Arthur Conan Doyle
Micha Clarke
Arthur Conan Doyle

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XXXII.

Der Überfall bei Sedgemoor.

Wie groß unsre eignen Drangsale und Kümmernisse auch immer sein mochten, wir hatten jetzt keine Zeit, den Gedanken daran nachzuhängen, denn die Stunde, welche unser Schicksal und das der protestantischen Sache in England entscheiden sollte, stand vor der Thür. Keiner von uns unterschätzte die Gefahr. Es schien, daß nur ein Wunder uns vor einer Niederlage bewahren könne, und die meisten unter uns meinten, die Zeit der Wunder sei vorbei. Es gab indes auch solche, die anders dachten. Hätte sich in jener Nacht der Himmel aufgethan und wären die Seraphim und Cherubim und die ganze Menge der himmlischen Heerscharen zu uns hernieder gefahren, so wäre manch ein Puritaner in unserm Heere durchaus nicht überrascht gewesen, würde vielmehr das Ereignis für selbstverständlich gehalten haben.

Die ganze Stadt hallte wieder vom Predigen. Jeder Truppenteil, jede Kompanie hatte ihren eignen besondern Redner, manchmal sogar mehr als einen, die den Text auslegten und lautes Zeugnis gaben von dem Geist, der in ihnen war. Von Fässern, von Wagen herab, aus offenen Fenstern, ja selbst von den Dächern redeten sie auf die unten lauschende Menge ein, und ihre Beredsamkeit blieb nicht ohne Erfolg. Heiseres, wildes, kampfheischendes Geschrei erschallte hin und her in den Straßen, untermischt mit Gebetsbrocken, Seufzern und Ächzen. Die Männer waren gleichsam trunken von ihrer Religion, wie von süßem Wein. Ihre Angesichter waren erhitzt, ihre Gebärden wild, und ihre Zunge lallte. Saxon und Sir Stephan nickten einander lächelnd zu bei diesem Anblick. Die kundigen Veteranen wußten wohl, daß von allen Reizmitteln, welche einen Mann tapfer und todesfreudig machen, die religiöse Begeisterung am stärksten und nachhaltigsten wirkt.

Es war schon spät, als ich endlich Muße fand, noch einmal nach meinem verwundeten Freunde zu sehen. Ich fand ihn von Kissen gestützt aufrecht in seinem Bette sitzen. Das Atemholen wurde ihm schwer, aber er war lustig und guter Dinge wie immer. Unser Gefangener, Major Ogilvy, welcher uns sehr in sein Herz geschlossen hatte, saß neben ihm und las ihm aus einem alten Komödienbuche vor.

»Die Wunde hab' ich recht zur Unzeit bekommen,« sagte Ruben ungeduldig. »Ist es nicht wirklich ein starkes Stück, daß meine Leute nun nach all dem Exercieren und Marschieren ohne ihren Hauptmann in die Schlacht ziehen müssen, bloß wegen so 'nem lumpigen Nadelstich? Das Tischgebet hab' ich mitangehört, und das Mittagessen geht mir an der Nase vorbei!«

»Deine Kompanie ist mir zuerteilt worden,« antwortete ich. »Den braven Jungens fällt es schwer genug, ohne ihren eignen Kapitän ins Feld zu müssen. War der Doktor noch einmal bei dir?«

»Er ist soeben fortgegangen,« sagte Major Ogilvy. »Er meinte, es stünde gut mit unserm Freunde, hat mir aber anbefohlen, ihm das Reden nicht zu gestatten.«

»Hörst du, alter Kerl?« sagte ich und drohte ihm mit dem Finger. »Wenn du nur ein Wort sprichst, gehe ich gleich hinaus! Ihr entgeht heut nacht einem unsanften Erwecktwerden, Herr Major – dank Eurer Gefangenschaft! Was haltet Ihr von unsern Aussichten?«

»Ich habe von Anfang an wenig davon gehalten,« entgegnete er freimütig. »Mir kommt Monmouth vor wie ein bankerotter Spieler, der sein letztes Goldstück einsetzt. Er kann schwerlich gewinnen, er wird wahrscheinlich verlieren.«

»So schlimm steht's doch nicht!« warf ich ein. »Ein einziger Erfolg – und die Grafschaften der Midlands stehen in Waffen!«

»England ist noch nicht reif dafür,« meinte der Major kopfschüttelnd. »Allerdings, es ist dem Papsttum und dem papistischen Könige abhold; aber jedermann weiß, daß es sich dabei nur um eine Frage der Zeit handelt, denn der Prinz von Oranien, der die nächste Anwartschaft auf die Thronfolge hat, ist ja ein Protestant. Wozu also sich ins Unglück stürzen, um mit Gewalt herbeizuführen, was sich mit Geduld und mit der Zeit ganz von selber machen wird? Überdies hat sich der Mann, für den ihr kämpft, als gänzlich unzuverlässig erwiesen. Versprach er doch in seinem Aufruf an das Volk, die Wahl eines Monarchen dem Hause der Gemeinen zu überlassen. Kaum eine Woche später läßt er sich auf dem Marktplatz zu Taunton zum Könige ausrufen. Wer kann einem Menschen trauen, der es mit der Wahrheit so wenig genau nimmt?«

»Hochverrat, Herr Major, offenbarer Hochverrat!« entgegnete ich lachend. »Zwar gebe ich gern zu, wenn man sich einen Führer bestellen könnte wie einen Rock, so hätten wir uns vielleicht auch einen derberen Stoff ausgesucht. Wir stehn aber nicht für ihn unter Waffen, sondern für die verbrieften Rechte und Privilegien freigeborner Engländer. – Ist Sir Gervas noch nicht hier gewesen?«

Major Ogilvy brach in ein schallendes Gelächter aus, in das selbst Ruben miteinstimmte.

»Ihr werdet ihn oben im Giebelzimmer finden,« erklärte unser Gefangener. »Keine gefeierte Schönheit kann sich mit größerer Sorgfalt zum Hofball schmücken, wie er zu einer Schlacht! Wenn den die Reiter des Königs gefangen nehmen sollten, werden sie sicher glauben, daß sie den Herzog erwischt haben. Er war vorhin hier, um sich bei uns Rat's zu erholen über Schönpflästerchen, Strumpfhosen und Gott weiß was noch alles! Gehet nur ja zu ihm hinauf!«

»Gottbefohlen denn, Ruben!« sagte ich und drückte dem Freunde die Hand.

»Gott befohlen, Micha! Gott schütze dich,« sagte er.

»Darf ich Euch einen Augenblick allein sprechen?« flüsterte ich dem Major zu. »Ich meine,« fuhr ich fort, als er mir in den Gang gefolgt war, »Ihr könnt nicht behaupten, daß Eure Gefangenschaft eine drückende gewesen wäre. Da möchte ich Euch nun bitten, falls wir wirklich heut nacht geschlagen würden, meinen Freund in Obacht zu nehmen. Wenn Feversham die Oberhand erlangt, wird es ein blutiger Tag werden. Die Gesunden können ja sehen, wo sie bleiben, aber er ist wehr- und hilflos und wird einen Freund und Beschützer nötig haben.«

Der Major drückte mir warm die Hand.

»Ich schwöre es bei Gott,« sagte er, »es soll ihm kein Leid geschehen.«

»Ihr habt mir eine Last vom Herzen genommen,« erwiderte ich. »Jetzt weiß ich ihn geborgen. Jetzt kann ich leichten Mutes in die Schlacht ziehen.«

Der Offizier lächelte mir freundlich nickend zu und kehrte in das Krankenzimmer zurück, während ich die Treppe zu Sir Gervas Quartier hinaufstieg.

Er stand an einem Tisch, auf dem in buntem Durcheinander Kruken, Dosen, Bürsten, Schachteln und ein Schock sonstiger Firlefanzereien umherlagen, die er sich für diese besondere Gelegenheit gekauft oder geliehen hatte. Ein großer Handspiegel war gegen die Wand aufrecht angelehnt, auf jeder Seite brannte ein Talglicht. Vor dieser künstlichen Veranstaltung, feierlichen Ernst in den Zügen seines schönen bleichen Gesichtes, ordnete der Baronet immer wieder von neuem die Fältelung und Verknotung seiner schneeweißen Halsbinde und ihre Zipfel. Seine Reiterstiefel waren spiegelblank gewichst, die aufgeplatzte Naht ausgebessert. Das Degengefäß, der Brustharnisch, und was er sonst von Waffen an sich hatte, blitzte und funkelte. Er hatte seinen prächtigsten, neuesten Anzug angelegt, vor allem aber eine höchst vornehme und imposante Perücke, deren Locken ihm bis auf die Schultern herabwallten, und die so weiß war, wie der feinste Puder sie nur machen konnte. Vom zierlichen Reiterhut bis zum blinkenden Sporn war auch nicht ein Fleckchen oder Stäubchen an ihm wahrnehmbar. Dagegen bot mein Zustand eine traurige Folie, denn an meinen Kleidern und Stiefeln klebte eine dicke Kruste des Schlammes, durch den ich vor kurzem gewatet war, und den ich im Drange der Geschäfte noch nicht hatte entfernen können.

»Ei der Tausend, Ihr kommt gerade zur rechten Zeit!« rief er aus, als ich eintrat. »Eben habe ich nach einer Flasche Sekt geschickt! Aha, da ist er!«

Eine Aufwärterin aus der Schenke kam in diesem Augenblick mit der Flasche und einigen Gläsern die Treppe herauf getrippelt.

»Da hast du ein Goldstück, mein Schätzchen, das allerletzte, das ich auf der Welt mein eigen nenne. Das einzig Überlebende aus einer zahlreichen Familie. Bezahle den Wirt, Kleine und behalte den Überschuß für dich. Kauf dir auf dem nächsten Jahrmarkt ein paar hübsche Bänder dafür. Hol's der Fuchs! ob ich wohl diese Krawatte heut noch zum glatten Sitzen bekommen werde?«

»Sie sitzt ja sehr gut,« bemerkte ich. »Wie kann man nur in solcher Zeit an solche Lappalien denken?«

»Lappalien!« rief er entrüstet. »Lappalien! Aber es verlohnt sich nicht der Mühe, mit Euch zu streiten. Eure ländliche Einfalt wird niemals den feinen, unfaßbaren Einfluß verstehen, den diese Dinge ausüben – die Gemütsruhe, wenn sie in Ordnung sind, die verdammte Unbehaglichkeit, wenn etwas nicht paßt. Es ist das unzweifelhaft eine Folge der Erziehung, aber es kann sein, daß dies Gefühl bei mir besonders entwickelt ist. Ich bin in dem Punkt wie eine Katze, die sich lieber den ganzen Tag leckt, als daß sie das mindeste Stäubchen auf ihrem Fell duldet. Ist dies Schönpflästerchen über der linken Augenbraue nicht geschmackvoll angebracht? Aber Ihr könnt das ja nicht beurteilen; ebensogut könnte ich Freund Marot, den Buschklepper, um seine Ansicht befragen. Schenkt Euch ein!«

»Eure Kompanie wartet am Dom auf Euch,« warf ich ein. »Ich sah sie im Vorübergehen.«

»Was machten die Leute für einen Eindruck?« fragte er. »Waren sie gepudert und sauber?«

»Darauf zu achten hatt' ich keine Zeit. Sie schnitten ihre Lunten zu und machten ihre Patronen zurecht.«

»Ich wollte, sie hätten alle Radschloßflinten,« meinte er und besprengte sich mit wohlriechendem Wasser, »die Luntenschlösser sind langsam und beschwerlich beim Gebrauch. Trinkt Ihr nicht noch eins?«

»Ich mag nicht mehr,« versetzte ich.

»Dann leert vielleicht der Major die Flasche. Es ist mir nicht oft vorgekommen, daß ich nicht allein damit fertig wurde, aber heut nacht will ich mir den Kopf klar halten. Kommt jetzt, wir wollen zu unsern Leuten gehn.«

Es war zehn Uhr, als wir auf die Straße hinaus traten. All das laute Gelärm, die Stimmen der Prediger, das Rufen der Menge hatte einer Totenstille Platz gemacht. Die Regimenter waren angetreten und standen schweigend und ernst in Reih und Glied. Aus den Fenstern und von den vereinzelten Straßenlaternen fielen unruhig flackernde Streiflichter über die düsteren, enggeschlossenen Reihen. Der Mond goß ein kaltes, klares Licht herab durch eine Herde flockiger Lämmerwölkchen, die ab und zu an seinem Antlitz vorüberhuschten. Fern im Norden schossen zitternde Lichtpfeile vom Horizonte auf. Sie kamen und schwanden, wie lange bebende Finger. Das war das Nordlicht, ein Anblick, den man in den südlichen Grafschaften sehr selten zu sehen bekommt. Es war daher kein Wunder, daß die Fanatiker die Himmelserscheinung für ein gottgesandtes Zeichen hielten und sie mit der Feuersäule verglichen, die Israel durch die Gefahren der Wüste hindurchgeführt hatte. Die Bürgersteige und Fenster waren gedrängt voll von Frauen und Kindern, und ab und zu ertönte ein schriller Schrei der Angst oder der Bewunderung beim Wachsen und Sinken des seltsamen Lichtes.

»Nach der Marienturmuhr ist's jetzt halb elf,« sagte Saxon, als wir vor die Front unsers Regimentes ritten. »Könnten wir den Mannschaften nicht etwas zu trinken geben?«

»Auf dem Hof jener Schenke unten lagert noch ein Oxhoft Zoyländer Apfelwein,« rief Sir Gervas. »Du da, Dawson, nimm diese goldenen Ärmelschnallen und gib sie dem Wirt. Stecht das Faß an und gebt jedem Mann sein Horn voll Wein. Hol mich dieser und jener, sie sollen sich nicht schlagen, ohne was andres als kaltes Wasser im Leibe zu haben!«

»Ja, ja, sie werden ein bißchen Erwärmung not haben bis zum Morgengrauen,« sagte Saxon, indem eine Abteilung Pikenmänner ins Gasthaus abschwenkte. »Die Sumpfluft durchrieselt das Blut mit Eiseskälte.«

»Ich friere schon, und Covenant will auch nicht mehr stehn,« stimmte ich bei. »Könnten wir nicht vielleicht die Linie entlang reiten, da wir doch Zeit im Überfluß haben?«

»Ganz gewiß,« gab Saxon munter zurück, »ein sehr vernünftiger Einfall!« Darauf lockerten wir die Zügel, und unsre Gäule griffen freudig aus, daß die Funken vom Pflaster stoben.

Unsre Infanterie war in einer langen Linie hinter der Kavallerie aufmarschiert. Vom Eastover Thor über die Brücke die ganze Hauptstraße entlang an Cornhill vorbei und der Kirche bis zum Pig-Croß stand das Fußvolk in grimmem Schweigen, nur hin und wieder erklang ein letzter Scheidegruß einer Frauenstimme aus einem Fenster, auf den eine kurze tiefe Stimme aus den Reihen der Männer antwortete. Der unstete Lichtschein fuhr über die Sensenklingen und Flintenläufe und beleuchtete die Reihen rauher entschlossener Gesichter, darunter bartlose Knaben und alte Männer, deren ergraute Bärte ihnen bis auf den Schwertgurt herabhingen, aber allen gemeinsam war dasselbe Gepräge zähen Mutes und willensstarker Selbstbeherrschung aufgedrückt. Hier stand das Fischervolk des Südens. Dort die ernstgrimmen Bewohner der Mendipberge, die wilden Jäger aus Porlock Quay und Minehead, weiterhin wieder die Wilddiebe von Exmoor, die zottigen Sumpfbauern aus Axbridge, die Bergbewohner aus den Quantocks, an die sich dann die Tuch- und Wollenweber aus Devonshire, die Viehzüchter aus Bampton und die Rotröcke der Miliz anschlossen. Jetzt ritten wir an den stämmigen Bürgern von Taunton vorbei und schließlich an dem Mark und Rückgrat des ganzen, den tapferen Bauern der Ebene in ihren Arbeitskitteln, deren Ärmel sie bis zum Ellenbogen aufgekrempelt hatten, so daß die braunen sehnigen Arme bloß waren, wie es Brauch bei ihnen ist, wo es heiße Arbeit gibt.

Während ich eben jetzt zu euch davon spreche, lieben Kinder, heben sich die seit jener Zeit verflossenen fünfzig Jahre wie Morgennebel aus den Thalgründen. Mir ist, als ritte ich wieder durch die krummen Straßen und schaute mit lebensvoller Deutlichkeit die dichten Reihen meiner heldenmütigen Kameraden. Tapfere Herzen! Sie haben für alle Zeiten bewiesen, wie wenig Mühe es kostet, einen Engländer in einen Soldaten zu verwandeln, gezeigt, von welchem Schlage die Männer sind, die in den still friedlichen Dörfern und Weilern der sonnigen Hänge von Devon und Somerset aufwachsen. Sollte es je so weit kommen, daß England niedergeworfen im Staube läge, daß seine Armeen es im Stiche ließen und es sich wehr- und waffenlos dem Feinde preisgegeben sähe, dann soll es doch nicht verzagen. Es soll an dem Gedanken sich aufrichten, daß jedes Dorf in seinen Grenzen gleichsam eine Kaserne ist und daß sein stehendes Heer: der kühne Mut und einfältige Tüchtigkeit allezeit in der Brust auch des ärmsten und geringsten seiner Bauern lebendig ist.

Als wir die lange Front abritten, erhob sich jedesmal ein freudig grüßendes Gemurmel unter der Mannschaft, sobald sie Saxons riesige hagere Gestalt erkannten. Die Uhr holte eben aus, die elfte Stunde zu schlagen, als wir zu unserm Regiment zurückkehrten. Im selben Augenblick trabte auch König Monmouth mit seinem Stabe aus dem Gasthause, in dem er geherbergt, und ritt die Hauptstraße entlang. Alles Lärmen war verboten worden, aber die Begeisterung seiner Getreuen machte sich wenigstens im Hüte- und Waffenschwenken Luft. Kein Hornsignal durfte das Zeichen zum Abmarsch geben. Jede Truppe empfing das Kommando, und wenn sich die ersten in Bewegung gesetzt hatten, folgten die Hintermänner. Das Schurren und Stampfen vieler hundert Füße wurde immer deutlicher, kam uns immer näher, bis auch die Leute aus Frome unmittelbar vor uns zu marschieren begannen. Gleich darauf traten auch wir den letzten Gang an, den die meisten von uns auf Erden thun sollten.

Unser Weg führte über den Parret, durch Eastover den schlängelnden Pfad entlang, an der Stelle, wo Derrick von seinem Schicksal ereilt worden war, und an dem einsamen Häuschen des kleinen Mädchens vorüber. Weiterhin wird der Weg zum schmalen Steige über das Heideland. Dichter Nebel lag über dem Moor, ballte sich zu förmlichen Wolken über den tieferen Stellen und verschleierte sowohl die Stadt, aus der wir kamen, wie die Dörfer, denen wir zustrebten. Hin und wieder hob er sich ein paar Sekunden, dann erblickte ich im Mondenschein die lange schwarze Schlangenlinie des Heeres, die schimmernden Stahlspitzen und das Wehen der kunstlosen Banner im Nachtwinde. Rechter Hand, aber in weiter Entfernung, rötete eine große Feuersbrunst den Himmel – wahrscheinlich ein Bauernhaus, das die Tangerer Teufel geplündert hatten. Wir marschierten sehr langsam und behutsam, denn die Heide war, wie uns Sir Stephan mitgeteilt, von großen Gräben oder »Rheinen« durchquert, die nur an wenigen Stellen passierbar waren. In diesen zum Abzug des Wassers aus dem Marschlande gegrabenen breiten Rinnen stand Schlamm und Wasser mehrere Fuß tief und machte sie auch für Kavallerie ganz unpassierbar. Es gab nur wenige schmale Brücken, so daß die Armee erst in geraumer Zeit hinüber gelangen konnte. Endlich waren die breitesten, der Schwarze Graben und der Rhein von Langmoor überschritten. Nun wurde Halt gemacht und die Infanterie formierte sich, da offenbar keine Vorposten zwischen uns und dem königlichen Hauptquartier lagen. Soweit war unser Unternehmen wunderbar glücklich abgelaufen. Ohne jeglichen Unfall und Hindernis waren wir bis auf eine Viertelmeile an das Feldlager herangekommen, und kein feindlicher Späher hatte sich blicken lassen. Sie verachteten uns augenscheinlich so sehr, daß es ihnen gar nicht beifiel, wir könnten es wagen, zuerst anzugreifen. Wenn je ein General eine Schlappe verdiente, so war es Feversham in jener denkwürdigen Nacht. Während die Regimenter sich auf dem Moore ordneten, schlug die Turmuhr in Chedzoy eins.

»Ist das nicht herrlich!« flüsterte mir Sir Gervas zu, als wir jenseits des Rheins von Langmoor unsre Rosse anhielten. »Was auf Erden läßt sich dieser spannenden Erregung vergleichen?«

»Ihr redet, als handle es sich um einen Hahnenkampf oder ein Stiergefecht,« erwiderte ich etwas kühl. »Die Sache ist denn doch zu ernst und traurig dazu. Mag gewinnen, wer da will – es ist immer englisches Blut, was heute nacht Englands Erde netzen wird.«

»Um so mehr Raum haben dann die Überlebenden,« meinte er leichthin. »Seht Ihr da drüben ihre Wachtfeuer durch den Nebel schimmern? Was empfahl doch nur Euer nautischer Freund bei solchem Anlaß? ›Gewinnt ihnen die Luvseite ab und entert‹ – nicht wahr? Habt Ihr das auch dem Obersten angeraten?«

»Hört doch mit Euren Witzen und Späßen auf, es ist jetzt wirklich nicht die Zeit dafür,« erwiderte ich ernst. »Wie mancher von uns wird die Sonne morgen nicht aufgehen sehen!«

»Ich habe gar kein Verlangen danach, sie zu sehen,« wandte er lachend ein, »sie wird wahrscheinlich ebenso aussehen wie gestern. Meiner Treu! obgleich ich nie in meinem Leben aufgestanden bin, um einen Sonnenaufgang mitanzusehen, habe ich doch etliche hundert gesehen, ehe ich zu Bette ging!«

»Ich habe meinem Freunde Ruben die wenigen Anordnungen mitgeteilt, die für den Fall meines Todes zu treffen sind,« sagte ich. »Es ist mir ein sehr wohlthuendes Gefühl, allen meinen Lieben und Bekannten einen Abschiedsgruß und ein kleines Andenken zu hinterlassen. Kann ich Euch gegebenen Falls nicht den gleichen Dienst erweisen?«

»Hm,« meinte er nachdenklich. »Wenn ich bleibe, so mögt Ihr Araminta sagen – doch nein, wir wollen das arme Mädchen in Ruhe lassen! Wozu soll ich ihr durch meine letzten Grüße Schmerz bereiten? Wenn Ihr mal nach London kommt, so würde sich Tommy Chichester sehr freuen, von unsern lustigen Abenteuern in Somerset zu hören. Er ist täglich von zwei bis vier im Cocabaum zu treffen. Auch Mutter Butterworth möchte ich Euch ans Herz legen. Einst war sie die Königin aller Ammen, aber die grausame Zeit hat sie mit ihrem Geschäft aufs Trockene gesetzt, und sie braucht nun selbst ein wenig Wartung und Pflege.«

»Solltet Ihr fallen und ich überleben, so werde ich für sie sorgen,« versicherte ich. »Habt Ihr sonst noch etwas zu sagen?«

»Nur daß Hacker in Pauls Yard die besten Unterkleider hat,« entgegnete er. »Es ist ein unbedeutendes Bruchstück der Erkenntnis, das aber wie alle Erkenntnis teuer erkauft und bezahlt worden ist. Richtig – noch eins! Ich habe noch ein paar Schmucksachen übrig zum Hochzeitsgeschenk für die hübsche kleine Puritanerin, wenn unser Freund sie heimführt. Schwerenot, was wird er für absonderliche Bücher lesen müssen! Ei was, Herr Oberst, warum sitzen wir hier fest im Moor, wie eine Schar Reiher zwischen den Binsen?«

»Das Heer wird in Schlachtordnung gestellt,« versetzte Saxon, der während unsrer Unterhaltung herangeritten kam. »Donnerblitz! Hat man je ein so exponiertes Lager gesehen? Was gäb' ich für zwölfhundert tüchtige Reiter – Wessenbergs Panduren nur auf eine halbe Stunde! Wie wollt' ich sie zertrampeln, bis ihr Hauptquartier aussehen sollte, wie ein Kornfeld nach einem Hagelschlag!«

»Könnte nicht unsre Kavallerie vorgehen?« fragte ich.

Der alte Soldat spuckte verächtlich aus.

»Wenn wir dies Gefecht gewinnen, so kann das nur durch das Fußvolk geschehen,« erklärte er. »Was ist von solcher Kavallerie zu erwarten! Haltet Eure Mannschaft stramm zusammen, denn wir werden wohl den Ansturm der Königsdragoner aushalten müssen. Ein Flankenangriff wird uns zunächst treffen – wir haben den Ehrenposten.«

»Rechts von uns stehen Truppen,« bemerkte ich und spähte in das Dunkel hinaus.

»Ganz recht. Die Bürger von Taunton und die Bauern aus Frome. Unsre Brigade deckt die rechte Flanke. Uns zunächst stehen die Grubenarbeiter der Mendips. Bessere Kameraden will ich mir gar nicht wünschen, wenn nur ihr Eifer nicht mit ihrer Besonnenheit davon läuft. Jetzt eben liegen sie auf den Knien im Schmutz und beten.«

»Sie werden darum nicht schlechter kämpfen,« erwiderte ich; »aber seht Ihr nicht, daß die Truppen dort avancieren?«

»Freilich, freilich!« rief Saxon freudig, riß sein Schwert aus der Scheide und band sein Sacktuch um den Korb, um dem Griff mehr Halt zu geben. »Die Stunde ist da! Vorwärts!«

Sehr langsam, schweigend und behutsam bewegten wir uns vorwärts, immer noch durch dichten Nebel unter beständigem Ausgleiten und Einsinken in den schlüpfrigen Boden. Trotz aller Vorsicht ließ sich beim Marsche eines so großen Heeres natürlich doch der hohl dröhnende Schall der vielen tausend Tritte nicht ganz dämpfen. Vor uns fingen an breite Flecken rötlichen Lichtes durch den Nebel zu schimmern – es waren die feindlichen Wachtfeuer. Unmittelbar vor uns her zog in dicht geschlossener Kolonne unsre Reiterei.

Da plötzlich erschallte aus dem Dunkel ein kurzer Anruf, eine ebensolche Erwiderung, darauf ein Pistolenschuß und galoppierender Hufschlag. Die ganze Linie entlang fielen noch mehrere Schüsse. Wir hatten also die äußere Vorpostenkette erreicht. Auf diesen Alarm hin sprengte die Reiterei mit lautem Hurra vor, wir folgten im Sturmschritt, so schnell die Leute laufen konnten. Schon hatten wir mehrere hundert Schritt des Moorbodens hinter uns, schon hörten wir in unmittelbarster Nähe die königlichen Hornsignale, da plötzlich machte die Kavallerie Halt, und der ganze Angriff geriet ins Stocken.

»Sancta Maria,« schrie Saxon und sprengte vorwärts, um die Ursache der Verzögerung zu erkunden. »Wir müssen vorwärts um jeden Preis! Jeder Aufenthalt vernichtet unser Camisado!«

»Vorwärts, vorwärts!« riefen Sir Gervas und ich und schwangen unsre Schwerter.

»Es geht nicht, ihr Herren,« rief ein junger Kornet und rang die Hände, »wir sind verloren und verraten! Vor uns ist ein zwanzig Fuß breiter Wassergraben ohne Brücke und Furt!«

»Gebt Raum, und ich will euch den Weg hinüber weisen!« rief Sir Gervas und ließ sein Pferd sprungbereit zurücktreten. »Was meint ihr, Jungens, wer springt mit?«

»Haltet ein, Herr, um Gotteswillen!« sagte einer der Reiter und fiel ihm in den Zügel. »Vorhin hat das Sergeant Sexton schon versucht, und Roß und Reiter sind drin umgekommen.«

»Wir wollen uns die Geschichte wenigstens ansehen,« rief Saxon und bahnte sich eine Gasse durch den Reiterknäuel. Wir folgten ihm auf dem Fuße bis an den Rand des breiten Kanals, der unsern Vormarsch hemmte.

Bis auf den heutigen Tag ist mir's unklar geblieben, ob es Zufall, ob es Verräterei unsrer Führer war, daß wir von dem Einschnitt nichts erfahren hatten, bis wir im Finstern darauf stießen. Manche wollen wissen, der sogenannte »Bussex Rhein« sei für gewöhnlich weder breit noch tief, so daß die Moorbauern gar nicht daran gedacht hätten, ihn zu erwähnen, aber die heftigen Regengüsse der letzten Wochen hätten ihn so anschwellen lassen, wie nie zuvor. Andre behaupten, die Führer hätten sich im Nebel verirrt und eine falsche Richtung eingeschlagen, sonst wären wir sehr wohl, ohne den Graben zu passieren, an das Lager herangekommen. Wie dem aber auch sein mochte – Thatsache blieb es, daß er breit, schwarz und dräuend vor uns gähnte, von einem Ufer zum andern volle zwanzig Fuß breit. Mitten darauf schwamm die Mütze des unglücklichen Unteroffiziers als stumme Warnung für alle Wagehälse, die es gelüstete hindurchzuwaten.

»Irgendwo müssen wir hinüber,« rief Saxon wutschäumend, »jeder Augenblick ist für die da drüben soviel wert wie ein Kavallerieregiment. Wo ist Lord Grey? Ist der Führer nach Gebühr bestraft?«

»Major Hollis hat den Führer in den Graben geworfen,« erwiderte der junge Kornet. »Lord Grey ist am Ufer entlang geritten, um eine Furt zu suchen.«

Ich riß einem Soldaten die Pike aus der Hand und senkte sie in das schwarze schlammige Gewässer, während ich selbst, Covenant am Zügel haltend, bis an die Brust darin stand. Aber nirgends konnte ich Grund finden, nirgends eine Spur festen Bodens.

»Heda, Bursch!« rief Saxon und ergriff einen Reiter am Arm. »Reite rasch zum Nachtrab! Jag, als ob dir der Teufel im Nacken säße. Schaffe ein paar Munitionswagen zur Stelle, wir wollen doch mal sehen, ob wir nicht diesen Satanspfuhl überbrücken können!«

»Wenn auch nur eine geringe Zahl der Unsrigen im stande wäre, sich drüben festzusetzen, könnte der Feind wohl so lange aufgehalten werden, bis wir Verstärkung erhielten,« meinte Sir Gervas, als der Reiter gestreckten Galopps davon sprengte, um seinen Befehl auszuführen.

Die ganze Linie des Rebellenheeres entlang pflanzte sich ein gedämpfter Wutschrei getäuschter Erwartung fort, der bewies, daß die Armee überall auf dasselbe Hindernis gestoßen war, das unsern Angriff vereitelt hatte. Drüben am jenseitigen Ufer des Grabens wirbelten die Trommeln, gellten die Hörner, ja man konnte sogar Flüche und Kommandoworte der Offiziere, die ihre Mannschaften ordneten, deutlich vernehmen. In Chedzoy, Westonzoyland und den andern Flecken links und rechts zeigten aufflammende Lichter, wie schnell der Alarm sich verbreitete.

Dezimus Saxon ritt am Grabenrande auf und nieder, ließ ganze Salven ausländischer Flüche los, knirschte vor Grimm mit den Zähnen und hob sich ab und zu im Bügel, um dem Feinde mit der geballten gepanzerten Faust zu drohen.

»Für wen seid ihr?« erscholl von drüben heiseren Lautes eine Stimme durch den Nebel.

»Für den König!« brüllten die Bauern zurück.

»Für welchen König?« hieß es wieder.

»Für König Monmouth!«

»Los Jungens, gebt's ihnen!«

Ein Hagel von Flintenkugeln pfiff und summte uns um die Ohren. Sobald aber der Feuerregen aus der Finsternis uns entgegen sprühte, scheuten die halbzugerittenen Pferde und rasten in tollem Schrecken über die Ebene dahin, so daß alle Versuche der Reiter, sie zu zügeln, vergebens waren. Es geht allerdings die Rede, daß diese Versuche nicht besonders stark und anhaltend gewesen seien, und daß unsre Kavalleristen nach dem ersten Mißerfolg am Graben dem Feinde gar nicht so ungern den Rücken gekehrt haben sollen. Lord Grey freilich, das kann ich wahrheitsgemäß bezeugen, that alles, was ein tapferer Kavalier nur konnte, um sie zum Stehen zu bringen. Ich sah ihn in dem unsicheren Licht zwischen den fliehenden Schwadronen, wie er sich ihnen entgegenwarf, bat, mahnte und befahl – alles vergebens! Da war kein Halten! Sie jagten durch die Reihen des Fußvolks hindurch auf und davon und ließen ihre Kameraden im Stich, die nun den vollen Ansturm des Feindes allein zu bestehen hatten.

»Alle Mann – niederwerfen!« donnerte Saxon mit einer Stimme, die das Knattern des Kleingewehrfeuers und das Geschrei der Verwundeten kraftvoll übertönte. Die Pikeniere und Sensenmänner warfen sich auf das Kommando lang zur Erde, die Musketiere aber knieten vor ihnen nieder, luden und feuerten, obwohl nur die brennenden Lunten der Feinde drüben ihnen ein unsicheres Ziel gewährten. Die ganze Linie entlang hatte sich jetzt ein fortgesetztes Schießen hüben und drüben entwickelt, wobei die Soldaten kurze rasche Salven abgaben, welche die Bauern durch ein unausgesetztes aber unregelmäßiges Feuern beantworteten. Auf dem andern Flügel waren unsre vier Geschütze ins Gefecht eingetreten, und wir hörten ihr fernes dumpfes Grollen.

»Singt, meine Brüder, singt!« rief unser mutiger Feldprediger, Herr Josua Pettigrue, der zwischen den liegenden Schützenreihen geschäftig hin und her eilte. »Lasset uns den Herrn anrufen in der Stunde der Not!«

Die Männer stimmten einen Lobgesang an, der zu einem gewaltigen Chore anschwoll, da ihn die Bürger von Taunton zu unsrer Rechten und die Grubenarbeiter zur Linken aufnahmen. Die Soldaten drüben dagegen erhoben ein lautes Hussa – so daß die Luft von all dem wilden Lärm erzitterte.

Wir hatten unsre Schützen hart am Grabenrande des Bussexrheins postiert. Die königlichen Truppen auf der andern Seite hatten ein Gleiches gethan, so daß uns kaum zwei Pikenlängen Entfernung von einander schied. Aber dieser kleine Zwischenraum war so vollkommen unpassierbar, daß er uns ebenso wirksam trennte wie eine Viertelmeile Entfernung, natürlich bis auf das mörderischere Feuer. Wir waren einander so nahe, daß die brennenden Wattpfropfen aus den feindlichen Flinten wie Feuerflocken auf unsre Köpfe fielen und der glutheiße Luftzug ihrer Salven uns umwehte. Die Luft wimmelte von Kugeln, aber die Soldaten zielten zu hoch, schossen meist über die Köpfe unsrer knienden Mannschaften hinweg, und nur wenige der Unsern fielen. Wir thaten unserseits alles Mögliche, die Leute zum genauen Zielen anzuhalten. Saxon, Sir Gervas und ich ritten unablässig zwischen den Gliedern, auf und nieder, drückten die Laufe mit den Klingen in eine wagerechte Lage hinab und ermahnten die Leute, langsam und sicher ihr Ziel zu wählen. Geschrei und Röcheln jenseits des Grabens bewies auch, daß ein großer Teil unsrer Schüsse wenigstens nicht vergeblich abgegeben worden war.

»Wir behaupten uns in unsrer Stellung,« sagte ich zu Saxon. »Mir scheint, ihr Feuer läßt nach.«

»Es sind ihre Pferde, die ich fürchte,« entgegnete er, »sie können den Graben wahrscheinlich umgehen, da sie in den Dörfern auf unsrer Flanke liegen und können jeden Augenblick über uns herfallen.«

»Holla!« rief Sir Gerdas, parierte sein Pferd dicht am Rande des Sumpfes und lüftete artig seinen Federhut vor einem berittenen Offizier auf der andern Seite des Grabens. »Darf ich fragen, mein Herr, ob wir die Ehre haben, der Gardeinfanterie gegenüber zu stehen?«

»Wir sind vom Regiment Dumbarton,« rief jener zurück, »und werden Euch Ursach geben, diese Begegnung nicht zu vergessen.«

»Wir werden gleich hinüber kommen, um nähere Bekanntschaft mit Euch zu machen,« gab Sir Gervas zurück. Im gleichen Augenblick fast rollte er aber mit samt seinem Pferde in den Kanal unter dem Jubelgebrüll der Soldaten drüben. Ein halbes Dutzend seiner Musketiere sprangen sofort bis über den Leib in den schwarzen Schlamm und entrissen unsern Freund der Gefahr, indes der ins Herz getroffene Gaul wie ein Stein untersank.

»Thut nichts!« rief der Baronet und sprang wieder auf die Füße, »ich fechte auch lieber zu Fuß, wie meine braven Musketiere!«

Die Leute jauchzten ihm bei diesen Worten zu, und dann wurde das Feuern auf beiden Seiten hitziger denn je.

Es deuchte mir und auch andern schier wie ein Wunder zu sehen, wie diese tapferen Bauern, den Mund voll Kugeln, kaltblütig Pulver auf die Pfanne schütteten, luden und Feuer gaben, als ob das ihre tägliche Beschäftigung Zeit ihres Lebens gewesen wäre. Standhaft behaupteten sie so ihre Stellung einem Regiment regulärer Kerntruppen gegenüber, das auf andern Schlachtfeldern seine Überlegenheit über alle andern Regimenter des englischen Heeres bewährt hatte.

Die graue Morgendämmerung stahl sich über die Moorlandschaft, und immer noch war der Kampf nicht entschieden. Leichtes gefiedertes Nebelgewölk schwebte noch um uns her, aschgrauer Pulverdampf zog dazwischen über unsre Häupter, und auf der andern Seite des Rheins schimmerten die langen Reihen der Rotröcke in gespenstischer Vergrößerung durch den Dunst wie Bataillone von Riesen. Meine Augen schmerzten mich, und auf den Lippen fühlte ich den beizenden Pulvergeschmack. Rechts und links von mir fielen jetzt die Leute, denn das zunehmende Licht erlaubte den Soldaten besser zu zielen. Unsern frommen, mutigen Feldprediger traf das Blei, während er gerade einen Psalm sang. Mit einem lauten Freuden- und Dankesruf entfloh sein Geist dorthin, wo schon viele seiner Pfarrkinder, deren Leichen ringsum zerstreut lagen, ihm vorangegangen waren. Die Unteroffiziere Hopeabove Williams und der Wildhüter Wilson, die tapfersten Leute der Kompanie, wurden beide getroffen, der eine war sofort tot, der andre, schwer verwundet, fuhr noch immer fort zu laden und Kugeln in den Lauf zu stoßen. Die Zwillingsbrüder Stuckeley aus Somerton, hoffnungsvolle Jünglinge, lagen beide nebeneinander, im Tode vereint wie in der Geburt, die stillen, wachsbleichen Angesichter himmelwärts gewandt. Überall lagen die Sterbenden und Toten zwischen den Lebenden, aber niemand rührte sich vom Platze, und Saxon ritt unaufhörlich im Schritt durch die Reihen mit aufmunternden und lobenden Worten. Sein strenges, tiefgefurchtes Antlitz und seine hochragende nervige Gestalt waren den einfachen Landleuten ein wahrer Leitstern der Hoffnung. Alle diejenigen unter meinen Sensenmännern, die mit dem Gewehr Bescheid wußten, rückten in die Gefechtslinie vor und bewaffneten sich mit den Flinten und Patronentaschen der Gefallenen.

Bei der zunehmenden Helligkeit konnte ich hin und wieder durch Risse im Nebel und Pulverdampf einen Überblick gewinnen, wie das Gefecht in andern Teilen des Schlachtfeldes stand. Rechts von uns lagen die braunen Gestalten der Tauntoner und der Männer aus Frome lang auf dem Heideboden hingestreckt, wie wir, um sich so einigermaßen vor dem Feuer von drüben zu decken. Ganz entlang den Ufern des Bussexrheins tauschten ihre Musketiere mit den Feinden mörderische Salven, Lauf gegen Lauf mit dem linken Flügel desselben Regiments, mit dem auch wir im Gefecht standen. An dies schloß sich weiterhin dann ein andres mit breiten weißen Aufschlägen – vermutlich die Wiltshirer Miliz. Auf jedem Ufer des schwarzen Pfuhles türmten sich hier braune, dort scharlachfarbene Leichenhügel und dienten den überlebenden Kameraden als Deckung und Stützpunkt für ihre Flintenläufe.

Zu unsrer Linken in den Weidengebüschen lagen fünfhundert Grubenarbeiter aus den Mendips und Bagworthy. Sie sangen einen kräftigen Psalm aus voller Kehle, waren aber so elend bewaffnet, daß vielleicht nur auf den zehnten Mann eine Schießwaffe kam, um den Kugelregen, der auf sie herabprasselte, zu erwidern. Da sie nicht vorwärts konnten und zurück nicht wollten, versteckten sie sich, so gut es eben ging, und warteten geduldig ab, was ihre Führer über sie beschließen würden.

Und auch weiterhin eine halbe Meile entlang bewies uns die langrollende Rauchwolke, aus der hastige flammende Blitze von hüben und drüben herausfuhren, daß jedes einzige unsrer unerfahrenen Regimenter tapfer seine Schuldigkeit that.

Dagegen war die Kanonade auf dem linken Flügel verstummt. Die holländischen Kanoniere mochten denken, es sei am geratensten, die Insulaner ihren Streit allein ausfechten zu lassen. Sie waren nach Bridgewater zurückgetrabt und hatten ihre schweigenden Feldschlangen den königlichen Dragonern überlassen.

So stand die Schlacht, als plötzlich der Ruf erscholl: »Der König, der König!«

Monmouth ritt durch unsre Reihen, ohne Hut, mit wild verstörtem Blick, – Buyse, Wade und einige andre Herren des Gefolges hinter ihm her. Er parierte in Speeresweite von mir sein Pferd, und Saxon sprengte mit gezogenem Degen salutierend vor. Unwillkürlich drängte sich mir der Gegensatz zwischen beiden auf: Gesicht und Haltung des Veteranen so ernst und ruhig, so gefaßt und doch so wachsam und thatbereit und dagegen das aufgeregte, halb unzurechnungsfähige Gebahren des Mannes, den wir genötigt waren, als unser Oberhaupt anzuerkennen.

»Was meint Ihr, Oberst Saxon?« rief er fassungslos. »Wie steht das Gefecht? Haltet Ihr Euch? O weh, welch fürchterlicher Irrtum, welch fürchterlicher Irrtum! Was meint Ihr, Herr Oberst, sollen wir nicht lieber zum Rückzug blasen lassen?«

»Wir behaupten uns hier, Ew. Majestät,« erwiderte Saxon. »Hätten wir nur so etwas wie Palissaden oder Stockados nach schwedischem Muster zur Hand, dann könnten wir uns auch gegen einen Kavallerieangriff halten.«

»Ach ja, die Kavallerie,« rief der unglückliche Monmouth. »Wenn wir diesmal noch davon kommen, will ich Lord Grey zur Rechenschaft ziehen! Sie rannte ja davon wie eine Hammelherde! Was soll ein General mit solchen Truppen anfangen! Mein Gott! mein Gott! – Könnten wir jetzt nicht angreifen?«

»Angriffsweise vorzugehen hat jetzt keinen Sinn mehr, Majestät, da der Überfall fehlgeschlagen ist. Zwar hatte ich nach den Gepäckwagen geschickt, um die Tranchée zu überbrücken, dem Plan gemäß, der in der Abhandlung: ›De vallis et fossis‹ empfohlen ist – sie sind aber jetzt auch überflüssig. Wir müssen die Sache eben hier ausfechten, so gut es geht.«

»Jetzt Truppen hinüberwerfen hieße sie nutzlos opfern,« bestätigte Wade. »Ihr habt schwere Verluste gehabt, Herr Oberst. Nach dem Aussehen des jenseitigen Ufers zu schließen, habt Ihr's aber den Rotröcken heimgezahlt.«

»Haltet aus! Um Gotteswillen haltet aus!« rief Monmouth in sinnloser Angst. »Die Reiter sind geflohen, die Kanoniere gleichfalls! Ach Gott, was soll ich mit solchen Soldaten anfangen? Was wird aus mir werden! O mein Gott! mein Gott!«

Er gab seinem Roß die Sporen und galoppierte die Linie entlang, rang die Hände und winselte in derselben jämmerlichen Weise.

O meine Kinder, wie leicht, wie federleicht fällt der Tod ins Gewicht im Vergleich zu der Schande! Hätte dieser Mann sein Schicksal wenigstens schweigend ertragen, wie es der unterste Trainknecht that, der seinen Fahnen folgte, wie stolz und freudig hätten wir ihn, unsern fürstlichen Führer, gepriesen! – Doch wir wollen ihn ruhen lassen! Alle Befürchtungen und Erregungen, all das kleinliche empfindsame Wesen, das bei ihm an der Oberfläche spielte, wie das Wasser sich kräuselt, wenn der Wind darüber weht, ist nun schon manch liebes Jahr stille geworden in der großen Stille des Grabes. Laßt uns seines gütigen Herzens gedenken und die Schwäche seines Geistes vergessen!

Während die Herren des Stabes dem Könige folgten, verließ der riesenhafte deutsche Kriegsmann ihre Reihen und blieb bei uns zurück.

»Ich hab's nun dick satt, auf und ab zu trollen wie ein Lustritter auf dem Jahrmarkt,« sagte er. »Wenn ich hier bei euch bleibe, so bekomme ich doch meinen Anteil vom Fechten. Ho – ho – ruhig, mein Liebchen! Die Kugel streifte ihr den Schwanz, aber sie ist ein alter Praktikus; aus solchen Kleinigkeiten macht sie sich nichts! Hallo, Freundchen – wo habt Ihr denn Euren Gaul gelassen?«

»Im Graben,« sagte Sir Gervas, der soeben mit seinem Degen sorgfältig den Schlamm von seinem Anzug abkratzte. »Es ist nun schon halb drei Uhr,« fuhr er fort, »und wir haben über eine Stunde mit dieser kindischen Spielerei vertrödelt! Noch dazu bloß mit einem Regiment von der Linie! Da hatte ich mir denn doch etwas andres versprochen!«

»Tröstet Euch, es wird gleich besser kommen!« rief der Deutsche mit glänzenden Augen. »Mein Gott, ist das nicht ein herrlicher Anblick? Aufgepaßt, Freund Saxon, – Achtung!«

Es war keine Kleinigkeit, was den alten Soldaten zu solcher Bewunderung hinriß. Durch den Nebel, der unsre rechte Flanke noch immer dicht umhüllte, funkelte hie und da ein silberglänzendes Aufleuchten, während ein dumpfes Getöse wie das der Brandung an Felsenklippen unser Ohr traf. Häufiger und häufiger kamen die Lichtblitze, lauter und lauter dröhnte der nahende Donnerlaut – da plötzlich zerriß der Schleier, und in langen Reihen, Welle auf Welle, strahlend in Scharlach, Blau und Gold, so brach die königliche Reitergarde hervor – der großartigste Anblick, den man sehen konnte. In dem glatten, gleichmäßigen Dahinsausen einer so großen Reiterschar liegt etwas Überwältigendes, Glied auf Glied, Reihe um Reihe, mit fliegenden Fahnen, flatternden Mähnen und blitzendem Stahl, so stürmten sie heran, an sich schon ein ganzes Heer, dessen Flanken noch vom Nebel umhüllt waren. Knie an Knie, Zügel an Zügel brauste die geschlossene Masse auf uns zu, und vor ihnen her, wie der Wirbelsturm vor dem Gewitter, ging der Schall ihrer wilden Flüche, das Geklirr ihrer Rüstungen und der gleichmäßige tausendfache Hufschlag ihrer Rosse. Kein Mensch, der nicht einmal in seinem Leben mit weiter nichts in der Hand als einer sieben Fuß langen Pike, solchem Ansturm Trotz geboten hat, kann ermessen, was es heißt, ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, standzuhalten.

So prächtig das Schauspiel auch war, lieben Kinder, viel Zeit es zu bewundern blieb uns nicht, das könnt ihr euch denken. Saxon und der Deutsche warfen sich in die Reihen der Pikenträger und thaten das Menschenmögliche, um ihrer Aufstellung die höchste Geschlossenheit und Festigkeit zu geben. Sir Gervas und ich thaten das Gleiche mit den Sensenmännern, die gelernt hatten, nach deutscher Weise eine dreifache Front zu bilden. Das erste Glied kniete nieder, das zweite stand gebückt, das dritte aufrecht, alle mit vorgestreckter Waffe. Dicht neben uns hatten sich die Tauntoner zu einem finster dräuenden, von blanken Stahlspitzen starrenden Ringe zusammengeschlossen. In ihrer Mitte stand aufrecht ihr ehrwürdiger Bürgermeister. Im Winde flatterte sein langer grauer Bart, und seine Stimme klang hell und schneidend wie Trompetenton über das Feld. Näher und näher, lauter und lauter dröhnte der Hufschlag heran.

»Ruhig, meine tapferen Jungen,« erscholl Saxons volltönende Stimme. »Pflanzt den Lanzenschaft fest in die Erde! Stützt ihn mit dem rechten Fuß! Keinen Zoll breit tiefer! Ruhig!«

Ein gewaltiger Schlachtruf von beiden Seiten, – und die lebendige Woge von Menschen und Russen umrundete uns.

Wie darf ich hoffen, die Scene zu beschreiben, die nun folgte? Das Krachen und Splittern der Lanzenschäfte, Todesschrei und Gestöhn, das Wiehern und Schnauben der Rosse, der knirschende Laut, wenn der Lanzenstich dem Schwerthieb begegnete! Wem könnte es gelingen, andern ein klares Bild von dem zu geben, von dem er selbst nur einen so unbestimmten, undeutlichen Eindruck bewahrt? Wer selbst handelnd mitwirkt auf der Bühne, kann sich keine Vorstellung von dem allgemeinen Verlauf des Schlachtendramas machen, wie ihn etwa ein bloßer müßiger Zuschauer gewinnen kann; aber die wenigen Zwischenfälle, die sich vor seinen Augen abspielen, brennen sich unverlöschlich seinem Gehirn ein. So beschränken sich denn auch meine Erinnerungen auf wirbelnden Rauch, Stahlhelme über wild verzerrten Gesichtern, die roten, aufgeblähten Nüstern der Pferde und ihre hauenden Vorderhufe, als sie vor der ihnen entgegenstarrenden eisernen Hecke zurückscheuten. Dann sehe ich einen zarten, unbärtigen Jüngling – einen Dragoneroffizier, der auf allen Vieren zwischen den Sensen hindurchkriecht, und ich höre seinen Todesseufzer, als ihn einer der Bauern durchsticht. Ich sehe auch einen bärtigen Kavalleristen mit rotem, aufgedunsenem Gesicht, der seinen Schimmel vor den Sensen hin und her tummelt und wutbrüllend nach einer Lücke sucht. Dabei ist's merkwürdig, wie deutlich unwesentliche Dinge sich dem Gedächtnis einprägen. Ich bemerkte sogar, daß der Mann sehr große weiße Zähne und rote Gaumen hatte. Zugleich gewahre ich einen bleichen Mann mit schmalen Lippen, der tief über den Hals seines Rosses vorgebeugt seine Schwertspitze auf mich richtet und dazu flucht, wie nur ein Dragoner fluchen kann.

All diese Vorgänge tauchen wie Einzelbilder vor meinem inneren Auge auf, wenn ich an jenen grimmen, furchtbaren Angriff und seine Abwehr denke. Ich selber hackte, hieb und stach auf Mann und Roß ein, ohne den mindesten Gedanken an Parieren oder Decken. Rings um mich her toste ein wildes Chaos von Geschrei und Rufen, von frommen Stoßgebeten der Bauern, rohen Schwüren der Reiter, übertönt von Saxons weithin hallender Stimme, der seine Landsknechte beschwor fest zu stehen. Dann rollte plötzlich die wogende Reiterflut zurück und ergoß sich in weitem Bogen über die Ebene. Ein lautes Triumphgeschrei der Kameraden erscholl, und eine offene Schnupftabaksdose, die mir hingereicht wurde, verkündete und feierte unsern Sieg. Wir hatten den Rücken der stolzesten Schwadronen gesehen, die je der Pauke gefolgt waren.

Aber freilich, wenn wir uns auch des Sieges rühmen konnten, die Armee im großen und ganzen durfte das nicht. Nur die auserlesenste Blüte unsrer Mannschaft hatte dem Anprall der stürmenden Rosse und ehernen Reiter Widerstand geleistet. Die Fromer Bauern waren verschwunden, wie weggefegt vom Schlachtfelde. Teils hatte die bloße Wucht der Kavalleriemasse sie in den verhängnisvollen Schlammgraben gedrängt, der unsern Plan vereitelt hatte, teils waren sie niedergehauen und zertreten und lagen in grausem Gewirr auf dem Platz, den sie behauptet hatten, übereinander. Nur wenige waren dadurch, daß sie bei uns eingesprungen waren, dem Schicksal ihrer Landsleute entgangen. Weiterhin standen die Tauntoner noch in Reih und Glied, aber in sehr verminderter Zahl. Ein langgestreckter Hügel von Rossen und Reitern, der sich vor ihnen auftürmte, bekundete, wie hitzig hier der Angriff getobt, wie verzweifelt die Gegenwehr gewesen war. Die Reihen der wilden Bergleute auf unsrer Linken wurden zwar beim ersten Zusammenstoß durchbrochen, allein sie hatten trotzdem so wütend weitergekämpft, indem sie sich zu Boden warfen und von unten den Pferden in die Bäuche stachen, daß sie wirklich zuletzt die Dragoner in die Flucht schlugen. Die Devonshirer Milizen jedoch waren ganz zersprengt und niedergemacht, wie die Fromer Bauern.

Während des ganzen Kampfes überschütteten uns die Grenadiere von jenseits des Bussexrheins mit einem förmlichen Kugelregen, den unsre Musketiere, die sich gegen die Reiter zu wehren hatten, gar nicht erwidern konnten.

Es bedurfte keiner sonderlich reicher kriegerischen Erfahrung, um einzusehen, daß die Schlacht verloren und Monmouths Sache gescheitert war.

Mittlerweile war es heller Tag geworden, obgleich die Sonne noch nicht aufgegangen war. Unsre Kavallerie war geflohen, unsre Artillerie verstummt, unsre Schlachtordnung an vielen Punkten durchbrochen und mehr als ein Regiment aufgerieben. Auf unsrer rechten Flanke formierten sich die blaue Garde, die Tanger Schwadron und zwei Dragonerregimenter zu erneutem Angriff. Links hatten die Fußgarden eine Brücke über den Graben geschlagen und waren bereits mit unsern Nord-Somersetern handgemein geworden. Von vorn traf uns das regelmäßige Feuer der Linienregimenter, das wir nur schwach und planlos zu erwidern vermochten, denn die Pulverwagen hatten sich in der Dunkelheit verirrt, und hier und da riefen heisere Stimmen vergeblich nach Munition. Viele luden bereits lange mit Kieseln anstatt mit Kugeln.

Stellt euch noch dazu vor, daß die Regimenter, welche ihre Stellung behaupteten, samt und sonders von dem Angriff schwer mitgenommen waren und gut ein Drittel ihres Bestandes eingebüßt hatten. Trotz alledem erhoben die heldenmütigen Bauernburschen ein Hurra nach dem andern, riefen sich Trostworte und derbe Witze zu, als sei die ganze Schlacht nichts andres als ein freilich rauhes Spiel, das eben selbstverständlich zu Ende gespielt werden mußte, solange ein Mitspieler noch übrig war.

»Ist Hauptmann Clarke da?« rief Decimus Saxon, der eben mit blutbeflecktem Schwertarm heranritt. »Reitet zu Sir Stephan Timewell herüber. Sagt ihm, er möchte sich mit seinen Leuten uns anschließen. Getrennt müssen wir zersprengt werden, – vereint halten wir vielleicht noch einen Angriff aus!«

Ich gab Covenant die Sporen, ritt zu den Kameraden hinüber und richtete meinen Auftrag aus, Sir Stephan, der einen Streifschuß am Kopf und ein blutgetränktes Tuch um sein schneeweißes Haupt gebunden hatte, sah die Verständigkeit der Maßregel ein und ließ seine Bürger die nötigen Bewegungen ausführen. Da seine Musketiere noch reichlich mit Munition versehen waren, thaten sie vortreffliche Dienste, indem sie auf einige Zeit das mörderische Feuer vom Graben in Schach hielten.

»Wer hätte ihm das zugetraut!« rief Sir Stephan mit zornsprühenden Augen, als Buyse und Saxon ihm entgegenritten. »Was sagt ihr jetzt zu unserm edeln Monarchen, dem Vorkämpfer des protestantischen Glaubens?«

»Er ist eben kein großer Kriegsmann,« meinte Buyse, »mag sein, mehr aus Mangel an Gewohnheit als aus Mangel an Mut.«

»Mut!« rief der alte Bürgermeister verächtlich. »Seht mal dorthin, da ist euer König!«

Mit zitternden Fingern – zitternd vor Zorn mehr als vor Alter – wies er über das Moor hin. Dort, aber sehr weit schon, hob sich die Gestalt eines prächtig gekleideten Kavaliers mit einem Häuflein Begleiter von dem dunkeln Torfboden ab, über den sie hinsprengten, so schnell ihre Rosse sie tragen wollten, vom Schlachtfelde fort. Der Flüchtling war unverkennbar. Es war Monmouth – der Treulose!

»Still!« befahl Saxon, da wir alle einen Wutschrei ausstießen und in Verwünschungen ausbrechen wollten. »Entmutigt nicht unsre braven Jungen! Die Feigheit ist ansteckend und verbreitet sich so rasch durch eine Armee, wie der Brand im Körper.«

»Der Feigherzige!« rief Buyse zähneknirschend. »Verläßt das tapfre Landvolk! Es ist unerhört!«

»Pflanzt die Piken auf, alle Mann! Achtung!« brüllte Saxon mit Donnerstimme.

Wir hatten kaum Zeit, unser Viereck zu bilden und in die Mitte zu springen, da umtoste uns auch schon wieder die Windsbraut von Rossen und Reitern. Da wo die Tauntoner sich an unser Corps anlehnten, war eine schwache Stelle geblieben, durch welche sofort die blaue Garde hindurchbrach und nach rechts und links alles in Stücke hieb. Die Bürger von der einen, unsre Leute von der andern Seite blieben ihnen zwar mit Pikenstößen und gräßlichen Sensenschnitten nichts schuldig, und manch ein Sattel wurde leer, da mit einem Male, als der Kampf am heftigsten wogte, thaten die königlichen Kanonen zum erstenmale den ehernen Mund auf und spieen von der gegenüberliegenden Seite des Rheines mit Donnergebrüll einen wahren Kugelhagel gegen uns aus, der unsre dichtgedrängten Reihen gleichsam durchpflügte und lange Furchen von Toten und Verwundeten hinter sich ließ. Gleichzeitig erscholl der Verzweiflungsruf:

»Pulver her! Um Christi willen, Pulver!«

Die Musketiere hatten ihre letzte Salve abgegeben.

Wieder donnerten die Kanonen, und wieder wurden unsre Leute niedergemäht, als ob der Schnitter Tod selber unter uns seine Sense schwänge. Endlich lösten sich unsre Glieder vollständig auf. Die Stahlhelme blinkten im Herzen des Karrees der Pikeniere, und Schwerter sausten blitzend durch die Luft. Der ganze Knäuel wälzte sich ein paar hundert Schritt rückwärts, immer noch in wütendem Handgemenge, und stieß auf noch andre versprengte Heeresteile, die, gleichfalls fast aufgerieben und aus aller militärischen Ordnung gedrängt, dennoch an keine Flucht dachten.

Da waren Männer aus Devon, aus Dorset, aus Wiltshire und Somerset – niedergestampft von den Pferden, niedergehauen von den Dragonern, fielen sie reihenweise durch den Kugelregen, aber dennoch kämpften sie weiter mit zähem, verzweifeltem Todesmute für eine verlorene Sache und für einen Mann, der sie schmählich verlassen hatte. Wohin ich das Auge wandte, erblickte ich entschlossene Gesichter, zusammengebissene Zähne, hörte ich gellendes Wut- und Trotzgeschrei, aber nirgends einen Laut der Furcht, ein Zeichen der Unterwerfung. Manche sprangen den Pferden auf die Kruppe und zerrten den Reiter rücklings aus dem Sattel. Andre lagen auf dem Bauch, zerschnitten mit ihren Sensen den Gäulen die Knieflechsen und erstachen die Reiter, ehe sie auf die Füße kommen konnten.

Wieder und wieder durchbrachen die Garden ihre Reihen von rechts und links, aber die zersprengten Glieder schlossen sich hinter ihnen von neuem zusammen, und kämpften ihren Todeskampf weiter. So hoffnungslos, so jämmerlich war die Lage der tapferen Männer, daß ich mich beinah auf dem Wunsch ertappt hatte, sie möchten es aufgeben und fliehen! Nur daß das weite kahle Moor nirgends eine Zuflucht bot, der sie hätten zustreben können.

Während sie pulvergeschwärzt und halb verschmachtet vor Durst ihr Blut verspritzten wie Wasser in dem hoffnungslosen Ringen und Fechten – zu derselben Zeit jagte der Mann, der sich ihren König nannte, mit verhängtem Zügel und angstvoll klopfendem Herzen landein, nur darauf bedacht, den eignen Hals zu retten, mochte aus seinen tapferen Anhängern werden, was da wollte.

Die größte Zahl des Fußvolks kämpfte bis zum letzten Atemzug. Niemand verlangte, niemand erhielt Pardon. Aber schließlich kam doch der Augenblick, wo das letzte Häuflein der Bauern zersprengt, voneinander getrennt und ohne Munition, sich völlig auflöste und in regelloser Flucht das Heil suchte, verfolgt von der Reiterei. Saxon, Buyse und ich hatten noch ein letztes Mal versucht, sie zu sammeln und die vordersten der Verfolger niedergehauen, da gewahrte ich plötzlich Sir Gervas ohne Hut, mit einem kleinen Häuflein seiner Musketiere inmitten eines Schwarms Dragoner. Wir gaben unsern Pferden die Sporen, schlugen uns zu ihm durch und befreiten ihn für den Augenblick von seinen Angreifern.

»Springt hinter mir aufs Pferd!« rief ich. »So können wir noch entkommen!«

Er sah mich lächelnd an und schüttelte den Kopf.

»Ich bleibe bei meiner Kompanie,« sagte er.

»Eure Kompanie!« rief Saxon, »Ei, Mensch, seid Ihr von Sinnen? Eure Kompanie ist ja fast bis auf den letzten Mann zusammengehalten!«

»Das eben meine ich,« entgegnete er und knipste ein Stäubchen von seiner Krawatte. »Kümmert Euch nicht um mich. Sorgt für Eure eigne Sicherheit. Lebt wohl, Warte! Empfehlt mich bestens –«

Ein neuer Dragonerangriff trennte uns. Verzweifelt kämpfend wurden wir zurückgedrängt, und als wir uns endlich wieder umsehen konnten, war der Baronet verschwunden – verschwunden auf immer.

Später habe ich erfahren, daß die königlichen Soldaten auf dem Schlachtfelde einen Leichnam fanden, den sie irrtümlicherweise für Monmouth hielten wegen der fast weibischen Zartheit der Gesichtszüge und der Pracht seiner Kleidung. Zweifellos waren das die sterblichen Reste unsers furchtlosen Freundes, Sir Gervas Jerome, dessen Andenken meinem Herzen stets teuer sein wird. Als ich zehn Jahre später die todesmutige Kühnheit der jungen Edelleute vom Hofhalt des Königs von Frankreich rühmen hörte und den heiteren, fröhlichen Mut, mit dem sie in den Niederlanden bei Steinkirch und anderswo gegen unsre englischen Truppen kämpften, da dachte ich wohl, so wie Sir Gervas müssen sie auch gewesen sein.

Jetzt war die Losung: rette sich, wer kann!

Überall auf dem ganzen Schlachtfelde hatten die Insurgenten den Widerstand aufgegeben. Die ersten schrägen Strahlen der Morgensonne, welche über die weite öde Heide glitten, beleuchteten die lange Reihe scharlachroter Bataillone und blitzten auf den langen grausamen Schwertklingen, die erbarmungslos über der Herde widerstandsloser Flüchtlinge geschwungen wurden. Der Deutsche war im Getümmel von uns getrennt worden, und wir wußten nicht, ob er noch am Leben oder auch gefallen sei. Erst lange hernach erfuhren wir, er sei zuerst glücklich entkommen, um später doch mit dem unseligen Herzog von Monmouth gefangen zu werden. Auch Grey, Wade und andern war es gelungen, sich zu retten, dagegen lag Sir Stephan Timewell inmitten eines Kranzes ernster Leichen, den seine getreuen Bürger um ihn bildeten, im Tode wie im Leben ein unverzagter puritanischer Engländer. Das alles erfuhren wir, wie gesagt, viel später. Augenblicklich ritten wir ums liebe Leben über die Heide. Anfangs verfolgten uns noch einige Reitertrupps, aber bald ließen sie von ihrer Verfolgung ab, um sich auf eine bequemere Beute zu stürzen.

Wir ritten gerade an einem kleinen Erlengebüsch vorbei, als unsre Aufmerksamkeit durch eine laut betende, kräftig männliche Stimme unwiderstehlich gefesselt wurde. Die Zweige auseinander biegend, gewahrten wir einen Mann, der mit dem Rücken gegen einen großen Feldstein gelehnt, mit einem sehr breiten, starken Messer an seinem eignen Arm sägte, hieb und schnitt. Dazu sprach er das Vaterunser ohne Stocken, ohne auch nur ein Zittern in der Stimme. Als er jetzt von seiner fürchterlichen Arbeit aufblickte, erkannten wir ihn beide als einen gewissen Hollis, der unter Cromwell bei Dunbar mitgefochten, wie ich schon einmal erwähnte. Eine Kanonenkugel hatte ihm den Unterarm zerschmettert und halb weggerissen. Jetzt vollendete er kaltblütig die Amputation, um sich von dem nutzlosen, beiher schlenkernden Gliede zu befreien. Sogar Saxon, der doch an die Greuel des Krieges in allen Gestalten gewöhnt war, riß die Augen weit auf vor Entsetzen ob dieser unerhörten ärztlichen Selbstbehandlung. Der Mann aber nickte uns freundschaftlich zu und fuhr ungestört in seinem Treiben fort, bis er, während wir hinsahen, den letzten Fetzen durchschnitt, an dem der Arm noch hing. Dann lehnte er sich mit erbleichender Lippe zurück, die aber immer noch das Gebet murmelte.Die Anekdote ist historisch und beweist, welcher Art die Männer waren, die aus Cromwells Schule hervorgingen.

Wir konnten ihm nicht helfen, höchstens hätten wir durch einen längeren Aufenthalt seine Verfolger nach seinem Versteck gelockt; ich warf ihm deshalb nur meine halb mit Wasser gefüllte Feldflasche zu, und wir setzten eilig unsre Flucht fort.

O meine Kinder, wie fürchterlich ist doch der Krieg! Wie lassen sich doch die Menschen blenden und täuschen durch äußerlichen Flitter und Schmuck und edle feurige Rosse, durch die leeren Worte von Ruhm und Ehre, bis sie darüber das wirkliche Grausen und Entsetzen des gottverfluchten Wesens, das sich dahinter verbirgt, vergessen! Gedenkt nicht der prangenden Schwadronen, noch des begeisternden Trompetengeschmetters, sondern gedenkt an den einsamen Mann im Schatten der Erlen, und was er that in einem christlichen Lande, in einem christlichen Zeitalter. Ich, der ich im Waffenhandwerk ergraut bin und so viele Schlachtfelder gesehen habe, sollte eigentlich der letzte sein, über dieses Thema zu predigen, und doch scheint es mir ganz klar, daß, wollen wir ehrlich sein, wir entweder keine Kriege mehr führen oder eingestehen müssen, daß die Worte des Erlösers uns zu hoch sind und es ein unnützes Vorgeben und Heuchelei ist, wenn man so thut, als wäre seine Lehre praktisch ausführbar. Ich habe einmal gesehen, wie ein christlicher Geistlicher eine eben gegossene Kanone, und wie ein zweiter ein Kriegsschiff einsegnete, das eben vom Stapel lief. Diese Hirten, welche Jesu Herde weiden sollten, segneten Mordinstrumente, welche der grausame Mensch erfunden hat, um seine Mitgeschöpfe zu vernichten und zu zerreißen! Was würden wir wohl dazu sagen, wenn wir in der Heiligen Schrift läsen, daß unser Herr die Mauerbrecher und Katapulte der römischen Legionen gesegnet habe? Würden wir finden, daß das mit seiner Lehre übereinstimmte? Aber das ist es gerade! Solange die Spitzen der Christenheit dem Geist und Wesen Christi so entfremdet sind, daß sie in Palästen wohnen und in Karossen einherfahren, was Wunder, wenn auch die niedere Geistlichkeit ihrem Beispiele folgend gelegentlich die Richtschnur übertritt, die ihr großer Herr und Meister ihr gezogen hat.

Von der Höhe der niedrigen Hügelkette, welche nach Westen zu das Moor begrenzt, konnten wir rückschauend die verfolgenden Reiterscharen erblicken, die hinter den Flüchtlingen her soeben die Porretbrücke nach Bridgewater hinein passierten. Wir gönnten unsern Pferden einen Augenblick Ruhe und ließen die Augen traurig und schweigend über die verhängnisvolle Ebene schweifen, als eiliger Hufschlag ganz in unsrer Nähe erscholl. Umblickend gewahrten wir zwei Reiter in der Uniform der Garde auf uns zu sprengen. Sie hatten einen Bogen gemacht, um uns den Rückzug abzuschneiden und ritten jetzt geradewegs mit gezücktem Degen und lebhafter Gebärde auf uns zu.

»Noch mehr Blutvergießen?« sagte ich in müdem Tone. »Warum wollen sie uns dazu zwingen?«

Saxon warf unter seinen gesenkten Lidern hervor einen scharfen, forschenden Blick nach den näherkommenden Berittenen, und ein grimmes Lächeln zog sein Gesicht in tausend und abertausend Falten und Fältchen.

»Da haben wir ja unsern guten Freund, der in Salisbury die Bluthunde auf unsre Spur hetzte,« sagte er. »Das ist ein glückliches Zusammentreffen. Ich habe eine Rechnung mit ihm auszugleichen.«

Es war wirklich der jugendliche Brausekopf von Kornet, den wir im Beginn unsrer Abenteuerfahrt getroffen hatten. Ein tückischer Zufall ließ ihn die Hünengestalt meines Kameraden erkennen, als wir das Schlachtfeld verließen, und er folgte ihm, begierig, die Scharte auszuwetzen und sich für die Demütigung an ihm zu rächen, die er einst durch ihn erlitten. Sein Begleiter war ein Korporal von den Lanzenreitern, ein vierschrötiger, reckenhafter Kerl, der einen schweren Rappen mit weißer Blesse ritt.

Saxon ritt dem Offizier langsam entgegen, während der Soldat und ich einander aufs Korn nahmen.

»Nun, Knabe,« hörte ich meinen Freund sagen, »ich hoffe, du hast fechten gelernt, seit wir uns letzthin trafen.«

Der junge Kornet stieß bei den höhnischen Worten einen erstickten Wutschrei aus, und im nächsten Moment verkündete mir das Klirren ihrer Schwerter, daß sie handgemein geworden waren. Zu einer Beobachtung ihres Zweikampfs blieb mir keine Muße, denn mein Gegner fiel mich mit solchem Ungestüm an, daß ich mich nur mit äußerster Mühe seiner erwehren konnte. Keiner von uns griff zur Pistole. Es war ein ehrlicher Kampf: Stahl gegen Stahl. Der Korporal führte seine Stöße mit solcher Geschwindigkeit bald nach meinem Gesicht, bald nach meinem Körper, daß ich nie einen günstigen Augenblick zu einem wuchtigen Hiebe fand, welcher die Sache entschieden haben würde. Unsre Pferde drehten sich umeinander im Kreise, bissen in die Halfter und stampften den Boden, während wir ausfielen und parierten, bis wir endlich Knie an Knie gedrängt uns so nahe kamen, daß wir uns gegenseitig bei der Gurgel packen konnten. Er riß einen Dolch aus dem Gürtel und stieß ihn in meinen linken Arm, aber ich versetzte ihm mit der gepanzerten Hand einen Schlag, der ihn vom Pferde warf und bewußtlos zu Boden streckte. Fast gleichzeitig sank der Kornet aus vielen Wunden blutend aus dem Sattel.

Saxon warf sich vom Pferde, hob den Dolch des Soldaten auf und würde beiden auf der Stelle den Garaus gemacht haben, wäre ich nicht gleichfalls abgesprungen und ihm in den erhobenen Arm gefallen. Er fuhr mit so ergrimmtem Augenfunkeln nach mir herum, daß ich begriff, die Bestie in ihm war wach und grinste mich an.

»Was geht's dich an?« knirschte er, »laß los!«

»Nicht doch! Es ist nun genug des Blutvergießens. Überlaßt sie ihrem Schicksal!«

»Hätten sie mit uns Erbarmen gehabt?« rief er leidenschaftlich und suchte sein Handgelenk aus meinem Griff zu befreien. »Sie haben das Spiel verloren und müssen den Einsatz bezahlen!«

»Nicht bei kaltem Blut,« entgegnete ich entschlossen. »Ich will's nicht leiden.«

»Wahrhaftig,« spottete er, und mir schien's, als blicke mich der leibhaftige Teufel aus seinen Augen an, »also Se. Gnaden will's nicht leiden!«

Mit einem gewaltigen Ruck machte er sich von mir frei, sprang zurück und hob sein Schwert auf, das er vorhin hatte fallen lassen.

»Und was weiter?« fragte ich und stellte mich breitbeinig über den Verwundeten.

Eine bis zwei Minuten stand er regungslos und blitzte mich unter den schweren Augenlidern und herabhängenden Brauen hervor dräuend an, während es in seinem Gesicht vor leidenschaftlicher Aufregung zuckte und arbeitete. Jeden Augenblick erwartete ich, er würde mir an die Kehle fahren, statt dessen schluckte er noch eine Weile, als würge er einen großen Bissen herab, stieß den Degen laut klirrend in die Scheide und schwang sich in den Sattel.

»Hier trennen sich unsre Wege,« sagte er kalt. »Ich bin zweimal nahe daran gewesen, Euch tot zu schlagen. Das dritte Mal möchte meine Geduld nicht ausreichen. Ihr seid kein Kamerad für einen Kavalier Fortunens. Zieh den Talar an und werde geistlich, mein Junge! Das ist dein Beruf.«

»Spricht das Decimus Saxon oder Will Spotterbridge?« fragte ich, eingedenk seiner Späße über seine Vorfahren. Aber kein Lächeln glitt über sein verwittertes Antlitz. Er nahm die Zügel in die Linke, schoß noch einen giftigen Blick nach dem blutenden Offizier und galoppierte davon – einen der Fußpfade entlang, die nach Süden hin führten. Ich stand und sah ihm nach, aber er winkte nicht einmal mit der Hand zum Abschied, sondern ritt steifnackig von dannen, bis er in einer Senkung des Heidemoores verschwand.

»Da verläßt mich ein Freund,« dachte ich traurig, »nur weil ich nicht dabei stehen und mit ansehen kann, wie einem Wehrlosen der Hals abgeschnitten wird! Ein andrer Freund liegt tot auf der Walstatt, der dritte, der älteste und teuerste liegt verwundet in Bridgewater, und sein Leben hängt von der Gnade einer rohen Soldateska ab. Kehre ich nach Hause zurück, so stürze ich meine Lieben in Gefahr. Wohin soll ich mich wenden?«

Mehrere Minuten stand ich unschlüssig neben den bewußtlosen Gardisten, während Covenant langsam und gemächlich herumspazierte und das spärliche Gras abweidete. Zuweilen blickte mich das treue Tier mit seinen großen dunkelglänzenden Augen an, als wolle es mir versichern, daß mir ein zuverlässiger Freund zum wenigsten geblieben sei.

Ich blickte gen Norden nach den Polden Hills, gen Süden nach den Blackdowns, gen Westen nach der langen blauen Kette der Quantocks und gen Osten über das weitgedehnte Sumpf- und Moorland, aber nirgends schien sich mir ein rettender Zufluchtsort zu bieten. Offen gestanden, mir war so weh ums Herz, daß mir derzeit nichts daran lag, der Verfolgung zu entkommen.

Ein halblauter Fluch, dem ein Ächzen folgte, entriß mich meinen Betrachtungen. Der Korporal hatte sich aufrecht gesetzt und rieb sich mit dumm erstauntem Gesicht den Kopf, augenscheinlich noch ungewiß, wo er wäre und wie er dahingekommen sei. Der Offizier schlug jetzt auch die Augen auf und gab weitere Zeichen des rückkehrenden Bewußtseins von sich. Seine Wunden waren augenscheinlich nicht bedenklicher Art. Eine Verfolgung seitens der beiden hatte ich aber nicht zu besorgen, selbst wenn sie Lust dazu gehabt hätten, denn ihre Pferde waren weggelaufen und hatten sich den zahlreichen herrenlosen Rossen zugesellt, die auf der Heide herumirrten. Ich stieg deshalb ruhig auf und ritt langsam von dannen, um mein gutes Tier, das von den Anstrengungen der Nacht und dieses Morgens doch tüchtig mitgenommen war, soviel als möglich zu schonen.

Zwar sprengten hier und da Reitertrupps durch die Marsch, aber es gelang mir, sie zu vermeiden. Ich trabte weiter, indem ich immer die unbebauten Heidestriche aufsuchte, bis endlich zehn Meilen zwischen mir und dem Schlachtfelde lagen. Die spärlichen Hütten und Häuschen, an denen ich vorbei kam, waren verlassen, den meisten sah man an, daß sie geplündert waren. Kein Bauer ließ sich sehen. Der schlimme Ruf, der Oberst Kirkes »Lämmern«, wie sie der Volkswitz in bitterer Ironie nannte, vorausging, hatte alle verscheucht, auch die an dem Aufstande Unbeteiligten.

Endlich nach einem zweistündigen Ritt glaubte ich, mich von der Hauptrichtung der Verfolgung so weit entfernt zu haben, daß mir keine dringende Gefahr mehr drohte. So suchte ich mir denn ein geschütztes Plätzchen aus, wo ein dicht belaubtes Erlengebüsch seine Zweige weit über einen kleinen Bach hinaus hängen ließ. Ich setzte mich auf den samtweichen moosigen Uferrand, streckte meine müden Glieder und begann die Spuren des Kampfes von meiner Person zu beseitigen.

Jetzt erst, da ich mich und meinen Anzug in Muße betrachten konnte, begriff ich voll und ganz, wie fürchterlich der Zusammenstoß gewesen sein mußte, und wie wunderbar Gott mich behütet hatte, daß ich unverletzt daraus hervorgegangen war. Ich besann mich nur undeutlich auf die Streiche, die ich selbst in der Schlacht ausgeteilt hatte. Sie mußten aber doch zahlreich und furchtbar gewesen sein, denn die Schneide meines Schwertes war so schartig und verbogen, als hätte ich eine Stunde lang auf eine Eisenstange losgehackt. Vom Kopf bis zum Fuße war ich über und über mit Blut bespritzt und beschmiert. Etwas eignes war wohl dabei, aber meist war es fremdes. Auch mein Helm wies viele Beulen auf. Eine Pistolenkugel hatte meinen Brustharnisch gestreift und eine tiefe Furche hindurchgerissen. Ein paar andre Schrammen und Sprünge zeigten, wie oft der gute kugelfeste Stahl mich gerettet hatte. Mein linker Arm war durch den Dolchstich des Korporals steif und kraftlos geworden, aber als ich mein Wams abstreifte, um die Stelle zu untersuchen, fand ich, daß, obwohl die Wunde stark geblutet hatte, sie außen oberhalb des Knochens vorbeiging, diesen gar nicht berührte und daher von keinem Belang war. Ein nasses Tuch, das ich fest um den Arm wickelte, linderte den Schmerz und stillte das Blut. Außer dieser Schmarre hatte ich keinerlei Schaden davon getragen, fühlte mich aber infolge meiner eignen furchtbaren Anstrengungen so steif und wund am ganzen Leibe, als wenn ich braun und blau geschlagen worden wäre; auch war die unbedeutende Wunde, die ich im Dom von Wells davon getragen, wieder aufgebrochen und blutete. Mit Geduld und kaltem Wasser kam ich zuletzt auch damit zurecht und verband und bewickelte mich so gut, wie der beste Chirurg im Königreich.

Nachdem ich mich mit meinen Verletzungen abgefunden hatte, mußte ich jetzt meine äußere Erscheinung in stand setzen, denn wahrlich, ich hätte, so wie ich war, für einen der »blutigen Riesen« gelten können, gegen die der edle Don Bellianis von Griechenland und andre gute Kämpen auszuziehen pflegten. Frauen oder Kinder hätten ohne Frage bei meinem Anblick entsetzt die Flucht ergriffen, denn ich war so rot wie der Dorfschlächter vor Martini. Eine gründliche Abspülung entfernte indes bald die kriegerischen Spuren von Haut und Haar, auch gelang es mir, Helm, Stiefel und Harnisch zu reinigen. Hinsichtlich meiner Kleider erwiesen sich aber alle Säuberungsversuche als so gänzlich hoffnungslos, daß ich sie endlich in Verzweiflung aufgab.

Mein gutes altes Pferd war weder durch Eisen noch durch Blei verletzt, oder auch nur gestreift, so daß es nach einiger Wartung mit Abspülen und Abreiben wieder so frisch und munter war, wie nur je zuvor. Als wir dem Bächlein den Rücken wandten, waren wir daher ein weit anständigeres Paar, als da wir es aufgesucht hatten.

Die Sonne war inzwischen fast zur Mittagshöhe gestiegen, und da ich seit gestern Abend keinen Bissen zu mir genommen hatte, fing mich an sehr zu hungern. Drüben auf dem Moor erblickte ich ein paar nebeneinander liegende Häuser, allein die rauchgeschwärzten Mauern und versengten Strohdächer nahmen mir jede Hoffnung, darin etwas zu essen zu finden. Ein paarmal gewahrte ich Leute im Felde und auf der Straße, aber sobald sie des geharnischten Reiters ansichtig wurden, rannten sie blindlings davon und verschwanden in dem Buschwald wie ein scheues Wild.

An einem Kreuzwege, wo drei Straßen mündeten, stand ein hoher alter Eichbaum. Zwei Leichname, die von einem Aste baumelten, bewiesen mir, daß die Furcht der Landbewohner ihren guten Grund hatte. Die armen Leute waren höchst wahrscheinlich nur deshalb aufgeknüpft, weil ihre Ersparnisse den Erwartungen der Marodeure nicht entsprochen hatten; oder weil sie, von einer Räuberbande ausgeraubt, für die nächste nichts mehr übrig gehabt.

Ich war schon im Begriff, meine furchtlose Suche nach etwas Eßbarem erschöpft aufzugeben, als ich einer Windmühle ansichtig wurde, die jenseits einiger heckenumsäumten Wiesen und Äcker auf einem grünen Hügel stand. Da sie anscheinend der allgemeinen Plünderung entgangen war, schlug ich den Fußweg ein, der von der Landstraße aus danach hinführte.


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