Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es müssen hier notwendigerweise ein paar Worte über die Erpressungsmethoden der Gangster in Chikago eingeschoben werden. Ihre Organisation ist eine derartige, daß kein Geschäftsmann, klein oder groß, ihnen entgehen kann. Keine Stadt ist frei davon, aber in Chikago haben sie doch einen Umfang angenommen, daß im Jahre 1928 Industrien mit einem Gesamtumsatz von Hunderten von Millionen Dollars es vorzogen, von Chikago zu verziehen nach Plätzen, wo sie zwar vor diesen Methoden nicht ganz sicher waren, denn solche gibt es kaum, wo aber die Gangster doch nicht so organisiert und Polizei und Gerichte nicht so ohnmächtig gegen sie sind, wie dort, wenn in Chikago ein Polizeileutnant oder Polizeikapitän, der sich den Gangstern noch nicht ausgeliefert hat, scharf gegen sie vorgeht, so ist zehn gegen eins zu wetten, daß er bald versetzt wird, um sein Amt in einem Bezirke auszuüben, wo er den Gangstern nicht schaden kann.
Sie üben ihre Tätigkeit so schamlos, so unbekümmert um alle Folgen aus, morden oft so sinnlos, daß im Jahre 1929 ein besonderes Racketeer-Gericht geschaffen werden mußte, das nur diese Fälle abzuurteilen hat.
Das Wort Racket bezeichnet die Gangsterorganisation und ihre Methoden, während die Gangster selbst Racketeere sind. Es ist erst seit ein paar Jahren im Gebrauch und gehört zu dem Gangster-Jargon.
Wie sinnlos oft gemordet wird, dafür nur zwei Beispiele. Ein paar Banditen verübten einen »Hold up« in einem Drogengeschäft, zwangen den Inhaber, sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu legen und die im Laden befindlichen Käufer, sich mit erhobenen Händen in eine Reihe zu stellen. Dann machten sie sich über die Ladenkasse her. Da sie nur fünfundvierzig Dollar darin fanden, erschossen sie den Inhaber und verschwanden in ihrem Automobil, das auf sie gewartet hatte.
In einem anderen Falle überfielen sie ein Restaurant und zwangen den Inhaber, ihnen die Kasse auszuliefern, während einer von ihnen den Gästen befahl, die Hände hochzuheben. Einer der Gäste lachte dabei. Es gibt Leute, die in kritischen Augenblicken einen unwiderstehlichen Zwang dazu empfinden. Das brachte den Banditen in Wut.
»Was lachen Sie?« herrschte er ihn an. »Hier gibt's nichts zu lachen. Die Sache ist ernst.«
Damit schoß er ihm eine Kugel durch den Kopf.
Zur Zeit, als das Gericht eingesetzt wurde, waren der Polizei zweihundert verschiedene Rackets bekannt. Es gab natürlich noch viel mehr, aber unter der Dreiheit der gewerkschaftlichen Unionen, die vielfach nur für die Racketeere gegründet sind, der bestochenen Politiker und eingeschüchterten Geschäftsleute, denen ihr Leben lieb ist und die es daher vorziehen, nichts zu verraten, bleiben sie geheim. Und wenn in einer Stadt mehr als dreihundertfünfzig Morde in einem Jahre begangen und fünfzig Geschäfte vermittels Bomben in die Luft gesprengt werden, so kann man dieses Schweigen schon verstehen.
Nicht alle Gangster raffen indessen Millionen zusammen. Nichts ist zu klein für sie, auch die kleinsten und armseligsten Unternehmungen werden von ihnen nicht verschont.
Angenommen, zehn Kastanienröster haben ihre Stände an verschiedenen Straßenecken, plötzlich tritt ein Mann, seinem ganzen Äußeren nach Mitglied eines Athletenklubs, – denn die Übungen in einem solchen sind für einen Gangster so wichtig, daß er sie nur selten versäumt – an den Inhaber des einen heran, mustert ihn mit einem Blicke, als wenn er sich auf ihn stürzen wollte, und fragt:
»Sind Sie dabei oder nicht. Was möchte ich gern wissen.«
Der Kastanienröster weiß natürlich nicht, was das bedeuten soll, was kann er tun? Was hat er getan? Wer tut was?
Der Mann aus dem Athletenklub setzt ihm nun auseinander, daß eine Union der Kastanienröster gegründet worden ist, mit dem Zweck, den Preis der Holzkohlen herabzusetzen, die Röstmaschinen zu verbessern, die Polizei an jeder Belästigung der Röster zu verhindern, die Kastanien selbst zu verbilligen und Entschädigungsklagen gegen die Lieferanten einzuleiten, falls sie minderwertige Ware liefern. Überhaupt alles zu tun, die Röster in ihren berechtigten Interessen zu schützen. Und das alles für zwei Dollar Eintrittsgeld und einen Dollar den Monat Beitrag.
Gerade in dem Augenblicke, wo der Kastanienröster sich anschickt, dem Gangster zu empfehlen, ihm mit seiner Union vom Leibe zu bleiben, wird dieser vertraulich und erzählt ihm lachend, jetzt, wo er sich doch für den Beitritt entschieden hat, von einem anderen, der töricht genug war, sich ausschließen zu wollen. Was geschah? Well, er geriet in Streit mit ein paar Leuten und wurde fast totgeschlagen.
Das genügt. Der Röster zahlt zwei Dollar und verpflichtet sich, jeden Monat einen Dollar zu zahlen.
Mit dem nächsten verhandelt es sich schon leichter, denn der Gangster kann sich bereits auf den ersten als Mitglied berufen. So geht es weiter, und ein paar tatsächliche Überfälle und ein mehrmaliges Verstreuen der Warenbestände solcher, die unklug genug waren, zu glauben, sie könnten auf die Segnungen der Union verzichten, hilft bedeutend nach.
Der Terror ist das verläßlichste und überzeugendste Agitationsmittel der Gangster. Einer der brutalsten Morde in Chikago wurde an einem Altpapierhändler namens Max Braverman verübt. Er trat in einer Versammlung auf, wandte sich gegen diese Erpressungen und forderte Rechnungslegung seitens der Leiter der Union. Er wurde mitten in der Versammlung von Lefty Lewis, einem der Leiter, niedergeknallt, der darauf kaltblütig fragte:
»Wünscht noch einer Rechnungsablegung?«
Lefty Lewis wurde angeklagt, aber freigesprochen, denn die Zeugen, die mit Bestimmtheit ein gleiches Schicksal erwartet hätte, versagten.
Ein anderes Beispiel. Die Chikago-Association des Nahrungsmittel- und Fruchthändler-Gewerbes. Eintrittsgeld fünfundzwanzig Dollar, monatlicher Beitrag fünf Dollar. Dafür erhalten die Mitglieder die Zusicherung, daß die Union ihnen bis zu einer bestimmten Entfernung von ihrem Geschäft Konkurrenz fernhalten wird. Was versprechen wird auch eingehalten, denn jeder, der es etwa versuchen sollte, ein gleiches Geschäft in der geschlossenen Zone zu eröffnen, erhält zuerst eine Warnung. Die genügt in der Regel. Wenn nicht, erfolgen schärfere Maßnahmen.
Der Aufgabenkreis des neuen Racketeer-Gerichtes gibt ein Bild von der Vielgestaltigkeit dieses Unwesens. Es hat folgende Zölle abzuurteilen: Zerstörung von Eigentum durch Sprengmittel, Körperverletzung von Personen durch Sprengmittel, böswillige Beschädigung von Gebäuden, Erpressung, Anwendung von Stinkbomben, Verabredung zu einer ungesetzlichen Handlung, Boykott oder schwarze Liste, Herstellung oder Verkauf von Sprengstoffen, das Betreten von Häusern, um die Bewohner zu bedrohen, Entführung zur Erlangung von Lösegeld, Überfälle und Körperverletzung, sowie Bedrohung von Arbeitern.
Nicht selten werden von diesen Rackets Personen betroffen, die gar nichts damit zu tun haben.
Als eine Gruppe von Gangstern es unternahm, eine Union der Garage-Eigentümer zu gründen, versprach sie diesen eine Vermehrung ihrer Einnahmen – und hielt das versprechen. Im allgemeinen hatten immer nur sehr wenig Autobesitzer ihre Wagen in den Garagen eingestellt und es vorgezogen, sie an den beiden Seiten der Straßen zu parken. Strolche, mit passenden Instrumenten ausgerüstet, durchlöcherten nun in einem Monat fünfzigtausend Gummireifen, ohne daß jemals einer dabei erwischt wurde. Aus den Zeitungen erfuhren dann die Besitzer, warum das geschah und stellten ihre Wagen ein. Die Gangster hatten Sorge getragen, das den Reportern mitzuteilen, so daß kein Irrtum obwalten konnte.
Wie viele solcher Verbände den Gangstern Erpressungsgelder zahlen müssen, davon nur einige Beispiele. Da ist zuerst die Aschefahrer-Association, dann die Bruderschaft der Sodawasserverkäufer und Kellnerinnen, die Meisterphotographen-Union, die Union der koscheren Geflügelschächter, der Lumpenhändler und Hausierer, der Fischhändler, der elektrischen Schilderfabrikanten, Garage-Angestellten, Garage-Eigentümer, die Bonbonkocher, die Boardinghaus- und Hotel-Association, die Union jüdischer Schlächtermeister und unzählige andere.
Und sie alle werden von den Gangstern in Zucht gehalten, durch Mißhandlungen, bei denen die Gangster immer in der Überzahl oder im Besitz von Waffen sind, die jeden Widerstand ausschließen, Körperverletzung, Bombenwürfe und Mord.
Im September 1928 überfielen William Clifford und Michael Reilly, zwei durch ihre Gewalttätigkeit berüchtigte Gangster und Bosse der Garage-Eigentümer-Association, eine Garage in der North Clark Street und schlugen auf die Angestellten ein. Diese wußten kaum, um was es sich handelte und warum ihr Boß sich den erpresserischen Forderungen der Association widersetzt hatte. Aber um dem Boß zu zeigen, was das bedeutete, wurden seine Angestellten bis zur Bewußtlosigkeit mißhandelt.
Polizist Walter Hoder von der Chikago Ave. Station, ein noch junger Mann mit zwei oder drei Belobungen für Tapferkeit, ging an der Garage vorüber, sah einen Mann bewußtlos am Boden liegen und einen andern, der von den Rowdys unbarmherzig mißhandelt wurde. Er eilte ihm zu Hilfe und lag im nächsten Augenblicke selbst mit fünf Kugeln im Leibe am Boden.
Elmer Sperry, einer der Angestellten, hatte sich während der Mißhandlungen und Schießerei in der an die Garage stoßenden Office verbarrikadiert. Man hatte ihn mit dem Tode bedroht, wenn er versuchen sollte, zu entfliehen. Aber da ein Polizist, dem Tode nahe, und drei Angestellte bewußtlos geschlagen am Boden lagen, hielten die Gangster es für geraten, zu verschwinden. In der Aufregung hatten sie Sperry vergessen.
Sie erinnerten sich seiner aber, als der Vorfall am nächsten Tage das Stadtgespräch bildete und kehrten am Abend nach der Garage zurück. Sperry war freilich nicht mehr da, er hatte die Stellung in der Garage aufgegeben. Sein Nachfolger war ein Mann namens Albert Pratt, der Sperry, dessen Bild die Gangster wohl nicht mehr so genau im Gedächtnis hatten, etwas ähnlich sah. Sie erschossen ihn.
Die Mörder wurden verhaftet, zusammen mit einem Manne, der an beiden Abenden vor der Garage Wache gestanden hatte. In der nachfolgenden Verhandlung wurden sie aber freigesprochen. Das war nicht verwunderlich, denn die Geschworenen erhielten brieflich, durch den Fernsprecher und auf anderen Wegen Drohungen und wußten, daß sie blutiger Ernst waren.
Selbst Hoder, der Polizist mit den mehrfachen Belobungen für Tapferkeit, wagte es nicht, gegen die Angeklagten auszusagen. Die Unrichtigkeit seiner Aussagen war so klar, daß er wegen Meineid unter Anklage gestellt wurde.
Unmittelbar daraus wurde David Ablin, der Mann, der die Garage-Eigentümer-Association gegründet hatte, entführt, beraubt und durch eine Anzahl Schüsse schwer verwundet. Man hatte ihn wohl für tot gehalten, aber nachdem er ein paar Monate hindurch im Spital mit dem Tode gekämpft hatte, erholte er sich wieder. Als er aus dem Hospital entlassen wurde, fand er Clifford und Reilly, die Garagemörder, und einen anderen Mann namens Raymond in den leitenden Stellen. Das war Grund genug für ihn, sein Amt sofort niederzulegen – vorsichtshalber tat er es aber durch den Fernsprecher.
Während sich das Gesetz in diesem, wie in so vielen andern Fällen, als ohnmächtig erwiesen hatte, übte die Unterwelt indessen ihre eigene Gerechtigkeit. Am 13. April 1929 bog eine Limousine in eine menschenleere, dunkle Seitenstraße von Cicero, einer Vorstadt Chikagos, ein. Zwei Männer sprangen heraus und verschwanden eiligst in der Dunkelheit. Ein Polizist, dem ihre verdächtige Eile auffiel, näherte sich der Maschine und erblickte im Hinteren Teile zwei Männer, mit den Köpfen auf dem Boden und den Beinen auf den Sitzen. Sie waren offenbar schon ein paar Stunden tot und man hatte ihre Leichen dann in das Auto geworfen, um sie von der Stelle, wo man sie ermordet hatte, wegzuschaffen. Sie wurden später als William Clifford und Michael Reilly erkannt. Das Auto war selbstverständlich gestohlen.
Die Täter hat man niemals festgestellt.
Es war das wenigste, was man für sie tun konnte.