Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)
Don Adone
Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)

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Fünfzehntes Kapitel

Es war eine leicht umwölkte Maiennacht. Nur im Westen leuchteten die Sterne unverhüllt, hoch Denebola im Löwen, tiefer Regulus, noch tiefer Alphard in der Wasserschlange. Zuweilen blitzte ein schwacher Schimmer wie durch bläuliche Schleier – das war das freundliche Licht der Capella im Fuhrmann; auch Procyon im kleinen Hund, dem treuen Begleiter des Fuhrmanns, kam hin und wieder zum Vorschein.

Peselino war etwas zurückgeblieben, um zu überlegen, wie sich die unvorsichtig von ihm betonte Dringlichkeit der ganzen Angelegenheit wieder abschwächen lasse, und welches Mittel es etwa gebe, Don Adone auf die Wanderschaft zu schicken, ohne daß er Zeit habe, die Prophezeiungsgeschichte als eine bloße Farce Peselinos zu erkennen. Wäre ich nur ein klein wenig behutsamer zu Werke gegangen! redete er vor sich hin; aber nachdem ich ihm so deutlich zu verstehn gab, daß Capriccia und ich ihn für einen verkleideten Mann hielten – er hatte mich offenbar längst durchschaut –, bleibt mir nicht einmal die Ausrede, daß sie einen 206 Mann zu dieser Stunde nicht empfangen wird. Jetzt, Peselino, zeige, daß du Haare auf den Zähnen hast.

Als er noch so stand und spekulierte, fand sich in Hemd und Hose Colantonio, der murrköpfige Ölpresser der Villa Tiburzia, bei ihm ein. Er hatte, wie er sagte, seiner Pomponia zuliebe aufstehn müssen und erklärte weiter: Offella habe seiner Pomponia schon zu Anfang der Tafel erzählt, die in der Ölpresse einlogierte und soeben mit dem Signor Abbate vom Tisch aufgestandne Signora Lavendola sei entweder die Frau eines Doktors oder eines Apothekers, denn sie rede so unverständig gelehrt, als habe sie selber studiert.

Peselino witterte einen Ausweg aus der Klemme, in die er geraten war.

Das kann ich bestätigen, sagte er, und ich glaube zu erraten, was Euch herführt.

Colantonio flüsterte dem Abbate etwas ins Ohr.

Ei, ohne Frage! stimmte Peselino bei. Signora Lavendola wird sich mit Eurer Frau vortrefflich verstehn. Nur eins noch: Macht die Signora Lavendola ihres Kommens wegen etwa Weitläufigkeiten – Ihr wißt, wie diese Leute sind –, so zeigt ihr den Meister, Colantonio. Das seid Ihr Eurer guten Frau schuldig. Vergeßt nicht, mich ihr zu empfehlen.

Inzwischen hatte Don Adone, der infolge der plötzlichen Nachtkühle die Nachwirkung des genossenen Falerners nach der physischen Seite zunächst in einer gelinden Schwindelanwandlung spürte, für ratsam gehalten, den sich zufällig in der Nähe bietenden Sitz auf einer antiken Säulentrommel nicht zu verschmähen und dort seines zurückgebliebnen Tafelgenossen in Ruhe zu harren.

207 Auf einmal war aber ein Lied an sein Ohr geklungen, das seine heroische Stimmung stark alterierte und ihm die Augen mit Bächen salzigen Wassers füllte. Es war ein altes, ihm seit seiner Kindheit nicht mehr zu Gehör gekommnes Wiegenlied, das immer mit den Endworten schloß:

Und mein Kind ist mein Himmel, mein lachendes Glück.

Eine Mutter, deren Kind wieder in Schlaf gebracht werden sollte, mochte es in einer der Tagelöhnerhütten gesungen haben, die hie und da aus den nahen Oliven- und Orangenpflanzungen im Sternenschimmer weißlich herauslugten. Ob er es einst von den Lippen seiner Mutter vernommen hatte, darüber wußte er sich nicht Rechenschaft zu geben. Was er aber fühlte, war eine so heftige Sehnsucht nach dieser gütigen, wenn auch dem Scheine nach nie liebreich gewesenen Pflegerin seiner Kindheit, daß er schier vor Schmerz vergehn zu müssen glaubte.

Mit dieser wehmütigen Stimmung schlug er sich eine ganze Weile herum, und die, die dem Falerner nachrühmen, er mache jedermann beherzt, hätten Mühe gehabt, angesichts der Thränenfluten Don Adones diese Behauptung aufrecht zu erhalten. Aber dann hörte er wieder den Schritt Peselinos herankommen, und nun wischte er sich rasch die Thränen aus den Augen. Was lag mir doch noch so dringend ob? redete er vor sich hin, indem er seine Fassung mit mühsamer Anstrengung zurück eroberte. Und als er sich bei Peselinos Anblick erinnerte, daß die vorhin, um nach ihm auszuspähen, aufs Dach Gestiegne die schöne Capriccia selbst gewesen war, rief er dem Exabbate – wie dieser glaubte, in bedenklich gebieterischem 208 Tone – zu: Habt denn die Güte, mich stehenden Fußes zu dem Fräulein zu führen, damit ich offen mit ihr rede; stehenden Fußes; ich will nicht schuld sein, daß ein Unglück geschieht. – In der That begann sich die Wirkung des Falerners nach der so oft ihm nachgerühmten Richtung umzustimmen.

Peselino war mit seinem Plane in betreff Pomponias, und wie er sie nicht nur in die Stelle Capriccias schrieben, sondern dadurch Don Adone auch schleunigst zum Ausbrechen veranlassen wollte, noch nicht ganz im reinen, fürchtete überdies, die Sache, wenn sie mißglückte, nur noch zu verschlimmern. Ich habe, sagte er darum, mir die Angelegenheit doch noch besser überlegt, edler Don – wenn Ihr, wie ich vermute, Recht habt, daß eine Teufelstücke dahinter steckt, so laßt Euch mit uns hier doch lieber nicht weiter ein. Wofür hat Capriccia einen Seelsorger? Pater Piero mag die nötigen Ausräucherungen mit ihr vornehmen, und gebe ich ihr dann noch zu verstehn, an Euch sei auch so etwas wie der Pferdefuß zu bemerken gewesen – Ihr erlaubt mir wohl schon die kleine Verlästerung? –, da wird sie zuletzt froh sein, Euch gar nicht erst gesprochen zu haben.

Anacharsis der Skythe, versetzte Don Adone ernst, hat behauptet, der Weinstock trage dreierlei Trauben: die Freude, den Rausch und die Trunkenheit. Ihr scheint der Meinung zu sein, er trage noch eine vierte Traube: die Gewissenlosigkeit. – Führt mich zu dem Fräulein: ich bin ihr volle Aufklärung schuldig, und auch meine Vermutungen über den höllischen Ursprung der Prophezeiung hat sie ein Recht, von mir mitgeteilt zu erhalten.

Ihr thut mir Unrecht, sagte Peselino, mein Wunsch 209 ist lediglich, Euch vor Unannehmlichkeiten zu bewahren. Und zwar auch vor solchen, von denen ich Euch kaum erst reden zu müssen glaubte. Ihr habt vielleicht von den Plackereien gehört, die manchen Personen in letzter Zeit auf Grund irgend eines verdächtigen Anzugs bereitet worden sind.

Ein Schauder schüttelte Don Adone, aber der Falerner that seine Schuldigkeit, und so antwortete er: Ein Weiser des Altertums hat den Ausspruch gethan:

Die Tugend allein genügt nicht zur Glückseligkeit,
hingegen das Laster zur Unglückseligkeit.

Giebt es ein größeres Laster als die Selbstsucht, und wißt Ihr eine kräftigere Wurzel dieser abscheulichen Pflanze, als den Hang zu Mißtrauen gegen andre? Dieser Untugend würde ich mich schuldig machen, wenn ich Euch oder die schöne Capriccia für fähig hielte, Verrat an mir zu üben, der andern, wenn ich meine Sicherheit höher stellte als die Seelenruhe einer, die sie durch meine Schuld verloren hat. – Führt mich zu dem Fräulein!

Wenn ich auch jetzt noch zögere, sagte Peselino, so werdet Ihr vielleicht ungeduldig werden, edler Don. Aber bedenkt noch eins. Gut, Eure gelehrten Nachweise über die Gottgefälligkeit des Weiberkleides sollen auch die schöne Capriccia überzeugen, daß Ihr, indem Ihr es anlegt, nicht das Recht verwirkt habt, Euch einer ehrbaren jungen Dame zu nähern. Aber wie haltet Ihrs mit Eurer allerliebsten kleinen Begleiterin, die der Himmel segnen möge? – Auch über sie, darauf seid gefaßt, müßt Ihr Capriccia Rede stehn. In den Augen dieser tugendhaften jungen 210 Dame wird aber einem Mädchen, das sich in Männerkleider steckt, jedenfalls ein Unglimpf anhaften. Seid Ihr darauf vorbereitet? Man muß alles überlegen!

Hier erhob Don Adone, indem er aufstand, lebhaften Einspruch. Es ist uns überliefert worden, sagte er, daß die heroische Clölia in Rom durch die hohe Auszeichnung einer Reiterstatue geehrt wurde, meines Wissens die einzige hervorragend monumentale Ehre dieser Art, deren man ein Weib des Altertums würdig erkannte. Die Tracht der römischen Clölia wußte aber nichts von dem langen Weibergewande, glich vielmehr der des männlichen Jagdrocks, den ja die Göttin Artemis selbst trug. Ist Euch das nicht genug, so denkt an die Jungfrauen Spartas. Wie ich nach glaubhaften Schriftstellern verbürgen kann, haben sie bei öffentlichen Übungen eine Art Kleiderschnitt getragen, der sich von dem der bei den Spielen beteiligten Jünglinge kaum unterscheiden ließ, und doch wurde dies nie für anstößig gehalten. Zuletzt würde ich den etwaigen Bedenken der schönen Capriccia noch entgegenhalten können, daß zwei von Platos Schülerinnen, die lernbegierige Ariochna und die unermüdlich der Weisheit nachjagende Lastheneia, Männerkleider trugen. Ihr seht, ich bin auf alles vorbereitet. Führt mich also getrost zu dem Fräulein.

Ich freue mich, sagte Peselino, der während dessen, angesichts der Halsstarrigkeit Don Adones, die letzten Bedenken gegen die voraussichtlichen Unhöflichkeiten des Ölpressers Colantonio überwunden hatte und vor allem nun endlich selbst aus dem Wege zu kommen wünschte – ich freue mich recht sehr, durch meine Einreden mir sowohl eine Bereicherung meines Wissens wie eine Klärung meiner Ansichten verschafft zu haben. 211 Eins wie das andre werde ich zu gelegner Stunde an den Mann zu bringen suchen. In der Villa Tiburzia spielt man gern mit allerlei kühnen Thesen Fangball, und obgleich die Damen immer leugnen, daß ich sie andrer Meinung gemacht habe, merke ich ihnen doch allemal an, daß sie an dem Spiel selbst wenigstens ihre Freude hatten. So lasset Euch denn auf den Weg zu der schönen Capriccia bringen. Während ich mich kurz zuvor beurlaubte, habe ich Gelegenheit gefunden, ihrem alten Diener ein Wort über Euch zu sagen. Sie ist auf Euer Kommen gefaßt. Aber noch einen Wink. Der Name Capriccia ist natürlich nur ein Spitzname. Hütet Euch, sie so zu nennen. Auch nicht indem Ihr mit ihrem Diener von ihr sprecht.

Und wie heißt sie denn? fragte Don Adone, dem eigentlich nicht halb mehr so heroisch zu Mute war, als da es noch mit Citaten um sich zu werfen galt.

Sie heißt Pomponia.

Pomponia? – Es schien ihm ein unheimlich pomphafter Name.

Nicht wahr, ein sehr würdiger Name? gab Peselino Bescheid. Und damit verließen die zwei Nachtwandler schwanken Schrittes den Platz, wo sie im Sternenschimmer dieses Gespräch geführt hatten. 212

 

 


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