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Man hatte in einer Laube Platz genommen und Somnitz begann seine Erzählung, nachdem er sich Steinert gerade gegenüber gesetzt, in scheinbar unbefangenem und heiterem Tone.
»Herr Steinert,« sagte er, »ich bin zwar öffentlicher Ankläger und als solcher verpflichtet, die Gesetze in ihrer ganzen Strenge zu nehmen, aber als Privatmann weiß ich sehr wohl, wie gern man die Accise umgeht und wie es oft dem Kaufherrn unmöglich ist, der Concurrenz Trotz zu bieten, wenn er die Zölle bezahlt. Reisende aller Stände paschen und es ist das so gebräuchlich, daß derjenige, der allzu streng darüber urtheilt, ein großer Neuling sein müßte; ich spreche Ihnen daher ganz unbefangen meine Theilnahme aus, obwohl ich Staatsanwalt bin.«
»Ich danke Ihnen dafür,« sagte Steinert vergnügt. »daß Sie dies in Gegenwart meiner Kinder thun, die mich im Stillen gewiß härter beurtheilt haben, als ich es verdiene. Mein Gott, ich habe gethan, was Andere, denen ich Concurrenz machen muß, ebenfalls treiben und habe Malheur gehabt. Es soll mir eine Warnung sein und lieber will ich mich von allen Geschäften zurückziehen als mich noch einmal solchen Unannehmlichkeiten aussetzen.«
»Ich hörte von Herrn Hallborn,« fuhr Somnitz fort, »daß Ihre Leute so unvorsichtig waren, Widerstand zu leisten.«
»Leider Gottes! und das Schicksal, das ihnen droht, legt mir eine schwere Verantwortung auf die Seele; die Leute glaubten in meinem Interesse zu handeln.«
»Ihr Förster ist verhaftet worden. Darf ich fragen, ob Sie die Vergangenheit dieses Mannes kennen?«
Steinert horchte auf.
»Ich kenne sie,« antwortete er, »wie man eben die Vergangenheit seiner Dienstleute kennt, aus Attesten, die nicht immer ehrlich geschrieben werden. Hätte ich geahnt, was es für ein verzweifelter Bursche ist, ich hätte ihn nie gemiethet.«
»Die Personalbeschreibung dieses Mannes, die mir Hallborn gegeben, – woher er sie hat, ist mir ein Rätsel, – hat mich auf einen Argwohn gebracht, der mich unablässig heute beschäftigt. Darf ich Ihnen die Geschichte erzählen, damit Sie darüber urtheilen, ob der Mann des Verbrechens, dessen ich ihn anklage, fähig sein kann? Ich hatte schon große Lust, hinzureisen, um ihn mir anzusehen, aber ich sagte mir auch wieder, daß ein herrschaftlicher Förster, wenn er auch in der Leidenschaft Blut vergießen kann, doch nicht auf der Stufe des Lasters stehen könnte, auf die ihn mein Argwohn hinsetzen will. Der Mann, der mir in der Erinnerung vorschwebt, muß dem Abschaum der Menschheit angehören und kann nicht den Bildungsgrad eines Försters besitzen.«
Steinert war bei den ersten Worten bleich geworden, aber er beherrschte sich jetzt völlig, als er erwiderte, er habe sich so sehr im Character des Försters geirrt, daß er für nichts einstehen wolle und das rasche Geständniß, daß derselbe abgelegt, beweise, daß er des Lebens satt, vielleicht ein Urtheil wünsche, um aller Gewissensbisse und ihrer Qual überhoben zu sein.
»Der Mann hatte etwas in seinem Gesicht,« schloß er, »was mir die Lust verleidete, mit ihm auf die Jagd zu geben, aber in seinem Dienst war er eifrig und diensttreu.«
»So hören Sie denn meine Geschichte,« ergriff Somnitz wieder das Wort, »sie bezieht sich auf den Tag, an dem ich verwundet wurde. Das Corps des General Steinmetz, zu dem ich gehörte, debouchirte durch die Pässe bei Nachod, wurde dort mit mörderischem Feuer empfangen und es kostete uns einen heißen Kampf, ehe wir das Feld behaupteten; jeder Schritt war mit Blut erkauft. Der Tag neigte sich schon, als ich beim Vorrücken durch ein Kornfeld von einer Kugel getroffen wurde und wohl unbemerkt von meinen Leuten im hohen Korn zusammenbrach. Als mir das Bewußtsein zurückkehrte, war es Nacht geworden, ruhig und still lag das Schlachtfeld, auf dem der Kampf getobt, verlassen von den Streitern, in weiter Ferne sah ich die Wachtfeuer am Horizonte glühen. Da Krankenträger-Compagnieen die Armee begleiten und die Verwundeten sofort vom Leichenfelde auflesen, gerade an dieser Stelle aber der Kampf weniger heftig getobt hatte, so überkam mich die entsetzliche Ahnung, man habe diesen Theil des Schlachtfeldes schon abgesucht und mich nicht gefunden. Ich war zum Tode ermattet, durch Blutverlust erschöpft, brennender Durst machte die Zunge klebrig am Gaumen und in den Adern brannte es wie Feuer, während die Glieder im naßkalten Nachtwinde vor Frost zitterten. Ich versuchte mich aufzurichten, aber es gelang mir nicht und in der Gewißheit, daß man mich im Korn nicht finden werde, wenn überhaupt noch mitleidige Seelen sich nähern sollten, kroch ich vorwärts, mit unsäglichen Schmerzen, denn die Halme stachen mich in die Wunde.
Die Verzweiflung gab mir übernatürliche Kräfte. Der Gedanke, daß Hülfe in der Nähe sein müsse und daß ich sterben könne, weil die Suchenden mich nicht finden könnten, der Gedanke an einen qualvollen Tod vor Durst und Ermattung, war entsetzlich.
Ich schleppte mich ein Stück vorwärts, da hörte ich Menschenstimmen und ein Hoffnungsstrahl füllte meine Brust, ein Ruf von mir konnte sie aufmerksam machen, konnte mich aus meiner hülflosen Lage befreien. Es ist schon ein Trost, Menschen in der Nähe zu wissen, wenn man wie ein lebendig Begrabener sich allein mit dem Gespenst des Todes gesehen, das wie eine Spinne ihr Gewebe um uns zieht und die langen Arme nach uns ausstreckt. Der Klang der Stimme eines Menschen ist uns ein Harfengetön, er zeigt uns ja die Nähe eines Wesens, das Fleisch von unserm Fleisch, das fühlt wie wir und möge es noch so habgierig, entartet, verworfen sein, es hat mit dem Unglück Erbarmen oder Mitleid um des Lohnes willen!«
Somnitz machte eine Pause, sein Blick beobachtete Steinert, aber – fühlte dieser das durchbohrende desselben nicht oder war er gestählt gegen solche Schilderungen, seit er sich schwach gezeigt – derselbe Mann, der heute Mittag bei der Erinnerung an das Blutvergießen im Kriege seltsam erschüttert gewesen, schaute kalt und ruhig darin.
»Ich ahne was kommen wird« – sagte er, als sein Auge dem Blick Somnitzen's begegnete. »Es waren nicht Menschen, die Sie sahen, sondern Hyänen.«
»Schlimmeres, denn sie hatten die Gestalten und die Sprache von Menschen. Schon wollte ich, wie gesagt, einen Hülferuf ausstoßen, als mir das seltsame, unheimliche Treiben dieser Gestalten auffiel, die wie Schatten der Nacht, wie Gespenster über das Feld glitten, sich hier und dorthin stürzten, niederbückten und weiter eilten. Sie kamen näher. Es raschelte unheimlich, die Gestalten flüsterten in czechischer Sprache und ich sah, daß es Leichenräuber waren, die mit unersättlicher Gier die Todten plünderten. Ich sah wie sie die leblosen Körper roh umherrissen, in schrecklicher Eilfertigkeit jedes Gefühl verleugnend, und fühlte, daß ich bei ihnen keine Hülfe finden werde, daß die Habgier kein Erbarmen kenne und die Furcht vor der Entdeckung sie bewegen müsse, einen Lebenden eher zu morden, als ihm zu helfen. Hatte ich vorher gebebt, einsam zu sterben, so zitterte ich jetzt, von diesen Menschen gefunden zu werden und machte meinen Revolver schußbereit, um mein Leben theuer zu erkaufen. Da hörte ich Pferdegetrappel. Ein Reiter kam, ich hoffte seine Erscheinung werde die Gespenster verscheuchen, aber ich irrte mich. Anfänglich duckten sie sich nieder, als sie ihn aber erkannten, fuhren sie in ihrem grauenhaften Geschäfte fort. Er rief ihnen in gedämpftem Tone Worte in czechischer Sprache zu, die ich nicht verstand, aber es schien mir, als ermuntere er sie zur Eile. Ich argwöhnte, daß die Leichenplünderer in seinem Solde arbeiteten, denn er schaute sich spähend um, ob auch keine Gefahr nahe und ich sah einen Revolver in seiner Faust blitzen. Hätte er gewollt, er hätte diese Elenden verscheucht, er that es nicht, er war also ihr Führer!«
»Entsetzlich!« murmelte Bertha. »Bei Gott, wenn es solche Menschen giebt, die auf Erden nicht die Gerechtigkeit ereilt, so muß man an die ewige Verdamniß glauben!«
Steinert zuckte bei diesen Worten seiner Tochter zusammen, aber er gab keine Antwort.
»Das Entsetzlichste bleibt mir noch zu schildern,« fuhr Somnitz fort. »Als der Mann über das Blachfeld ritt, sah ich plötzlich eine weiße Gestalt sich aufrichten, gleich darauf krachte ein Schuß, ein zweiter und die Gestalt brach zusammen, aber auch meine Kräfte waren erschöpft, ein Nebel umfing meine Sinne und als ich erwachte war es Tag, die Schatten der Nacht und ihre Schreckgespenster waren verschwunden. Es war mir, als habe ein furchtbarer Traum mich gefoltert, dem wachen Sinne erschien das Geschehene zu gräßlich, um daran zu glauben, aber als ich nach der Stelle hinsah, wo die weiße Gestalt sich erhoben, erblickte ich dort den blutbefleckten Mantel eines Österreichischen Reiteroffiziers und eine Leiche, die mit zerschmettertem Schädel gegen einen Baum gefallen und mit den todten Augen vor sich hinstarrte, als klage sie den Mörder vor Gottes Gericht, klage ihn auf Blut, ihn und Kind und Kindeskind, denn der Fluch einer solchen That erbt sich fort in's dritte und vierte Glied.«
Somnitz sprach dies mit feierlich düsterem Ton der Stimme, die jungen Mädchen schauderten vor Grauen, Steinert war aschfahl und sein Blick stierte wie gläsern vor sich hin.
»Von Kind zu Kind,« murmelte er, »in's dritte und vierte Glied! nein,« rief er in heiserem Tone, »das ist nicht wahr!«
»Die Schrift sagt es,« rief Somnitz, den flammenden Blick auf ihn heftend, »und die Geschichte beweist es, sie erzählt von Geschlechtern, auf denen der Fluch einer Schuld geruht, wie schleichendes Gift.«
Steinert schüttelte sich, als ob er aus einem Traum erwache und obwohl es in seinem Auge unheimlich funkelte, schien er doch die volle Fassung wieder erhalten zu haben.
»Ich glaube es nicht,« sagte er, »und wenn Bibel und Weltgeschichte zehn Mal mehr bewiesen. Wohl mag sich der Fluch forterben, wenn er vom Vater in das Gemüth der Kinder gesät wird, aber eine Gottheit, die gerecht handelt, wird die Schuld nicht an Schuldlosen rächen. Ich hoffe, Sie sprechen im Allgemeinen und denken nicht an den Mann, den Sie dieses Verbrechens beargwöhnen. Mein Förster – und ich errathe, daß Sie auf ihn einen schrecklichen Verdacht wälzen – hat einen Sohn, um den ihn Jeder beneiden kann. Dieser sollte büßen für die Schuld eines Vaters? nein, so grausam sind selbst die Menschen nicht, viel weniger der, von dem man sagt, daß er die Liebe sei! Aber sagen Sie mir, was Sie veranlaßt, an meinen Förster bei dieser Geschichte zu denken. Es steigen durch Ihre Worte Muthmaßungen in mir auf, mit denen ich einem Manne, der mir treu gedient, nicht Unrecht thun möchte.«
»Herr Steinert, ich äußerte meinen Verdacht nur mit Vorbehalt und hatte so wenig Gründe, ihm nachzuhängen, daß ich schwankte, ob ich hinreisen sollte, ihn mir anzusehen. Hallborn sagte mir, dieser des Mordes an einen Grenzjäger geständige Förster sei aus der Gegend von Nachod, trage einen schwarzen Vollbart, sei von untersetzter Natur und habe etwas Unheimliches in seinem Aeußern. Wie ich später, als ich von meiner Wunde genas, erfuhr, hatten alle Nachforschungen nach den Leichenräubern ergeben, daß es mit Ausnahme des Abschaums der Dörfer, Schmuggler gewesen sein müßten. Die geraubten Pretiosen, Waffen &c. fanden sich vielfach bei schlesischen Händlern und die Vermuthung liegt nahe, daß Ihr Förster auch auf eigene Hand Schmuggelhandel getrieben haben kann.«
»Möglich genug ist es, ich sah ihn oft mit sehr verdächtigem Gesindel im Verkehr, aber er sagte mir darüber, daß er die Leute kennen lernen müsse, um bei Holz- oder Wilddiebstahl die rechte Spur zu finden. Ich rathe Ihnen doch, Herr von Somnitz, sich den Mann anzusehen und bitte mir dann Ihre Meinung zu sagen, ich möchte nicht gern ein ungünstiges Urtheil über Jemand fällen, der dasselbe nicht verdient. Glauben Sie, im Stande zu sein, den Mann wieder zu erkennen, den Sie in jener Nacht gesehen, ich meine so, daß Sie mit einiger Sicherheit die Verantwortung für eine so schwere Anklage über sich nehmen können?«
»Ich habe ein Zeichen, an dem ich ihn gewiß erkenne,« versetzte Somnitz, Steinert fest in's Auge blickend, »so sicher, daß ich einen Eid auf meine Aussage leisten kann.«
Steinert wechselte diesmal auffällig die Farbe, aber er bemerkte dies selbst.
»Mich schüttelt ein Grauen bei dem Gedanken,« sagte er, »daß ein solcher Verbrecher in meinem Hause gewohnt haben sollte. Aber welches Zeichen können Sie haben?…«
»Verzeihen Sie, aber das ist ein Geheimniß, welches ich mir gelobt, nie zu verrathen, bis ich den Schuldigen damit dem Schaffot überliefern kann.«
Steinert starrte Somnitz an, seine Züge verzerrten sich zu einem eigenthümlichen Lächeln.
»Wenn das der Fall ist,« sagte er, »so sieht man den alten Spruch bewährt, daß Nichts so fein gesponnen, um nicht doch an das Licht der Sonnen zu kommen.«
Damit erhob er sich und wenn Somnitzens Argwohn oft genug rege geworden war, so mußte er jetzt doch wieder zweifeln, es erschien unmöglich, daß dieser Mann jener Elende war und dem Ankläger so gefaßt in's Auge schauen konnte.
»Ich scheute mich anfänglich, diese Geschichte Ihrem Herrn Vater zu erzählen,« sagte Somnitz zu den Mädchen, als Steinert sich entfernt. »Er war heute Mittag so erregt, als ich nur des Gefechts erwähnte!«
»Das ist sehr verschieden,« antwortete Anna, »zuweilen ist der Vater über eine Kleinigkeit furchtbar erregt, er kann zu Thränen gerührt werden oder vor Grauen zittern und oft scheint er fast gleichgültig bei Dingen, die Entsetzen erwecken, er ist sehr nervös. Aber ich bin ihnen eine Abbitte schuldig.«
Sie erröthete so hold, als sie die letzten Worte leise flüsterte, daß es ihm warm um's Herz wurde und er unendlich viel dafür hingegeben hätte, bei ihrem Anblick den Vater vergessen zu können. Aber Steinert war in den Salon getreten, er mußte dort Walter begegnen und wenn Somnitz dies vergessen hatte, so mahnten ihn jetzt die scheuen, ängstlichen Blicke, welche Bertha nach der Salonthüre warf, deutlich genug daran.
Es blieb jedoch wider Erwarten Alles ruhig. War Steinert wirklich nur nervös und bat er vielleicht jetzt Walter um Verzeihung für die Brutalität am Vormittag?
Bertha athmete sichtlich auf, als sie ihre Besorgnisse unbegründet sah, Anna aber schien mit anderen Gedanken beschäftigt.
»Es ist seltsam,« sagte sie plötzlich, »Sie suchen uns hier auf und wir reisen, wie es scheint, ab; anstatt aber darauf verzichten zu müssen, noch mehr von Ihren Kriegsthaten zu hören, erfahren wir vielleicht den Ausgang dieser grauenvollen Geschichte, wenn Sie unseren Förster gesehen haben.«
Es lag mehr in dem Tone, den sie gewählt, in dem Vermeiden des Anschauens und in ihrer leichten Verwirrung, als in den einfachen Worten, daß sie dieser Einladung ein Gewicht beilegte und es war für Somnitz eine eigenthümliche Empfindung, sie diesen Wunsch gerade in dieser Fassung aussprechen zu hören. Die Sonne schien durch's Laub und ließ das Licht mit dem Grün in wunderbaren Tinten spielen und wie eine Blüthe des Feldes duftete sie vor ihm in lieblicher, holder und natürlicher Anmuth, es war als küsse sie der Sonnenstrahl, um ihm zu zeigen, daß an dieser reinen Natur kein Fehl, kein Schatten hafte. Er fühlte die Worte Walter's an sein Herz klopfen, als er darüber gesprochen, daß dem Kinde des Schuldigen gerade die innigste Theilnahme gebühre und er fragte sich, was ihm das Urtheil der Welt gelten könne, wenn er diese Blume pflücke und an sein Herz lege und mit ihr vor Allem entfliehe, was an ihren Vater erinnere.
»Fräulein Anna,« sagte er mit bewegter Stimme, »möge die Geschichte, die ich erzählt, nie ihren Abschluß finden, ich werde den Förster nicht aufsuchen, mag ihn, wenn er schuldig ist, sein Gewissen richten!«
Eine Wolke der Enttäuschung flog über ihre Züge.
»Dann werden Sie also auch unser schönes Gut nicht sehen,« sagte sie, »und nun will ich Ihnen verrathen, daß ich noch jedem Krieger, der damals unsere Grenzen geschützt, wenn er unser Haus betreten, einen Blumenstrauß geschenkt.«
»Das wäre eine Gabe, um deretwillen ich tausend Meilen reiste.«
»Sie ist verwirkt, denn ich gebe sie nur, wo sie nicht erwartet wird.«
Bertha sah das Geflüster, und war es Absicht oder wollte sie sich etwas zur Arbeit holen, – sie ließ die Beiden allein.
Anna sah auf ihre Stickerei nieder und arbeitete plötzlich sehr emsig.
Somnitz schaute auf die kleine flinke Hand.
»Wie reich sie ist!« sprach, er halblaut.
»Wer?«
»Ich meinte Ihre Hand.«
»Spotten Sie darüber, daß ich einen Brillantring trage? Er ist mir kostbar durch den Geber. Ich erhielt ihn, als ich die Pension verließ, in der ich erzogen wurde, von einer Freundin, die bald darauf an der Schwindsucht starb.«
»Ich meinte nicht den Ring, ich meinte die Hand, die so viel vergeben kann: ein Herz und eine Hand.«
»Diese Eigenschaft werden Sie an vielen Frauenhänden finden,« versuchte sie scherzhaft zu sagen, »nur bei Verheiratheten dürften Sie schlecht ankommen.«
»Ich glaube, daß nicht immer die Hand auch das Herz vergiebt, dieser aber sehe ich es an, daß sie unendlich viel vergeben würde.«
»Ich muß sie verstecken, sonst werden Sie habsüchtig.«
Er war nahe daran ihr zu Füßen zu sinken und ihr zu sagen, daß er sie anbete, da störte ihn ein Geräusch – Steinert und Walter waren aus dem Hause getreten – und der Erstere betrachtete ihn mit so froher Ueberraschung, mit einem so triumphirenden Lächeln, daß ihm dieser Ausdruck zuwider gewesen wäre, auch wenn Anna's Vater ein Anderer als Steinert gewesen, er hatte das Gefühl, als ob er in eine Falle gegangen sei, die Berechnung ihm gelegt.
Der Blick Steinert's empörte sein Gefühl und in dieser Stimmung mißverstand er den Ausdruck, mit dem Walter ihn anschaute. Jener war überrascht, befremdet, Somnitz hatte ihm ja bestimmt erklärt, daß ein Abgrund zwischen ihm und Anna liege, und während Walter daher nur überrascht war und seinen Augen nicht zu trauen schien, las Somnitz darin einen bitteren, beschämenden Vorwurf, daß er leichtfertig gehandelt.
Anna war vor Verwirrung purpurroth geworden, sie hatte instinktmäßig gefühlt, was in Somnitz vorgehe und wußte in holder Schaam ihre Blicke nicht zu bergen.
»Du bist ja sehr echauffirt, liebe Anna,« sagte Steinert in einem Tone, in welchem sich freudige Erregung seltsam mit schmerzlicher Wehmuth vereinten, »ich komme, um Dir Lebewohl zu sagen, da ich abreisen muß, umarme Deinen Vater, mein theures, theures Kind!«
Sie flog an die Brust ihres Vaters, in diesem Augenblick dachte sie nur daran, ihr glühendes Antlitz zu bergen, nicht aber zu fragen, was es mit dieser Abreise für eine Bewandtniß habe und warum er vorher von der gemeinsamen Reise gesprochen und jetzt einen andern Entschluß gefaßt habe.
Steinert preßte sein Kind an sich, als gelte es einen Abschied für's Leben. Sein Antlitz war bleich und das Auge wie von Thränen verschleiert. Jeder Andere als Somnitz, der in dem veränderten Entschluß eine Bestätigung seines Verdachtes sah, hätte nur mit Theilnahme Zeuge dieses Abschieds sein können und hätte sich gesagt, daß der Mann, der sein Kind also an die wogende Brust presse, nicht ganz verworfen sein könne. Vor der Seele Karl's aber stand der Gedanken: er will sein Kind noch verkuppeln, er triumphirt, daß er einen Ehrenmann eingefangen.
»Herr von Somnitz,« sagte Steinert, während er Anna noch in den Armen hielt, mit bewegter Stimme, ja, es lag etwas Flehendes in seinem Tone, »ich werde mir erlauben, Ihnen über das Thema, das wir vorhin besprochen, eine Mittheilung zu machen, sobald ich dazu im Stande bin –«
»Bitte, Herr Steinert,« unterbrach ihn Somnitz in eiskaltem Tone, »bemühen Sie sich nicht. Die kurze Bekanntschaft, die ich mit Ihnen gehabt, berechtigt mich nicht, Ihre kostbare Zeit in Anspruch zu nehmen. Ich verlasse überdem das Bad und könnte Ihnen nicht einmal meine Adresse für die nächste Zeit angeben. Das Einzige, was ich erbitte, ist, daß Sie mich Ihrer geschätzten Familie empfehlen.«
Der kalte höfliche, aber fremdartige zurückstoßende Ton dieser Worte zeigten mehr noch, als diese selbst, wie plötzliche die Gefühle geschwunden, die ihn eben noch erregt. Anna schaute sich um und starrte ihn an, als zweifle sie, daß er es sei, der also spreche, – er verneigte sich in gemessener Höflichkeit und entfernte sich – Steinert aber fühlte an seiner Brust das Kind zusammenzucken, als habe ein Sturm die Blüthe geknickt.