Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)
Don Adone
Robert Waldmüller (Charles Edouard Duboc)

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Während dessen war der Marchese unbemerkt nach dem Schlosse hinüber gelangt.

Wie er erwartet hatte, brauchte er in seinem Myrten- und Oleanderversteck auf dem Schloßaltan nicht lange zu warten. Dolcebona war von einem Skizziergange mit Zeichenbuch und Silberstift soeben traurig und voll Unmut gegen den bösen Vater heimgekommen; Olimpia, die Mutter, gelassener, doch nicht ohne starke Verstimmung in Miene und Blick, hatte ihren Stickrahmen ins Freie tragen lassen, arbeitete aber nicht und maß in der Erwartung ihres Gatten mit unruhigen Schritten die Terrasse; Sirena endlich, gegen eine Säule gelehnt, das gedankenschwere, blondgraue Haupt in die Hand gestützt, ernst wie ihre Lieblingsgöttin Minerva, zeichnete mit der Fußspitze Figuren in den Sand und folgte lässigen Auges den länger und länger werdenden Schatten. Sie hatte sich, da alle drei von der Einbringung des Mönchs und der Nonne noch nichts wußten, in Vorschlägen erschöpft, wie den Flüchtlingen Ippolito und Beata gegen die Verfolgungsmaßnahmen 320 ihres Bruders, des Tyrannen von Castellammare, beizustehn sei; aber bei der übergroßen Kühnheit ihrer Vorschläge war keiner davon als ausführbar befunden worden.

Dolcebona, in der rosigen Beleuchtung der dem Meere zusinkenden Sonne anmutiger als je, blieb bald hier bald dort stehn, ohne weder für die Orangenblüten, deren Duft sie einatmete, noch für die wilden Rosen und Myrten, deren sie unterwegs eine beträchtliche Anzahl gepflückt und zu einem Strauße gebunden hatte, wirkliche Aufmerksamkeit zu haben. Es wäre doch zu entsetzlich, sagte sie, und dann wieder: Man möchte sich die Augen ausweinen, und dabei perlten ihr von Zeit zu Zeit wirklich reichliche Thränen über die jugendlich blühenden Wangen. Denn die Tante hatte seit dem Morgen nach einem Buche, das sie besaß, von Abälards Flucht und ihren Folgen so Trübseliges erzählt, daß Dolcebonas Herz wegen Ippolitos und Beatas in größter Angst war.

Endlich hängte sie sich an den Arm der Mutter und sagte: Mama, diese Unthätigkeit wird mir unerträglich. Wie weit können die armen Pilger denn bis jetzt gekommen sein? Ciutazzas Gewährsmann, der sie schon jenseits Sorrent gesehen haben wollte, war vielleicht auf falscher Fährte, und wer weiß, wie sehr ihnen gerade in diesem Augenblick ein freundlicher Beistand willkommen wäre. Darf ich unsre gelbe Maultiercarozza anspannen lassen und in der Richtung von Massa ein paar Stunden Wegs die Landstraße visitieren? Ich habe mein Erspartes schon seit heute morgen ins Taschentuch geknotet. Dafür läßt sich ein zuverlässiger Marinaro mieten, und so 321 verhelf ich ihnen vielleicht zum glücklichen Erreichen irgend eines größern Seeschiffs, das sie unter seine übrigen Passagiere aufnimmt.

Auch ich, versetzte Madonna Sirena und zog eine grüne Börse aus ihrem Busen, auch ich habe mich schon auf werkthätige Unterstützung des Paares eingerichtet. Aber müssen wir denn wirklich die Hoffnung aufgeben, meinen Bruder zur Vernunft zu bringen? Zitieren wir ihn hierher. Er soll, er muß, er wird seinen harten Kopf vor uns beugen.

Führe du das Wort, Schwägerin, fiel Olimpia ein; wir wollen Zecco zum Papa hinüberschicken; gleich auf der Stelle müssen wir wissen, ob wir noch etwas bei ihm gelten, oder ob er uns zum Kriege herausfordert.

Bravo, stimmte Donna Sirena bei.

Ich laufe selbst hinüber, rief Dolcebona und schürzte ihr langes, leichtes Gewand; mein Bouquet ist gerade fertig.

Nicht doch, mein Liebling, widersprach die Tante; das würde unsrer Zitation jeden drohenden Charakter nehmen; wir müssen hier beisammen bleiben. Ihr stellt euch dorthin, ich stehe hier, Abälardos Sic et Non in der Hand.

Zecco, ein kleiner Negerknabe, wurde gerufen.

Zecco kam herbeigesprungen und bekannte – auf Olimpias Frage, warum er so aufgeregt umherschaue? –, hinter einem der Fenstergitter des Erdgeschosses müsse ein Mensch sitzen.

In dem Gefängnisteile?

Ja, Signora, hinter den engen Eisenstangen.

Das war nichts Ungewöhnliches. 322 Untersuchungsgefangne ließ der Marchese dort regelmäßig einsperren.

Was ist da groß zu reden! sagte Donna Olimpia und wollte dem Boten die ihm zugedachte Instruktion geben.

Wie sah er denn aus? fragte Donna Sirena dazwischen.

Wie ein Frate, antwortete Zecco.

Wie ein Frate! wiederholten im Tone höchster Erregung alle drei Damen wie aus einem Munde.

Zecco hatte inzwischen herausgebracht, von welchem Standpunkt aus der Eingesperrte jetzt zu sehen sei.

Hier seh ich ihn, grinste er, auf den Fußspitzen an das Rosengeschlinge hinanschleichend, als gelte es einen eben vom Fluge ausruhenden Schmetterling zu erhaschen; da sitzt er, da sitzt er.

Mama! rief Dolcebona mit Thränen in den Augen, indem sie die Hände schmerzlich rang; es ist in der That ein junger Mönch, es wird Ippolito sein!

Wo habe ich mein Augenglas gelassen? schwirrte Madonna Sirena, deren Kurzsichtigkeit beträchtlich war; nein nein, ich kann es noch nicht für möglich halten.

Alle drei drängten ihre Köpfe zusammen, um durch die von Zecco geöffnete Lücke im Gebüsch den Gegenstand ihrer Teilnahme sicherer ins Auge zu fassen.

Nur wenig war von dem Mönche zu sehen, denn das Abendlicht drang spärlich zu ihm hinein. Don Adone hatte eben durch den alten Schließer Griso einen Krug mit Landwein und ein großes Brot 323 zugetragen erhalten. Das eine wie das andre ließ er sich, auf dem niedrigen Holztisch des Kerkers sitzend, zwar leidlich schmecken, doch trauerte er um die soeben an Don Boltraffio gemachte Erfahrung, nach der sogar ein so gelehrter Mann nichts gegen den Teufel der Habgier vermochte, auch bereute er, nicht Einspruch versucht zu haben, als man ihn von Fiammetta trennte, denn ohne sie wußte er eigentlich nicht aus noch ein.

Von dem Platz, wo die Damen standen, ließ sich übrigens nicht viel mehr als ein Kopf und ein aufgestützter Arm des verdrossen Schmausenden erkennen.

Er hat wunderschönes Haar, sagte Dolcebona, das echte Rotblond, das die Maler so sehr schätzen.

Er hat eine von tiefen Gedanken durchfurchte Stirn, betonte Madonna Sirena.

Mit dem Abendrot im Auge von hier aus etwas zu erkennen, ist mir rein unmöglich, sagte Donna Olimpia; aber wo ist die Nonne hin? Ich sehe keine Nonne.

Zecco sagte, er habe verstanden, die Nonne sei zu den Ursulinerinnen gebracht worden.

Arme Beata, seufzte Dolcebona und sah nach einem fernen Vorsprung des Ufers hinüber, wo zwischen ragenden Pinien das hoch gelegne Ursulinerkloster im Widerscheine des purpurfarbnen Wolkenhimmels glühte.

Wenn mein Bruder die Nonne bei den Ursulinerinnen untergebracht hat, sagte Donna Sirena, so beginne ich die Sache in milderm Licht anzusehen. Sie ist unter der Hut der dortigen Äbtissin sehr gut aufgehoben. Aber den Mönch soll er nicht auch 324 festhalten wollen. Da er in diesem Punkte nicht nachgiebt, rufe ich: Kampf auf Tod und Leben. Männer gehören auf den Heerweg des großen Weltgetriebes.

Tante! zürnte Dolcebona, du würdest also die Liebenden trennen?

Ohne Frage! lautete die Antwort; du weißt, was ich von unserm Geschlecht und seiner bescheidnen geistigen Mitgift halte.

Lassen wir das, sagte Donna Olimpia; wie ist es aber mit unsrer Zitation? ich vermute, dein Vater, Dolcebona, ist uns entschlüpft. Er sprach ja am Nachmittag von einem beabsichtigten Ritt zu dem Podesta von Gragnano. Es sollte mich nicht wunder nehmen, wenn er, um unsern Vorwürfen zu entgehn, diesen Ausflug heute abend zur Ausführung gebracht hätte.

Kinder, versetzte Donna Sirena, versteht mich nicht falsch! Wenn ich von milderer Beurteilung meines Bruders sprach, so ist er uns darum nicht minder verantwortlich für das grausame Erlassen der Steckbriefe. Sei der Tyrann von Castellammare uns demnach erreichbar oder nicht – uns jetzt noch mit ihm in Unterhandlungen einzulassen ist unser unwürdig. Er behauptet, seine Amtspflicht verbiete ihm, einem ihm zugekommnen Auftrag nicht Folge zu geben. Wir hingegen wissen, daß unsre Menschenpflicht uns befiehlt, jenem Mönch, dessen Stirn von so erhabnen Gedanken erfüllt ist, hinauszuhelfen. Ans Werk!

Donna Olimpia und Dolcebona stimmten mit dem Vorbehalt bei, daß so Mönch wie Nonne aus der Haft befreit würden. Dann harrten sie der weitern Kundgebungen ihres Orakels, die den Vorbehalt 325 nur mit einem Achselzucken zu beantworten für nötig fand.

Rufe Griso her, befahl Donna Sirena.

Du willst ihn bestechen? fragte Donna Olimpia, als die Tochter eilig gegangen war, den Auftrag zu erfüllen; ich würde das ungern sehen; dein Bruder möchte den alten Mann darüber aus dem Dienst jagen, und Herr und Diener werden einander schwer entbehren.

Vorerst gilt es, genau zu wissen, wie er instruiert ist.

Dolcebona kam mit dem Schließer zurück. Der hartrunzlige Kopf des Alten sah nicht danach aus, als ob er für jedermanns Befehle ein Ohr habe. Auch machte seine unterwürfige Haltung den Eindruck vorbedachter Berechnung.

Wo ist dein Herr? fragte Donna Sirena.

Eccellenza, ich weiß nicht.

Hm! Was hat er mit dem Gefangnen vor?

Eccellenza, ich weiß nicht.

Hm hm! Was kann man für den Gefangnen thun?

Eccellenza, ich weiß nicht.

So will ich dirs sagen, Griso. Man kann ihm klar machen, daß er ein Thor war, sich an jenes Frauenzimmer zu hängen.

Eccellenza, zu Befehl.

Ist der Zutritt zu dem Gefangnen also nicht untersagt, so werde ich ihm in diesem Sinne die Epistel lesen.

Eccellenza, dagegen hat der Marchese nichts verlauten lassen.

326 Ich dachte mirs. Mein Bruder ist streng, aber er ist kein Unmensch. Du kannst gehn.

Der Schließer ging, nachdem er einen verstohlnen Blick nach dem myrten- und oleanderumwachsenen Altan hinaufgeworfen hatte, denn die Wünsche des Marchese waren dem alten Vertrauten nicht unbekannt.

Jetzt begann im sinkenden Abenddunkel Madonna Sirena wieder mit großen Schritten die bläulichen Peperinquadern der Terrasse zu messen, während Dolcebona ihr in gespannter Erwartung folgte, Donna Olimpia aber nach der Seite ausschaute, wo der, wie sie annahm, nach Gragnano Hinausgerittne wieder erwartet werden konnte.

Tantchen, sagte Dolcebona endlich, indem sie die unermüdlich auf und ab schreitende am Kleide zupfte, ich habe einen Einfall.

Einen? Mir wogen hundert Einfälle durch den Kopf; tausend, hunderttausend!

Aber mein einer ist ausführbar.

Laß mich, Kind.

Hast du schon an eine Bestechung Papas gedacht?

Thorheit.

Natürlich nicht mit Geld.

Störe mich nicht.

Aber mit einer Sache, Tantchen, die ihm große Freude machen würde.

Verfolgungen, Martern, Hinrichtungen sind seine Freude!

Du weißt, er hat mich im vorigen Jahre einen ganzen Monat im Reiten unterrichtet. Aber die Mama war so ängstlich, und ich so bequem; da hab ich mich 327 denn immer ungeschickt gestellt, und zuletzt hat ers satt bekommen. Neulich sprach er wieder davon. Ich merkte wohl, er hoffte, ich sollte dieses Jahr mehr Aufgelegtheit zeigen. Ich hütete mich aber, ihn zu verstehn, und die Mama war sehr froh darüber. Jetzt laß ich den kleinen Fuchshengst satteln, nehme Zecco mit, meinetwegen auch den alten Kutscher – aber Pedro wird so spät nicht wollen –, und trabe nach Gragnano hinüber. Ich wette, sieht er mich dort beim Podesta vor das Schloß sprengen, so kann ich von ihm bewilligt erhalten, was ich will.

Donna Sirena schüttelte den Kopf und küßte die eifrige Pläneschmiederin auf die Stirn. Reizend ersonnen, Liebling, in der That! sagte sie; nur schade, daß deines Vaters Gutmütigkeit von dir überschätzt wird, und daß wir, wenn wir dich das Wagnis unternehmen ließen, ins Narrenhaus gesperrt zu werden verdienten.

Ja freilich schade! seufzte Dolcebona; ich hatte mirs so schön ausgedacht. Und nachgegeben hätte der Papa gewiß; das weiß ich. Aber wenn ich auf dem Wege dahin den Hals bräche, wäre der Papa ja gar nicht in der Lage, mir eine Bitte zu bewilligen, und ich glaube leider selbst nicht an meine Sattelfestigkeit.

Donna Olimpia, deren Phantasie keine Flügel hatte, war, von dem Hinausstarren ermüdet, herangetreten und fragte, ob die Schwägerin mit ihrem Vorhaben ins klare gekommen sei?

Die Dunkelheit beginnt, gab Donna Sirena zur Antwort; hierauf allein habe ich gewartet. Ja, ich bin mit mir schlüssig geworden; hört, was wir zu unternehmen haben.

328 Mutter und Tochter drängten sich näher heran.

Ich bin zu jeder Hilfeleistung bereit, sagte Dolcebona.

Still! flüsterte Donna Sirena, es gilt den alten Cerberus, den Griso, zu überlisten; also kein lautes Wort.

Sie begann an ihren langen Fingern herzuzählen, in welcher Weise sich die einzelnen Stadien des Planes abstuften. Zunächst also, sagte sie, nachdem ich in das Gefängnis des Mönchs hineingelangt sein werde, liegt mir folgendes ob . . .

Durchfeilen der Eisengitter, Tantchen?

Nicht doch.

Entschlüpfen durch den Schornstein?

Wohinaus versteigt sich dein Kinderwitz!

Aber du willst ihn doch befreien!

Und zwar, wenn es sich zeigt, daß er dessen würdig ist, auf die von den wenig Heldinnen, auf die sich unser Geschlecht berufen kann, schon in allen Ländern mit Erfolg gekrönte Weise –

Ich habs, Tantchen! Du willst ihn in deinem Burnus hinausschmuggeln.

So ist es, und bis ihr auch mir heraushelft, werde ich selber die Rolle des Gefangnen übernehmen.

Himmlisches Tantchen! rief Dolcebona; und ich schaffe ihn dann ins Schiff. Aber was wird aus Beata? Was du in ihrem Betreff vorher sagtest, war doch unmöglich dein Ernst! Bestes Tantchen, darf die Mama denn nicht während dessen auf dieselbe Weise Beata befreien? Ich schiffe dann gleich beide ein. Der alte Ariano an der Marina thut mir schon den Gefallen, sich und sein Schiff dazu 329 herzugeben. Und die Marina liegt ja gleich unterhalb des Klosters. Habt ihr Mönch und Nonne nur erst glücklich draußen – da überlaßt das Weitere nur Ariano und mir. Ich laufe gleich einmal nach seinem Häuschen hinunter.

Ist das ein Quecksilberchen! zürnte die Tante.

Nein, bleib, sagte Donna Olimpia und hielt ihr Töchterchen fest; so weit sind wir noch lange nicht. Als Frau des Governatore kann ich die Pflichten meines Gatten nicht so weit beiseite setzen, daß ich mich selber zum Pfande hergebe. Ich gönne dem Mönch und der Nonne von ganzer Seele ein glückliches Entkommen und wünsche auch deinem Vater, Kind, die Lehre, daß er unsern Wünschen nicht gar so schnöde begegnen darf. Aber mich bei den Ursulinerinnen einsperren lassen, damit Beata entspringe, dazu kann ich mich nicht hergeben.

Würde ich denn nicht, fragte Dolcebona, statt deiner die Nonne befreien dürfen, Mama? und wolltest du nicht die Vorbereitung und Überwachung des Einschiffens übernehmen? Das bleibt doch unser und Arianos Geheimnis.

Donna Olimpia verneinte auch diese Leistung, und Mutter und Tochter begannen von neuem ihre beiderseitige Ohnmacht zu beklagen.

Gehabt euch wohl, sagte Donna Sirena, befreit die Nonne oder befreit sie nicht – die Zeit drängt, ich kann wegen dieser untergeordneten Frage das Wichtigere nicht länger aufschieben. Sie raffte ihren ponceaufarbnen Toledoburnus auf, der über dem Marmorgeländer der Terrasse hing, faltete ihn so vollständig auseinander, daß er sie vom Kopf bis zu den Füßen einhüllte, sah sich nach dem im 330 Dämmerdunkel hinter den Büschen eben noch erkennbaren Gitter des Gefängnisses um und schritt dann der Portierloge Grisos zu, neben der die ebenerdige Pforte des Schloßverließes lag. 331

 

 


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