganz erfreuliches Geschäft. Ihn aber wieder abräumen, nachdem der Zahn der Gäste verwüstend darüber hergefallen ist, und die halb geleerten Schüsseln nun wie geschleifte Festungen oder abgetakelte Schiffe dastehn, während der verschüttete Wein und die unter den Tellerrand geschobnen kleinen Knöchlein und Gräten an ein von Kannibalen eben verlassenes Schlachtfeld gemahnen, das ist ebenso unzweifelhaft eine wenig erfreuliche Verrichtung.
Und somit ließ Fiammetta mit großer Bereitwilligkeit alles stehn und liegen und folgte ihrem Herrn aufs Dach.
Sie war sechzehn Jahre alt und hatte eins der fremdartigen Gesichter, die, wie ihr wisset, vor allem auf der Seite von Amalfi, Atrani und Scala häufig zu sehen sind und für die starke Vermischung der süditalienischen Bevölkerung mit ägyptischen und maurischen Elementen zur Zeit der Sarazenenherrschaft als redende Beweise dienen sollen. Pater Ambrogio, der ehemals in Atrani amtiert und über diese Blutmischung ernste Forschungen angestellt hatte, zählte Fiammetta sogar zu den schon selten werdenden Exemplaren der Vermischung blonden Normannentums mit wollhaarigem Afrikanertum. In der That hatte Fiammetta, wenn auch nicht breit aufgeworfne, so doch ungewöhnlich schwellende Lippen, eine sehr tief brünette Hautfarbe und nahezu wolliges pechschwarzes Haar; nicht minder schwarz waren ihre sehr ungleich 22 geformten Augenbrauen und ihre langen, schwungvoll aufgeschlagnen Wimpern. Aber die Farbe ihrer Augen selbst war von dem lichtesten Blau.
Maler hatten sie vor Jahren ein schätzenswertes Original genannt und sich die Mühe genommen, sie zu malen; denn die niedrige Stirn, meinten sie, und die keck angelegte kleine Stumpfnase, das stimme gar nicht so übel; auch das rundliche Kinn sei gut geformt und gebe dem knapp zusammengedrängten Gesichtchen eine gewisse frisch-frei-fröhliche Beherztheit. Nur freilich die Augenfarbe – die stimme schlecht zu dem übrigen; dies helle Blau verderbe alles.
Sie war damals zwölf Jahre alt gewesen und hatte wenig davon begriffen.
Aber die Maler mußten wohl recht gehabt haben, denn kein Bursche hatte von der seitdem zierlich Herangewachsenen jemals sonderliches Aufhebens gemacht, was freilich ebensogut auf Rechnung des wenig herausfordernden Betragens Fiammettas geschrieben werden konnte. Aber auch Don Adone hätte, obschon täglich ihr Hausgenosse, kaum zu sagen gewußt, wie sie aussehe. Wie der hölzerne Mohr vor dem Tabakladen in Sant' Agatha, meinte er einmal bestätigend, als Signora Trasi über Fiammettas Aussehen ihm ein mißbilligendes Urteil in den Mund gelegt hatte.
In der letzten Zeit hatte sie übrigens rote Backen bekommen, und der Apotheker in Vico, ein leidenschaftlicher Apfelzüchter, benannte nach ihr eine Reinettenart, die dunkel von Farbe ist und sich in der Reifezeit noch mit flammendem Rot schmückt.
Fiammetta, begann Don Adone, indem er sich auf den erhöhten Rand des Daches setzte und den kleinen Kobold auf einem umgestürzten Feigenkorb 23 zunächst des Schornsteins Platz nehmen ließ, es wird nun an der Zeit sein, über die Nachlassenschaft meiner seligen Mutter zu beraten.
Er öffnete ein paar Knöpfe seiner stahlblauen Manchesterweste – die kurzen Beinkleider und die krausärmelige Jacke waren von demselben Stoffe –, legte eins seiner wohlgerundeten Beine bedächtig über das andre, betrachtete das kunstreiche Muster seines feinen weißen Genueser Seidenstrumpfs, als sei es der Plan einer fremden Stadt, in der er nicht aus noch ein wisse, und seufzte.
Du weißt, Fiammetta, fuhr er dann fort, daß Signora Trasi dich nicht liebte. Ich vermute: weil mein seliger Vater dir wohlwollte. Hätte nicht er, sondern sie dich als hilflose kleine Waise ins Haus gebracht, deine Herzensgüte und Brauchbarkeit, Kind, wären besser und liebevoller gelohnt worden. Doch davon wollte ich nicht reden. Solange du mein kleines Hauswesen in Ordnung halten willst, werden wir uns ja nicht trennen. Die Frage ist nur: Wie wird sich dieses Hauswesen künftig gestalten?
Er zog eine kleine Schreibtafel aus der Tasche, denn er pflegte hin und wieder seine Einfälle gern schriftlich festzuhalten, und fuhr fort:
Dieses Haus und die Orangenbäume, die der Vater darum gepflanzt hat, sind jetzt alles, was ich besitze. Das Haus ist nicht groß genug, daß es teilweise vermietet werden könnte, und es von andern Leuten bewohnt zu sehen wäre mir auch ein großes Leid. Die Bäume ließen sich vielleicht verpachten, aber ich mag nicht fremde Gesichter um mich sehen. Das stört mich im Denken. Ohnehin – da die Bearbeitung der Bäume viel Zeit und Mühe kostet, was 24 würde man mir zahlen wollen? Es lohnte sich nicht des Zusammenrechnens. Also stehe ich vor der Frage: Wovon werden wir leben?
Don Adone, versetzte Fiammetta, indem sie ihre Hände wie vor einem Mirakel faltete und den kleinen Kopf schüttelte, als vermöchte sie das Vernommne durchaus nicht zu fassen, zuvörderst eine sehr verwunderte Gegenfrage: Habt Ihr denn wirklich die unverständige Absicht, Euch um dieser sogenannten Salerner Verwandten willen zum Bettler zu machen?
Darüber giebt es keinen Streit, Kind, gab Don Adone zur Antwort.
Aus purem nichtsnutzigem Edelmut? – Nein, ich weiß gewiß, Ihr scherzet nur.
Aus Gründen, die ich dir schon gestern im Kreuzgang deutlich machte.
Meine Pate, widersprach Fiammetta von neuem, hatte ein Sprichwort, das hieß: Dio se fece prima la barba poi ad altri.Zuerst barbierte der Herrgott sich selber, dann erst die andern. Andre soll man erst bedenken, nachdem man für sich selbst gesorgt hat. Das scheint Ihr zu vergessen, Signore.
Aber Don Adone pflegte von ihr in solchen Dingen keinen Widerspruch zu dulden oder ihn doch durch irgend eine plötzliche Rüge rasch zum Schweigen zu bringen. Sieh dich vor, sagte er, daß du den Korb nicht entzwei sitzest.
Sie lachte mit dem hellsten Lachen und den schönsten Zähnen, denn der stark geflochtne Korb hätte ein Dutzend solcher leichter kleiner Fiammettas ohne Gefahr zu tragen vermocht, aber sie verschob ihren 25 Widerspruch für eine andre Gelegenheit und stand kopfschüttelnd von ihrem Sitze auf.
Wie du weißt, fuhr der Hausherr von neuem fort und blickte in seine Schreibtafel, haben sich meine seligen Eltern nie über das, was ich werden sollte, einigen können. So bin ich denn eigentlich alles und nichts geworden und weiß zu vieles und wieder auch zu wenig.
Ach, geht mir doch mit Eurer Bescheidenheit, Don Adone, sagte Fiammetta; aus einer Gelehrsamkeit, wie Ihr sie habt, könnte man gewiß einen dreißigmal größern Kuchen backen als aus all dem Studieren unsrer sämtlichen Pater Kapuziner.
Don Adone sah trübsinnig auf seine Strümpfe und ließ sich dann, ohne Fiammettas Einrede zu beachten, weiter vernehmen:
Dazu kommt, daß ich immer zu Hause gesessen habe. Wie viel leichter würde ich meinen Unterhalt gewinnen, wenn ich zum Exempel statt drei Jahre lang aus Fra Ambrogios Bücherschrank – außer einer Menge andrer Dinge – alles durchgelesen hätte, was über Alchimie handelt, ein einziges Jahr bei einem kundigen Alchimisten in der Lehre gewesen wäre. Meine selige Mutter hat mir nie erlauben wollen, die Tiegel aus unsrer Küche zu vernünftigen Experimenten zu benutzen, und die Folge ist, daß ich nie bis zum wirklichen Goldmachen gekommen bin.
Davon verstehe ich freilich nichts, sagte Fiammetta teilnehmender, denn er war in gar vielen Lebenslagen ihr Leidensgefährte gewesen, und sie war ihm von ganzem Herzen zugethan – aber wenn Ihr jetzt Tiegel und Pfannen braucht, Don Adone, in Gottes Namen! So viel ihrer sind, könnt Ihr haben.
26 Da man vor allem, versetzte Don Adone, eine Menge kostbarer Tinkturen zum Goldmachen benötigt, so fehlt mirs leider jetzt an dem, was in deine Tiegel hinein sollte. Die seligen Eltern mit ihrer Wohlhabenheit konnten mir zu dergleichen leicht verhelfen, ich kanns nicht. Die Alchimie ist für mich also ein verschütteter Brunnen. – Und, fuhr er fort, geht es mit meinen Kenntnissen aus andern Gebieten etwa besser? Fra Ambrogio hat ein großes rot und schwarz gedrucktes Werk in seinem Bücherschrank. Aus dem habe ich an die siebenhundert Seiten abgeschrieben. Es heißt der Malleus maleficarum und enthält alles, was über Hexen jemals Glaubhaftes und Verständiges zu Papier gebracht worden ist. In ganz Sant' Aniello bin ich wahrscheinlich der einzige, der genau anzugeben weiß, was es mit den Hexen für eine Bewandtnis hat; wie man sie erkennt, unschädlich macht, zwickt, schraubt, ausbälgt, pfeffert, salbt, stampft, spickt und zuletzt verbrennt. Aber weil ich nie mit wirklichen Hexen und Hexenprozessen zu thun gehabt habe, liegt das alles wie altes Eisen da, und der Bäcker giebt mir keine Krume Brots dafür.
Auch davon versteh ich nicht das mindeste, erwiderte Fiammetta, nachgerade einigermaßen traurig, und kauerte sich ihm gegenüber auf der Erhöhung des Daches nieder; ich meine nur, alles dies sollte Euch doppelt vorsichtig machen. Die Pate hatte noch ein andres Sprichwort, das hieß.
Fa bene a ti e a i toi,
Fa gl'altro se tu poi.Aus dem neapolitanischen Dialekt ins Deutsche übertragen: Zuerst du und die Deinen, die andern hernach – wenn du kannst.
27 Du stotterst heute wieder stärker als je, unterbrach Don Adone sie in seinem gewöhnlichen Rügeton, und Fiammetta, obschon sie ihm mit Recht dergleichen nicht glaubte, verschluckte vorsichtig, was sie hatte hinzusetzen wollen.
Vielleicht denkst du aber, fuhr er wiederum fort, weil ich dir zweimal ein Senfpflaster hinters Ohr gelegt habe, auch, als du noch klein warst, dir wohl einmal ein Zähnchen auszog, und weil ich ohnlängst das Gift gegen unsre Kellerratten selbst bereitet habe, vielleicht denkst du deshalb, Kind, ich könnte mir meinen Lebensunterhalt mit allerlei Heilkuren verdienen? Auch damit geht es nicht. Ich weiß zwar aus den Büchern des Fra Ambrogio, wie eine Unmasse von wichtigen Krankheiten besprochen werden müssen, zum Exempel die Euteritis, die Illosis, die Mentagra; aber es scheint, diese Krankheiten kommen gar nicht mehr vor, wenigstens habe ich sie nie anders als in diesen Büchern nennen hören, und so hilft mirs auch hier wieder gar nichts, daß ich jahrelang diese schwer zu behaltenden Worte auswendig gelernt habe. Dottore Bourja, der sich nie um wirkliche Gelehrsamkeit gekümmert hat, ist ein gesuchter und angesehener Mann, während man mir mit Fug und Recht nicht einmal ein krankes Maultier in die Kur geben würde, denn das Maultier hat möglicherweise ganz andre Krankheiten als die in den Büchern des Fra Ambrogio aufgezählten.
Er stand seufzend auf und schritt mit schweren Tritten auf dem flachen Dache hin und her.
Die Sonne ging eben zwischen Ischia und Procida ins Meer hinab. Ein grünes Aufblitzen bezeichnete ihr Niedertauchen. Aber nun erst blühte es 28 über den ganzen leichtbewölkten Himmel hin, als sei er in eine einzige weite Rosenlaube verwandelt.
Fiammetta seufzte auch, kratzte sich am Ohr, rieb sich die Stirn, als suche sie dort Rat, und warf endlich ihr Köpfchen weit zurück. Alltägliches zwar, wie die Schönheit eines solchen Abends am Golf, konnte füglich für sie nichts Fesselndes haben, ebensowenig wie für ihren Herrn selbst. Die barockern unter den Wolkenbildungen als Figuren aufzufassen war jedoch ihre große Leidenschaft, und da sie eben in den Rosagebilden hoch oben eine Art von Dromedar, auf dem zwei Leute hockten, deutlich erkannt haben wollte – eine Reitweise, die ihr wie geschaffen schien für ein junges Pärchen –, so benutzte sie gern den erwünschten Vorwand, nun ihren Dachgenossen von seinen trüben Grübeleien abzuziehn.
Don Adone seinerseits, immer die Herzensgüte selbst, folgte willig ihrem Beispiel, ohne übrigens das Dromedar erkennen zu können, so sehr er auch seine Phantasie anstrengte, und so unermüdlich Fiammetta ihm auch bald den Kopf, bald den Schwanz, bald die Reiter der allmählich immer mehr ins Ungetümliche zerfließenden Wolkenmasse nachzuweisen bemüht war.
Als während des Ave-Maria-Läutens dann die Farben verblaßten, und von Pozzuoli plötzlich der Mistral zu wehn anhob, sagte Don Adone, den Ausdeutungen des eifrigen Mädchens ein Ende machend: Geh nun hinab, Fiammetta, und sorge, daß in der Speisestube Ordnung wird. Ich will in der Zwischenzeit überlegen, auf welche Weise man von hier den Ritt nach Salerno machen kann. 29