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5.

Dreifinger-Jack blickte sich im Saale um. Langsam wanderte sein Blick von einer Gruppe der Gäste zur anderen. Er mußte verschiedene Bekannte oder Freunde unter ihnen entdecken, denn er nickte mehreren von ihnen vertraulich zu.

Dann schien ihm plötzlich ein Gedanke zu kommen, denn er wandte sich wieder an die beiden Journalisten und sagte:

»Wissen Sie, daß Jack Diamond in Neuyork um die Ecke gebracht werden sollte?«

»Nein«, erklärten Tilton und Dorsey gleichzeitig überrascht.

»Ja, vor ein paar Stunden. Fünf Mann drangen in die Zimmer ein, die er im Hotel bewohnte, und schossen auf ihn mit Revolvern. Er wurde von fünf Kugeln getroffen, lebt aber noch und liegt im Spital. Die Täter will er nicht angeben und auch nicht den Grund des Überfalles. Es steht in den Abendzeitungen.«

»Die haben wir nicht gelesen«, sagte Tilton. »Ich ging fort, sobald ich meine Korrekturfahnen durchgesehen hatte. Die Nachricht muß später eingegangen sein.«

»Well, Jack hat der Polizei rund heraus erklärt, daß er die Täter nicht kennt, und auch wenn das der Fall wäre, würde er sie nicht verraten.«

»Das ist etwas, das ich nie recht begriffen habe«, meinte Dorsey mit einem Hin- und Herwiegen des Kopfes, »wenn mich jemand zu morden versucht, habe ich doch keine Ursache mehr, ihn zu schonen, vorausgesetzt, daß mir Zeit bleibt, ihn zu nennen.«

»Mag sein, aber wir denken anders darüber, kein Gangster wird einen anderen verraten.«

»Das ist Ehrensache«, versetzte Tilton lächelnd.

»Well, etwas ähnliches«, gab Dreifinger-Jack zu, in dem er dem Kellner zuwinkte, ihm ein zweites Glas Whisky zu bringen.

»Übrigens, es wird niemand um die Ecke gebracht, der es nicht verdient hat.«

»Wissen Sie, wer es war?« fragte Dorsey.

»Nein, aber ich weiß, warum es geschehen ist.«

»Hoffentlich ist das kein Geheimnis.«

»Well, es ist niemals gut, zu viel zu reden. Mancher könnte heute noch leben, wenn er es nicht getan hätte. Aber ich weiß, Sie werden nicht sagen, von wem es kommt und Mr. Tilton auch nicht. In ein paar Tagen wird es ja doch bekannt sein und es schadet schließlich niemand, wenn Sie es morgen schon und bevor es die anderen Zeitungen erfahren, in der Tribune veröffentlichen. Ich habe gehört, und das ist das einzige, was ich sagen kann, daß eine große Brauerei Jack Diamond fünfzigtausend Dollar ausgezahlt hat als Schutzgeld gegen Sabotage, und die hat er für sich behalten.«

Irgend jemand hatte inzwischen einen Nickel in das selbstspielende Piano geworfen, das jetzt einen flotten Twostep herunterhämmerte. Mehrere Paare erhoben sich von ihren Plätzen und begaben sich nach dem anstoßenden Raume, um zu tanzen.

Unter ihnen befand sich ein älteres Mädchen oder eine Frau, die mit einem Manne in den Vierzigern, der anscheinend mehr als leicht angetrunken war, an einem Tische gesessen hatte. Sie war auffallend dick und mit ihren unter einem schwarzhaarigen Bubikopf keck hervorblitzenden dunklen Augen mochte sie für einen groben Geschmack einige Reize haben. Der Mann war groß und sehnig und offenbar fremd in der Stadt. Er schien vom Lande zu sein, vielleicht Viehzüchter, der nach Chikago gekommen war, um Vieh zu verkaufen, und mit dem vereinnahmten Gelde das Nachtleben hier genießen wollte, von dessen Reizen er so viel gehört und dessen Gefahren er nicht kannte. Er schien bereits in die richtigen Hände gelangt zu sein.

Auch Ramona del Barranca mit ihrem rothaarigen Beschützer schloß sich den tanzenden Paaren an. Tilton bemerkte, daß sie ihn, als sie an seinem Tische vorüber ging, wieder mit einem schnellen Blicke streifte, sie bemühte sich aber, ihn möglichst unauffällig erscheinen zu lassen.

Der Tanz hatte erst einige Minuten gewährt, als sich im Nebenraume laute streitende Stimmen erhoben, die die lärmenden Klänge des Pianos übertönten.

»Du verdammte Spitzbübin!« rief eine kräftige Stimme, die auf den freien Flächen der westlichen Viehweiden geübt schien. »Willst du wohl mein Geld hergeben!«

Und eine schrille weibliche Stimme rief fast gleichzeitig: »Hilfe! Er will mir mein Geld rauben!«

»Du bist ein Vampyr und hast noch niemals so viel Geld in deinem Leben gehabt!« schrie die kräftige Stimme wieder.

Die beiden Streitenden waren inzwischen dem Ausgange nach dem allgemeinen Gastzimmer so nahegekommen, daß die meisten der Gäste dort sie in voller Sicht hatten. Es waren der lange, sehnige Fremde und seine dicke Gefährtin. Sie hatte die Hand erhoben, in der sie ein Paket Banknoten hielt, der Mann bemühte sich vergeblich, es ihr zu entreißen.

»Hilfe!« schrie sie noch einmal. »Er will mir mein Geld stehlen.«

»Verdammte Lügnerin, es ist mein Geld und du hast es mir gestohlen!« rief der Mann mit einem zornroten Gesicht zurück.

Jim Bossini, der Manager, war mit einer überraschenden Gelenkigkeit von seinem Standorte hinter der Bar hervorgeglitten und eilte nun auf die Streitenden zu.

»Was ist los hier? Ich kann Ihnen einen Streit in meinem Lokal nicht gestatten.«

»Ich will nur mein Geld wieder haben!« rief der Mann und versuchte von neuem, dem Mädchen das Bündel Banknoten wieder zu entwinden. »Sie hat es mir aus meiner Brusttasche gestohlen, aber ich habe sie dabei erwischt. Deshalb preßte sie sich so fest an mich!«

»Es ist nicht wahr, Jim. Er lügt. Es ist mein Geld und er hat es mir aus meinem Brustausschnitt herausgeholt.«

Einer oder zwei von den Kellnern wurden aufmerksam, denn es schien, als ob die Fähigkeiten, denen sie ihre Stellung hier verdankten, bald in Anspruch genommen werden sollten. Sie waren natürlich keinen Augenblick darüber im Zweifel, wer von den Streitenden sich im Recht befand. Das ging sie aber nichts an. Der Mann war Fremder und würde voraussichtlich niemals wieder hier gesehen werden, das Mädchen aber, wie anzunehmen war, ein häufiger Gast und mit einflußreichen Gangstern befreundet. Die Politik des Hauses bestimmte somit, daß man sie in der Ausübung ihres Gewerbes nicht störte.

Das war auch der Standpunkt, den Jim Bossini sofort einnahm. Der Streit der beiden wurde immer lebhafter, die Stimme des Mädchens immer schriller und die des Mannes immer dröhnender.

»Das Mädchen hat mir mein Geld gestohlen; ich verlange, daß die Polizei geholt wird!« schrie er.

»Hören Sie mal, Mister«, erklärte Jim, »wenn ich an Ihrer Stelle wäre, so würde ich nicht von der Polizei reden. Sie würden es vielleicht verdammt schwierig finden, sie davon zu überzeugen, daß Sie der Bestohlene sind. Können Sie das beweisen, wenn das Mädchen das Gegenteil behauptet? Wir können die Sache nicht entscheiden. Gehen Sie zur Polizei, wenn Sie das wollen, aber einen Streit kann ich in meinem Lokal nicht dulden und ich muß Sie ersuchen, es zu verlassen.«

Das brachte den Mann noch mehr in Harnisch und seine Stimme überschlug sich fast in Beschuldigungen, jetzt nicht mehr gegen das Mädchen allein, sondern auch gegen den Manager des Lokals. Er kam aber nicht sehr weit damit, denn auf einen Wink Jims griffen zwei Kellner ein, die ihn hart anpackten und nach dem Ausgange drängten, während ihm ein dritter seinen Hut auf den Kopf stülpte.

Indessen, der Mann war nicht ohne Kräfte und sich dessen bewußt. Er mochte manchen Stier auf der Prärie durch eine Drehung des Kopfes an den Hörnern zu Boden geworfen haben.

Seine Fäuste sausten mit einer Wucht auf die Kellner herab, die ihn von seinen Gegnern sicher bald befreit haben würde, wenn diese nicht die Schulung ihres Athletenklubs besessen hätten. So aber zeigten sie sich in der Abwehr und Erwiderung seiner Schläge geschickter, als er in seinem Angriff, und als der dritte Kellner dann noch einsprang, war das Gefecht zu seinen Ungunsten entschieden und er bald darauf zur Tür hinausbefördert. Draußen hörte man noch eine kurze Weile sein Fluchen, aber es verlor sich bald in dem Lärm des abendlichen Straßenverkehrs.

Die Szene hatte keine übermäßige Aufregung unter den Gästen hervorgerufen; es war offenbar ein Vorkommnis, das hier nicht zu den Seltenheiten gehörte. Während ein Kellner auf einen Wink Jims sich hinter die Bar begab und den beiden Bartendern half, alles Verdächtige dort zu beseitigen, sprang einer der Artisten auf das Podium und begann einen Vortrag, der verschiedene örtliche Ereignisse mit kräftigem Spott behandelte.

Damit war der Betrieb wieder in seine normalen Bahnen eingelenkt.

Die beiden Journalisten bemerkten noch, wie Jim an das Mädchen herantrat, und hörten, wie er zu ihr sagte:

»Du verschwindest am besten, Carrie, denn ich bin sicher, wir haben in einer halben Stunde die Polizei hier. Und das nächstemal bist du vorsichtiger, hörst du?«


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