Charles Dickens
David Copperfield - Teil 1
Charles Dickens

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Mr. Dicks Erzählung bestätigt sich und ich wähle einen Beruf.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, dachte ich viel an die kleine Emilie und an ihre große Aufregung gestern abend nach Marthas Fortgehen. Es kam mir vor, daß ich zur Kenntnis dieser häuslichen Schwächen und zarten Saiten in geheiligtem Vertrauen gekommen war, und daß es unrecht sei, selbst nur Steerforth etwas davon zu sagen. Gegen niemand hegte ich zartere Empfindung als gegen das liebliche Mädchen, das meine Gespielin gewesen und das ich, wie ich fest überzeugt bin, auf das Hingebendste liebte. Was ich erfahren hatte, als ihr Herz in der Fülle ihrer Bewegung einen Augenblick durch Zufall vor mir offen dalag, jemals zu erzählen und selbst Steerforth, das kam mir vor wie eine Roheit, unwürdig meiner selbst; unwürdig des Schimmers unserer reinen Kinderjahre, der immer noch ihr Haupt umgab.

Ich faßte daher den Entschluß, es als ein Geheimnis in meiner Brust zu bewahren; es verlieh ihrem Bilde einen neuen Reiz.

Während wir frühstückten, erhielt ich einen Brief von meiner Tante, dessen Inhalt von der Art war, daß ich glaubte, Steerforth werde mir einen Rat erteilen können; so beschloß ich, mit ihm darüber während unserer Heimreise zu sprechen. Vorderhand hatten wir mit dem Abschiednehmen von unsern Freunden genug zu tun. Mr. Barkis war in seinem Schmerz über unsere Abreise gewiß nicht der letzte von ihnen; und ich glaube sogar, er hätte uns seine Geldkiste noch einmal aufgetan und noch eine zweite Guinee geopfert, wenn er uns noch achtundvierzig Stunden in Yarmouth hätte zurückhalten können. Peggotty und ihre ganze Familie war voller Schmerz über unsere Abreise. Das ganze Geschäft Omer und Joram erschien an der Tür, uns Lebewohl zu sagen; und Steerforth hatte so viele freiwillige Schiffer zur Begleitung, als unsere Koffer nach den Wagen gebracht wurden, daß es uns selbst für das Gepäck eines ganzen Regiments nicht an Trägern gefehlt hätte.

Kurz, wir reisten ab zum allgemeinen Bedauern, aber auch bewundert von allen Beteiligten, und ließen viele traurig zurück.

»Werden Sie lange hier bleiben, Littimer?« sagte ich, als er bei uns stand, auf das Abfahren des Wagens wartend.

»Nein, Sir, wahrscheinlich nicht sehr lange«, erwiderte er.

»Er kann das jetzt noch kaum sagen«, bemerkte Steerforth leichthin. »Er weiß, was es gilt, und dies wird er ausführen.«

»Das wird er sicherlich«, versetzte ich.

Littimer berührte in Anerkennung meiner guten Meinung von ihm seine Kopfbedeckung und – ich fühlte mich acht Jahr alt. Er tat es noch einmal, uns glückliche Reise wünschend, und wir ließen ihn auf dem Trottoir stehend zurück, so geheimnisvoll respektabel aussehend wie eine der ägyptischen Pyramiden.

Eine Zeitlang sprachen wir nicht, denn Steerforth war ungewöhnlich stumm, und ich hatte genug zu tun mit meinen Gedanken, die sich mit den alten Umgebungen und den neuen Veränderungen beschäftigten, die dort während meiner Abwesenheit vielfach vorgekommen waren. Endlich faßte mich Steerforth, der in einem Augenblick heiter und gesprächig wurde, wie er alles in einem Augenblick werden konnte, beim Arm und sprach:

»Nun, David, du bist ja ganz stumm. Was war mit dem Briefe, den du heute beim Frühstück erwähntest?«

»Ah!« sagte ich und holte ihn aus der Tasche. »Der ist von meiner Tante.«

»Und was schreibt sie darin?«

»Sie erinnert mich daran, daß der Zweck meiner Reise war, mich ein wenig umzusehen und nachzudenken«, gab ich zur Antwort.

»Was du natürlich getan hast.«

»Ich könnte es eben nicht sagen. Die Wahrheit zu gestehen, ich fürchte, ich habe es vergessen.«

»Nun, so sieh dich jetzt um und hole das Versäumte nach«, sagte Steerforth. »Wende die Augen rechts, und du wirst ein flaches Land sehen, mit viel Sumpf darin; wende die Augen links, und du wirst dasselbe sehen. Wende die Augen geradeaus und du wirst keinen Unterschied finden; kehre dich rückwärts und dort sieht es gerade so aus.«

Ich lachte und erwiderte, daß ich in der ganzen Aussicht keinen geeigneten Beruf erblickte, was vielleicht ihrer Einförmigkeit zuzuschreiben sei.

»Was sagt unsere Tante darüber?« fragte Steerforth und blickte auf den Brief in meiner Hand. »Schlägt sie etwas vor?«

»Allerdings«, sagte ich. »Sie fragt mich, ob ich ein Proktor werden wolle, was meinst du dazu?«

»Das weiß ich nicht«, entgegnete Steerforth gleichgültig. »Du könntest ebensogut das wie etwas anderes werden.«

Ich konnte nicht umhin, über den gleichen Maßstab zu lachen, den er an alle Berufsarten ohne allen Unterschied legte, und ich sagte es ihm.

»Was ist denn ein Proktor, Steerforth?« sagte ich.

»Es ist so eine Art mönchischer Anwalt. Er ist dasselbe bei einigen uralten Gerichten in Doktors' commons, eine stille alte Ecke beim St. Paulskirchhof – was Solicitors bei den gewöhnlichen Zivilgerichtshöfen sind. Es ist ein Beamter, der dem natürlichen Verlauf der Dinge nach eigentlich schon vor zweihundert Jahren hätte aufhören sollen zu existieren. Ich kann es dir am besten erklären, wenn ich dir sage, was Doktors' Commons ist. Es ist ein kleiner Ort in einer halbvergessenen Ecke, wo sie nach kanonischem Rechte richten und allerlei Streiche mit uralten Ungeheuern von Parlamentsakten spielen, von denen drei Vierteile der Welt nichts wissen, während das andere Viertel der Meinung ist, sie wären versteinert unter dem Äquator ausgegraben worden. Es ist ein Ort, der ein altes Monopol in Testaments- und Ehesachen und Prozessen wegen Schiffen und Booten hat.«

»Dummes Zeug, Steerforth«, rief ich aus. »Du willst doch nicht sagen, daß eine Verwandtschaft zwischen nautischen und kirchlichen Sachen bestände?«

»Das weiß ich freilich nicht, mein Lieber,« erwiderte er, »aber ich behaupte dennoch, daß beide von denselben Leuten in Doktors' Commons geführt und entschieden werden. Du wirst eines Tags hinkommen und sie über die Hälfte der Ausdrücke in Youngs nautischem Wörterbuche stolpern finden, anläßlich des Vorfalls, daß ›Nancy‹ die ›Sarah Jane‹ übersegelt hat, oder weil Mr. Peggotty und die Yarmouther Schiffer bei Sturmwetter mit Anker und Kabel in See gegangen sind, dem in Nöten befindlichen Ostindienfahrer ›Nelson‹ Hilfe zu bringen; dann kommst du einen andern Tag hin, und triffst sie, wie sie das Für und Wider im Falle eines Geistlichen ventilieren, der sich übel aufgeführt hat, und du wirst den Richter im nautischen Fache, die Advokaten im Falle des Geistlichen tätig finden, oder umgekehrt. Sie sind wie die Schauspieler, jetzt ist einer ein Richter und dann ist er kein Richter, jetzt ist er das eine, und dann ist er wieder etwas anderes und dann ist es wieder etwas anderes, aber es ist immer ein sehr angenehmes, profitables kleines Privat-Theatergeschäft, aufgeführt vor einer ungewöhnlich auserlesenen Zuhörerschaft.«

»Aber Advokat und Proktor ist nicht ein und dasselbe?« fragte ich etwas verwirrt.

»Nein«, erwiderte Steerforth, »die Advokaten sind Rechtsgelehrte und müssen auf der Universität den Doktor machen – und deshalb weiß ich auch von ihnen etwas. Die Proktors nehmen Advokaten an, beschäftigen diese. Beide bekommen sehr hübsche Honorare, und im ganzen machen sie ein außerordentlich gemütliches Geschäftchen. Alles in allem genommen würde ich dir anempfehlen, dich für Doktors' Commons zu entscheiden, David. Du mußt wissen, sie bilden sich etwas auf ihre Vornehmheit ein, wenn dir das etwas ausmacht.«

Ich zog bei dem etwas karikierten Bilde, das Steerforth eben entworfen hatte, seine Eigenheiten in gehörigen Betracht, und fühlte mich nicht abgeneigt, auf den Plan meiner Tante einzugehen, wenn ich an das würdige und altertümliche Aussehen dachte, das ich unwillkürlich mit der stillen alten Ecke, nicht weit von St. Paulskirchhof, verband. Sie überließ mir übrigens ganz die Entscheidung, und sagte mir offen, daß es ihr bei dem neulichen Besuch bei ihrem Proktor eingefallen sei, als sie dort ihr Testament zu meinen Gunsten habe umändern lassen.

»Das ist jedenfalls ein sehr lobenswertes Vorhaben unserer Tante,« sagte Steerforth, als ich ihm davon sagte, »und verdient alle Aufmunterung. Blümchen, mein Rat ist, daß du dich für Doktors' Commons entscheidest.«

Mein Entschluß stand jetzt fest. Ich erzählte dann Steerforth, daß mich meine Tante in der Stadt erwartete (das meldete sie mir im Briefe) und daß sie sich auf eine Woche in einem Hotel garni in Lincolns Innfield einlogiert habe, das eine steinerne Treppe und eine Tür im Dache hätte; denn meine Tante war fest überzeugt, daß in jedem Hause in London jede Nacht eine Feuersbrunst wäre.

Wir vollendeten den Rest unserer Reise in größter Heiterkeit, sprachen oft von Doktors' Commons und malten uns die ferne Zukunft aus, in der ich dort als Proktor angestellt sein würde, und Steerforth entwarf davon die drolligsten, launigsten Bilder, die uns beide belustigten. Als wir unser Reiseziel erreichten, nahm er Abschied mit dem Versprechen, mich übermorgen zu besuchen; und ich fuhr nach Lincolns Innfield, wo meine Tante auf mich wartete.

Wenn ich während der Zeit eine Reise um die Welt gemacht hätte, so hätten wir uns nicht freudiger begrüßen können. Meine Tante weinte geradezu, als sie mich umarmte, und sagte, indem sie sich stellte, als ob sie lachen wollte, daß, wenn meine arme Mutter noch am Leben wäre, dieses kleine Närrchen gewiß Tränen vergossen haben würde.

»Du hast also Mr. Dick zu Hause gelassen, Tante?« sagte ich. »Das tut mir leid. Ach, Janet, wie geht's?«

Janet nickte, sagte, ich wäre hoffentlich auch wohl, aber ich sah, daß das Gesicht der Tante immer länger wurde.

»Auch mir tut es leid«, sagte meine Tante, und rieb sich die Nase. »Ich habe keine Sekunde Ruhe gehabt seit meinem Hiersein, Trot.«

Ehe ich fragen konnte warum, fuhr sie schon fort. »Ich bin überzeugt,« sagte meine Tante, indem sie die Hand mit bekümmerter Gefaßtheit auf den Tisch legte, »daß Dicks Charakter nicht geeignet ist, die Esel fern zu halten. Ich bin überzeugt, es fehlt ihm die nötige Entschiedenheit. Ich hätte lieber Janet zu Hause lassen sollen, und dann hätte ich vielleicht ruhig sein können. Wenn ein Esel über meinen Rasen gegangen ist, so war es heute nachmittag um vier Uhr. Ein kalter Schauer überlief mich vom Kopf bis zur Zehe – ich wußte, es war ein Esel.«

Ich versuchte sie zu trösten, aber sie wies jeden Trost zurück.

»Es war ein Esel,« sagte meine Tante, »und es war der mit dem Stutzschwanz, auf dem die mörderische Schwester ritt, als sie zu uns kam.« Meine Tante gab Miß Murdstone nie einen andern Namen. »Wenn es einen Esel in Dover gibt, dessen Keckheit ich am allerwenigsten ertragen kann, so ist es dieser!« rief meine Tante und schlug auf den Tisch.

Auch der Versuch Janets, meine Tante zu beruhigen, wurde von dieser zurückgewiesen.

Das Abendessen wurde gut serviert und warm aufgetragen, obgleich die Zimmer meiner Tante sehr hoch waren – ich weiß nicht, ob sie für ihr Geld soviel steinerne Stufen als möglich haben, oder in nächster Nähe der Tür im Dache sein wollte – und bestand in einem gebratenen Huhn, einem Beefsteak und Gemüse, die sämtlich vortrefflich waren und die ich mit vielem Appetit verzehrte. Meine Tante dagegen hatte ihre eigenen Gedanken über Londoner Lebensmittel und aß nur wenig.

»Ich glaube dieses arme Huhn ist in einem Keller ausgekrochen und aufgezogen«, sagte meine Tante; »und ist nicht an die Luft gekommen, außer auf einen Fiakerstand. Ich hoffe, das Steak ist Rindfleisch, aber ich glaub' es nicht. Nichts ist echt hier in der Stadt, mit Ausnahme des Schmutzes.«

»Meinst du nicht, daß das Huhn vom Lande sein könnte, Tante?« fragte ich.

»Gewiß nicht«, entgegnete meine Tante. »Es würde einem Londoner kein Vergnügen machen, etwas Echtes zu verkaufen.«

Ich wagte nicht, diese Meinung zu bestreiten, aber ich ließ mir das Abendessen schmecken, was meiner Tante sehr zur Befriedigung gereichte. Als der Tisch abgeräumt war, machte ihr Janet das Haar, damit sie die Nachthaube aufsetzen konnte, die künstlicher gebaut war als gewöhnlich (wegen eines möglichen Feuers, sagte meine Tante), dann schlug sie sich das Kleid bis über die Knie aufwärts, um sich am Feuer zu wärmen, was ihre gewöhnlichen Vorbereitungen vor dem Zubettgehen waren. Und dann machte ich ihr nach gewissen feststehenden Regeln, von denen selbst die leichteste Abweichung nicht geduldet wurde, ein Glas weißen Glühwein zurecht und schnitt eine Scheibe Toast in lange dünne Streifen. Damit sollte der Rest des Abends vergehen; meine Tante saß mir gegenüber und trank ihren Glühwein mit dem Toast, und sah mich unter dem Rüschenbesatz ihrer Nachthaube hervor wohlwollend an.

»Nun Trot«, fing sie an, »was sagst du zu dem Proktor? oder hast du noch nicht darüber nachgedacht?«

»Ich habe viel darüber nachgedacht, liebe Tante, und bin deshalb viel mit Steerforth zu Rate gegangen. Ich finde sehr großen Gefallen daran; ausnehmenden Gefallen!«

»Nun, das ist mir sehr lieb!« sagt meine Tante.

»Ich sehe nur eine Schwierigkeit dabei, liebe Tante.«

»Nur heraus damit, Trot«, erwiderte sie.

»Sieh, ich möchte wissen, Tante, da dies ein privilegierter Beruf ist, ob mein Eintritt nicht sehr teuer zu stehen kommen würde?«

»Dich dafür ausbilden zu lassen, kostet gerade tausend Pfund«, sagte meine Tante.

»Das macht mir wirklich Sorge, liebe Tante«, erwiderte ich, und rückte meinen Stuhl näher an sie heran. »Das ist sehr viel Geld. Du hast schon so viel ausgegeben für meine Erziehung, und hast mich in jeder Hinsicht so freigebig ausgestattet, wie es nur möglich war, kurz, bist in jeder Hinsicht die Großmut selbst gewesen! Gewiß gibt es manchen Beruf, den ich ohne besondere Auslage anfangen könnte, und in dem ich doch alle Aussicht hätte, es mit Fleiß und Ausdauer zu etwas zu bringen. Bist du sicher, daß es nicht besser wäre, es auf diese Weise zu versuchen? Weißt du bestimmt, daß du soviel Geld entbehren kannst, und daß es recht ist, es auf diese Weise auszugeben? Ich bitte dich als meine zweite Mutter, nur das nach allen Seiten hin zu überlegen. Bist du dessen gewiß?«

Meine Tante aß das Stückchen Toast, das sie eben im Munde hatte, vollends auf, wobei sie mich fest ansah; dann setzte sie das Glas auf den Kaminsturz, legte die Hände auf ihrem Schoße übereinander und sagte:

»Trot, mein liebes Kind, wenn ich einen Lebenszweck habe, so ist es der, dich zu einem guten, glücklichen und verständigen Menschen zu machen. Ich habe es mir vorgenommen – und Dick auch. Ich wünschte, manche Leute könnten Dicks Äußerung über diese Sache hören. Sein Scharfblick ist ganz wunderbar. Aber kein Mensch weiß, was für einen Verstand dieser Mann hat, ich ausgenommen!«

Sie hielt einen Augenblick inne, um meine Hand zu ergreifen und fuhr fort:

»Es hilft nichts, Trot, sich an die Vergangenheit zu erinnern, wenn man sich daraus nicht einige Lehren auf die Gegenwart herauszieht. Vielleicht hätte ich mich mit deinem armen Vater besser vertragen können. Vielleicht hätte ich mich mit dem armen Kinde, deiner Mutter, besser vertragen können, selbst nachdem mich deine Schwester Betsey Trotwood hintergangen hatte. Als du als ein armer verlassener Flüchtling, bestäubt und reisemüde zu mir kamst, dachte ich dies. Von dem Tage an bis heute, Trot, bist du immer mein Stolz und meine Freude gewesen, niemand anders hat an mich Ansprüche; wenigstens« – hier stockte sie zu meiner Verwunderung und wurde verlegen – »nein, niemand anders ist, der meine Mittel beanspruchen darf, und du bist mein Adoptivkind! Ich verlange nur, daß du mir in meinem Alter ein guter Sohn bist und es mit meinen Schrullen und Grillen nicht so genau nimmst; und du wirst mehr tun für eine alte Frau, deren beste Lebenszeit nicht so glücklich und zufrieden war, als sie hätte sein können, als diese alte Frau je für dich getan hat.«

Dies war das erstemal, wo ich meine Tante von ihrer frühern Lebensgeschichte sprechen hörte. In der anspruchslosen Weise, wie sie es tat und davon abbrach, lag eine Seelenstärke, die ihr allein schon meine Liebe und Verehrung erworben hätte.

»Wir sind jetzt schon in allem einig, Trot«, sagte meine Tante, »und wir brauchen nicht weiter davon zu reden. Gib mir einen Kuß, wir wollen morgen früh nach dem Frühstück zu den Doktors' Commons gehen.«

Bevor wir zu Bette gingen, plauderten wir noch lange miteinander. Mein Schlafzimmer befand sich mit dem meiner Tante auf einem Flur: und es störte mich nicht wenig, als sie im Laufe der Nacht jedesmal bei mir anklopfte, so oft sie in der Ferne Fiaker rollen hörte, und mich fragte, ob ich die Spritzen nicht höre? Aber gegen Morgen schlief sie ruhig und störte mich nicht weiter.

Gegen Mittag machten wir uns nach dem Bureau der Herren Spenlow und Jorkins in Doktors' Commons auf den Weg. Meine Tante, die auch noch die andere vorgefaßte Meinung von London hatte, daß jeder, dem sie begegnete, ein Taschendieb sei, gab mir ihre Börse, in der sich zehn Guineen und einiges Silbergeld befanden, zum Aufheben.

Vor dem Spielzeugladen in Fleet Street blieben wir stehen, um die Riesen auf dem St. Dunstanturm auf die Glocken schlagen zu sehen; auch hatten wir unsern Ausgang so eingerichtet, um sie beim Zwölf-Uhr-Schlagen zu beobachten, und dann wendeten wir uns nach Ludgate Hill und dem St. Pauls Kirchhof. Wir wollten eben nach letzterem Platz herübergehen, als ich sah, daß meine Tante ihre Schritte plötzlich beschleunigte und sehr geängstigt aussah. Ich nahm zu gleicher Zeit wahr, daß jetzt ein verkommener, ärmlich gekleideter und verdächtig aussehender Mann, der uns erst eine Weile aufmerksam angesehen hatte, hinter uns herkam und meine Tante anstieß.

»Trot, lieber Trot!« flüsterte mir meine Tante erschrocken zu und drückte mir den Arm. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«

»Ängstige dich nicht«, sagte ich. »Es ist hier nichts zu besorgen. Tritt in einen Laden und ich will bald mit dem Kerl fertig werden.«

»Nein, nein, Kind!« entgegnete sie. »Um alles in der Welt, sprich nicht mit ihm. Ich bitte dich, ich befehle es dir!«

»Aber ich bitte dich, liebe Tante«, sagte ich. »Er ist nichts als ein frecher Bettler.«

»Du weißt nicht, was er ist!« entgegnete meine Tante. »Du weißt nicht, wer er ist! Du weißt nicht, was du sprichst!«

Wir waren indessen in einen offenen Torweg getreten, und der Mensch war ebenfalls stehen geblieben.

»Sieh ihn nicht an!« sagte meine Tante, als ich mich zornig umwandte, »sondern besorge mir eine Droschke und erwarte mich auf dem Paulskirchhofe.«

»Dich erwarten?« wiederholte ich.

»Ja«, erwiderte meine Tante. »Ich muß allein gehen. Ich muß mit diesem Mann gehen.«

»Mit ihm, Tante? Mit diesem Mann?«

»Ich weiß, was ich spreche,« gab sie zur Antwort, »und ich sage dir, ich muß. Besorge mir ein Fuhrwerk.«

So sehr mich ihr Benehmen in Verwunderung setzte, fühlte ich doch, daß ich einem so entschieden ausgesprochenen Willen gehorchen mußte. Ich ging eilig ein paar Schritte fort und rief einen Kutscher zu, der eben leer vorbeifuhr. Ich hatte kaum Zeit, den Tritt herabzulassen, als meine Tante schon hineinstieg und der Unbekannte ihr folgte. So ernstlich bittend winkte sie mir mit der Hand zu gehen, daß ich ihr unwillkürlich sofort gehorchte, nachdem sie mir wieder ihre Börse abverlangt hatte. Währenddessen hörte ich, wie sie zu dem Kutscher sagte: »Fahren Sie nur zu! Wohin es ist!« worauf sich der Wagen in Bewegung setzte.

Jetzt fiel mir wieder ein, was mir Mr. Dick erzählt, und was ich damals für eine Täuschung seiner Sinne gehalten hatte. Ich konnte nicht bezweifeln, daß dieser Unbekannte derselbe sei, von dem er so geheimnisvoll gesprochen hatte, obgleich ich mir nicht im mindesten denken konnte, von welcher Art sein unzweifelhafter Einfluß auf meine Tante sein mochte. Nachdem ich eine halbe Stunde auf dem Kirchhof gefroren hatte, sah ich die Droschke wieder kommen. Sie hielt vor mir; und meine Tante saß allein darin.

Doch hatte sie sich noch nicht genug von ihrer Aufregung erholt, um sogleich den beabsichtigten Besuch machen zu können. Sie forderte mich nun auf, in den Wagen zu steigen und dem Kutscher zu sagen, eine Weile die Straße langsam auf und ab zu fahren. Sie sagte weiter nichts als: »Liebes Kind, frage mich niemals, was er war, und sprich nicht wieder davon«, – und sprach vorerst kein Wort mehr, bis sie ihre Fassung vollkommen wiedergewonnen hatte, worauf sie dann sagte, daß sie wieder ganz ruhig sei und daß wir aussteigen könnten. Als sie mir die Börse zurückgab, um den Kutscher zu bezahlen, bemerkte ich, daß die Guineen nicht mehr darinnen waren, sondern nur das einzelne Silbergeld.

Ein kleiner niedriger Torweg führte uns zu Doktors' Commons. Bevor wir noch viele Schritte hinter uns hatten, schien das Geräusch der Stadt wie durch Zauber in eine mildernde Ferne zurückzuweichen. Ein paar stille Höfe und schmale Gänge brachten uns in die Bureaus von Spenlow und Jorkins, in deren Vorzimmer, zu denen die Pilger ohne anzuklopfen Eintritt finden konnten, drei oder vier Schreiber tätig waren. Einer davon, ein kleiner verschrumpelter Mann mit einer steifen braunen Perücke, die wie von Pfefferkuchen gemacht aussah, stand auf, um meine Tante zu begrüßen, und wies uns in Mr. Spenlows Zimmer.

»Mr. Spenlow hat eine Sitzung auf dem Gericht, Madame,« sagte er; »aber es ist dicht nebenan, und ich werde sogleich nach ihm schicken.«

Während wir warteten, benutzte ich die Gelegenheit, um mich umzusehen; die Ausstattung des Zimmers war altmodisch und bestaubt, und das grüne Tuch auf dem Schreibtisch hatte ganz die Farbe verloren und war welk und bleich wie ein alter Spitteleinwohner. Es lagen viele beschriebene Rollen und Aktenbündel darauf, einige mit Konsistorial-Gericht bezeichnet, andere mit Arches-Gericht, andere mit Prärogativen-Gericht, andere, mit Admiralitäts-Gericht, noch andere mit Delegierten-Gericht, so daß ich davon Veranlassung nahm, mich zu fragen, wieviel Gerichte es wohl geben möchte und wie lange es dauern würde, bis ich sie alle begriffen hätte. Außerdem bemerkte ich viele Folianten, richtige dicke Wälzer, voll notariell aufgenommener Zeugenaussagen, stark gebunden und in einzelne Abteilungen zusammengesetzt, für jeden Rechtsfall eine, als ob jeder eine Geschichte von zehn oder zwanzig Bänden wäre. Alles dies sah sehr einträglich aus und gab mir einen angenehmen Begriff von den Geschäften eines Proktors. Ich musterte mit zunehmendem Wohlgefallen diese und andere ähnliche Gegenstände, als man draußen eilige Tritte hörte und Mr. Spenlow in einem schwarzen, mit weißem Pelz besetzten Tatar hereintrat, der gleich beim Eintritt den Hut abnahm.

Es war ein kleiner Herr mit hellblondem Haar, untadelhaften Stiefeln und weißem Halskragen von der steifsten Sorte. Er war sehr knapp und peinlich zugeknöpft, und mußte sich sehr viel Mühe gegeben haben mit seinem Backenbart, der sehr sorgfältig gekräuselt war; seine goldene Uhrkette war so schwer, daß ich auf den Einfall kam, er müßte, um sie herauszuziehen, einen so muskelkräftigen goldenen Arm haben, wie er über den Läden der Goldschläger zu sehen ist. Er war so sorgfältig angezogen und so steif, daß er sich kaum verbeugen konnte und, wenn er ein paar Papiere auf seinem Pult ansehen wollte, den ganzen Körper vom Ende des Rückgrats an bewegen mußte, wie eine Gliederpuppe. Meine Tante stellte mich ihm vor, und er begrüßte mich mit großer Höflichkeit. Er sagte dann:

»Sie denken also bei uns einzutreten, Mr. Copperfield. Ich erwähnte neulich zufällig gegen Miß Trotwood« – mit einer Gliederpuppenverbeugung – »daß bei uns eine Stelle frei sei. Miß Trotwood war so freundlich zu bemerken, daß sie einen Neffen habe, der ihr sehr am Herzen liege und für den sie ein anständiges Unterkommen suche. Diesen Neffen habe ich wahrscheinlich jetzt das Vergnügen –« wieder eine Gliederpuppenverbeugung.

Ich verbeugte mich dabei bejahend und erwiderte, meine Tante habe mir gesagt, es sei eine Stelle erledigt, und ich glaube, ich werde Gefallen daran finden; daß ich mich nicht zum Eintritt unbedingt verpflichten könnte, bis ich etwas mehr davon kennen gelernt hätte; und daß ich, obgleich ich das mehr für eine Formsache halte, voraussetzte, ich würde versuchsweise eintreten können.

»O, gewiß, gewiß!« sagte Mr. Spenlow. »Wir gewähren in unserem Geschäft immer einen Monat – einen Probemonat. Ich würde mich glücklich schätzen, zwei Monate – oder drei – oder eine unbestimmte Zeit anzubieten, aber ich habe einen Associé, Mr. Jorkins.«

»Und das Lehrgeld ist tausend Pfund, Sir?« fragte ich weiter.

»Und das Lehrgeld, Stempelgebühren mit eingeschlossen, ist tausend Pfund«, sagte Mr. Spenlow. »Wie ich schon gegen Miß Trotwood bemerkte, werde ich nicht von selbstsüchtigen Beweggründen geleitet; weniger vielleicht als viele andere, aber Mr. Jorkins hat seine Ansichten über diese Sache, und ich halte es für meine Pflicht, Mr. Jorkins Meinung zu achten. Mr. Jorkins meint, tausend Pfund sei noch zu wenig.«

»Ich vermute,« sagte ich, immer noch in der Hoffnung, meiner Tante etwas ersparen zu können, »daß es vielleicht Gebrauch ist, einen eingeschriebenen Lehrling, wenn er sich besonders nützlich macht und seinen Beruf vollkommen gründlich erlernt hat – ich konnte nicht umhin zu erröten, denn es klang so sehr wie ein Selbstlob, – »in den letzten Jahren seiner Lehrzeit . . .«

Mr. Spenlow hob den Kopf gerade weit genug aus dem Halstuch, um ihn schütteln zu können, und antwortete, meinen letzten Worten vorgreifend:

»Salär zu geben? Nein! Ich wüßte nicht, wie ich selbst über diesen Punkt denken würde, Mr. Copperfield, wenn ich nicht gebunden wäre. Mr. Jorkins ist unerbittlich.«

Mir wurde ordentlich angst vor diesem schrecklichen Jorkins. Aber ich fand später, daß er ein sanfter Mann von etwas trägem Temperament war, der weiter nichts zu tun hatte, als im Geschäft selbst stets unbemerkt im Hintergrunde zu bleiben, und dessen Name dabei immer als der des hartnäckigsten und unbarmherzigsten Menschen dargestellt wurde. Wenn ein Schreiber höheres Salär haben wollte, wollte Mr. Jorkins nichts davon wissen. Wenn ein Klient langsam im Bezahlen der Kosten war, so bestand Mr. Jorkins unerbittlich auf Zahlung; und so höchst unangenehm diese Sachen Mr. Spenlow waren, Mr. Jorkins drang auf eine Schuldverschreibung. Das Herz und die Hand des guten Engels Spenlow wären immer offen gewesen ohne den hartherzigen Dämon Jorkins. In späteren Jahren habe ich noch andere Häuser kennen gelernt, die ihre Geschäfte nach dem Prinzip Spenlow und Jorkins betrieben.

Es wurde verabredet, daß ich meinen Monat Probezeit anfangen sollte, sobald es mir beliebe, und daß meine Tante bis dahin weder in der Stadt zu bleiben noch wieder zu kommen brauche, da ihr der Kontrakt ohne weiteres zur Unterschrift nach Hause geschickt werden könnte. Als wir das abgemacht hatten, erbot sich Mr. Spenlow, mir den Gerichtshof zu zeigen. Ich nahm das Anerbieten an, und wir gingen fort, ließen aber meine Tante zurück, denn sie wollte sich, wie sie sagte, an keinen solchen Ort wagen, und hielt, glaube ich, alle Gerichtshöfe für eine Art Pulvermühlen, die jeden Augenblick auffliegen können.

Mr. Spenlow führte mich über einen gepflasterten Hof, umgeben von ernsten Häusern mit Rauhputz, die, nach den Schildern an den Türen und den Namen der Doktoren zu schließen, die Amtswohnungen der gelehrten Advokaten waren, von denen Steerforth gesprochen hatte und endlich in einen großen dunklen Saal, der fast wie eine Kapelle aussah. Der obere Teil war durch ein Gitter abgeschlossen; dort saßen an beiden Seiten einer erhöhten Bühne in Hufeisenform, auf bequemen altmodischen Lehnstühlen in roten Talaren und grauen Perücken die vorerwähnten Doktoren des Gerichts. In der Kurve des Hufeisens lugte über einem kleinen Pulte aus einer großen Perücke das Augenpaar eines alten Herrn hervor, der fast wie eine Eule aussah, in dem ich den vorsitzenden Richter kennen lernte. Innerhalb des Hufeisens, etwas niedriger, saßen an einer langen grünen Tafel verschiedene andere Herren von Mr. Spenlows Rang, wie er, in schwarze Talare, mit weißem Pelz verbrämt, gekleidet. Ihre Halstücher kamen mir im allgemeinen sehr steif und ihre Blicke sehr stolz vor, aber in dieser letzten Hinsicht bemerkte ich sogleich, daß ich ihnen unrecht getan hatte, denn als zwei oder drei aufzustehen und eine Frage des Vorsitzenden Richters zu beantworten hatten, konnte keine Fliege schläfriger aus der Buttermilch kriechen. Das Publikum, bestehend aus einem Knaben mit einem Halstuch und einem schäbig-eleganten Mann, der verstohlen Brotkrumen aus seinen Taschen aß, wärmte sich an einem Ofen, der inmitten des Saales stand. Die schläfrige Stille des Ortes wurde nur durch das Prasseln des Feuers und die Stimme eines der Doktoren unterbrochen, der mit der Stimme langsam durch eine ganze Bibliothek von Zeugenaussagen wanderte und unterwegs manchmal eine Station machte, um bei einer Beweisführung zur Erquickung vorzusprechen. Kurz, ich habe in meinem ganzen Leben nie in einem so altmodischen, duseligen, schlafmützigen Kreise verweilt, und ich fühlte, es dürfte kein angenehmeres Schlafmittel geben, als dieser Gesellschaft in irgend einer Weise anzugehören, außer – vielleicht für den Klienten.

Sehr befriedigt von dem träumerischen Charakter des Ortes gab ich Mr. Spenlow zu verstehen, daß ich vorderhand genug gesehen hätte, und wir verfügten uns wieder zu meiner Tante, mit der ich alsbald die Commons verließ, nachdem ich noch beim Hinausgehen von Spenlow und Jorkins meine große Jugend sehr lebhaft gefühlt hatte, als die Schreiber einander zuflüsternd mit ihren Federn auf mich deuteten.

Wir erreichten Lincolns Innfields ohne neue Abenteuer, außer daß wir einem unglücklichen Esel begegneten, der peinliche Erinnerungen in meiner Tante erweckte. Wir hatten noch eine lange Unterhaltung über meine Zukunftspläne, als wir in unserer Wohnung angekommen waren; und da ich wußte, wie sehr sie sich nach Hause sehnte und sich, geplagt von ihrem seltsamen Gedanken über Nahrungsmittelverfälschung, Feuer und Taschendiebe, keine Stunde in London heimisch fühlen konnte, so drang ich in sie, sich meinetwegen keine Sorge zu machen, sondern ungescheut mich mir selbst zu überlassen.

»Auch daran habe ich schon gedacht, liebes Kind, ich bin nicht schon umsonst morgen eine Woche hier«, erwiderte sie. »Eine kleine möblierte Wohnung ist in Adelphi zu vermieten, Trot, das ausgezeichnet für dich passen muß.«

Nach dieser kurzen Einleitung holte sie aus ihrer Tasche eine sorgfältig aus einer Zeitung ausgeschnittene Anzeige des Inhalts, daß in der Buckinghamstraße in Adelphi einige möblierte Zimmer mit der Aussicht auf den Fluß als passende Wohnung für einen jungen Herrn, Mitglied der Rechtsschulen, zu vermieten und sogleich zu beziehen seien. Der Preis war billig, und sie konnten, wenn es gewünscht wurde, auch monatweise abgelassen werden.

»Das paßt ja vortrefflich, Tante!« rief ich aus, ganz erfreut von der Aussicht, eine eigene Wohnung zu beziehen.

»So komm«, erwiderte meine Tante und nahm sogleich wieder den Hut, den sie eben erst abgelegt hatte. »Wir wollen sie gleich ansehen.«

Und fort ging's. Die Anzeige wies uns an Mr. Crupp im Hause selbst; wir klingelten an der Küche, wo wir Mrs. Crupp zu finden hofften. Erst als wir drei- bis viermal geläutet hatten, erschien Mrs. Crupp in Gestalt einer wohlbeleibten Dame in einem flanellenen Unterrock unter einem Nankingüberkleid.

»Ich möchte Ihre Zimmer ansehen, Madame«, sagte meine Tante.

»Für diesen jungen Herrn?« fragte Mrs. Crupp und suchte in der Tasche nach den Schlüsseln.

»Ja, für meinen Neffen«, sagte meine Tante.

»Sie werden Ihnen gewiß gefallen!« bemerkte Mrs. Crupp.

Wir folgten ihr die Treppe hinauf.

Sie befanden sich im obersten Stock des Hauses – ein großer Vorzug im Auge meiner Tante, wegen der Feuersgefahr – und bestanden aus einem kleinen dunkeln Eintrittszimmer, wo man kaum etwas sehen konnte, einer kleinen Vorratskammer, in der man gar nichts sehen konnte, einem Wohnzimmer und einem Schlafgemach. Die Möbel waren etwas alt und verschossen, aber genügten mir; und auf alle Fälle war der Fluß vor den Fenstern.

Da mir die Wohnung gefiel, so zogen sich meine Tante und Mrs. Crupp in das Vorzimmer zurück, um über die Bedingungen zu verhandeln, während ich im Wohnzimmer auf dem Sofa sitzen blieb und kaum an die Möglichkeit zu denken wagte, Inhaber einer so ausgezeichneten Wohnung zu werden. Nach einem Zweikampf von einiger Dauer kehrten sie zurück, und zu meiner Freude sagte mir das Gesicht von Mrs. Crupp und meiner Tante, daß die Sache abgemacht sei.

»Sind das die Möbel des letzten Mieters?« fragte meine Tante.

»Ja, Madame«, sagte Ms. Crupp.

»Was ist aus ihm geworden?« fragte meine Tante.

Mrs. Crupp wurde von einem beschwerlichen Husten befallen, der ihr nur mit einiger Mühe zu sagen erlaubte: »Er wurde hier krank Madame und – Uh! Uh! Uh! mein Gott – und starb.«

»Ah! und woran starb er?«

»Er starb vom Trinken«, sagte Mrs. Crupp im Vertrauen, »und vom Rauchen.«

»Rauchen? Sie meinen doch nicht Ofenrauch?« sagte meine Tante.

»Nein, Madame,« erwiderte Mrs. Crupp. »Zigarren und Pfeifen.«

»Das ist nicht ansteckend, Trot,« sagte meine Tante, indem sie sich zu mir wendete, »keineswegs!«

»In der Tat nicht«, antwortete ich.

Kurz, da meine Tante sah, wie sehr mir die Wohnung gefiel, so nahm sie das Quartier vorläufig für einen Monat, und wenn dann keine Kündigung erfolgte, auf das ganze Jahr. Mrs. Crupp hatte die Wäsche und das Kochen zu besorgen. Alles andere war bereits abgemacht; und Mrs. Crupp verpflichtete sich ausdrücklich, daß sie mich stets wie einen Sohn lieben werde. Ich sollte übermorgen einziehen und Mrs. Crupp sagte, sie danke dem Himmel, daß sie wieder für jemand zu sorgen habe.

Auf dem Nachhausewege sagte mir meine Tante, sie vertraue darauf, daß das Leben, das ich anzufangen im Begriff stehe, mir einen selbständigen und festen Charakter verleihen werde; weiter verlange sie nichts. Sie wiederholte das noch öfter am folgenden Tage, während wir die Hierhersendung meiner Bücher und Sachen von Canterbury regelten. Ich benutzte die Gelegenheit, um einen langen Brief an Agnes zu schreiben, dessen Besorgung meine Tante auf sich nahm. Um diese Einzelheiten nicht zu weit auszudehnen, füge ich noch hinzu, daß sie für alle meine möglichen Bedürfnisse während des Probemonats auf das Ausreichendste sorgte und daß Steerforth zu ihrer und zu meiner großen Enttäuschung vor ihrer Abreise nicht erschien. Sie saß wieder sicher im Wagen, Janet an ihrer Seite, und genoß im voraus die Triumphe des über die vagabondierenden Esel hereinbrechenden Ungemachs. Als der Wagen abgefahren war, kehrte ich das Gesicht gegen Adelphi und gedachte sinnend der alten Tage, da ich in dessen unterirdischen Gewölben und Gängen herumstreifte, sowie der glücklichen Schicksalswendung, die mich dauernd an die Oberwelt versetzte.


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