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Eines Tages ist Marianne wie verwandelt.
Die müden Augen haben Glanz bekommen. Ihr Schritt wird elastisch. Sie tanzt förmlich über Klippen und Strand. Sie jauchzt dem Wind entgegen und fängt ihn wie ein Segel mit ihrem flatternden Gewand. Sie lacht, sie sprudelt, sie reißt Witze; sie kopiert die Watschelnden vom Strand und die Tänzelnden aus dem Foyer. Sie kokettiert und erregt mit einemmal Aufsehen – sie kann auch mondain sein! Man beginnt sich für sie zu interessieren, und mit einem Mal hat sie »Erfolg«.
Sie liegt nicht mehr faul im Korbfauteuil. Sie macht Toilette, sie kramt in ihren Koffern, wählt, gustiert, prüft und verwirft ... sitzt vor dem Spiegel, ändert die Frisur, legt Schmuck an – ist erwacht.
»Was hast du? Was ist plötzlich mit dir geschehen? Warum bist du so verwandelt? Du bist ja gar nicht wiederzuerkennen, so übermütig und fröhlich bist du auf einmal geworden ... Der reine Backfisch auf Ferien ...«
Da schwingt sie ein Telegramm und hält es ihm unter die Nase:
»Nun lies doch!«
Und sie selbst trällert den Inhalt mit ... Und dann mit einem Jubelschrei:
»Morgen nachmittags um zwei Uhr bin ich nicht mehr allein – morgen kommt Olga – Frau Doktor Heffter ...«
Das ist der Augenblick, wo in Kalmar alle Dämme brechen, wo er die Last des Schweigens abschüttelt und jede Überlegung verliert. Und er schreit ihr entgegen:
»Ich werde dieses Weib losreißen von dir – im guten oder im bösen ... wie es gerade kommt! Ich werde sie unmöglich machen und wegreißen von deiner Seite, wie ich diesen armseligen Narren, diesen Leo, in den du dich vergafft hattest, weggerissen, vertrieben ... und in den Tod gejagt habe, um dich frei zu bekommen – frei für mich ... weil ich dich liebe ... weil ich dich liebe und keinen Menschen dulde, der dich mir wegnimmt und entfremdet. Du gehörst zu mir ... und immer wieder nur zu mir – und zu keinem sonst ... heute und immer! Merke dir das! Und wer es versucht, dich mir zu nehmen – der ist mein Todfeind, den ich vernichten muß – mit allen Mitteln – erlaubten und unerlaubten ...«
Es ist heraus! Er hat gesprochen! Die Last ist abgeschüttelt! Nun ist ihm leicht!
Marianne ist aschfahl geworden. In ihren Augen brennt ein böses, grünes Licht.
»Wie meinst du das mit Leo ... Wieso hast du mich freigemacht von ihm? Ich verstehe das nicht ganz ... Du mußt es deutlicher sagen.«
»Ja, glaubst du denn, der Skandal damals, den er nicht überlebt hat, war wirklich nur ein reiner Zufall und eine pure Laune des Publikums – und nichts weiter ... Mein Werk ist er gewesen ... Mein Werk! Ich habe das alles ins Rollen gebracht ... Ich habe die Leute hineingeschickt, die demonstriert und getobt haben. Ich habe die Leute bezahlt, die das Podium gestürmt und ihn geprügelt haben ... Ich ... ich ... und wieder – ich! Und deinetwegen ist es geschehen – weil ich dich zurückhaben mußte, weil ich krank und irrsinnig vor Sehnsucht nach dir war – so wie jetzt ...«
Und er stürzt ihr zu Füßen und umklammert ihren Körper und versucht ihr die Hände zu küssen und stammelt Worte wahnsinniger Zärtlichkeit – und schluchzt und schreit wie ein hysterisches Weib.
Marianne hat sich mit einem Ausdruck unendlichen Ekels, der ihren Mund verzerrt, die Eckzähne bloßlegt, von Kalmar losgerissen.
Mit einem Fußtritt, der seine Schulter trifft, schleudert sie ihn zurück, so daß er nach hinten fällt.
Auf die Ellbogen gestützt, starrt er sie an.
Sein Haar ist verwirrt, seine Augen blutunterlaufen und geschwollen, seine Kleidung derangiert ...
Marianne steht hochaufgerichtet, die Augenbrauen dicht zusammengezogen, ihr ganzes Wesen ist Hochmut, Abwehr, Feindseligkeit und tiefste Verachtung ...
»Also ... also ... was Leo damals den Menschen, die sich an mir und ihm versündigten, entgegengeschrien hat, in letzter Wut und Verzweiflung über ihre Dummheit und Brutalität – das hat eigentlich dir, im Grunde genommen nur dir gegolten ... dieses: Schweine ... Schweine ... Schweine ...«
Sie hat es langsam, messerscharf gesprochen. Jedes Wort abwägend, mit einem kalten Zorn, der sich nicht übereilt und sein Opfer mit Genuß und Überlegenheit hinschlachtet. Kalmar ist aus seinem Zornrausch, der ihn umnebelt hat, erwacht. Er steht langsam auf, streicht sein Haar zurecht, sucht die Fassung wiederzugewinnen und die Fähigkeit zu denken und zu überlegen.
Er sieht die ungeheure Dummheit ein, die er begangen hat, daß er sein Geheimnis verraten, daß er seine Karten aufgedeckt, seine Methode brutal entschleiert hat.
Er hatte diesmal geredet statt wie bisher schweigend zu handeln, von einem übermächtigen Affekt mitgerissen – geredet – und muß jetzt büßen für sein unzeitgemäßes Temperament.
Aber die Überlegung kommt zu spät.
Er versucht den Eindruck, den er hervorgerufen hat, zu verwischen und gut zu machen, was noch gut zu machen ist.
Schon ist er wieder ganz Berechnung und Schlauheit und Herr seiner selbst. Er schlägt seinen süßesten Ton an – noch zittert ein Hauch der echten Leidenschaft in seiner Stimme, als er sich Mariannen nähert, die abgewendet am Fenster steht und auf das wogende, glitzernde Meer hinaussieht.
»Gewiß, was ich getan habe, ist anfechtbar – ist nach landläufigen Begriffen sogar gemein gewesen – aber von einem höheren Standpunkt gesehen ... es war ja schließlich doch nur die Liebe zu dir, die mich dazu trieb. Diese wahnsinnige Liebe, die mich manchmal so ganz verrückt macht – wie eben jetzt ... Das mußt du doch einsehen, und sobald du es begreifst – auch entschuldigen. Die Leidenschaft nimmt sich eben gewisse Dinge heraus, welche nach bürgerlichen Begriffen und nach der landläufigen Moral ...«
Er wartet auf eine Antwort ... auf irgendein Wort des Entgegenkommens ...
Marianne bleibt stumm. Sie steht noch immer abgewendet am Fenster ...
Er kann ihr Gesicht nicht sehen ... Er redet nicht mehr ... er lallt förmlich. Fast unhörbar und heiser klingt seine Stimme. Eine unsichtbare Faust sitzt ihm an der Gurgel und würgt ...
Er hat auf einmal das dumpfe Gefühl: Der Tote ist da ... ist hier im Zimmer ... hat ihn gepackt und kämpft mit ihm und lacht ... Lacht über seine armselige Schwäche und Hilflosigkeit ... und würgt ihn weiter ...
Unwillkürlich macht er mit dem Arm eine abwehrende Bewegung, als ob er einen Gegner wegschleudern wollte, der ihm an den Leib gerückt ist.
Er zittert am ganzen Körper. Auf seiner Stirne stehen große Tropfen.
Marianne wendet sich langsam um. Sie zuckt ungeduldig mit den Schultern, wie um eine allzu lange dauernde Belästigung endlich los zu werden.
»Bemühe dich nicht! Es hat keinen Zweck! Ich verstehe nichts! Ich entschuldige nichts! Ich kann in einer Gemeinheit keine Heldentat erblicken – weil es dir so erwünscht wäre ... Ich bin nicht so elastisch wie du und so willig, die Dinge umzudeuten, wie man sie gerade braucht. Ich halte mich an das, was tatsächlich geschehen ist – das genügt mir. Wenn ich vielleicht noch irgendeine Illusion über dich hatte, jetzt habe ich sie nicht mehr ... Ich sehe dich jetzt in deiner ganzen dürren Armseligkeit und inneren Gemeinheit – äußerlich auf das notdürftigste mit Fetzen verhüllt ... Du hast sie selbst heruntergerissen – nicht ich. Also beklage dich nicht! Dir wird – wie du gewollt! Du hast keine Güte und keine Menschlichkeit gehabt, du kannst also auch keine fordern. Was du früher einmal an mir getan hast, hast du ausgelöscht mit eigener Hand. Du hast mich bezahlt – hoch bezahlt, und ich habe geliefert – mich selbst und mehr noch, einen anderen, der mehr war als ich ... Wir sind quitt ... mehr noch: Du bist mein Schuldner geworden, denn ich habe dir mehr gegeben, als ich von dir empfangen habe. Du wirst zurückzahlen müssen mit Zinsen – aber diesmal laufe ich dir nicht davon! Diesmal bleibe ich dir am Halse sitzen! Diesmal will ich zusehen, wie du leidest an mir! Jeder, der mich will, soll mich auch haben! Jeder, hörst du? Nur du nicht! Das soll deine Strafe sein!«
Kalmar wimmert:
»Marianne, Marianne!«
Und immer wieder:
»Marianne, hab' doch Mitleid! Sei doch nicht so unmenschlich!«
Aber Marianne hat das Zimmer verlassen, ist in ihr Appartement hinüber gegangen und hat die kleine Verbindungstüre abgesperrt.