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XIV.

Somnitz brachte die Nacht in fieberhafter Erregung zu, die widersprechendsten Gefühle bestürmten ihn, Bilder auf Bilder jagte die erregte Phantasie vor seine Seele, er konnte zu keinem Entschlusse kommen, wie er sich mit Ehren und ohne daß er seinen Schritt schmerzlich bereue, aus der Lage ziehen könne, in die ihn sein allzuwarmes Herz gebracht. Es kämpften in ihm die zwei Naturen, die Walter so richtig gekennzeichnet: die künstliche Natur des in aristokratischem Denken erzogenen Mannes mit der warmen Empfindung des natürlichen Menschen, der eine wärmere Sonne für sein Herzensglück fordert, als die, welche durch die Drahtgitter aller möglichen gesellschaftlichen Rücksichten scheint.

Er fühlte, daß er Anna mit aller Sehnsucht des Herzens liebe, und daß er sich auch schon an sie gebunden, daß er schmählich handle, wenn er schnöde ihr Herz betrüge, es graute ihm aber bei dem Gedanken, sie den Namen ihres Vaters nennen zu hören, der auf dem Felde bei Nachod ihm wie eine Hyäne erschienen. Er sah im Geiste alle die Qualen vor sich, die es dem Gatten Anna's verursachen müßte, wenn sie in den Kreisen, denen er angehörte, wie eine Verpestete angeschaut wurde. Die Tochter eines Schmugglers, eines Mörders, eines Leichenräubers – und doch eine Blume, so rein und hold, als sei sie im Duft des Paradieses erblüht!

Sollte er fliehen, ohne sie wiederzusehen, sollte er seine gräßlichen Zweifel in ihre arglose Seele schütten, sollte er harren und abwarten, wie das Schicksal Steinerts sich gestalten werde?

Eins war schlimmer als das Andere. Entfloh er, so mußte sie ihn verachten und glauben, daß er Spott mit den heiligsten Gefühlen getrieben, erklärte er ihr seine entsetzlichen Zweifel, so vernichtete und zerstörte er ihren Herzensfrieden, den selbst der elende Vater anzutasten nicht gewagt! Andererseits aber, wartete er das Kommende ab, so verlängerte er den furchtbaren Kampf und gelang es selbst ihrem Vater, dem Gesetz zu entgehen und die Richter zu täuschen – war Steinert dann nicht verächtlicher für ihn, als wenn er reuig bekannt und büßte?!

Somnitz konnte nicht schlafen; als der Tag dämmerte, sprang er von seinem Lager und eilte ins Freie.

Er schlich in den Garten des Nebenhauses – dort, wo die Vorhänge herabgelassen, schlummerte sie, nichts ahnend von den Schrecken, die sie bedrohten, ein unschuldiges Kind, vertrauend auf Gott in kindlichem Glauben, heiter spielend an dem Abgrund, den Blumen vor ihr verbargen!

Er setzte sich auf eine Bank; verloren in Träumereien starrte er nach dem Fenster hin, ihr Bild umgaukelte seine Seele. Eine Stunde verrann ihm wie eine Minute, da störte ein Geräusch ihn auf, er sah ein helles Gewand durch die Büsche schimmern und, erbebend ihr zu begegnen, sprang er auf und schaute sich um, wo er unbemerkt entfliehen könne.

Aber sie hatte ihn gesehen und als er, scheinbar sie nicht bemerkend, entweichen wollte, vertrat sie ihm den Weg. Ihr Antlitz war bleich, aber das Auge schaute klar und frei, mit ruhiger Entschlossenheit trat sie ihm entgegen und nur ihre Stimme bebte leise, als sie ihn anredete.

»Herr von Somnitz,« sagte sie, »ich wünsche Sie zu sprechen, ich bitte Sie darum. Wer zu einem Mädchen Worte gesprochen, wie Sie, der ist diesem Wesen eine Erklärung schuldig, wenn er plötzlich den Ton in auffallender Weise verändert. Ich fordere nichts weiter von Ihnen, als die Erklärung eines Ehrenmannes darüber, ob Sie gestern einem launenhaften Gefühl, einem übermüthigen Scherz nachgegeben haben, als Sie mir Ihre Neigung andeuteten, und will Ihnen, wenn dies der Fall gewesen ist, diesen Scherz, dieses Spiel verzeihen, ohne mir ein Urtheil darüber anzumaßen, was Sie bewogen, dasselbe in wenig artiger Weise abzubrechen, anstatt es mit derselben Laune weiter zu führen. Irre ich mich jedoch in dieser Annahme und erklären Sie mir, daß eine Entdeckung, die Sie gemacht, Sie veranlaßt hat, aus dem wärmeren Tone in einen solchen zu fallen, der selbst die gleichgiltigste Bekanntschaft in brüsker Weise abschließt, so können Sie es mir nicht verargen, wenn ich eine weitere Erklärung beanspruche, als das Recht des Gekränkten.«

Er schaute sie an und sie erschien ihm wie eine Heilige – jedes Bedenken war vergessen, vor ihr mußte er sich reinigen, sie durfte ihn nicht verachten.

»Fräulein Anna,« sagte er mit bewegter Stimme, »ich schwankte zwischen dem, was ich beginnen könne und dürfe, um von Ihnen nicht verkannt zu werden – es fehlte mir der Muth, offen zu Ihnen zu sprechen, ich wußte ja nicht, ob Ihr Herz mir Vertrauen schenken werde. Dieser Schritt, den Sie eben jetzt gethan, läßt mich tief in Ihre reine Seele blicken, Sie hätten ihn nicht unternehmen können, wenn Sie mich für fähig hielten, ein bubenhaftes Spiel getrieben zu haben, Sie errathen, daß meine Seele Sie liebt und fordern Vertrauen. Anna, es waltet ein Geheimniß, das ich Ihnen nicht verrathen darf und nicht verrathen will, selbst wenn Sie drohten, mich zu verachten und zu hassen. Denken Sie, man habe eine Blume im Glashause künstlich geschützt vor Wind und Wetter, ein kalter Hauch und sie würde welken. Sie sind die Blume, ich komme von draußen und habe ein Gewitter aufziehen sehen, welches droht die schützenden Glasscheiben zu zerschlagen. Sie verlangen, ich solle ein Fenster öffnen, die Schwüle ist Ihnen drückend, dann aber bricht das Wetter früher über Sie herein, während es doch vielleicht vorüber ziehen kann, ohne Sie zu berühren.«

»Das Ungewitter bedroht meinen Vater, ich fühle es, daß es schlimmer steht, als er uns ahnen läßt« – erwiderte Anna. »Ich mag nicht fragen, ob derjenige, der mir Interesse zu erkennen giebt, sich nicht größeren Dank verdienen könnte, wenn er draußen stände, meinem Vater zu helfen, anstatt mich schirmen zu wollen, aber so viel weiß ich, daß mein Platz draußen ist, daß ich denjenigen, der das Kind abhält, dem Vater ein Trost und eine Hülfe in schwerer Sorge zu sein, niemals für einen wahren Freund halten werde, das Kind gehört zum Vater und wird sein Loos nie von ihm trennen.«

Er schaute sie mit zärtlicher Rührung und schmerzlicher Theilnahme an.

»Glauben Sie,« fragte er, »daß ich dieses Gefühl nicht bei einem Wesen erwartete, dem mein Herz zugeflogen in der ersten Stunde? Glauben Sie, daß ich, um Ihnen eine Sorge, eine Thräne zu ersparen, nicht Alles opferte, Ihrem Vater beizuspringen, daß ich Sie abhalten könnte, ihn zu trösten, wenn Trost möglich wäre? Hören Sie mich an, vertrauen Sie mir, als wäre ich Ihr Bruder. Ihr Vater hat selbst die Schranke gezogen, bis zu der ihm die Theilnahme folgen kann. Er verschmäht jeden Rath, jede Hülfe, und da Niemand weiß, ob ihn ein gerechter oder ungerechter Verdacht bedroht, so würde eine ungeforderte, aufgedrungene Hülfe ihm schaden können. Walter und ich versuchten dies, Walter that Schritte, Ihre Mutter zu veranlassen, Klarheit zu fordern oder die Berührung unangenehmer Ereignisse von ihren Kindern fernzuhalten, Sie haben gesehen, wie dies Ihren Vater reizte und wenn er nachgegeben, that er's, weil er fühlte, daß die Gefahr größer geworden. Er muß durchkämpfen, was er auf sich genommen. Unterliegt er, dann ist es Zeit, Ihnen zu entdecken, was geschehen, dann wird die Liebe seiner Kinder ihn trösten. Unterliegt er nicht, zertheilt sich das drohende Gewitter, so ist Ihre Seele von einer schmerzlichen Angst frei geblieben, wenn auch nicht von einer Sorge.«

»Ich verstehe das alles nicht – ich sehe, daß Sie immer nur an mich denken, nicht an meinen Vater. Sie hassen ihn – ich habe es wohl gefühlt. Sie halten ihn für schuldig, Sie werfen ihm Entsetzliches vor!«

Somnitz antwortete nicht, er senkte den Blick zu Boden.

Anna starrte ihn an in namenloser Angst, sie fühlte, daß dieses Schweigen furchtbarer sei, als die Anklage selbst.

»Haben Sie Mitleid,« flüsterte sie bebend, »die entsetzlichste Gewißheit ist nicht so schauerlich, als diese Ahnung – –«

Er ergriff ihre Hand und preßte sie.

»Anna,« sagte er, »das ist ja das Entsetzliche, daß mir selbst die Gewißheit fehlt, und es wäre ein Verbrechen, ohne diese die Anklage auszusprechen. Aber der Argwohn, der in mir ruht, ist verschlossen in meiner Brust und wird sich nie zur Anklage erheben, komme was da wolle, denn er ist Ihr Vater. Von anderer Seite droht ihm Gefahr, und Sie müssen sich wappnen, vielleicht sehr Schmerzliches zu hören.«

»Von anderer Seite? – und was Sie ihm vorwarfen ist noch entsetzlicher! – oh dann verstehe ich Sie und bitte das Unrecht ab, das ich Ihnen gethan, Sie haben gekämpft und nicht vermocht, das Grauen zu überwinden – – ein Gedanke steigt in mir auf, zu entsetzlich ihn zu fassen – Ihre Erzählung – o Gott! – wenn Sie ihn anklagen könnten vor dem ewigen Richter – einer Schuld die sich erbt auf Kind und Kindeskind – o barmherziger Gott, warum ließest Du mich geboren werden –! – –«

Sie war niedergesunken auf die Knie, sie verbarg ihr Antlitz mit den Händen und schluchzte laut.

Ein Schauer ergriff ihn – das furchtbare Geheimniß war verrathen, sein Schatten nimmer von dieser Seele zu wischen – –

Umsonst versuchte er Worte des Trostes, sagte ihr, daß er noch jetzt gegen den Argwohn kämpfe, sie hörte ihn nicht – – –

 

Somnitz blieb in M. – Mehr als je, fühlte er, daß er nicht abreisen könne, ehe das Schicksal Steinert's sich entschieden.

Anna war zu ihrer Mutter geeilt, die Familie hatte sich eingeschlossen, die Briefe waren angekommen, mit denen Steinert Abschied von den Seinen genommen. Er erklärte darin seiner Frau, daß das Dasein ihm eine unerträgliche Qual geworden. Er wolle sterben, ehe die Schande über ihn komme, er könne den Gedanken nicht fassen, vor seinen Kindern erröthen zu müssen. Der Brief an Walter hatte denselben aufgefordert, Marianne darauf vorzubereiten, daß sie Wittwe geworden.

Hallborn brachte die Bestätigung des Selbstmordes; obwohl derselbe nicht bewiesen sei, war doch anzunehmen, daß Steinert ihn ausgeführt habe. Mittlerweile waren Depeschen für Hallborn eingetroffen. Der Förster hatte sich im Gefängniß entleibt, Joachim war beim Transport über die Grenze entsprungen. Hallborn gestand zu, daß es jetzt unmöglich sein werde, das Dunkel der That je aufzuklären und verließ M., um an seinen gewöhnlichen Stationsort zurückzukehren.

Die Familie Steinert blieb mehrere Tage in völliger Abgeschlossenheit, im Curort schenkte man ihr die allgemeinste Theilnahme. Es verbreitete sich die Ansicht, daß Steinert das Opfer des allzugroßen Eifers eines Criminalbeamten gewesen. Man fühlte Mitleid mit dem Manne, der sich das Leben genommen, weil seine Ehre angegriffen worden und dem man doch nicht mehr zur Last legen konnte, als daß er mit Schmuggelwaaren gehandelt. Die Empfindlichkeit des Ehrgefühls, die ihn zum Selbstmord getrieben, erschien Allen um so mehr als ein Beweis seiner Unschuld, als man sich sagte, das Unglück, das seine Dienstleute getroffen, sei ihm nahe gegangen, er habe sich den Vorwurf gemacht, daß er ihre Verbrechen mitverschulde.

Es ward bekannt, daß er den Armen Wohlthaten gespendet und viel Gutes gethan. Man verehrte ihn fast wie einen Märtyrer.

Die Einzigen, die an die volle Schuld Steinert's glaubten, waren außer Hallborn die Gattin des Todten und Anna.

Nochmals hatte sich Somnitz melden lassen und war nicht angenommen worden, er schrieb an Anna ein Billet, worin er sie beschwor, um ihrer eigenen Ruhe willen, ihm ein Gespräch zu gönnen, er habe ihr eine wichtige Mittheilung zu machen – sie antwortete ablehnend.

»Herr von Somnitz,« schrieb sie, »über dem Grabe meines Vaters schwebt ein Verdacht, der zwischen uns einen Abgrund legt, vor dem uns nur Grauen erfassen kann.«

»Anna,« schrieb er zurück, »ich erwarte Sie heute im Garten, Sie müssen mir Gehör schenken, ich habe einen Brief Ihres Vaters, den Ihre Angehörigen nicht kennen dürfen, den Sie aber lesen müssen, da Sie das schreckliche Geheimniß kennen.«

Anna erschien im Garten, bleich wie eine Lilie.

»Herr von Somnitz,« sagte sie, »selbst ein gut gemeinter Betrug wäre ein Verbrechen.«

Er reichte ihr ein Schreiben, welches Steinert nach seiner Flucht aus Bieldorf noch an ihn gerichtet.

»Herr von Somnitz,« so lautete dasselbe, »von den Meinen habe ich Abschied genommen, ohne eine Erklärung über meine letzten Handlungen zu geben, denn ich weiß, daß ihre Liebe mir Nachsicht schenken wird; dem Gericht habe ich jede Aufklärung, jedes letzte Geständniß, das Sterbende abzulegen pflegen, nicht zukommen lassen, Ihnen schulde ich eine Erklärung und ich vertraue Ihrer Ehre dieselbe an, Sie werden dieselbe als für Ihre Person allein bestimmt annehmen und bewahren.

Sie haben in furchtbarer Anklage einen gräßlichen Fluch über den Mann heraufbeschworen, den Sie auf dem Felde bei Nachod erblickt. Hören Sie die Geschichte jenes Mannes, seine Rechtfertigung und beten Sie mit ihm, daß der Fluch seiner That auf ihm allein laste, nicht aber auf Kind und Kindeskind –!

Ich bin der Mann, den Sie in jener Nacht gesehen, und ich errathe jetzt, woran Sie ihn wieder zu erkennen glauben. In meinem rechten Bein trage ich die Narbe der Wunde, die mir der Sterbende beibrachte, den Sie sich emporrichten gesehen.

Es hat mich oft furchtbare Kämpfe gekostet, den Schmerz der schlechtgeheilten Wunde zu verbergen, Niemand sah mich jemals hinken und doch schauten Sie mich an, als hätten Sie errathen, daß ich die verrätherische Wunde des Lanzenstichs an meinem Körper trage!

Vor Ihnen will ich beichten, wie vor einem Priester, könnten Sie mir ein Wort des Trostes sagen, so würde mir das mehr gelten, als jede Absolution des geweihten Dieners der Kirche.

Ich bin von meinem Vater, der aus Noth das Gewerbe des Schmugglers ergriffen, in demselben unterrichtet worden und habe darin niemals ein Verbrechen gesehen, freilich bin ich aber auch erst, als es zu spät war, zu der Erfahrung gekommen, daß derjenige, der sich einmal der staatlichen Ordnung feindselig gegenüber gestellt hat, schwer eine geachtete Stellung in derselben einnehmen kann, wenn er aufgehört, ihr Gegner zu sein, daß er darauf verzichten muß, diejenige äußerliche Ehre zu besitzen, die er vordem verachtet und daß er, wenn er die Vergangenheit übertünchen und ableugnen will, in die Lage kommen kann, sich entweder von der mühsam errungenen Höhe gestürzt zu sehen, oder seine Stellung durch einen Gewaltakt, durch ein Verbrechen zu behaupten.

Mein Vater fand keine sogenannte redliche Arbeit, die Hungersnoth herrschte im Gebirge, er hatte eine kranke Frau, er half sich also wie er konnte, ohne zu stehlen und zu rauben. Ein Grenzjäger schoß ihn nieder wie ein wildes Thier, als er eines Tages ertappt worden und sich nicht gefangen geben wollte.

Meine Mutter starb im Elend. Niemand half mir. Der Staat, der so viel Geld auf seine Polizei zu verwenden weiß, schützt den Armen nicht vor der Noth, die ihn zum Verbrecher macht. Er baut Zuchthäuser, aber er sorgt nicht dafür, daß der Arbeiter Brot findet.

Ich hatte die Bitterkeit der Armuth fühlen gelernt, ich sah, daß der Mensch vogelfrei ist, der nichts besitzt als die Kraft seiner Arme. Der Obdachlose wird verfolgt, wenn er auch Arbeit sucht, hat er das Unglück, keine zu finden, so ist er schon ein Landstreicher und Vagabond. Man traut ihm jedes Verbrechen zu, ehe er noch eines begangen. Dem Besitzenden aber, dem Reichen wagt man nicht mit Argwohn zu nahen, wenn auch der Verdacht schon begründet ist.

Ich haßte die Bevorrechteten, ich sah, daß dem Armen das Verderben droht, wenn er unterliegt im Kampfe mit der Noth, ich sah, daß in der Welt das Gelingen die That entschuldigt, daß man den Besitzenden achtet und daß der Besitz Macht verleiht.

Ich brannte vor Begierde, reich zu werden, nicht aus Habsucht, oder um prassen zu können, ich wollte Macht haben, wollte mich nicht mit Füßen treten lassen, wollte nicht verhungern wie meine Mutter, nicht im Elend untergehen wie mein Vater.

Ich hatte Glück, ich fand Stellungen, in denen ich mich rasch emporarbeiten konnte, das Schicksal fügte es, daß ich wieder auf die Schmugglerbahn gerieth und Haß, Eitelkeit, nennen Sie es, wie Sie wollen, verleiteten mich, dies Gewerbe im Großartigen zu betreiben. Die Gefahr hatte Reiz für mich wie für den Spieler, aber sie bot mir auch den Triumph, die Grenzjäger zur Verzweiflung zu bringen und darunter den, der meinen Vater erschossen und dafür einen Orden erhalten hatte.

Ahnte er den Rächer, war es Instinkt? Er allein witterte in dem jetzt reichen Kaufherrn den Schmuggler, und sein Sohn, den er auf die Menschenjagd dressirt, kreuzte oft genug meinen Weg, aber ich war schlauer wie er, und jede harte Rüge, die die Grenzjäger erhielten, rächte an ihnen meinen Vater.

Ich habe Arme unterstützt, nicht um mir einen Heiligenschein zu erwerben, sondern weil ich in dem Darbenden meinen Bruder sah, ich habe Verbrecher, die man aus Zuchthäusern entlassen, oder die man steckbrieflich verfolgte, geschützt, verborgen und solche, die sich zu keinem ehrlichen Erwerb entschließen mochten, denen zeigte ich, wie sie als Schmuggler eine wilde, freie, bewegte Existenz führen könnten, ohne an ihren Nebenmenschen zu Verbrechern zu werden.

Der Staat ist ein unersättlich Ungeheuer, das den Einzelnen aussaugt und, unbekümmert, ob er ihn ruinirt, von seinem sauren Erwerbe zehrt; er übt Gewalt und stellt sie hin als Recht, weil er der Stärkere ist, ihn zu betrügen ist ein Verbrechen vor dem Gesetz, aber nicht vor dem Gewissen. Das ist meine Philosophie, das heißt, sie war es, bis ich an ihr zu Grunde ging.

Ich glaubte, recht zu handeln, glaubte, durch meine bitteren Erlebnisse berechtigt zu sein, meine Kraft mit der zu messen, die meinen Vater vernichtet.

Ich war verheirathet, ich hatte Kinder. Meine Familie war mir ein Heiligthum, ein Tempel, in den ich keinen Schatten der Bitterkeit tragen mochte, die mich draußen erfüllte. Sie sollte rein bleiben von allen Schatten, die über meine Seele gezogen, in ihrem Kreise wollte ich meine Sorgen vergessen, und glücklich sein, als Gatte, als Vater, als Mensch.

Um meiner Familie willen führte ich eine doppelte Existenz, schaffte mir im Preußischen eine angesehene Stellung und wenn je mein Gewissen mich erbeben ließ vor der Rache, die mich ereilen könne, so war es bei dem Gedanken, daß meine Familie einmal erfahren könne, welche dämonische Gewalt mich beherrschte, wenn ich fern von ihrem lichten Kreise war.

Alle Martern der Hölle erschienen mir gering gegen diesen Gedanken, vor den Meinen entehrt, vernichtet, als Verbrecher dazustehen.

Sie werden fragen, warum ich nicht alle Bande zerriß, die mich an mein vergangenes Leben ketteten?

Ich dachte oft daran, hab's oft versucht, aber ich scheute zurück, als ich die Gefahr sah, gerade dadurch eine Entdeckung herbeizuführen.

Mein System war so organisirt, daß ein Rad das andere trieb, ein Stocken hätte das ganze Uhrwerk vernichtet. Viele Menschen, die ich besoldete, die nur durch mich existirten, wären brotlos geworden. Dies hätte sich mit Opfern überwinden lassen, aber es trat Schlimmeres hinzu. Die gemeinsame Gefahr, der gemeinsame Erwerb verketten diejenigen, die sich heimlich und gegen das Gesetz verbunden, fester als solche, die auf dem sogenannten ehrlichen Wege gehen. Derjenige, der sie verlassen will, wird als ein Abtrünniger, als ein Verräther angesehen. Die hingebendste Treue verwandelt sich in Haß, Neid und Bitterkeit. Ich hatte zu befürchten, daß bei dem ersten Unternehmen, welches ohne meine Leitung stattfand und fehlschlug, man die Vergangenheit verrathen werde, um sich an dem zu rächen, der seine Gefährten im Stich gelassen.

Ich konnte nicht verschwinden, man überwachte mich, wie ich Andere überwacht, Unternehmungen waren eingeleitet, Handlungshäuser hatten ihre Spekulationen darauf eingerichtet, daß Alles den alten Fortgang nahm. Ich wagte Alles daran, wenn ich plötzlich mit der Vergangenheit brach, ein einziges Gerücht, das zu meiner Familie drang, erschien mir ebenso gefährlich, als das Ertapptwerden auf der Pascherei. Und ich sollte den Grenzjägern den Triumph gönnen, vor ihnen zu fliehen, sollte ein Leben aufgeben, das mit seinen Gefahren einen leidenschaftlichen Reiz für mich hatte?

Und dennoch, ich hätte vielleicht das Wagniß unternommen, wenn nicht jene Nacht bei Nachod einen Fluch auf mich gelegt, der es mich nicht mehr wagen ließ, jemals wieder Frieden der Seele zu finden.

Ich hatte vor Ausbruch des Krieges einen Waarentransport übernommen und da ich eben so wenig als die meisten Kaufleute daran glauben mochte, daß es wirklich zum Kriege kommen werde, ließ ich mich durch die Ansammlungen von Truppen nicht stören. Da wurde die Grenze gesperrt, ich mußte meine Waaren bergen, bis, wie ich erwartete, der Oesterreicher in Schlesien eindringen werde. Es kam anders, der Sturm brach in das Böhmerland, man requirirte meine Pferde, die Wagen, man nahm den Wein, der einen Theil der Frachtgüter ausmachte und den vergraben zu lassen ich keine Zeit gehabt. Die Dörfer waren zusammengeschossen und viele Hütten niedergebrannt, in denen ein Theil meiner Leute ihre Habseligkeiten geborgen. Mir kam es darauf an, die Nacht zu benutzen, um die im Walde geborgenen Waaren vom Kriegsschauplatz zu entfernen und in Sicherheit zu bringen, aber meine Leute waren auf's Schlachtfeld geeilt, die Todten zu plündern, sie folgten darin dem Beispiel der Dorfbewohner.

Bei der Liebe, die ich zu meiner Familie hege und das ist für mich das Heiligste auf Erden, schwöre ich Ihnen, daß mich Ekel vor mir selbst erfüllte, als ich sah, wie Leute, die in meinem Brote standen, der scheußlichsten Habgier fröhnten. Ich bat, ich flehte, man hörte mich nicht, ich drohte und man verspottete mich. Man wußte, daß ich Keinen anklagen würde, der Spießgeselle der Pascher mußte auch der Spießgeselle der Leichenräuber werden, oder er überlieferte sich selber dem rächenden Gesetz.

Ich ritt von Ort zu Ort, von einem Haufen zum andern, überall dasselbe versuchend und überall ward ich verspottet. Der Förster, den man verhaftet, der Mensch, den ich vom Galgen gerettet, antwortete mir, als ich von ihm wenigstens einigen Beistand zu finden hoffte, ich hätte wohl schon genug, um Anderen ihre Beute nicht zu gönnen, er nannte meinen Namen und aus einem Leichenhaufen erhob sich ein verwundeter Offizier, der sich vor den Räubern wohl todt gestellt, ergriff eine am Boden liegende Uhlanenlanze und stach nach mir.

Aber Sie irrten sich, ich habe nicht auf den Mann geschossen, sondern der Förster that es, ich hätte nicht die Kraft dazu gehabt, ich kannte den Mann, wir hatten zusammen oft beim Becher gesessen –!

Der Förster schoß zwei Mal, denn die erste Kugel fehlte.

Ich bin zu Ende mit meiner Beichte. Furchtbar hat sich an mir der alte Spruch bewährt, daß das der Fluch des Bösen ist, daß es sich fortzeugend Böses gebären muß. Hätte ich mir damals, als ich meine Lage in all ihrer Gräßlichkeit schaute, eine Kugel durch den Kopf geschossen – es wäre besser gewesen, ich hätte mir furchtbare Qualen erspart. Aber ich zitterte, man könne den Meinen die Ursache meines Selbstmordes erzählen. Die Schurken wußten ja, daß meine arme Frau kein Opfer, das sie forderten, scheuen werde, meinen Namen vor Schande zu bewahren. Ich war den Handlungshäusern, mit denen ich in Verbindung stand, Aufklärung schuldig, jede Recherche hätte mein dunkles Geheimniß verrathen.

Um der Meinen willen, um sie zu schützen vor dem Fluch der Schande, um zu verhindern, daß sie erfuhren wer ich war und was ich getrieben, ertrug ich mein Dasein und was ich gelitten, ist wahrlich eine Buße, wie sie die Hölle nicht besser erfinden kann.

Ich war der Genosse von Menschen, vor denen ich mich ekelte, vor denen ich Grauen empfand und in ihrer Hand lag es, all das stille Glück, den Frieden meiner Familie zu zerstören!

Mit furchtbarem Hohn gegen das Schicksal, das mich zu dieser Marter verdammt, versuchte ich den Ekel vor denen zu überwinden, in deren Genossenschaft ich angekettet wie ein Galeerensclave lebte, im Stillen aber löste ich eine Verbindung nach der andern, um allmälig frei zu werden, ich war zu allen Opfern entschlossen, da begegnete mir eines Tages der Sohn jenes Grenzjägers, der meinen Vater erschossen, er stellte mich, ohne daß er ein Recht dazu hatte, denn er war nicht in seinem Revier und ich hatte keine Waaren bei mir, er drohte mit der Waffe und ich brauchte Nothwehr – ich streckte ihn nieder mit einem Revolver, den ich bei mir getragen, seit dem Tage wo man mich gezwungen, dem Leichenraube geduldig zuzuschauen! –

Was weiter erfolgt, ist Ihnen bekannt. Daß der Förster meine Schuld auf sich genommen, ist mir nur dadurch erklärlich, daß er wohl geahnt, wer die That vollbracht und Dank von mir erwartete. Vielleicht auch wollte er sterben und vorher sühnen, was er mir in jener Nacht bei Nachod gethan, ich weiß es, daß der Mord an dem Offizier schwer auf seiner Seele gelastet.

Ich bereue es nicht, den Sohn des Mannes erschossen zu haben, der mir den Vater getödtet. Er war im Unrecht, er forderte mich heraus, er griff zuerst zur Waffe, und ich war auf meinem Grund und Boden. Das Gesetz würde mich freisprechen müssen, wenn es nicht parteiisch für seine Bediensteten wäre.

Was aber schwer auf mir ruht, schwerer als eine Blutschuld, das ist der Gedanke an den Betrug, den ich geübt an den Seelen meiner Kinder. Der Gedanke, daß sie für die Schuld des Vaters leiden, daß sie dem fluchen könnten, der sie erzeugt und dem sie das einzige Glück seines Lebens gewesen, der ist schrecklicher als die Seele zu fassen vermag.

Sie sagten: Die Schuld der Väter räche sich an den Kindern in's dritte und vierte Glied, Sie riefen mir dies grausame Wort der Schrift in's Antlitz – nehmen Sie es zurück – es ist nicht wahr, es kann nicht wahr sein, denn sonst wäre es ja Grausamkeit, Sünde und Verbrechen, Kinder zu zeugen –

Wer ist ohne Sünde und wer möchte ohne zu weinen Kinder an sein Herz drücken, wenn sie den Fluch seiner Thaten tragen sollen, wer mordete nicht lieber das junge Leben, als daß er es preisgäbe dem Elend und dem Fluch!

Möge die ewige Gerechtigkeit an mir, der ich ein Spielball des Unglücks gewesen, all ihren grausamen Zorn erproben und mich zermalmen, aber ich will frohlocken, wenn ich damit meine Kinder frei mache von dem Fluch, dem ich erlegen.

Nun richten Sie über den Mann von Nachod, wie Sie dies vor Ihrem Gewissen vermögen. Ich habe die Wahrheit gesprochen, nichts beschönigt.«



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