Arthur Conan Doyle
Micha Clarke
Arthur Conan Doyle

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XXVII.

Ein Handgemenge bei Keynsham Bridge.

Der 21. Juni 1685 brach an. Es war ein trüber und windiger Tag. Schwere Wolken wälzten sich am Himmel und schütteten einen unaufhörlichen Sprühregen zur Erde. Kurz nach Sonnenaufgang ertönten Monmouths Signalhörner in jedem Viertel der Stadt von Tonebridge bis Shuttern. Zur bestimmten Stunde waren die Regimenter aufgestellt, der Appell abgehalten, und die Vorhut marschierte durch das Ostthor. Das Heer verließ die Stadt in derselben Ordnung, wie es sie betreten hatte; die Nachhut bildeten unser Regiment und die Tauntoner Bürger. Bürgermeister Timewell und Saxon führten den Oberbefehl über diesen Teil des Heeres, und da beide kriegserfahrene Männer waren, sorgten sie für eine hinreichende Deckung der Kanonen. Eine starke Reiterabteilung folgte dem Geschützpark auf Kanonenschußweite, um einem etwaigen Angriff der königlichen Dragoner zu begegnen.

Allgemein fiel es auf, wie sehr die Armee in den drei letzten Tagen an Disziplin und Ordnung gewonnen hatte, was vielleicht die Folge des guten Beispiels war, das unsre Truppe durch ihr fleißiges Exerzieren und ihre kriegerische Haltung gegeben hatte. Ihre Zahl belief sich jetzt fast auf achttausend, und die Leute waren gut genährt und gutes Muts. In fest gegliederten Reihen patschten sie unverdrossen durch Schmutz und Pfützen, und neben manchem derben, ländlichen Scherzwort erklang hin und wieder die lautschallende Weise eines weltlichen oder geistlichen Liedes.

Sir Gervas ritt an der Spitze seiner Musketiere, denen das Wasser von den mehlbestäubten Zöpfen troff. Lockarbys Pikenträger und meine Kompanie Sensenmänner waren zumeist gegen das Wetter abgehärtete Landarbeiter. Sie trabten geduldig dahin, während ihnen der Regen in glitzernden Tropfen über die kräftigen, rotverbrannten Gesichter rann. Vor uns marschierte das Tauntoner Fußvolk, und hinter uns kam der lange schwerfällige Zug der Bagagewagen. Ganz zuletzt ritt im Nachtrab die Reiterei. So wand sich der lange Zug über die Hügel dahin.

Angelangt auf dem Berggipfel, da wo die Straße sich wieder nach der andern Seite zu senken beginnt, wurde Halt gemacht, damit die Regimenter sich von neuem ordneten. Von hier blickten wir noch einmal zurück auf die schöne Stadt, die viele von uns nicht mehr wiedersehen sollten. Von den dunklen Mauerresten und Dächern sahen wir weiße Tücher wehen, die von den Zurückgebliebenen uns nachgeschwenkt wurden. Ruben, der neben mir hielt, hatte sein reines Hemde aus seinem Ränzchen gezogen, ließ es im Winde flattern, und seine Pikeniere hinter ihm grinsten über das ganze Gesicht. Seine Gedanken und Augen waren aber zu weit weg, um das zu bemerken.

Indem wir noch hinschauten, glitt ein langer schmaler Sonnenpfeil zwischen zwei großen Wolkenbergen hervor und vergoldete die Spitze des Magdalenenkirchturms mit der königlichen Standarte, die noch darauf wehte. Das wurde von der ganzen Heerschar als ein gutes Omen begrüßt. Ein gewaltiges Freudengeschrei pflanzte sich fort von Glied zu Glied. Die Hüte wurden geschwenkt und die Waffen rasselnd zusammengeschlagen. Dann intonierten die Hörner eine Fanfare, die Trommeln wirbelten, Ruben steckte sein Hemd ins Tornister, und der Marsch ging weiter durch Schmutz und Schlamm. Trübe und tief hingen die Wolken auf uns herab, und nicht weniger trübselig türmten sich um uns die Berge. Wer abergläubisch war, mochte immerhin denken, der Himmel beweine unser unheilschwangeres Wagnis.

Den ganzen Tag hindurch schleppten wir uns knöcheltief durch den zähen, aufgeweichten Lehm und gelangten am Abend nach Bridgewater, wo wir einen Zuwachs an Rekruten erhielten und auch ein paar hundert Pfund für unsre Kriegskasse einheimsten, denn das Städtchen war ein wohlhabender Ort, der den Fluß Parret hinab einen blühenden Küstenhandel trieb. Nach einer in behaglichen Quartieren zugebrachten Nacht ging es weiter, und zwar in noch schlechterm Wetter als vorhin. Das Land ist dort in der trockensten Jahreszeit mehr oder weniger morastig, aber bei heftigem Regen steigt das Wasser in den Sümpfen so, daß es auf beiden Seiten des Weges große Teiche bildet. In einer Hinsicht mochte uns das zum Vorteil gereichen und uns vor einem Überfall der königlichen Kavallerie schützen, aber unser Weiterkommen wurde dadurch sehr erschwert. Den ganzen langen Tag patschte man durch Schmutz und Schlamm, der Regen rann glitzernd die Flintenlaufe hinab und troff von den schwerhufigen Gäulen.

An dem geschwollenen Parret durch Eastover und an dem friedlichen Dörfchen Bawdrip vorbei, über Polden Hill marschierten wir bis an den Buschwald von Ashcot, wo den Leuten eine frugale Mahlzeit verabfolgt wurde. Dann ging es wieder weiter durch den erbarmungslosen Regen, vorbei an dem waldigen Park von Piper's Inn, vorbei an Walton, wo die Überschwemmung schon die Hütten bedrohte, und an den Obstgärten von Street. Im Abenddüster gelangten wir endlich an die altersgraue Stadt Glastonbury, wo die guten Leute ihr Möglichstes thaten, um uns durch die Wärme ihres Willkommens für die Abscheulichkeit des Wetters zu entschädigen.

Der folgende Morgen war wieder naß und unfreundlich, deshalb marschierte das Heer nur eine kurze Strecke bis Wells, einer ansehnlichen Stadt mit schönem Dom, der ähnlich wie der von Salisbury, ringsum mit gemeißelten Steinfiguren in den Nischen geschmückt ist. Die Städter standen, wie ein Mann, zur protestantischen Sache, und das Heer wurde so gastlich aufgenommen, daß seine Verpflegung der Kriegskasse nur wenig kostete.

Auf diesem Marsch kamen wir zum erstenmal mit der königlichen Reiterei in Berührung. Mehr als einmal erblickten wir, wenn der Regenschleier sich ein wenig hob, das Gleißen der Waffen auf den niedern Höhen, die die Straße beherrschten, und unsre Patrouillen brachten Berichte von starken Dragonerabteilungen auf unsern beiden Flanken. Einmal sammelten sie sich in unserm Rücken, augenscheinlich, um einen Überfall auf die Gepäckwagen zu machen. Saxon ließ aber auf jeder Seite ein Regiment Piken aufpflanzen, worauf sie ihre drohende Haltung aufgaben und glitzernd über die Höhen davonstoben.

Von Wells aus marschierten wir am 24. Juni nach Shepton Mallet, während die unheilverkündenden Säbel und Helme immer noch hinter uns und zu beiden Seiten aufblitzten.

Abends gelangten wir nach Keynsham Bridge, etwa zwei gute Meilen von Bristol in gerader Linie. Einige von unsern Reitern schwammen über den Fluß bis dicht an die Festungswerke heran.

Früh am nächsten Tage klärte es sich endlich auf. Ruben und ich ritten langsam einen der sanft ansteigenden, grasigen Hügel hinter dem Lager hinan, in der Hoffnung, dort etwas vom Feinde erblicken zu können. Unsre Leute lagerten inzwischen auf dem Grase und bemühten sich, mit feuchtem Reisig Feuer anzuzünden, oder ihre Kleider zum Trocknen im Sonnenschein auszubreiten.

Wunderlich genug sahen sie aus: von oben bis unten mit Schmutz bespritzt, der sie wie eine Kruste überzog, die Hüte aufgeweicht und schmutzig, die Waffen verrostet und die Stiefel so abgenutzt, daß viele barfuß gingen und andre sich Tücher um die Füße gewickelt hatten. Trotzdem war durch ihre kurze Soldatenzeit eine unglaubliche Veränderung mit ihnen vorgegangen. Aus den treuherzig dreinschauenden Bauersleuten waren grimmig blickende unrasierte, hohlwangige Kerle geworden, die ihre Waffe, Schwert oder Pike trugen, als hätten sie von Kindesbeinen an nichts andres gethan.

Die Offiziere litten nicht weniger, als die Mannschaften. Auch sollte ein Offizier, meine Lieben, wenn er im Dienst ist, sich niemals dazu hergeben, irgend welche Bequemlichkeit zu genießen, die nicht alle mit ihm teilen können. Wenn er nicht mit dem Soldaten um dasselbe Feuer liegen und dieselben Speisen essen will, so mag er sich scheren, denn er ist ein Hindernis und ein Stein des Anstoßes. Unsre Kleider waren durchweicht, unsre Harnische rostrot und unsre Pferde so bekleckst und bespritzt, als hätten sie sich im Schmutze gewälzt. Schwert und Pistolen waren in einem Zustande, daß wir kaum weder das eine zu ziehen, noch die andre abzudrücken vermochten. Sir Gervas allein machte es möglich, seine Person und seinen Anzug so sauber und zierlich zu erhalten, wie immer. Was er nachts getrieben und ob er je schlafen gegangen, ist mir stets verborgen geblieben, denn er erschien einen Tag wie den andern beim ersten Hornruf, gewaschen, gebürstet, wohlgeruchduftend, in tadelloser Perücke und in Kleidern, von denen jede Spur eines Schmutzflecks aufs sorgfältigste entfernt war. An seinem Sattelknopf hing das große Mehlsieb, das wir ihn in Taunton gebrauchen sahen, und seine ehrlichen Musketiere wurden jeden Morgen regelrecht gepudert, obwohl kaum eine Stunde darauf die Zöpfe ihre natürliche braune Farbe wiedergewonnen hatten und das Mehl in kleinen milchweißen Bächen die breiten Rücken entlang rieselte, oder sich in kleinen Kuchen an ihren Rockschößen festklebte. Es war ein langes Ringen zwischen dem Weiter und dem Baronet. Letzterer behauptete aber am Ende das Schlachtfeld.

»Es gab einmal eine Zeit, wo man mich Ruben den Runden nannte,« sagte mein Freund, während wir miteinander den gewundenen Saumpfad hinauf ritten. »Jetzt, wo ich zu viel Flüssiges und zu wenig Festes zu mir nehme, werde ich wohl Ruben das Gerippe sein, ehe ich Havant wiedersehe. Ich bin so voll Regenwasser, wie meines Vaters Fässer voll Oktoberbier. Wenn du mich doch ausringen könntest, Micha, und mich zum Trocknen über diesen Busch hängen!«

»Wenn wir naß sind, so müssen König Jakobs Leute noch nässer sein,« tröstete ich ihn, »denn wir haben wenigstens zu Nacht leidlich unterkriechen können.«

»Wenn einen hungert,« erwiderte Ruben, »so ist es nur ein erbärmlicher Trost, zu wissen, daß ein andrer nicht besser dran ist. Ich gebe dir mein Wort, Micha, ich habe meinen Schwertgurt Montag um ein Loch fester geschnürt, Dienstag um zwei, gestern um eins und heut wieder um eins. Ich schmelze dahin, wie ein Eiszapfen an der Sonne.«

»Wenn du dich ganz aufgelöst haben wirst,« lachte ich, »was sollen wir dann in Taunton sagen? Seit du eine Rüstung angelegt und dich mit dem Fang der Herzen von schönen Mädchen abgegeben hast, bist du uns allen über an Wichtigkeit, und bist eine bedeutsame gewichtige Persönlichkeit geworden.«

»Ich war gewichtiger und umfangreicher, bevor ich mich durchs Land schleppte, wie ein Hambledoner Hausierer,« entgegnete Ruben. »Aber wahr und wahrhaftig und Scherz beiseite, Micha, 's ist doch ein wunderlich Ding zu fühlen, daß uns die ganze Welt, Hoffen und Wünschen, Sinnen und Trachten und Streben beschlossen ist in der einen zierlichen Gestalt, bedeckt von einem niedlichen Häubchen, getragen von einem Paar kleiner Pantoffeln! Sie ist, das fühl' ich deutlich, mein besseres Selbst, der edlere Teil meines Ich. Würde sie mir entrissen, ich würde für immer ein unvollkommenes, halbvollendetes Wesen bleiben. Mit ihr frage ich nach nichts andrem. Ohne sie ist mir alles andre nichts.«

»Hast du denn auch schon mit dem Alten gesprochen?« fragte ich, »seid ihr wirklich verlobt?«

»Ich sprach einmal mit ihm, da war er aber so damit beschäftigt, Munition zu verladen, daß er mir gar nicht zuhörte. Dann versuchte ich es ein zweites Mal, als er im Zeughaus auf der Burg die vorrätigen Piken zählte, Kerbholz und Tintenhorn in der Hand. Ich sagte ihm, ich wäre gekommen, ihn um die Hand seiner Großtochter zu bitten, worauf er sich nach mir umdrehte und mit geistesabwesendem Blicke fragte: ›Welche Hand?‹ so daß es mir doch klar wurde, er hatte keine Ahnung von dem, was ich wollte. Zum drittenmal wagte ich den Versuch an dem Tage, als du von Badminton zurück kamst, und trug ihm meine Bitte vor. Aber er fuhr mich heftig an, dies sei keine Zeit zu Narrenteidingen, ich möge warten, bis König Monmouth auf dem Thron säße, und dann möchte ich wieder anfragen. Als er selbst vor fünfzig Jahren auf Freiersfüßen ging, da hat er so etwas sicherlich nicht Narrenteidinge genannt!«

»Wenigstens hat er nicht geradezu nein gesagt,« tröstete ich den Freund. »Das ist doch so gut wie ein Versprechen, daß der Erfolg unsrer Sache auch der deinige sein soll!«

»Meiner Treu,« rief Ruben, »wenn ein einzelner Mann mit seinem Schwert das zuwege bringen könnte, da hätte ich das größte Interesse daran. Nein, nicht einmal Monmouth kann mehr Interesse daran haben! – Übrigens, du weißt doch, daß der Lehrling Derrick schon vor längerer Zeit um seines Meisters Tochter geworben hat. Der Alte war auch ganz bereit, sie ihm zu geben, weil ihm seine Gottseligkeit und sein frommer Eifer gefielen. Ich habe aber unter der Hand erfahren, daß der Kerl ein ganz gemeiner Wüstling und seine Frömmigkeit eine bloße Maske ist, unter der er im stillen seinen schändlichen Freuden fröhnt. Ich habe ihn ebenso wie du zu erkennen gemeint, als Anführer der Schandbuben, welche die Jungfer Ruth wegschleppen wollten – freilich ich kann ihm nicht böse darum sein, denn er hat mir den allergrößten Dienst geleistet. Inzwischen habe ich, ehe wir Wells verließen, Gelegenheit gefunden, mit Freund Derrick zu sprechen und ihn bei Gefahr seines Lebens gewarnt, keine neue Verräterei gegen sie anzuspinnen.«

»Wie nahm er diese freundschaftliche Ermahnung denn auf?«

»Etwa wie eine Ratte die Rattenfalle. Er schnauzte mich an, stieß ein paar Worte frommverbrämten Hasses aus und drückte sich.«

»So wahr ich lebe, Junge, du hast auf deine Art ebenso abenteuerlich gelebt wie ich. Aber hier sind wir oben auf dem Berge, und welch eine unbeschreiblich herrliche Aussicht ist hier!«

Gerade am Fuß des Hügels wand der Avon sich in langen Schlangenlinien durch die reichbewaldete Landschaft, und warf bald hier, bald da glitzernd das Sonnenbild zurück, als reihten sich eine Menge kleiner Sonnen auf eine silberne Schnur. Jenseits dehnte sich die friedliche Gegend mir schwellenden Kornfeldern und Obstgärten in reicher Abwechselung und sanften Wellenlinien bis zu dem dunkeln Saum, den am Horizont die Waldberge der fernen Magern Hills bildeten. Zu unsrer Rechten lagen die grünen Hügel von Bath, zur Linken die felsigen Mendips mit der zinnengekrönten königlichen Feste Bristol in ihrem Schoße und dahinter der graue mit weißen Segeln bedeckte Kanal. Uns zu Füßen erblickten wir Keynsham Bridge. Ringsum lagerte unser Heer in dunkeln Haufen über die grünen Felder verstreut. Der Rauch der Lagerfeuer und das ferne Stimmengeschwirr stieg durch die stille Sommerluft bis herauf zu uns.

Am diesseitigen Ufer des Avon lief eine Straße, und zwei Züge unsrer Reiterei ritten darauf entlang, um auf unsrer östlichen Flanke Vorposten aufzustellen. Sie trabten eben in nicht besonders fest geschlossenen Gliedern und näherten sich einem Tannenwalde, in den hinein die Straße eine plötzliche scharfe Biegung machte. Da fuhr, wie der Blitz aus der Wolke, eine Schar von blauen Gardedragonern um die Waldecke und, vom Schritt in Trab, vom Trab in Galopp übergehend, brachen sie wie eine Windsbraut über unsre unvorbereiteten Schwadronen herein. Die hastig in Anschlag gelegten Karabiner knatterten ihnen zwar entgegen, aber ohne sich aufzuhalten durchstürmten sie die ersten Glieder und warfen sich auf die zweite Truppe. Die wackern Bauernjungen versuchten eine Weile Widerstand zu leisten, und ein dichter Knäuel von Pferden und Reitern wogte auf und ab, während ihre wirbelnden Klingen hell über ihnen blitzten. Dann sonderten sich die braunen und die blauen Röcke voneinander, das Gefecht zog sich etwa hundert Schritt rückwärts, die dichte Masse teilte sich, und die Garden stießen, wie ein Keil, durch die Lücke und schwenkten dann nach rechts und links über Hecken und Gräben, stachen und hieben auf die Fliehenden ein.

Dieser ganze Vorgang mit seinem Rossegestampf, Mähnengeflatter, Triumph- und Angstgeschrei, dem hellen Klingen und Klirren von Stahl auf Stahl sauste vor unsern Blicken vorüber, während wir oben auf dem Berge hielten, wie das wilde Heer; so rasch war er, kaum entwickelt, auch verstoben. Ein kurzes befehlendes Hornsignal rief die Blauen auf die Straße zurück, wo sie sich formierten und langsam fortritten, ehe neue Schwadronen vom Lager her nachrücken konnten. Die Sonne lächelte, und der Fluß glitzerte wie vorhin, und nur die in langer Reihe auf der Straße verstreuten gefallenen Männer und Pferde gaben Kunde von dem vernichtenden Sturmwind, der so jäh darüber hingerast war.

Indem die Blauen sich zurückzogen, bemerkten wir, daß ein einzelner Offizier etwas hinter seiner Truppe zurückgeblieben war. Er ritt sehr langsam, als wende er nur ungern dem Feinde den Rücken, und wäre es ein ganzes Heer. Der Raum zwischen ihm und seinem Corps vergrößerte sich mehr und mehr. Dennoch nahm er sich nicht die Mühe, den Ritt zu beschleunigen. Er ließ sein Pferd ruhig Schritt vor Schritt gehen und sah sich nur von Zeit zu Zeit um, ob ihm auch niemand folge. Ruben und ich sahen uns an, der gleiche Gedanke war uns beiden zu gleicher Zeit gekommen.

»Hier entlang,« rief er hastig, »so kommen wir hinter das Wäldchen und reiten den ganzen Weg in einer Vertiefung.«

»Führe die Pferde, bis wir auf besseren Boden kommen«, antwortete ich, »wir können ihn gerade abschneiden, wenn wir Glück haben.«

Zum weiteren Reden blieb uns keine Zeit, denn wir eilten den unebenen Pfad mit Glitschen und Rutschen auf dem regendurchtränkten Rasen hinab. Dann schwangen wir uns rasch in die Sättel und jagten die Schlucht hinab durch das Wäldchen hindurch und auf die Straße hinaus, wo wir gerade zur Zeit kamen, um die Schwadron in der Ferne verschwinden zu sehen und dem einsamen Offizier Aug' in Auge zu begegnen.

Er war ein sonnverbrannter Mann mit scharf markierten Zügen und schwarzem Schnurrbart, der ein großes, starkknochiges Chargenpferd von hellbrauner Farbe ritt. Als wir auf die Straße sprengten, zog er die Zügel an, um uns ordentlich ins Auge zu fassen. Dann, als er sich unsrer feindlichen Absicht bewußt ward, zog er sein Schwert, riß eine Pistole aus dem Halfter, nahm die Zügel zwischen die Zähne, setzte seinem Tier die Sporen in die Weichen und sauste in voller Carriere auf uns los. Als wir ihn anfielen, Ruben links, ich rechts, führte er einen Hieb nach mir und feuerte zugleich sein Pistol auf meinen Freund ab. Die Kugel streifte Rubens Wange und hinterließ einen langen feuerroten Striemen wie von einem Peitschenhieb, und schwärzte sein ganzes Gesicht mit Pulverdampf. Der Hieb indessen erreichte mich nicht, und während unsre Rosse an einander vorbeijagten, schlang ich meinen Arm um seinen Leib, riß ihn aus dem Sattel und zog ihn mit dem Gesicht nach oben quer über meinen Sattelbogen. Mein wackerer Covenant trabte mit seiner doppelten Last unverdrossen weiter, und ehe noch die Garden ahnen konnten, daß ihr Offizier verloren gegangen war, hatten wir ihn trotz seines Ringens und Strampelns bis in die Nähe von Monmouths Lager gebracht.

»War das aber nahe dran,« sagte Ruben und legte die Hand auf seine geschwollene Backe. »Er hat mein Gesicht mit Pulver tättowiert, daß mich die Leute daheim für Salomo Sprents jüngeren Bruder halten werden.«

»Gott sei Dank, daß du unverletzt bist!« sagte ich. »Sieh, da kommt schon Reiterei von den Unsern uns entgegen, Lord Grey selbst führt sie. Wir wollen unsern Gefangenen aber doch gleich ins Lager bringen. Hier ist ja nun doch nichts mehr los.«

»Um Christi willen, setzt mich auf die Füße, oder schlagt mich lieber gleich tot!« unterbrach mich der Offizier flehend. »Es ist mir unerträglich, in so unwürdiger Stellung, wie ein halb entwöhnter Säugling, durch euer Lager voll grinsender Jockels geschleppt zu werden!«

»Gott verhüte, daß ich einen tapfern Mann zum Narren halten sollte,« entgegnete ich, »gebt mir Euer Ehrenwort, daß Ihr nicht fliehen wollt, und Ihr sollt zwischen uns gehen.«

»Von Herzen gern,« sagte er, kletterte hinab und zupfte seine verschobenen Kleidungsstücke zurecht. »Meiner Treu, ihr Herren, ihr habt mir eine Lehre gegeben, daß man von seinen Feinden niemals zu gering denken soll. Ich würde mit meiner Schwadron weiter geritten sein, hätte ich nicht geglaubt, daß die Möglichkeit, auf Vedetten oder Vorposten zu stoßen, ausgeschlossen sei.«

»Wir waren da droben auf dem Berge, ehe wir Euch den Weg verlegten,« sagte Ruben. »Hätte die Pistolenkugel nur um ein Haarbreit besser getroffen – da hätte ich's ordentlich abgekriegt! Tausend ja, Micha, da jammerte ich eben noch darüber, daß ich abgemagert sei, aber wäre meine Backe noch so rund gewesen wie sonst, so hätte das Stück Blei unfehlbar durchgeschlagen!«

»Wo habe ich Euch doch schon gesehn?« fragte unser Gefangner und heftete seine dunkeln Augen forschend auf mein Gesicht. »Aha, nun hab' ich's! Es war in Salisbury im Gasthof, wo mein leichtfertiger Kamerad Horsford einen älteren Soldaten angriff, der mit Euch reiste. Mein Name ist Ogilvy – Major Ogilvy von den Gardedragonern. Ich freute mich aufrichtig, als ich vernahm, daß Ihr den Hunden entkommen sein mußtet. Nach Eurer Abreise hatte irgend etwas von dem Zweck Eurer Fahrt verlautet, und Horsford mit dem Bürgermeister und ein paar Strebern hetzten die Bestien auf Eure Spur.«

»Ich erinnere mich Eurer sehr wohl, Herr Major,« entgegnete ich. »Ihr werdet auch meinen damaligen Begleiter, den Obersten Decimus Saxon, im Lager antreffen. Doch ich denke, Ihr werdet unzweifelhaft bald gegen einen Gefangenen von den Unsrigen ausgewechselt werden.«

»Mir kommt es wahrscheinlicher vor. daß ich um einen Kopf kürzer gemacht werde,« meinte der Major lächelnd. »Ich fürchte, Feversham wird in seiner gegenwärtigen Stimmung nicht viel daran denken, Pardon zu geben, und Monmouth dürfte sich veranlaßt fühlen, ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen. Indes so will es das Kriegsglück, und ich zahle ihm mit Recht meine Schuld wegen meines Mangels an soldatischer Vorsicht. Um euch die Wahrheit zu gestehen, mein Geist war eben weltenfern von Schlachten und Kriegslisten und im Nachsinnen über die aqua regia und ihre Wirkung auf die Metalle vertieft. Erst euer Erscheinen versetzte mich in die kriegerische Wirklichkeit zurück.«

»Unsre Reiter sind nicht mehr zu sehen,« sagte Ruben, »auch die feindlichen nicht. Aber dort jenseits des Avon und dort am Hügelabhang, siehst du da nicht Stahl blinken?«

»Da steht Infanterie,« sagte ich und kniff meine Augen zusammen. »Mich dünkt, ich unterscheide vier oder fünf Regimenter und ebensoviel verschiedene Fähnlein Reiter. König Monmouth muß das gleich erfahren.«

»Er weiß es schon,« sagte Ruben. »Da hält er unter den Bäumen mit seinem ganzen Stabe. Sieh, einer kommt uns entgegengeritten!«

Ein Adjutant hatte sich in der That aus der Gruppe gelöst und galoppierte auf uns zu.

»Ich habe doch Herrn Hauptmann Clarke vor mir?« fragte er salutierend. »Herr Hauptmann, der König befiehlt Euch zum Kriegsrat.«

»Ich überlasse dir also den Major, Ruben,« rief ich, »sorge, daß er nach besten Kräften verpflegt wird.«

Mit diesen Worten gab ich meinem Pferde die Sporen und war bald bei der Gruppe, die den König umgab. Da waren Grey, Wade, Buyse, Ferguson, Saxon, Hollis und noch an zwanzig andre, die alle ernsten Blickes mit den Ferngläsern ins Thal spähten. Monmouth selbst war abgestiegen und lehnte mit gekreuzten Armen an einem Baumstamm. Ein Ausdruck blasser Verzweiflung lag auf seinen Zügen. Hinter dem Baum führte ein Lakai langsam seinen glänzend gestriegelten Rappen auf und ab, der mit den Hufen scharrte und die stolze Mähne schüttelte, – ein wahrhaft königliches Tier.

»Ihr seht, meine Freunde,« sagte Monmouth soeben und wandte den glanzlosen Blick von einem zum andern, »ihr seht, die Vorsehung ist uns zuwider. Immer neues Unheil folgt uns auf den Fersen!«

»Nicht die Vorsehung, Majestät, sondern unsre eigne Nachlässigkeit,« rief Saxon dreist. »Wären wir gestern abend bis Bristol marschiert, so wären wir vielleicht heut innerhalb der Wälle!«

»Aber wir konnten doch nicht voraussehn, daß die feindliche Infanterie uns so nahe war!« rief Wade.

»Ich habe allerdings vorausgesagt, wie es kommen würde, und Oberst Buyse und der wohledle Herr Bürgermeister von Taunton ebenfalls,« erwiderte Saxon. »Indessen, wenn der Topf entzwei ist, frommt kein Jammern. Man muß eben sehen, ob er sich wieder ganz machen läßt.«

»So laßt uns auf Bristol marschieren und unser Vertrauen auf den Höchsten setzen,« sagte Ferguson salbungsvoll. »Wenn es sein allmächtiger Wille ist, daß wir es einnehmen, dann werden wir es betreten, ja, und ob auch die Feldschlangen und Mörser so dicht lägen wie die Trittsteine auf den Straßen!«

»Auf, auf! nach Bristol! Gott mit uns!« riefen mehrere Puritaner erregt.

»Es wäre Tollheit – Dummheit – vollkommener Wahnsinn,« fiel Buyse leidenschaftlich ein. »Die Möglichkeit wurde euch geboten, ihr wieset sie von euch. Jetzt ist sie vorbei, und nun wollt ihr mit Gewalt vorwärts. Dort stehen, soweit ich urteilen kann, an fünftausend Mann auf der rechten, günstigen Seite des Flusses. Wir befinden uns auf der ungünstigen, und da redet ihr davon, überzusetzen und Bristol zu belagern ohne Festungsgeschütz, ohne Spaten, und den Feind im Rücken! Wird die Stadt sich auf Unterhandlungen einlassen, wenn sie von ihren Wällen aus die Vorhut des Heeres sehen kann, das zu ihrem Entsatz herbeieilt? Oder glaubt ihr, uns würde der Kampf erleichtert, falls wir eine Schlacht liefern wollten, wenn wir eine starke Festung zur Seite haben, von der wir jeden Augenblick einen Ausfall in unsre Flanke gewärtigen können? Ich sage noch einmal, es wäre Wahnsinn!«

Was der Deutsche sagte, war so überzeugend, daß auch die Fanatiker nichts dagegen einzuwenden wußten und stille schwiegen. Die langen schimmernden Stahlreihen im Osten, die roten Flecken auf den grünen Hügeln unterstützten seine Beweisführung dergestalt, daß auch die Gedankenlosesten sie gelten lassen mußten.

»Was würdet Ihr denn raten?« fragte Monmouth düster und klopfte mit seiner juwelenbesetzten Reitpeitsche auf seine Reiterstiefeln.

»Den Strom zu überschreiten und mit ihnen handgemein zu werden, ehe sie von der Stadt Hilfe bekommen können,« entgegnete der stürmische Deutsche kurz, »Wozu sind wir denn hier, wenn nicht zum Fechten? Gewinnen wir, so fällt die Stadt. Verlieren wir, so haben wir doch einen kühnen Streich drum gewagt, und mehr kann man nicht thun.«

»Oberst Saxon, ist das auch Eure Meinung?« fragte der König.

»Allerdings, Majestät, sofern wir mit Vorteil fechten können. Freilich werden wir das schwerlich können, wenn wir den Fluß auf einer einzigen schmalen Brücke überschreiten im Angesicht einer solchen feindlichen Macht. Ich rate, diese Keynshamer Brücke zu zerstören und am Ufer entlang nach Süden zu marschieren, und den Feind an einer Stelle zur Schlacht zu zwingen, die wir uns selbst ausgesucht haben.«

»Wir haben Bath noch nicht zur Übergabe aufgefordert,« warf Wade ein. »Wir könnten Oberst Saxons Rat folgen, in dieser Richtung marschieren und einen Parlamentär an den Kommandanten senden.«

»Noch ein andrer Plan dürfte sich vielleicht empfehlen,« meinte Sir Stephan Timewell, »wie wäre es, wenn wir nach Gloucester eilten, dort den Severn überschritten und durch Worcestershire, Shropshire und Cheshire marschierten? Ew. Majestät haben in der Gegend viele Freunde.«

Monmouth legte die Hand an die Stirn und schritt auf und ab, wie einer, der nicht mehr aus noch ein weiß.

»Was soll ich thun?« rief er endlich, »wenn einer mir dies rät und der andre das und ich doch weiß, daß nicht nur mein Erfolg, sondern auch das Leben dieser armen getreuen Bauern und Handwerker von meinem Entschluß abhängt!«

»Mein unterthänigster Rat, Ew. Majestät, wäre dieser,« bemerkte Lord Grey, der eben von einem Rekognoszierungsritt zurückgekehrt war, »es sind nur wenige Schwadronen Kavallerie diesseits des Avon, darum sollten wir die Brücke sprengen, und uns nach Bath wenden. Von dort aus aber könnten wir nach Wiltshire ziehn, wo man uns wohlgesinnt ist.«

»So sei es!« rief der König rasch mit dem leichtsinnigen Zufahren eines Mannes, der diesen Plan den andern vorzieht, nicht weil er ihn für den besten hält, sondern weil er fühlt, daß alle gleich hoffnungslos sind.

»Was sagt ihr dazu, meine Herren?« fuhr er mit bitterm Lächeln fort, »ich empfing heut früh die Nachricht, daß mein Onkel zweihundert Londoner Kaufleute und noch andre, die im Verdacht stehen, treu an ihrem Bekenntnis zu halten, in den Tower und das Fleetgefängnis hat werfen lassen! Bald wird eine Hälfte der Nation die andre für ihn bewachen müssen.«

»Oder die ganze Nation ihn selbst, Ew. Majestät,« meinte Wade. »Wer weiß, ob er nicht eines schönen Morgens selbst unter dem ›Verräterthor‹ hindurchschreitet!«

»Ha, ha! Ihr glaubt? Glaubt Ihr wirklich?« rief Monmouth, rieb sich die Hände, und ein helles Lächeln glitt über sein Gesicht. »Nun ja, kann sein, daß Ihr den Nagel auf den Kopf getroffen habt! Wer weiß? Heinrichs VII. Sache schien ganz schief zu gehn, bis das Schlachtfeld von Bosworth den Streit entschied! Auf eure Posten, ihr Herren! Wir marschieren in einer halben Stunde. Oberst Saxon und Ihr, Sir Stephan, sollt wieder die Nachhut führen und das Gepäck beschützen – ein Ehrenposten, da die feindliche Kavallerie uns auf den Fersen ist.«

Die Versammlung brach sofort auf und jeder begab sich zu seinem Regiment. Das ganze Heer geriet in Bewegung, Hörner bliesen, Trommeln wirbelten, und in kürzester Frist war die Armee aufmarschiert und eine Patrouillenabteilung bereits auf der Straße nach Bath unterwegs. Fünfhundert Pferde, geritten von der Devonshirer Miliz, bildeten die Vorhut. Dahinter kam das Seemannsregiment, dann das von Nord-Somerset, das erste Tauntoner Bürgerregiment, die Bergleute aus den Mendip-Bergen und aus Bagworthy, die Spitzenweber aus Honiton, Wellington und Ottery St. Mary, ferner die Jäger, die Viehhändler, die Marschbewohner und die aus der Gegend der Quantockberge. Darauf folgte das Geschütz, die Bagage, gedeckt von unsrer Brigade, und vier Fähnlein Reiter als Nachhut.

Während unsres Marsches erblickten wir drüben auf der andern Seite des Avon Fevershams Rotröcke, die mit uns Schritt hielten. Eine große Dragonerabteilung schwamm durch den Fluß und versuchte unsern Rückzug zu stören. Aber Saxon und Sir Stephan führten ihre Aufgabe so geschickt durch und begrüßten jede zu große Annäherung der kecken Reiter mit so grimmigem Salvengeknatter, daß diese niemals einen wirklich geschlossenen Angriff wagten.


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