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XII.

Wir suchen Hallborn diesmal auf, da er jetzt seinen Charakter geändert und, anstatt zudringlich zu erscheinen, sich unsichtbar gemacht hat. Wir haben Hallborn weich gesehen, vielleicht zu offenherzig und human für einen Criminalbeamten, und doch war er Criminalist aus Neigung und nicht allein von Beruf.

Wie der leidenschaftliche Jagdliebhaber nicht aus Mordsucht dem Wilde nachgeht, sondern einen Triumph darin sucht, dasselbe zu überlisten, wie er keine Mühe, keine Strapaze scheut, um in Wind und Wetter der Spur zu folgen – wie der Mathematiker sich grübelnd in die Gesetze der Geometrie vertieft und rechnet und den Kopf anstrengt, den Beweis für einen klaren Satz zu finden oder das alte Räthsel von der Quadratur des Cirkels zu lösen – wie der Naturforscher analysirt und das lauschende Ohr an die geheimnisvolle Werkstätte der Natur zu legen versucht, um durch jahrelanges Forschen einen Schritt weiter zu kommen –: so rechnet, grübelt, lauscht, beobachtet der Criminalist das Treiben der Menschen, deren Spuren er verfolgt, und zieht seine Schlüsse und sucht die Fäden des Gewebes, das eine dunkle That gesponnen, bis endlich es klar vor seinen Augen wird und überall, wo die Schatten des Verdachts dunkle Kreise gezogen, die Beweismomente in deutlichen und bestimmten Formen hervortreten, die Glieder ineinander greifen und die folgerechte Kette aus Ursache und Wirkung greifbar darliegt.

Der Criminalist kann als Mensch Mitgefühl mit dem Menschen haben und doch mit der ganzen Passion eines enragirten Schachspielers alle seine Gedanken dahin richten, durch kombinirte Züge sein Opfer matt zu setzen vor dem Ankläger des Gerichts. Er denkt nicht an das Opfer, sondern an das Aufgeben seiner Rechnung, und wo er einen Verdacht gefaßt, da hat er den Krieg erklärt, da folgt er dem Opfer wie der Jagdhund der Spur des Wildes, da ist ihm kein Verhältniß zu heilig, um die Fühlhörner seiner Neugierde hineinzustecken, er drängt sich zwischen Eltern und Kinder, Mann und Weib, er belauscht die Seufzer des Sterbenden, stört die Todten aus ihrer Ruhe.

Hallborn hatte nicht den Schein eines Beweises, als er seinen Argwohn auf Steinert geworfen und doch klammerte sich sein Verdacht an diesen Mann und ließ ihn nicht los, selbst als ein Anderer des Verbrechens geständig war, dessen er Steinert beschuldigte. Das war der Instinkt des Jägers, der ihn wie einen Schatten an die Ferse Steinert's heftete.

Wir erwähnten schon oben seiner Worte, daß das Gesetz Beweise für ein Verbrechen fordere, ehe es den Schuldigen richte, das freiwillige Geständniß des Schuldigen gilt nichts vor dem Richter, wenn er es nicht belegen kann. Diese Einrichtung ist weise, sie verhindert, daß ein Unschuldiger sich für den Schuldigen opfert oder gar um Gold und Lohn die Strafe für denselben leidet.

Hallborn ließ sich nicht dadurch irritiren, daß der Förster sich als Mörder bekannt – hätte er seinen Verdacht in Folge dieses Geständnisses fallen lassen und der Förster widerrief sein Geständniß nach einigen Wochen, oder konnte es nicht beweisen, so war ihm unterdessen sein Wild entschlüpft. Und wie der Jäger an der für Andere kaum merklichen Fährte, wie der Jagdhund am Geruch die Spur des Wildes entdeckt, so hatte Hallborn seinen Verdacht auf Steinert geworfen, seit er diesen Mann gesehen und beobachtet und mehr als sichtbare und greifbare Verdachtsmomente überzeugte ihn das scheue, unsichere, inconsequente Benehmen dieses Mannes von seiner Schuld – er befolgte das fürchterliche System, sein Wild so lange zu hetzen, bis es erschöpft, betäubt, angstzitternd sich selber verrieth.

Das Raffinement eines alten Schmugglers wie Steinert hätte jedes directen Angriffs gespottet, aber Hallborn machte ihn da mürbe, wo seine Achillesferse war, er störte ihn in seiner häuslichen Ruhe, ließ ihn die Gespenster seiner Verfolger nur ahnen und hütete sich wohl, ihm mit directer Anklage zu nahen und es so in seine Hand zu legen, ob er den Verdacht vernichten könne oder nicht. Der Verbrecher wagt Alles, wenn er seinen Feind vor sich, der Gefahr in's Auge sieht, aber es wird ihm unheimlich, wenn er nicht weiß, von welcher Seite man ihn angreift, und wenn die Schergen des Gesetzes zögern, zuzugreifen. Ungeduld und Ungewißheit erschöpfen ihn und er wird mürbe.

Man hatte Steinert's Förster verhaftet, man hatte Haussuchung bei ihm gehalten und es war, als ob er, der doch die beste Auskunft geben konnte, gar nicht für den Untersuchungsbeamten existire. Niemand befragte ihn, man lud ihn zu keinem Verhör, man hatte ihn ruhig abreisen lassen, aber diejenigen, die an fremdem Orte ihm genaht, wußten, was über ihm schwebte. Noch hatte ihn Niemand angegriffen und schon ergriff er die Flucht. Diese Flucht war es, die Hallborn die Gewißheit des Verdachtes gab, den schon der Umstand bestätigt hatte, daß er in seiner Unruhe keinen Rath gesucht und nichts gethan, Klarheit darüber zu gewinnen, warum man ihn nicht verhöre.

Hallborn hatte, um die für seine Schritte nöthigen Vorbereitungen zu treffen, den Polizeivorsteher des Ortes aufsuchen müssen und es war ihm darüber entgangen, was Steinert getrieben, als er seine Wohnung auf mehrere Stunden verlassen. Um so eifriger war er jetzt bemüht, ihn nicht mehr aus den Augen zu verlieren.

Der österreichische Polizeivorsteher hatte sich nicht grade entgegenkommend gezeigt und Hallborn argwöhnte, daß die ihm endlich zugesagte Unterstützung nicht völlig zuverlässig sein werde. Er konnte nichts destoweniger dem Beamten seinen Mangel an Eifer nicht verdenken, wenn er sich in die Lage desselben versetzte. Die Polizeibeamten der Badeorte sind mit der Instruktion versehen, die Kurgäste vor Belästigungen zu schützen, für ihre Sicherheit und die ihres Eigenthums zu sorgen. Die Kurgäste machen die Existenz des Badeortes möglich, bleiben sie aus, oder werden sie verscheucht, so ist der Ort ruinirt, der Polizeibeamte des Badeortes hütet sich daher wohl, in einem Kurgast Alle zu kränken und konnte mit Recht sagen: »Wenn die preußische Polizei von dem Herrn Steinert etwas gewollt, so hätte sie das abmachen können, ehe sie ihn über die Grenze gelassen.«

Hallborn konnte nur darthun, daß gegen Steinert eine Untersuchung wegen Zolldefraudation spiele, daß der Verdacht eines Mordes keinen greifbaren Halt habe, er aber beauftragt sei, Steinert zu beobachten. Der österreichische Beamte konnte kein Interesse dafür haben, auf die Gefahr hin, alle Kurgäste durch eine auffällige Handlung gegen Steinert zu verletzen, einen vielleicht grundlosen und nur aus allzu großem Eifer stammenden Verdacht des preußischen Beamten besonders zu unterstützen. Das in Rede stehende Verbrechen war jenseit der Grenze begangen, Schmuggler liefert eine Regierung der anderen nicht aus und der Antheil Steinert's am Morde war nicht erwiesen, die Möglichkeit war demnach vorhanden, daß der preußische Beamte den Verdacht absichtlich übertrieb, um sich die Person des Schmugglers nicht entgehen zu lassen.

Hallborn war weit entfernt, zu argwöhnen, daß Steinert bereits den Beamten für sich eingenommen, dieser Versuch wäre zu gewagt gewesen, um mit dessen sonstiger Klugheit zu harmoniren, aber Hallborn war darum desto sicherer, daß Steinert bei der ersten Gelegenheit, wo er – Hallborn – seinen Charakter als preußischer Beamter gegen ihn geltend mache, den Schutz der österreichischen Behörden gegen ihn aufrufen werde und er war daher genöthigt, die äußerste Vorsicht zu gebrauchen.

Die Beamten fremder Nationen unterstützen einander gegenseitig, aber nur soweit dies das beiderseitige Interesse gebietet und auf die Anzeige Hallborns hin, daß Steinert einen zur Defraudation eingerichteten Koffer bei sich führe, konnte er darauf rechnen, daß man ihn wenigstens so weit unterstützen werde, diesen Koffer nicht anders als auf einer Steuerstraße über die Grenze zu lassen.

Da Steinert einen Wagen nach X. gemiethet, dieser Ort aber nur wenige Meilen von der Grenze entfernt liegt und der Knotenpunkt zweier Bahnlinien ist, so war der österreichische Beamte dazu bereit, den betreffenden Zollämtern der Grenze das Avertissement der Denunciation Hallborn's zu geben.

Als Hallborn jedoch feinen Verdacht aussprach, Steinert könne den gemietheten Wagen benutzen, mit ihm über die Grenze zu fahren und von irgend einer Poststation aus die Flucht ergreifen, aus diesen Gründen dann um Unterstützung durch Gendarmen bat, erklärte der Beamte, daß ein solches Einschreiten über seine Befugnisse gehe. Erst nach langem Sträuben hatte er sich dazu bereit erklärt, Hallborn einen Polizeidiener zur Disposition zu stellen, durch den er, wenn sein Verdacht sich bestätige, in dem Falle, daß Steinert auf österreichischem Boden ungesetzliche und verdächtige Mittel anwende, seine Koffer über die Grenze zu schaffen, ihn zur Verantwortung ziehen oder die nöthige Hülfe zum Einschreiten requiriren könne. Hallborn hatte dagegen versprechen müssen, jedes unnütze Aufsehen zu vermeiden und eventualiter die Verantwortung alles dessen, was geschehe und Steinert zu einer Klage berechtigen könne, auf sich zu nehmen.

Hallborn war überzeugt, daß Steinert sich zu einer Flucht entschlossen habe und seine Effekten irgendwo im Stich lassen werde, während er ursprünglich die Absicht gehabt, diese durch seine Familie über die Grenze zu schaffen. Der doppelte Boden des Koffers, so schloß er, enthält keine Zollwaaren, sondern Kleider und Toilettenartikel, mit denen der Flüchtige sich unkenntlich machen kann, um plötzlich vor den Augen des Verfolgers zu verschwinden.

Die Denunciation der beabsichtigten Zolldefraudation war hiernach nur ein Mittel für ihn gewesen, Unterstützung der österreichischen Polizei zu erhalten und es kam dem Criminalisten nur darauf an, Steinert nicht aus den Augen zu verlieren. Ergriff derselbe in einer Verkleidung mit Zurücklassung seiner Effekten die Flucht, so hatte Steinert sich selbst dem berechtigten Argwohn preisgegeben und seine Verhaftung stand jeder Polizeibehörde frei, es mußte ihm aber schwer werden, die plötzliche Flucht zu erklären, ohne den Beweis eines geängsteten Gewissens zu geben.

Hallborn war so überzeugt von der Richtigkeit seiner Combination, daß er auf die Vereitelung dieses Fluchtversuchs seinen ganzen Plan stützte, die Beobachtung der Gemüthsstimmung Steinerts, die sich vorzüglich in den nächtlichen Scenen zu erkennen gegeben, ließ ihm keinen Zweifel daran, daß Steinert in der Flucht sein Heil suchen werde und es nicht wage seinen Anklägern die Stirn zu bieten.

Somnitz und Walter erreichten die Anhöhe, über welche die Landstraße nach X. führt; es war zehn Uhr Abends, aber vom hellen Mondschein beleuchtet lag der Badeort unter ihnen, in nächtlichem Silberglanz umwallt vom flatternden Nebelmantel der Nacht. Auf einer Steinbank saß ein Wanderer, den Ranzen um die Schultern gebunden, den schweren Stab in der Hand und schaute den Weg hinab, als erwarte er Jemand aus dem Orte. Er lüftete die Kappe, als die Freunde sich näherten und bot ihnen in fremdartigem Accent einen guten Abend. Somnitz griff in die Tasche, ihm ein Scherfflein zu reichen, aber der Wandersmann dankte.

»Ich bettle nicht,« sagte er plötzlich mit völlig veränderter Stimme, »aber ich bitte Sie in's Gebüsch zu treten, dort kommt Steinert und wenn er Sie erkennt, schöpft er Argwohn gegen mich!«

Die Stimme war die des Criminal-Beamten, aber er selbst war nicht zu erkennen. Die Dunkelheit mochte etwas dazu beitragen, daß man die Kunstmittel nicht sah, die er angewandt, sich unkenntlich zu machen, aber selbst jetzt, wo sie wußten, wen sie vor sich hatten, gestanden sich die Freunde, daß sie eine so vollendete Maskirung nicht für möglich gehalten hätten und sagten ihm das.

»Dawison hat mir das Geheimniß gelehrt und ich freue mich, Ihr Compliment zu hören,« sagte Hallborn, »jetzt bin ich Steinert's um so sicherer. Ich bitte, stören Sie nicht mein Vorhaben.«

Die Freunde traten hinter ein Gebüsch an der Heerstraße und harrten in gespannter Erwartung der Dinge, die kommen würden.

Ein Reisewagen rollte langsam den Berg hinan, Steinert saß darin. Der Wagen war offen, Steinert hatte dies ausdrücklich so bestellt. Der Koffer war am hinteren Trittbrett angeschnallt und mit einem Segeltuch bedeckt. Steinert saß in seinem Mantel gehüllt und schien es nicht zu bemerken, daß der Wandersmann in dem Augenblick, wo die Pferde auf der eben gewordenen Straße frischer anzogen, sich mit der Gelenkigkeit einer Katze dem Wagen näherte und sich hinten an das Trittbrett klammernd als blinder Passagier einfand. Etwa hundert Schritte hinter diesem Wagen folgte ein anderer, in diesem saß gleichfalls nur ein Reisender. Dieser Wagen war nicht mit Gepäck belastet.

Wir folgen den Wagen.

Der Weg führte durch einen Wald, bergauf, bergab, der zweite Wagen folgte dem ersten in einer gleichen Entfernung und obwohl Steinert sich öfter nach demselben umsah, schien er nicht zu bemerken, daß er einen ungebetenen Fahrgast hatte, obwohl der Schatten desselben sich deutlich von dem des Wagens abzeichnete.

Der Weg wurde sehr steil, die Pferde keuchten, Hallborn glitt vom Trittbrett nicht ohne Geräusch hinab und ging hinter dem Wagen her, indem er seinen Ranzen auf das Brett stützte.

Steinert schaute sich um, sein Blick schien den Wandrer zu mustern und vom Resultat befriedigt zu sein.

»Landsmann,« sagte er, »wenn wir auf dem Berge sind, könnt Ihr Euch aufsetzen, an meinem Koffer leide ich Euch nicht.«

»Der gnädige Herr sind sehr gütig, aber Sie brauchen einen armen Reisenden nicht für unehrlich zu halten.«

Hallborn sprach in dem Dialekt der böhmischen Grenzbewohner, sein Antlitz zeigte Steinert kühne Züge, von der Sonne gebräunt, er konnte für einen unternehmenden, verwegenen Gesellen gelten.

»Was ist Euer Metier?« fragte Steinert.

»Ich bin Schlosser, Ew. Gnaden, bitte; aber es geht halt schlecht mit der Arbeit im Gebirg und man müßte verhungern, wenn nicht das Hausiren mit Zierrathen für die Weibsbilder etwas abwürfe.«

»Was sind das für Zierrathen?«

»Ich mache Schlüsselhaken, Haarnadeln mit Knöpfen von böhmischem Glas und handle damit über die Grenze in's Bairische hinein.«

»Wie kommt Ihr denn hierher?«

»Habe mir frischen Vorrath an Glassteinen verschafft, Ew. Gnaden.«

»Da seid ihr ja mehr als ein gewöhnlicher Schlosser! Steigt in den Wagen und erzählt mir von Eurem Treiben. Ich interessire mich für Leute, die sich selber zu helfen wissen.«

Hallborn gehorchte; der Köder, den er damit ausgeworfen, daß er sagte, er handle über die Grenze, hatte gezogen. Steinert fragte ihn über Mehreres, auch darüber, ob seine Waaren nicht versteuert werden müßten.

Hallborn antwortete ausweichend, um in Steinert den Verdacht zu erwecken, daß er schmuggele und es gelang ihm dies vollständig.

»Wo wollt Ihr hin?« fragte Steinert, dessen Blicke Hallborn verstohlen beobachtete.

»Nach S…«

»Wo liegt das?«

»Drei Stunden von K. im Bairischen.«

»Führt die Bahn dort vorüber?«

»Nein, es liegt seitwärts und zu Fuß hätte ich eine Stunde näher, wenn ich vom nächsten Dorfe links abbiege. Wenn aber Ew. Gnaden die Güte haben, mich bis X. mitzunehmen, so komme ich besser fort.«

»Wie weit ist von S. bis zur nächsten Bahnstation?«

»Eine halbe Stunde.«

»Wenn man den Weg fährt, den Ihr nach S. gehen würdet, wie viel Zeit gebraucht man da?«

»Eine halbe Stunde, Ew. Gnaden.«

»Wie heißt der nächste Ort diesseits der Grenze und giebt es da einen Gasthof?«

»Gewiß, Ew. Gnaden, aber er ist schlecht im Stand.«

Steinert schien in Gedanken versunken. Immer wieder hatte er sich nach dem Wagen umgesehen, der dem seinigen folgte und sich stets in gleicher Entfernung hielt. Plötzlich richtete er sich auf, so daß er sich über Hallborn, der auf dem Rücksitz Platz genommen, hinbog und sprach mit dem Kutscher.

»Ich verdoppele Euren Lohn,« sagte er, »wenn Ihr mich nach – wie heißt der Ort?« fragte er Hallborn, »fahrt.«

»Bieldorf,« sagte dieser.

»Also nach Bieldorf, nicht nach X., Kutscher. Seid Ihr's zufrieden?

»Wenn Ew. Gnaden den Fuhrlohn verdoppeln, kann's mir recht sein. Es ist aber schlechter Weg, es geht durch's Gebirg.«

»Abgemacht!«

Steinert setzte sich nieder. Hallborn hatte, als Steinert sich über ihn gebogen, den Kopf so gebeugt, daß er mit der Stirn dessen Brust berührte und gefühlt, daß Steinert in der Brusttasche einen Revolver berge. Es war ihm aber auch, als ob das Auge Steinert's lauernd auf ihm ruhe und ihn verstohlen schärfer beobachtete als vorher.

»Wollt Ihr einen guten Nebenverdienst auf Eurer Reise machen?« fragte Steinert flüsternd und in anscheinend vertraulicher Weise.

»Ew. Gnaden, da greife ich mit beiden Händen zu.«

»Ihr kennt die Fußwege über die Grenze?«

»Ja, Ew. Gnaden; ich glaube zu errathen, was Sie meinen.«

»Möglich, aber wir sprechen später darüber.«

Man hatte das Dorf erreicht, wo der Weg links abbog. Steinert's ganze Erwartung schien darauf gespannt, zu sehen, ob der andere Wagen der neuen Richtung folge und als dies geschah, bemerkte Hallborn ihn zusammenzucken.

In dem zweiten Wagen saß, wie der Leser wohl schon errathen, der Polizeidiener, der Hallborn zur Disposition gestellt war. Wenn Steinert Hallborn nicht in seinem Wagen aufgenommen oder vom Trittbrett vertrieben hätte, so wäre Hallborn nichts Anderes übrig geblieben, als in jenem Wagen sein Fortkommen zu suchen.

Steinert hatte Argwohn gegen den Insassen jenes Wagens, das war unzweifelhaft, aber es schien Hallborn, als ob er auch gegen ihn Verdacht gefaßt, obwohl der Criminalbeamte nicht errathen konnte, wodurch er dazu Veranlassung gegeben haben könne.

»Ihr führt da einen derben Stock,« sagte Steinert plötzlich. »Lassen Sie doch einmal sehen.«

Hallborn bemerkte, daß Steinert seine Hände betrachtete, als er ihm den Stock reichte, aber er hatte dieselben in einen solchen Zustand gesetzt, daß ihre Reinheit ihn nicht verrathen konnten.

»Der Stock ist im Nothfall eine gute Waffe,« sagte Steinert, denselben prüfend, »er ist mit Blei gefüllt.«

»Wer seine Waaren schützen muß, Gnaden, muß sich auf seinen Stock verlassen können.«

»Zeigt doch einmal Eure Waaren. Ich bin neugierig, sie zu sehen.«

Hallborn öffnete den Ranzen.

»Für Ew. Gnaden,« sagte er, »ist nichts darin, was ich anbieten könnte, es sind nur bunte Glassteine.«

Hallborn zeigte dieselben, es waren ihrer sehr wenig.

»Lohnten diese wenigen Steine eine weite Reise?« fragte Steinert, »aber ich sehe, Ihr habt auch Euer Zeug nicht im Ranzen.«

»Ew. Gnaden haben scharfe Augen, aber Sie werden mich nicht verrathen, wenn ich sage, daß der Ranzen doch nicht leer über die Grenze kommt.«

»Ich verstehe, Ihr habt ihn voll herüber gebracht und er wird sich füllen, ehe Ihr heimkehrt.«

»So ist's, Ew. Gnaden,« antwortete Hallborn lachend.

»Ist Euer Geschäft eilig oder könnt ihr mir Euern Ranzen gegen guten Lohn zur Füllung übergeben?«

»Ew. Gnaden,« antwortete Hallborn, »ich gehe heute Nacht von Vieldorf noch drei Mal nach S. hin und her, wenn's mir etwas einträgt.«

»Abgemacht. Ihr sollt gut bezahlt werden, aber wird es im Gasthof kein Aufsehen machen, wenn Ihr auf mein Zimmer kommt?«

»Gnaden, die Wirthe an der Grenze sehen nicht, was sie nicht sehen wollen, aber Jeder wird Ihnen dafür bürgen, daß Sie sich auf mich verlassen können und Ihre Waare da finden werden, wo ich sie hintragen oder abgeben soll.«

Hallborn konnte dies versprechen, er wußte, daß Steinert weder eine Nachfrage halten werde, noch daß er überhaupt Zollsachen zu paschen habe, er wollte ihm nur das Anerbieten erleichtern, das er erwartete. Und er täuschte sich nicht. Steinert fühlte sich dadurch beruhigt, daß Hallborn sich auf das Zeugniß der Grenzwirthe berief, er mußte ihn für einen Schmuggler halten.

»Es bedarf nur eines Ganges über die Grenze,« sagte er, »aber ohne gerade Mißtrauen in Euch zu setzen, möchte ich doch dabei sein, wenn meine werthvollen Effekten aber die Grenze gehen, und ich werde Euch begleiten.«

»Und Ihre Koffer, Ew. Gnaden?«

»Ihr sagtet ja, der Weg sei nicht weit. Ich kehre in der Nacht zurück und fahre am andern Tage offen über die Grenze.«

»Das ist sehr gut, Ew. Gnaden, und ich will Sie so aus dem Gasthofe und wieder zurückführen, daß Niemand Sie bemerken soll.«

Steinert besprach mit Hallborn den Lohn, den er ihm schulde und nun stockte das Gespräch.

Der zweite Wagen folgte noch immer dem ersten.



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