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Danach bewohnte Dolores Darranza unter dem Namen Ramona Barranca bei einem Ehepaar Brown in Salinas zwei gut, wenn auch bescheiden eingerichtete Zimmer. Als sie vor ungefähr einer Woche nach ihrem Auftreten in dem Speakeasy nach Hause gekommen war, fand sie die Haustür erbrochen und den Mann fast von Sinnen vor Wut und Aufregung in dem kleinen Hause umherwandernd. Die Kinder, das Gesicht noch naß von ihren Tränen, waren eingeschlafen.
Auf Befragen erzählte ihr Mrs. Brown, die noch am ganzen Leibe zitterte, daß sie und ihr Mann an diesem Abend bei Freunden eingeladen gewesen wären. Sie hätte sich indessen nicht wohl gefühlt und den Mann gebeten, allein zu gehen und ihr Fernbleiben zu entschuldigen. Sie wolle sich zeitig zu Bett begeben.
Das tat der Mann auch und kehrte gegen halb elf Uhr zurück, aber nur um seine Frau weinend und in einem schrecklichen Zustande vorzufinden. Mit Mühe brachte er aus ihr heraus, daß kurze Zeit, nachdem er gegangen und gerade als sie sich angeschickt hätte, zu Bett zu gehen, jemand an die Haustür gedonnert habe.
Sie streckte den Arm zum Fenster hinaus und fragte, wer es sei.
»Aufmachen! Ich bin der Sheriff!« rief eine barsche Stimme.
Sie glaubte, daß jemand von den Nachbarn sich einen Scherz erlaubt habe und rief zurück:
»All right, Sheriff, ich komme.«
Sie war schon halb ausgekleidet, warf sich aber rasch einen Kimono über und zog sich, so schnell sie konnte, die Schuhe an, aber bevor sie noch den Treppenabsatz erreichte, brach der Mann unten die Türe auf.
Sie war allein im Hause mit ihren zwei Kindern, das eine sechs Jahre, das andere ein Jahr alt, und der Mann, der jetzt die Treppe heraufgepoltert kam, erschreckte sie so, daß sie nicht wußte, was sie tun sollte. Sie war ja doch auch krank – erwartete in zwei Wochen ein Kind.
Der Mann überreichte ihr ein Schriftstück und erklärte, daß er den Auftrag hätte, eine Haussuchung vorzunehmen.
»Wer sind Sie?« fragte sie.
Der Mann lachte und antwortete:
»Habe ich es Ihnen nicht gesagt, ich bin der Sheriff.«
Damit machte er sich an seine Arbeit, durchsuchte das Haus von oben bis unten und schaute in jeden Winkel. Sein Fleiß wurde belohnt, er fand zwei Kisten selbstgebrautes Bier.
Es war ihm offenbar nicht genug, denn er fragte:
»Sie haben doch auch Whisky hier – wo haben Sie ihn versteckt?«
»Wir haben keinen Whisky, haben auch nie welchen gehabt, so viel ich weiß.«
Einige Tage später kam derselbe Mann mit einem Haftbefehl wieder. Vorladungen gibt's in Amerika nicht, auch bei ganz geringfügigen vergehen erfolgt immer Verhaftung und Freilassung gegen Bürgschaft oder Gefangenhaltung, wenn diese nicht gestellt werden kann. Er verlangte, daß Mrs. Brown sofort mit ihm gehen müsse; er habe keine Zeit für Weiterungen.
Mrs. Brown versuchte, ihren Mann auf seinem Arbeitsplatze mittels des Fernsprechers zu erreichen. Das gelang ihr aber nicht sofort und der Sheriff ließ ihr keine Zeit, es noch einmal zu versuchen. Ebenso verweigerte er ihr, auf dem Wege zum Gefängnis an seinem Arbeitsplatz vorüberzufahren, so daß sie ihn von ihrer Verhaftung wenigstens hätte benachrichtigen können.
Erst als Mr. Brown seinen Arbeitsplatz verließ, um zum Mittagessen zu gehen, hörte er von seinem Bruder, der ihn aufsuchte, daß seine Frau verhaftet worden sei, die Kinder zu Hause jammerten und niemand wußte, was zu tun sei.
Er drehte sich sofort um und ging nach dem Gefängnis. Als er dort anlangte, war die Verhandlung schon vorüber. Man hatte seine Frau zu einer Geldstrafe von dreihundert Dollar oder bei Nichtzahlung zu einer Gefängnisstrafe von fünfundsiebzig Tagen verurteilt. Da sie das Geld nicht erlegen konnte, trat die Gefängnisstrafe sofort in Kraft.
Der Mann hatte gerade eine Minute Zeit, mit ihr zu sprechen, bevor sie abgeführt wurde. Sie erklärte ihm, der Richter wäre in großer Eile gewesen, irgend jemand hätte mit dem Mittagessen auf ihn gewartet. Loughry, der Sheriff, hätte es ebenso eilig gehabt. Mrs. Brown war so entsetzt, daß sie kaum ihren eigenen Namen angeben konnte. Sie wurde gefragt, ob sie selbstgebrautes Bier im Hause gehabt habe und bejahte das. Darauf las man ihr ein Schriftstück vor und sie hörte etwas von Hausbräu, das in ihrem Hause gefunden worden sei. Man verlangte, daß sie diese Erklärung unterzeichnen solle, und in ihrer Erregung, die ihr kein ruhiges Nachdenken gestattete, tat sie es.
Was in dem Schriftstück aber enthalten war, war ganz etwas anderes. Es war ein Schuldbekenntnis, daß sie nicht nur Hausbräu, sondern auch Whisky verkauft habe. Das Urteil kam prompt, ohne daß ihr auch nur ein Wort verstattet worden wäre. So konnte sie dem Richter nicht sagen, selbst wenn sie weniger niedergeschmettert gewesen wäre, daß sie niemals Bier verkauft und daß ihr Mann es hergestellt hätte, warum zogen sie ihn nicht zur Verantwortung?
»Es muß irgend etwas geschehen für die Frau«, sagte Dolores, als sie ihren Bericht beendet. »Sie muß heraus aus dem Gefängnis. Die dreihundert Dollar müssen bezahlt werden. Ich habe noch eine Halskette, auf die mir jemand gern das Geld leihen wird –«
»Es wird etwas mehr erfordern als dreihundert Dollar«, warf Tilton ein. »Die Frau ist im Gefängnis gewesen, das muß bezahlt werden.«
»Wieso? Es müßte dann doch eigentlich weniger sein. Mrs. Brown hat da doch schon einen Teil der Strafe abgebüßt«, erwiderte Dolores etwas erstaunt.
»Das sollte man annehmen, aber es ist nicht so. Wenn jemand zu einer Geldstrafe von – sagen wir – hundert Dollar oder an deren Stelle zu einem Monat Gefängnis verurteilt worden ist und er hat, nehmen wir an, drei Wochen verbüßt, weil er das Geld nicht eher beschaffen konnte, so wird ihm von der Geldstrafe nicht nur nichts erlassen, sondern er hat auch für die Tage, die er im Gefängnis verbracht hat, noch ein bestimmtes tägliches Unterhaltsgeld zu bezahlen. Erst wenn er den letzten Tag verbüßt hat, ist er von aller Zahlung frei.«
»Das verstehe ich nicht«, bekannte Dolores.
»Ich auch nicht«, pflichtete ihr Tilton bei. »Es ist aber so.«
»Well, es macht nichts aus, ob es ein paar Dollars mehr sind. Ich werde das auf meine Kette leicht bekommen. Wollen Sie versuchen, das Geld für mich zu beschaffen? Die Frau muß unter allen Umständen heraus aus dem Gefängnis. Bedenken Sie ihren Zustand.«
»Ich werde das gern tun«, erklärte Tilton, »halte es aber für richtiger, sie erst einmal selbst zu sehen, heute abend ist es natürlich zu spät dazu, aber morgen in aller Frühe werde ich hinfahren. Ich glaube um acht Uhr wird man mich in das Gefängnis einlassen.«
»Oh, ich bin Ihnen so dankbar. Es steckt nämlich auch noch verschiedenes dahinter. Der Mann hat mit einem Rechtsanwalt gesprochen, den er kennt und der ihm nicht gleich mit einer Vorschußforderung auf den Leib rückte, der Rechtsanwalt hat Nachforschungen angestellt und herausgefunden, daß der Arrest der armen Frau der Versuch von zwei Prohibitionsagenten war, sich ein paar Dollars Ischariotgeld zu verschaffen. Der Angeber erhält, wie Sie wissen werden, von einer Geldstrafe zwanzig Prozent für seine Anzeige, leider nicht auch von der Gefängnisstrafe. Vor ein paar Wochen hatten Browns nun abends einen Mann bei sich zu Besuch, der in einer Auto-Tankstation arbeitet. Sie tranken ein paar Flaschen Bier zusammen. Der Mann war aber ein Spitzel für Loughry, den Prohibitionsagenten. Um sich nun einige Dollars zu verdienen – wie oft mögen sie das schon vorher getan haben – beschwor der Mann eine Anzeige, daß die Browns Bier und Whisky im Hause hätten und verkauften. Und das, nachdem er Gast im Hause gewesen und sie ihm nur Freundlichkeit erwiesen hatten. Der Plan war sehr gut und beide hätten wahrscheinlich das Geld gut gebrauchen können, aber er mißlang, denn Mrs. Brown hatte die dreihundert Dollar nicht und ihr Mann ebensowenig. Da sie die Sache aber nun einmal angefangen hatten, mußten sie sie auch durchführen und so steckt die Frau nun für fünfundsiebzig Tage im Gefängnis.«
»Und der Richter war wahrscheinlich ebenso enttäuscht, denn er darf der Stadt keine Kosten verursachen, sondern muß ihr Einnahmen verschaffen«, bemerkte Tilton, dessen Lippen sich zu einer fast geraden Linie geformt hatten.
Dolores nickte.
»Loughry erhält für seine Tätigkeit sechs Dollar und fünfundzwanzig Cent täglich und Spesen, seine Spitzel bezahlt er nach den Erfolgen, eben aus den Anteilen, die von den Strafgeldern für ihn abfallen. Dazu braucht er auch gerade die Spitzel, denn er als Beamter kann diesen Anteil nicht fordern, nur Fremde, vorigen Monat hat er nahezu vierhundert Dollar, einschließlich Meilengeld für sein Auto erhalten, das seine eigene Frau den ›Leichenwagen‹ nennt. Wieviel die Spitzel an ihn abgeführt haben, weiß natürlich niemand, von dem Spitzel hat der Rechtsanwalt Empfangsbescheinigungen über Summen von dreißig bis achtzig Dollar in der Office des Distrikt Attorneys gesehen, die alle von Loughry beglaubigt waren. Können Sie die Leute nicht bloßstellen in Ihrer Zeitung? vielleicht gelingt es Ihnen sogar, ihnen den Meineid nachzuweisen; es wird nicht der einzige sein.«
»Ich glaube, daß ich etwas tun kann«, sagte Tilton, den Rest seiner Zigarette in den Aschbecher werfend. »Mein Instinkt als Zeitungsmann sagt mir, daß es wert ist, der Sache nachzugehen. Schreiben Sie mir hier alle nötigen Adressen auf. Zuerst die Ihre, also Mr. Browns, und die des Rechtsanwalts. Das andere werde ich selbst ausfindig machen. Und rufen Sie mich mittags zwölf Uhr in der Office an.«