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In der großen Halle des Rathauses herrschte ein reges, geschäftiges Treiben. An einer Seite des weiten Raumes saßen hinter einem niedrigen, mit grünem Tuch beschlagenen Tische zwei Schreiber. Vor ihnen lagen große Register, worin sie notierten, was die in langer Reihe vorüberziehenden Bürger in Säckchen oder Rollen von Goldstücken niederlegten. Neben ihnen stand ein viereckiger, eisenbeschlagener Kasten, in den das Geld geworfen wurde. Als wir vorbeikamen, sahen wir, daß er schon zur Hälfte mit Goldstücken gefüllt war. Dabei entging es uns nicht, daß viele der Geber Männer in fadenscheinigen Wämsern waren, deren bleiche, magere Gesichter Kunde gaben, wie mühsam die Summen, die sie so bereitwillig hinwarfen, durch schwere Arbeit bei knapper Kost zusammengespart sein mußten. Die meisten begleiteten ihre Gabe mit ein paar Gebetsworten oder irgend einem Kernspruch, etwa von dem Schatz, den der Rost nicht frißt, oder von der Pflicht, dem Herrn zu leihen. Der Stadtschreiber stand neben dem Tisch, verkündete mit schnalzender Zunge die Namen und die Höhe der Beträge, und machte dazwischen seine Bemerkungen.
»Abraham Willis,« rief er, als wir eintraten; »notiert ihn mit sechsundzwanzig Pfund und zehn Schillingen. Ihr werdet zehn Prozent in dieser Welt bekommen, und in jener wird es Euch sicherlich unvergessen bleiben! William Simons, zwei Guineen. Stehfest Healing, fünfundvierzig Pfund. Damit habt Ihr dem Prälatentum einen gehörigen Rippenstoß versetzt, guter Meister Healing! Salomo Warren, fünf Guineen. James White, fünf Schilling – das Scherflein der Witwe, James. Thomas Bakewell, zehn Pfund. Na, Meister Bakewell, aus Euren drei Pachtgütern am Ufer des Tone und aus Eurem Weideland in der fettesten Gegend von Athelney, da hättet ihr mehr als das herausschlagen können für die gute Sache. Wir sehen Euch aber wohl jedenfalls wieder. Alderman Smithson, neunzig Pfund. Aha! da kriegt das Weib in Scharlach und Rosinfarbe eine tüchtige Ohrfeige. Noch ein paar solche Gaben, und der Thron der alten Hexe wird ihr zum Tauchschemel! Wir wollen sie stürzen, werter Meister Smithson, gleichwie Jehu der Sohn Nimsi das Haus Baals stürzte.«
So plapperte er weiter, Lob, Ermahnung und Tadel in seine Abkündigungen hineinmengend; aber die ernst und feierlich vorbeischreitenden Bürger achteten nicht auf sein hohles Geschwätz.
An der andern Seite der Halle standen mehrere lange hölzerne Tröge, die zur Aufbewahrung von Piken und Sensen dienten. Besondere Boten und Steuererheber waren ausgesandt worden, um das Land nach Waffen abzusuchen, die sie bei ihrer Rückkehr an den Oberwaffenmeister ablieferten. Außer diesen gewöhnlichen Waffen der Bauern war noch ein mit Pistolen und Petronels fast ganz gefülltes Faß vorhanden, dazu kam eine erkleckliche Anzahl Musketen, Schrauben- und Radschloßflinten, Vogelflinten und Karabiner, ein Dutzend oder mehr breiter messingner Donnerbüchsen und ein paar altmodische Mörser und Feldschlangen, die man von einigen Edelhöfen in der Umgegend weggenommen hatte. Aus den Rumpelkammern und von den Wänden solcher alten Gutshäuser war auch noch mancherlei andres Gewaffen ans Licht gebracht worden. Unsere Vorväter mochten es wohl hochgeschätzt haben, aber uns, die wir daran gewöhnt sind, daß man eine Muskete alle zwei Minuten einmal abfeuern kann, und daß die Kugel auf vierhundert Schritt Distanz trifft, kommt es doch recht wunderlich vor! Da waren Hellebarden, Streitäxte, Morgensterne, Wurfspeere, Keulen und uralte Ring-Panzerhemden, die sogar heute noch einen Mann vor Schwertstreich und Lanzenstich schützen dürften.
Mitten in der Halle stand Meister Stephan Timewell, der als geschickter und vorsorglicher Kommandant das Ganze überwachte und anordnete. Jetzt erst wurde mir das Vertrauen und die Liebe seiner Mitbürger recht verständlich, als ich zusah, wie er alles mit der Weisheit eines Greises und der Frische eines Jünglings betrieb. Er war gerade damit beschäftigt, das Schloß eines Falkonett zu prüfen, als er uns bemerkte, kam uns aber sofort entgegen und begrüßte uns mit großer Wärme.
»Ich habe schon viel von Euch gehört,« sagte er, »wie Ihr die Gläubigen um Euch gesammelt und Rosse und Reiter des Usurpators in die Flucht geschlagen habt. Ich hoffe zuversichtlich, Ihr werdet ihren Rücken nicht zum letztenmal gesehen haben. Wie ich höre, habt Ihr lange im Auslande gedient, Oberst Saxon.«
»Ich bin so manches Jahr ein schwaches Werkzeug der Vorsehung gewesen bei viel guter Arbeit,« sagte Saxon und verbeugte sich. »Ich habe mit den Schweden gefochten gegen die Brandenburger und wieder mit den Brandenburgern gegen die Schweden, nachdem meine Zeit und Abmachung mit den ersteren pflichtgemäß abgelaufen war. Ich habe später in bayrischen Diensten gegen die vereinigten Brandenburger und Schweden gefochten, außerdem habe ich mich an den großen Donaukriegen gegen die Türken beteiligt und zwei Feldzüge bei den Messieurs in der Pfalz mitgemacht – freilich war dies letztere mehr ein Ferienvergnügen als ein Kriegszug.«
»Ein kriegerischer Lebenslauf, das muß wahr sein,« rief der Bürgermeister und strich sich den weißen Bart. »Ich hörte auch, Ihr hättet eine mächtige Gabe des Betens und Singens. Es scheint, Herr Oberst, Ihr seid noch einer aus der alten Schule von '44 – einer von den Männern, die den Tag über im Sattel saßen, und die halbe Nacht auf den Knien lagen. Wann werden wir ihresgleichen wieder einmal sehen? Ein paar Trümmerreste, wie ich, die sind wohl noch übriggeblieben, aber unser Jugendfeuer ist ausgebrannt, und darüber liegt die Asche der Ermattung und Lauheit.«
»Ei nicht doch,« sagte Saxon, »Eure Stellung und derzeitige Beschäftigung stimmt schwerlich zu der Bescheidenheit Eurer Worte. Aber hier sind ein paar junge Männer, die Mut und Feuer für die Sache mitbringen, wenn die Alten den Verstand dazu geben wollen. Dies ist Hauptmann Micha Clarke, Hauptmann Ruben Lockarby und der Wohledle Sir Gervas Jerome, die alle drei von weit her gekommen sind, um das Schwert zu ziehen für den zertretenen Glauben.«
»Taunton heißt euch willkommen, meine jungen Herren,« sagte der Bürgermeister, warf aber dabei einen verwunderten Seitenblick auf den Baronet, der seinen Taschenspiegel hervorgezogen hatte und sorgsam seine Augenbrauen bürstete. »Ich bitte euch, während eures Aufenthaltes in der Stadt in meinem Hause wohnen zu wollen. Es ist ein einfach bürgerliches Dach, ihr Herren, und einfache Kost, die ihr finden werdet, aber ein Soldat braucht ja nur wenig. Und nun, Oberst, seid so gut und leihet mir Euren Rat in Betreff dieser drei Felddrachen. Können sie wohl diensttauglich gemacht werden, wenn man sie neu beschlägt? Und diese drei Kartaunen aus der Zeit der Parlamentskriege, könnten die nicht am Ende noch heut ein Wort mitsprechen in der Sache des Volkes?«
Der alte Soldat und der Puritaner stürzten sich sofort in eine tiefe gelehrte Erörterung des unterschiedlichen Wertes der Wallbüchsen, Drachen, Halb-Culverins, Feldschlangen, Minions,Ein kleines schweres Geschütz von 3 Zoll Mündungsweite. Mörser, Kartaunen und Haubitzen, über welche Geschütze samt und sonders Saxon sehr entschiedene Meinungen hatte, die sich auf mancherlei persönliche Erfahrungen und Wagestücke gründeten. Dann verbreitete er sich über den Wert und Nutzen von Feuerpfeilen und Feuerpiken beim Angriff oder der Verteidigung von festen Plätzen und hatte schließlich eine genaue Auseinandersetzung über Schanzen, ›directis lateribus‹, über halbmondförmige, kreisrunde oder aufrechte und horizontale Erdarbeiten begonnen und die Verschanzungen Seiner kaiserlichen Majestät in Gran so oft zur Erläuterung herangezogen, daß es uns vorkam, als würde sein Vortrag nie ein Ende nehmen. Wir drückten uns endlich unbemerkt, während er noch im vollen Zuge war und über die Wirkung perorierte, welche die österreichischen Handgranaten gegen eine bayrische Lanzenbrigade in der Schlacht bei Obergranstock gehabt hätten.
»Soll mich doch dieser und jener holen, wenn ich das Anerbieten des alten Kerls annehme,« brummte Sir Gervas halblaut. »Ich habe von solchen puritanischen Häusern gehört. Lange Gebete und wenig Sekt, und Bibelsprüche, die einem rechts und links an den Kopf fliegen, hart und spitz wie die Kieselsteine. Mit Sonnenuntergang ins Bett, und lange Moralpredigten, wenn man das Stubenmädchen bloß freundlich ansieht oder einen lustigen Kehrreim summt.«
»Sein Hausstand mag größer, aber er dürfte kaum strenger geordnet sein, als der meines Vaters,« bemerkte ich.
»Das kann ich bezeugen,« rief Ruben. »Wenn wir mal den Mohrentanz tanzten oder am Sonnabend ›Ringküssen‹ spielten oder ›Der-Pfaff-hat-seinen-Rock-verloren‹, und Eisenseiten-Joe kam vorbei – dann warf er uns einen Blick zu, bei dem uns das Lachen auf der Lippe erstarb. Der würde dem Oberst Pride gern geholfen haben die Bären totschießenDie zu dem damals sehr beliebten, grausamen Vergnügen der Bärenhatz gehaltenen Tiere, die Cromwellianer Pride erschießen ließ, um es zu verhindern. und die Maibäume umhacken, darauf wett' ich!«
»Ei, es wäre ja ein Brudermord, wenn solch ein Mensch einen Bären erschösse,« versetzte Sir Gervas, »unbeschadet meiner Achtung für Euern geehrten Erzeuger, Clarke.«
»Oder wenn Ihr den Papagei von der Stange schießt,« antwortete ich lachend; »aber um auf die Einladung des Bürgermeisters zurückzukommen, wir brauchen ja nur heute bei ihm zu essen. Sollte es Euch nicht gefallen, so wird es Euch ja leicht sein, unter irgend einem passenden Vorwand später wegzubleiben. Aber eins müßt Ihr Euch merken, Sir Gervas. Ein Haus, wie dieses, ist in Wirklichkeit ganz anders, als Euch je eines vorgekommen sein mag. Darum zügelt Eure Zunge, damit ihr keinen Anstoß erreget. Wenn ich ›hm‹ rufe oder huste, soll Euch das eine Mahnung sein, daß Ihr Euch in acht nehmet.«
»Einverstanden, o junger Salomo!« rief er. »Es ist wahrhaftig ein wahres Glück, wenn man einen Piloten wie Euch hat, der diese gottseligen Gewässer kennt. Ich allein würde die Nähe der Untiefen nie ahnen. Aber unsre Freunde scheinen jetzt mit der Schlacht von Ober – wie heißt das Nest? – fertig zu sein und kommen auf uns zu. Wie steht's, mein hochwürdiger Herr Bürgermeister, sind Eure Bedenken gehoben?«
»Allerdings, edler Herr,« erwiderte der Puritaner. »Des Obersten Vortrag war höchst erbaulich, und ich werde, so hoffe ich, von seiner reifen Erfahrung vielen Nutzen ziehen, wenn ich unter ihm diene.«
»Wahrscheinlich, höchst wahrscheinlich Herr Bürgermeister,« warf Sir Gervas hin.
»Es ist aber fast schon ein Uhr,« fuhr der Bürgermeister fort, »unser schwaches Fleisch schreit laut nach Speise und Trank. Vergönnet, daß ich euch in meine bescheidene Wohnung führe, wo wir die gemeinsame Tafel gedeckt finden werden.«
Mit diesen Worten ging er uns voran aus der Halle und schritt langsam die Fore-Straße hinab. Jedermann machte ihm ehrerbietig grüßend Platz. An einzelnen Stellen zeigte er uns, daß Vorkehrungen getroffen worden waren, um einen plötzlichen Kavallerieangriff zu verhindern. Man hatte starke Eisenketten quer über die Straße gezogen und an einzelnen Eckhäusern war ein Loch in die Mauer geschlagen, aus dem die schwarze Mündung einer Karonade oder Feldschlange hervorsah. Diese Maßregeln waren um so notwendiger, als man bestimmt wußte, daß mehrere Abteilungen königlicher Reiterei, darunter die, welche wir zurückgeschlagen hatten, sich in dem nahen Deane aufhielten. Die Stadt, aber, ihrer Festungswerke beraubt, stand jedem Einfall eines kühnen Reiterführers offen.
Das Haus des Stadtoberhauptes war ein umfangreicher viereckiger Steinbau, auf einem von Gebäuden rings umschlossenen freien Platz gelegen, der sich nach der Oststraße öffnete. Die oben zugespitzte, mit breiten Eisennägeln beschlagene Eichenthür sah freilich düster und grämlich aus, aber der Hausflur drinnen war hell und luftig, mit blank poliertem Cedernholz gedielt und die Wände bis hoch hinauf panelliert mit einer von Natur dunklen Holzart, die angenehm nach Veilchen duftete. Die breite Treppenflucht am andern Ende des Vorsaals führte in die oberen Räume. Eben stieg ein holdes Mädchen mit leichtem Schritt herunter, gefolgt von einer alten Frau, die einen Berg reiner Tischwäsche auf dem Arm trug. Als sie unser ansichtig wurde, flog sie die Stufen hinab, immer drei auf einmal, fiel dem alten Bürgermeister um den Hals und küßte ihn zärtlich. Dann sah sie ihm forschend ins Gesicht, wie eine Mutter in das ihres Kindes, wenn sie fürchtet, daß etwas nicht in Ordnung mit ihm ist.
»Bist müde, Väterchen, bist wieder müde,« sagte sie und schüttelte besorgt den Kopf, während ihre kleinen weißen Hände auf seinen Schultern ruhten. »Nein, wirklich, wirklich, du mutest dir immer viel zu viel zu!«
»Laß gut sein, Mädel,« sagte er und strich zärtlich mit der Hand über ihr reiches braunes Haar. »Der Arbeiter muß wirken, bis es Feierabend geläutet hat. Meine Herren, dies ist meine Großtochter Ruth. Sie ist alles, was mir von meiner Familie übrig geblieben ist, und der Trost meines Alters. Der ganze Hain ist unter der Axt gefallen, nur die älteste Eiche und das jüngste Reis sind stehen geblieben. Diese Kavaliere sind weit hergekommen, Kleine, um der guten Sache zu dienen, und wollen uns die Ehre anthun, unsre bescheidene Gastfreundschaft anzunehmen.«
»Ihr kommt gerade zu rechter Zeit, edle Herren,« entgegnete sie und blickte uns offen und freundlich lächelnd in die Augen, wie eine Schwester, die ihre Brüder begrüßt. »Die Hausgenossen sind schon um den Tisch versammelt, und das Mahl ist bereit.«
»Und wir auch,« rief der ehrenfeste alte Bürgermeister, »führe du unsre Gäste hinein und weise ihnen ihre Plätze an. Ich gehe noch erst auf mein Zimmer um meine Amtstracht nebst Kette und Kragen abzulegen, ehe ich mein Fasten breche.«
Wir folgten unsrer schönen Führerin in ein sehr großes hohes Gemach, dessen Wände mit Eichenholzschnitzwerk verkleidet und an den Schmalseiten mit Tapeten behängen waren. Der Fußboden bestand nach französischer Sitte aus würflig eingelegtem Holz, über das viele Felle und kleine Teppiche verstreut waren. An einem Ende des Saales befand sich ein riesengroßer Kamin aus weißem Marmor, der an sich fast ein kleines Zimmer bildete, mit einem Eisenrost in der Mitte und breiten Steinbänken in den Nischen zu jeder Seite. Mehrere Reihen Haken über dem Kaminsims schienen anzudeuten, daß sie zum Aufhängen von Waffen gebraucht worden waren, denn die wohlhabenden Kaufleute Englands besaßen deren gemeiniglich in hinreichender Zahl, um ihre Lehrlinge und Gesellen auszurüsten. Jedenfalls waren jetzt keine da, und auch sonst deutete nichts auf die unruhigen Zeiten, als ein paar Lanzen und Hellebarden, die in einem Winkel lehnten.
Die Mitte dieses Gemaches nahm ein langer, massiver Tisch ein, den etwa dreißig bis vierzig Personen umstanden, größtenteils Männer. Als wir eintraten, sprach gerade ein ernsthaft aussehender Mann am untern Ende in schleppendem Tone ein endloses Tischgebet, das allerdings mit einem Dank für Speis' und Trank begann, sich aber dann weiter über Kirchen- und Staatsangelegenheiten verbreitete und mit einem Anruf um Hilfe für Israel, das soeben in Waffen stünde, um des Herrn Schlachten zu schlagen, endete. Während dieses Vorganges standen wir zusammen an der Thür mit entblößten Häuptern und benutzten die Zeit, um uns die Gesellschaft genauer anzusehen, als wir es schicklicherweise gekonnt hätten, wenn ihre Augen nicht niedergeschlagen und ihre Gedanken nicht mit dem Vortrag des Vorbeters beschäftigt gewesen wären.
Es waren alle Altersstufen vertreten vom Graubart an bis zum Jüngling unter zwanzig Jahren. Alle trugen denselben feierlich strengen Gesichtsausdruck. Alle waren gleich einfach in dunkle Hausmacherstoffe gekleidet. Außer den breiten weißen Kragen und Manschetten hob nicht der geringste farbige Streif die trübe Eintönigkeit ihres Anzugs. Die schwarzen Röcke und Wämser waren von glattem und anliegendem Schnitt, und ihre Schuhe aus spanischem Leder, die sich dazumal gewöhnlich irgend einer kleinen Ausschmückung erfreuten, hatten hier breite Spitzen und waren mit dunkelfarbigem Bande zugebunden. Die meisten trugen glatte Schwertgurte von ungegerbtem Leder ohne jede Verzierung, aber die Waffen selbst sowohl, wie die breiten Filzhüte und schwarzen Mäntel lagen unter den Bänken oder auf den Schemeln, die längs der Wand standen. So lauschten sie mit gefalteten Händen und gesenkten Köpfen der ungebührlich langen Ansprache, und ließen ab und zu durch ein Stöhnen oder einen Ausruf merken, daß des Predigers Worte sie rührten.
Das ungeheuerliche Tischgebet kam endlich zum Schluß. Die Tischgesellschaft nahm schweigend Platz und begann ohne Pause und ohne Umstände einen Angriff auf die gewaltigen Braten, die vor ihnen dampften. Unsre junge Wirtin führte uns an das Ende des Tisches, wo ein hochlehniger, geschnitzter Stuhl mit einem schwarzen Lederkissen darauf den Platz des Hausherrn bezeichnete. Jungfer Timewell setzte sich an die rechte Seite neben des Bürgermeisters Stuhl und Sir Gerdas auf ihre andre, während der Ehrenplatz links für Saxon bestimmt war. Dann kam ich und neben mir Lockarby, dessen Augen vom ersten Augenblick an in unverhohlener, selbstvergessener Bewunderung auf die junge Puritanerin geheftet blieben. Der Tisch war nicht sehr breit, so daß es sich ganz bequem herüber und hinüber reden ließ trotz des Geklappers von Tellern und Schüsseln, und trotz des lauten Hin- und Hergehens der Dienstboten und des allgemeinen Stimmengesummes.
»Das sind alles unsre Hausgenossen,« sagte unsre Wirtin zu Saxon gewendet. »Hier ist keiner, der nicht beim Großvater in Lohn und Brot stünde. Er hat viele Lehrlinge in seinem Wollgeschäft. Wir sitzen das ganze Jahr hindurch täglich unser vierzig um den Mittagstisch.«
»Und bei einer vortrefflichen Kost, das muß ich sagen,« gab Saxon zurück, indem er seine Blicke die Tafel hinuntergleiten ließ, »Lachs, Rinderrippen, Hammellende, Kälbernes, Pasteten – was kann der Mensch mehr wünschen? Dazu eine Menge gutes, selbstgebrautes Bier, um das Essen hinunter zu spülen. Wenn der verehrungswürdige Meister Timewell es so einrichten könnte, daß die Armee in ebensolcher Weise verpflegt würde, wäre ich meinerseits ihm sehr verbunden. Ein Becher Grabenwasser und ein verkohltes Stück Fleisch, das man sich an einem Ladestock beim Lagerfeuer gebraten hat, werden aber wahrscheinlich bald an die Stelle dieser köstlichen Leckerbissen treten.«
»Heißt es da nicht Glauben üben?« sagte die junge Puritanerin. »Wird nicht der Allmächtige seine Soldaten ernähren, gleichwie er Elias in der Wildnis nährte und Hagar in der Wüste?«
»Jawohl,« rief ein junger Mann mit langem strähnigem Haar und dunkler Hautfarbe, der neben Sir Gervas saß. »Er wird für uns sorgen, gleichwie er den Wasserquell hervorspringen ließ aus kahlem Fels, gleichwie er den unfruchtbaren Boden reichlich mit Wachteln und Manna bedeckte.«
»Das hoffe ich auch, junger Herr,« versetzte Saxon, »allein trotzdem müssen wir eine Proviantkolonne einrichten, eine Anzahl Wagen, die nach deutscher Weise numeriert und je von einem Intendanten beaufsichtigt werden. Diese Dinge dürfen nicht dem Zufall überlassen bleiben.«
Die hübsche Jungfer Timewell blickte ihn bei dieser Bemerkung fast erschrocken an, als entsetze sie sich ob dieses Mangels an Gottvertrauen. Sie würde ihre Gedanken auch gewiß haben laut werden lassen, wäre nicht ihr Großvater eben eingetreten. Die ganze Tischgesellschaft erhob sich und begrüßte ihn mit einer Verbeugung, als er zu seinem Stuhl schritt.
»Setzt euch, Freunde,« sagte er mit einer Handbewegung; »wir sind einfache Leute, Oberst Saxon, und die altehrwürdige Tugend der Achtung vor dem Alter hat uns nicht ganz verlassen, Ruth,« fuhr er fort, »ich hoffe, du hast für die Bedürfnisse unsrer Gäste gesorgt?«
Wir versicherten einstimmig, daß wir noch nie solche gastfreundliche Bewirtung genossen hätten.
»Schön, schön,« sagte der treffliche Tuchweber, »aber eure Gläser sind leer. William, versieh dein Amt! Wer tüchtig arbeitet, soll auch tüchtig essen. Wenn einer meiner Lehrlinge seinen Teller nicht rein ausißt, dann weiß ich genau, er wird mir bei Wollkamm und Kardätsche auch nicht viel leisten. Muskeln und Sehnen wollen gefüttert werden. Bitte, ein Stück Rinderbraten, William! – Wir sprachen doch vorher über die Schlacht von Granstock, Herr Oberst. Welche Rolle fiel dem Pandurenregiment zu, das Ihr dermalen befehligtet?«
Dies war eine Frage, die, wie man denken kann, alle Schleusen von Saxons Beredsamkeit aufzog. Bald waren die beiden in ein lebhaftes Gespräch verwickelt, worin die Erfahrungen von Roundway Dawn und Marston Moor gegen die Ergebnisse einer Reihe von unaussprechlichen Gefechten in den steirischen Alpen und längs der Donau ausgetauscht wurden. Stephan Timewell hatte in seiner kräftigen Jugend zuerst ein Bataillon und dann ein Regiment geführt und die Parlamentskriege von Chalgrove Field an bis zur Schlacht von Worcester mitgemacht. Seine Kriegserlebnisse waren daher, wenn auch weniger wechsel- und umfangreich als diejenigen unsres Begleiters, immerhin ausreichend, um sich aus ihnen bestimmte Meinungen zu bilden und fest zu halten. In der Hauptsache stimmte er ja wohl mit dem Glücksritter überein; wichen aber ihre Meinungen irgendwie von einander ab, so erhob sich sogleich ein solches Kreuzfeuer von militärischem Jargon – so viele ›escatados‹ und ›palisados‹, so viele gelehrte Vergleiche von leichter und schwerer Reiterei, von Pikenieren und Musketieren, Landsknechten, Belagerungen und Ausfällen, daß ein ungeübtes Ohr von dem Wortgeklingel ganz verwirrt wurde. Endlich bei einer Frage über Fortifikationen konstruierte der Bürgermeister seine Außenwerke mit Löffeln und Messern, worauf Saxon seine Parallelen mit Brotkrusten zog und sich im Umsehen mit Traversen und bedeckten Gängen bis an die Ecke von des Bürgermeisters Redoute hinarbeitete. Dies eröffnete ein neues Thema über Minen und Gegenminen, was zur Folge hatte, daß der Meinungskampf mit frischen Kräften begann.
Während von den Alten dieser freundschaftliche Streit geführt wurde, hatten Sir Gerdas Jerome und Jungfrau Ruth ihrerseits auch ein Gespräch begonnen.
Selten, meine lieben Kinder, habe ich ein so schönes Gesicht gesehen, wie das dieses puritanischen Mägdleins. Ihre Schönheit hatte etwas Keusches und Holdseliges, das der holden Seele entstammte, welche ihre Züge durchleuchtete. Die vollendete Form ihres Körpers schien nur der Ausdruck eines vollkommenen Geistes zu sein. Das dunkelbraune Haar war von der hohen weißen Stirn zurückgestrichen, unter der sich ein Paar feingezeichnete Brauen über großen blauen, nachdenklichen Augen wölbten. Ihre Gesichtszüge waren taubenhaft sanft, und doch schienen die festen Linien des Mundes und ein zart aber energisch geformtes Kinn anzudeuten, daß diese Maid in unruhigen und gefahrvollen Zeiten sich nicht als unwert ihrer Abstammung von einem alten Rundkopf-Soldaten und puritanischen Ratsherrn erweisen würde. Ich glaube bestimmt, daß da, wo zungenfertigere Frauen, die sich laut zur Geltung zu bringen wissen, kleinlaut verzagen, diese Bürgermeisterstochter mit der sanften Stimme die starke Seele hervorgekehrt haben würde, die sich dahinter verbarg.
Es belustigte mich höchlich, die Versuche zu beobachten, die Sir Gervas anstellte, um sich mit ihr zu unterhalten, denn er und das Mädchen lebten in zwei so grundverschiedenen Welten, daß es all seiner Galanterie und seines schlagfertigen Witzes bedurfte, um auf Gebieten zu bleiben, auf denen er sich ihr verständlich machen konnte.
»Ihr lest gewiß sehr viel, Jungfer Ruth,« bemerkte er. »Denn ich wüßte auch nicht, was Ihr sonst, fern von der Stadt, machen könntet.«
»Von der Stadt?« sagte sie überrascht. »Taunton ist ja doch eine Stadt!«
»Verhüte der Himmel, daß ich das leugnen sollte,« versetzte Sir Gervas, »noch dazu in Gegenwart so vieler ehrenwerter Bürger, die den Ruf haben, ein wenig eifersüchtig zu sein auf die Ehre ihres Geburtsortes. Dennoch, holde Jungfer, die Thatsache bleibt bestehen, daß die Stadt London alle andern Städte so weit überflügelt, daß man sie allgemein, wie ich eben jetzt, die Stadt nennt.«
»Ist sie denn so sehr groß?« rief Ruth in lieblicher Verwunderung aus. »Aber in Taunton werden jetzt auch viele neue Häuser gebaut, außerhalb der alten Mauern bis hinter Shuttern, und einige sogar jenseits des Flusses. Vielleicht wird es mit der Zeit auch so groß werden.«
»Wenn man die ganze Bevölkerung Tauntons zu London hinzufügte,« sagte Sir Gervas, »würde noch niemand wahrnehmen, daß es sich sonderlich vergrößert hatte.«
»Nein, nun habt Ihr mich zum Besten! Das ist ja wider alle Vernunft!« rief das junge Mädchen.
»Euer Großvater wird es Euch bestätigen,« versetzte Sir Gervas. »Aber wir sprachen ja vom Lesen. Ich wette, Ihr kennt den ›Grand Cyrus‹ der Scudery aus- und inwendig. Auch ist Euch gewiß keine geistreiche Bemerkung in Cowley, Waller oder Dryden entgangen?«
»Was sind das für Leute?« fragte sie. »In welcher Kirche predigen sie?«
»Mein Seel!« lachte der Baronet, »der ehrliche John spricht in Will UnwinsEin Londoner Theater. Kirche, für gewöhnlich nur ›bei Wills‹ genannt, und es wird manchmal zwei Uhr morgens, ehe seine Predigt aus ist. Aber was soll diese Frage? Glaubet Ihr, daß kein Mensch die Feder ansetzt, wenn er nicht zugleich das Recht hat, einen Talar zu tragen und eine Kanzel zu besteigen? Ich hatte gemeint, es gäbe kein weibliches Wesen, das nicht Dryden gelesen hätte. Welches sind denn Eure Lieblingsbücher?«
»Vor allem Alleines ›Aufruf an die Unbekehrten‹, sagte sie. »Es ist eine herzbewegende Schrift, und sie hat viel Gutes gewirkt. Habt Ihr nicht auch gefunden, daß sie Euch gestärkt hat zu guten Werken?«
»Ich habe das Buch, das Ihr nennt, nicht gelesen,« gestand Sir Gervas.
»Nicht gelesen?« rief sie und zog die Augenbrauen in die Höhe. »Wahrlich ich dachte, jedermann müßte den ›Aufruf‹ gelesen haben! Was haltet Ihr denn aber von dem ›Treuen Streiter‹?«
»Das habe ich auch nicht gelesen.«
»Oder von Baxters Predigten?«
»Ich habe sie nicht gelesen.«
»Gewiß last Ihr doch Bulls ›Geistlichen Erquickungstrank‹?«
»Ich habe auch das nicht gelesen.«
Jungfer Ruth Timewell blickte ihn mit unverhohlenem Erstaunen an.
»Ihr werdet mich vielleicht für ungezogen halten,« bemerkte sie, »aber ich kann nicht begreifen, wo Ihr bisher gelebt habt und was Ihr Euer ganzes Leben über gethan habt. Ei, die Kinder auf der Straße haben diese Bücher ja gelesen!«
»Aufrichtig gesagt, diese Werke kommen uns in London nicht leicht vor die Augen,« entgegnete Sir Gervas. »Ein Drama von George Etherege oder ein Versgeklingel von Sir John Suckling ist eine leichtere, wenn auch vielleicht nicht ganz so heilsame Geistesnahrung. Ein Londoner kann im allgemeinen in der literarischen Welt so ziemlich auf dem Laufenden bleiben, ohne viel zu lesen. Da gibt es Plaudereien im Kaffeehause, Zeitungen mit neuen Nachrichten, dazu die Unterhaltung der Poeten und witzigen Köpfe in den Gesellschaften; dann geht man vielleicht noch ein- bis zweimal die Woche ins Schauspielhaus, wo man Vanbrugh oder Farquhar sieht – so bleibt man eigentlich ununterbrochen im Verkehr mit den Musen. Wenn dann das Stück aus ist und man kein Verlangen nach dem grünen Tisch bei Groom Porter's hat, kann man nach dem ›Coca-Baum‹ schlendern, wenn man ein Tory ist, oder nach St. James, wenn man ein Whig ist, und zehn gegen eins – das Gespräch dreht sich um die alcäische Strophe, oder den Kampf zwischen gereimten und ungereimten Jamben. Dann, nach einem zweiten Abendimbiß spricht man vielleicht bei Will's oder Slaughter's ein wenig vor, und findet da den alten John mit Tickell und Congreve und den andern, die sich mit den Einheiten des Dramas, der poetischen Gerechtigkeit oder dergleichen herumschlagen. Ich muß gestehen, daß ich all dem nicht viel Geschmack abgewinnen konnte, und in der Zeit meistens schlimmeren Beschäftigungen oblag – bei der Flasche, dem Würfelbecher oder –«
»Hem, hem!« rief ich warnend, denn mehrere Puritaner lauschten mit Gesichtern, auf denen alles andre – nur kein Beifall zu lesen war.
»Was Ihr von London erzählt, ist mir von großem Interesse,« sagte die junge Puritanerin, »trotzdem daß die Orts- und Personennamen meinem unwissenden Ohre leerer Schall sind. Doch Ihr spracht von den Schauspielhäusern. Nicht wahr, kein ehrlicher Mann begibt sich in diese Abgründe der Bosheit, diese Fallen, in denen der Böse seine Lockspeise aufstellt? Der gottselige heilige Meister Bull hat ja von der Kanzel herab erklärt, sie seien der Sammelplatz der Gottlosen, die Lieblingsstätte der trotzigen Assyrer und der Seele ebenso gefährlich wie irgend ein papistisches betürmtes Haus, worin das Geschöpf anstatt des Schöpfers abgöttisch verehrt wird.«
»Wohl und wahr gesprochen, Jungfer Timewell,« rief der oben bereits erwähnte magere junge Puritaner, der der ganzen Unterhaltung mit großer Aufmerksamkeit gefolgt war. »Ihr habt vollkommen recht. Es ist mehr Sündhaftigkeit in jenen Häusern, als sogar in den Städten der sodomitischen Ebene. Ich bin überzeugt, der Herr wird in seinem Zorn auf sie herabfahren und sie zerstören und gänzlich zertrümmern mitsamt den ausschweifenden Männern und sittenlosen Weibern, die sie besuchen.«
»Die starken Ausdrücke, die Ihr braucht, mein Freund,« sagte Sir Gervas sehr ruhig, »sind ohne Zweifel das Ergebnis einer sehr gründlichen Kenntnis des betreffenden Gegenstandes. Wie oft seid Ihr in diesen Schauspielhäusern gewesen, die Ihr so bereitwillig verdammt?«
»Ich danke dem Herrn, daß ich niemals in Versuchung gekommen bin, so weit vom rechten Wege abzuirren, daß ich meinen Fuß in eins derselben gesetzt hätte,« erwiderte der Puritaner, »auch bin ich nie in dem großen Hexenkessel, der sich London nennt, gewesen. Ich lebe aber der guten Zuversicht, daß ich und andre Gläubige mit den Waffen in der Hand dort einziehen werden, bevor unser Werk, das vor uns liegt, vollendet ist. Dann werden wir nicht nur, wie Cromwell, diese Brutstätten des Lasters schließen, sondern wir werden keinen Stein auf dem andern lassen und die Stätte mit Salz bestreuen, auf daß sie werde ein Sprichwort und ein Spott allem Volk. Des könnt ihr Euch versichert halten.«
»Da hast du wohl recht, John Derrick,« sagte der Bürgermeister, der die letzten Worte des jungen Eiferers gehört hatte, »aber mir deucht, ein leiserer Ton und ein zurückhaltenderes Wesen würde dir besser anstehen, wenn du mit den Gästen deines Herrn sprichst. Freilich, was diese besagten Schauspielhäuser betrifft, Oberst, so werden wir nicht zugeben, daß das Unkraut den jungen Weizen ersticke, wenn wir diesmal die Oberhand haben. Es ist nur zu bekannt, welche Früchte an diesen Orten zu Tage gefördert sind, als Karl mit der Gwynn,Nell Gwynn, Karls Geliebte. der Palmer und dem ganzen niederträchtigen Gefolge anrüchiger, gemeiner Schmarotzer sein Wesen dort trieb. Seid Ihr schon in London gewesen, Hauptmann Clarke?«
»Nein, Herr Bürgermeister, ich bin auf dem Lande geboren und erzogen.«
»Um so besser für Euch,« sagte unser Wirt. »Ich bin zweimal dort gewesen. Einmal in den Tagen des Rumpfparlaments, als Lambert mit seiner Division das Unterhaus ins Bockshorn jagte. Damals war ich in den ›Vier Kreuzen‹ in Southwark einquartiert, die zu jener Zeit ein braver Mann, ein gewisser John Dolman inne hatte, mit dem ich manch erbauliches Gespräch über die Prädestinationslehre führte. Damals, das kann ich Euch versichern, ging's überall ehrbar und ruhig zu. Da konnte man mitten in der Nacht von Westminster bis nach dem Tower wandern und hörte kein Geräusch, als vielleicht ein gemurmeltes Gebet oder den Gesang eines geistlichen Liedes. Nicht ein Raufbold, noch eine Dirne war nach Dunkelwerden auf der Straße. Höchstens traf man einen anständigen Bürger, der in Geschäften ausging, oder die wachthaltenden Halbardiere.«
»Und wann wart Ihr zum zweitenmal dort?« fragte Sir Gervas.
»Zum zweitenmal war ich in London wegen der anbefohlenen Schleifung unsrer Mauern,« fuhr Meister Timewell fort. »Nachbar Foster, der Handschuhmacher und ich wurden mit einer Deputation von unsrer Stadt an Karls Staatsrat abgesandt. Wie war's nur denkbar, daß die wenigen Jahre einen solchen Umschwung hervorgebracht haben konnten! Jeder Greuel, der in den Boden gestampft war, hatte darin geeitert und gelaicht, und nun überflutete das ekle Gewürm die Straßen, und die Frommen wurden ihrerseits in dunkle Schlupfwinkel getrieben. Apollyon hatte in der That für eine Zeitlang triumphiert. Ein Mann, der ruhig seines Weges ging, wurde auf offner Straße von rauflustigen Klopffechtern in die Gosse gestoßen, oder von geschminkten Dirnen mit unzüchtigen Reden belästigt. Gauner und Strolche, schnurenbesetzte Mäntel, klirrende Sporen, Stulpenstiefel und Federhüte, Eisenfresser und Kuppler, Flüche und Gotteslästerungen – da fraß die Hölle sich satt, das könnt Ihr mir glauben. In seinem eignen Wagen sogar war man vor Dieben nicht sicher.«
»Wie denn das, Herr Bürgermeister?« fragte Ruben.
»Ei nun, das kam so. Ich habe es erlitten und kann ein Lied davon singen. Ihr müßt wissen, daß wir nach unserm ersten Empfang im Staatsrat, – der übrigens recht kühl war, denn wir kamen den Herren eben so paßlich, wie der Steuereinnehmer der Bauersfrau – eine Einladung zum Abendempfang in Buckingham Palast erhielten. Freilich glaube ich, das geschah mehr uns zum Hohn als aus Höflichkeit. Wir hätten uns beide gern entschuldigt, allein wir besorgten, unsre Weigerung möchte unnötig Ärgernis erregen und dem Erfolg unsrer Mission hinderlich sein. Mein Anzug aus einheimischem Tuch mochte vielleicht für die Gelegenheit nicht ganz fein genug sein, aber ich beschloß, doch darin zu erscheinen, nachdem ich mir noch eine schwarzwollene, seidengefütterte Weste und eine schöne Perücke gekauft hatte, für die ich im Haymarket drei Pfund zehn Schilling zahlte.«
Der junge Puritaner hob die Augen gen Himmel und murmelte etwas wie: ›dem Dagon opfern,‹ was zu seinem Glück der lebhafte alte Mann nicht hörte.
»Es war weiter nichts als weltliche Eitelkeit,« fuhr letzterer fort; »denn ohne Euch zu nahe treten zu wollen, Sir Gervas Jerome, nach meinem Geschmack ist des Mannes eignes Haar, wenn es gut gepflegt, und vielleicht noch ein weniges gepudert wird, immer der beste Kopfschmuck. Der Inhalt, nicht das Gefäß, ist die Hauptsache. Nachdem wir den Trödel angelegt, mieteten Meister Foster und ich eine Kalesche und fuhren nach dem Palast. Wir hatten uns während der Fahrt durch die endlosen Straßen in eine ernste, und, wie ich hoffe, heilsame Unterredung vertieft, da fühle ich plötzlich einen Ruck an meinem Kopf; mein Hut fällt mir in den Schoß. Ich fahre mit beiden Händen nach der Perücke und siehe da, ich fasse meinen kahlen Schädel! Die Perücke war verschwunden. Der Wagen rollte gerade durch die Fleetstraße, und es befand sich außer mir und Nachbar Foster, der ebenso verblüfft war wie ich, niemand im Wagen. Wir suchten oben und unten, auf dem Gesäß und unterm Gesäß, – was wir aber nicht fanden, war die Perücke. Sie war weg, ganz weg, spurlos verschwunden!«
»Was war denn aus ihr geworden?« fragten wir alle einstimmig.
»Das war die Frage, die wir lösen wollten und mußten. Im ersten Augenblick dachten wir wahrhaftig, es sei ein Strafgericht, weil wir uns auf solche fleischliche Thorheiten eingelassen hatten. Dann fiel mir ein, daß vielleicht ein boshafter Kobold die Hand im Spiele haben mochte, wie bei dem Trommler von Tedworth. Auch haben Kobolde vor nicht gar langer Zeit hier im alten ›Gast-house‹ zu Little Burton in Somersetshire ihr Wesen getrieben. So rief ich denn den Kutscher an und erzählte ihm, was mir begegnet war. Der Mann stieg vom Bock, und nachdem er unsre Geschichte vernommen, fing er an greulich zu fluchen. Dann schritt er um den Wagen herum und zeigte uns, daß das Leder des Verdecks aufgeschlitzt war. Der Dieb hatte, während er hinter der Kutsche auf der Kreuzstange saß, die Hand durchgestreckt, und meine Perücke herausgerissen. Der Kutscher sagte, es sei das nichts Ungewöhnliches, und die Brüderschaft der Perückendiebe sehr zahlreich. Sie stellten sich in der Nähe der Perückenladen auf und lauerten, bis ein Kunde mit einem Dinge herauskam, das ihnen der Mühe zu lohnen schien. Dann folgten sie ihm, und sobald er einen Wagen nahm, beraubten sie ihn auf diese Weise. Jedenfalls habe ich meine Perücke nicht wieder gesehen, und mußte mir, ehe ich mich zur Audienz begab, schnell eine andre kaufen.«
»Ein sonderbares Abenteuer, wahrhaftig,« rief Saxon aus. »Wie war denn aber nachher der Abend im Palast?«
»Ei nun, recht erbärmlich, denn Karls Antlitz, das für gewöhnlich schon finster genug war, verfinsterte sich uns gegenüber noch mehr; und sein Bruder, der Papist war eben auch nicht leutseliger. Sie hatten uns nur dahin gelockt, um uns mit ihrem Glanz und ihrem Firlefanz zu blenden, damit wir nachher im Westen große Stücke von ihrer Herrlichkeit erzählen sollten. Da waren geschmeidige Höflinge und protzige Junker und Dirnen mit entblößten Schultern, die trotz ihrer hohen Geburt ebensogut ins Spinnhaus von Bridewell gehört hätten, als irgend eine arme Magd, die hinterm Schandkarren drein muß. Da waren die Kammerherren mit zimmet- und pflaumfarbnen Röcken, und vielen Gold- und Seidenschnüren und Straußenfedern. Nachbar Foster und ich kamen uns vor, wie ein paar Krähen, die unter die Pfauen geraten sind. Doch wir vergaßen nicht, nach wessen Bilde wir geschaffen sind, und betrugen uns, wie es unabhängigen englischen Bürgern ziemt. Seine Gnaden, der Herzog von Buckingham trieb sein Gespött mit uns, und Rochester zog uns durch die Zähne, und die Weibsbilder kicherten; aber wir standen breitspurig da, mein Freund und ich, und redeten zusammen – das weiß ich noch genau – über die teuer werte Lehre von der Gnadenwahl und der Verdammnis, und achteten weder auf die Spötter noch auf die Spielenden und Tanzenden rechts und links. So standen wir den ganzen Abend. Endlich, da sie doch wohl einsahen, daß sie keinen rechten Spaß mit uns treiben konnten, gab uns Lord Clarendon, der Kanzler, einen Wink, uns zurückzuziehen. Das thaten wir denn auch in aller Gemächlichkeit, nachdem wir dem König und der ganzen Gesellschaft unsre Reverenz gemacht hatten.«
»Ich würde das nie gethan haben!« rief der junge Puritaner, der mit gespannter Aufmerksamkeit der Erzählung seines Chefs gefolgt war. »Wäre es hier nicht mehr am Platz gewesen, daß Ihr Eure Hände aufhobet und Rache auf sie herabflehtet, gleichwie einst der Mann Gottes über die sündhaften Städte?«
»Am Platz, sagst du?« entgegnete der Bürgermeister ungeduldig. »Am Platze und schicklich ist es, wenn die Jugend schweigt, bis sie um ihre Meinung gefragt wird. Gottes Zorn wandelt auf bleiernen Füßen, aber er schlägt mit eiserner Hand. Er hat die Zeit vorgesehen, wenn das Maß der Missethaten dieser Menschen voll sein und überlaufen wird. Wir brauchen ihn nicht darüber zu belehren. Flüche sagt der Weise, fallen auf das Haupt dessen, der sie ausstößt. Merke dir das, John Derrick, und sei nicht zu freigiebig damit.«
Der junge Lehrling senkte bei diesem Tadel mürrisch das Haupt. Der Bürgermeister aber fuhr nach kurzer Pause in seiner Erzählung fort.
»Es war eine schöne Nacht,« sagte er, »und wir zogen es vor, zu Fuß nach unsrer Wohnung zu gehen, aber nie werde ich die greulichen Scenen vergessen, die wir unterwegs erlebten. Der fromme Bunyan von Elstow hätte seiner Schilderung des Eitelkeitsmarktes noch einige Scenen hinzufügen können, wenn er bei uns gewesen wäre: bemalte, bepflasterte, zuchtlose, freche Weiber; prahlerische, rauflustige, fluchende Männer – Zänkerei, Prügelei und Sauferei! Das war das Reich, über welches ein solcher Hof zu herrschen sich wahrlich eignete! Endlich hatten wir eine stillere Straße erreicht und hofften allen weiteren Abenteuern entgangen zu sein, als plötzlich aus einer Seitenstraße ein Haufe angetrunkener Kavaliere hervorstürzte. Sie fielen die Vorübergehenden mit ihren Schwertern an, und es war gerade, als wären wir in einem heidnischen Lande in einen Hinterhalt der Wilden geraten. Ich denke mir, sie werden wohl zu dem Geschlecht derer gehört haben, von denen der treffliche John Milton schreibt: ›Die Söhne Belials ganz durchtränkt von frecher Lust und Wein!‹ Ach ja, mein Gedächtnis ist nicht mehr, was es war, denn früher wußte ich ganze Gesänge seines herrlichen und frommen Gedichtes auswendig.«
»Bitte, wie erging es Euch aber unter den Raufbolden, Herr Bürgermeister?« fragte ich.
»Sie umzingelten uns und noch ein paar andre ehrliche Bürger, die auch nach Hause wollten, schwenkten ihre blanken Klingen und riefen uns zu, wir sollten unsre Waffen niederlegen und dem Könige huldigen!« »Welchem König?« fragte ich. »Hier, ist unser erhabener Gebieter,« riefen sie. »Und über wen herrscht er?« fragte ich. »Über die Tytyrer Tus«So nannte sich damals eine der Banden vornehmer Strolche. antworteten sie. »O du höchst barbarischer horngekrönter Bürgersmann, erkennst du nicht, daß du diesem wohledlen Orden in die Hände gefallen bist?«
»Nein,« sagte ich. »Dies ist euer wahrer Monarch nicht – der ist tief unter uns im Abgrund angekettet, allwo er einst seine gehorsamen Unterthanen um sich versammeln wird.«
»Hochverrat, Hochverrat!« schrien sie darauf und drangen mit Schwertern und Dolchen auf uns ein.
»Nachbar Foster und ich, wickelten unsre Mantel um den linken Arm, stemmten uns mit dem Rücken gegen eine Mauer und ließen unsre Stockdegen spielen, und mit gutem Erfolg. Dabei gelang es Freund Foster, den Raufboldskönig so zu spicken, daß die Majestät fortlief und heulte, wie ein angestochenes Bullkalb. Der Überzahl hätten wir auf die Länge aber doch nicht widerstehen können, wenn nicht zum Glück die Wache erschienen wäre, unsre Schwerter mit ihren Hellebarden beiseite geschlagen und die ganze Gesellschaft arretiert hätte. Während des Gefechts hatten Bürger aus den angrenzenden Häusern uns fortwährend Wasser auf den Kopf gegossen, als ob wir Katzen auf den Dächern wären, und wenn das auch unsern Kampfeseifer nicht abkühlte, so gerieten wir dadurch doch in einen scheußlichen unappetitlichen Zustand. So wurden wir nach der Wachtstube geführt, wo wir die Nacht unter Klopffechtern, Dieben und Dirnen zubringen mußten, denen aber Nachbar Foster und ich manch ein Wort des Trostes und der Hoffnung sagen durften. Am andern Morgen wurden wir frei gelassen und schüttelten sogleich den Staub Londons von unsern Füßen. Auch wünschte ich nicht, je wieder hinzukommen, außer an der Spitze unsrer Somerset-Regimenter, um zuzusehn, wie König Monmouth sich die Krone aufsetzt, die er dem papistischen Seelenmörder in ehrlichem Kampfe entrissen hat.«
Meister Stephan Timewell schwieg, und ein allgemeines Scharren und Rücken bezeichnete die Beendigung des Mahles. Die Versammlung erhob sich und verließ langsam nach Ordnung des Alters den Saal, alle mit denselben düstern, ernsthaften Mienen, gemessenem Gange und niedergeschlagenen Augen.
Mir war dies puritanische Wesen allerdings von Kindheit an vertraut, dennoch hatte ich noch nie einen so großen Haushalt wie diesen unter seinem Einfluß, und seine Wirkung auf so viele junge Leute auf einmal gesehen wie hier.
»Verzieht noch eine Weile,« sagte der Bürgermeister, als wir uns anschickten, den übrigen zu folgen. »Wilhelm, bring eine Flasche von dem alten grüngesiegelten Sekt. Ich zeige diese Leckereien meinen Leuten nicht, denn Rindfleisch und ehrliches Malzgetränk passen für sie am besten. Ich stimme aber dem Bibelworte zu, das da sagt, ein Glas Wein unter Freunden sei nichts Übles für Leib und Seel'!«
»Geht Ihr nachher wieder aus?« fragte Jungfer Ruth.
»Ja sehr bald nach dem Rathaus. Ich habe die Waffen noch nicht ganz durchmustert.«
»Dann werde ich Euer Amtskleid bereit legen und auch die Zimmer für unsre Gäste herrichten,« entgegnete sie und verließ, uns fröhlich zunickend, den Saal, um ihren Pflichten nachzukommen.
»Ich wollte, ich könnte die Stadt in Ordnung halten, wie dies Mägdlein das Haus in Ordnung hält,« sagte der Bürgermeister. »Kein Bedürfnis, für das nicht schon gesorgt wäre, ehe man es gefühlt hat! Sie liest meine Gedanken und kommt ihnen zuvor, ehe noch meine Lippen sie haben aussprechen können. Wenn ich noch Kraft habe für den öffentlichen Dienst, so kommt das daher, weil mein Privatleben die friedevollste Ruhe umfängt. Scheuet den Sekt nicht, ihr Herren, er kommt von Brooke und Hellier in Abchurch Laue, und die sind ganz zuverlässig.«
»Was beweist, daß ein Gutes wenigstens aus London kommen kann,« bemerkte Sir Gervas.
»Ja, wahrlich,« sagte der alte Herr und lächelte. »Wie gefallen Euch übrigens meine Leute? Ihr kommt, wie ich höre, aus den Hofkreisen, da müßt Ihr doch einen großen Unterschied finden.«
»Meiner Treu ja!« versetzte Sir Gervas. »Sie mögen ja recht gute junge Leute sein, mich dünkt nur, ihnen fehlt so etwas Saft und Kraft. In ihren Adern fließt nicht Blut, sondern Buttermilch.«
»Nein, nein,« erwiderte der Bürgermeister warm. »Da thut Ihr ihnen unrecht. Ihre Leidenschaften und Gefühle werden gezügelt, wie ein Pferd von einem geübten Reiter; aber vorhanden sind sie eben so sicher, wie die Schnelligkeit und Ausdauer des Tieres. Habt Ihr wohl den frommen Jüngling bemerkt, der zu Eurer Rechten saß und den ich mehrmals wegen übergroßen Eifers tadeln mußte? Der ist ein rechtes Beispiel dafür, wie ein Mann seine Gefühle unterdrücken und beherrschen kann.«
»Wie hat er das bewiesen?« fragte ich.
»Nun unter Freunden im Vertrauen gesagt,« versetzte der Bürgermeister, »erst vorigen Marientag hat er um die Hand meiner Großtochter Ruth angehalten. Seine Lehrzeit ist fast vorüber, und sein Vater Sam Derrick ein ehrbarer Handwerksmann. Es würde also keine unebene Verbindung gewesen sein. Die Jungfrau aber mochte ihn nicht – junge Mädchen bilden sich ja hin und wieder dergleichen ein – und die Geschichte hatte ein Ende. Nun wohnt er unter demselben Dache, und ist von früh bis spät in ihrer Nähe, ohne daß ihm das leiseste Zeichen seiner Liebe entschlüpft, die doch kaum schon erstorben sein dürfte. Zweimal ist mein Warenhaus seitdem bis auf den Grund niedergebrannt, und beide Male war er immer der Vorderste im Kampf mit den Flammen. Nicht viele, deren Werbung zurückgewiesen ist, würden so ergeben und geduldig sein.«
»Ich bin ganz bereit, mein Urteil dem Eurigen unterzuordnen,« sagte Sir Gerdas Jerome. »Ich habe es gelernt, voreiligen Antipathien zu mißtrauen, und Drydens Worte zu beherzigen:
»Leicht oben schwimmt der Strohhalm allestund,
Wer Perlen finden will, der tauche auf den Grund.«
»Oder der würdige Dr. Samuel Butler,« sagte Saxon, »der in seinem unsterblichen Gedicht ›Hudibras‹ sagt:
»Der eitle Narr sieht nur die Haut,
Der Weise auf das Inn're schaut.«
»Es nimmt mich Wunder, Oberst Saxon,« sagte unser Wirt in strengem Tone, »daß Ihr von diesem liederlichen Gedicht günstig sprecht, das, wie ich gehört habe, nur in der Absicht geschrieben worden ist, die Gottesfürchtigen lächerlich zu machen. Ich hätte das von Euch ebensowenig erwartet, wie ein Lob des gottlosen thörichten Werkes von Hobbes, mit seinem boshaften Satze ›a Deo rex, a rege lex‹ (von Gott der König, vom König das Gesetz)!«
»Allerdings verdamme und verabscheue ich den Gebrauch, den Butler von seiner satirischen Ader macht,« sagte Saxon gewandt. »Allein die Satire selbst darf ich doch bewundern, ebenso wie man eine Damascenerklinge bewundert, ohne die Sache zu billigen, für die sie gezückt wird.«
»Diese Unterschiede sind zu fein für mein altes Hirn,« sagte der ehrenfeste alte Puritaner. »Dieses unser England ist in zwei Heerlager geteilt, das unsres Gottes und das des Antichrists. Wer nicht mit mir ist, der ist wider uns! Auch habe ich für keinen, der unter dem Teufelsbanner dient, was andres übrig, als meine Verachtung und die Schärfe meines Schwertes.«
»Nun ja,« sagte Saxon und füllte sein Glas. »Ich bin kein Laodicäer oder Achselträger. An mir soll's nicht fehlen, weder mit Worten noch mit Schlägen.«
»Davon bin ich überzeugt, mein vortrefflicher Freund,« antwortete der Bürgermeister. »Wenn ich zu heftig wurde, so entschuldigt mich. Zu meinem großen Bedauern habe ich euch üble Nachrichten zu vermelden. Ich habe sie der Bürgerschaft nicht mitgeteilt, um sie nicht zu entmutigen, aber ich weiß, daß Widerwärtigkeiten für edle Gemüter nur zum Wetzstein ihres Mutes werden: Argyles Aufstand ist niedergeworfen. Er und seine Genossen sind Gefangene in den Händen des Mannes, der kein Mitleid kennt.«
Wir alle fuhren bei diesen Worten zusammen und sahen einander entsetzt an, ausgenommen Sir Gervas, dessen natürliche Heiterkeit jeder Beunruhigung Trotz bot. Ihr werdet euch erinnern, meine Kinder, daß ich schon im Beginn dieser Erzählung sagte, daß die Hoffnungen von Monmouths Partei zum großen Teil auf dem Einfall Argyles und der andern verbannten Schotten in Ayrshire beruhten. Man hoffte, sie würden dadurch einen guten Teil von König Jakobs Streitkräften ablenken und unsern Marsch nach London weniger schwierig machen. Diese Erwartung schien um so berechtigter zu sein, als Argyles eigne Besitzungen auf dieser Seite Schottlands lagen und er von seinem Clan fünftausend Bewaffnete ausheben konnte. Auch wimmelte es in den Landschaften des Westens von grimmen Zeloten, die freudig bereit waren, die Fahne des Covenant zu erheben, und die sich zudem in so manchem Gefecht als tapfere Krieger bewährt hatten. Mit Hilfe der Covenanter und Holländer konnte Argyle sich halten, das schien ganz sicher. Zudem hatte er den englischen Puritaner Rumbold bei sich und manche andre kriegserfahrene Männer. Die Nachricht von seiner totalen Niederlage und Gefangennahme war deshalb ein schwerer Schlag. Die Regierung konnte nun ihre ganze Kraft gegen uns wenden.
»Habt Ihr das aus zuverlässiger Quelle?« fragte Decimus Saxon nach langem Stillschweigen.
»Kein Zweifel ist daran länger möglich,« erwiderte Timewell. »Doch kann ich Eure Überraschung begreifen, denn der Herzog hatte zuverlässige Ratgeber um sich – z. B. Sir Patrick Hume von Polwarth –«
»Ein bloßer Zungenheld,« sagte Saxon.
»Und Richard Rumbold, –«
»Ein bloßer Haudegen,« warf der Oberst dazwischen. »Trotzdem habe ich mehr von ihm erwartet.«
»Auch Major Elphinstone.«
»Ein Narr und Prahlhans!« rief Saxon.
»Und Sir John Cochrane.«
»Ein arglistiges, schwatzhaftes, geistesarmes Faultier,« sagte der Glücksritter. »Die Expedition trug mit solchen Männern an der Spitze ihr Verhängnis in sich. Und doch dachte ich mir, sie hätten, wenn alle Stränge rissen, sich wenigstens in ihr Bergland zurückziehen und sich bei den barbeinigen Laterans in ihren heimischen Nebeln und Wolken verteidigen können! Alle gefangen, sagt Ihr? Na, das soll uns 'ne Warnung sein! Ich sage Euch, wenn Monmouth seine Unternehmung nicht mit etwas mehr Energie betreibt, werden wir alle in Bälde Argyles und Rumbolds Schicksal teilen. Was sollen die beiden in Axminster verschwendeten Tage in einer Zeit, wo jede Stunde kostbar ist? Muß er denn jedesmal, wenn er ein paar lumpige Milizen übern Haufen wirft, achtundvierzig Stunden lang Halt machen und ›Te deums‹ singen? Während Churchill und Feversham, wie ich genau weiß, alle Mannschaft, die sie haben, nach dem Westen werfen, und die holländischen Grenadiere ausschwärmen, wie Ratten auf 'nem Kornboden!«
»Ihr habt sehr recht, Oberst Saxon,« antwortete der Bürgermeister. »Ich hoffe, daß wir den König, wenn er nur erst hier ist, zu prompterem Handeln vermögen werden. Es fehlt ihm auch an militärischen Ratgebern. Seit Fletcher fort ist, hat er in seinem Gefolge kaum einen Menschen, der das Kriegshandwerk ordentlich kennt.«
»Freilich,« sagte Saxon düster. »Nun Argyle untergekriegt ist, stehen wir James von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Wir können uns auf nichts weiter verlassen, als auf unser eignes gutes Schwert.«
»Auf das, und auf die Gerechtigkeit unsrer Sache. Wie gefällt euch die Nachricht, meine jungen Herren? Schmeckt euch darob der Wein nicht mehr? Seid ihr andern Sinnes geworden und möchtet von dem Banner des Herrn weichen?«
»Was mich betrifft, ich will die Sache durchfechten,« sagte ich.
»Was Micha thut, das thu' ich auch,« setzte Ruben Lockarby hinzu.
»Mir ist alles eins,« sagte Sir Gervas, »und vollkommen einerlei, wenn ich nur unter guten Kameraden sein und etwas erleben kann!«
»Wenn dem so ist,« sagte der Bürgermeister, »thut jeder von uns am besten, gleich ans Werk zu gehn und für des Königs Ankunft alles vorzubereiten. Bis dahin, so hoffe ich, beehrt ihr mein bescheidenes Haus.«
»Ich fürchte, ich kann Eure Güte nicht annehmen,« antwortete Saxon. »Wenn ich erst mal wieder im Geschirr bin, dann muß ich nach Belieben früh und spät gehn und kommen können. Ich werde deshalb mein Quartier in dem Gasthofe aufschlagen. Er ist freilich nicht überreichlich verproviantiert, aber die einfache Kost nebst einer Kanne Bier und einer Pfeife Trinidado entspricht meinen Bedürfnissen vollständig.«
Da Saxons Entschluß fest stand, gab der Bürgermeister es auf, ihn zu nötigen, aber meine beiden Freunde nahmen gleich mir das Anerbieten des würdigen Wollenwebers an, und wir drei schlugen denn vorläufig unser Quartier unter seinem gastlichen Dache auf.