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Vierter Band.


Erstes Kapitel.

Des Verhängnisses heimtückische Mächte zogen den unglücklichen Herzog von Manfredonia und seine beklagenswerthe Gattin immer tiefer hinab in den Abgrund, den ihre Feinde unter ihren Füßen heimlich gruben; denn da überspanntes Zartgefühl Beide in gleichem Maaße verblendete, und ihre unzeitige Besorgniß mistrauisch oder gar eifersüchtig zu erscheinen, sie davon abhielt, gegenseitig ihre Herzen über die Entstehung und Art ihres innern Grams einander zu öffnen, so dienten sie der Boßheit Ihrer Feinde, ohne es zu wollen und zu ahnen; Viola, noch gewissenhafter und ängstlicher als der Herzog, untersagte sich sogar die Erleichterung, ihren Kummer in Clementinens Busen auszuschütten; und wärend ihr Gemal den Entschluß faßte, seinem Freunde, dem Grafen Ariosto, Alles zu entdecken, gelobte sie sich innerlich eher vor Gram zu vergehen, als ein Wort, einen Laut entschlüpfen zu lassen, der ihrer Freundin vortheilhafte Meinung von dem Herzoge hatte schmälern können.

An dem Tage, wo er das Schloß von Manfredonia verließ, um sich nach Palino zu begeben, und Viola allein mit ihm war, glaubte sie in seinen, auf ihr ruhenden, trüben Blicken einen Ausdruck von Zärtlichkeit und Schmerz zu entdecken, der sie bis jetzt so lebhaft noch nicht erschüttert hatte; als nun auch sie den Gatten forschend betrachtete, da rief ihr Herz ihr zu, daß er eben so unglücklich sei, eben so leide als sie. Vom Drange des Gefühls überwältigt, wollte sie ihre Arme um ihn schlingen, ihn beschwören, aufrichtig zu sein, das Geheimste seiner Seele ihr aufzuschließen, aber Lorenzo, der ihren beobachtenden Blick bemerkte, verließ schnell das Zimmer, denn er fürchtete daß ein längeres Verweilen seinen Entschluß lähmen könnte, und er die Kraft verlieren mögte, den harrenden Wagen an der Thür des Parks zu erreichen. Sein unglückliches Schicksal riß ihn gewaltsam von der geliebten Gattin, in einem Augenblicke, wo nur einige Worte Erklärung die beschlossene Abreise noch zur rechten Zeit verhindern und das entflohene Glück für Beide zurückführen konnten.

Einige Augenblicke nach Lorenzo's Abreise erschien der Graf Elfridi mit erkünsteltem Widerwillen im Gesicht bei Violen und hinterbrachte ihr die Abreise des Herzogs in abgerissenen Wortphrasen, gleichsam als ob fürchte, alles zu sagen, was ihm von der Veranlassung und dem Zwecke derselben bekannt sei:

Ich muß einen peinlichen Auftrag erfüllen, Signora, sprach er anscheinend betreten, um nun weder etwas hinzuzufügen, noch auszulassen, werde ich mich bemühen, des Herzogs eigne Worte seiner Gemalin treu zu überliefern: Lorenzo ist so eben nach Neapel abgereißt und hat mich ersucht, ihn zu entschuldigen, wenn er sich ohne Abschied von Euch trennen mußte; er schied mit der Versicherung, daß nur die Besorgniß, beim Lebewohl zu viel Rührung zu empfinden und vielleicht zu verursachen, ihn daran gehindert habe.

Bei dieser Nachricht fühlte Viola ihr Blut von eisiger Kälte gerinnen; ihr Herz erstarrte, ihr Odem stockte, aber ihre Augen blieben trocken und stumm ihr bebender Mund. Nach einer Pause erhob sie sich, ohne Elfridi anzublicken, verließ das Zimmer und richtete ihre wankenden Schritte einer Gallerie zu, die nach dem Flügel des Schlosses führte, wo ihr Sohn erzogen wurde; Lorenzo's Bildniß in Lebensgröße, jüngst gemalt, das in der Gallerie hing, fesselte sie im Vorübergehen und zwang ihre Füße zu verweilen; mit düsterm, schmerzvollen Auge sah er auf sie herab; bis zur Stunde noch hatte des Gatten Mund lieblich gelächelt, jetzt aber schien er kalt und lieblos, und ein Nebel von schwermüthigem Ernst über das ganze schöne Antlitz ausgebreitet. Viola konnte sich von dem Bilde nicht trennen, sie lehnte sich erschöpft an die Wand ihm gegenüber und vertiefte sich in schmerzliche Betrachtungen über den Wechsel des Glücks. Ihre Fantasie erinnerte sie an die vergangenen glücklichen Zeiten, die jetzt von ihren Augen wie ein Schatten verschwanden, der nie wiederkehrt.

Ein halb gedämpftes Schluchzen störte sie in dieser traurigen Beschäftigung; sie blickte auf und bemerkte den treuen Bernardo, der sich ihr mit Thränen im Auge näherte.

Violens Dankbarkeit hatte diesem ehrlichen Matrosen, der sie aus den Klauen der Verfolger rettete, längst ein unabhängiges Loos gesichert; aber er hatte sich geweigert, ihre Dienste zu verlassen, fand sich durch ihr Zutrauen geehrt, erfüllte ohne Auftrag mit strenger Gewissenhaftigkeit und Pünktlichkeit das Amt eines Schloßaufsehers und konnte für ein Muster von Treue und Anhänglichkeit gelten.

Ach, theuerste Herzogin, redete der betrübte Diener sie an, ich kann es nicht länger ertragen, daß ich Euch so leiden sehe; ich muß mit Euch reden, und Ihr müßt Euren treuen Diener ein geneigtes Ohr schenken.

Viola reichte ihm seufzend die Hand.

Ach, möge die heilige Rosalie Euch umstrahlen und beschützen, fuhr Bernardo fort und küßte seiner Gebieterin Hand, die Teufel der Hölle haben sich verbunden, um Euer Glück zu zerstören. Aber ich will nicht dulden, daß Ihr noch länger das Opfer ihrer Boßheit sein sollt. -- Höret mich geduldig an, Frau Herzogin, diese Gräfin Elwire, die Ihr für einen Engel haltet, der Graf Elfridi, der unsers gnädigsten Herrn bester Freund zu sein scheint -- --

Nun? Fragte Viola erstaunt.

Beide sind Ungeheuer, grausamer und gefährlicher noch als der schändliche Pater Leopold!

Was sagst Du, Bernardo?

Nur die Wahrheit, Herzogin, ich hegte Verdacht, ich habe aufgelauert, Tag und Nacht gelauscht und gewacht, denn ich that es in einer löblichen Absicht; und endlich habe ich mir helles Licht verschafft. Ja, dieses höllische Paar hat den Plan entworfen, den Glanz Eurer Tugenden zu verdunkeln, indem es Eurem guten Rufe Flecken anhängt. Der Herzog, von ihren schändlichen Kunstgriffen, ihren im Finstern gebrüteten Anschlägen und Mummereien bethört, glaubt, daß Ihr noch immer nicht aufgehört habt, dem Spanier Don Ambrosio im Herzen gewogen zu sein; deshalb verließ er mit stiller Verzweiflung in der Brust dieses Schloß, kaum vermögend den Schmerz, womit dieser grausame Gedanke sein Herz durchbohrte, vor den Augen der Diener zu verbergen.

Großer Gott! Bernardo, kaum kann ich glauben, was Du sagst.

Glaubt es mir, theure Herzogin, Bernardo hat noch nie gelogen. -- Noch keine Stunde ist verflossen, daß ich gehört habe, wie sie über den Erfolg frohlockten, als sie den Herzog an den Wagen begleiteten, Elfridi sich dann auf das, was er Euch sagen wollte, vorbereitete und seine schändliche Mitverschworne ihm die Worte, die Gebärden und Mienen vorschrieb, auch ihn erst an der Thür Eures Zimmers verließ. -- O, theure Gebieterin, schreibt unverzüglich an den Herzog, vertraut mir Euren Brief an und überlaßt das Weitere dem treuen Bernardo. Der Himmel weiß, wie gern ich mein Leben dafür hingeben wollte, Euch Beide wieder zu dem Glücke zu verhelfen, dessen Ihr so würdig seid.

Sobald Violens Entsetzen über eine so unerhörte Abscheulichkeit ihr gestattete Bernardo's Vorschlag zu prüfen, stürzten Thränen aus ihren Augen und benäßten des ehrlichen Dieners Hand, die sie mit glühender Dankbarkeit und dem Versprechen seinen Rath sogleich zu befolgen, an ihr Herz drückte. -- Bernardo begleitete sie in ihr Kabinet, wo sie in seiner Gegenwart den Brief an den Herzog entwarf. Sanftmuth, Zärtlichkeit und des Herzens reine Sprache drückten sich im Gefühle der Unschuld in ihren Zeilen rührend aus; gewiß würde der Brief den erwünschten Zweck nicht verfehlt haben, wenn er in Lorenzo's Hände gelangt wäre; aber leider warf sich das über das Schicksal der unglücklichen Gatten waltende feindliche Gestirn ihm hindernd entgegen und vereitelte schonungslos das Gelingen.

Elwire, begierig die ersten Früchte des Betruges einzuerndten und die Wirkung der schnellen Abreise zu beobachten, war der Herzogin in die Gallerie nachgeschlichen und hatte hinter einer Statüe verborgen Violens Unterredung mit Bernardo angehört. Ohne Säumniß schaffte Elfridi feile golddurstige Banditen herbei, die auf der Heerstraße von Toskana in einen Hinterhalt gelegt, den treuen Eilbothen, als er vorüberritt, überfielen, ihn ohne Mitleid ermordeten, und sich des Briefes für den Herzog bemächtigten.

Vier Tage nach der Abreise des unglücklichen Bernardo, überreichte der Intendant Fidato der Herzogin einen Brief, den eine Estafette mit mehrern andern, wichtigen Papieren, die jedoch nicht für sie bestimmt waren, überbracht hatte.

Mein Herr schreibt mir, sprach er, daß ich diesen Brief der Frau Herzogin überreichen soll, sobald sie allein sein wird, ich bin deshalb hier eingetreten, ohne ihre Befehle abzuwarten, und lege hier meine Beglaubigung vor. Er übergab hierauf Violen das erhaltene Billet und den Brief, beide schienen von dem Herzog eigenhändig geschrieben.

Violens Hand zitterte beim Empfange des unerwarteten Schreibens; ungewiß ob sie Trost oder neue Kränkung erfahren würde, entließ sie Fidato und durchlief mit ängstlicher Hast die wenigen, in Eile geschriebenen Zeilen.

Zwar war es keine Antwort auf ihren Brief, denn diesen konnte der Herzog noch nicht erhalten haben, aber demungeachtet hatte ein guter Genius seine Hand geführt und zu gleicher Zeit in der Seele beider Gatten den Gedanken entstehen lassen, daß nur gegenseitiges Vertrauen großes Leid verhüthen konnte: Lorenzo sprach von einer Rechtfertigung, die er ihr schuldig sei, von seinem Unrechte, von einer Erklärung in Betreff falscher, treuloser Freunde, die der Zufall entlarvt habe, und der Nothwendigkeit seine Gattin sobald als möglich in Geheim zu sprechen, ohne daß es die laurenden Verräther ahnen durften. Am Schlusse des Briefes beschwor er sie im Ueberströmen lang zurückgehaltener Zärtlichkeit, noch am selbigen Tage Abends zehn Uhr in einer kleinen Kapelle, die er im Gehölze, das an des Parkes Gitter stieß, hatte erbauen lassen, sich einzufinden, wo er sie mit Ungeduld erwarten werde.

Fast unterlag Viola dem stürmischen Drange des Entzücken; zwanzigmal las sie den trostreichen Brief, und ihr argloses Herz öffnete sich mit freudigem Pochen dem Glücke, das diese unerwartete Rückkehr des entflohenen Gatten ihr versprach. Jetzt fiel es ihr eben so schwer, sich zu verstellen und ihr Entzücken zu verbergen, als es ihr wenige Tage zuvor Mühe gekostet hatte, ihren Schmerz und ihre Verachtung gegen ihre verläumderische Umgebung zu verheimlichen.

Die treulose Elwire schien die Gefühle ihres Herzens zu errathen und fand ein boshaftes Vergnügen daran, die Herzogin in Versuchung zu führen, damit sie sich verrathen mögte. Aufmerksamer, theilnehmender und zuvorkommender wie gewöhnlich, folgte sie ihrem Opfer überall, beobachtete es beständig, drückte mit falscher Freundschaft seine Hände und beeiferte sich so sehr, Violen mit ihrer Zudringlichkeit quälen, daß diese beinahe ihren Vorsatz, behutsam zu sein, und die Stimmung ihres Herzens zu verbergen, vergessen hatte, und in Versuchung gerathen wäre, die Schlange zu entlarven. -- Willkommen war ihr daher der Abend, denn vom langen Zwange und der Bosheit ihrer Gesellschafterin wirklich innerlich erbittert, entfernte sie sich mit dem Vorgeben, daß sie ermüdet sei und sich zur Ruhe begeben wolle, sobald sie ihren Sohn gesehen hätte. Mit Lächeln erbot sich Elwire sie zu begleiten, aber die Herzogin verbat es sich mit einer Art von heftigem Unmuthe, der ihrer gewöhnlichen Sanftmuth auffallend zu widersprechen schien.

Mit erleichtertem Herzen trat sie an ihres Kindes Wiege; es schlief, sie nahm es sanft in ihre Arme, drückte ihre Lippen auf seine rosigten Wangen und bat Gott mit inbrünstiger Zärtlichkeit und frommer Andacht, daß er bald zu diesem unschuldigen Wesen, den Vater und die Mutter wiedervereinigt zurückführen und nie sie wieder trennen mögte. Mit dem zehnten Schlage der Glocke legte sie den schlummernden Knaben wieder in seine Wiege, umarmte ihn nochmals zum letzten Male, stieg eine geheime Treppe in den Park hinab, flog durch die düstern Alleen und erblickte am Rande des Gehölzes eine männliche Gestalt, von Lorenzo's Wuchs, die ihr entgegen eilte. Die zärtlichste Begrüßung stammelnd, sank sie in des vermeinten Gatten Arme, und verlohr von dem Gefühl überwältigt, die Besinnung.

Als sie den Gebrauch ihrer Sinne wieder erhielt, fühlte sie, daß ihr Kopf auf der Achsel eines Mannes ruhete, den sie für den theuren Lorenzo hielt. Aber mit Entsetzen erblickte sie im Dunkel der Nacht ein fremdes, ihr ganz unbekanntes Gesicht. -- Es war der Graf von Vizenza. -- Viola stieß einen Schrei aus und wollte entfliehen, allein jetzt erst bemerkte sie, daß sie in einen Wagen eingeschlossen sei, der schnell davon rollte und den vier bewaffnete Reiter umringten, von deren wildem Ansehn die Geraubte weder Hülfe noch Mitleid erwarten durfte. Von neuem ergriff Entsetzen und Angst ihre Sinne, von einer Ohnmacht zur andern, und zuletzt in einen Zustand dumpfer Gefühllosigkeit übergehend, brachte man sie, ohne daß sie es gewahr nahm, auf ein nach Catalonien bestimmtes Schiff, und beinahe sterbend in das berüchtigte Pyrenäen-Schloß unweit Baskara.

Don Manuel war damals abwesend, statt seiner führte der unbarmherzige Garzias den Befehl im Schlosse, und sein teuflisches Herz zitterte vor Freude beim Anblicke der Gefangenen, die der falsche Polidor seiner Macht überlieferte. Schnelle kräftige Mittel erweckten die Unglückliche aus ihrer gefährlichen Lethargie; kaum erkannte sie aber den abtrünnigen Mönch und in ihm ein Hauptwerkzeug ihres Verderbens, so wahrsagte ihr sein Grinsen den ganzen Umfang ihres Unglücks; ein Zittern ergriff ihre Glieder, leblos stürzte sie zu Boden und mehrere Wochen hindurch äußerte der Arzt des Schlosses wenig Hoffnung, ihr Leben zu erhalten, das von einem gefährlichen Fieber verzehrt zu werden drohete. Sobald sich indeß des Deliriums heftiges Rasen in gänzliche Erschlaffung aufgelößt hatte und die Arznei Raum gewann zu wirken, schien die Wuth der Krankheit unmerklich zu sinken; und obschon Viola das Leben nur als eine Qual betrachtete, so unterwarf sie sich doch willig allem, was man zu ihrer Wiederherstellung verordnete, denn sie hielt es für ihre Pflicht, für ihren Sohn zu leben und hoffte, daß die Grausamkeit ihrer Feinde denselben verschont haben würde, und ihre Bitten diese bewegen könnten, daß er ihr zurückgegeben werde.

 


Zweites Kapitel.

Noch war die Herzogin nicht völlig genesen, so erhielt sie über ein neues Unglück Gewißheit, das sie zu ahnen kaum gewagt hatte. -- In den lichten Augenblicken, die ihre moralischen und physischen Leiden der Armen übrig ließen, verkündigten ihr sichere Merkzeichen, daß ein neues Pfand der Zärtlichkeit ihres Gatten sich unter ihrem Herzen bewege. -- Diese Entdeckung, welche sie im Schlosse von Manfredonia in einen Freudetaumel versetzt und ihr das Herz des Gatten unbezweifelt wieder zugewendet haben würde, wurde jetzt eine Quelle, aus der neue Leiden ihr entgegen sprudelten, denn leider war ja das unschuldige Wesen vor der Geburt schon verurtheilt, die Gefangenschaft der Mutter zu theilen. Und doch blieb sie ihren mütterlichen Pflichten getreu und zwang sich ihren Gram zu unterdrücken, damit sie im Stande sein konnte, ihr Kind zu ernähren und sein Dasein in der Banditenhöhle, wo Niemand Mutterstelle vertreten werde, zu fristen.

Don Manuels Rückkehr setzte bald die Standhaftigkeit der unglücklichen Gefangenen auf eine neue, noch härtete Probe. Unaufhörlich gezwungen die Betheurungen einer verhaßten Liebe anzuhören, deren erstes Feuer von neuem heftig loderte und in eine verzehrende Glut auszubrechen drohete, konnte sie nur die unwiderstehliche Gewalt ihrer Tugend schützen und abwechselnd Stolz und Sanftmuth einen stürmischen Geliebten, der gewohnt war, seinen Leidenschaften freies Spiel zu lassen, in den Schranken der Bescheidenheit zurückzuhalten, ohne ihn durch Vernichtung seiner Hoffnungen zu Gewaltthaten zu reizen. -- Welchen harten Kampf mußte sie bestehen, wie manche heiße Thräne vergießen. Doch zur Belohnung für die stille Dulderin ließ der Himmel ein Wunder geschehen, und Don Manuel, der blutdürstige Räuber, den kein Verbrechen schreckte, sobald er seine Begierden befriedigen konnte, der sie zu besitzen geschworen hatte, konnte der Allgewalt ihrer Tugend nicht widerstehen; ihr Unglück, ihre Duldsamkeit und Sanftmuth rührten den wilden Spanier und verstärkten seine Neigung; täglich betäubte er ihr Ohr mit den Versicherungen seiner heißen Liebe, vermaß sich, daß sie die Seinige werden müsse, zur Entschädigung für den verlohrnen Glanz und guten Namen; und doch wagte er es nicht, sie zu kränken, oder eine unedle Absicht laut werden zu lassen. Viola war Don Manuels Gefangene und er ihr Sclav. -- Sobald ihr Zustand ihm sichtbar wurde, schien sich seine Theilnahme zu vermehren; er ließ das bequemste Zimmer für sie einrichten, wählte unter den im Schlosse gefangen gehaltenen Weibern und den Frauen seiner Räuber diejenigen aus, die sich am besten dazu eigneten, Violen zu bedienen, und ihr bei der bevorstehenden Niederkunft Beistand leisten und nützlich sein konnten, und bestrebte sich, ihr alles reichlich zu verschaffen, was ihr nöthig und angenehm sein konnte.

Fünf Monate nach ihrer Entführung gebahr Viola im Raubschlosse die kleine Mathilde, und verdankte der Geschicklichkeit und Pflege der sie bedienenden Weiber, die so gut als möglich dasjenige ersetzten, was Violen bei dieser gefährlichen Crisis mangelte, ihre baldige Genesung; doch von einer täglich zunehmenden Schwermuth, die leider ihrer Schönheit einen neuen rührenden Reiz verlieh, konnte die Dulderin nichts heilen.

Nur die vier Verbündeten, Don Manuel, Garzias, Elfridi und Polidor kannten den Namen und Stand ihrer erlauchten Gefangenen. Bei den übrigen Bewohnern des Schlosses galt sie für die Frau eines von Polidor im Duell erstochenen Edelmanns, die dieser zu seiner eignen Sicherheit gefangen hielt, weil sie der einzige Zeuge beim Zweikampfe gewesen sein sollte. Selbst Franzisko war nicht besser unterrichtet, als die Uebrigen. Die öftere Wiederaufwallung seiner guten Eigenschaften ließ befürchten, daß er die Befreiung der Gefangenen unternehmen mögte, sobald er in ihr die Herzogin von Manfredonia erkennen würde, deren Wohlthätigkeit und Tugend in ganz Italien gerühmt, auch seine Bewunderung längst an sich gezogen hatten.

Viola besaß zu viel Stolz, um sich herabzulassen, dieser Lüge zu widersprechen. Obgleich Franzisko sie oft besuchte, obschon er Antheil an ihrem Schicksale zu nehmen schien und seine Zuneigung zu ihr und der kleinen Mathilde sich mit jedem Tage deutlicher aussprach, so lehnte sich doch ihr Zartgefühl mit Widerwillen gegen den Gedanken auf, durch die getreue Mittheilung ihres unglücklichen Schicksals den Namen und Stand ihres Gatten einem Fremden preis zu geben. Zwar erschreckte Franzisko's Anblick sie weniger als ihre übrigen Verfolger; indeß war auch er in anderer Beziehung zu sehr mit den Uebrigen verbrüdert, als daß sie völliges Zutrauen zu ihm hätte fassen können.

Die Angelegenheiten des Räubercorps erforderten öfters Don Manuels Abwesenheit vom Schlosse; dieses waren für die unglückliche Viola Erholungsstunden, denn streng hatte er dem boshaften Garzias untersagt, sich wärend seiner Abwesenheit ihren Blicken zu zeigen; nur Elfridi, der wie früher erzählt, für sich geheime Eingänge und finstere Souterrains zu seinem Gebrauche verheimlicht hatte und sich, ohne Wissen der übrigen Bewohner, von Zeit zu Zeit ins Schloß einschlich, beschloß Don Manuels Entfernung zu benutzen und seiner rachsüchtigen Seele den Genuß zu verschaffen, sich an den Leiden seines Opfers zu lechzen. Zu diesem Endzweck wagte er es, in einer Stunde, wo er sie allein wußte, zu ihr einzubringen. Die Gewißheit, daß auch Lorenzo unglücklich sei, fehlte Violens Unglück noch; Elfridi behielt es sich vor, sie ohne Schonung davon zu überzeugen. Mit beispielloser Frechheit enthüllte er vor ihren Augen das schändliche Gewebe, wodurch ihr Verderben gesponnen worden; ja, er rühmte sich seiner Ränke und seiner Schandthat, als eines besser eingeleiteten und richtiger ausgeführten Plans, den je die gerechteste Rache habe erdenken können; und aus Besorgniß, daß sie seine Versicherungen bezweifeln könnte, zeigte er ihr mehrere Briefe des Herzogs. Viola fand in diesen an Elfridi gerichteten Briefen den Ausdruck des tiefsten Schmerzes mit einem Schimmer von unvertilgbarer Zärtlichkeit vermischt, den das Unrecht, welches ihr unglücklicher Gemal ihr vorwerfen zu müssen glaubte, nicht hatte auslöschen können. -- Von einem Gefühl der Dankbarkeit und Rührung überwältigt, vergaß die Herzogin, daß der gefühlloseste, der lasterhafteste aller Menschen, ihr gegenüber frohlockte; nur an Lorenzo denkend, nur ihn sehend warf sie sich vor Elfridi auf ihre Knie und rief mit Thränen aus:

Nehmt mein Leben, laßt es mir unter Qualen entreißen, wenn Eurem Hasse an diesem Opfer genügt; aber verschont meinen Gemal, rettet ihn aus dem Abgrunde der Verzweiflung. Erinnert Euch, daß er Euer Beschützer, Euer Wohlthäter, Euer Freund war. Befreit ihn von dem irrigen Wahn; sagt ihm, daß der Schein Euch betrogen, daß seine unglückliche Viola nie aufgehört hat, ihn zu lieben; gebt ihm die Ruhe durch die Ueberzeugung von meiner Unschuld wieder, damit er nur meinen Tod beweinen möge. Seid barmherzig! --

Nein, nein, antwortete der Unmensch mit tödtlicher Kälte, meine Rache soll eben so unversöhnlich sein, als es damals Euer Stolz war. Habt Ihr den Tag vergessen, wo ich mit eben so demüthiger Gebärde Euch bat, meiner Neigung zu Clementinen behülflich zu sein? Kränkende Geringschätzung, selbst Verachtung verrieth sich in dem Bedauern, mir Eure Vermittlung versagen zu müssen; ich werde diese Beleidigung nie vergessen. Lorenzo, der Thor, gab seinem Freunde Ariosto den Vorzug vor mir; mein gekränkter Stolz findet diese Schmach in ewigen Qualen kaum sattsam gebüßt, Elfridi weiß sich zu rächen. Leben soll er, Euer Lorenzo, leben mit seinem Sohne, mit ihm die Schande theilen, die ich über Euren Kopf häufte, und um Euch eben so sehr zu verachten, als er Euch liebte!

Nach diesen schrecklichen Worten entfernte sich Elfridi, ohne daß es Viola bemerkte, und ließ die Unglückliche betäubt zurück. Langsam beruhigte sich der Sturm in ihrer Brust, das Bewußtsein ihrer Unschuld und das Vertrauen auf Gott entkräfteten die Drohungsworte des Barbaren und die Hoffnung fand wieder Zutritt zu ihrem Herzen.

Die Ermordung des ehrlichen Bernardo hatte ihr Elfridi verschwiegen; sie hoffte daher, daß dieser treue Diener sein Versprechen pünctlich erfüllen, und wenn auch Krankheit oder andre unerwartete Hindernisse die Besorgung des übernommenen Auftrags verhindert hätten, doch den Brief früh oder spät überbringen, und Lorenzo dann keinen Augenblick verlieren werde, sie aus den Händen der Peiniger zu retten; auch glaubte sie, daß es nicht schwierig sein könnte, ihr Gefängniß aufzufinden, sobald man nur Elfridi, der mit den Bewohnern des Schlosses Gemeinschaft haben mußte, weil er bis zu ihr gelangen konnte, und den ihr Brief sattsam geschildert hatte, auf seinen Wegen insgeheim verfolgen lasse. Mit diesen tröstlichen Gedanken beschwichtigte Viola ihre Angst und nährte auf diese Art ihre Standhaftigkeit und Geduld, bis endlich der Tag anbrach, wo sie alle ohne Wiederkehr verschwinden sollten.

Don Manuel hatte in der Nacht plötzlich das Schloß verlassen müssen, Viola erfuhr es am andern Morgen und dankte dem Himmel für diese Gunst; da erschien zu eben derselben Zeit, wie das erste Mal und auf eben die geheimnißvolle Art der grausame Elfridi und reichte der Erschreckten mit teuflischer Freude im Blicke einen Brief:

Nehmt, sprach er, und leßt die Fortsetzung meines Briefwechsels mit meinem Freunde Lorenzo.

Wohl fühlte die Arme, daß diese boßhafte Mittheilung nur einen Zuwachs ihrer Leiden enthalten mußte, aber sollte sie auch vor Schmerz vergehen, so konnte sie sich doch unmöglich den Trost versagen, Worte einer so theuren Hand zu lesen. Ihr unversöhnlicher Feind hatte dieses vorhergesehn. Sie nahm also den verhängnißvollen Brief, hatte aber kaum einige Zeilen gelesen, so stürzte sie ohnmächtig zur Erde.

Die zu ihrer Bedienung bestimmten Frauen hielten sie für todt, als sie die Unglückliche ohne Lebenszeichen auf dem Fußboden ausgestreckt liegend fanden. Alle ihre Bemühungen und angewandten Reizmittel wollten anfänglich nicht fruchten, denn bis auf ein unnatürliches Zucken der Nerven von dem Gebrauche geistiger Essenzen krampfhaft angezogen und erschüttert, blieb die Ohnmächtige für alles Uebrige unempfindlich; endlich gerieth eine der Mitgefangenen, die sich Leonora nannte und mehr Theilnahme zu ihr als die Uebrigen zeigte, auf den Einfall, die kleine, zärtlich geliebte Mathilde an Violens Brust zu legen; und wirklich gaben ihr des Kindes Wärme und seine unschuldigen Liebkosungen allmälig das Bewußtsein wieder. Ihre Augen öffneten sich, blickten mit starrer Rührung das kleine muntere Geschöpf an, und entledigten sich eines Stroms von Thränen. Aber wie schrecklich war das Wiedererwachen! -- Eine Menge vernichtender Gefühle stürmten auf die Schwache ein; sie drückte die Kleine an ihre Brust, hob sie dann zum Himmel empor, wo ihre Blicke dasjenige zu suchen schienen, was ihr auf Erden nicht wieder zu Theil werden konnte, und übergab ihr Kind dem Schutze der Vorsehung, mit der Gewißheit, daß sie nicht lange mehr leben werde und also das vaterlose Geschöpf ganz verweißt in den Händen der Ruchlosigkeit zurücklassen müsse.

Die in dem unglückseeligen Briefe enthaltene Nachricht von der bevorstehenden Vermälung des Herzogs mit Elwiren bewieß ihr, daß er sie für todt halte und Bernardo den Zweck seiner Sendung nicht habe erreichen können, weil entweder Lorenzo ihrem Briefe und dem treuen Diener keinen Glauben beigemessen habe, oder vielmehr, was wahrscheinlicher blieb, ihre Feinde Mittel gefunden hatten, den Bothen aus dem Wege zu räumen. Gänzlich entmuthigt, verfiel Viola in einen Zustand von fortwährendem Tiefsinn und von Erschlaffung, der die Blüthen ihrer Gesundheit verzehrte; ihr unruhiger Geist erfand Entwürfe, die im steten Wechsel gedrängt, in ihrem Gehirne rastlos auf einander folgten. Bald wollte sie im Vertrauen auf die Spuren von Zärtlichkeit, die sie in Lorenzo's Briefen aufgefunden zu haben glaubte, Franzisko alles entdecken, ihm die kleine Mathilde anvertrauen und ihn beschwören, sie ihrem Vater zu überliefern, dann schreckte sie wieder der Gedanke ab, daß sie ihre Tochter dem unvermeidlichen Verderben preis geben würde, wenn sie diese der Gefahr aussetzte, ihre Erziehung in der Schule einer Stiefmutter, wie Elwire es war, zu erhalten. Beängstigt, irrend am Rande der Verzweiflung, vom Grame verzehrt und ohne Hoffnung, konnte ihr zerrütteter Geist kaum noch Wünsche bilden; ihres traurigen Daseins überdrüssig, rief sie den Tod als Rettungsengel an, und schauderte doch bei dem Gedanken an den Augenblick, wo ihr letzter Odemzug die elternlose Tochter in der Gewalt des verworfenen Räubertrosses zurücklassen würde.

Sobald Don Manuel zurückgekehrt war, eilte Leonora, die ihre Gebieterin wahrhaft liebte, diesen von dem Vorfalle, der sich mit der Gefangenen zugetragen hatte, und dessen Ursache niemand erklären konnte, zu benachrichtigen. Ich kann behaupten, fügte sie mitleidig hinzu, daß sich seit jener Ohnmacht Spuren von Geistesverwirrung bei ihr zeigen, wovon in ihren Augen der starre, leblose Blick zeugt; oft beantwortet sie meine Fragen kaum, scheint mich nicht zu kennen und zuweilen spricht sie laut in ihrem Zimmer, obgleich sie sich allein befindet.

Bist Du auch gewiß, daß sie allein gewesen? fragte Don Manuel entrüstet, ich will mich davon überzeugen und fürchterliche Strafe wird jeden treffen, der es hatte wagen können, mich zu hintergehen!

Noch an eben dem Tage schlich er sich durch eine geheime Thür in ein Cabinet neben dem Gemache der Herzogin und beobachtete sie durch eine Glasthür, die ein Vorhang bedeckte. Die unglückliche Mutter wiegte ihr Kind auf ihren Knien und sang mit halblauter Stimme um es einzuschläfern. Langsam flossen Thränen über ihre blassen, eingefallenen Wangen, von Zeit zu Zeit küßte sie des Kindes Stirn, und als sie es fest entschlafen sah, legte sie es nieder, setzte sich neben seine Wiege, seufzte und betrachtete es einige Augenblicke stillschweigend und mit einem bittern Lächeln auf, den bleichen Lippen; dann sprach sie halblaut zu der Kleinen:

Theures und unglückliches Kind, Dein Schlummer ist das Bild des Todes; ach warum können wir nicht Beide an dem Busen der Ewigkeit entschlafen und nie wieder erwachen, dort nur können wir Ruhe finden! -- Meine unschuldige Mathilde, was für eine Zukunft ist Dir vorbehalten! Dein Vater kennt Dich nicht, er weiß nicht, daß Du geboren wardst, nie werden seine Arme sich öffnen, um Dich zu umarmen, nie wird Dein Herz an dem Seinen ruhen. Er hat Deine unglückliche Mutter verstoßen, und doch sagt er, daß er sie noch, liebt!

Lorenzo, Lorenzo! rief sie nach einer Pause laut schluchzend aus, kaum ist ein Jahr verstrichen, und schon besitzt eine Andere Dein Herz, und dieses Weib, was mich bei Dir ersetzen soll, ist Elwire, meine ärgste Feindin! Unglücklicher Vater, diese Wahl trennt Dich auf ewig von der unschuldigen Mathilde.

Violens Rührung vermehrte sich mit jedem Worte; sie sprang auf und ging mit den Gebärden des Schmerzes und der Verzweiflung im Zimmer unruhig umher; plötzlich warf sie sich neben der Wiege ihres Kindes auf ihre Knie:

Theures Kind, rief sie im höchsten Ausdruck des Schmerzes, ich beschwöre Dich, erwache nicht wieder; ich muß sterben, was soll aus Dir werden, wer wird sich Deiner annehmen, Dich beschützen? Wer soll Deine Schritte auf dem Pfade der Tugend leiten? Meine sanfte, angebetete Mathilde, o erwache nicht!

Don Manuel konnte diesen Anblick, diese Klagen nicht länger ertragen, Mitleid und Gewissensbisse zerfleischten sein erweichtes Herz; er stürzte hervor und zu den Füßen der Herzogin.

Du unvergleichliches Weib, rief er aus, nein, Du sollst leben, aber ich will sterben, wenn ich den Schwur nicht erfülle, Dich für alles Elend, was ich Dir zugefügt habe, zu entschädigen. -- Viola, fürchtet mich nicht mehr, ich verfluche meine strafbare Liebe, die Euer Herz gekränkt hat. Die Macht Eurer Tugend hat mich besiegt, sie hat meine Seele gereinigt; der verhaßte Ambrosio wird Euer Befreier werden, sollte es ihm das Leben kosten! Morgen schon reise ich nach Italien ab, ich werde dort noch vor der Vollziehung der unglückseeligen Vermälung eintreffen, unverzüglich will ich mit dem Herzoge reden, ihm die Augen öffnen, das scheußliche Bubenstück und die Verräther ihm in ihrer Blöße zeigen, ihn fortreißen vom Rande des verderblichen Abgrundes, an dem er schwebt; und müßte ich sogar vor dem furchtbaren Tribunal der Inquisition erscheinen, so werde ich laut verkünden und mit meinem Blute beweisen, daß der Himmel nie ein reineres, ein vollkommneres Wesen schuf, als die verstoßene Herzogin von Manfredonia! --

Hing Violens Entscheidung jetzt allein von ihr ab, so würde sie ohne Zweifel ein Glück, zu dem sie nur durch die Vermittlung des Mörders ihres Vaters wiedergelangen konnte, zurückgewiesen haben; durfte sie aber eine Wohlthat, die sich ihrer Mathilde darbot, verweigern, und welcher Hand auch die Vorsehung sich bediente, um das unschuldige Geschöpf den beschützenden Armen des unbekannten Vaters zuzuführen, war eine Mutter berechtigt sie zurückzustoßen?

Der Ausdruck in der Gesichtsbildung des Spaniers war so verändert, er bürgte so überzeugend für die Wahrheit seiner Worte, daß die überraschte Viola in seine Aufrichtigkeit keine Zweifel setzen konnte. Sie dankte ihm für seinen Eifer, ihr und ihrem Kinde Beistand zu gewähren; sie lobte es, daß er sich unvermeidlichen Gefahren aussetzen wollte, um eine gute Handlung zu begehen; und mit der Großmuth eines Engels, bat sie den Himmel, daß er ihm seine Verbrechen und seine Schuld an ihrem und ihrer Familie Unglücke verzeihen mögte.

Don Manuel glaubte daß, die Stimme dieses himmlischen Wesens, ihm die Pforten der ewigen Glückseeligkeit öffnen könnte, und in der Begeisterung einer flammenden Erkenntlichkeit, trug er ihr an, ihn mit ihrer Tochter sogleich zu begleiten, weil er sich stark genug fühle, allen Schwierigkeiten, die einer heimlichen Entführung aus dem Schlosse entgegen stehen mögten, zu trotzen. Er wollte lieber auf einmal Alles wagen, fügte er hinzu, als sie in seiner und Franzisko's Abwesenheit, der sich in Madrid befand, an diesem schrecklichen Orte zurücklassen. Aber die Herzogin empfand eine unbesiegbare Abneigung gegen dieses Anerbieten, sie konnte unmöglich unter dem Schutze eines Mannes vor ihrem Gatten erscheinen, der im Angesichte der Welt entehrt war, und den ihre Feinde grade dazu erwählt hatten, ihren guten Ruf so bitter zu kränken.

Nein, erwiederte sie, ich werde hier meines Gemals Befehle erwarten, dies ist meine Pflicht; noch ist der Erfolg Eurer Großmuth nicht gesichert; doch hoffentlich hat derjenige, dessen Macht Eure Seele zu Gunsten zweier Unschuldigen rührte, dieses Wunder nicht umsonst bewirkt. Wir bleiben hier unter seinem Schutze; ohne ihn, wer könnte für unsere Sicherheit bürgen?

Don Manuel fügte sich in ihren Willen, ermahnte sie, sich zu verstellen, weil das Gelingen seines Plans von dem sorgfältigsten Stillschweigen und irgend einem Vorwande abhängig sei, den er erdenken müße, damit seine schnelle Abreise keinen Verdacht erregen konnte, und schied von ihr mit der Versicherung, daß er sie noch sehen und ihre Briefe an den Herzog abfordern werde.

Bald waren die nöthigen Vorbereitungen zu der beabsichtigten nächtlichen Abfahrt auf einem zur Seeräuberei anscheinend ausgerüsteten Fahrzeuge getroffen; alle Umstände schienen dem reuigen Sünder zum Gelingen seines Unternehmens hold; nur der Wille des Himmels schloß sich davon aus, das Verdienst, die Tugend zu retten, war ihm, dem Unwürdigen, nicht vorbehalten; es stand vielmehr in den undurchdringbaren Verordnungen der Vorsehung beschlossen, daß sie dem Laster unterliegen und die den Schuldigen zuerkannte schreckliche Strafe rechtfertigen und verstärken sollte.

Obgleich Don Manuel mit der größten Vorsicht seine Maasregeln genommen zu haben wähnte, so war er doch von dem wachsamern Elfridi überlistet. Dieser im Schlosse unsichtbar umberschleichend, und alles was darin vorging, belauschend, hatte sich im dunkeln Gange, der zu Violens geheimer Thür führte, befunden, als Don Manuel vorüberging, war diesem gefolgt, und da er nach ihm des Kabinets Glasthür zu benutzen wußte, so entging ihm kein Wort von der Unterredung. -- Ohne Aufschub eilte er nach Garzias Zimmer, den er mit dem Grafen von Vizenza im Gespräche fand, theilte Beiden die gemachte Entdeckung mit und sah sie vor Schrecken und Wuth erbleichen. Wird Don Manuels Anschlag nicht vereitelt, rief Garzias mit verstörtem Gesicht, so sind wir Alle verlohren!

Polidor rieth, ihn ohne weiteres zu überfallen und zu ermorden, aber Jener bedeutete ihn, daß das Leben eines solchen Obern mit der Sicherheit der Bande zu eng verkettet sei, daß er nur vermöge seines frühern militairischen Ruhms das Zutrauen der Soldaten und Matrosen, aus denen größtentheils die Bande bestehe, sich erworben habe, und im Falle eines zwar nicht denkbaren Angriffes, niemand mit mehr Muth und Geschicklichkeit das Schloß sammt seinen Schätzen vertheidigen werde, als er.

Lasset uns ihn verschonen, sprach er, seine unsinnige Leidenschaft entreißt ihn uns, mag daher unser Dolch diejenige treffen, die ihn verführt hat.

Elfridi und Polidor lächelten ihm satanischen Beifall zu, und die Unmenschen beschlossen, sogleich zur Ausführung ihres gräßlichen Mordanschlags zu schreiten, aber selbst den leisesten Verdacht ihrer Theilnahme an denselben, zu vermeiden.

Der Elende, den das teuflische Kleeblatt zu seinem Werkzeuge erkor, hatte sich durch seinen ungewöhnlichen Hang zur Grausamkeit und seine diesem entsprechenden Handlungen den entsetzlichen Namen Sanguinario erworben; es war derselbe Diener, der dem Pater Leopold, beim Ersticken des Erzbischofs von Montreal, hülfreiche Hand leistete Siehe Seite 303 des 3. Bandes.. Schon im Dienste des Markis von Palermo hatte einst dieser, eines großen Vergehens halber, schwere Strafe über ihn verhängt, und nur Viola durch inständige Bitten den Vater vermogt, aus Liebe zur Tochter den Strafbaren zu begnadigen. Sanguinario's schwarze Seele, für die Dankbarkeit bisher unempfindlich, hatte indeß damals eine leise Regung davon empfunden und Violens Herzensgüte ihm einen Drang zur Bewunderung abgezwungen, obgleich sie seine angebohrne Neigung zum Bösen nicht unterdrückte. Es bedurfte weniger Ueberredung und nur einer Hand voll Gold, den verstockten Sünder zu der Mordthat zu bewegen, um so mehr, als, wie bereits erwähnt, der Herzogin Aufenthalt im Schlosse den vier Verbündeten allein bekannt war, dieses Geheimniß auch bei Ertheilung des Auftrags nicht verrathen wurde und Sanguinario mithin das Opfer seines Dolches vorher nicht kannte.

Don Manuel und seine Gefährten saßen bei Tische; im Begriffe sich niederzulegen, betete Viola, die ihre Bedienung entlassen hatte, kniend neben der Wiege ihrer Tochter, als Sanguinario, auf dem ihm angewiesenen heimlichen Wege hereinschlich und ihr mit seinem Stilet die Brust durchbohrte Mit einem letzten Schrei stürzte die Unglückliche neben dem Tische, auf welchem die düster brennende Lampe stand, zu Boden und zeigte dem Mörder ihr bleiches Gesicht, der jetzt mit Schaudern in der Gemordeten seine Wohlthäterin erkannte. Es war seine letzte Schandthat, die mörderische Waffe entglitt seiner blutigen Hand, er konnte den Befehl, auch die kleine Mathilde zu ermorden, nicht vollbringen; es krachte in seinem Gehirne, er selbst fühlte den Stoß, den er so eben der Tugendhaften zugefügt hatte; auf immer seiner Vernunft beraubt, und im rasenden Wahnsinne stürzte er fort und verkroch sich in einer Felsenhöhle, wo ihn seine Verführer dankbarlich an Ketten schmiedeten und oft dem Mangel preis gaben. In dieser Höhle sah ihn Victoria und entsetzte sich bei seinem Anblicke. Siehe Seite 15 des 3. Bandes.

Noch athmete die unglückliche Herzogin, ihre mütterliche Zärtlichkeit erschwerte ihr das Scheiden und verlieh ihr wunderbare Kraft.

Empfange den Tod, den Dir Elfridi geschworen! hatte ihr der Mörder zugerufen, als er sie durchbohrte. Konnte der unversöhnliche Feind ihrer Familie die kleine Mathilde verschonen? Unmöglich!

Viola raffte sich mühsam vom Boden auf, drückte ihr Tuch auf die blutende Wunde, nahm ihr Kind an ihre Brust, öffnete die zur Bibliothek führende Thür, und wankte vom Scheine einer Ampel geleitet, in den Eßsaal. Bleich, blutig, entstellt und mit bittendem Blicke legte sie ihr Kind auf Don Manuels Knie und sank dann leise röchelnd tod zu seinen Füßen nieder.

 


Drittes Kapitel.

Don Manuel stieß ein fürchterliches Geschrei aus und stürzte ohne Besinnung auf den entseelten Leichnam der Herzogin hin. Glücklicherweise gewann Diego, der zugegen war, Zeit, die kleine Mathilde zu ergreifen und zu noch mehrerm Glücke, langte grade in diesem unglücklichen Augenblicke Franzisko von Madrid an. Er ließ Leonoren herbeirufen, überlieferte ihr das Kind und erklärte feierlich, daß er es beschützen und ihm seine Mutter ersetzen werde. Zwar begriffen die drei Verbündeten, daß mit offenbarer Gewalt gegen diesen besondern Schutz nichts auszurichten stehe; indeß hofften sie, daß sich in der Folge ein günstiger Zeitpunct darbieten werde, ihre mörderische Absichten auf irgend eine hinterlistige Weise zu erreichen; dieserhalb billigten sie des Mönches Verfahren und beklagten der Gefangenen trauriges Ende. Die zur Entdeckung des Mörders auf Franzisko's Befehl angestellten Untersuchungen konnten sie nicht beunruhigen; sie hatten vorher alles so meisterlich eingeleitet und alle Umstände so täuschend zu entstellen gewußt, daß Viola des Selbstmordes einstimmig beschuldigt werden mußte. Man fand den blutigen Dolch noch auf derselben Stelle in ihrem Schlafzimmer; einige Fragmente von Briefen, die zerstreut auf dem Tische und Bette lagen, ließen über die vollständigste Geisteszerrüttung der Entseelten keinen Zweifel obwalten und verriethen den längst schon gehegten Entschluß, sich das Leben zu nehmen. Elfridi's abscheuliges Talent hatte sich selbst übertroffen, die Handschrift war so täuschend nachgeahmt, daß selbst Don Manuel sie für Violens Schriftzüge erkannte, als er nach einer langen, durch seine Verzweiflung verursachten Krankheit, sich stark genug fühlte, die ihm vorgezeigten und mündlich berichteten unwiderlegbaren Beweise von dem Wahnsinne und dem Selbstmorde der Herzogin zu prüfen.

Der Leichnam der unglücklichen Viola wurde in einem an das Schloß stoßenden unterirrdischen Gewölbe beigesetzt und mit so vielen gefährlichen Zugängen umringt, daß Elfridi, der es dazu bestimmt, und den Ort angewiesen hatte, dessen Entdeckung nicht fürchten durfte. Franzisko und er trugen allein die Hülle an den dunkeln Ort ewiger Ruhe, damit Niemand Don Manuel behülflich sein konnte, sie, die er so heftig geliebt hatte, wiederaufzufinden, und um zu verhüthen, daß seine Leidenschaft dadurch unnöthigerweise genährt werde. Elfridi überredete seinen ehemaligen Erzieher, daß diese Leidenschaft für die Gefangenen im Schlosse bei ihm aufgewacht und es daher dringend nöthig sei, ihn in Ansehung ihres Kindes durch die Versicherung zu hintergehen, daß solches nach dem Tode der Mutter ebenfalls an den Folgen einer Krankheit gestorben sei. Ohne diesen Betrug müsse man, fügte er hinzu, vor Don Manuels gefährlichem Mitleid für die Kleine und der Liebe zur Mutter befürchten, daß er seine und seiner Untergebenen Sicherheit aufs Spiel setzen und versuchen werde, das Kind seinen Angehörigen wieder zu überliefern, damit solches die Vorzüge seines Standes und Vermögens dereinst genießen könne. Franzisko gelobte Stillschweigen und versprach, die kleine Mathilde vor den Blicken Don Manuels zu verbergen. Da nun Elfridi über die Folgen seines Verbrechens völlig beruhigt zu sein glaubte, so begab er sich in Begleitung des Grafen von Vizenza nach Italien, dort dem Herzoge von Manfredonia, mit dem wir uns nun beschäftigen müssen, das Gewicht seiner Rache gleichfalls mit schrecklichem Drucke empfinden zu lassen.

Dieser unglückliche Gatte hatte im Schlosse von Palino seinen Gram und seine Trauer in der Freunde treuen Busen ausgeschüttet; so sehr aber auch der Anschein wider die Beschuldigte sprach, so blieb doch Clementinens Herz für jeden Verdacht und Zweifel an Violens Tugend unzugänglich, und ihre frühere Achtung und Zärtlichkeit für ihre Cousine wurden um nichts geschmälert.

Glaubt mir, sprach sie zu Lorenzo, Euer Weib ist unschuldig; ich kenne ihr Herz und kann dafür mit eben so viel Zuversicht bürgen, wie für das meinige; alles Zweideutige und Räthselhafte, was ihr bemerkt zu haben glaubt, kann nur das Werk des ränkevollen, rachsüchtigen Ambrosio sein. Auf Euer Glück eifersüchtig, hat er alles aufgeboten, es zu zerstören; und leider ist es seinen teuflischen Kunstgriffen, und listigen Entwürfen gelungen, Eure Augen zu verblenden. Ach, laßt uns zum Beistande Violens hineilen, ich fühle wie unglücklich sie jetzt sein muß und werde nicht eher einen Augenblick Ruhe genießen können, bis ich sie in Eure Arme zurückgeführt habe.

Clementinens Worte ängstigten das Herz des unglücklichen Herzogs, und was ihm früher schreckliche Gewißheit geschienen, zeigte sich jetzt bei einer ruhigern Prüfung im trügerischen Gewande des Zweifels. Er beschuldigte sich blinder Eifersucht und einer unverzeihlichen Leichtgläubigkeit; bald verdrängte die Hoffnung einen großen Theil seiner bisherigen schrecklichen Ueberzeugung, und der Herzog entschloß sich nach den ersten Tagen seiner Ankunft wieder abzureisen. Die Gräfin Ariosto bestand ihrer vorgerückten Schwangerschaft ungeachtet darauf ihn zu begleiten; umsonst suchte der für ihre Gesundheit besorgte Gatte ihr diesen Vorsatz auszureden; seine Bitten blieben fruchtlos und da er zudem selbst erwog, daß die Sehnsucht einer glühenden Fantasie nach der leidenden Freundin ihr nachtheiliger sein könnte, als die Beschwerlichkeiten der Reise, so willigte er ein, behielt sich indeß einige Tage Aufschub vor, um die nöthigen Vorkehrungen treffen und für seiner Clementine Bequemlichkeit in ihrem damaligen Zustande sorgen zu können.

Diese Frist war verstrichen, alles zur Abi reise bereit und an der Pforte hielt der bespannte Wagen; da meldete man dem Grafen Ariosto, daß der Graf Elfridi so eben angekommen sei, und ihn um einen Augenblick, zu einer geheimen Unterredung bitten lasse.

Man lasse ihn eintreten, rief erblassend Lorenzo und mit ihm zugleich sein Freund Ariosto. Verlegen und betrübt erschien der Unglücksbote, sein gesenkter Blick weissagte Verderben, er hatte seine Rolle meisterhaft studirt. Bestürmt von unzähligen, ängstlichen Fragen, stammelte er endlich das Wort: Flucht! --

Nein, nein, rief Clementine, sie ist nicht geflohen! List und Gewalt nur konnten sie entführen; aber Graf Elfridi, warum habt Ihr sie nicht vertheidigt? -- --

Ach, was konnte ich einem wohl überlegten Entschlusse entgegenstellen, womit seine Ausführung verhindern? -- Leßt, Signora, leßt diesen Brief der Gräfin Elwire.

Clementine nahm hastig den Brief und erbrach ihn, ehe es der Graf Ariosto verhindern konnte.

Und Ihr, fuhr der gleisnerische Bösewicht gegen den kaum noch athmenden Herzog gewendet fort, Ihr mein theurer, leider zu unglücklicher Freund, erlaubt mir ohne weitere Vorbereitung einen Auftrag zu erfüllen, der mir das Herz zerreißt. Dieser zweite Brief ist an Euch gerichtet, er wird Euch sagen, wozu mir die Kraft fehlt es auszusprechen.

Kaum würde der Leser sich einen Begriff von dem schrecklichen Zustande machen können, in welchem sich nach dem Lesen beider Briefe Clementine und Lorenzo befanden, wenn er nicht deren Inhalt bereits vorhergesehen, und errathen hätte, daß sie von dem abscheuligen Polidor geschmiedet waren.

Alles, was Violens natürliche Herzensgüte und ihr Gefühl für Dankbarkeit ihr nur einflößen konnte, fand sich in diesen Briefen mit den schwärmerischen Ausdrücken einer verzehrenden, strafbaren Leidenschaft, der sie nicht widerstehen konnte, durchflochten. Mit dem Geständniß, daß sie Ambrosio alles aufopfere, sagte sie ihrem Gatten und ihrer Freundin ein ewiges Lebewohl, bat sie zu vergessen, daß sie gelebt habe, und beschwor sie mit Thränen, ihren unschuldigen Sohne diejenigen Gefühle erben zu lassen, deren sie nicht mehr würdig sei.

Wärend die Gräfin mit einem Strom von Thränen dieses lügenhafte Machwerk, dieses Meisterstück von Betrug und Niederträchtigkeit las, rief Lorenzo, dessen Gesicht das Zucken der Verzweiflung schrecklich entstellte, mit erstickter Stimme die fürchterlichen Worte aus: Nein, ich werde das Haus unserer glorreichen Vorfahren durch die Geburt des Kindes eines Ambrosio's nicht besudeln; eine entfernte, finstere Einöde soll ihn der Menschen Blicke auf ewig entziehen und er das Schicksal seiner lasterhaften Mutter theilen.

Des Schmerzes anfängliches Rasen lößte sich allmälig in düstre Schwermuth auf. Lorenzo trug seines Herzens stillen Gram abwechselnd von Palino nach Manfredonia, er konnte es nicht vermeiden, den Ort wiederzusehn, wo er glücklich gewesen war; träumend suchte er dort jede Spur von Violen ämsig auf, weinte über den verlassenen Sohn und weilte Tage lang in den Zimmern, die sie bewohnt hatte; plötzlich aber floh er mit Entsetzen Alles wieder, was ihn an ein verbrecherisches Weib, das sein Herz bald verfluchte, bald anbetete, erinnern konnte. Für den bösartigen Elfridi mehr als je eingenommen, weil er ihn auf allen seinen Reisen theilnehmend begleitete und die Launen seiner Schwermuth geduldig ertrug, faßte seine kranke Seele alle Eindrücke auf, die dieser treulose Vertraute ihr zu geben für angemessen fand. Auf seine Veranlassung erhielt der Betrogene von allen Seiten das ehrenvollste Zeugniß über den Antheil, den Elwire an dem unglücklichen Ereignisse genommen. Sie hatte ihre strafbare Freundin beklagt, mit glimpflicher Nachsicht das unläugbare Unrecht derselben beschönigt oder wenigstens sie nicht verdammt, und auf alle mögliche Weise dahin, getrachtet, daß des Geheimnisses Schande im Kreise der Familie eingeschlossen blieb. Seit ihrer Rückkehr nach Toskana, stimmte sie Clementinens Meinung von der Entflohenen vollkommen bei, weinte in Palino mit ihr und Lorenzo über sie, und riß allmälig die Achtung und Dankbarkeit des unglücklichen Herzogs, der in einer solchen Aufführung das der Tugend so eigne nachsichtsvolle Mitleid zu erkennen glaubte, an sich.

Der Graf Elfridi hatte darauf gerechnet; es gehörte zur vollständigen Erreichung seines rachsüchtigen Plans, der Dehmüthigung und dem Unglücke seines Opfers nichts fehlen zu lassen; und um nun, mit diesem Ziele, auch den Vortheil seiner hülfreichen Vertrauten, die ihm so wichtige Dienste geleistet hatte und noch leisten konnte, zu verknüpfen, so suchte er des unglücklichen Lorenzo's günstige Meinung von Elwirens Herzen, durch gelegentliches Lob ihres Edelmuths und ihrer Uneigennützigkeit immer mehr zu steigern, unterstützte mit der Gewandheit eines feinen Intrigants ihre Absichten; und als er nun nach Verlauf einiger Monate überzeugt war, daß die erforderliche Einleitung, gehörig vorbereitet sei, so schritt er zur Entwickelung.

Gestempelte Betrüger überbrachten dem Herzoge Nachrichten von seiner verschwundenen Gattin. Sie hatte ihren Aussagen nach in einem Dorfe unweit Toulouse ein todtes Kind gebohren und war gleich darauf, an den Folgen einer schweren Entbindung durch Vernachlässigung unverständiger Aerzte gestorben. Der von Manfredonia hingesandte Caplan brachte Attestate und einen Todtenschein, nebst mehrern Kleidungsstücken und andern Sachen, die Violen in ihrem Gefängnisse geraubt waren, als Beweise ihres Absterbens mit zurück, und Niemand, mit Ausnahme der Betrüger, zweifelte an dem Tode der unglücklichen Herzogin.

Nun ergriff ein noch bitterer Schmerz, ein Schmerz, der jede Tröstung von sich stieß, das Herz des leidenden Lorenzo. Sein Aufenthalt in Manfredonia wurde ihm verhaßt, und obgleich er ungeachtet seiner anfänglichen Heftigkeit wahre Zuneigung für seinen Sohn hegte, so konnte er sich doch in langer Zeit nicht entschließen, ihn zu sehen, und seine Einwilligung zu geben, daß er ihn zuweilen mit seiner Wärterin in Palino besuchte. Der Anblick dieses Kindes erinnerte ihn zu lebhaft an Violen und sein verlohrnes Glück; und diesem Andenken waren seine Geisteskräfte nicht gewachsen. Ach, der unglückliche Lorenzo war jetzt nur noch ein Schatten seiner vormaligen herrlichen Gestalt. Violens Tod hatte alle vortrefflichen Gaben, womit ihn die Natur beschenkt, alle seine Neigungen gelähmt und die Spannkraft seiner Seele zernichtet. Er verließ selten seine Zimmer im Schlosse zu Palino, floh jeden Gegenstand der Zerstreuung und wenn zuweilen Elfridi oder der Graf Ariosto es versuchten, ihn durch irgend eine feine Wendung des Gesprächs von seinem Schmerze abzulenken, so blieb sein Ohr taub, ihre Reden konnten seine Aufmerksamkeit nicht fesseln; er verfiel in düstere Träumereien, und nur Clementine und Elwire waren die einzigen, die ihn aus seinem dumpfen Erstarren dadurch erweckten, daß sie ihre Thränen mit den seinen vermischten und seine Wehmuth theilten.

So oft die mütterliche Sorgfalt und Zärtlichkeit die Gräfin Ariosto nöthigten, sich mit ihrem Kinde zu beschäftigen und sie den trostlosen Wittwer verlassen mußte, fand auch Elfridi leicht Veranlassung, ihren Gemal ebenfalls von ihm zu entfernen, und Elwiren ungehinderten Spielraum zu verschaffen. In solchen Augenblicken, wo sie sich mit dem Herzoge allein befand, entwickelte sie mit bewunderungswürdiger Fertigkeit die verführerischen Gaben der Natur und Kunst. Niemand konnte mit mehr Leichtigkeit Thränen vergießen und diese Thränen erhöheten ihre Reize. Ihre geübte, biegsame Stimme, eine aufmerksame Schülerin der Erfahrung, wußte genau den Ton zu wählen, der tief eindringen sollte in das Herz des Arglosen, den sie ihrer Verführung geweiht hatte; und selten verfehlten die Laute der gefährlichen Sirene ihre Wirkung.

Ach, Lorenzo's von Leiden erschlafftes Herz war zu kraftlos, um sich gegen diese hartnäckigen, wiederholten Angriffe mit Nachdruck vertheidigen zu können; es widerstand den Lockungen der erfahrnen, schönen, aber leider eben so lasterhaften Künstlerin nicht; als diese dem Unglücklichen nun unentbehrlich geworden, als sie zur Gewißheit gelangt war, daß ihre Entfernung eine Leere in seinem Herzen zurücklassen würde, die seine Umgebung nicht ausfüllen konnte, so fehlte es ihr nicht an scheinbaren Vorwänden, die eine Reise nach Florenz dringend nöthig machten, so schwer es ihr auch wurde, sich von dem traurenden Freunde zu trennen. Der Graf Elfridi, zu eifriger Beförderer ihrer Absichten, hüthete sich, sie wärend ihrer Abwesenheit beim Herzoge zu ersetzen. Er entfernte sich, entfernte den Freund Ariosto, und Lorenzo, der jetzt oft Stunden lang allein war, sehnte sich nach Elwirens Rückkunft. --

Sein treuloser Beobachter ließ ihn einige Tage in dieser grausamen Einsamkeit mit seiner Schwermuth allein; dann näherte er sich ihm wieder eben so vorsichtig, wie er ihn vermieden hatte und fand gesprächsweise bald Gelegenheit, im Allgemeinen das seltene Gefühl Elwirens für die Leiden der Unglücklichen und besonders ihre Theilnahme an seinem Schicksale zu rühmen. Lorenzo antwortete ihm mit der Wärme eines erkenntlichen Herzens, und Beide wetteiferten in Lobeserhebungen, bis endlich dem Grafen einige Worte entschlüpften, die sein aufmerksamer Zuhörer begierig auffaßte, und da eine Erklärung nicht füglich umgangen werden konnte, Elfridi nach einigem Zögern und langen Umschweifen dahin vermogten, daß er seinem Freunde entdeckte, die schöne, zu zärtliche Elwire kämpfe schon seit mehreren Jahren mit einer Leidenschaft, die weder Lorenzo's Liebe zu Violen, noch seine daraus erfolgte Vermälung zu ersticken im Stande gewesen sei. In dieser unglücklichen Neigung nun liege die Ursache, weshalb sie verschiedene glänzende Anträge abgewiesen habe. Ihrem Bruder sei dieses Geheimniß nicht unbekannt, und es jetzt, wo alle Hindernisse gehoben waren, sein heißester Wunsch, seine geliebte Schwester mit dem besten Freunde verbunden zu sehen; inzwischen mache es ihm seine Delikatesse, die ihm vor Lorenzo's Vermälung Stillschweigen auferlegt, auch jetzt noch zur Pflicht, Elwirens Neigung zu verheimlichen, obgleich er leider sehen müsse, daß seine Schwester, ein Opfer hoffnungsloser Liebe, sich entschlossen habe, den Theuren zu fliehen, aus Besorgniß, daß sie in ihren öftern Unterhaltungen ihre Gefühle selbst verrathen könnte.

Diese Mittheilung enthielt, bis auf Elwirens Liebe für den Herzog, reine Wahrheit. Oft hatte Ariosto den Wunsch geäußert, durch eine Verbindung seiner Schwester mit dem Freunde, alle, die seinem Herzen theuer waren, mit einem Bande zu umschlingen; und als er nach Violens Tode Elwiren bei Lorenzo's Schmerze so gerührt sah, fing er zu hoffen an, daß diese zärtliche Theilnahme erwiedert werden könnte. Elfridi ließ es dieser Hoffnung nicht an Nahrung fehlen, er war überzeugt, daß Clementine sich nicht getrauen werde, der Schwester ihres Gemals offenbar hinderlich zu sein; deshalb beunruhigte es ihn wenig, als er bemerkte, daß sie die beabsichtigte Verbindung nicht mit Ariosto's Eifer zu begünstigen schien.

Clementine hatte bis jetzt die Denkart ihrer Schwägerin von keiner nachtheiligen Seite kennen gelernt; sie glaubte vielmehr, liebenswürdige Eigenschaften an ihr zu entdecken, und liebte in ihr die Schwester des theuren Gatten; aber mit Violen durfte sie diese nicht vergleichen, wenn sie nicht den Unterschied zwischen Beiden zu auffallend finden wollte; denn obgleich ihrer Cousine strafbarer Lebenswandel ihr die Achtung aller Tugendhaften entziehen mußte, so war doch Clementinen das Andenken, der von Jugend auf zärtlich geliebten Freundin noch immer so theuer, daß sie bei dem Gedanken, diese sobald ersetzt zu sehen; heimlichen Widerwillen und Unmuth empfand. Da sie inzwischen billigerweise nicht verlangen konnte, daß der Graf Ariosto mit ihr über diesen Gegenstand gleiche Ansichten hegen sollte, und sie es ganz natürlich fand, daß dieser das Glück seiner Schwester zu befördern sich angelegen sein ließ, so blieb sie, wiewol innerlich betrübt, in dieser Angelegenheit durchaus neutral.

Elfridi's Veranstaltungen und die Art, wie er des Herzogs leidendes Herz zu rühren wußte, führten endlich den verlassenen Lorenzo zu dem Ziele, zu dessen Erreichung lange schon alle die, mit so viel List und Kunst angelegten verrätherischen Triebfedern in steter Bewegung waren; er überredete ihn, Elwirens Hand zu verlangen; kaum aber war es geschehen, so schauderte Lorenzo, sie erhalten zu haben und eilte sich in seinem Zimmer einzuschließen, wo er sich zu späten reuigen Betrachtungen überließ. -- Die Liebe hatte keinen Theil an dem gethanen Schritte; mit Violen war das einzige Gefühl dieser Art, das er zu empfinden im Stande gewesen, begraben. Welche Ketten sollte er nun tragen, wie die Zärtlichkeit eines jungen, schönen Weibes erwiedern, welches mit Recht den ungetheilten Besitz eines Herzens fordern konnte, das ja sein Eigenthum nicht mehr war, weil seine erste Gattin ihn darum betrogen hatte? -- Aber seine Ehre stand hier mit im Spiele, und da es nun einmal zur Umkehr zu spät war, so suchte er sich mit dem Gedanken an diese Verbindung auszusöhnen, tröstete sich mit der Erwartung, daß ihn sein Schmerz, bald von der unerträglichen Last des Lebens befreien und er dann doch in Elwiren für den verwaisten Sohn eine zärtliche, vortreffliche Mutter zurücklassen werde.

Die zukünftige Herzogin kehrte ungesäumt nach Palino zurück, das Entzücken des Triumphs unter dem trügerischen Scheine der Sittsamkeit verbergend, der ihre Reize noch erhöhete. Dem Herzoge gefiel dieses anscheinend ungekünstelte, bescheidene Betragen; aber alle Macht, welche diese gefährliche Sirene über den Arglosen auszuüben verstand, konnte dennoch nicht verhindern, daß die Erinnerung an Violen das hochzeitliche Gepränge und die Feier der Vermälung mit einem Leichentuche bedeckte und dem Herzoge, als er seine Braut zum Altar führte, eine zweimalige Ohnmacht anwandelte.

Clementine konnte bei dieser Feierlichkeit nicht erscheinen, eine Unpäßlichkeit hielt sie davon zurück; und als nach einigen Wochen die Liebkosungen und wiederholten lebhaften Bitten der Herzogin von ihrem Gemal seine Einwilligung zur Rückkehr nach Manfredonia erhielten, fand aus gleichem Grunde die versprochene Begleitung des Grafen Ariosto mit seiner Gattin nicht statt. Der Herzog und der Graf Elfridi führten also die schöne Stiefmutter des jungen Roland in ihr nunmehriges Eigenthum ein, und diese glühete vor Ungeduld, ein so zärtlich geliebtes Kind an ihren Busen drücken zu können.

 


Viertes Kapitel.

Der Graf Elfridi hatte nun zwar seinem Freunde Polidor und Elwiren, die lange schon nach dem Besitze der Reichthümer des Herzogs ihre gierigen Hände ausstreckten, einen wichtigen Dienst geleistet, aber er kannte sie zu gut, als daß er auf ihre fortdaurende Dankbarkeit sicher hätte rechnen können; und da er nur in sein eignes Herz hinabzublicken brauchte, um ein Beispiel des schwärzesten Undanks darin aufzufinden, so faßte er den Entschluß, sich im Nothfalle ein Mittel zur Sicherheit oder nach Befinden der Umstände zur Rache, durch die Entführung des jungen Rolands vorzubehalten, und das zukünftige Schicksal dieses Kindes nach dem Betragen Polidors und der Herzogin gegen ihn zu bestimmen. Die Wärterin des Knaben gehörte mit zu seinen Kreaturen, eben so ein großer Theil der nach Violens Entfernung im Schlosse beibehaltenen Diener; mithin waren für einen Mann wie Elfridi nur unerhebliche Schwierigkeiten zu beseitigen. Die in Neapel und der umherliegenden Gegend ausgebrochenen Kinderblattern wußte der Ränkevolle trefflich zu benutzen, denn plötzlich verbreitete sich das Gerücht, der kleine Roland sei von dieser bösartigen Krankheit, die Jeder mit Entsetzen und Abscheu floh, ebenfalls ergriffen und wenn nicht schleunige Hülfe herbeigeschafft werde, in wenigen Stunden vielleicht eine Beute des Todes. Unglücklicherweise war der ehrliche Fidato am Podagra krank, und der gewöhnliche Arzt des Schlosses zum Besuche bei seinen entfernten Verwandten verreiset. Alle diese Umstände, die Elfridi vorher erwogen und benutzt hatte, kamen ihm bei dem Betruge zu statten; den Arzt ersetzte ein verbündeter des Pyrenäen-Schlosses, der sich in der Gegend von Manfredonia mit dem Grafen Polidor umhertrieb, diesen letztern beobachten sollte und auf Gelegenheit lauerte, dem Grafen Elfridi zu dienen. Dieser Elende, von Elfridi empfohlen, übernahm, jedoch ohne Wissen Polidors, der nach Baskara zurückgekehrt war, die Rolle des Arztes, hielt den Herzog und seine Gemalin vom Krankenlager des Knaben, der von Gesundheit glühete, unter dem Vorwande der Gefahr des Ansteckens entfernt, duldete niemand um ihn als die bestochene Wärterin und vertauschte im Dunkel einer stürmischen Nacht den lebenden Roland mit einem elternlosen, an den Blattern wirklich gestorbenen und durchaus entstellten Bauerknaben, dessen Beerdigung die entflohenen Angehörigen ihm überlassen hatten. Dieser Knabe wurde in des kleinen Rolands Bette gelegt und Lorenzo's Sohn fest schlafend einem dazu bestellten Räuber überliefert, der ihn nach Don Manuels Teufelshöhle brachte. Am Morgen ließ die Wärterin das Schloß von ihrem Geschrei ertönen und rief die Bewohner desselben erschreckt herbei, aber die Fortschritte der Fäulniß hatten bereits die Luft des Krankenzimmers auf eine so unerträgliche Weise verpestet, daß sich dem Leichnam Keiner nahen wollte und die schnellste Beerdigung des Todten für die Gesundheit der Lebendigen höchst nöthig wurde. -- Alles war von Elfridi und seiner Rotte so meisterlich eingeleitet und so gut ausgeführt, daß Elwire und Polidor wie Lorenzo vollkommen getäuscht wurden.

Jetzt erneuerte sich der Schmerz des unglücklichen Vaters, der seit seiner Vermälung mit Elwiren aus Schonung für diese nur heimlich getrauert hatte, in lauten, heftige Ausbrüchen. -- Alles, was ihm von Violen noch übrig geblieben war, verschwand mit dem geliebten Sohne, seiner letzten Hoffnung, dem einzigen Gegenstande, der ihm das Leben noch erträglich machen konnte.

Elwire, ihrer Rolle als zärtliche, mit Leidenschaft liebende Gattin immer noch getreu, spielte die Untröstliche mit einer bewunderungswürdigen Täuschung. Sie umschlang den Gemal mit ihren Armen, drückte ihn an ihr Schlangenherz und beschwor ihn, sie nicht zu verlassen, an ihrem Busen zu weinen, sich für sie zu erhalten; und Lorenzo, der getäuschte, zwang sich seine wahren Gefühle zu verbergen, aus Besorgniß, diejenige zu betrüben, welcher er so vielen Dank schuldig zu sein wähnte.

Auf die Gräfin Ariosto verursachte die traurige Nachricht von dem Tode des Kindes ihrer Viola eine schreckliche Wirkung. Sie glaubte, in diesem Ereigniß eine Strafe des Himmels zu erkennen, der dadurch die zweite, so ungebürlich beeilte Vermälung Lorenzo's rügen wollte. Der verderbliche Einfluß des unglücklichen Gestirns, das über der ganzen Familie schwebte und das Schicksal ihrer Glieder regierte, verbunden mit Clementinens zunehmender Schwermuth zogen ihr eine schleichende Krankheit zu, die in Kurzem bedenklich zu werden anfing, daher die Aerzte zu einer Reise riethen und vorzüglich darauf bestanden, die wohlthätige Wirkung der vaterländischen Luft bei der Kranken zu versuchen.

Der betrübte, zwischen Furcht und Hoffnung schwankende Altidoro, sah sich, wiewol wider seinen Willen genöthigt, den Vorstellungen der Heilkünstler nachzugeben, und mit seiner Gattin nach England abzureisen, obgleich ihr leidender Zustand und ihre abermalige, schon weit gediehene Schwangerschaft die mit jeder Seereise verknüpften Unbequemlichkeiten nur vermehren konnten. Die Ueberfahrt ging indeß glücklich von statten; Clementinens Gesundheitsumstände schienen sich, mit Ausnahme ihrer zunehmenden Schwäche, nicht verschlimmert zu haben; und wenige Tage nach ihrer Ankunft im Vaterlande gebar sie eine Tochter, die unserm Leser bereits bekannte, liebenswürdige Victoria.

Altidoro's Freude über dieses neue holde Ebenbild seiner geliebten Gattin wurde,aber leider bald verbittert. Das ungewöhnlich kalte und veränderliche Clima Englands, die dicken Nebel, die ungewohnte Kost und vorzüglich ein zu früher Besuch am Grabe ihrer Mutter, der vortrefflichen Julie, den ihr Gemal nicht verhindern konnte, rieben mit so raschem Ungestüm ihre wenigen Lebenskräfte auf, daß Altidoro kaum Zeit behielt, sich nach dem Gutachten der Aerzte in London, mit ihr wiedereinzuschiffen, und in Sizilien zu landen, wo Clementine, nicht über ein und zwanzig Jahr alt im Schlosse von Palermo, in eben dem Gemache, das Viola bewohnt hatte, ihren herrlichen Geist aufgab. Der untröstliche Altidoro begleitete die traurigen Ueberreste seiner angebeteten Gattin nach Toskana in das Schloß von Palino, wo er sich mit ihnen einschloß und einige Jahre in Schmerz versunken, ohne irgend eine Zerstreuung als die nöthige Sorgfalt für die Erziehung seiner Kinder, verlebte.

Der Herzog von Manfredonia beweinte Clementinen wie eine Schwester, eine zärtliche Freundin, deren Verlust nichts ersetzen konnte; gern hatte er Linderung seines Grams in der Gesellschaft seines Freundes gesucht, aber dieser unglückliche Gatte hob allen Umgang mit seinen Freunden und allen andern Menschen auf, lebte nur in der Einsamkeit für die Kinder seiner Clementine und schrieb von hier aus an Lorenzo, daß er ihm den stärksten Beweis seiner Freundschaft dadurch geben werde, wenn er ihn ungestört mit seiner traurigen Beschäftigung allein lasse und mit dem Jammerbilde eines traurenden Bruders die schönen Tage nicht verdunkle, welche Elwiren durch seinen Besitz, vom Schicksal beschieden wären. Am Schlusse des Briefes beschwor er nochmals das Ehepaar, in Manfredonia zu bleiben, und dort in Frieden und fern von ihm das Glück zu genießen, welches für ihn nun auf immer verlohren sei.

Indem er diese Scheidewand zwischen sich und dem Freunde erhob, füllte der Graf Ariosto, ohne es zu ahnen, das Maas, der dem tugendhaften Herzoge hier auf Erden zuerkannten Leiden. Er entfernte ihn von dem einzigen Wesen, das ihn liebte, um ihn ohne Rettung der Willkühr seiner unbarmherzigen Feinde zu überlassen, und beraubte sich selbst eines Trostes, der seine Lebensjahre, durch Theilnahme und freundliches Zureden verlängern, und ihm seinen Schmerz ertragen helfen konnte.

Nach einigen Monaten schien die Herzogin über den Verfall der Gesundheit ihres Gemals und seine öftern Anfälle von düsterer Schwermuth und Geistlosigkeit besorgt zu werden. Das schrecklichste Schicksal stehe drohend ihr bevor, sprach sie zärtlich, wenn er ferner noch dabei beharre, seinen Schmerz durch das einsame Leben in Manfredonia zu reizen; auch könne sie unmöglich den traurigen Anblick seines innern Grams, gegen dessen Hartnäckigkeit alle ihre Liebkosungen scheiterten, länger ertragen. Sie sei es daher sich und dem geliebten Gatten schuldig, eine Veränderung des Ortes und Himmelstrichs als einziges Gegengift für das zerstörende Uebel seines Gemüths anzurathen, und fühle sich fähig, jedes Opfer zu bringen, um ein so kostbares und theures Leben zu erhalten. Eine Reise nach den herrlichen Inseln des Archipels müsse Tausende von Zerstreuungen darbieten, und die damit verbundene Leichtigkeit, diese Seefahrt durch beliebige Pausen einzuschränken, werde sie vor Ermüdung sichern, und in den Stand setzen, das Angenehme und Lehrreiche einer solchen Reise mit Ruhe zu genießen; was die Unbequemlichkeiten derselben anlange, so könne von ihrer Seite, da hier nur das Wohl ihres Gemals beabsichtigt werde, um so weniger die Rede sein, als sie unbedenklich das größte Ungemach für ihn zu erdulden, stets als einen Theil ihrer Pflichten ansehn werde, auch sie durch die Begünstigung ihn begleiten und pflegen zu können, hinlänglich entschädigt würde.

Das Schloß und die Gegend um Manfredonia waren für den Herzog längst ein qualvoller Aufenthalt geworden; er würde ans Ende der Welt geeilt sein, wenn er sich selbst hätte entfliehen können; in dieser Stimmung kam ihm daher der Vorschlag der Herzogin sehr gelegen, und weit entfernt, der Ausführung desselben Hindernisse in den Weg zu legen, dankte er der Boshaften vielmehr mit gerührtem Herzen für diesen neuen Beweis ihrer Zärtlichkeit.

Man richtete sich demnach unverzüglich zur Reise ein. Maratti, ein Kalabrese, den der Graf Elfridi empfahl, ersetzte den vertrauten Kammerdiener des Herzogs, da dieser treue Diener für eine so weite Seereise zu alt und zu stumpf befunden wurde; von allen Dienerinnen der Herzogin traf nur Bianka die Wahl, sie zu begleiten; und der anhängliche Graf Elfridi, von diensteifriger, besorgender Freundschaft durchdrungen, konnte unmöglich seine Freunde dem treulosen Element, das sie befahren wollten, allein überlassen, und erbot sich edelmüthig, ihre Freuden, Leiden und Gefahren zu theilen.

Zwei Monate nach der Abreise traf Elwire mit einem prächtigen Sarge, den ihre Thränen befeuchteten, in Neapel wieder ein. Tiefe Trauer umhüllte die trostlose Wittwe; drei Tage hindurch stand der Sarg in der Kapelle von Manfredonia zur Schau, dann ward er mit pomphaftem Gepränge in dem Begräbnißgewölbe der Familie beigesetzt. Niemand dachte daran, daß dieser reich verzierte Sarkophag etwas anders als die körperliche Hülle des Herzogs von Manfredonia verschließen könnte, und doch war es nur der Leichnam eines elenden Matrosen, der statt seiner des Leichenbegängnisses letzte Ehre empfing, wärend selbst Elwire die erbitterten Manen ihres gemordeten Gemals damit zu beschwichtigen glaubte.

Wenn diese blutdürstige Furie den Mord des Mannes, um dessen Hand sie sich so eifrig bemühete, bisher verzögert hatte, so geschah es nur aus Furcht, daß ein zu frühzeitiger Tod leicht Verdacht gegen sie erwecken konnte; aber Polidor, der mit Gierigkeit darnach lechzte, diejenigen unermeßlichen Güter zu besitzen, welche in Ermanglung von Erben der Wittwe zufallen mußten, hatte den Plan zur Reise entworfen, und endlich seine Verbündeten zur Ausführung der neuen Greuelthat gestimmt. Der Graf Elfridi, überdrüßig, länger noch die Maske der Freundschaft zu tragen und unaufhörlich einem Manne Trost zuzusprechen, den er bis an seinen Tod zu quälen geschworen hatte, schien in Elwirens und des Grafen von Vizenza mörderische Absichten einzugehen; aber entweder schreckte ihn der Gedanke, seinen ehemaligen Wohlthäter zu ermorden, ab, oder wollte er die Wollust der Rache noch in längern Zügen schlürfen, indem er die Lebenstage seines Opfers erhielt und alle physische Leiden zu den moralischen Qualen, mit denen er den Unglücklichen überschüttet hatte, gesellte. Genug, er betrog abermals seine innig Vertrauten; und in der Nacht, wo die Reisenden zur Mischung des Gifttranks an der Insel Rhodez gelandet waren, fand sich, Elfridi's geheimen Aufträgen zu folge, eine Brigantine von Don Manuels Eskadre, die in den dortigen Gewässern kreuzte, an der Küste ein; die Mannschaft bemächtigte sich des durch Opium betäubten Lorenzo's, den seine treue Gattin, auf ihren zuverlässigen Gehülfen vertrauend, verlassen hatte, um keine Zuschauerin beim Todeskampfe des Gemordeten zu sein; schleppte ihn an Bord des Raubschiffes und segelte mit dem Todtgeglaubten nach Spaniens Küste, von wo aus man ihn fest verwahrt in dunkeln Nächten nach dem Pyrenäen-Schlosse brachte. Ein Brief unterrichtete Garzias von dem Stande und Namen des neuen Gefangenen und trug ihm auf, Lorenzo entfernt von allen bewohnten Orten einzukerkern und Niemandem zu entdecken, wer er sei. -- Der Abtrünnigen zitterte vor höllischer Freude, als er den Beschützer und Gemal der Markise von Palermo nun auch in seiner Gewalt sah, und erfüllte den Auftrag mit der gewissenhaftesten Grausamkeit, die seiner wilden Seele eigen war.

Mit dem Anbruche des Tages zeigte Elfridi der Herzogin an, daß der Gifttrank sie von ihrem Gatten befreit habe, dieser aber von den schrecklichen Verzuckungen und dem heftigen, innerlichen Schmerze so scheußlich entstellt sei, daß er selbst bei seinem Anblicke erstaunt und mit Schaudern sein Gesicht weggewendet, und Maratti den Befehl gegeben habe, den in der Eile verfertigten Sarg sogleich zu vernageln. Elwire glaubte diese Lüge, zeigte kein Verlangen, den Leichnam zu sehen, denn der Anblick eines Mannes, den sie im Leben gehaßt hatte, konnte sie im Tode nicht reizen; und der Graft Elfridi frohlockte heimlich, die Leichtgläubigkeit eines Geschöpfes, das ihm an Arglist und Bosheit nicht nachstand, nun schon zweimal überlistet zu haben.

 


Fünftes Kapitel.

Kaum zwei Jahr war der kleine Roland alt, als man ihn aus seines Vaters früher so friedlichem Hause, wo aber jetzt Mörder haußten, nach dem Pyrenäen-Schlosse oder vielmehr Franzisko's Grotte brachte, denn nur diesem allein wollte Elfridi ein so kostbares Unterpfand anvertrauen. Das Kind glich seiner Mutter, der unglücklichen Viola, so sprechend, daß Don Manuel und dem Grafen von Vizenza diese Aehnlichkeit hätte auffallen müssen; dieserhalb beschwor Elfridi den Mönch im Namen ihrer gegenseitigen Freundschaft, das Kind mit der größten Sorgfalt zu pflegen, es aber vor Jedermann zu verbergen.

Dieses Vertrauen versetzte Franzisko in die größte Verwirrung; ein Kloster hätte ihn leicht seiner Verlegenheit enthoben, wenn es ein Mädchen gewesen wäre; wo aber sollte er den Knaben unterbringen? Wollte er ihn bei eben der Frau erziehen lassen, die bereits die Pflege des kleinen Theodor übernommen hatte, so konnte ihn dort der Graf von Vizenza erkennen, wenn es diesem etwa einfallen sollte, seinen Sohn zu besuchen. --

Wählte er ein anderes Unterkommen, was mußten die Einwohner der Gegend von einem Dominikaner nicht denken, der so viele Kinder im Dunkel des Geheimnisses erziehen ließ? -- Der Geruch seiner Heiligkeit, der ihm so viele Mühe zu verbreiten gekostet hatte, mußte nothwendig zuletzt darunter leiden; und Franzisko war der Mann nicht, der auf solche Art sein eignes Interesse dem Vortheile Anderer opfern wollte.

Es war mitten in der Nacht, als ihm der Räuber den Knaben, der auf dem Wege beständig geweint und geschrien hatte, und endlich aus Ermattung fest eingeschlafen war, mit einem Briefe von Elfridi, überbrachte, und den unglücklichen kleinen Schläfer auf eine Bank in der Höhle niederlegte. Sein Erstaunen ging beim Lesen des Briefs in Verlegenheit über; der Inhalt beschäftigte dermaßen seinen Geist, daß er den auf der harten Bank ruhig schlafenden Knaben darüber vergaß, sich auf seine Matte niederstreckte und sich die Nacht über vergeblich den Kopf, wie er den Auftrag erfüllen könnte, zerbrach. Mit dem Aufgange der Sonne verließ Franzisko noch eben so unentschlossen sein Lager, ging mit unruhigen Schritten in der Höhle umher, und erblickte jetzt zum ersten Male das von den Strahlen der Sonne erhellte Gesicht des unschuldigen Kindes. Erstaunt betrachtete er den kleinen schlummernden Engel, und diese rührende Vereinigung von Zartheit, Unschuld und Schönheit erweckten in seiner Brust sanfte Gefühle und Theilnahme an dem Schicksale des Geraubten. Das Kind erwachte von der Sonne geblendet, durch Franzisko's Gewand getäuscht glaubte es, den Pater Rinaldo, den Kaplan von Manfredonia, den es innig liebte, vor sich zu sehen, streckte ihm lächlend die kleinen Hände entgegen, und stammelte auf englisch den Namen Vater, denn seine Wärterin, eine Brittin, hatte ihm einige Worte dieser Sprache gelehrt.

Die Freundlichkeit des Knaben erregten des Mönches Mitleid und Zuneigung in einem Grade, der ihm bis jetzt beinahe unbekannt geblieben war; er nahm ihn in seine Arme, drückte ihn an sein Herz, und der Geliebkoßte küßte ihm die rauhen Wangen, wie er solches dem Pater Rinaldo zu thun gewohnt war; kaum aber reichte ihm Franzisko etwas Brod und Milch, so erinnerte ihn diese Handlung an seine Wärterin, von der er sein Frühstück gewöhnlich erhielt, mit ängstlichem Ungestüm stieß er Franzisko's Hand zurück, brach in Thränen aus, sträubte sich aus allen seinen Kräften, bis ihn der Mönch zur Erde setzte, lief schreiend in der Höhle umher und rief mit den kläglichsten Tönen, bald seine Mary, bald seinen lieben Rinaldo. Diesem rührenden Auftritte konnte das Herz des Dominikaners nicht widerstehen:

Armer Kleiner, sprach er, ich schwöre beim Schöpfer des Weltalls, dass, so lange ich lebe, Du eines Vaters nicht beraubt sein sollst!

Seine wiederholten Liebkosungen beruhigten allmälig den kindlichen Schmerz, und Roland, dem Bedürfniß gehorchend, aß von der ihm gereichten Speise. Bald waren beide wieder gute Freunde geworden, da erinnerte das entfernte Geläute einer Glocke den Mönch, daß seine Gegenwart in seinem Kloster erforderlich sei. Neue Verlegenheit, das Kind konnte er nicht mit sich nehmen, und grausam schien es ihm, es in der düstern Höhle allein zu lassen. Noch war er ungewiß, welchen Ausweg er hier wählen sollte, als plötzlich der alte Gago, der zu seinen besondern Diensten angewiesen war, durch eine mit dem Schlosse in Verbindung stehende geheime Thür, hereintrat. Anfänglich überraschte ihn dieser ungelegene Besuch; da ihm indessen Gago völlig zugethan war, und er auf des Greises Verschwiegenheit bauen konnte, so befahl er ihm, mit Niemandem von dem Gesehenen zu reden und so lange bei dem Knaben zu bleiben, bis er wieder zurückgekehrt sein werde. Kaum aber erblickte Roland das schwarze Gesicht des Afrikaners, so verbarg er sich schreiend in den weiten Falten des Mönchsgewandes seines neuen Freundes, und klammerte sich darin so fest, daß Franzisko sich nicht getrauete, ihn mit Gewalt von sich los zu machen, aus Besorgniß ihm weh zu thun.

Ich will den jungen Diego rufen, meinte der alte Neger, er kann mit dem Kinde spielen und es beruhigen.

Franzisko sah sich genöthigt, seine Einwilligung zu geben. Diego kam, der einnehmende Ton seiner Stimme und die Munterkeit seiner jungen Gesichtsbildung trocknete Roland's Thränen; er kroch unter dem Gewande des Mönchs hervor, um etwas Spielzeug, das ihm Diego reichte, zu nehmen; diesen Augenblick benutzte Franzisko und verschwand.

Vertrauen und Freundschaft waren in wenigen Augenblicken unter Diego und dem kleinen Roland zu Hause; und als dieser seinen neuen Gesellschafter mit dem schwarzen Alten spielen sah, so verschwand auch seine Furcht bald; er ließ sich geduldig von ihm auf Diego's Rücken heben, der auf Händen und Füßen kriechend, mit dem Reiter vor der Grotte umhertrabte. Mitten in diesem kindlichen Spiele, das lautes Lachen von allen dreien begleitete, trat Don Manuel plötzlich in den Eingang der Höhle.

Dieser hatte bemerkt, wie der Neger den jungen Diego zu Franzisko rief, der bis jetzt den Zutritt in seine Grotte nur ihm, Elfridi und Gago gestattete, und war daher neugierig, den Grund zu dieser Neuerung zu erfahren. Gago konnte über seine Fragen in Ansehung des Knaben, dessen Schönheit und Aehnlichkeit mit Violen ihn besonders überraschten, ohne den Gedanken, daß er der Sohn der Herzogin sein könnte, bei ihm zu erregen, keine Auskunft geben. Er nahm Roland in seine Arme, liebkosete ihn und trug den freundlichen Knaben ins Schloß, zum großen Leidwesen Gago's, der sich jedoch keine Einwendungen erlaubte, weil Niemand nach Franzisko mehr gefürchtet wurde als Don Manuel.

Beim Eintritt in den reichverzierten Bibliothek-Saal glaubte Roland sich in dem väterlichen Schlosse zu befinden; er strengte alle seine kleinen Kräfte an, sich Don Manuels Armen zu entwinden, bis ihn dieser zur Erde setzte. Nun lief er jauchzend im Saale umher, sah in jeden Winkel, rief seine Mary, und da er das Gesuchte nicht fand, so kehrte er zu Don Manuel zurück, blickte ihn mit betrübter Miene an und wiederholte ungeduldig in seiner kindlichen Sprache, daß er zu seiner Mary geführt zu werden verlange; aber Don Manuel hörte nicht auf, ihn zu liebkosen, gab ihm so viel Näschereien und zum Spielen geeignete Sachen, ließ ihn Bilder in einigen alten Folianten sehen, bis es ihm auf diese Art gelang, ihn zu beruhigen.

Wärend dieser Zeit hatte Franzisko seine Amtsverrichtungen im Kloster beendigt, und ging von dort aus, immer noch mit dem Gedanken an seinen artigen Knaben beschäftigt, nach dem Hause, wo die Amme von Polidors und Elwirens Sohn wohnte, entschlossen, ihrer Obhut den kleinen Fremdling, wenigstens für den Augenblick, anzuvertrauen und dann an ein besseres und sicheres Unterkommen für ihn zu denken.

Er fand die Frau in der größten Bestürzung; Theodor, der seit seiner Geburt stets schwächlich und kränklich gewesen war und an einer Art von Krämpfen litt, war in der verwichenen Nacht an schwerem Zahnen unter Verzuckungen plötzlich gestorben. Die Amme war weniger betrübt, als darüber beängstigt, daß die Eltern des Kindes sie der Nachlässigkeit beschuldigen und mit Vorwürfen überhäufen würden, obgleich sie innerlich sich Glück wünschte, ohne ihr Verschulden von einer Last befreit zu sein, die ihr, wie sie sagte, unverschämte Fragen von Seiten ihrer Nachbaren und mit unter auch zweideutige Reden über den ehrwürdigen Pater Franzisko zugezogen hatte.

Dieses unangenehme Geständniß änderte des Mönches Plan, den kleinen Gesellschafter ihr anzuvertrauen. Er besänftigte ihren Schmerz mit einigen Dukaten, empfahl ihr besonders, das Gerede unbeachtet zu lassen, und verließ sie mit einem neuen Entwurfe, den Theodors Tod zur Reife gebracht hatte.

Don Manuel wußte zwar, daß Polidors Sohn in der Gegend erzogen werde; doch hatte er das Kind selbst nie gesehn; nichts war daher leichter, als den kleinen Unbekannten für den Verstorbenen auszugeben, und Franzisko hatte Ursache, sich selbst zu dieser Erfindung Glück zu wünschen, sobald er von Gago erfuhr, was seit seiner Abwesenheit vorgefallen war.

Da ist nun der kleine verlassene Theodor, sprach er zu Don Manuel beim Eintreten in die Bibliothek. Die junge Engländerin, die ihn, in Gerona erzog, ist vorgestern plötzlich gestorben; ich habe mich daher seiner annehmen müssen, um ihn nicht vor Hunger umkommen zu lassen; aber in Wahrheit, ich weiß nicht, was ich mit ihm anfangen soll?

Warum wollt Ihr ihn nicht hier lassen? antwortete Don Manuel. Es fehlt uns ja im Schlosse nicht an Gelegenheit, ihn auf eine angemessene Art unterzubringen, und vielleicht findet sich auch eine Gefangene, die seiner Wärterin Stelle übernehmen kann. -- An keinem Orte ist er vor den Bemerkungen, die der Graf von Vizenza zu fürchten hat, besser gesichert, überdem ist die Luft und Nahrung hier gesunder, als in einer armseeligen Hütte.

Ich bin zwar Eurer Meinung, entgegnete der Mönch, doch stoßen mir Hindernisse auf, woran Ihr nicht gedacht habt. Freiwillig haben wir die Lebensart, welche wir hier führen, erwählt; wer giebt uns aber ein Recht, über die Zukunft dieses Kindes zu bestimmen? Darf ich das in mich gesetzte Zutrauen so misbrauchen? --

Ich habe wahrlich nicht daran gedacht, erwiederte Don Manuel mit einem spöttischen Lächeln, daß wir uns hüthen müssen, das zarte und fleckenlose Gewissen des Grafen von Vizenza zu verwunden.

Don Manuel, hier ist weder die Rede von Vizenza's Lastern, noch den Eurigen. Glaube mir, der Tag wird kommend, wo wir für unsere Handlungen allein schon zur schweren Verantwortung gezogen werden. Laßt uns also die Unschuld durch Rath und Beispiel nicht verderben, da sie im Gegentheil einst zu unserm Vortheile ein günstiges Zeugniß am Auferstehungstage, für uns ablegen kann sobald wir nach unsern Kräften dahin trachten, sie in ihrer natürlichen Sittenreinheit zu erhalten.

Franzisko's ernster, strenger Ton traf Don Manuels Gewissen und regte einen Funken seiner ehemaligen Großmuth bei ihm auf.

Bewahre mich der Himmel vor dem Gedanken, sprach er, dieses unschuldige Kind ins Verderben stürzen zu wollen. Ich bin aber dennoch überzeugt, daß man es hier erziehen könnte, ohne eine Verbindung mit unsern Leuten zu fürchten; es bedarf deshalb nur einer leichten und einfachen Vorsicht. -- Das Zimmer neben der Bibliothek hier, hat seinen Ausgang nach Eurer Seite zu und führt in den südlichen Theil des Gartens, den man dem Knaben besonders überlassen und umzäunen könnte. Gago würde auf ihn achten, er ist ein guter Alter, der weder Tugenden noch Laster besitzt und nichts weiter sagen wird, als was Ihr wollt, das der Kleine hören soll; Diego, dem noch die unverdorbenen Sitten eines Kindes ankleben, kann mit ihm spielen und ihn sogar keinen Augenblick verlassen, sobald ihr etwa argwöhnt, daß dieser Bube uns verdorben werden könnte. -- Was mich anbetrifft, Franzisko, so gebe ich Euch mein Wort, Eurem Erziehungssystem und den Grundsätzen, welche Ihr dem liebenswürdigen Knaben einzuprägen gedenkt, durch nichts hinderlich zu sein. Ich nehme selbst Antheil an seinem künftigen Schicksal und wünsche eben so sehr wie Ihr, dass er glücklich und tugendhafter als sein Vater werden möge.

Don Manuels Vorschlag hatte zwar des Mönches Beifall nicht ganz, er hätte manches dagegen einwenden können; da ihm aber keine Wahl übrig blieb, so willigte er ein, nachdem ihm Jener nochmals zugeschworen, daß er sein Versprechen nie übertreten und sich in Franzisko's Erziehungs-Angelegenheit nie mischen werde.

In den Gefängnissen des Schlosses fand sich kein Frauenzimmer, dem man den kleinen Roland anvertrauen konnte; doch auch hier wußte Don Manuel Rath zu schaffen; er erinnerte sich, einst auf einer Reise in Arragonien wärend einer stürmischen Nacht in den Hause einer armen Schullehrerin aufgenommen zu sein, die ihm eher die Mutter als Zuchtmeisterin ihrer Schüler geschienen. Sogleich sandte er einen Trupp seiner Räuber nach dem Dorfe mit dem Auftrage, die rechtliche Frau gewaltsam ins Schloß zu bringen; zum Lohn für ihre Gastfreundschaft ward also die gute Therese aus ihrem Eigenthume entführt und zur Erzieherin des vermeinten Theodors gezwungen.

 


Sechstes Kapitel.

Erst lange Zeit nachher erfuhr der Graf Elfridi, als er wie gewöhnlich das Schloß besuchte, diese Einrichtung von Franzisko und war genöthigt, des Dominikaners Verfahren gut zu heißen, weil eines Theils ihm Franzisko versicherte, daß ihm kein anderes Mittel zu Gebote gestanden hätte, die Existenz des Kindes zu verbergen und zu seiner Erziehung selbst mitzuwirken. Was andern Theils die Besorgniß wegen der Entdeckung von Polidors Seite betraf, so wußte der Mönch, daß dieser seinen Sohn seit den ersten Tagen seiner Geburt nicht wiedergesehn hatte und es daher nicht schwer sein würde, ihn glauben zu machen, daß Roland sein eigner Sohn, Theodor sei. Das nachfolgende Ereigniß bewieß, daß sich Franzisko in dieser Vermuthung nicht geirrt hatte.

Als nach Ablauf der beschränkten Trauermonate, Elwire, verwittwete Herzogin von Manfredonia zur zweiten Vermälung schritt und Gräfin von Vizenza wurde, zwang sie das Urtheil und die Verachtung der Italiener, wie im Anfange des ersten Bandes erzählt worden, sich nach Frankreich zu flüchten, um sowohl der verfolgenden Schande zu entgehen, als auch die Anstößigkeiten ihrer Aufführung unter fremden Menschen zu verbergen. Die Erreichung ihres Ziels hatte sie bis jetzt genöthigt sich des Vergnügens zu berauben, ihren Sohn, den sie zärtlich liebte, zu sehen; da ihr Weg sie aber durch die Pyrenäen führte, so verlangte sie von Polidor, daß er sie an den Ort bringe, wo dieser theure Gegenstand verborgen lebe. Polidor willigte ein, jedoch nur unter der einzigen Bedingung, daß ihre Dienerschaft zurückbleiben solle und sie sich mit verbundenen Augen in das Schloß hinein und wieder heraus führen lasse, weil er den Bewohnern desselben feierlich geschworen zu haben vorgab, die Eingänge dieser geheimnißvollen Burg Niemandem zu entdecken. Der eigentliche Grund dieser Vorsicht lag indeß darin, daß Polidor seiner Gattin nicht trauete, wie denn überhaupt unter den Lasterhaften kein gegenseitiges Vertrauen statt findet, und er vorhersah, daß einst die Zeit kommen mögte, wo er Elwiren überdrüssig sein werde, und ihm also ein Mittel übrig bleibe, sich ihrer dadurch zu entledigen, daß er sie in das Schloß einsperren könne, weshalb er es denn nicht für rathsam hielt, ihr den Weg und den Eingang zu zeigen und ihr dadurch die Mittel zur Flucht zu erleichtern.

Rolands Aehnlichkeit mit seiner unglücklichen Mutter verursachte auf Elwiren einen stärkern Eindruck als auf Vizenza, und erschreckte sie sogar im ersten Augenblicke; aber die hinreißende Schönheit des Kindes schmeichelte ihrer mütterlichen Eitelkeit und verstärkte ihre Zärtlichkeit für den Knaben so sehr, dass sie in Verzweiflung gerieth, als der gebieterische Polidor ihr befahl, sich von ihm zu trennen. Ihr Seufzen und Geschrei, durch einen hinzugetretenen Nervenkrampf mit verursacht, hielt der alte Gago für den Beweis, daß man sie ermorde; und als Therese, aus Besorgniß, man werde ihr den kleinen Zögling entführen, in der Gegend des Gemaches lauschend umherschlich und sich endlich in den Saal, wo Elwire verschwunden war, hinein wagte, so wußten Don Manuel und Garzias, denen der Alten Neugierde bekannt war, sie durch Phosphor und vermöge anderer chemischen Mittel veranstalteten gräßlichen Erscheinungen dergestalt zu erschrecken, daß sie sinnlos nieder stürzte und seit jener Zeit eine Art von Geistesverwirrung beibehielt, die in ihrem furchtsamen und abergläubischen Gehirne aller Orten Geister und Fantome erscheinen ließ.

Mit dem Fortschreiten der ersten Kinderjahre entdeckte, man bei Roland eine bewunderungswürdige Neigung für alles, was zu seiner Belehrung dienen konnte, und einen seltenen Hang sich zu unterrichten; er wollte alles wissen, alles lernen und man konnte ihn nur dadurch zufrieden stellen, daß man ihm klare und bestimmte Antworten gab, und in voraus allen feigen Einwürfen, begegnete.

Die Pflichten seiner geistlichen Würde, die Franzisko doch nicht ganz vernachlässigen durfte, sein Briefwechsel mit Rom, mit Madrid und sein Verkehr mit dem Innern des Schlosses erlaubten ihm nicht seinem, jungen Zögling alle die Zeit zu widmen, die er gern zu seiner Erziehung verwendet hätte. Mit jedem Tage verstärkte sich seine Liebe zu dem Kinde und deshalb betrübte es ihn, außer dem Beistande und der Aufsicht einer alten Dorfschullehrerin niemanden zu besitzen, der ihm bei der Entwickelung so vieler herrlichen Geistesgaben hätte behilflich sein können.

Mit dieser Sorge unaufhörlich beschäftigt, vertraute er sie einst dem Grafen Elfridi, und dieser belächelte den Gedanken, der ihm dadurch aufstieß. Er schien den Unmuth seines Freundes zu theilen und einige Augenblicke nachzudenken, dann erinnerte er sich wie von ungefähr, daß Garzias von einem Gefangenen mit ihm geredet habe, dessen feine Bildung, Talente und Benehmen einen Mann verriethen, der in der Welt einen nicht unbedeutenden Rang bekleidet und keine gewöhnliche Erziehung genossen haben müsse. Er zweifelte nicht, daß dieser Gefangene es eher vorziehen werde, das Lehramt bei dem ihm anvertrauten Kinde zu übernehmen, als in einem düstern Kerker sein Leben zu beschließen, und verließ Franzisko, um, wie er sprach, mit Garzias dieser wichtigen Angelegenheit wegen, zu unterhandeln. In der That suchte er Garzias auf und ohne ihm den Grund zu entdecken, sagte er ihm, daß Franzisko des gefangenen Don Sebastians bedürfe, und ihm auftragen lasse, denselben in die Bibliothek zu fühlen, ihn zuvor aber feierlich schwören zu lassen, bei Gefahr seines Lebens Niemandem seinen wahren Namen und Rang, noch etwas von seinen Unglücksfällen zu entdecken. Des kleinen Rolands Existenz war Garzias nicht bekannt; er wußte, daß man Franzisko's Obergewalt im Schlosse ungestraft nicht widerstehen konnte, es auch nicht wagen durfte, dem Inquisitor Rechenschaft von seiner Handlungsweise abzufordern; deshalb gehorchte er murrend, daß nun eins seiner Opfer ihm entschlüpfen werde.

Der unglückliche Gefangene nahm ein Anerbieten, das ihn von seinen Ketten befreiete, mit Freuden an. Es blieb ihm in der Welt nichts Theures übrig; deshalb legte er den von ihm verlangten Schwur auf das Kruzifix in der gewissen Ueberzeugung ab, daß die Mittheilung seiner Drangsale ihm das Verlohrne nicht ersetzen konnten.

Eine lange Reihe von moralischen Leiden und physischen Schmerzen, ein dreijähriger Aufenthalt in einem feuchten, ungesunden Gefängnisse, hatten das blühende Ansehn des unglücklichen Mannes vor der Zeit verwelkt; er glich einem funfzigjährigen, von der Last seines Grams zusammengedrückten Greise, obschon unter den frühzeitigen Runzeln seines Gesichts die Schönheit seiner Züge und der Adel seiner Gesichtsbildung immer noch hervorschimmerten. Elfridi hatte sich verborgen, um ihn im Vorübergehen zu betrachten; mit grausamer Freude überzeugte er sich, daß es fast unmöglich war, den Herzog von Manfredonia in der Person Don Sebastians wieder zu erkennen; und in Voraus behagte ihm der Gedanke an die schmerzliche Ueberraschung, die den Gegenstand seines unersättlichen Hasses treffen müßte, sobald er Violens Züge in dem Gesichte des ihm anvertrauten Kindes wiederfinden werde und dabei nicht ahnen durfte, daß es derselbe Knabe sei, dessen gewissen Tod er beweint habe. Der Graf von Vizenza und Elwire, längst in Frankreich angesiedelt, konnten seinen Plänen nicht hinderlich sein; und so lange er es nur vermied, dem unglücklichen Lorenzo zu begegnen, blieben alle seine Geheimnisse und seine unerhörte Grausamkeit mit undurchdringbarer Hülle überdeckt.

Don Sebastian oder vielmehr der unglückliche Lorenzo fühlte beim Anblicke des kleinen Roland alle Empfindungen, wie sie sein Feind vorhergesehn hatte; er versicherte dem Dominikaner, daß er für den Knaben väterliche Zärtlichkeit fühlen werde, sobald er sich von dessen liebenswürdigen Fähigkeiten näher überzeugt haben würde. Dieses holde Kind, das ihn an seine Viola erinnerte, das in seinem Herzen den Schmerz über ihren Verlust von neuem weckte, dieses liebenswürdige Kind war nicht sein Sohn, und es versprach ihm Vaterstelle zu vertreten. Ach, er konnte den Knaben nicht betrachten, ohne dabei zu denken, dass der Zorn des Himmels ihm einen Sohn geraubt habe, der jetzt gleiches Alter mit dem fremden Kinde haben müsse, und eine geliebte Gattin, der dieser Knabe so auffallend ähnlich sei. Bei diesem Andenken brach der Unglückliche in Thränen aus.

Doch besänftigten Roland's Liebkosungen und seine schmeichelnde Stimme allmälig des Herzogs schmerzliche Rührung. Er erzwang Standhaftigkeit, bat den Mönch, ihm seine Schwäche, die Folge seiner Leiden, zu verzeihen, versprach seine Absichten zu erfüllen, das seiner Erziehung übergebene Kind keinen Augenblick zu verlassen, und nie den Umfang der ihm und seinem Zöglinge angewiesenen Zimmer, benebst der Bibliothek, zu überschreiten oder den Versuch zu wagen, tiefer in das Schloß einzudringen. -- Mit gewissenhafter Treue hielt der Erstere sein Versprechen, aber Roland's unruhige Wißbegierde riß ihn, als er älter wurde, oft über die vorgeschriebenen Grenzen hinaus, und seine Lebhaftigkeit konnte in dem beschränkten Raume einiger Zimmer nicht im Zaume gehalten werden, wärend der Knabe im andern Theile des Schlosses so viele Bewegung und Geräusch hörte.

Diego und Thomas, seine unzertrennlichen Gefährten in den Erholungs-Stunden, erzählten ihm, daß es an andern Orten Krieger, Pferde und Waffen aller Art gäbe, und beschrieben ihm alle diese lebenden Wesen und anderen Gegenstände mit bewunderungswürdiger Geduld, um nur den Eifer seiner jungen, lebhaften Einbildungskraft zu beruhigen. In der ersten Zeit begleitete ihn Lorenzo überall, und war stets in seiner Nähe; dennoch verhinderte diese Vorsicht nicht, daß er für seinen Zögling den nachtheiligen Einfluß alles dessen, was er sehen und hören mögte, zu fürchten anfing; aber eine aufmerksame Beobachtung überzeugte ihn, daß er seine tugendhafter Lehren keinem undankbaren Boden eingepflanzt und die Tugend bereits zu starke Wurzeln in des Kindes unschuldiger Seele geschlagen habe, als daß es dem Laster gelingen könnte, sich Gewalt über ihn anzumaßen. Er bemerkte, daß Roland seiner Unbefangenheit ungeachtet vollkommen begriff, er gehöre zu einer bessern und vornehmern Menschenklasse als die Wesen, mit denen er zu leben vom Schicksal gezwungen war, und dass, weit entfernt sich zu ihres Gleichen zu erniedrigen, er die Unabhängigkeit seiner Empfindungen und sein Benehmen gegen sie auf eine Art zu erhalten wußte, die, ohne Stolz zu verrathen, jene von ihm entfernt hielt, und keinem vertrauten Umgange Raum vergönnte. Garzias besonders schien ihm den größten Abscheu und Widerwillen eingeflößt zu haben; und da Don Manuel, steter Bewunderer der Tugend, obgleich er längst schon aufgehört hatte, sie auszuüben, bei jeder Gelegenheit alles, was Roland sprach und that, billigte, so empfand Garzias bald den tödlichsten Haß gegen diesen unbekannten Günstling, der plötzlich unter ihnen sichtbar geworden war, ohne daß jemand wußte, woher er stammte; denn Elfridi hatte ihm dieses Geheimniß sorgfältig verschwiegen.

Als Roland sein achtes Jahr erreicht hatte und fähig war, sich und seine Umgebung zu beurtheilen, führte ihm Don Manuel einen kleinen Afrikaner von gleichem Alter zu, der seine Studien und Spiele theilen sollte. Dieser Negerknabe, der angenommene Sohn eines angesehenen Pflanzers im spanischen Amerika, der seiner Erziehung wegen nach Europa eingeschifft war, und sich auf einem reichbeladenem Fahrzeuge befand, fiel in Don Manuels Gewalt, dessen Raubschiffe in mittelländischen Meere und an der portugiesischen Küste kreuzten. Der Knabe nannte sich Hippolit, und war seiner schwarzen Farbe ungeachtet von seltner Schönheit und dem kleinen Roland an Größe, Gestalt und Gesichtsbildung nicht unähnlich. Lorenzo entdeckte an ihm so viel Neigung zu den Wissenschaften und Gelehrigkeit, daß er es dem Schicksal Dank wußte, seinem Zöglinge einen so wißbegierigen Mitschüler gegeben zu haben, der Rolands Fleiß noch erhöhen, und mit ihm wetteifern konnte. Auch Franzisko fand bald Wohlgefallen an dem jungen Fremdling, der in kurzer Zeit der Vertraute und zärtliche Freund seines Pflegesohns wurde.

Von Franzisko lebte noch ein älterer Bruder in Neapel, der dort Prior eines Klosters, und ein sehr gelehrter Geistlicher war, und mit seinem Bruder, welchen er frommerweise für einen der musterhaftesten Mönche vom Orden der Dominikaner hielt, im ununterbrochenen Briefwechsel stand. In Gefahr, sein Gesicht durch den schwarzen Staar, den er nicht operiren lassen wollte, zu verlieren, schrieb er an Franzisko, daß er ihm einen wesentlichen Dienst leisten würde, wenn er ihm einen gut erzogenen und unterrichteten Jüngling zuweisen wolle, der ihm als Vorleser und Sekretair dienen könne. Er fügte hinzu, dass, um ihn für das eingezogene, stille Klosterleben zu entschädigen, er sich verbindlich mache, diesem ein lebenslängliches Gehalt auszusetzen, welches ihn vor Mangel sichern werde.

Hippolit war damals beinahe siebenzehn Jahr alt und vereinigte alle Eigenschaften, die der Prior nur immer wünschen konnte. Nicht ohne Grund befürchtete Franzisko, daß sobald der Graf Polidor den vermeinten Theodor wieder zu sich nehmen werde, der Neger zum bloßen Sclaven Don Manuels herabsinken und er auf diese Weise die Früchte der erhaltenen guten Erziehung verlieren mögte; und da er sich selbst gestehen mußte, daß ein so glückliches Genie und vertreffliches Herz zu etwas Edlerm bestimmt seien, als die Zahl der Räuber zu vermehren, so entschloß er sich, die Gelegenheit zu benutzen und seinem schwarzen, jungen Freunde ein besseres Schicksal zu verschaffen. Lorenzo, mit dem er hierüber Rücksprache nahm, bestärkte ihn in seinem Vorsatze, obgleich er für sich und seinen Zögling den Verlust eines so sanften und nützlichen Gesellschafters für sehr empfindlich hielt, Franzisko gebrauchte die nöthigen Vorsichtsmaaßregeln, um Hippolit die Macht zu benehmen, den Bewohnern des Schlosses durch Verrath zu schaden; wenn er ja einst die Absicht dazu haben könnte, und kündigte darauf Don Manuel an, daß die heilige Inquisition der Dienste des jungen Negers zu einem geheimen Zwecke bedürfe. -- Ein so furchtbarer Name erlaubte weder Frage noch Weigerung, zudem war der Abgang des Mohren für Don Manuel insofern gleichgültig, als seine persönliche Sicherheit nicht dadurch gefährdet werden dürfte; er überließ ihn daher dem Dominikaner und dieser sandte ihn seiner neuen Bestimmung entgegen, indem er ihn seinem Bruder, wie seinen eignen Sohn empfahl.

Als sein geliebter Freund von ihm schied, brach Roland in laute Klagen aus; es war der erste Schmerz, den sein zartes Herz empfand, und seine Lehrer liebten ihn zu zärtlich, um bei seinem Gram ungerührt bleiben zu können. Franzisko besonders gerieth in Besorgniß, daß diese Trennung der Gesundheit seines Lieblings nachtheilig werden könne; und um ihn zu trösten und zu entschädigen, entwarf sein Gehirn einen an sich sonderbaren Plan.

Mathilde, die Tochter der unglücklichen Viola, hatte Franzisko einer bejahrten, aber hinter ihrem Zeitalter zurückgebliebenen Nonne im Kloster von Santa Maria zur Erziehung übergeben, und sie in Ermanglung besserer Gelegenheit auf den Unterricht gutmüthiger, doch wenig erfahrner Nonnen beschränkt. Ihrem zum Stolze geneigten, leidenschaftlichen Geiste fehlte leider die zugleich nachsichtsvolle und doch strenge Leitung der mütterlichen Gewalt. Strenge am unrechten Orte und zur Unzeit machte sie nur halsstarrig, die Stimme des Wohlwollens dagegen nachgiebig und bei dem geringsten Merkmale von Kälte oder Güte beunruhigt und gerührt, war bisher der Eindruck des Augenblicks ihr einziger Führer.

Bei seinen öftern Besuchen in Santa Maria bemerkte Franzisko mit Betrübniß, daß die kleine Mathilde nicht so erzogen und ihr Verstand nicht so ausgebildet werde, wie er es gewünscht hätte, und dachte zuweilen daran, daß der Sennor Don Sebastian des Kindes frühzeitigen festen Character besser zu behandeln verstehen mögte; als er nun den kleinen Roland in seiner Einsamkeit traurig und unglücklich sah, so gerieth er auf den Einfall, Mathilden zur Tröstung des Knaben, zuweilen in den Stunden des Unterrichts und insbesondere, sobald er Don Manuel abwesend wußte, auf geheimen Wegen ins Schloß einzuführen, und auf diese Weise den Verlust Hippolit's zu ersetzen.

Wärend er über die Ausführung dieses neuen Plans nachdachte, trat zufällig der Graf Elfridi in seine Grotte. Gewohnt diesem seinem ehemaligen Schüler, seine geheimsten Gedanken zu vertrauen, theilte er ihm seine Absicht mit und befragte ihn um seine Meinung. Mit einem Blicke durchschaute Elfridi die Folgen, welche aus der Freundschaft und Vertraulichkeit zwischen Bruder und Schwester entstehen konnten, und sein ruchloses Gehirn gebar einen Plan, so wie der Satan ihn nicht schändlicher hätte erdenken können. Lorenzo und seine Kinder im Wohnsitze des Lasters zu versammeln, den Herzen der Geschwister eine lasterhafte, blutschänderische Liebe einzuflößen, sie durch eine unerhörte Verbindung mit einander ehelig zu vereinigen, und dann das Herz des unglücklichen Vaters neuen, noch schrecklichern Qualen, der endlosen Verzweiflung, durch die plötzliche Entdeckung seiner bejammernswürdigen, in den Abgrund des Verderbens hinab geschleuderten Familie preis zu geben: hieß dieses nicht seine Rache auf eine Art beschließen, die selbst dem Beherrscher der Finsterniß Bewunderung und Neid abzwingen mußte?

Der Graf Elfridi war der Mann nicht, der seiner schwarzen Seele einen so würdigen Genuß versagen konnte.

Er gab daher Franzisko's Vorschlag seinen völligen Beifall. Das Alter und die Tugenden des Sennor Sebastian, sprach er, eigneten ihn vollkommen zu dem Geschäfte, Mathildens jugendliche Neigungen und Fähigkeiten zu bilden; es würde ihm nicht schwer werden, die aus der ersten, verwahrloßten Erziehung des Kindes entsprungene Fehler zu verbessern, seines Characters tadelhafte Starrheit zu biegen, und seine lasterhaften Eigenschaften im Keime zu ersticken; er könne zugleich dessen noch beschränkte wissenschaftliche Ausbildung vervollkommnen, seine Kenntnisse bereichern, es zu der Höhe zu erheben suchen, die sein Zögling bereits erreicht habe und trotz der bisherigen Vernachlässigung Mathilden in ein, in jeder Hinsicht liebenswürdiges weibliches Wesen umschaffen.

Es ist dieses um so mehr mein innigster Wunsch, fügte der Betrüger hinzu, als Theodor der Sohn eines Vaters und einer Mutter ist, deren Andenken mir ewig theuer und unvergeßlich bleiben wird. Ich kann Euch ihren Namen wenigstens jetzt noch nicht nennen, weil sie auf mein Ehrenwort und meine Verschwiegenheit fest gebaut und mir die Sorge für das Wohl ihres Sohnes mit uneingeschränkter Vollmacht überlassen haben; da mir nun das Glück ihres Kindes am Herzen liegt, so bin ich beinahe geneigt, ihm dereinst Mathilden zum Weibe zu geben, vorausgesetzt, daß sie unter Don Sebastians Leitung unsern Erwartungen entspricht; was die Einwilligung des Grafen von Vizenza anbetrifft, so besitze ich hinlängliche Gewalt über seinen Geist, um ihn, sobald es die Zeit erfordert, zu dieser Verbindung zu stimmen. -- Polidor's vermeintlicher Sohn ist reich genug, und kann es leicht verschmerzen, wenn ihm seine zukünftige Gattin auch keine Aussteuer zubringt; wir aber stiften dadurch ein verdienstliches Werk, wenn wir auf diese Art das Glück zweier liebenswürdigen Waisen begründen, insofern jedoch gegenseitige Neigung von ihrer Seite uns dabei unterstützt.

Franzisko zollte dem Grafen Elfridi dafür, daß er den Gedanken zur Ausführung einer so lobenswerthen Handlung aufgefaßt hatte, ungeheuchelten Beifall; und da er ungeduldig war, zur Erreichung ihrer beiderseitigen Absicht mitzuwirken, so führte er die kleine Mathilde schon am andern Tage durch seine Grotte ins Schloß ein und benachrichtigte die Nonnen, daß er genöthigt sei, die kleine viermal in der Woche mit sich zu nehmen, sie aber am Abende jedes Tages ins Kloster zurückbringen werde. Die guten Schwestern, voll Vertrauen zu ihrem heiligen Beichtvater und fest überzeugt, daß nur fromme, wenn gleich geheime Gründe, die Handlungsweise eines Mitglieds der ehrwürdigen Inquisition leiten konnten, unterwarfen sich den Anordnungen Franzisko's und durften die von ihm getroffene Einrichtung, obschon sie die Veranlassung dazu nicht errathen konnten, nur billigen. -- Aus ähnlichen Ursachen beobachtete Mathilde über den Ort, wohin sie geführt wurde, tiefes Stillschweigen und blieb ungeachtet ihrer Jugend um desto verschwiegener, weil ihr Rolands Gesellschaft besser behagte, als der Umgang mit den wortkargen und bejahrten Nonnen, und ihr Franzisko mehrere Male angedeutet hatte, daß von dem Augenblicke an, wo sie ein Wort über die kleinen Reisen nach dem Schlosse fallen lassen werde, solche für immer aufhören würden.

Roland und Mathilde fühlten bald jene reine und aufrichtige Zuneigung für einander, die ihnen der Gang der Natur eingeprägt haben würde, wenn ihnen das Geheimniß ihrer Geburt bekannt gewesen wäre. Lorenzo gewann die kleine Waise lieb und flößte auch ihr durch die Sanftmuth seines Verfahrens und die Weisheit seiner Lehren, zärtliche und tiefe Verehrung ein. Seine schonenden Verweise und sein angenehmer Unterricht, fesselten die Aufmerksamkeit seines neuen Zöglings und feuerten Mathilden an, allen möglichen Fleiß aufzubieten, um dem guten Lehrer ihre Dankbarkeit durch ihre Gelehrigkeit, ihre Fortschritte und ihr nachgiebiges Betragen zu beweisen. So erlangte sie in dieser neuen Schule liebenswürdige Eigenschaften, Kenntnisse und Fähigkeiten, die wenige Frauenzimmer besitzen; aber leider entbehrte sie das Vorbild der anmuthigsten Reize ihres Geschlechts, und der Mangel einer zärtlichen Mutter mußte natürlich auf ihre Erziehung und weibliche Bildung in dieser Hinsicht einigen Einfluß haben.

So verstrichen mehrere Jahre, in welcher Zeit die regelmäßig fortgesetzten Besuche der herangewachsenen, blühenden Mathilde im Schlosse der Pyrenäen, nur dann unterbrochen wurden, sobald Don Manuel daselbst anwesend war, den inzwischen die Räubereien seiner Horde zu häufigen Streifparthien in das Innere Spaniens und Frankreichs nöthigten. Beide waren nun zu dem Alter gelangt, wo eine ernsthafte Neigung sich so gern in die Herzen einnistet; und Franzisko, den ihre gegenseitige, unschuldige Zärtlichkeit und das Verlangen nach einander, täuschte, glaubte, daß es nun bald Zeit sei, zu der beabsichtigten Vermälung zu schreiten. Er schrieb dieserhalb an Elfridi und erhielt den Auftrag, ihnen diese Nachricht anzukündigen.

Lorenzo, welchem Franzisko seinen Plan jetzt vertrauen mußte, fand zwar, daß die beiderseitigen Eltern und Freunde Theodors und Mathildens etwas zu leichtfertig über seiner Zöglinge lebenslängliches Schicksal entschieden, und glaubte, wenn auch zärtliche Freundschaft, doch kein Gefühl von wahrer Liebe bei beiden zu entdecken; da man indeß auf seinen Rath kein Gewicht zu legen schien, so hielt er sich nicht für befugt, seine Meinung geltend zu machen, sondern schwieg seufzend und verschloß in seinem Herzen eine geheime Angst, über die er nicht Herr werden konnte.

Roland vernahm die Eröffnung Franzisko's ohne eine Empfindung von Entzücken oder Widerwillen; er fand in dieser Verbindung nur die Gewißheit, eine Freundin für immer zur Gesellschafterin zu besitzen, an deren Umgang er sich gewöhnt hatte und deren liebenswürdige Lebhaftigkeit für ihn eine unaufhörliche Quelle von Vergnügen und lehrreichen Unterhaltungen war. Mathildens Entzücken sprach sich dagegen deutlich aus; sie konnte die Aufwallungen ihrer Freude bei dem Gedanken, daß ihre Vermälung sie von der klösterlichen strengen Aufsicht befreien und auf immer mit ihren neuen Freunden vereinigen würde, kaum verbergen und die Zeit nicht erwarten, wo es ihr erlaubt sein werde, ihren geliebten Theodor als Gemal zu umarmen.

Einige Tage vor demjenigen, den der abscheuliche Graf Elfridi zur schrecklichen Vermälungsfeier bestimmt hatte, verhinderte der Ausbruch eines heftigen Ungewitters, daß Mathilde nach ihrem Kloster zurückgeführt werden konnte. Der Regen schoß in Strömen herab, der tobende Sturm bog die Gipfel der Bäume, die ihm zu widerstehen wagten, bis zur Erde, und der Blitz zerschmetterte die Felsen des Gebirges, in welchem die Regenfluthen brausend rauschten. Es wäre eine Verwegenheit gewesen, die arme Kostgängerin grausamerweise hinaus in den Kampf der Elemente zu senden; sie war daher genöthigt, im Schlosse zu bleiben, Roland's Schlafzimmer einzunehmen, und diesem wurde in Don Sebastians Gemach ein Bette eingerichtet.

Die Heftigkeit des Sturms legte sich erst gegen Mitternacht, wo sich die Freunde von Mathilden trennten und jeder zur Ruhe ging, Kaum dämmerte inzwischen der Morgen aus düstern Wolken hervor, so sah Franzisko, der schon aufgestanden war, Roland mit bleichem, verstörten Gesichte in seine Höhle treten.

Was fehlt Euch, mein Sohn, fragte Franzisko den Früherwachten erschrocken, Ihr scheint nicht wohl zu sein?

Roland ergriff des Dominikaners Hand, wollte reden, aber seine zitternden Lippen verhinderten ihn daran; endlich, von des Greises stürmischen Fragen gedrängt, fing er stammelnd und kaum hörbar an:

Nein, guter Vater, meine Gesundheit hat nicht gelitten, aber -- ich wage es kaum, mich dem gerechten Tadel eines so hellen Geistes, wie der Eurige ist, blos zu stellen. Was müßt Ihr von meiner Furchtsamkeit und Einfalt denken, wenn ich Euch gestehe, daß mich ein Traum so erschreckt hat, daß jetzt noch das Entsetzen in meiner Seele wiederhallt.

Franzisko wollte antworten, da trat auch Mathilde, bleich, entstellt, mit wild umherhängendem Haar und wankend herein. Der Mönch eilte ihr entgegen, fand ihre Hand eiskalt und rief besorgt aus:

Großer Gott, mein theures Kind, hat etwa auch Euch ein Traum erschreckt?

Ein Traum, wiederholte Mathilde schaudernd, heilige Jungfrau, wer hat Euch dieses entdecken können? --

Jetzt erst gewahrte sie ihren zukünftigen Gemal, der sich ihr theilnehmend näherte, sank fast ohnmächtig auf eine Bank und bedeckte bebend ihr Gesicht mit beiden Händen.

Meine Kinder, rief der Greis mit Ungeduld und steigender Unruhe, um Gotteswillen, sagt mir, was konnte Euch Beide so erschrecken?

Ihr wißt es! antwortete Mathilde schluchzend. Ein Traum, oder vielmehr eine Erscheinung meiner erwachten Fantasie, hat mich mit einem unbesiegbaren Abscheu gegen die von Euch beschlossene, nahe Vermälung mit Theodor erfüllt. Nie, nie kann ich Theodor's Gattin werden!

Allmächtiger Gott! rief Roland aus, welche wunderbare Uebereinstimmung! O, Mathilde, ich bitte Dich, ende, erzähle, was sahest, was hörtest Du?

Von dem ungewohnten, langen Wachen ermüdet, fiel ich, als des Ungewitters Toben nur noch ermattet in der Ferne hörbar wurde, in einen tiefen Schlaf. Plötzlich sah ich mich vom Traume geführt, mit Dir, Theodor, in der Kirche des Schlosses, kniend vor dem Altar, wo der hochwürdige Pater Franzisko die Vermälungsfeier begann, und neben uns stand als Zeuge ein Mann, von unaussprechlich gräßlichem Aeußern. In dem Augenblicke als dieser heilige Priester hier, laut die Frage that: ob Jemandem ein Hinderniß gegen unsere eheliche Verbindung bekannt sei? erloschen die Kerzen und dichte Finsterniß begrub das Innere der Kirche.

Bei diesen Worten bebte der ängstliche Roland und sank auf einen Stuhl; Mathilde fuhr fort:

Plötzlich stieg aus der Mitte des Altars eine helle Wolke empor, die ein blendendes Licht verbreitete, und auf ihr schwebte eine weibliche Gestalt, mit einem Leichentuche behangen, deren Züge ein langer Schleier bedeckte. Der Schleier verschwand, sie erhob sich langsam und enthüllte ein so himmlisches, verklärtes Antlitz, wie ich es nie gesehn habe. Ein Strom von Blut rieselte aus ihrem Busen herab, und floß bis zu den Füßen des Unbekannten, von dem ich so eben geredet habe, wo es gerann. Traurig, aber mit einem Ausdrucke von Sanftmuth und Zärtlichkeit blickte sie mich an, und zu gleicher Zeit hörte ich eine Stimme, wie vom Himmel herab, die schrecklichen Worte aussprechen:

»Halt ein, Franzisko, Kinder von einer Mutter gebohren, kann ein Ehebündniß nicht vereinigen!«

Roland faßte krampfhaft Franzisko's Hand und schauderte; dieser, von Entsetzen erstarrt, drückte den Jüngling an seine Brust und beschwor Mathilden, ihre grausige Erzählung zu beschließen.

Wir stürzten Beide, Theodor und ich, anbetend auf unsere Knie. »Stehet auf, meine Kinder,« sprach die Erscheinung, »und erkennet Eure Mutter; mein Sohn, vermäle Dich mit Mathilden nicht, -- sie ist Deine Schwester!« --

Dann wandte sie sich mit einem Ehrfurcht gebietenden Blicke gegen den Unbekannten und sagte nicht drohend, aber mit schrecklichem Ernst:

»Elfridi, der Himmel hat Deine Verbrechen gezählt, füge nicht noch dieses hinzu!« --

Bei diesem Namen sprang Franzisko, wie vom Blitze getroffen, auf, blickte von heimlichem Entsetzen gepeinigt, ängstlich um sich her, fiel dann ermattet wieder auf seinen Sessel nieder und gab Mathilden durch einen Wink zu verstehen, daß sie fortfahren mögte.

Der Unbekannte stürzte mit einem fürchterlichen Geschrei zur Erde, das Fantom verschwand und ich erwachte mit Angstschweiß auf der kalten Stirn. -- Aber, o mein Vater, mein theurer Theodor, könnt Ihr es glauben? bei meinem Erwachen erblickte ich die Erscheinung neben meinem Bette; anfänglich glaubte ich noch zu träumen, aber nein, ich war erwacht und sitzend in meinem Bette; noch sehe ich den blendenden Lichtkreis, der die Himmlische umgab, noch ihre gefalteten Hände sich langsam öffnen, um mir ihren Segen zu ertheilen, und noch immer höre ich ihre rührende Stimme, die zu mir sprach:

»Mathilde Mathilde, vermäle Dich mit Deinem Bruder nicht!« --

Kaum schwieg Mathilde, so sank Roland auf seine Knie. Theure Mathilde, rief er ausser sich, und Ihr mein Vater, vereinigt Euch mit mir, um dem Gotte der Barmherzigkeit zu danken, daß er uns vor einem abscheulichen Verbrechen bewahrte! Was Mathilde erzählte, habe auch ich im Traume gesehn und gehört, beide Träume sind sich ganz gleich; kann man hierin den Willen des Himmels verkennen? -- Ja, ich schwöre es bei dem Gotte, der so wohlthätig für uns sorgt, weder Bitten noch Drohungen, selbst der Anblick des gewissen Todes, nichts soll mich zwingen, Mathilden meine Hand als Gatte zu reichen; und wenn dieser Elfridi, den ich nicht kenne, meinem Vermuthen nach, der geheimnißvolle Vormund ist, der uns seit unserer Kindheit beschützt, so bin ich entschlossen, seiner Macht und seinem Zorne zu trotzen, mag auch das Schrecklichste daraus entstehen!

Mathilde that ein gleiches Gelübde, und Franzisko, der ihren Entschluß billigte, schwur unter der Bedingung, daß sie den Namen Elfridi nie wieder aussprechen würden, ihn nach seinen Kräften zu unterstützen. Sie gelobten es mit einem feierlichen Schwur.

Nachdem er nun Mathilden in das Kloster zurückbegleitet hatte, vertiefte sich Franzisko in Betrachtungen über die Erscheinung, und das Uebernatürlich-Schreckliche derselben. Er war fest überzeugt, daß er in Gegenwart seiner Zöglinge oder Sebastian's den Namen Elfridi nie genannt hatte, und doch war dieser unglückliche Name jetzt kein Geheimniß mehr. Seiner Anhänglichkeit für den Grafen ungeachtet, hielt er ihn der größten Verbrechen für fähig; dieserhalb entschloß er sich, ihm auf eine schlaue Weise, sobald er nicht auf seiner Huth sein werde, oder auch durch Drohungen, das Geständniß dieser geheimen Schandthat zu entreißen.

 


Siebentes Kapitel.

Der Graf Elfridi hatte sich es vorbehalten, einen unsichtbaren Zuschauer und Zeugen bei der schändlichen Vermälung abzugeben, und war zu diesem Ende seit einigen Tagen im Pyrenäen-Schlosse angekommen, wo er sich in einem unterirdischen Gewölbe, das er zu seiner Wohnung hatte einrichten lassen, und welches nur Franzisko und dem alten Gago bekannt war, verborgen aufhielt. Der Mönch ließ ihm durch den alten Neger sagen, daß er ihn einer eiligen und wichtigen Angelegenheit halber um Mitternacht in der Kirche erwarte, da er in seiner Grotte vor Ueberraschung nicht immer gesichert sei; und Elfridi versprach sich pünktlich einzustellen.

Zur bestimmten Stunde begegneten sich Beide im vordern Bogengange, jeder mit einer Lampe in der Hand, deren bleiches, flackerndes Licht der Dunkelheit des Orts noch mehr feierliches und schauderhaftes verlieh. Stillschweigend ließ sich Franzisko im ersten Kirchenstuhle nieder; Elfridi nahm seinen Platz im zweiten und blickte scheu auf die Monumente der Religion und des Todes, womit die Kirche angefüllt war; sein Gewissen fühlte zum ersten Male den Scorpionsstich des Verbrechens, und ein heimliches Grauen ließ ihn nach dem Ende der Unterredung sehnlichst verlangen.

Das ist hier, sprach er zu Franzisko, für Leute unsers Schlags zu einer Unterhaltung ein sonderbar gewählter Ort.

Für diejenigen, die nicht betrügen wollen, sind alle Orte gleich gut, antwortete Franzisko ernst. Es ist meine Absicht, unser Gespräch nur zu dem Ohr des Allmächtigen gelangen zu lassen, dem wir unsere Geheimnisse doch nicht verbergen können.

Franzisko, fiel Elfridi mit einer ungeduldigen und verächtlichen Gebärde ein, spart doch lieber Eure Kapuziner-Predigten für Leute auf, die Euch nicht so gut kennen, wie ich. Was soll hier verhandelt werden? Es ist mir daran gelegen, zur Sache zu kommen und sobald als möglich diesen frostigen Ort zu verlassen, der mich vor Kälte zittern macht.

Und in der That fing Elfridi an zu beben. Ehe wir zur Sache schreiten, Graf Elfridi, hob Franzisko an, erklärt Euch, besteht Ihr noch darauf, daß in drei Tagen Theodors und Mathildens Vermälung vor dem Altar gefeiert werde? --

Welche Frage? -- Ohne Zweifel!

Wohlan, so fordere ich Euch hiemit zur Erklärung feierlich auf, ob Euch kein Hinderniß, sei es weltlich oder geistlich, bekannt ist, das sich dieser Verbindung widersetzen könnte?

Bei dieser Frage ward Elfridi's Gesichtsbildung düster, seine Farbe veränderte sich; verschiedene Male, und unruhig rückte er auf dem Stuhle hin und her; endlich schien sich der Zorn; seiner zu bemächtigen und um seine Unruhe zu bemänteln, antwortete er mit auffahrendem trotzigen Tone dem Dominikaner:

Habt Ihr den Verstand verlohren, Franzisko, oder glaubt Ihr mich zu äffen? Nein, sehr ehrwürdiger Pater, gewissenhafter und gottesfürchtiger Klausner, diese Vermälung kann, wird und soll durch kein Hinderniß vereitelt werden!

Nun, Graf Elfridi, so vernehmt denn von mir, daß ein unübersteigbares Hinderniß gegen eben diese Verbindung vorhanden ist; Theodor und Mathilde haben beide geschworen, daß solche nie vollzogen werden soll!

Wie, sie wagen es, mir ungehorsam zu sein? schrie Elfridi wüthend, und gräßliche Flüche entfuhren seinem bebendem Munde. -- Wer kann ihnen denn wol gelehrt haben, meiner Macht zu trotzen?

Eine höhere Macht, Graf Elfridi, der Himmel! Ja, der Himmel selbst hat ihnen offenbart, daß sie durch die Bande des Bluts zu nahe verwandt sind, um ohne Verbrechen noch eine engere Verbindung eingehen zu können.

Bei dieser Erklärung konnte Elfridi seine Wuth nicht länger mäßigen; er sprang auf, schlug sich wie ein Rasender die Stirn und als er Franzisko's Augen begegnete, die ihn aufmerksam und zürnend beobachteten, so brach sein Grimm gegen diesen in lichte Flammen aus; er stürzte auf ihn zu, faßte mit beiden Händen die Kaputze des Dominikaners und schrie wie besessen:

Betrüger, Du weißt eben so gut wie ich, daß es keinen Himmel, keine übernatürliche Macht gibt, die des Menschen Geheimnisse belauschen und entdecken könnten. Hoffest Du, mich mit einer so groben Lüge zu hintergehen? Gestehe Deinen Betrug, alter Bösewicht, oder ich schwäre es, die gesammte Inquisition soll Dich meiner gerechten Rache nicht entziehen!

Franzisko war groß und kraftvoll, seine beibehaltene Gelassenheit gab ihm einen bedeutenden Vortheil über seinen Gegner. Er riß sich von ihm los, ergriff ihn nun auch, hielt ihn fest, zog einen Dolch hervor, den er ihn auf die Brust setzte und sprach:

Ihr sollt mich anhören, Elfridi, oder in einem Augenblicke ist es um Euer Leben geschehen.

Wider seinen Willen mußte Elfridi nun Mathildens und Theodors Traum von Anfang bis zu Ende anhören. Kalter Schweiß rann von seiner Stirn bei der Erzählung der gräßlichen Erscheinung herab, er zitterte vor Wuth und Angst und krümmte sich zähneknirschend unter der starken Faust des Dominikaners, der wie sein böser Geist das Mordeisen nach seinem Herzen richtete. Nicht etwa weil er, der Gotteslästerer, an die Einmischung einer übermenschlichen Macht glaubte? Nein, aber der unergründliche Verrath machte ihn rasend; denn daß jetzt Franzisko das Geheimniß der Geburt des jungen Roland wisse, war erwiesen, so unbegreiflich es ihm auch blieb, wie er es erfahren haben konnte. Jetzt mußte er erwarten, daß der Mönch erbittert über den Mangel an Zutrauen seines falschen Freundes, seine ganze Macht aufbieten würde, seinen Plänen entgegen zu wirken; deshalb sammelte er Fassung, verbarg die wahren Gefühle seiner Seele unter der Maske des Spottes und der Verachtung, nannte den Traum eine erbärmliche Erfindung ohne Sinn und Vernunft, mit der man nur Kinder schrecken könne, entschlüpfte den Händen des Mönches, als dieser den Dolch zurückgezogen hatte, und rief ihm fliehend zu, daß er früh oder spät den wahren Grund seiner Widersetzlichkeit gegen diese Verbindung entdecken werde, ihm jedoch wohlmeinend rathe, in Zukunft keine solche armseelige Märchen auszudenken, um ihm ein Geständniß zu entlocken, daß er nie ablegen werde.

Franzisko ließ ihn entfliehen, denn er war überzeugt, daß er seiner habhaft werden könnte, sobald er wollte, sollte er auch nöthigen Falls die Macht der Inquisition dazu aufbieten. Und zum ersten Male trennten sich zwei alte Freunde mit gleicher gegenseitiger Erbitterung von einander.

Tausend verworrene Pläne und Anschläge durchkreuzten Elfridi's Kopf, er hauchte seinen Zorn in Verwünschungen und Drohungen gegen Franzisko aus, und verhieß sich mit den schrecklichsten Schwüren, eher das Leben dieses treulosen Vertrauten zu opfern, als sich unter seinen gebieterischen Willen zu beugen. Die Verwirrung seiner Entwürfe und seine Wuth, sich verrathen zu wissen, rissen ihn fort und in der Absicht seinen unterirdischen Schlupfwinkel zu erreichen, eilte er in den langen gewundenen Gang, ohne zu bemerken, dass er den rechten Weg verfehlt habe. Als er endlich seinen Irrthum erkannte und noch erbitterter zurückkehrte, stieß er in seiner blinden Wuth mit dem Arme, der die Lampe trug, an eine Säule und das Flämmchen erlosch. In diesem Augenblicke glaubte er die Tritte eines Gehenden in der Finsterniß hinter sich zu hören; er stand still, horchte und fühlte mit einem schwer zu beschreibenden Entsetzen eine eiskalte Hand die Seine berühren. Vergebens versuchte er der Angst, die ihn jetzt befiel, zu trotzen, vergebens die schlotternden Knie zum Gehorsam zu zwingen und die Berührung einer Täuschung zuzuschreiben; seine |Herzhaftigkeit war von ihm gewichen, er zitterte, der Boden brannte unter seinen Füßen, der Wind, der durch die öden Gewölbe heulend pfiff, schien ihm Violens klagende Stimme zu sein; und obgleich undurchdringliche Finsterniß Alles bedeckte, so glaubte er doch einen über seinem Kopfe schwebenden, blutigen Dolch blitzen zu sehen.

Von einer nie gefühlten Angst zur Flucht getrieben, eilte er mit zitternden Knien, und so schnell es ihm die Nacht und die gelähmten Glieder erlaubten, der Gegend zu, die ihm, wie er glaubte, seiner versteckten Wohnung näherte, und hatte bereits das Ende des Ganges erreicht, als ein heller Lichtschein in einiger Entfernung seine Augen blendete und ihn mit der ermuthigenden Hoffnung beseelte, endlich einen Ausgang aus diesem Labyrinthe zu finden; aber der Schein entfernte sich, verschwand bald darauf gänzlich und schimmerte dann, mit der Finsterniß abwechselnd, in der Ferne.

Indem der Beängstigte dem Scheine hastig folgte, war er in ein anderes Gewölbe gerathen, dessen Gewinde und fremdartige Bauart ihn an die ihm wohlbekannten Wege in der Gegend der Kirche nicht erinnerten. Er wußte, nicht wo er sich befand, sein Erstaunen ging von Neuem in Grausen über; alle Gegenstände schienen ihm ungewöhnlich und geisterartig, er zitterte so heftig daß er sich an der Mauer zu halten gezwungen war und der Odem in seiner Brust zu stocken drohete; da gewahrte er abermals im Hintergrunde des Ganges den Schein und unterschied eine schlanke, weibliche Gestalt mit einem Schleier und einem langen Tuche behangen, die in der Hand eine Lampe trug und ihm zu folgen winkte. Diese Entdeckung, so unbegreiflich sie ihm auch schien, da er an diesen heimlichen Orten Niemanden zu finden vermuthen durfte, frischte sein erstarrtes Blut wieder auf und trieb ihn an, die Unbekannte zu erreichen.

Plötzlich stand diese vor einer Thür still, und Elfridi's Haar sträubte sich borstenartig auf seinem Haupte empor, denn er erinnerte sich, das dieses dieselbe Thür sei, durch welche er zur Ermordung der unschuldigen Viola den blutdürstigen Sanguinario eingeführt hatte. In demselben Augenblicke entfiel der Schleier Elfridi's unbekannter geisterhafter Führerin, und mit Entsetzen erkannten des Grafen starre Augen das verklärte Gesicht seines unglücklichen Opfers, der gemordeten Herzogin von Manfredonia; sie zeigte auf ihren blutenden Busen und des Dolches breite Wunde und sprach mit dumpfen, warnendem Tone die Worte aus Mathildens Traume:

»Elfridi, der Himmel hat Deine Verbrechen gezählt!«

Bei dieser schrecklichen Drohung stürzte der Sündige wie vom Blitze erschlagen, ohne Besinnung zur Erde. --

Beinahe eine Stunde lag Elfridi ohne Lebenszeichen; als er sich endlich wieder erholte, erinnerte er sich ungeachtet der Finsterniß und seines Grausens, des Ortes, wo er sich befand, und der schauderhaften Erscheinung, die ihn dahin geführt hatte. Mit Mühe raffte er sich vom Boden auf, und von einem unwiderstehlichen Antriebe gedrängt, öffnete er die geheime Thür und trat in das Gemach, den Schauplatz seiner Greuelthat, wo Violens unglücklicher Gemal im festen Schlummer ruhete.

Eine Lampe erhellte das Zimmer, Elfridi näherte sich dem Lager und betrachtete von Reue gefoltert den Schlafenden, den er seinen Freund genannt, den er in den Abgrund des Verderbens unerbittlich hinabgestürzt hatte. Kalter Schweiß floß über sein verstörtes Gesicht und seine Knie berührten sich mit krampfhaftem Schlottern.

Wie er verändert ist! sprach er halblaut. -- Aber er schläft. -- Der Gerechte und Tugendhafte schläft sogar im Schooße des Unglücks ruhig. Der Schatten seines erwürgten Weibes wird ihn nicht ängstigen, aber ich -- -- Ach, ich kann seinen Anblick, ich kann mich selbst nicht länger ertragen!

Mit Entsetzen und stürmischer Eile verließ er das unglückliche Gemach und verbarg sich in seiner Höhle, wo alle Schandthaten seines vergangenen Lebens sich seinem erwachten Gewissen gleich einem von Furien aufgerollten Gemälde zeigten. Er schauderte, noch immer tönten Violens Worte in seinem Ohre. Die Stunde des Unglaubens ist vorüber, er hat gesehn, gehört und sich überzeugt. Und konnte wohl ein anderer Arm, als der des rächenden Gottes diese Wunder bewirken? Die Todten steigen aus ihren Gräbern empor, um sein letztes schändliche Vorhaben zu zerstören. -- Zum erstenmale empfand er die Qual eines bösen Gewissens; doch durch zu späte Reue konnte er Vergebung für die Unzahl seiner Verbrechen erlangen? -- Nein! Er sah die Hölle mit allen ihren Qualen vor seinen Füßen geöffnet, sah die scheußlichsten Fantome mit Grinsen nach seiner Ankunft heißhungrig verlangen, fühlte, wie sie ihn hinabschleuderten in den ewig brennenden Pfuhl und verfiel in den schrecklichsten Wahnsinn; in diesem Zustande fand ihn Gago, sein alter Diener

Sobald Franzisko die Geisteszerrüttung des Grafen erfuhr, schrieb er sie der nächtlichen Erörterung und dem Eindrucke seiner Drohungen zu; und da er doch den alten Freund ohne Beistand nicht umkommen lassen wollte, so berief er Pedro, den geschickten Wundarzt des Schlosses, zu sich und übertrug ihm die Pflege des Kranken, so oft er durch seine Geschäfte im Schlosse nicht daran verhindert würde.

Pedro's unausgesetzte Sorgfalt und die vorgeschriebenen Mittel unterdrückten zwar des Fiebers heftigen Ausbruch; demungeachtet verblieb Elfridi acht Monate hindurch in einem Zustande gänzlicher Vernunftlosigkeit, und Pedro überzeugte sich endlich, daß es ausserhalb der Grenzen seiner Kunst liege, die moralische Ursache dieser Verstandes-Schwäche zu entdecken. Doch ließen ihm des Kranken wahnsinnige Reden und seine Klagen mit Grund muthmaßen, daß schwere Verbrechen und erwachte Reue das Gewissen desselben marterte; deshalb tröstete der menschliche Arzt den Sündigen, brachte ihm Bücher aus der Bibliothek, die seinem Zustande angemessen waren, und als er ihn so weit hergestellt sah, daß er ihn verstehen und begreifen konnte, so las er ihm geistliche Sätze vor, die seinen Geist fesseln, beruhigen und ihm mit demjenigen aussöhnen konnten, dessen Ohr dem aufrichtig Reuigen nie verschlossen bleibt.

Pedro's barmherzige Bemühungen gingen nicht verlohren, aber ungeachtet sich nur noch selten Geistes-Zerrüttung bei dem Kranken zeigte, so konnte er doch mehrere Monate hindurch seiner Körperschwäche halber das Bette nicht verlassen; als er endlich wieder matt und elend umherschwankte, da bemerkte sein wohlthätiger Arzt mit innerer Zufriedenheit, daß er mit seinem Körper auch seine Seele geheilt habe; denn nie hat wol ein reuiger Sünder mit mehr Zerknirschung vor dem Throne der Barmherzigkeit um Gnade gefleht.

Allein es genügte dem Bußfertigen nicht, seine Verbrechen mit heißen Thränen zu beweinen; das Bedürfniß, vor seinem Ende noch Gutes zu stiften und sein Unrecht zu verbessern, quälte ihn unaufhörlich, doch um dieses zu bewerkstelligen, bedurfte er Zeit, Vorsicht und Verschlagenheit. Mit lasterhaften Menschen von allen Klassen und aus allen Ländern umgeben und eng verbrüdert, konnte er sich mit keinem Schritte dem Guten nähern, ohne ihren Verdacht zu erwecken; und wenn er auch hinreichenden Grund hatte, Franzisko weniger verdorben als die Uebrigen zu glauben, so durfte er doch nicht hoffen, daß der Mönch Männer, deren Vertrauter und Mitschuldiger er so lange Zeit gewesen war, ruhig würde verrathen und anklagen sehen. Ein Vorfall, von welchem das Gerücht in eben dieser Zeit bis zu Elfridi drang, vermogte ihn sogar, seine Absichten und den Drang seines gebesserten Herzens noch sorgfältiger zu verbergen.

Eine bejahrte und dem Anschein nach sehr armselige Frau, die von einem der Räuber, mehr durch einen unglücklichen Zufall als Vorsatz tödlich verwundet war, wurde sterbend ins Pyrenäen-Schloß gebracht. Don Manuel, dem weiblichen Geschlechte jedes Alters stets gewogen, nahm sich ihrer thätig an, und da sie sich die Gunst erbat, ihn vor ihrem Ende zu sehen, um ihm für seine Großmuth zu danken, und er ihr solche bewilligte, so ergab es sich nach einigen gegenseitigen Erklärungen und Geständnissen, daß die Verwundete in dem Räuberchef ihren eignen Sohn erkannte. Sie war in frühern Zeiten Opernsängerin in Neapel und Franzisko's Buhlerin gewesen, wurde aber später von ihm mit dem Kinde, das sie ihm gebar, verlassen. Ein spanischer Edelmann, der sich kurz darauf in sie verliebte und den kleinen Manuel, so nannte sich ihr Kind, lieb gewann, nahm diesen zu sich, ließ ihn erziehen und verschaffte ihm, als er herangewachsen war, eine Stelle in der spanischen Marine, wozu der Kleine viel Neigung verrieth. Hier zeichnete sich der Jüngling durch seinen seltnen Muth in kurzer Zeit vortheilhaft aus, und vergaß von der schnellen und glänzenden Laufbahn, die ihn das Glück betreten ließ, geblendet, bald eine Mutter, deren Namen und Gewerbe zu seinem Range und den Gunstbezeugungen seines Monarchen, übel gepaßt haben würden. Diese Unglückliche, durch das von ihr gewählte Loos in der Welt umhergetrieben, und oft der Dürftigkeit preiß gegeben, fand endlich nach mancherlei Fahrten und Erfahrungen verblüht und veraltet, in den Diensten eines französischen Kaufmanns ein spärliches Unterkommen, begleitete diesen, dessen Kinder ihrer Wartung anvertraut waren, auf einer Reise durch die Pyrenäen, und wurde bei einem Ueberfalle, wobei es auf eine Plünderung des Kaufmanns abgesehen war, von einem der Räuber, die zu Don Manuels Bande gehörten, durch einen Pistolenschuß, der dem kühnen Diener des Kaufmanns galt, schwer verwundet. So warf das Verhängniß durch dieses ungewöhnliche Zusammentreffen von Begebenheiten die längst vergessene Mutter am Abend ihres Lebens in ihres unnatürlichen Sohnes Räuberhöhle und ließ sie in seinen Armen sterben.

Franzisko hörte die Beichte der Sterbenden, erkannte sie und konnte also an der Wahrheit ihres Geständnisses nicht zweifeln; ein neues, festeres Band knüpfte ihn nun an das Oberhaupt des gefürchteten Bundes, und wenn gleich die bei ihm vorherrschenden guten Neigungen ihn öfters zum Beschützer der Gefangenen seines Sohnes und dem Werkzeuge der Barmherzigkeit weiheten, so fühlte doch Elfridi nur zu gut, daß diese verdienstlichen Eigenschaften sich nie so weit erstrecken würden, Franzisko's Zustimmung oder Mitwirkung für Maasregeln zu erhalten, deren Erfolg seinen Sohn auf's Blutgerüste führen konnten.

Demungeachtet durfte der Büßende keine Ruhe und kein Heil für seine Seele hoffen, wenn er nicht dem Herzoge von Manfredonia zu dem Besitze seiner Kinder und Güter wieder verhelfen konnte. -- Er faßte anfänglich den Entschluß, sich in dieser Absicht an den Papst zu wenden, um zugleich von demselben Vergebung seiner Sünden zu erflehen. Aber, wenn auch seine lange Krankheit ihm die erforderliche Körperstärke zu einer so weiten Reise nicht entzogen hätte, so blieb doch noch immer die Furcht in seiner Brust zurück, daß der von seiner Bekehrung unterrichtete schlaue Dominikaner, seine Absicht errathen, ihm auflauern und von seinen Anhängern ergreifen lassen könnte. Der schauderhafte Tod, der ihm in diesem letztern Falle bevorstand, schreckte ihn nicht, denn sein Bewußtsein sagte ihm, daß er tausendfältige Martern verdient habe; aber sein Los hätte den Herzog und seine Kinder der einzigen Quelle beraubt, aus denen noch Trost und Ruhe für die Unglücklichen fließen konnte. Er hielt es für seine erste Pflicht, für sie allein ein Leben zu fristen, das er, wenn es in seiner Macht gestanden hätte, die Vergangenheit zurückzurufen, gern geopfert haben würde.

Nach langem Sinnen erwachte der Gedanke bei ihm, daß Lorenzo selbst die Sendung für den heiligen Vater in Rom übernehmen könnte. Aber welche Mittel sollte er, da man ihn seit seiner Krankheit auf Franzisko's Befehl streng bewachte, anwenden, um mit jenem zu reden, und ihm Gelegenheit zu verschaffen, aus dem furchtbaren Schlosse zu entfliehen? Und wenn er auch alle diese Schwierigkeiten besiegte, mußte er nicht besorgen, daß die durch eine solche Entdeckung hervorgebrachte Ueberraschung Lorenzo selbst verrathen und ihn ausser Stand setzen würde, so viele wachsame Augen, die ihn beobachteten, zu täuschen?

Nachdem er diesen wichtigen Gegenstand, lange Zeit durchdacht und erwogen hatte, überzeugte er sich, daß nur Roland allein seinen Absichten dienen könnte, sobald der Zeitpunkt, eingetreten sein werde, wo der Graf von Vizenza seiner frühern Erklärung nach, den Jüngling zu sich nehmen und unter dem Namen seines Neffen in der Welt würde erscheinen lassen. Elfridi wußte von dem alten Neger, daß Roland, Franzisko's und Don Manuels Liebling, einer vorzüglichen Freiheit im Schlosse genoß, daher er denn immer hoffte daß er ihm begegnen und zu einer geheimen Unterredung würde bewegen. Weil er aber über die Unbeständigkeit des menschlichen Lebens bei seinen kränkelnden Gesundheitsumständen oft reiflich nachzudenken Gelegenheit hatte, so gebrauchte er die Vorsicht, Violens Unglücksgeschichte im genauesten Zusammenhange schriftlich aufzusetzen, ohne den schändlichen Antheil, den er daran genommen hatte, zu verschweigen oder zu entschuldigen; er fügte dem Aufsatze als Beläge die Originale aller falschen Briefe, die Polidor geschrieben, Violens Brief an ihren Gatten, der dem unglücklichen Bernardo abgenommen war, Mathildens Geburtsschein, den er früher aus Franzisko's Grotte sich heimlicherweise zugeeignet hatte und alle übrigen Dokumente, welche die Wahrheit seiner Darstellung verbürgen konnten, bei, versiegelte das Paquet mit Sorgfalt, und da er auf Gago's Treue und Verschwiegenheit fest vertrauen durfte, so führte er den alten Neger zu dem Grabmale, das Don Manuel Violens Andenken hatte errichten lassen. Hier verbarg er bei finsterer Nacht, die in einer eisernen Büchse verwahrten Schriften, unter einer zu diesem Behuf losgebrochenen und wieder eingesetzten Steinplatte, und ließ seinen Vertrauten beim Haupte des heimlich verehrten Propheten schwören, daß derselbe, sollte er, Elfridi, vor der Zeit sterben, wo Roland das Schloß verlassen würde, diesem das verborgene Paquet getreulich, aber nur unter dem heiligen Versprechen überliefern werde, daß Roland sich verbindlich mache, Niemandem auf der Welt den Besitz des Kleinods zu entdecken und es nie von sich zu geben, bis er im Stande sein könne, solches den eignen Händen des regierenden Papstes zu überreichen, daß Roland ferner geloben müsse, diesen Auftrag so bald und so heimlich als möglich zu erfüllen.

Als diese wichtige Angelegenheit nun solchergestalt in Ordnung gebracht war, widmete Elfridi sich dem bußfertigsten Leben mit einer Strenge, die er der Ruchlosigkeit seiner Handlungen angemessen hielt. Er wählte zu seinem Aufenthaltsorte eine kleine, in Form einer Pyramide erbauete, dicht neben einer unermeßlichen Höhle gelegenen Zelle, unfern Violens Grabe und dem von Sanguinario bewohnten Felsengrunde. Die Tollheit dieses unglücklichen rasenden Halbmenschen war ja auch Elfridi's Werk; deshalb übernahm er als Anfang seiner Buße das Geschäft, den beklagungswerthen Mitschuldigen zu pflegen, und ihm seine Nahrung zu reichen, und ertrug mit eiserner Geduld das sich jeden Tag erneuernde schauderhafte und empörende Schauspiel. Zugleich hatte sich Elfridi die in den strengsten Mönchsorden eingeführten Bußübungen auferlegt; Fasten, Wachen, Geißeln und eine fortlaufende Kette von Bußen aller Art und Gebeten waren bei Tage und in den schlaflosen Stunden des Nachts seine stete Beschäftigung, die er nur dann unterbrach, wenn er in der Hoffnung umher schlich, Roland zu begegnen, und dazu eine Zeit wählte, wo er Don Manuel und den größten Theil seiner Genossen entfernt glaubte.

Sogar die Wohlthat eines Bettes entzog er seinem kraftlosen ausgemergelten Körper; die Erde oder die steinerne Grundlage von Violens Grabmale war des unglücklichen Sünders gewöhnliches Lager in den wenigen Augenblicken, wo ihn die Natur zwang, sich der Ruhe hinzugeben. Niemand sah den Leidenden, nur der alte Mohr und Franzisko besuchten ihn; doch einige Male hatte ihn das Verlangen Roland zu sehen, zu weit fortgerissen und er die furchtsame und leichtgläubige Therese erschreckt, die ihn für ein Gespenst hielt und bei seinem Anblicke mit Entsetzen entfloh.

 


Achtes Kapitel.

Vergebens irrte der trostlose Elfridi umher und hoffte immer noch, den Sohn der ermordeten Viola für sich zu gewinnen, als dieser ihm leider längst entführt war. Der Graf Polidor hatte den Beherrschern des Raubschlosses angezeigt, daß er in der Nähe desselben angekommen sei und von ihrer Freundschaft erwarte, daß ihm sein Sohn nun zurückgegeben werde, dem jedoch seine genaue Vertraulichkeit mit Don Manuel und seiner Rotte ein stetes Geheimniß bleiben müsse, in welcher Rücksicht er es nicht gewagt habe, das Innere des Schlosses zu betreten. Kaum erfuhr Garzias Vizenza's Absicht, so machte er Don Manuel die Gefahren anschaulich, denen der Bund ausgesetzt sein werde, so bald man bei der Entfernung des Jünglings aus dem Schlosse nicht mit möglichster Vorsicht verfahre und ihn der Mittel beraube, den verborgenen Eingang wiederzufinden. Seine Besorgniß gründe sich vorzüglich, sprach er, auf Theodors außerordentliche Anhänglichkeit zu Don Sebastian, die für ihn seit Jahren schon ein Gegenstand der Unruhe gewesen sei, da bei dem Zöglinge leicht der Wunsch entstehen könne, an der Befreiung seines theuren Erziehers zu arbeiten. Sein Rath sei daher, den Jüngling unvermuthet zu überfallen und ihn mit verbundenen Augen gewaltsam aus dem Schlosse zu schleppen, damit er die verborgenen Felsengänge nie wieder auffinden könne, und diese Entführung so zu leiten, daß Theodors Verschwinden einer heimlichen Ermordung ähnlich sehe, wodurch bei den von der wahren Thatsache nicht unterrichteten Bewohnern, jede Besorgniß für ihren Sicherheit unterdrückt und zugleich der Glaube geweckt werde, Theodor sei als ein Opfer des allgemeinen Besten oder geheimer Familien-Intriguen gefallen. Don Manuel nahm Garzias Vorschlag nach einigem Bedenken an und war in voraus überzeugt, daß auch Polidor denselben billigen werde; aber die Ausführung konnte ohne Franzisko's Einwilligung nicht füglich statt haben, und es schien keine leichte Aufgabe zu sein, diese von ihm zu erhalten. Die Trennung von Theodor war an sich schon schmerzlich genug für sein Herz, und der Gedanke ihn sich selbst zu überlassen, oder seine Jugend Führern anzuvertrauen, die noch keine Zärtlichkeit für ihn hegen und ihm noch keine eingeflößt haben konnten, beunruhigte den Dominikaner sehr und betrübte seine Seele. Es war seine Absicht, den geliebten Jüngling mit der zartesten Schonung auf die nahe Trennung vorzubereiten; und nun hatte man sich verabredet, diese Trennung mit räuberischer Gewaltthat zu vollziehen, die seinen Zögling erschrecken und Don Sebastians wie Mathildens Herz zerreißen mußte, die doch nach Roland die einzigen Geschöpfe waren, welche er seiner Achtung und Freundschaft für würdig hielt.

Es kostete Don Manuel unendlich viel Mühe, Franzisko zu überzeugen. Dieser widerlegte die Besorgniß des Räuberchefs durch die feste Versicherung, daß keine Vorsicht zuverlässiger sei, als Roland's Versprechen und man, sobald er sein Wort gegeben habe, mit vollkommner Zuversicht darauf bauen könne, daß er es gewissenhaft halten werde. Aber der listige Don Manuel benutzte eben diese Meinung Franzisko's, um von ihm seine Einwilligung zu erhalten: Er stellte seinem Vater vor, daß nicht allein Don Sebastian, sondern auch Diego und Thomas sich des Jünglings Zutrauen längst zugeeignet hätten, weil man in seinem Alter nicht zum Argwohn geneigt sei, am wenigsten gegen seine Freunde, und daß jemehr Sanftmuth und Großmuth, Roland besitze, er es desto eher für seine Pflicht halten würde, alle seine Vertrauten zu befreien, und sich nur damit begnügen werde, von ihnen das Versprechen zu fordern, nie die Existenz des geheimen Bundes, dessen Zweck ihm überdem nicht einmal bekannt sei, zu verrathen. Er überließ es nun seiner eignen Beurtheilung und ausgebreiteten Menschenkenntniß zu erwägen, ob man mit Sicherheit auf die Verschwiegenheit so Vieler rechnen könne und nicht in steter Angst schweben müsse, daß man sich durch eigne Unbesonnenheit den Weg zum Schaffot gebahnt habe. Franzisko konnte gegen seines Sohnes beredsame Gegenvorstellungen nichts einwenden und gab endlich nach. Aus der Art, wie Therese im Anfange dieser Geschichte Victorien Theodors Verschwinden erzählte Siehe Seite 133 des ersten Bandes. und aus ihrer Deutung von der grausamen Behandlung desselben, läßt sich schließen, daß sie und seine übrigen treuen Freunde fest überzeugt waren, er sei auf Anstiften des unmenschlichen Garzias, der ihm, wie man wußte, ewigen heimlichen Haß geschworen hatte, ermordet.

Therese ward indeß, gleich den Uebrigen, getäuscht: Man schleppte ihren jungen Liebling in einen finstern Kerker, wo man ihn den ängstlichsten Muthmaßungen bis zur Mitternacht überließ; da öffneten sich die Pforten seines Kerkers, und Franzisko's Erscheinung, der in Don Manuels Begleitung hereintrat, verscheuchte im Augenblicke seine Angst. Beide überhäuften ihn mit Liebkosungen, entschuldigten die ihm zugefügte grausame Behandlung und entdeckten ihm ohne Hehl, was sie dazu veranlaßt habe; dann bat ihn Don Manuel, sich die Augen verbinden zu lassen, um auf diese Art zu dem Grafen von Vizenza, seinem Onkel, geführt zu werden.

Von Jedem andern, sprach dieser zu dem Erstaunten, würde ich die feierlichsten Schwüre heischen und mich so seiner Verschwiegenheit über dasjenige, was er in diesen Mauern gesehen oder gehört haben könnte, versichern; von Euch verlange ich sie nicht, Euer Wort genügt mir und ich vertraue auf Eure Großmuth. Welche Meinung Ihr von der Lebensweise, die ich ergriffen, und dem Gewerbe, das ich hier treibe, auch mögt gefaßt haben, so bin ich doch überzeugt, Euer dankbares Herz wird es nie vergessen, daß ich gegen Euch die Pflichten der Menschlichkeit und väterlichen Freundschaft genau erfüllt habe; und fast mögte ich zweifeln, Graf Theodor, daß Ihr in der großen Welt, wohin Ihr Euch nun begebt, bessere und treuere Freunde finden werdet, als die Ihr hier im zweideutigen Scheine zurücklaßt.

Eben weil ich es glaube, antwortete Roland und drückte mit Zärtlichkeit Don Manuels Hand, weil ich nicht hoffen kann, Freunde zu finden, die mir theurer sein werden, eben deshalb würde es mir weniger schrecklich sein, zu sterben, als mich von ihnen auf immer zu trennen.

Mein theurer Lehrer, mein Freund, mein Vater, sprach er zu Franzisko, sagt mir, wer ist denn derjenige, der mich von Euch fordert? Wenn er Ansprüche auf mich hat, warum verließ er mich, als Eure Großmuth sich meiner erbarmte und Eure Güte mich aufnahm und pflegte? Eurer zärtlichen Sorgfalt verdankte ich mein Dasein und meine Bildung; welches Gesetz verpflichtet mich denn, für einen Unbekannten zu leben, der nichts zu meinem Vortheile that?

Mit lebhafter Rührung drückte Franzisko seinen Pflegesohn an seine Brust; aber durch Don Manuels Blicke und Gebärden zu zurückgehalten, unterdrückte er sein Gefühl und theilte dem Jünglinge die verabredete Geschichte seiner angeblichen Eltern mit:

Der Graf von Vizenza, hub er an, sei der Bruder von Roland's Mutter, die sich mit einem jungen Engländer, wider den Wunsch und Willen ihrer beiderseitigen Eltern, vermält, ihren Gatten aber bald darauf durch den Tod im Gefechte verlohren habe und ihm nach einem Jahre vor Gram gefolgt sei. Der Unglücklichen Bruder, der Graf Polidor von Vizenza, stets ein wahrer Freund des verfolgten Ehepaars, hätte sich darauf ihres Sohnes angenommen, ihn jedoch in versteckter Einsamkeit erziehen lassen, um den Sprößling vor dem Hasse und der Rache einer erbitterten Familie sicher zu stellen, und wolle jetzt, da die Hauptmitglieder derselben theils verstorben, theils in entfernte Gegenden gezogen, die der sterbenden Mutter geleisteten Versprechen getreulich erfüllen, seinen Neffen wieder zu sich nehmen, ihn, weil er selbst kinderlos sei, zum Erben seiner bedeutenden Güter einsetzen und ihn unter dem Namen des Grafen Urbino, den sein Vater geführt, seiner Familie und der Welt vorstellen.

Diese glänzende Aussicht in die Zukunft konnte Roland's Herz nicht bestechen; er antwortete Franzisko, daß der Rang und Reichthum seiner Familie ihn für den Verlust der Freunde, von denen man ihn trennen wolle, nicht entschädigen könne.

Niemals, sprach er gerührt, wird man einen so weisen, so zärtlichen Lehrer, als der Sennor Sebastian mir war, ersetzen können. Auch Ihr seid meinem Herzen unendlich theuer, Pater Franzisko, und ich werde Euch ohne tiefen Schmerz nicht verlassen können; was ich aber für den achtungswerthen Sebastian empfinde, ist ein so inniges, über jede andere Empfindung so erhabenes Gefühl, daß meine Brust schon bei dem bloßen Gedanken, ihn nie wieder zu sehn, zu zerspringen droht. --

Don Manuel und Franzisko schwiegen und konnten ihre Rührung nicht verbergen. Roland bemerkte es, brach in Thränen aus, warf sich zu ihren Füßen und rief:

Im Namen der Freundschaft die Ihr mir jederzeit bewiesen habt, im Namen des Mitleids, das ich Euch einflößen muß, beschwöre ich Euch, begebt Euch hin zu dem Grafen von Vizenza, versichert ihm, daß ich den Werth seiner wohlthätigen Absichten erkenne und schätze, daß ich aber, weil ich kein undankbares Herz besitze, mich nicht entschließen kann, diejenigen zu verlassen, denen ich alles verdanke. Sagt ihm, daß mein ehrwürdiger Erzieher sich dem Ziele der irdischen Laufbahn nähert, daß eine lange Reihe von Leiden sein Leben, dessen einziger Trost ich bin, verkürzt haben; sagt ihm, dass er mir Vater gewesen ist und der Sohn seiner Zärtlichkeit ihm die Augen schließen muß, Ach, wenn ich ihn dann auf immer? verlohren habe, so mag mein Onkel über mich gebieten; und hat er mich seit meiner Geburt bis jetzt entbehren können, wozu werden ihm denn einige Jahre mehr nützen? Ach, seid barmherzig, schlagt mir eine Bitte nicht ab, die ich auf meinen Knien von Euch erflehe!

Roland's bittender Blick, seine hinreißende Stimme drang bis in Don Manuels Herz und entzündete den schlummernden Rest von Großmuth; er drückte den Jüngling an seine Brust, fand ihn jetzt der unglücklichen Viola ähnlicher als je und fühlte sich geneigt, ihm sogar Don Sebastians Freiheit zu bewilligen, als der wilde Garzias, der an der Thür gehorcht hatte, mit seinen Banditen fluchend hereinstürzte, die Weichlichkeit seines Chefs verspottete, den erschreckten Roland aus Don Manuels, Armen riß und ihn mit verbundenen Augen und gefesselten Armen gewaltsam fortschleppte. Franzisko wollte der seinem Lieblinge widerfahrnen Gewaltthätigkeit steuern, aber Don Manuel hielt ihn zurück; und da der Mönch des grausamen Garzias Auserwählte kannte und wohl wußte, daß sie den Jüngling eher ermordet, als aus ihren Händen gelassen haben würden, so wollte er die Unmenschen nicht zur Wuth reizen, folgte aber dem Truppe und erklärte bestimmt, daß er selbst Theodor nach Madrid geleiten und ihn dort dem Grafen von Vizenza, der sich, nach der Hauptstadt begeben hatte, überliefern wolle. -- Niemand wagte es, sich ihm zu widersetzen. Sie erreichten auf versteckten Wegen die Waldung, wo ein Wagen ihrer wartete und gelangten, von Don Manuels berittenen Räubern wärend der Nacht begleitet, ohne Abentheuer in Madrid an.

 

Der Graf von Vizenza wohnte dort bei einem spanischen Großen, mit Namen Don Antonio Henriquez Fernando Gasparo de Almangaro, der ungeachtet seines hohen Ansehens und des ehrenvollen Amts, das er beim spanischen Hofe bekleidete, doch in das Bündniß des Pyrenäen-Schlosses mit eingeweiht war. Wichtige Bewegungsgründe, die der Fortgang der Geschichte enthüllen wird, vermogten den Grafen von Vizenza seinen vermeinten Neffen nicht länger in Franzisko's Gewalt zu lassen und auf einige Zeit Madrid zum Aufenthaltsorte für den Jüngling zu erwählen. Zur Rechtfertigung seines Verfahrens gab er bei seinen Freunden und Bundesgenossen vor, daß er die Absicht habe, seiner Familie glauben zu machen, Theodor sei in Spanien erzogen, und daß es zu dieser Täuschung nöthig sei, ihn in Don Antonio's Hause mit den Gewohnheiten und dem Benehmen eines jungen Mannes von Stande, der in den glänzendsten Gesellschaften erscheinen soll, vertraut zu machen. Dieses war inzwischen nur ein nichtiger Vorwand. Don Sebastians Unterricht und sein Beispiel ersetzten eine solche Vorsichtsmaasregel hinlänglich. Keiner der Jünglinge am spanischen Hofe übertraf unsern Theodor an Liebenswürdigkeit und Feinheit der Sitten; Niemand konnte sich mit mehr Anstand und Leichtigkeit ausdrücken. Alles an ihm verrieth eine hohe Geburt und den Adel der Gefühle, womit ihn die Natur und eine seltene Ausbildung als Jüngling ausgestattet hatte. Sein Name wurde in die Register der Universität von Toledo nur der Formalität wegen eingetragen, denn was dort gelehrt wurde, hatten Don Sebastian und Franzisko ihm spielend beigebracht; und der Umfang seiner seltenen Kenntnisse erregten bald allgemeine Bewunderung.

Zwischen dem Grafen von Vizenza und seinem vermeinten Neffen wollte kein Gefühl von Freundschaft oder Zutrauen Wurzel fassen; Höflichkeit und Pflicht waren die einzigen Stützen, die ihren gegenseitigen Umgang aufrecht hielten. -- Als daher wenige Tage nach Roland's Ankunft, Polidor Madrid verließ, bemerkte es jener kaum und alle seine Klagen richteten sich an Franzisko, der so glücklich war, nach seinen theuren Freunden in den Pyrenäen zurückzukehren. Roland wußte nicht, daß diese Freunde seinen Tod zu beweinen Ursache zu haben glaubten; daher beauftragte er den Dominikaner, ihnen mit seinen Briefen, Bücher und andere dem Geschmacke eines Jeden angemessene Geschenke, als Beweise der Fortdauer seiner Anhänglichkeit, und daß er sich ihrer immer erinnern werde, zu überbringen.

Franzisko, überzeugt, daß Don Sebastian und Roland sich nie wiedersehen würden, konnte den Anblick des betrübten Greises, der seinen theuren Theodor ermordet, oder doch wenigstens auf immer eingekerkert glaubte, nicht länger ertragen; er entdeckte ihm endlich, daß der Verschwundene lebe und ihm in Spanien ein glückliches und glänzendes Loos zugefallen sei, ermahnte ihn aber, seines eignen Wohls und Theodors Ruhe halber, dieses Geheimniß gewissenhaft zu verschweigen.

Daß Don Sebastian in der Zeit, wo man ihm Roland's Erziehung anvertraute, sich durch einen feierlichen Eid hatte verbindlich machen müssen, nie einen Versuch zur Einleitung eines Briefwechsels ausserhalb des Schlosses zu wagen, war seinem Zögling nicht unbekannt; er durfte daher auf Briefe von ihm, sich keine Hoffnung machen und blieb einzig auf tröstliche Nachrichten von ihm und seinen übrigen Freunden, die ihm Franzisko, so lange er Madrid bewohnte, regelmäßig alle Monate überbrachte, beschränkt. An den Vergnügungen und Zerstreuungen, die ihm Don Antonio zu verschaffen suchte, nahm er wenigen Antheil; die traurige Erinnerung an seines theuren Lehrers Gefangenschaft und eine geheime Angst über das unbekannte Schicksal der schwesterlich geliebten Mathilde, die auf immer im Dunkel eines Klosters zu wohnen, verurtheilt zu sein schien, verfolgten ihn überall und verbitterten ihm den Genuß der geistreichsten und muntersten Gesellschaften, wohin ihn Don Antonio führte. Nirgend fand er einen Mann, den er mit Don Sebastian hätte vergleichen können, und eben so wenig ein weibliches Wesen, daß ihm so liebenswürdig geschienen als Mathilde, die Gefährtin seiner Jugend. -- Madrids Schöne sahen ihn nicht mit derselben Gleichgültigkeit; alle bemüheten sich, des schönen Jünglings Kaltsinn zu rühren und sein Herz zu erobern; aber umsonst erschöpften sie den ganzen Vorrath schmachtender und lockender Blicke, studirten Seufzer und alle erdenklichen Angriffsmittel verfeinerter Koketterie; der gefühllose Roland schien Amors Schlingen nicht zu bemerken, oder wußte den Reiz dieser Lockungen, deren Gegenstand er war, nicht zu schätzen.

Unter diesen Schönen befand sich Donna Almeira, eine kaum aufgeblühete Rose, die unter Don Antonio's Vormundschaft lebte, zu seiner Gemalin bestimmt war und bisher keine Abneigung für diese Verbindung verrathen hatte. Jedoch einige Zeit nach Roland's Ankunft in Madrid zeigte sie einen so erklärten Widerwillen gegen ihren zukünftigen Gemal, daß des eifersüchtigen Spaniers stets wachsam auf sie geheftetes Auge in kurzer Zeit die arge Bemerkung machte, Roland sei, ohne es zu ahnen, Gebieter eines Herzens geworden, an dessen Eroberung er nie gedacht hatte. Nichts schien Don Antonio nun dringender, als die Entfernung eines so furchtbaren Nebenbuhlers, bevor Almeira's Schönheit über seine Gleichgültigkeit triumphirte; er kümmerte sich wenig darum, Vizenza's Absichten durch einen unerwarteten Schritt zu zerrütten und das Gewebe seiner Pläne zu zerreißen; er folgte nur den Rathschlägen seiner Leidenschaft, wandte dringende Geschäfte im Auslande vor, und reißte in Roland's Begleitung, den er seiner Familie zuführen wollte, nach Frankreich ab.

Beide fanden den Grafen von Vizenza in seinem unweit Versailles erkauften Schlosse, wo er vorzüglich in diesem Augenblicke seinen vermeinten Neffen weder erwartete, noch dessen Ankunft wünschte; denn schon damals hatten des Wollüstlings Augen die schöne Victoria, die der sterbende Vater ihm und Elwiren übergeben hatte, zu seinem Opfer auserlesen und ihn nur die Gegenwart des Bruders, der indeß seit einigen Wochen abgereißt war, davon abgehalten, seine schändlichen Absichten zu erklären. Er hielt es unter diesen Umständen für thörigt und seinen Absichten für nachtheilig, einen so vollkommnen und liebenswürdigen Jüngling bei ihr einzuführen; deshalb kam ihm dieses unerwartete Eintreffen Roland's sehr ungelegen; doch verrieth er seinen Unmuth nicht. Elwire hingegen, die den Ankömmling für ihren leiblichen Sohn hielt, empfing ihn mit wahrhaft mütterlicher Zärtlichkeit und war stolz auf die Schönheit, den Verstand und selbst die Tugenden des jungen Grafen Urbino.

Um sich das Innere des Schlosses richtig darzustellen, bedarf man einiger Vorkenntnisse in Ansehung der entgegengesetzten Gesinnungen und des vielseitigen Interesses, das damals unter den Bewohnern desselben eine geheime Uneinigkeit um so mehr hervorbringen mußte, als eine Vereinbarung des Lasters mit der Tugend im edeln Sinne wohl als unmöglich zu betrachten ist, hier aber sogar das Laster sich nicht vereinigen konnte.

Polidors und Elwirens Hang zur Verschwendung hatte schon einen beträchtlichen Theil der Reichthümer des Herzogs von Manfredonia verschleudert. Beinahe alle Grundstücke waren bereits verpfändet und schlechte Verwaltung schmälerte den Ertrag der übrig gebliebenen unverschuldeten. -- Des Grafen Ariosto's reiche Besitzungen, welche Victorien zufallen mußten, sobald ihr Bruder ohne Nachkommenschaft verstarb, boten der unersättlichen Verschwendungssucht des Grafen von Vizenza eine glänzende Ausbeute dar, sobald er mit Hülfe einiger Verbrechen, die ihn keinesweges abschreckten, die Lebenszeit des jungen Alfons verkürzen und alsdann dessen Schwester unter seiner völligen Abhängigkeit halten konnte.

Längst Elwiren überdrüssig und nach dem Besitze der schönen Victoria begierig trachtend, verbanden sich seine lasterhaften Neigungen mit den ungenügsamen Förderungen seiner Habsucht und verleiteten ihn, den von seinem würdigen Vertrauten Garzias ausgebrüteten Plan mit Gierigkeit zu ergreifen. Der Haß dieses Rasenden hatte Violens und Clementinens Tod noch nicht gesättigt, er verfolgte sogar noch die unglücklichen Kinder dieser Letztern.

Alfons im feindlichen Getümmel, wohin ihn seine Kühnheit wärend des gegen England erklärten Krieges, reißen mußte, hinterlistigerweise zu ermorden, Victorien durch List nach dem Pyrenäen-Schlosse zu locken, oder mit Gewalt dahin zu schleppen und sie unter Bedrohung des Todes zu zwingen, Vizenza ihre Hand zu reichen: darin bestand der schändliche Plan, den jene beiden Ungeheuer entwarfen, um sich der Reichthümer des Hauses Ariosto und der wärend der Minderjährigkeit beider Kinder aufgehäuften Summen, welche die Vormünderin nicht hatte antasten können, zu bemächtigen. Elwirens Versuche, Ihren Anschlag zu vereiteln, beunruhigte die Verschwornen wenig. -- Polidor, der seine Gattin kannte, hatte sich bei seiner Vermälung mit derselben untrügliche Maaßregeln vorbehalten, diese Verbindung zu zernichten, sobald er es für nöthig finden würde. Seine genaue Kenntniß alle der schrecklichen Verbrechen, womit sie sich gebrandmarkt hatte, und auch ohne dieses die Zügellosigkeit ihrer Sitten, versahen ihn mit mehr als einem Mittel seinen Zweck zu erreichen. Elwire selbst ebnete die Bahn der etwanigen Schwierigkeiten und bot ihren Feinden zu ihrem eignen Verderben hülfreiche Hand.

Ein junger liebenswürdiger und verführerischer Mann, der Graf von Montfort, bewarb sich wie viele Andere, die Victoriens Schönheit angezogen, um Elwirens Gunst und Fürsprache bei ihrer Mündel. Aber in der Menge von Bewerbern, deren Hoffnungen Victoriens bestimmte Weigerung erlöscht und die sich beschämt zurückgezogen hatten, zeichnete grade Montfort sich durch eine zudringliche Beharrlichkeit aus, die nichts zurückschrecken konnte. Elwire haßte in ihres Herzens Tiefe ihren Gemal, von dem Augenblicke an, wo sie sich von ihm vernachlässigt und verachtet sah und empfand bald die heftigste Leidenschaft für den Grafen. Da sie nun noch Reize genug besaß, ein schmachtendes Herz zu verführen, so hoffte sie, daß jener endlich der unbesiegbaren Abneigung ihrer Nebenbuhlerin überdrüssig werden, und sich die Fesseln anlegen lassen würde, die ihm die Schamlose unaufhörlich anbot. Demungeachtet schien sie den Grafen Montfort bei seiner Liebe für ihre Nichte zu unterstützen, sie leitete ihn am Gängelbande der Hoffnung und ermunterte ihn, dasjenige geduldig zu ertragen, was sie den Eigensinn eines Kindes nannte; zu gleicher Zeit verbarg sie Victorien sorgfältig vor jedes Blicken, tröstete den über dieses Verfahren verwunderten Montfort mit der Versicherung, daß sie ihre Nichte dadurch vor den Gefahren der Concurrenz sicher stellen und zu seinen Gunsten den Andrang der Nebenbuhler verhüthen wolle, und erlaubte ihm, Victorien von Zeit zu Zeit, doch nur in ihrer Gegenwart, zu besuchen, weil die Schlaue überzeugt war, daß Victoria jede Gelegenheit, die sie ihr listigerweise anbot, ergreifen würde, den zudringlichen Liebesbetheurungen des Grafen auszuweichen. Diesem heimlich schlauen Verfahren war es zuzuschreiben, daß Roland Victorien nicht sah, obschon er mit ihr unter einem Dache wohnte. Sie erschien weder im Gesellschafts-Saal noch bei Tische, und als und als Bewegungsgrund zu dieser Zurückgezogenheit, wendete man vor, daß sie mit ihren Lehrern beschäftigt sei und ihr besonderer Geschmack am Studium sie in ihren Zimmern fessele. Roland hörte von allen Bewohnern des Schlosses unaufhörlich ihre Herzensgüte und Tugenden rühmen; und der Graf von Montfort gerieth in Begeisterung, sobald er von ihrer Schönheit und ihren seltnen Reizen sprach. Gleichheit des Alters und natürliche Neigung hatten jenen bewogen, den jungen Grafen Urbino zu seinem Vertrauten zu erwählen. Ein schwermüthiges Ansehn, Liebe zur Einsamkeit und beständiger Hang zu Träumereien schienen bei diesem eine Uebereinstimmung der Gefühle und Herzenspein zu verkündigen; als ihm daher Montfort die Geschichte seiner unglücklichen Leidenschaft erzählte, so hielt er sich berechtigt, ein gleiches Vertrauen zu fordern.

Zu seinem nicht geringen Erstaunen versicherte ihm Roland, daß sein Herz noch frei sei, schien auch theilnehmend seinen Freund zu beklagen, doch konnte er dessen Betragen nicht billigen.

Ihr gesteht selbst, sprach er, daß Donna Victoria statt Eure Bemühungen aufzumuntern, kein Mittel versäumt hat, Euch zu überzeugen, daß sie nie Eure Liebe erwiedern werde. Nichts ist lobenswürdiger und edler als diese Aufrichtigkeit, sie sollte Euch genügen; dagegen verstoßt ihr gröblich gegen die Großmuth und das Zartgefühl, indem Ihr mit unbescheidenem Eifer eine Gunst verfolgt und zu erzwingen sucht, die jetzt nach der vorhergegangenen Erklärung nur Euer eignes Interesse betrifft. Glaubt mir, Graf Montfort, hat man die zärtliche Neigung eines gefühlvollen und liebenswürdigen Weibes nicht gewinnen können, so muß man wenigstens verstehen, ihre Hochachtung zu verdienen; und wenn ich an Eurer Stelle mich befände, so würde ich alles aufbieten, diese Empfindung von Donna Victoria zu erhalten.

Der von Natur eifersüchtige und mistrauische Montfort glaubte, daß Roland's Meinung ihm von einem persönlichen Eigennutze eingeflößt sei; seine Freundschaft fing zusehends an zu erkalten; doch obgleich er seit jener Unterredung zurückhaltender geworden war, so konnte er sich doch den seeligen Genuß nicht entziehen, ihm von Donna Victoria zu erzählen, so oft er ihn allein fand.

Unmerklich gewöhnte sich Roland daran, ihn anzuhören, und da er wohl einsah, daß er ihn von seiner Leidenschaft nicht heilen konnte, so begnügte er sich damit, seine Vertraulichkeiten anzunehmen, ohne sich es zu erlauben, ihm Rath zu ertheilen, der höchst überflüssig war. Dieses Betragen erweckte in dem argwöhnischen Gehirn des Grafen von Montfort von Neuem Besorgnisse; er zitterte, so oft er aus seines jungen Freundes Munde hörte, daß er ungeduldig sei, die schöne, ihm so reizend geschilderte Victoria kennen zu lernen, und er, sobald es thunlich sei, seine Rechte als Polidors Neffe geltend machen wolle, um zu der Ehre zu gelangen, ihr vorgestellt zu werden. Roland war in der That, was diesen Gegenstand betraf, nicht ohne Neugierde, aber obschon er es sonderbar fand, daß ihm dieser Antrag weder von seinem Onkel noch Elwiren bisher gemacht worden, so hüthete er sich doch, sein Stillschweigen hierüber zu brechen, aus Besorgniß, daß ihm sein Begehren abgeschlagen werden könne.

Das Verlangen einen Stand zu ergreifen, der ihn unabhängig machen konnte, beschäftigte ihn indeß mehr, als der Drang Victorien zu sehen; seine Betrachtungen über seine Umgebung und deren Thun und Treiben, hatten ihm für seine neuen Wohlthäter weder Anhänglichkeit noch Hochachtung eingeflößt; und seine Seele sträubte sich gegen den Gedanken, von dem Grafen Polidor immer abzuhängen. -- Seine Wahl fiel auf den Militairstand, für den er im Pyrenäen-Schlosse zuerst Neigung gefaßt hatte; und er entschloß sich, seinem Onkel nur noch die einzige Verbindlichkeit zu danken, daß er ihn in den Stand setzen mögte, auf eine angemessene Art seine neue Laufbahn anzufangen, mit dem festen Vorsatze, ihn, im Falle er von dieser Seite auf keine Unterstützung rechnen konnte, nicht weiter zu Rathe zu ziehen und ohne Bedenken Frankreichs Heere seine Dienste als Freiwilliger anzubieten. -- Roland's Wünsche waren jedoch mit Polidors heimlichem Bestreben, seinen Neffen baldmöglichst wieder zu entfernen, zu nahe verwandt, als daß dieser jenem die Erfüllung derselben hätte verweigern sollen. Er traf sogleich die nöthigen Vorkehrungen zur Anstellung des Jünglings; aber Elwire, die ihren vermeinten Sohn mit aufrichtiger Zärtlichkeit liebte und seinen Entschluß, eine so gefährliche Laufbahn zu betreten, laut misbilligte, suchte ohne Vorwissen ihres weniger väterlich gesinnten Gemals, bei dem Kriegsminister den Verhandlungen Schwierigkeiten in den Weg zu legen, die Roland's Aufnahme unter die Zahl der Krieger verzögerten.

Ihre Zimmer standen dem Jünglinge, dessen kindliche Liebe sie gewinnen wollte, in den Stunden, wo sie wußte, daß Victoria nicht erscheinen würde, geöffnet. Eines Tages begab er sich früher als gewöhnlich zu ihr, in demselben Augenblick trat Bianka, durch eine innere Thür, die zu Victoriens Gemache führte, herein; und hinter ihm drang die lieblichste Stimme in Roland's Ohr und entzückte ihn so sehr, daß er Bianka bat, die Thür, die ihm diesen herrlichen Genuß verschaffte, nicht zu schließen. Biankens Schwager war Victoriens Musiklehrer; der Wunsch, dessen Talente glänzen zu lassen und ihm des jungen Grafen Beifall zuzuwenden, verführte die Kammerfrau, daß sie der Herzogin Befehle vergaß und den Grafen einlud, bis ins Vorzimmer zu treten, um den Gesang deutlicher hören zu können, und dieser eilte, die Gelegenheit zu benutzen. Nie war sein Herz so ergriffen gewesen, als jetzt, wo Victoriens himmlische gehaltvolle Stimme das feine Saitenspiel seiner Seele berührte. In entzückende Träumerei versenkt, hörte er nicht, daß der Gesang schwieg und ihn Bianka an der Thür ängstlich rief, bis diese ihn endlich beim Arme ziehend, aus seiner glücklichen Bewußtlosigkeit erweckte.

Graf Urbino, sprach sie, Ihr müßt Euch sogleich entfernen; ich wäre verlohren, wenn Jemand wüßte, daß ich Euch hieher geführt habe.

Stumm und maschienenmäßig ließ sich Roland fortziehen, bis er an der Thür zur Herzogin die Sprache wieder erhielt und Bianka's Hand ergriff.

Liebe Bianka, redete er sie bittend an, seid mir noch günstiger, verschafft mir die Gelegenheit, Donna Victoria zu sehen.

Wahrlich, daß vermag ich nicht, erwiederte Bianka verlegen, Donna Victoria lebt gegenwärtig noch in einer Abgeschiedenheit, die mich aller Mittel beraubt, Euren Wunsch zu befriedigen; sie geht sogar nicht einmal zur Kirche, denn der Kaplan ließt die Messe in ihrem Zimmer und die frische Luft genießt sie nur, indem sie sich ein wenig Bewegung macht, in den Stunden, wo Ihr bei Tische sitzt.

Aber, fragte Roland unruhig, ist es vielleicht ein Krankheitszustand, der sie so zu leben nöthigt?

Bianka schüttelte lächelnd den Kopf und öffnete schnell das Zimmer der Herzogin, um weitern Fragen auszubeugen.

Von diesem Augenblicke an blieb die Erinnerung an Victoriens schmelzenden Gesang und ihre geheimnißvolle Zurückgezogenheit in Roland's Seele zurück und durchkreuzte alle andern Gedanken; er starb vor Begierde, die Veranlassung zu diesen seltsamen Verhältnissen zu ergründen, aber obschon sein Diener listig und zum ausforschen der übrigen Diener, mit besondern Talenten begabt war, so wollte sich doch Roland nicht herablassen, ihm seine ungeduldige Pein zu vertrauen, um auf diesem Wege ein Geheimniß zu erfahren, nach dessen Kenntniß er so sehr verlangte.

 


Neuntes Kapitel.

Die Herzogin hatte ein Fest veranstaltet, um die Ankunft des Neffen ihres Gemals zu feiern, wozu der sämmtliche benachbarte Adel eingeladen war. Wärend Roland sich mit dem Ankleiden beschäftigte, um bei dem Feste zu erscheinen, trat der Graf Montfort mislaunig herein; und ohne sich in Hugo, des Dieners, Gegenwart zu mäßigen, beklagte er sich mit Unmuth über Elwiren, die ihm hartnäckig die Bitte verweigere, Victoria an dem Balle Theil nehmen zu lassen. Es sei klar, meinte er bitter, daß die Herzogin sie nur für ihren Neffen aufbewahre, und daß dieser sie alle Tage nach Gefallen sehen könne, wärend sie für ihn wie ein kostbares Kleinod immer sorgfältig verborgen sei.

Anfänglich war Roland gewillet, dem Grafen die Wahrheit zu sagen und ihn zu beruhigen, obgleich er heute eben nicht geneigt war, ihn zu bemitleiden; da er aber bemerkte, daß seine Gelassenheit den Unmuth des Grafen nicht mindern konnte, so antwortete er ihm endlich ziemlich trocken: daß wenn es wahr sei, daß seine Tante dergleichen günstige Absichten für ihn hege, obschon sie ihm solche noch nicht mit getheilt habe, er keinen Grund sähe, sie zurückzuweisen, um so weniger, da durch Victoriens standhafte Weigerung, ihm, dem Grafen von Montfort, die Hoffnung sie zu besitzen, wohl vergangen sein müsse. Er fügte hinzu, daß er eine lebhafte Ungeduld verspüre, die schöne Comtesse zu sehen und auf Mittel sinnen werde, seinen Zweck zu erreichen.

Montfort, unruhiger als vorher, verließ ihn erbittert und entschloß sich, bei Elwiren List und Schmeicheleien anzuwenden und alle möglichen Wege einzuschlagen, um sie zu bewegen, ihr Versprechen zu halten und sich seiner Neigung zu Victorien günstiger zu beweisen.

Hugo, der dem Gespräche aufmerksam zugehört hatte, zweifelte nicht, daß er seinem Herrn, den er sehr liebte, einen wichtigen Dienstleisten würde, sobald er ihm Gelegenheit verschaffte, Donna Victoria zu sehen; und da er bei dem weiblichen Personal, welches sie und die Herzogin bediente, wohl gelitten war, so entdeckte er bald, daß Donna Victoria den Wunsch geäußert habe, die bei der Abendtafel sitzende Gesellschaft durch ein Fenster im Garten zu beschauen, und zu diesem Endzweck mit ihrer Erzieherin im Abend-Dunkel sich in den Park begeben wollte. Er eilte dem Grafen Urbino, der sich, ermüdet vom Tanze und dem Getöse, in,sein entferntes Kabinet zurückgezogen hatte, und an seine entfernten Freunde im Pyrenäen-Schlosse dachte, diese Bothschaft zu hinterbringen, und setzte hinzu, daß er ihm das Fenster, welches von ihnen gewählt sei, zeigen wolle, und er sich dicht daneben im Bosket verbergen und Victorien wärend der Dauer ihres Verbleibens am Fenster, deutlich und ohne selbst entdeckt zu werden, sehen könne.

Roland hüthete sich, eine so günstige Gelegenheit ungenützt entschlüpfen zu lassen; so bald die Tanzmusik verstummte und man sich in den Eßsaal begab, schlich er sich in den Garten, ließ sich von Hugo in das Gebüsch führen, das glückliche Fenster zeigen und harrt dort kaum einige Augenblicke, so erschien eine Gestalt, die seinem Späherblicke, alles was die Natur Schönes und Vollkommnes erschuf, darbot.

In Begleitung der Signora Farinelli schlüpfte Victoria durch den Park und näherte sich dem bezeichneten Fenster. Des Saales blendende Erleuchtung beschien ihr reizendes Gesicht und Roland sah auf ihm die Blüthe und den holden Glanz der Jugend neben bezaubernder Schönheit strahlen. Kaum hatten ihre Augen den Kreis überblickt, so bat sie die Signora Farinelli mit leiser Stimme, sich etwas vor sie zu stellen, aus Besorgniß daß man sie entdecken könne. Roland, der sich ihnen so viel als möglich genähert hatte, verlohr kein Wort von dem Gespräche und dankte seinem günstigen Gestirn, dafür.

Theure Freundin, begann Victoria, betrachtet meinen Onkel, ich bitte Euch. Sehet mit wie viel Sanftmuth und Liebreiz er zu jener schönen Dame neben ihm redet. Ach, vielleicht sinnt er in diesem Augenblicke darauf, ihre Tugend zu untergraben, so wie er meine Unschuld verderben wollte. Wer wird es glauben, daß dieses reizende Gesicht solch ein falsches, treuloses Herz verbirgt.

Liebe Victoria, antwortete Ursula, indem sie ihrer Pflegetochter Hand an ihre Lippen drückte, laßt uns diesen lasterhaften Mann vergessen und ihn der Verachtung preisgeben, die er verdient.

Ach, sprach Victoria seufzend, kann ich ihn sehen, ohne daran zu denken, daß ich von früher Kindheit an gewöhnt war, ihn als einen Vater zu betrachten, und er jetzt nur vor meinen Augen in der Gestalt eines grausamen Feindes erscheint, der mich unglücklich machen wollte.

In diesem Augenblicke rollte eine Thräne über ihre Wangen herab und diese Thräne fiel lastend auf des Jünglings Herz. Farinelli umarmte sie zärtlich und schien dem lauschenden Roland das einzige beneidenswerthe Wesen auf der Erde. Nach einer Weile zog lautes Lachen Victoriens Aufmerksamkeit auf die andere Seite des Saals. Seht doch, sprach Victoria, dort sind die Geschwister Harkourt, Glückliche Mädchen, nichts trübt ihr Vergnügen! Ohne den Grafen von Vizenza, würde ich mich auch dort mit ihnen befinden und scherzen wie sie. -- --

Und doch, fiel Ursula ein, muß man zu entbehren wissen, sobald die Ehre und die Tugend uns streng gebieten, solche Orte und solche Gesellschaften zu meiden.

Victoria erröthete und drückte die Hand ihrer Erzieherin. Ihr habt recht, verzeiht dieser Anwandlung von Mismuth der Lebhaftigkeit meines Alters; die Munterkeit meiner jungen Gespielinnen ließ mich auf einen Augenblick einige Sehnsucht empfinden, sie zu theilen, es ist vorüber, glaubt mir, theure Mutter, und Ihr wißt, daß ich aufrichtig bin; alle diese Vergnügungen gleichen dem Werthe Eurer Gesellschaft nicht, und für nichts in der Welt mögte ich sie um den Preis erkaufen, nur einen Augenblick einer Freundin, einer Führerin, wie Ihr seid, beraubt zu sein.

Ursula antwortete mit einem Lächeln und Victoria, der dieses Zeichen von Beifall genügte, fuhr in ihren Bemerkungen fort. Jetzt näherte sich ihnen eine junge Dirne, die in Victoriens Diensten stand und mit ihr aufgewachsen war.

Rosalia, redete Victoria diese an, kannst Du mir,wol den Grafen Urbino in dieser Menge von jungen Herren bezeichnen?

Ich suche ihn, antwortete Rosalie, seit ich hier bin, habe sie alle genau gemustert und bemerke ihn nirgend.

Komm näher und betrachte sie alle nochmals.

Wahrhaftig, ich kann ihn nicht finden

Du bist vielleicht zu klein; beschreib ihn mir, ich wette, daß ich ihn sogleich entdecken werde.

Wenn es nur darauf ankommt, das soll bald geschehen sein, denn ich kann ihn mit einem Worte beschreiben, wenn ich Euch sage, Signora, daß er alle übrigen jungen Herrn an Schönheit des Gesichts und Anstand des Benehmens eben so sehr übertrifft, wie Donna Victoria alle -- --

Schweig, Schmeichlerin! sprach Victoria und bedeckte Rosaliens Mund mit ihrer Hand. Ich weiß nicht, ob ich nach diesem Gemälde nicht argwöhnen darf, daß Du von dem Grafen Urbino zu sehr eingenommen bist. Indeß will ich versuchen, ob ich von diesem schmeichelhaften Bilde geleitet ihn auffinden kann.

Nun übersah Victoria nach und nach alle Jünglinge, die den Ball verherrlichten, und verweilte bei denen, die sich durch ihren Wuchs oder ihre Gesichtsbildung auszeichneten, bemerkte aber bald irgend eine mangelhafte oder lächerliche Seite an ihnen, die ihr nicht gestattete zu glauben, daß einer von ihnen der unvergleichliche Urbino sein könnte. Victoriens geistreiche Scherze machten die Musterung sehr unterhaltend, so daß die drei versteckten Zuschauerinnen oft kaum lautes Lachen unterdrücken konnten. Endlich sprach Victoria: Ich thue Verzicht darauf und muß beinahe glauben, daß Rosaliens schöner Adonis jetzt zu den Füßen einer Göttin schmachtet, die ihn an ihren Triumphwagen zu fesseln gewußt hat. Es thut mir Deinetwegen leid, Rosalie, aber sicher ist er verliebt, weil er die Menschen flieht. Ich muß wirklich auf ihn ein wenig zürnen, sich meiner Neugierde entzogen zu haben; denn ich gestehe, daß ich besonders hieher gegangen bin, diesen interessanten und so allgemein gelobten Jüngling zu sehen, dessen Loos eben so unglücklich sein muß, als das Meinige, da es auch ihn der Abhängigkeit meines Onkels unterwirft.

Bei diesen Worten fühlte Roland eine seltsame innerliche Regung; sein Herz schien ihm entfliehen und sich mit Victoriens Herzen vereinigen zu wollen; er athmete kaum, seine Knie bebten und er zitterte, daß der Zustand seiner Seele sich seinem Körper mittheilen und ihn verrathen mögte.

Nachdem Victoria noch eine Weile umhergesehen hatte, fuhr sie fort: Es ist gewiß, wir werden ihn nicht sehen, ich habe mir indeß hier wenigstens die Ueberzeugung erworben, daß der Graf von Montfort nicht an den Folgen meiner Grausamkeit gegen ihn sterben werde. Seht doch, wie er mit jenen Damen scherzt und lacht, wie er um sie beschäftigt ist; ich vermuthete gleich, daß er nicht untröstlich sein würde. Bewundert Ihr nicht, wie viel Mühe er sich giebt, sich bemerklich zu machen? Fort, ich will ihn nicht länger sehen, fügte sie spöttisch lächelnd hinzu, sein Bild könnte gefährliche Folgen für mich haben; überdem fangt es an kühl zu werden und der Abendthau mögte Eurer Gesundheit, schaden, meine gute Farinelli; meine Augen sind ohnehin ermüdet, kommt.

Mit diesen Worten umschlang ihr Arm ihre Erzieherin und so führte Victoria ihre Freundin, von Rosalien begleitet, durch den Park.

Lange folgten ihr Roland's Augen, bis sie hinter dem Gebüsche verschwand, dann rief er seufzend aus: Nein, Du täuschest Dich nicht, anbetungswürdige Victoria, der Jüngling, den Du Graf Urbino nennst, ist wirklich der verliebteste aller Sterblichen und wird der Glücklichste sein, wenn er einst Deine Ungeduld, ihn kennen zu lernen, rechtfertigen und Deiner Erwartung genügen kann.

Rasch verließ er das Bosket und kehrte in den Saal zu den Gruppen der Fröhlichen zurück, ohne ihren Frohsinn zu theilen. Victoriens Bild, auf immer in seiner Seele eingegraben, verzehrte alle seine Geistesfähigkeiten; nur bei dem Anblicke des Grafen von Vizenza störte eine Empfindung von Abscheu und Verachtung ihn in seinen Träumereien. Was er vernommen hatte, unterstützte seine eignen Beobachtungen; derjenige, den er seinen Verhältnissen nach zu achten für Pflicht hielt, war jetzt in seinen Augen nur der verworfenste, der lasterhafteste der Menschen, seine Seele empörte sich bei dem Gedanken, ihm Verpflichtungen schuldig, und er schauderte, ihm so nahe verwandt zu sein.

Victorien einmal gesehn zu haben und sie, mit der er in einem Hause wohnte, nicht wiedersehn sollen, war für den armen Roland ein unmögliches Opfer. Sein treuer Hugo, den das erste Gelingen erfreute, versprach sich noch günstigere Erfolge seiner Schlauheit. Roland benützte seines Dieners heimliche Veranstaltungen, sah Victorien öfters, gab sich jedoch nie zu erkennen, weil er wußte, daß nach seines Onkels und der Herzogin Willen, sie ihn nicht kennen sollte; inzwischen fügte es sich, daß einige von der Dienerschaft endlich Hugo's geheime Kunstgriffe und seines Herrn öftere Verkleidungen entdeckten und also des Grafen Urbino Liebe zu der schönen Victoria bald der gewöhnliche Gegenstand ihrer Unterhaltungen wurde; von hier aus gelangte natürlich nach einiger Zeit das Gerücht stufenweise bis zu den Ohren Polidors und bestätigte den Argwohn seines besorgten Vorgefühls, das ihm damals die schleunige Entfernung des gefährlichen Neffen angerathen hatte.

Diese Entdeckung trieb ihn an, die Ausführung seines schändlichen Vorhabens zu beeilen. -- Seit einiger Zeit schon waren alle Maasregeln mit Garzias verabredet, und es blieb nur noch der Zeitpunkt der Entwicklung des schwarzen Complotts zu bestimmen übrig. Roland's Anwesenheit band ihm die Hände; er wagte es nicht, mit Gewalt zu Werke zu gehen; da er nun sich seines Uebergewichts bei Elwiren bewußt war, so berief er sie an einen entlegenen Ort, wo er ihr ohne Umschweife seinen Plan enthüllte und ihr die Rolle, welche sie bei diesem schrecklichen Drama spielen sollte, vorschrieb. Ihrer eigenen Verworfenheit ungeachtet, fühlte Elwire entweder wirklich einigen Abscheu, die Tochter ihres Bruders dem Laster zu überliefern; oder vielleicht sah sie mit Neid, daß dieser Plan dahin abzielte, Vizenza den völligen ungestörten Besitz der Güter der Familie Ariosto zuzuwenden, wärend sie selbst mit dem Wahn umging, diese sich einst zuzueignen, um sie mit dem Grafen Montfort theilen zu können; genug, sie weigerte sich anfangs, dem Bündnisse beizutreten, aber die Furcht, ihre Verbrechen verrathen zu sehen und Vizenza's gräßliche Drohungsworte, zwangen sie bald zum scheinbaren Gehorsam, und indem sie dem Undankbaren heimliche Rache und seiner Herrschaft eine baldige blutige Endschaft schwur, unterstützte sie gezwungenerweise, wie aus dem ersten Theile dieser Geschichte ersehen worden, den grausamen Anschlag ihres ruchlosen Verführers.

Um allen Verdacht zu vermeiden, ließ man Octavia und Hero mit der jungen Gräfin von Modena abreisen, und bestimmte drei treue Diener zu ihrer Begleitung, die als erste Opfer unter den mörderischen Waffen der Banditen fielen. -- In den Waldungen, am Fuße der Pyrenäen, wohin Fabrize, das vornehmste Werkzeug des Grafen von Vizenza, den Reisewagen zu führen Befehl hatte, hielt sich Garzias mit einem berittenen Räubertrupp verborgen, um sich des ausersehenen, ihm zugesendeten Opfers zu bemächtigen. -- Triumphirend führte er seine Gefangene ins Raubschloß ein, wo man die unglückliche Victoria mit tausend Schrecknissen ängstigte, und sich Don Manuel, um sie über die Absicht der Entführung noch mehr zu täuschen, stellte, als habe sie ihm die heftigste Neigung und den festen Entschluß eingeflößt, sich mit ihr förmlich zu verbinden.

 


Zehntes Kapitel.

Der alte, beinahe achtzigjährige Neger Gago, der, wie früher bemerkt worden, den unglücklichen Grafen Elfridi ausschließlich bediente, befand sich seit einiger Zeit in einem so hinfälligen Körper und Geisteszustande, daß er sich einer zweiten Kindheit zu nähern schien. Seine Sinne waren gänzlich abgestumpft, er hatte das Gedächtniß dergestalt verlohren, daß er oft die Personen nicht wieder erkannte oder verwechselte und die Gegenwart verunstaltete; dagegen war die Vergangenheit seinem Gedächtnisse treu geblieben, er erinnerte sich der frühern Begebenheiten mit einer bewunderungswürdigen Genauigkeit und seine gewöhnliche Verschlossenheit hatte sich seltamerweise in eine solche Plauderwuth verwandelt, daß es oft Mühe kostete, ihm Stillschweigen zu gebieten. Sein Zustand war nur Elfridi und Franzisko bekannt, weil er diese selten verließ, doch führte ihn sein Unglücksstern eines Tages ins Innere des Schlosses, wo er Don Manuel begegnete. Er erkannte ihn nicht, aber von seiner unseligen Neigung angetrieben, hielt er ihn an, um mit ihm zu plaudern; und unglücklicherweise war sein verdrehtes Gehirn in diesem Augenblicke grade mit Don Manuel selbst beschäftigt. Nach einer kräftigen Verwünschung aller der von diesem begangenen Verbrechen, fügte der schwarze Schwätzer hinzu, daß er Don Manuels Absichten in Ansehung Mathildens kenne, daß er jedoch entschlossen sei, alles Franzisko zu entdecken, daß er bis jetzt zwar noch nachsichtsvoll gezögert habe, da aber das Unwesen zu sehr überhand nehme, sich gezwungen sehe, den gottlosen Räuberchef der Strafenden Gerechtigkeit auszuliefern. -- Noch hatte der Unglückliche nicht geendet, als schon Don Manuel in die heftigste Wuth gerieth, und da er die Folgen dieser Drohung, so weit solche seine Absichten mit Mathilden betrafen, fürchtete, ein Pistol aus seinem Gürtel hervorriß, womit er den Schädel des alten Negers zerschmetterte.

Therese war grade beschäftigt, das vergossene und umhergespritzte Blut wegzuwaschen, als man Victorien mit ihrer Begleitung in die Küche führte; bei diesem Anblicke erstarrte sie vor Entsetzen und fühlte eine Angst, welche die Reden ihrer Umgebung zu mindern nicht geeignet waren. Im selbigen Augenblicke schlich Franzisko in einem geheimen Gange, der an die Küche gränzte, vorüber, bemerkte durch eine kleine in der Wand befindliche, ihm allein nur bekannte Oeffnung, die Schönheit und Jugend der unglücklichen Geraubten, fühlte Mitleid mit ihrem Schicksal, und als er hörte, daß Bernini sie mit dem Vertrauen auf Gottes Vorsehung zu trösten suchte, so drückte er seinen Mund auf die Oeffnung und fügte, um diese heilsame Tröstung zu bekräftigen, die Worte hinzu:

»Sie allein ist die Beschützerin der Unschuld in dieser höllischen Wohnung!« Siehe Seite 69 des ersten Bandes.

Dieser geheimnißvolle Zuruf brachte die erwartete Wirkung hervor, Victoria und ihre beiden Gefährtinnen fühlten sich beruhigter, als kurz nachher auch das bachantische Toben der Räuber in dem anstoßenden Zimmer schwieg.

Kaum sah Don Manuel Victorien, so bereuete er es, eine Rolle zur Ausführung der Schandthat Vizenza's mit übernommen zu haben, denn der Anblick der Schönheit und verfolgten Unschuld übte fast immer noch Gewalt über sein sonst unerbittliches und gefühlloses Herz aus. Es that ihm leid, dazu beigetragen zu haben, ein so liebenswürdiges Geschöpf dem verworfenen Grafen von Vizenza in die Hände zu liefern; und er gelobte innerlich, Victorien zum wenigsten gegen diejenigen, mit denen sie im Schlosse zu leben gezwungen war, zu beschützen. Sie erinnerte ihn an die unglückliche Viola in dem Blüthenalter, wo er sie zum erstenmale sah; dieser Rückblick ergriff ihn mit so heftiger Rührung, daß er, als Thränen in ihrem Auge glänzten, im Begriffe stand, sie an seine Brust zu drücken; da begegnete er Garzias düsterm, wilden Blicke, der ihn aufmerksam beobachtete, und unterdrückte schnell die Aufwallung seines zum Mitleid angeregten Gemüths. Indem er aber fortfuhr, die übernommene Rolle des leidenschaftlichen Liebhabers zu spielen, wußte er die Macht seiner Gewohnheiten im Zaume zu halten; und nie entfuhr dem Räuberhauptmann ein Wort, das die Unschuld und das Zartgefühl seiner schönen Gefangenen hätte beleidigen, können. Seine neue glühende Liebe für Mathilden trug wahrscheinlich viel zu diesem sittsamen und ehrerbietigen Betragen bei; denn hätte ihn damals diese Leidenschaft nicht beherrscht, so mögte es sehr zweifelhaft bleiben, ob die Eigenschaft als zukünftige Gattin des Grafen von Vizenza hinreichend gewesen wäre, Victorien vor seinen Verfolgungen in Schutz zu nehmen.

Wärend die Räuber mit ihren weibliche, Gästen bei Tische saßen, fühlte Franzisko, den die liebenswürdige Gefangene und der Nachklang ihrer Worte immer noch beschäftigte, eine lebhafte Neugierde, mit Bestimmtheit zu erfahren, wer sie sei und was für ein Schicksal die Verbündeten ihr vorbehalten hatten; und um nun seinen Zweck geschwinder und sicherer zu erreichen, beschloß er, sie zu verscheuchen; daß die Anführer seiner Neigung, dem Unglücklichen zu helfen, mistraueten, daß sie ihre strafbaren Unternehmungen so viel als möglich vor ihm verborgen hielten, aus Furcht, daß er ihre Opfer ihnen entreißen würde, war ihm nicht unbekannt; indeß belächelte er ihren Argwohn und ihre Heimlichkeiten, weil ihn Elfridi in den Stand gesetzt hatte, auf unsichtbaren Wegen jedes Gespräch im Schlosse zu belauschen.

Franzisko bediente sich also zu dem vorerwähnten Zwecke der Lermtrommel, die er auf eine so gräßliche Art ertönen ließ, daß die ganze Räuberschaar in einem Augenblicke verschwand, wähnend, die gesammte bewaffnete Macht der heiligen Inquisition sei an den Pforten des Schlosses Siehe Seite 89 des ersten Bandes.. Die Räuber hatten die Veranstaltung getroffen, bei jedesmaligem Allarmzeichen nach der Meeresseite hin zu entfliehn, sich dort in den Höhlen zu verbergen oder auf bereit liegenden Fahrzeugen zu erwarten, bis sie von der Größe der Gefahr durch in der Nähe des Schlosses heimlich versteckten Auflaurer, oder daß solche vorüber sei, benachrichtigt wurden; in dergleichen mislichen Fallen nahmen sie so viel Geld und Kostbarkeiten, als sie auf verborgenen Felsenwegen fortbringen konnten, wie auch die Gefangenen, deren Befreiung sie verhindern wollten, mit sich.

Daß den drei neu angekommenen weiblichen Gefangenen angewiesene Schlafzimmer, lag von dem gewöhnlichen Aufenthalte der Räuber weit entfernt und befand sich in dem Flügel des Schlosses, wo Elfridi zuweilen umherschlich. Diego und Juan führten Victorien und ihre Begleiterinnen in dem Augenblicke dahin, als Elfridi von dem Getöse der Lermtrommel aufgeschreckt, seine verborgenen Schriften zu sich nehmen, und im Falle sich ein Mittel zur Flucht darbieten könnte, damit entweichen wollte. Victoriens Schlafzimmer kürzte den Weg nach Violens Grabmal bedeutend ab, dieserhalb schritt er darauf zu, bemerkte aber zu gleicher Zeit hinter sich auf der großen Treppe Juan und seine Begleitung, die er in seiner Bestürzung für die Beamten der heiligen Hermandad hielt, die schon ins Schloß eingedrungen zu sein schienen. -- Mit ängstlicher Hast schlüpfte Elfridi in das Gemach und verriegelte von Innen die Thür, aber der Luftzug erlöschte das Licht in einer Hornlaterne, die er in der Hand trug, und da er dessen entbehren zu können glaubte, um einen heimlichen Ausgang zu finden, so tappte er an den Wänden umher, bis ihn die Finsterniß und seine Unruhe, ohne daß er gewahren konnte, zu eben derselben Thür zurückführten und ihm, als er den Riegel zurückschob, Victoria, die sich halb ohnmächtig daran lehnte, entgegen sank. In diesem Augenblicke erinnerte sich der Erschrockene einer verborgenen Fallthür, die er schnell zu seiner Rettung benutzte und hinter sich fest verschloß, im Hinabsteigen aber mit dem noch glühend heißen Horn der Laterne am Arme der bereits zur Erde gesunkenen Victoria hinabglitt und ihr so einen brennenden Schmerz verursachte, sie auch überdem noch mit dem Blute, das aus seinen Wunden, der Folge einer regelmäßig beobachteten übertriebenen Geißelung floß, befleckte. -- In dieser Begebenheit lag die für Diego unerklärbare Erscheinung, als er die Brandstelle an Violens Arm und Blutflecken an ihrem Gewande verspürte, da sich doch keine Verwundung an ihr finden ließ. Siehe Seite 98 des ersten Bandes.

 

Seit Lorenzo seinen jungen Freund, dessen süße Gesellschaft ihn einigermaßen mit dem Leben wieder aussöhnen konnte, verlohren hatte, war aller Trost von ihm gewichen. Getrennt von seinem theuren Roland, konnte keine Beschäftigung seinen Gram betäuben, und obgleich Franzisko ihm manches mitgetheilt hatte, was seine Besorgniß zertheilen mußte, so konnte doch nichts in seinem Herzen die leere Stelle ausfüllen, die des Jünglings Abwesenheit darin zurückgelassen hatte; daher frischten sich denn in seiner Einsamkeit die Leiden seines vergangenen Lebens in seinem Gedächtnisse mit schmerzlicher Erinnerung wieder auf. -- Don Manuel, der wirklich einiges Mitleid für den unbekannten Gefangenen hegte, lud ihn ein, im Versammlungssaale, so oft es ihm beliebte, Zerstreuung zu suchen; aber Lorenzo konnte sich in solcher Gesellschaft nicht gefallen, daher er denn von dieser Erlaubniß nur zuweilen und bloß deshalb Gebrauch machte, um einen Mann, von dem er vielleicht lebenslänglich abhing, nicht zu erbittern.

Die gute Therese, deren mitleidiges Herz den Unglücklichen immer entgegen flog, war dem Sennor Don Sebastian mit besonderer Hochachtung zugethan; sobald daher die schreckliche Lermtrommel ihre Wächter verjagt hatte, eilte sie zu dem Greise, ihn von der Ankunft der neuen weiblichen Gefangenen zu benachrichtigen. Das Gemälde, was die Alte von Victorien entwarf, reizte Sebastian, sie zu sehen; die Abwesenheit der Räuber begünstigte seinen Wunsch, und er erschien am andern Morgen beim Frühstück. Im voraus geneigt, die Unglückliche zu beklagen, vermehrte sich seine Theilnahme, als er ihre Schönheit, Sanftmuth und Unschuld kennen lernte; sobald er sie aber sprechen hörte, erinnerte ihn der Ton ihrer Stimme so lebhaft an die unglückliche Viola, daß er seine Rührung nicht mäßigen konnte und genöthigt war, mit hervorbrechenden Thränen das Zimmer zu verlassen. Jedesmal, daß er Victorien nachher wiedersah, ließ ihn dieses Andenken und die ihm von ihr eingeflößte besondere Theilnahme, einen Reiz in ihrer Gesellschaft empfinden, dem der Greis nicht widerstehen konnte. Nachdem aber bald darauf die Gefangene, im völligen Vertrauen auf seine Tugenden, ihm ihren Namen und ihr Unglück entdeckte, da konnte er nur mit einem Riesenkampfe den Drang bezähmen, seinen Schwur zu brechen und ihr die nahen Bande der Verwandschaft gleichfalls zu entdecken.

Von diesem Augenblicke an, betrachtete er sie als seine eigne Tochter, und wachte über sie mit väterlicher Sorgsamkeit. Für die Sicherheit des theuren Kindes zitternd, gehorchte er jedesmal Franzisko's Glocke, die ihn zur Trennung von ihr zwang; und hätten nicht kräftige Bewegungsgründe ihn vermogt, sich in der Gunst dieses Mönches zu erhalten, so würde er sich nicht haben entschließen können, sie einen Augenblick zu verlassen.

 


Eilftes Kapitel.

Polidor hatte zur Entführung Victoriens einen Tag gewählt, wo er wußte, daß Roland auf der Jagd sein würde; aber der wachsame Hugo, von dem Hergange der Sachen schnell genug unterrichtet, flog seinem Herrn sogleich mit der Nachricht davon entgegen. Roland gehorchte nur der Heftigkeit seiner Liebe, sandte den Diener auf Kundschaft aus, eilte unverzüglich zur Herzogin; und ohne zu bedenken, was er that, warf er sich ihr zu Füßen und beschwor sie, ihm Victorien wieder zu geben. Ueber diese unerwartete Bitte, die das Geheimniß seines Herzens verrieth, erstaunte die Herzogin, und ihre mütterliche Zärtlichkeit zu dem schönen Jünglinge hätte sie fast verleitet, ihm den schändlichen Anschlag zu entdecken; aber die Furcht vor Polidors Drohungen und der schrecklichen Strafe, die ihrer Unbedachtsamkeit folgen mußte, war doch stärker, als die Liebe zu dem vermeinten Sohne. -- Sie stammelte zur Rechtfertigung dieser unerwarteten Abreise einige nichts bedeutende Worte, konnte indeß Roland's Unruhe nicht beschwichtigen. Was er am Abende des Balles gehört hatte, kehrte in sein Gedächtniß zurück; er verließ Elwiren unbefriedigt, begab sich sofort zum Grafen von Vizenza und forderte von diesem eine Erklärung; ihr Wortwechsel war kurz, aber heftig. Polidor weigerte sich mit Stolz, ihm über seine Handlungsweise Rechenschaft abzulegen, verwieß ihn zur Ruhe und entfernte sich, ohne den stürmischen Jüngling weiter anzuhören. In Verzweiflung, von den schrecklichsten Ahnungen bestürmt, warf sich Roland auf's Pferd, die Spur der Entführten aufzusuchen, als er dem treuen und schlauen Hugo begegnete, den der Zufall und seine List in den Stand gesetzt hatten, seinem ungestümen Herrn eine wichtige Entdeckung mitzutheilen.

Fabrize, der vertraute Diener des Grafen von Vizenza und von diesem aus Gründen zum Anführer der Eskorte, die Victoriens Reisewagen begleitete, erwählt, war, seines Herrn letzte heimliche Aufträge abzuwarten, zurückgeblieben, nachdem er zuvor die Verabredung getroffen hatte, die Reisenden auf der ersten Poststation wieder einzuholen. Unerschrocken und entschlossen, seinem Herrn, dessen Verschwendung ihm goldene Früchte trug, mit ganzem Herzen zugethan, besaß Fabrize seiner übrigen Laster unbeschadet, eine Treue und Verschwiegenheit, die ohne seinen Hang zum Trinken, auf die schwerste Probe hätte gestellt werden können. Nun aber war dieser Hang, dem er nicht Herr werden konnte, seine einzige angriffsfähige Seite; weil er auch bei ihm, so verschlossen Fabrize übrigens im nüchternen Zustande von Natur war, die gewöhnliche Wirkung nicht verfehlte, und ihn der Genuß geistiger Getränke mit einer Redseeligkeit beschenkte, die den Trunkenen zu gefährlichen Thorheiten verleitete. Hugo, obschon er von Fabrizens lasterhaften Neigungen keine besaß, glich ihm doch im Punkte der Kühnheit und Treue, und war sein Freund geworden, weil er ihm einst auf einer Wolfsjagd das Leben gerettet hatte. Als er ihn nun, ohne selbst bemerkt zu werden, zu Pferde steigen und reisefertig dem seit einer Stunde fortrollten So der Wortlaut der Vorlage. Sollte das schon grammatisch sinnfreie »fortrollten« ein Druckfehler für »fortrollenden« sein, dann ergäbe sich ein Widerspruch zu dem »reisefertig« zu Pferde steigenden Fabrize, der dann nicht seit einer Stunde einem Wagen gefolgt sein kann. Widersprüche wie diese sind Folge jener bereits in einer früheren Anmerkung angesprochenen Methode des ›Übersetzers‹: »frei nach dem Englischen«, siehe Titelseite. [ Anm.d.Hrsg.] Wagen folgen sah, eilte er auf einem Umwege, der an die Heerstraße stieß, ihm entgegen und erzählte auf Fabrize's Fragen, daß er in Angelegenheit einer in Kurzem anzustellenden Jagd von dem Grafen Urbino verschickt gewesen sei. Fabrize seiner Seits vertraute Hugo, wie er auf einige Zeit Frankreich verlassen müsse; und da sie sich zufällig in der Nähe einer Schenke befanden, so nahm er nach einigem Weigern des Andern Vorschlag, zum Abschiede noch eine Flasche Wein zu trinken, an. Nachdem diese geleert war, schien Hugo im Begriffe, sich von seinem Freunde zu trennen; er kannte indeß Jenen zu gut, um fürchten zu dürfen, daß dessen kaum gekitzelter Gaumen sich damit begnügen würde; es folgten daher der ersten Flasche mehrere andere, und mit jeder neuen fühlte Fabrize das Gewicht des ihm anvertrauten Geheimnisses drückender und seine Neigung zum Plaudern stärker. Der schlaue Hugo dagegen, vorsichtig im Trinken, hüthete sich nach der Bestimmung und dem Zwecke seiner Reise zu fragen, aus Furcht so nahe am Ziele, Mistrauen zu erwecken und erwartete, daß sich das Siegel der Verschwiegenheit von selbst und dem Dunste des Weins lösen werde. Und so geschah es. Fabrize fing, über die angebliche Reise, nach dem Kloster St. Yago zu scherzen an und meinte, daß den reisenden Damen, die er begleiten solle, die Vorschriften des Klosters eben nicht streng scheinen mögten, sobald sie statt der einfältigen Betschwestern, die nur vom Rosenkranze und Fasten sprechen könnten, lustige Kumpane finden würden, deren liebste Beschäftigung Trinken und Lachen sei. -- Hugo war vorsichtig genug, keine Verwunderung über diese Mittheilung seines Freundes zu äußern, auch der Donna Victoria mit keinem Worte zu gedenken; da indeß Hero, seine Schwester, auch mitgereiset war, so fragte er Fabrize anscheinend gleichgültig, ob vielleicht etwas für die furchtsame Hero zu besorgen sei?

Nicht das Geringste! antwortete Jener. Die schärfsten Befehle sind gegeben, die Frauenzimmer mit der größten Achtung zu behandeln; sie werden mit einem bischen Angst davon kommen, denn sobald wir die Pyrenäen passirt haben, wird ein kleines Handgemenge statt finden, wobei diejenigen, welche sich etwa einfallen lassen, Widerstand zu leisten, ihre Zeit übel anwenden mögten.

Nach diesen Worten zeigte er seinem Freunde unter seinem Mantel einen Gürtel, in welchem mehrere Pistolen steckten; und nachdem er ihm in der Trunkenheit noch einiges in Beziehung auf das Ziel der Reise entdeckt hatte, so drückte er ihm brüderlich die Hand, ließ sich von ihm auf's Pferd helfen und trabte mit dem Versprechen, bald zurückzukehren, davon; der listige Hugo aber eilte, seinem trostlosen Gebieter die ausgespähete Kunde treulich zu hinterbringen.

Roland schauderte vor Entsetzen bei dieser Entdeckung, und bedurfte keines Winks weiter, die Größe der Gefahr, in die Victoria gestürzt werden sollte, beurtheilen zu können. Er reißte in Begleitung des treuen und verschmitzten Hugo sogleich ab, erreichte in wenigen Tagen Roussillon; und wärend Polidor und Elwire im Wahne standen, daß ihn der Unmuth und sein Wortwechsel mit dem Grafen erbittert und zu dem Entschlusse gereizt habe, eine Aufnahme im französischen Heere auch ohne dessen Zuthun zu suchen, folgte der Jüngling in rastloser Eile der entführten Geliebten. Seinem gegebenem Worte gegen Don Manuel getreu ließ er seinen Diener bis auf weitere Nachricht in Roussillon zurück, nahm einen sichern Führer durch die Pyrenäen und erreichte Gerona am Abende, einige Tage nach Victoriens Einführung im Raubschlosse.

Ohne Aufenthalt ließ er sich das Dominikanerkloster zeigen, zu welchem Franzisko gehörte, und wo die an diesen gerichteten Briefe abgegeben wurden, erbat sich von dem Pförtner Papier und Feder in der Absicht, an Franzisko zu schreiben, und hatte kaum den Brief angefangen, als er zufällig dessen Stimme hörte und ihn im Begriff, das Kloster zu verlassen, neben einem andern Mönche, mit dem er sich unterredete, erkannte. Roland dankte dem Himmel für dieses unerwartete und glückliche Zusammentreffen; doch hielt er seine Ungeduld im Zaume, aus Besorgniß dem Heiligkeits-Geruche des Paters nachtheilig zu werden, ließ ihn vor sich her bis zur Stadt hinausgehen und zeigte sich ihm erst, als Beide in der Waldung angelangt waren.

Franzisko gerieth vor Freuden ausser sich, als er plötzlich seinen jungen Zögling neben sich sah und ihn in seine Arme drückte; das Entzücken lähmte sogar seine Glieder, und nur auf Roland gestützt, war es ihm möglich seine Felsenwohnung zu erreichen. -- Hier theilte ihm Roland die Ursache seiner Ankunft und seine Muthmaßungen mit, und Franzisko errieth sogleich, daß die schöne Unbekannte, die vor wenigen Tagen seine Theilnahme erregt hatte, die Geliebte des Jünglings, und der Gegenstand seiner schnellen Reise sein müsse. Sie zu befreien, war keine leichte Unternehmung; theils schien sie Garzias sorgfältig zu bewachen und andern Theils konnte es Don Manuels Sicherheit gefährlich werden, sobald man die, wenn gleich geringe Anzahl derjenigen, welche ohne eingeweiht zu sein, Kenntniß vom Innern des Schlosses und seiner Lage hatten, noch vermehren wollte. Und doch konnte der über den Schmerz seines Pflegesohns tief gerührte Dominikaner, ihm und seinen Liebkosungen nichts verweigern.

Um seine Neigung mit den Vorschriften der Behutsamkeit zu vereinbaren, verlangte er von ihm einige Tage Bedenkzeit, und gelobte dem Ungestümen feierlich, daß er die schöne Unbekannte bis auf weiteres vor jeder Gefahr beschützen, und ihm, insofern eine Möglichkeit zu ihrer Befreiung zu erdenken sei, mit aller seiner Macht unterstützen, jedoch dabei die für Don Manuels persönliche Sicherheit erforderliche Vorsichtsmaasregeln streng beobachten werde. Der kleinste Aufschub schien für Roland ein Jahrhundert; inzwischen sah er wohl ein, daß Franzisko die Wohlfahrt seines eignen Sohns, seiner Liebe zu gefallen, nicht auf's Spiel setzen werde und unterwarf sich daher geduldig seinem Willen. Dagegen bestürmte er den Mönch so lange mit Bitten, bis er ihm versprach, seinen theuren Erzieher herbeizurufen. Franzisko war fest versichert, daß Don Sebastian sein Zutrauen nie misbrauchen und zum Verräther werden würde; in dieser Rücksicht glaubte er, des Jünglings Begehren erfüllen zu können, rief dessen Lehrer verabredetermaßen durch den Klang einer Glocke in seine Felsengrotte und ging ihm entgegen, um ihn auf dieses nicht geträumte Zusammentreffen vorzubereiten.

Lorenzo und Roland empfanden, ohne den Grund sich erklären zu können, die Gefühle eines Vaters und eines Sohnes, die lange von einander getrennt, kaum das Entzücken ertragen können, sich wieder zu sehen. Aber Lorenzo's Freudetaumel wurde um ein Beträchtliches herabgestimmt, als er von seinem Zöglinge die Veranlassung zu dessen Ankunft erfuhr. Er sah mit hellem Blicke alle Schwierigkeiten, die sich seinen Wünschen feindlich entgegen stellen mußten, und zitterte bei dem Gedanken an die Thorheiten, welche die Gewalt der Leidenschaft den Jüngling begehen und wagen lassen würde; doch machte er leider die Erfahrung, daß die Stimme der Vernunft bei dem sonst gelehrigen und nachgiebigen Zöglinge, in diesem Augenblicke nur schwaches Gehör finden sollte. Der erste Schritt war gethan, Franzisko versprach seinen Beistand und Lorenzo, zu nachsichtig für den geliebten Schüler, gelobte über ihn mit eben der Sorgfalt zu wachen, wie über Victorien; das Weitere überließ er der Vorsehung, die so oft durch unerwartete Mittel Retterin der Unschuld wurde, und berathschlagte sich die Nacht hindurch mit seinen Freunden über die Art, wie Roland, ohne entdeckt zu werden, das Innere des Schlosses betreten könnte. Dieser bestand darauf, in Victoriens Nähe zu sein; er wollte sie sehen, hören und ihr nöthigenfalls mit seinem Leben nützlich sein; seine Ruhe war auf immer dahin, wenn man ihn zwingen wollte, durch lange Felsengänge und unterirdische Gewölbe von ihr getrennt zu leben. Jede Verkleidung, jedes Amt war ihm gelegen, sobald sie ihn nur in den Stand setzten, die Auserwählte unausgesetzt bei Tage und bei der Nacht bewachen zu können. Nachdem man lange Zeit hin und hergestritten und eine Menge von Plänen, die der Jugend glühende Fantasie erfunden, belächelt und verworfen hatte, bestand Roland auf einem Einfalle, der ihm köstlich schien. -- Franzisko, der vor seinem Greisenalter in die Geheimnisse der Chemie tief eingedrungen war, wußte eine Flüssigkeit zu bereiten, welche die Haut schwarz färbte, ohne die Anwendung eines geheimen Mittels fast unvertilgbar blieb und dann nur mit der Zeit verging. Hierauf gründete der liebekranke Roland seinen Plan; er bildete sich ein, daß es dem kunstreichen Dominikaner leicht sein würde, die Grundzüge seines Gesichts zu verstellen, ihn in den Neger Hippolit umzu[ge]stalten und so die Ungeweiheten zu tauschen. Beider Wuchs war wenig verschieden; in der Jugend hatte man in ihrer Stimme, ihrem Gange und Benehmen viele Aehnlichkeit zu entdecken geglaubt. Hippolit hatte in einem Alter das Schloß verlassen, wo das Zunehmen der Kräfte und die Ausbildung der Gestalten schnelle, oft bewunderungswürdige Veränderung in den Zügen und dem Ausdruck der Gesichtsformen hervorbringt; der Unterschied, den man daher jetzt zwischen beiden Jünglingen finden konnte, mußte also der Entwickelung des Alters zugeschrieben werden; der alte Gago lebte nicht mehr, und im Schlosse fand sich Niemand, der sein Amt als Aufwärter hätte übernehmen wollen; da nun überdem der Mangel dieses treuen Dieners Franzisko vorzüglich fühlbar wurde, so war es natürlich daß er dessen Stelle durch Hippolit, den das klösterliche Leben bei Franzisko's blindem Bruder und die ihm aufgebürdete geisttödtende Beschäftigung angeblich nicht behagen sollten, zu ersetzen suchte, und weil man nun gewohnt war, die Wünsche des seltsamen Dominikaners als Gesetze zu betrachten, so stand auch nicht das geringste Hinderniß zu befürchten, und alle Bedenklichkeiten schienen ausgeglichen; Don Sebastian und Franzisko wußten zwar einige warnend aufzufinden, aber Roland widerlegte sie meisterlich, und der tollkühne Plan wurde in Ermangelung eines bessern, und im Vertrauen auf des Mönches Einfluß und Macht, einstweilen angenommen.

Sobald Franzisko nur seinen Wunsch äußerte, fand Don Manuel, wie Roland gehofft hatte, sich bereit ihm zu willfahren; und der Himmel, indem er die tugendhafte und wohlthätige Absicht des Geliebten der schönen Victoria begünstigte, erlaubte seinerseits, daß die Augen der übrigen Bewohner des Schlosses betrogen wurden, und ihn jeder wirklich für den aufgewachsenen Neger Hippolit hielt.

 

Der bösartige Garzias war von dem Grafen Polidor eigends dazu beauftragt, Victorien so oft er sie allein fand, zu ängstigen und zu erschrecken, und er unterzog sich diesem boshaften Geschäfte mit so viel Neigung und raffinirter Grausamkeit, daß bald die Nähe dieses Ungeheuers hinreichend war, Victorien Entsetzen einzuflößen.

Bei einer Ueberraschung dieser Art fügte es sich, daß der umherirrende Elfridi, der sich grade in den Gewölben unter der Bibliothek befand, durch der Unglücklichen Hülfsgeschrei angezogen wurde, und sich mit Hülfe eines Rollenwerks bis zur Fallthür, die in dem Fußboden der Bibliothek angebracht war, hinaufwand, wo er den hämischen Banditen, der von dieser Fallthür keine Kenntniß hatte, durch seinen schreckhaften Anblick verjagte Siehe Seite 160 des ersten Bandes.. Fasten, Geißelungen und Seelenpein hatten des elenden Sünders Züge, die ohnehin ein langes Leichentuch halb bedeckte, so sehr entstellt, daß ihn der Nichtswürdige, dessen böses Gewissen des Aberglaubens Zuchtruthe peinigte, beim ersten Blick nicht erkennen konnte. Elfridi's Gestalt schien ihm der blutige Schatten eines seiner Opfer; und mit Zittern stürzte er aus der Bibliothek, in eben dem Augenblicke, wo das vermeinte immer noch geistesschwache Gespenst, von Victoriens Aehnlichkeit mit den bekannten Familienzügen betroffen, seiner Schandthaten eingedenk, diese Erscheinung für eine göttliche Warnung hielt, und die halbgeschlossene Fallthür zur schnellen Flucht benutzte.

Garzias Feigheit rieth ihm, sich dergleichen Erscheinungen nicht wieder auszusetzen, er wagte es sogar nicht weiter, sich dem unbewohnten Theile des Schlosses, wo sein unruhiges Gewissen eine Reihe Schreckgestalten auf ihn laurend glaubte, zu nähern; aber überzeugt, daß Alonzo, ein verbannter Glücksritter, grausam genug sein werde, seine Stelle zu vertreten, überließ er ihm Victorien und verschaffte ihm Gelegenheit, oft mit ihr allein zu sein.

Nun ereignete es sich jedoch, daß Victoriens Schönheit in Alonzo's Herzen eine unreine Flamme entzündete und er nach langem Schwanken dem Entschlusse Gehör gab, sie für seine eigne Rechnung wieder zu entführen. -- Dieser Räuber und Mitvertrauter Don Manuels war listig und voll Verstellung, obschon von Natur frech, sobald sein eigner Vortheil ihm nicht Mäßigung befahl. Don Manuels theilnehmende Gesinnungen für die Gefangene waren ihm nicht entgangen; er fürchtete, daß sie bei ihm Schutz suchen und erhalten mögte; deshalb mußte er mit der Ausführung seines Vorhabens behutsam zu Werke gehen, es vorzüglich seinem argwöhnischen Genossen Garzias verheimlichen und selbst Victorien zu täuschen suchen. In dieser Absicht schien er an Hero Gefallen gefunden zu haben; richtete seine süßen Schmeicheleien nur an diese, beschenkte sie und betrog die einfältige Dirne in keiner andern Absicht, als nur Victorien Sicherheit einzuflößen.

Diese List gelang ihm; weder Don Manuel noch Garzias, vom Scheine hintergangen, ahneten seine Absichten. Alonzo erwartete nur den Zeitpunkt, wo Jene eine Reise nach dem nördlichen Theile der Pyrenäen unternehmen mußten, um dann als alleiniger Gebieter im Schlosse, geheime Aufträge Don Manuels vorzuschützen und Victorien mit Hero aus dem Schlosse zu entführen. Zur nöthigen Vorbereitung dieses Wagstücks bethörte er die leichtgläubige Dirne mit dem Vorgeben, daß seine Liebe zu ihr, ihm einen unwiderstehlichen Abscheu gegen das räuberische Leben eingeflößt und er den Entschluß gefaßt habe, sie und Victorien zu befreien, nach Murzia zu führen, wo seine Schwester Priorin eines Klosters sei, und Victoria so lange in klösterlicher Haft zu lassen, bis sie sich verbindlich machen werde, ihnen einen Theil ihres Vermögens als Schenkung zu verschreiben, und daß er zur Wiedererlangung seiner Besitzungen, dann keinen Anstand nehmen werde, der heiligen Inquisition die Existenz der Räuberhöhle zu verrathen, wodurch ihm zur Belohnung Gnade für seine Theilnahme an den verübten Räubereien, nicht entgehen könne.

Das schwache, einfältige Geschöpf war leicht zu hintergehen. -- Ihrer eingebildeten Liebe für den einnehmenden Alonzo mußten die Pflichten gegen ihre gütige Gebieterin nachstehen; und den bösen Lockungen des Verführers gelang es bald, das Wenige von guten Eigenschaften, das ihr von der Natur zugetheilt war, zu verderben. Wähnend, für ihren eignen Nutzen zu arbeiten, half sie unüberlegt ihrem treulosen Verschwornen an der Ausführung seines Plans, der zwar Victoriens Entführung und eine gezwungene Verbindung mit Alonzo, nicht aber eine vortheilhafte Entwickelung des Verhängnisses für die betrogene Hero bezielte.

Das unterirdische Leichenbegängniß in der Halle, welches Victoria am andern Tage durch eine Spalte in den Steinplatten unter ihren Füßen mit Schaudern betrachtete, war Gago's Beerdigung. Siehe Seite 165 des ersten Bandes. Es war der Sarg des unglücklichen Negers, den die Räuber ins Grab hinabzusenken beschäftigt waren, als plötzlich Kampfgetümmel ihre Arbeit unterbrach und sie darauf nach dem Felsenwalle des Schlosses eilten, um Zuschauer bei dem Gefechte zu sein, das zwischen einer ihrer Brigantinen und einem Fahrzeuge, das der Wind an die Küste geworfen hatte, entstanden war. Der Anblick, der aus dem Schooße der Erde hervorkriechenden bewaffneten, gräßlichen Gestalten, und die Angst ermordet zu werden, trieben Victorien zur Flucht; ohne zu wissen wohin, gerieth sie in einen abgelegenen Theil des Parks, den sich Elfridi bei seiner Abtretung des Schlosses an Don Manuel vorbehalten hatte, und dessen Thür zufällig unverschlossen geblieben war, wärend der Graf durch seine gewöhnliche blutige Bußübung die peinlichen Vorwürfe seines Gewissens zu betäuben suchte. Leicht erräth der Leser, daß seine hagere, schauderhafte Gestalt und die schrecklichen Worte, die er ausstieß, es waren, bei welchen Victorien Grausen und Ohnmacht anwandelten Siehe Seite 169 des ersten Bandes..

Das unbegreifliche Verschwinden der Signora Bernini hatte Garzias veranstaltet, um dadurch einen neuen Zuwachs zu der Angst der armen Gefangenen zu bewirken, und sie der einzigen Gesellschafterin zu berauben, die ihr Schicksal theilte und aus deren Ermahnungen sie einigen Trost für ihr bedrängtes Herz schöpfen konnte. Diego war entfernt worden und Juan hatte das Getränk der armen Gefangenen mit Opium versetzt, um jedes unzeitige Erwachen und daraus erfolgte Entdeckung zu verhindern.

Als am Morgen die stets zum Mitleid geneigte Victoria Hülfe für Hero's Fieberanfall herbeizurufen, ihr Schlafzimmer verließ, war jener Räuber, den sie in Neptuns Saal hineingehen sah, der Gehülfe des Kerkermeisters, der einen im nördlichen Thurme eingekerkerten Gefangenen mit Nahrung versehen wollte, und zu diesem Geschäfte die frühe Morgenstunde wählte, weil nur wenigen von den Bewohnern des Schlosses das Dasein dieser heimlichen Gefängnisse bekannt sein durfte Siehe Seite 182 des ersten Bandes..

Es war von der Vorsehung beschlossen, Victorien an diesem Tage ein Geheimniß zu offenbaren, das ihr einst zur Befreiung der halbverhungerten Mathilde dienen sollte. Roland war grade im Begriffe sich unvermerkt zu Don Sebastian zu begeben und seine neue Besorgniß über Victoriens Schicksal vor ihm auszuschütten, als er die von Angst und Anstrengung erschöpfte Geliebte an der Thür zur Bibliothek ohnmächtig liegend fand Siehe Seite 183 des ersten Bandes..

Das in ihrem Schlafzimmer gefundene Miniatur-Gemälde, war Roland's Portrait, welches Mathilde zu besitzen gewünscht hatte, und Franzisko, um sie für die Trennung von dem Jünglinge zu entschädigen, wärend dessen Aufenthalt in Madrid, malen ließ. Leider blieb die Unglückliche nicht lange im Besitze dieses Kleinods, denn einer der Räuber stahl es ihr einst nebst ihrer Börse wärend des Gebets in ihres Klosters Kirche; und da ihm die Aehnlichkeit auffiel, so gedachte er es Don Manuel gegen eine gewiß reichliche Belohnung zu überlassen, verlohr es jedoch beim beschwerlichen Fortschaffen des Bettes der Signora Bernini, zu welchem Geschäfte ihn Garzias mit beordert hatte, wo es aus seiner Tasche hinter die zerrissene Tapete fiel, und an dieser Stelle von der trostlosen Victoria entdeckt wurde Siehe Seite 186 des ersten Bandes..

Ihre Bewunderung beim Anblicke des schönen Gemäldes, die sie nicht verbergen zu müssen glaubte, als sie es mit begeistertem Lobe dem Sennor Sebastian zeigte, ließen bei diesem einige Hoffnung entstehen, daß sie vielleicht einst die Gefühle des verliebten Theodors um so eher theilen könne, wenn sie erfahren würde, daß die Reize der Gesichtsbildung zu seinen geringsten Verdiensten gehörten; da inzwischen der Ausgang seiner gefahrvollen Bemühungen immer sehr zweifelhaft blieb, so hielt Sebastian es für rathsamer, jetzt noch seine nahe Bekanntschaft mit dem Originale des Gemäldes zu verschweigen. Auch Franzisko überraschte das Geheimniß der zärtlichen Victoria in einem Augenblicke, wo er durch eine, mit der Kirche in Verbindung stehende Thür durch die Bibliothek gehen wollte. Sein Schatten war es, der Victorien, die sich allein glaubte, damals heftig erschreckte Siehe Seite 18 des zweiten Bandes.; aber ehe sie ihn selbst bemerkte, behielt er Zeit übrig, sie und das Gemälde zu betrachten und mit dem Vorsatze zu entschwinden, das gemeinschaftliche Glück der beiden so reizenden und tugendhaften Geschöpfe nach seinen Kräften und so weit es die väterliche Pflicht gestattete, zu befördern.

 


Zwölftes Kapitel.

Den Schmerz über den vorgeblichen Tod des theuren Theodors, hatte man Mathilden aus Schonung zu ersparen gesucht; denn von dem Augenblicke an, wo Franzisko sie in ihr Kloster zurückführte, bis zu seiner Rückkehr von Madrid, hatte sie von den Ereignissen im Schlosse nichts erfahren können; als sie aber bei ihrem ersten Besuche den zärtlichen Freund vermißte, und man ihr nicht länger verschweigen konnte, daß sie ihn wahrscheinlich nie wieder sehen werde, brach sie in bittere Klagen aus und auf den Sturm des ersten heftigen Schmerzes folgte eine verzehrende Schwermuth, die der ängstliche Franzisko ihrer Gesundheit für nachtheilig hielt. Er beredete deshalb die Donna Hortensia, ihre Freundin und ebenfalls Kostgängerin im Kloster von Santa Maria, Mathilden zu einem Besuche bei ihren Eltern, wohin jene zu reisen beabsichtigte, einzuladen, hoffte, daß die Veränderung der Luft und Gegenden, und die ihr verschafften Zerstreuungen allmälig die Trauer seiner Pflegetochter mildern würden, und empfahl ihr nur aus Gründen, die mit ihrer eignen Wohlfahrt in näher Verbindung stehen sollten, ihren Schleier öffentlich oder an den zu Volks-Vergnügungen bestimmten Orten, so lange sie Andalusien bewohnen würde, nicht abzulegen. --

Die betrübte Mathilde nahm dieses Anerbieten ihrer Freundin mit duldsamer Bereitwilligkeit an, und beide hatten bereits eine halbe Tagereise zurückgelegt, als sie in einer einsamen Gebirgsgegend der Sierra Morena, wodurch ihr Weg führte, von einer Streifparthie der unter Don Manuels Befehl stehenden Bande angehalten wurden. Nur von zwei Dienern begleitet, wäre Widerstand gefährlich gewesen; die jungen Kostgängerinnen sahen daher ihr Schicksal, in die Gewalt der Banditen zu gerathen, mit Entsetzen vor Augen; da sandte der Himmel zwei junge Reiter mit einer zahlreichen Begleitung zu ihrem Beistande herbei, verlieh diesen den Sieg und zwang die Räuber nach einer kurzen und schwachen Gegenwehr, ihr Heil in der Flucht zu suchen. Zur Vermeidung ähnlicher Gefahren, erbaten sich die tapfern Ritter die Befehle ihrer zitternden Schönen und begleiteten diese nach erhaltener Erlaubniß bis zu dem Wohnorte Don Olivarez Pietro Fernando de Sanct Estrevan, dem Vater der liebenswürdigen Hortensia.

Donna Rodolpha, Hortensiens Mutter, ein listiges Weib, welches dergleichen Ereignisse zum Vortheile ihrer Familie um desto eher zu benutzen wußte, als ihr Gatte, ein ehrlicher Landedelmann, der mit Piastern nicht zum Ueberflusse versehen war, sich außer Stande sah, seine Töchter auszusteuern, entdeckte bald, daß die beiden Jünglinge nicht unwürdig sein mögten, ihren speculativen Geist in Regsamkeit zu setzen. Ihr Aeußeres und ihre Begleitung verriethen Reichthum; der eine nannte sich Markis von Riancourt und sein Begleiter war der junge Graf Ariosto. -- Beide kamen von Frankreich, passirten die Sierra Morena, und da der Zweck ihrer Reise keine übertriebene Eile erforderte, so nahmen sie die Einladung der gutmüthigen Familie, ihren Aufenthalt in Andalusien zu verlängern, mit Vergnügen an.

Seraphine, Donna Rodolpha's älteste Tochter, stand in Ansehung des Verstandes und der körperlichen Reize hinter ihrer jüngern Schwester Hortensia nicht zurück, aber ungeachtet aller Eigenliebe des bestochenen mütterlichen Auges, mußte sie sich es doch eingestehen, daß Mathildens Schönheit auf die Liebenswürdigkeit ihrer Töchter einen sichtbaren und nachtheiligen Schatten warf. -- Um nun diese vor den Zauberblicken einer so gefährlichen Nebenbuhlerin sicher zu stellen, kam ihr das sonderbare Verbot des ehrwürdigen Paters Franzisko trefflich zu statten, weshalb sie denn Mathilden ernstlich ermahnte, seinem geistlichen Befehle strenge Folgsamkeit zu leisten und sich den jüngern männlichen Augen nicht ohne einen leichten Schleier zu zeigen. Diese weitgetriebene Vorsicht war, was Alfons anlangte, ganz überflüssig; Mathilde hatte mit alle ihren blendenden Reizen unverhüllt vor ihm erscheinen können, ohne den schlauen Absichten der Donna Rodolpha zu schaden; denn kriegerischer Ruhm war damals die einzige Gottheit, vor deren Altar er seine Knie beugte und die sein Herz bewegen konnte. Sein Begleiter, der junge französische Ritter besaß dagegen diejenige Zündbarkeit, welche das Erbtheil seiner Nation ist, und die verschmitzte Mutter Seraphinens wußte dieses Liebesfeuer so herrlich zu ihrem Vortheile zu leiten, daß ihre Tochter in kurzer Zeit als Markise von Riankourt am Arme des verliebten Gatten glänzte.

Alfons Gleichgültigkeit ungeachtet bemerkte Mathilde, daß des schönen Fremdlings Gesicht dem holden Antlitz ihres lieben Theodors gleich gestellt zu werden verdiente; ja, sie empfand bald darauf eine Regung, eine Sehnsucht, eine Leere in ihrem Busen, die ihr früher ganz unbekannt gewesen. Mathildens Fantasie-Schwung war voll von Lebhaftigkeit, mit unter sogar schwärmerisch. Alfons hatte sie aus einer großen Gefahr, wobei er sein Leben wagte, gerettet; nach dem richtigen Romanenstyl mußte sie diesen Dienst mit dem Geschenke ihres Herzens belohnen, ihn im Stillen lieben, auch selbst wenn das seinige nicht mehr frei sein sollte. Von diesem Augenblicke war das Bild ihres theuren Beschützers in ihrem Gedächtnisse unvertilgbar; und so brachte sie auf ihrer ersten Ausflucht in die Welt eine Leidenschaft mit zurück, die des stillen Klosters Müßiggang nur noch mehr entzünden mußte. -- Die Folgen dieses ersten Eindrucks zeigten sich, als Mathilde im Pyrenäen-Schlosse den Gegenstand ihrer geheimen, zärtlichen Neigung unerwartet in das Zimmer der schönen Victoria, eintreten sah Siehe Seite 122 des dritten Bandes.. Ihr Erstaunen, die Unruhe ihres Herzens und ihre Bestürzung malten sich mit treuen Farben auf ihrem ausdrucksvollen, freimüthigen Gesichte; aber der Graf Ariosto, weit entfernt in ihr die schöne Unbekannte, die er in Andalusien aus Räuberhänden errettet hatte, zu erkennen, glaubte natürlich, diese auffallende Gemüthsbewegung der Eifersucht zuschreiben zu müssen, die durch die Nachricht von Urbino's und Victoriens naher Vermälung bei ihr verursacht wäre.

Zu eben der Zeit, als Mathilde von ihrer Reise nach Andalusien zurückkehrte, erhielt ein Mönch, den man Guzman nannte und der ebenfalls ein geheimes Mitglied des Pyrenäen-Bundes war, die Stelle des Beichtvaters im Kloster von Santa Maria. Lange Zeit hatte er schon nach dieser geistlichen Bestallung sehnlichst getrachtet, um auf Gelegenheit zu lauern, dem Pater Franzisko zu schaden, dessen beinahe uneingeschränkte Macht, seine Eifersucht gewaltig reizte. -- Bald spürte er auf, daß sein Nebenbuhler an Mathildens Schicksal besondern Antheil zu nehmen schien und sie die Ursache seiner öftern Besuche im Kloster war. Er verdoppelte daher seine Wachsamkeit und sein Bestreben, beobachtete Mathilden genauer und erkannte in ihren Zügen einige Aehnlichkeit mit der im Pyrenäen-Schlosse ermordeten Gefangenen, deren Tod Don Manuel so lange betrauert hatte. Nun belauschte er Franzisko's Gänge, folgte ihm im Abenddunkel, sah, wie er die Pflegetochter nach seiner Grotte führte, und bemerkte, daß solches gewöhnlich wärend Don Manuels Abwesenheit statt fand; endlich entdeckte der listige Pfaffe an dem Halse der Betenden, als sie in der Klosterkirche ihre Andacht verrichtete, ein goldenes Kreuz, das der unglücklichen Viola zugehört hatte. Jetzt schwanden alle Zweifel, und Guzman fand seine Muthmaßung gegründet; eine so günstige Gelegenheit, Franzisko zu quälen, durfte er nicht vermeiden; deshalb eilte er, dem Oberhaupte der Räuberbande seine Entdeckung mitzutheilen.

Erinnert man sich, daß die sterbende Viola ihre Tochter auf Don Manuels Knie niederlegte, und daß der letzte Blick ihres matten Auges seinen Schutz zu Gunsten des Kindes zu erflehen geschienen hatte, so wird man sich leicht einen Begriff von dem Erstaunen und der Erbitterung machen können, die ihn durchdrangen, als er erfuhr, daß man ein so feierlich seiner Obhuth anvertrautes Pfand ihm bis jetzt verheimlicht und vorenthalten hatte. Er schwur, daß keine noch so nahe Verbindung ihn verhindern sollten, seine Rechte, die er Niemandem in der Welt übertragen habe, geltend zu machen, und daß er, müsse er selbst gegen seinen eignen Vater Gewalt brauchen, zu den schrecklichsten Mitteln greifen werde, das ihm entwendete Eigenthum wieder an sich zu bringen.

Guzman selbst entsetzte sich über das von ihm erregte tobende Ungewitter. Es war ihm ganz gelegen, Franzisko zu schaden, indeß wollte er sich dabei dessen Rache nicht bloß stellen; als er nun aber Don Manuels wüthende Verheißungen hörte, so erwachte doch bei ihm die Furcht vor dem Zorne eines Mitglieds der heiligen Inquisition, und er suchte den Brausenden zu besänftigen.

Sennor, sprach er bedächtig, ich fürchte beinahe, Ihr treibt die Sache in Eurem Zorne zu weit. Ein so ungestümes Betragen gegen einen Mann von Franzisko's Charakter kann schreckliche Folgen nach sich ziehen. Rechnet ja nicht so fest auf seine Eigenschaft als Vater, daß sie Euch könnte vergessen lassen, was Ihr und wir Alle von seiner Rache fürchten müssen. Glaubt mir, Sennor, in einer solchen bedenklichen Angelegenheit taugen Gewandheit und List mehr, als zorniges Aufbrausen, das uns am Ende alle ins Verderben stürzen kann, wenn Euch jene dagegen zur Erreichung des Ziels für Eure Handlungen ein ausgedehntes Feld eröffnen.

Don Manuel ließ endlich Guzmans Vorstellungen Gerechtigkeit widerfahren, durchdrang den geheimen Grund seiner angepriesenen Mäßigung nicht und überließ sich seinen Rathschlägen gänzlich.

Einige Tage nach diesem Vorfalle trat Don Manuel in seines Vaters Felsenzelle. Er komme, sprach er, Abschied von ihm zu nehmen, um sich zu einem Kreuzzuge einzuschiffen, der ihn mehrere Wochen von Spanien entfernt halten würde. Deshalb bat er ihn, seine Wachsamkeit über alles, was während seiner Abwesenheit im Schlosse vorfallen könnte, zu verdoppeln und empfahl ihm vorzüglich Victoriens Sicherheit so angelegentlichst, daß Franzisko auf den Gedanken gerathen mußte, ihre Schönheit habe Eindruck auf sein Herz gemacht. Deswegen wünschte er die Reise seines Sohnes zu Victoriens Befreiung zu benutzen, ehe noch die Neigung eines so gefährlichen Nebenbuhlers weiter um sich gegriffen hätte; da er aber hörte, daß Garzias und Alonzo zur Bewachung des Felsennestes zurückbleiben würden, so konnte er sich mit einem baldigen Gelingen seines Vorhabens um so weniger schmeicheln, da er wol wußte, daß unter den Befehlen dieser beiden feigen und mistrauischen Banditen die gewöhnlichen Sicherheits-Maasregeln verdreifacht wurden. Weil indeß seine Grotte und was an dieselbe grenzte ihrer Aufsicht nicht unterworfen war, so kam ihm doch die Abwesenheit seines Sohnes sehr gelegen, um Mathilden das Entzücken zu verschaffen, ihren lieben Theodor wiederzusehn.

Die Liebe hatte Mathilden gelehrt daß ihre Gefühle für den Jüngling nur schwesterliche Freundschaft genannt werden konnten; aber diese Freundschaft war glühend und mit Entzücken vernahm sie, daß er zurückgekehrt sei. Zu verschiedenen Malen hatte sie die Grotte Franzisko's schon besucht, ohne den Theuren, der in Hippolits Gestalt von Garzias beschäftigt wurde, gesehn zu haben. Franzisko und Don Sebastian suchten die Ungeduldige über diese unzeitige Verhinderung zu trösten, und versprachen ihr, daß ihr Wunsch bei dem nächsten Besuche ohnfehlbar erfüllt werden solle, als Don Manuel plötzlich vor ihnen erschien. Beide standen verwirrt, doch der Listige schien ihre Verlegenheit nicht zu bemerken, auch Mathilden seiner besondern Aufmerksamkeit nicht werth zu halten, obschon sie beim ersten Blick sein Herz tief verwundet und die Gluth der für die unglückliche Viola empfundenen Leidenschaft von neuem angefacht hatte. Entschlossen sich zu verstellen, begnügte er sich seine vereitelte Abfahrt dem plötzlich eingetretenen widrigen Winde zuzuschreiben, und da es diesem angeblichen Hindernisse nicht an Glaubwürdigkeit fehlte, so zweifelte Franzisko keinen Augenblick an der Wahrheit desselben, verlohr seine anfängliche Bestürzung, und als ihn nun Don Manuel anscheinend gleichgültig befragte, wer das junge Frauenzimmer sei? so antwortete er ihm mit einer erdichteten Erzählung, die ihm bereits früher dazu gedient hatte, das Kloster der heiligen Maria zu hintergehen. -- Don Manuel schien nicht befugt, den Worten seines Vaters das kindliche Vertrauen zu versagen, er sprach mit Mathilden selbst kein Wort, ging in der Unterredung zu einem andern Gegenstande rasch über, und spielte seine Rolle so meisterhaft, daß Franzisko sich mehr als je überzeugt hielt, seines Sohnes Neigung zu Victorien mache ihn glücklicherweise für Mathildens Reize blind.

Wärend aber der Dominikaner vom Anschein betrogen und seinem falschen Wahne eingeschläfert, das Geheimniß seiner Pflegetochter wohl verwahrt glaubte, schwur Don Manuel, vom Widerstande angereizt, im Fortgehen, daß er sich Mathilden zueignen und sie die Seinige werden müsse; weil er inzwischen nach dem Vorgefallenen erwarten durfte, daß Franzisko andere Absichten mit ihr habe, wie solches seine Verstellung deutlich bewieß, so entschloß er sich, diesem Vorbilde nachzuahmen und ebenfalls auf listige Weise den geheimnißvollen Alten zu überlisten. -- Einige Wochen ließ er auf Anrathen Guzmans ruhig verstreichen, auch Mathilden zweimal die Grotte ohne Hinderniß besuchen, aber den Tag vor ihrem dritten Besuche, den sein schlauer Verbündeter mit Hülfe einer ihm sehr ergebenen Nonne auskundschaftete, ward über die Art der Entführung Verabredung getroffen. Guzman wählte die Verkleidung eines Laienbruders vom Kloster der Dominikaner, erschien mit einem nachgemachten Briefe von Franzisko, dessen Schriftzüge vielleicht einen feinern Beobachter getäuscht haben würden, zu einer Zeit an der Pforte des Klosters von Santa Maria, wo er wußte, daß Franzisko in seiner Grotte von frommen Wallfahrern umgeben, die Rolle des heiligen Eremiten spielte, gab vor abgeschickt zu sein, die Donna Mathilde zum Pater Franzisko abzuholen und erwartete unbesorgt den Erfolg seiner List.

Nach Ansicht des ihr übergebenen Beglaubigungsschreibens glaubte die Priorin ohne Mistrauen, das Begehren des heiligen Bruders erfüllen zu können, rief daher Mathilden herbei, empfahl sie der Obhuth des vermummten Paters und sah mit ruhigem Auge das unschuldige Schaaf von dem geistlichen Wolfe davon führen. Mathilde folgte ihrem Führer mit frohen Erwartungen, bis sie im Gehölze nach einer Weile bemerkte, daß dieser einen Seitenpfad einschlug, der ihr unbekannt war und derselbe doch auf ihre wiederholte Versicherung, daß er vom richtigen Wege abgekommen sei, nicht achten zu wollen schien. -- Nun erst regte sich der Argwohn in ihrem sorglosen Busen, und mit Festigkeit erklärte sie ihrem eigensinnigen Begleiter, daß ihr sein sonderbares Benehmen auffallen müsse und sie entschlossen sei, ihm auf diesem Irrpfade keinen Schritt weiter zu folgen. Aber Guzman, der so nahe an der gangbaren Straße keinen Augenblick verlieren durfte, wenn er nicht auf die Früchte seines Betrugs verzichten wollte, ergriff Mathilden kaltblütig beim Arme und zog die Schreiende ungeachtet ihres Widerstandes und mit der Drohung sie zu ermorden, so fern sie nicht geduldig folgen werde, in das Dickigt des Waldes, bis zu einer entlegenen Felsenhöhle, wo er zu seiner Unterstützung zwei von Don Manuels Bande postirt hatte. Erst gegen Mitternacht wagte er es, diesen Schlupfwinkel zu verlassen, schleppte die Entführte auf Umwegen ins Pyrenäen-Schloß, und aus Besorgniß, daß sein räuberisches Unternehmen noch nahe am Ziele scheitern mögte, wenn etwa der Zufall in diesem Augenblicke Franzisko oder einen von seinen geheimen Anhängern zu Don Manuel geführt haben könnte, zwang er die Bebende, durch einen heimlichen Gang und eine versteckte Fallthür den Räubern in ein entlegenes Zimmer zu folgen, das er seit langer Zeit unbewohnt wußte, und wo man die Gefangene zu mehrerer Sicherheit an die Pfosten eines Bettes band, ohne die hinter dem Lehnsessel verborgene Victoria zu bemerken, der Alonzo eben dieses Gemach vor wenigen Stunden zum sichern Schlafzimmer angewiesen hatte Siehe Seite 202 des ersten Bandes..

Inzwischen wanderte Franzisko, seiner frommen Gesellschaft entledigt, im Abenddunkel nach dem Kloster der heiligen Maria, die liebe Pflegetochter mit dem Anblicke des langentbehrten, zärtlichen Freundes zu erfreuen, der mit klopfendem Herzen in der Felsenhöhle der Rückkunft des Paters entgegensah, und fand hier die leer stehende Zelle. In tödlicher Angst warf er auf das ihm von der erstaunten Priorin vorgelegte Rechtfertigungsdokument, den schändlichen Brief nur einen flüchtigen Blick, denn mehr bedurfte es nicht um ihn zu überzeugen, daß diesem abscheuligen Betruge eine Entführung zum Grunde liege, verließ, ohne an Erholung zu denken, das Kloster in demselben Augenblicke, irrte einige Stunden in der Waldung wie ein Wahnsinniger zwecklos umher, und wankte dann entkräftet und mit zerrissenem Herzen zurück in seine Grotte, dem harrenden Roland und seinem Lehrer Don Sebastian das Unglück mit klagender Stimme zu verkünden. Der stürmische Jüngling beschwor sogleich Beide, ihn in den Stand zu setzen, die Räuber zu verfolgen; bereitwillig gab ihm Franzisko mit Hülfe eines zu solchem Zwecke vorräthigen Saftes seine natürliche Farbe wieder, kleidete ihn in das Gewand eines spanischen Beamten der Inquisition, damit er von Don Manuels Rotte keinen Anfechtungen ausgesetzt werden mögte, schrieb an den Corregidor von Rosa's und bat diesen, den Jüngling mit Pferden und rüstigen Männern zu unterstützen, empfahl dem Ungeduldigen Vorsicht und Eile, versprach, die schöne Victoria in seiner Abwesenheit zu beschützen und ließ ihn nach zärtlichen Umarmungen, die Don Sebastian theilte, in die finstere Nacht hinaus, wo der Jüngling aus ihren Augen bald verschwand.

Diese Maasregel konnte indeß das so heftig erschütterte Gemüth des Dominikaners nicht beruhigen und er, nachdem auch Don Sebastian ihn verlassen, in seiner Höhle allein nicht ausdauren. Zu dieser Unruhe gesellte sich einiger Verdacht, daß entweder Don Manuel selbst, oder doch Garzias und Alonzo, Anstifter des Raubes der schönen Mathilde sein könnten; zu schlafen war ihm ohnehin unmöglich, also gerieth er auf den klugen Einfall, alle heimlichen Gänge und Winkel des Schlosses zu durchkriechen und umherzuforschen, ob er nicht vielleicht Spuren der Entführten durch Beobachtung der Bewohner des Raubnestes entdecken könnte; und wirklich wollte die Vorsehung, gerührt bei den Leiden des Greises und entrüstet über das schändliche Komplott, die Schritte Franzisko's begünstigen, weil sie ihn grade in die Nähe der klagenden Mathilde führte. Im Begriff, durch einen finstern gewölbten Gang bis zu Don Manuels gewöhnlichem Aufenthaltsorte hinaufzuschleichen, sah er den verkappten Guzman, ohne ihn jedoch zu erkennen und selbst bemerkt zu werden, mit seinen beiden Begleitern die zur Fallthür führende Leiter hinabsteigen und solche von ihnen forttragen. Schon der Umstand, daß er sie auf einem Schleichwege traf, dessen Geheimniß er und Elfridi allein zu besitzen, sich geschmeichelt hatten, spannte seine Aufmerksamkeit und erregte seinen gerechten Argwohn; als er aber nach ihrer Entfernung über seinem Kopfe eine ihm wohlbekannte, klagende Stimme hörte, so eilte er mit neuer Kraft auf einem andern Wege zu einer verborgenen Tapetenthür in das Zimmer, wo seine liebe Pflegetochter an den Bettpfosten gebunden, schmachtete, und befreiete sie im Angesicht der versteckten Victoria, wie uns aus den ersten Theile erinnerlich sein wird.

Das Kloster der heiligen Maria war nach diesem Vorfall für Mathilden kein sicherer Aufenthaltsort mehr; ihr in Franzisko's zwar geräumigen, doch immer unsichern Grotte eine Wohnung einzuräumen, wäre noch gefährlicher gewesen. Die Art der Entführung und der Ort, wo er sie getroffen, hatten Franzisko's Augen geöffnet; er zweifelte nicht länger, daß diese Entführung auf Don Manuels Befehl unternommen sei; und aus der argen Verstellung, die der Sohn gegen den Vater dabei beobachtet hatte, ließ sich die Gefahr, in welcher Mathilde schwebte, hinreichend ermessen.

Nachdem Franzisko lange Zeit über einen Entschluß nachgesonnen hatte, fiel ihm endlich ein, daß zwischen der Wohnung Don Sebastians und der Kirche ein Gemach befindlich sei, dessen verborgene Lage keine Entdeckung befürchten ließ, da es auch überdem noch zu jenem Theile des ausgedehnten Gebäudes gehörte, den der Graf Elfridi bei Uebergabe des Schlosses theils verheimlicht, theils für seine eigne Wohnung sich reservirt hatte. Franzisko ließ es durch Don Sebastian mit den nöthigen Bequemlichkeiten so gut als möglich versehen; und noch in derselben Nacht nahm Mathilde von diesem Zimmer, das eher den Namen eines Gefängnisses verdient hätte, Besitz.

Mismüthig und trostlos kehrte Roland am andern Morgen nach vergeblichen Bemühungen, Nachfragen und Umherstreifen im Gebirge, ohne Begleitung zurück, und wurde von Franzisko, der ihn empfing, auf die angenehmste Weise durch die Erzählung von dem Vorgefallenen überrascht. So nöthig es nun auch war, dem frohen Jüngling schnell die Mohrenfarbe wieder zu geben, so konnte doch der scheinheilige Franzisko, der in dieser Stunde eine Schaar von Gläubigen in seiner Zelle erwartete und Segen austheilen mußte, dieses Geschäft sogleich nicht übernehmen; er führte daher seinen Zögling in die Kirche und ermahnte ihn daselbst zu verweilen, bis er ihm mit der Glocke ein Zeichen geben werde, daß er allein sei. Ungern gehorchte der ungeduldige Roland, denn jetzt, wo seine Angst über Mathildens Schicksal verschwunden war, zog seine Sehnsucht ihn hin zur schönen Victoria, und seine Einbildungskraft erschuf tausend Gefahren, mit denen die Schutzlose zu kämpfen hatte, wärend die natürliche Gestalt, unter welcher er sich ihr so gern gezeigt hätte, ihn zwang, ihren Anblick zu vermeiden; -- mit ihr zu entfliehen, war der Gegenstand, um den sich alle seine Wünsche dreheten. Franzisko hatte ihm seinen Beistand versprochen und doch schien der Augenblick der Entscheidung noch weit entfernt. Tiefsinnig und mit dem Schicksal hadernd ging der Jüngling in der Kirche langsam umher, hörte ein leises Rauschen, einen gedämpften Schrei und erblickte mit freudiger Bestürzung -- die fliehende Geliebte Siehe Seite 227 des ersten Bandes.! -- Ach, wie gern hätte er ihr jetzt sein Herz geöffnet und dem Drange des Gefühls sich hingegeben, aber die Pflicht gebot ihm Verstellung; und so viel Mühe es ihm auch kostete, fremd zu scheinen und den Neger Hippolit zu verläugnen, so blieb er doch dem von Franzisko ihm abgedrungenen Schwure, sich, so lange er daß Schloß bewohne, nicht erkennen zu geben, getreu.

Mit dunkeln, doch bedeutungsvollen Worten, suchte er zwar der Geliebten die Empfindungen seines Herzens zu erkennen zu geben; aber leider misdeutete Victoria den Sinn der Anspielungen, und aus diesem Misverständniß entsprangen ihre nachherigen Drangsale und ihre heimlichen Leiden, als der trügerische Schein ihr einige Zeit darauf in Mathilden die Auserwählte zeigte, die mit frühern und heiligern Rechten auf Urbino's Herz gerüstet, Victoriens kaum erwachte Hoffnung in den verborgensten Winkel ihres Busens zurückdrängte.

 


Dreizehntes Kapitel.

Als Alonzo das unlängst ausgedachte, tollkühne Unternehmen, Victorien zu entführen, wagte, eilte der immer wachsame Roland auf ihr Hülfsgeschrei zu ihrer Vertheidigung herzu und entriß sie dem Räuber. Diese edle Handlung kostete ihm seine Freiheit, aber die dankbare Victoria stieg hinab in seinen Kerker, den Unglücklichen zu trösten. Hier entdeckte sie zum erstenmale in den seelenvollen Blicken Hippolit's einen so lebhaften und unzweideutigen Ausdruck von Zärtlichkeit, daß sie eine Anwandlung von Schaam und Bestürzung kaum verbergen konnte und ihren Schritt fast bereuete Siehe Seite 357 des ersten Bandes..

Roland würde verzweifelt haben, hätte ihn seine Gefangenschaft an der von Victorien erflehten Zusammenkunft gehindert, so aber sicherte ihn Franzisko's Zärtlichkeit und Mitleid vor diesem unerträglichen Unglück, zogen ihn mit Vorwissen des alten Kerkermeisters noch in eben derselben Nacht aus seinem Gefängnisse hervor und ließen ihn in der Gestalt des schönen Jünglings in der Kirche das Entzücken einer zweiten Unterredung mit der Heißgeliebten im vollem Maaße genießen.

Wärend Victoriens Krankheit erhielt der besorgte Roland durch Franzisko verschiedene Male den Tag über Nachricht von ihrem Befinden, aber so sehr es sich der Dominikaner auch angelegen sein ließ, den Wünschen seines Pflegesohns zuvorzukommen, so verweigerte er ihm doch standhaft die Erlaubniß, sie nach ihrer Genesung zu sehen, denn er fürchtete von des Jünglings ungestümen Geiste, daß dieser in dem Entzücken seines Herzens und um den Lohn für seine Aufrichtigkeit zu ärndten, diese auch mit dem Geständnisse seiner Liebe begleiten zu können, ihr zu früh die Geheimnisse entdecken mögte, die sie nur im Augenblicke der beabsichtigten Flucht erfahren sollte. Deshalb beauftragte er den Sennor Sebastian, sie durch zufällig scheinende Verhinderungen von einem Besuche in der Kirche abzuhalten, wo sie sonst unfehlbar Roland begegnen mußte, dem Franzisko gestattet hatte, zur Erhaltung seiner Gesundheit einige Stunden den Tag über seinen Kerker zu verlassen.

Mittlerweile langte der Graf von Vizenza zur Vollendung seines schändlichen Plans im Schlosse an, wo er seine enge Gemeinschaft mit den Bewohnern desselben verbergen und für einen Gefangenen der Räuber gelten wollte. Aber obschon er Lügen auf Betrug häufte, um Victoriens Zutrauen wieder zu gewinnen, die Unglückliche zu überlisten und sie zu überzeugen, daß er nur zu ihrer Rettung der Gefahr getrotzt habe, entweder ihr Gefängniß zu theilen oder zu sterben, so konnte er doch ihren Abscheu und ihre Verachtung nicht besiegen; noch weniger aber gelang es ihm, auf dem Wege der Gewalt und durch Drohungen seinen Zweck zu erreichen. Don Manuel wagte es nicht, von der übernommenen Rolle abzuweichen, aus Furcht, den grausamen und blutgierigen Garzias zu reizen und die Drangsale der unglücklichen Gefangenen, für die er aufrichtige Theilnahme empfand, zu vermehren; er sah sich daher gezwungen, sie dem Schutzgeiste ihrer Tugend und ihrer seltnen Unerschrockenheit im Kampfe mit den Verfolgungen allein zu überlassen und widersetzte sich auch ihrer, Theresens und Diego's Einkerkerung nicht, weil Garzias darauf bestand, diese letztern von ihr zu entfernen. Ein sonderbarer Zufall war sogar dem Grausamen, bei seinem Vorhaben, die Unglückliche zu ängstigen, behülflich und veranlaßte, daß sich ein Geschöpf mit ihm verband, auf dessen Beistand der Unmensch wohl nicht gerechnet hatte.

Auf seinen räuberischen Seefahrten hatte der abtrünnige Mönch einst mit einem reichbeladenen Fahrzeuge auch einen Kaufmann und dessen schönen Papagei gekapert, den dieser aus Indien zurückbrachte und in Europa mit großem Gewinne zu verkaufen hoffte. Das Schicksal hatte aber über ihn und seinen Vogel anders bestimmt, denn der Unglückliche schmachtete und starb in den Gefängnissen des Pyrenäen-Schlosses, und sein Papagei, den man ihm aus Barmherzigkeit gelassen und der seines Herrn Klagen täglich gehört und nachgeplaudert hatte, fiel in Gonzalvo's Hände, wo er sich bald daran gewöhnte, auch des Kerkermeisters bäurisches Hohnlachen nachzuahmen. An dem Tage der Einkerkerung Victoriens war der Papagei, das einzige Wesen, welches in den Regionen des Jammers freien Spielraum genoß, seinem neuen Herrn gefolgt, ohne daß der Mürrische solches bemerkte, und blieb mit der verfolgten Unschuld eingeschlossen. Von ihm rührten jene schrecklichen Worte her, die Victoria in nächtlicher Finsterniß mit Entsetzen vernahm, und er war es, der, durch das Gitterloch fliegend, mit seinen Flügeln die Lampe berührte und zur Erde warf Siehe Seite 83 des zweiten Bandes..

Ein fast eben so ungewöhnlicher Zufall rettete sie damals von ihrem Verderben, als ihre in der Bibliothek versammelten Verfolger nur ihr Wiedererwachen aus der Ohnmacht erwarteten, um sie zur Unterschrift des von Polidor abgefaßten Heirathskontractes zu zwingen. -- Die Vorsehung ließ in demselben Augenblicke Franzisko und Don Sebastian, welche ihren Zögling im Gefängnisse besucht hatten, in dem Gange neben den Fenstern der Bibliothek vorübergehen. Der Letztere trug eine Laterne, deren Licht sein Gesicht beschien; wärend nun die Anwesenden sich mit der ohnmächtigen Victoria beschäftigten, war Polidor der einzige, welcher jene erblickte. Obgleich er von dem Tode des Herzogs von Manfredonia fest überzeugt war, und ungeachtet der Veränderung, welche Jahre und Leiden auf dem Gesichte des unglücklichen Greises eingegraben hatten, erkannte ihn Polidor, und seiner Schandthaten sich bewußt, erblaßte er beim Anblicke dieser schrecklichen Erscheinung, die er für den ruhelosen Geist des Ermordeten zu halten geneigt war und stürzte leblos zu Boden, ohne daß Jemand die Ursache dieses Ereignisses sich erklären konnte.

Auch die Vorüberschleichenden erstaunten nicht wenig, als sie die Bibliothek zu einer so ungewöhnlichen Zeit hell erleuchtet und mit Menschen angefüllt sahen; doch blies Don Sebastian schnell seine Laterne aus, damit sie ungesehn durch die Fenster das Innere betrachten konnten; und kaum hob man den Grafen Polidor vom Boden auf, so erkannte ihn Lorenzo ungeachtet seiner Verkleidung sogleich. Alles, was ihm Victoria erzählt hatte, war seinem treuen Gedächtnisse nicht entfallen; hatte er für ihr Schicksal früher gezittert, so durfte er jetzt, wo des verworfenen Polidors Gegenwart das schrecklichste Complott weissagte, an ihrem Verderben nicht zweifeln, und bei längerm Zögern keine Rettung für die Unschuld hoffen; zum ersten Male wagte er es, den Dominikaner dringend aufzufordern, sein Versprechen zu erfüllen und die veranstalteten Vorkehrungen zur Flucht nicht länger zu verschieben.

Wohlan, antwortete Franzisko, ich willige ein und verspreche Euch das Aeußerste zu wagen, damit unser Vorhaben in der künftigen Nacht ausgeführt werde; doch verlange ich, daß es für unsern Pflegesohn bis zum Augenblicke der Ausführung ein Geheimniß bleibe. Ein segelfertiges Schiff, zur nächsten Kaperei bestimmt, liegt an der Küste, und bedarf zu seiner Führung nur einer geringen Anzahl von Seeleuten. Ich will sie wählen. -- Theodor, dem ich Diego und Thomas beigeselle, soll in Hippolit's Gestalt die Uebrigen befehligen. Ich will diesen Augenblick benutzen, und wärend mein Sohn und seine Genossen im Eßsaale versammelt sind, sichere Männer, die ich kennen gelernt habe von dem Ausschusse des Lasters, der hier haußt, absondern und einige der Gefangenen erlösen. -- Kann Theodor den Verlust seiner geliebten Victoria nicht überleben, so will ich ihrer beiderseitigen Befreiung, das Vergnügen seines Umgangs, so schwer es mir auch wird, opfern. Bisher habe ich, ich gestehe es frei, mich zu dieser Trennung nicht entschließen können.

Lorenzo lobte diesen Beweis einer uneigennützigen Liebe, und Franzisko erfüllte sein Versprechen mit thätiger Geschäftigkeit und Eifer. Er versammelte seine getreuen Anhänger, machte ihnen seinen Willen bekannt und drohete ihnen, dass, wenn im Falle der Verfolgung, aus Mangel an Treue und Muth durch ihre Schuld Victoria wieder in die Hände ihrer Feinde gerathen könne, er sie sämmtlich vor dem Tribunale der Inquisition mit ihrem Leben dafür verantwortlich mache. -- Diese schreckliche Drohung wirkte, Alle schwuren, sie bis auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen.

Beinahe wäre indeß Franzisko's wohl angelegter Plan dennoch nahe vor der Ausführung gescheitert, denn kaum war Alonzo von seiner Wunde wieder genesen, so gerieth er auf den tollkühnen Einfall, Victoriens Entführung noch einmal zu wagen. Seit er sich in dem östlichen Thurme als Gefangener langweilte, hatte er einen seiner Wächter zu gewinnen gewußt, erhielt durch diesen genaue Kenntniß von den Vorgängen im Schlosse, durchschauete die Absichten des Grafen von Vizenza und entschloß sich, ihm zuvorzukommen. Sein getreuer Carlos befestigte den noch schwankenden Vorsatz, indem er ihn benachrichtigte, dass, als er seinen Befehlen gemäß im Corridor auf der Lauer gewesen sei, er eine männliche Gestalt in Victoriens Gemach von einer Seite habe hineingehen sehen, wo keine sichtbare Thür befindlich sei. Alonzo hatte bereits eine dunkle Vermuthung von der Existenz geheimer Thüren, die fast in allen Zimmern angebracht sein sollten; er hielt Carlos Aussage daher für eine günstige Entdeckung zur Entführung Victoriens und trug ihm auf, in der künftigen Nacht zu versuchen, ob er vielleicht den heimlichen Eingang ausfindig machen könne.

Carlos sparte keine Mühe und Geduld, indeß zweifelte er endlich an dem Gelingen, bis er zuletzt noch mit der Hand an einen Knopf in der Wand stieß, denselben drückte und die verborgene Thür ohne Mühe öffnete. Schüchtern blickte er im Schlafzimmer umher, gewahrte zuerst Victorien, die auf ihren Knien betend ihm den Rücken zukehrte und dann Hero, welche bei seinem Anblick von Erstaunen und Schrecken erstarrt zu sein schien. Carlos bildete sich ein, daß die Zofe seinem Herrn zur Ausführung seines Vorhabens behülflich sein könnte; deshalb gab er ihr durch einen Wink zu verstehen, daß sie ihm folgen mögte, und Hero, die nur von den schönen Versprechungen träumte, womit Alonzo sie so lange schon wiegte, glaubte, dass der ersehnte Augenblick endlich erschienen sei, und war sogleich bereit, seiner Einladung behutsam zu folgen. In ihrer frommen Beschäftigung andächtig vertieft, hörte Victoria von dem Verschwinden Hero's nichts; und diese war bereits, um nach Alonzo's Thurme zu gelangen, mit ihrem Begleiter die Treppe hinabgestiegen, als ihnen Franzisko begegnete, der so eben die Ausrüstung der Brigantine beendigt hatte; Carlos Verlegenheit und Hero's Bestürzung, so wie die Unwahrscheinlichkeit derjenigen Ursachen, welche die letztere zur Entschuldigung ihrer Abwesenheit von ihrer Gebieterin in einer so unpaßlichen Stunde vorbrachte, schienen in Franzisko's Augen hinreichende Vorbedeutung eines neuen Complotts. Er befahl ihnen daher, ihm zu folgen, und führte sie, die keine Widersetzlichkeit wagen durften, in seine Grotte, wo er sie zwei Familiaren der Inquisition, die in Angelegenheiten des Tribunals auf ihn warteten, mit der Weisung übergab, sie in die Gefängnisse des furchtbaren Gerichts nach Gerona bis auf weitere Nachricht abzuführen. Es war keineswegs Franzisko's Absicht, ihnen die Freiheit zu rauben, er wollte nur ihre schädliche Wirksamkeit entkräften und diejenigen ängstigen, die auf ihre Hülfe rechneten; dieses gelang ihm auch vollkommen, weil bei der Nachricht von Hero's unbegreiflichem Verschwinden, Garzias und selbst Don Manuel ihre Verwunderung und ihr Erschrecken nicht verbergen konnten.

Am andern Morgen unterrichtete endlich der Dominikaner seinen Zögling von der bevorstehenden, so lange gewünschten Flucht, und ward durch Roland's stürmische Dankergießungen hinlänglich für seine Bemühungen belohnt. In der Hoffnung Victorien zu sehen, eilte der Jüngling in die Kirche, öffnete behutsam das Getäfel in der Mauer, war so glücklich, seine Wünsche erfüllt zu sehen, und die Geliebte in einer kurzen Unterredung mit der Nachricht von ihrer baldigen Erlösung aus der Räuberhöhle zu erfreuen. Den Ueberrest des Tages widmete er seinen Freunden und Mathilden. Dieser Augenblick erneuerte den bei der ersten Trennung empfundenen Schmerz, es fiel ihm unendlich schwer, sie zum zweitenmale zu verlassen, aber die Liebe förderte gebieterisch dieses Opfer. Keine Bande, keine Pflicht konnten dieses mächtige Gefühl aufwiegen; seine Freunde verziehen ihm, daß er dem Aufgebot der tugendhaften Neigung gehorchte, aber ihre betrübten Herzen bluteten. Gern hätte er ihnen auch Mathilde, die er seit jenem Traume wie eine Schwester liebte, entführt und seine brüderlichen Ansprüche geltend gemacht; aber Franzisko widersetzte sich seinem Vorhaben mit der Versicherung, daß er sie einst wiedervereinigen werde. Roland versprach seinen Freunden, an sie zu schreiben, sobald er mit Victorien einen sichern Ort erreicht haben werde, und Franzisko schärfte ihm ein, seine Briefe an das Dominikanerkloster in Gerona zu richten. Endlich mußte sich der kleine Kreis trennen. Roland führte nun Mathilde durch die Kirche auf ihr heimliches Zimmer zurück, ohne Victoriens Gegenwart zu ahnen, die zufällig hinter einem Pfeiler verborgen, die zärtlichen Abschiedsworte hörte, ihren Sinn leider misdeutete und so aus ihm eine Quelle von Leiden für Jeden erschuf Siehe Seite 127 des zweiten Bandes..

Wollte man Franzisko's Bewegungsgründe nicht erklären, so würde es dem verwunderten Leser unbegreiflich scheinen, warum derselbe eine so günstige Gelegenheit, auch Mathilden ein sicheres und glückliches Loos zu verschaffen, nicht benutzte; aber dieser sonderbare Greis, der seine schöne Pflegetochter vor den Blicken seines Sohnes mit ängstlicher Wachsamkeit verbarg, der sie den Händen seiner Raubgenossen wieder entriß und der sie in einer Art von Gefängniß versteckt hielt, um sie dem listigen Auge seines Sohnes zu entziehen, bestimmte sie ihm dennoch im Geheim. Er war seit einigen Jahren des Lebenswandels, worin ihn seine frühern Fehltritte verstrickt hatten, überdrüssig geworden; er fürchtete die schrecklichen Folgen für sich und seinen Sohn, den er wirklich liebgewonnen hatte, und war überzeugt, daß diesen ein schönes und tugendhaftes Weib, wie Mathilde, endlich bekehren und durch den Einfluß ihrer Reize sowohl als den festen Character, womit sie vorzugsweise begabt war, ihn auf dem guten Wege, wenn er solchen einmal eingeschlagen habe, erhalten würde. Zur Ausführung dieses reiflich überdachten und anscheinend möglichen Plans, bot nun Franzisko alles auf, die Neigung seines Sohnes durch Schwierigkeiten noch mehr anzureizen, denn er zweifelte nicht, daß derselbe, sobald er ihm Gewißheit anbieten würde, die Hand Mathildens zur Belohnung für den ersten, zur Sittenbesserung gethanen Schritt, zu erhalten, sich Don Manuel mit Aufrichtigkeit zur Aenderung seines Lebenswandels entschließen, und die Zeit, die Gewohnheit und das gute Beispiel eines geliebten Weibes zur Befestigung und Aufrechthaltung der neuen tugendhaften Grundsätze das Uebrige beitragen würden.

Mit der Annäherung des Abends, wandelte Franzisko, der sich immer noch mit den Vorkehrungen zur Flucht beschäftigte, einige Aengstlichkeit an, daß die von ihm gewählten Maasregeln entdeckt, oder von einem Wortbrüchigen verrathen sein könnten. Unruhig und unstät irrte er in den neben der Küche, der Bibliothek und dem Versammlungssaal befindlichen geheimen Gängen umher und horchte auf alles, was gesprochen wurde. Auf diese Art vernahm er, daß man die Absicht habe, Victorien in ein anderes Zimmer zu betten, weil man sie in dem bisher von ihr bewohnten, seit dem räthselhaften Verschwinden Hero's, nicht mehr in Sicherheit glaubte. Unverzüglich eilte er, sowohl Roland, den er in der Kirche zurückgelassen hatte, als auch Thomas und Pedro, die vornehmsten Werkzeuge bei der gefährlichen Unternehmung, von diesem unerwarteten Wechsel zu benachrichtigen; und als nun der Erstere heftig erschrack, die beiden Andern aber an dem glücklichen Ausgange des Unternehmens zu zweifeln anfingen, so beruhigte sie doch Franzisko mit der Versicherung, daß er sie auf einem sichern, wenn auch schwierigen Wege bis zu Victoriens neuem Schlafzimmer zu führen wisse, und trug ihnen auf, sich an einem Orte, den er ihnen bezeichnete, gegen Mitternacht finden zu lassen; dann wandte er sich an Roland und erklärte ihm, als die beiden Andern sich entfernt hatten, daß es sein fester und unabänderlicher Wille sei, daß Theodor sich weder Victorien noch seinen übrigen Reisegefährten in seiner wahren Gestalt zeigen solle, bis auch die geringste Spur von Gefahr für ihn und seine Geliebte verschwunden sein werde: Ich habe diesen Gegenstand reiflich erwogen, sprach er zu dem Jünglinge, und die Ueberzeugung erlangt, daß Du unter dem Namen und der Gestalt Hippolit's, in der Eigenschaft meines Bevollmächtigten und eines geheimen Familiars der heiligen Inquisition, wofür man Dich hält, eine zweifache Autorität über Deine Begleiter erhalten wirst. Sie werden es nicht wagen, einen Beamten des gefürchteten Tribunals zu verrathen, oder ihm den Gehorsam weigern, aus Furcht vor den schrecklichen Strafen des mächtigen Gerichts; würden sie aber in Dir ihren ehemaligen Gesellschafter Theodor, den herangewachsenen elternlosen Knaben erkennen, so mögten sie weniger geneigt sein, Dich vor Garzias Rache, die auch sie treffen könnte, zu beschützen. Sein Haß gegen Dich ist allgemein bekannt; sie werden glauben, daß die Verfolgung nur Dir gilt, und Dich so wie Victorien in seine Hände liefern, um nur Verzeihung für ihren Fehltritt zu erhalten. Und welches Loos würde dann Dich und diejenige treffen, die Du retten sollst? -- Ihr würdet verlohren sein und meine ganze Macht nicht hinreichen, Euch zu beschützen, weil ich Euch nicht begleiten kann. -- Bedenke, daß indem Du mich verläßt, der Geliebten einziger Vertheidiger Du bleibst und Deine Pflicht Dir gebietet, Dich zur Beförderung ihrer Wohlfahrt zu erhalten.

Franzisko's Vorstellungen waren augenscheinlich zu weise und zu fest auf Roland's persönliches Wohl mit gegründet, als daß sich der Jüngling hätte einfallen lassen, sie mit Gegenreden zu bekämpfen. Ueberdem tröstete ihn der Gedanke, dass, wenn auch Hippolit's Gestalt eben nicht geschaffen sei, der Geliebten zu gefallen, sie doch mit Victoriens feinem Zartgefühl sich füglicher vertragen werde, weil die Tochter des Grafen Ariosto weniger verlegen sein würde, ihre Befreiung einem Sclaven von niederm Stande, der sich nicht bis zu ihr erheben durfte, zu danken, als sich unter dem Schutze eines unbekannten Jünglings zu befinden, welcher ihr in Ansehung der Geburt gleich stand. Roland zögerte daher nicht, Franzisko's Verlangen zu erfüllen, und schwur feierlich, nur dann erst in seiner wahren Gestalt und unter seinem Namen des Grafen von Urbino vor ihr zu erscheinen, sobald er sich mit ihr ausser aller Gefahr befinden werde.

Zur bestimmten nächtlichen Stunde führte der Dominikaner seine Getreuen auf holprigen, engen und schlüpfrigen Wegen durch verfallene Gänge bis zu einer geheimen Thür, die mit Victoriens Schlafzimmer in Verbindung stand, wo der ungeduldig vorauseilende Roland noch zur rechten Zeit anlangte, die unglückliche Gefangene aus den mörderischen Klauen des wüthenden Polidors zu erretten.

Seine Wunde, aber mehr noch die Wuth, sein Opfer entschlüpfen zu sehen, entrissen dem schäumenden Betrüger ein rasendes Geschrei, das bis zu den Ohren seines Vertrauten Garzias drang, der mit seinen Banditen in der Nähe den Erfolg erwartete, und geschworen hatte, zu den ärgsten Gewaltthätigkeiten zu schreiten, weil er dem Grafen die Erlangung der bewußten Unterschrift früher mit tausend gräßlichen Schwüren verhieß. Man verband die Wunde des Blutenden und durchsuchte das ganze Schloß, den tollkühnen Thäter, den man aus Polidors Beschreibung sogleich erkannte, zu entdecken. Sein Gefängniß war, wie vorausgesehn, leer, doch die Thür fest verschlossen und die Schlösser unversehrt; eben so fehlten Pedro und Thomas, die Entweichung der Uebrigen entdeckte man erst nach mehrern Stunden. Wüthend behauptete Garzias, der Kerkermeister sei der Verräther und drohete ihm mit den schrecklichsten Martern, insofern er nicht seinen Antheil und sein Mitwissen an der Flucht der Treulosen aufrichtig bekenne. Aber der von Franzisko durch Versprechungen bestochene Gonzalvo erklärte mit unerschrockenen, mürrischen Gebärden, daß er seine Pflicht gethan habe, und um so weniger für dergleichen Verräthereien und Entweichungen allein verantwortlich sein könne, als es ja bekannt sei, daß der sehr ehrwürdige Pater Franzisko die Macht besitze, die festesten Kerker zu sprengen, er auch nie den Befehl erhalten habe, diesem den Zutritt zu den Gefangenen zu verweigern.

Garzias hoffte noch immer, daß, nachdem er die Aussenposten schnell allarmirt hatte, es den Verräthern unmöglich sein würde, aus dem Schlosse, wo er sie noch versteckt glaubte, zu entwischen; als aber die genauesten Durchsuchungen keinen Erfolg bewirkten und einige Wächter auf dem Gebirgswalle gleich darauf anzeigten, daß sie nach Mitternacht an der Küste deutlich das Geräusch von Rudern gehört hatten, und nun endlich auch die vor Anker liegende Brigantine unbezweifelt mit den Flüchtigen verschwunden war, da bereuete der tobende Garzias, daß er die kostbare Zeit unnütz verschwendet hatte, ließ in der Schnelligkeit ein am Gestade liegendes Fahrzeug zur Nachjagd bemannen und steuerte mit günstigem Winde an der Küste von Frankreich hinauf, überzeugt, daß Victoria in diesem Lande einen Zufluchtsort suchen werde.

 


Vierzehntes Kapitel.

Nachdem Diego's kühnes Wagstück gelungen und durch seine List die Brigantine mit ihrer theuren Ladung schon weit von dem Fahrzeuge, auf welchem Garzias mit seiner höllischen Rotte im künstlichen Schlafe schnarchte, entfernt war, fand endlich des Oberbootsmanns unermüdete Anstrengung Mittel, sich von den Banden und dem Knebel, womit Diego ihn in Unthätigkeit versetzt und zum Schweigen genöthigt hatte, zu befreien und die Schläfer aufzurufen. -- Nichts mag der Wuth gleichen, der sich Garzias bei der Nachricht von dem abermaligen Entweichen seiner Opfer überließ; er hätte den Steuermann, den einzigen Wachsamen auf dem ganzen Schiffe, ermorden können, wenn er seiner zur Leitung des Fahrzeugs nicht bedurft hatte; fluchend befahl er, mit allen vorräthigen Segeln die Entflohenen zu verfolgen, und versprach seinen treuen Untergebenen fürstliche Belohnungen; aber die Gewalt des kurz darauf ausbrechenden Sturms ließ die Rachsucht des Feigen bald erkalten und ihn nur an die Erhaltung seines Lebens denken. Jeder arbeitete nun mit Anstrengung aller seiner Kräfte gegen die Wuth der schäumenden Wellen, die das tanzende Schiff Spaniens Küste wieder zuschleuderten und den Untergang desselben geschworen zu haben schienen; da jedoch die Vorsehung, den Verworfenen, welche ihr so lange Zeit ungeahndet getrotzt hatten, eine härtere Strafe aufbewahrte, so erlaubte sie, daß die Dauerhaftigkeit des Fahrzeugs Wind und Wogen widerstand und die Gewandtheit der beim Anblicke des Todes unermüdeten Matrosen dasselbe nach einigen Tagen glücklich wieder auf die Höhe von Catalonien zurückführten, wo der schändliche Garzias den spanischen Boden und das Raubschloß noch einmal mit unversehrter Haut betrat.

Die Begebenheiten unserer glücklich erlößten Seefahrer bis zu der Zeit, wo nach dem erlittenen Schiffbruche die Herzogin von Manfredonia ihre Mündel im Schlosse des Grafen von Montfort vorfand, sind unserm Gedächtnisse hoffentlich nicht entfallen und bedürfen also keiner Wiederholung. Dieses boßhafte Geschöpf schien vor Verwunderung und Unmuth vergehen zu wollen, als es die entfernt geglaubte, eingekerkerte Nichte an einem Orte wieder antraf, wo es den zwar durch seine schamlosen Kunstgriffe endlich verführten, aber nicht ganz unterjochten Grafen von Montfort erwartete. Es war Elwiren nicht unbekannt, daß Montfort im Innersten seines Herzens noch immer seine erste Leidenschaft für Victorien unterhielt, und daß er nur in Elwirens Netz gerathen war, weil sie ihm durch die feste Versicherung alle Hoffnung benommen hatte, dass die Tochter des Grafen Ariosto sich freiwillig in ein Kloster zurückgezogen und entschlossen habe, den Schleier zu nehmen. Alle diese lügenhaften Betheurungen mußten der Wahrheit weichen, sobald der Graf Victorien wiedersah, und die Herzogin konnte nur mit einem Gefühle von Wuth sich den Untergang ihrer so weit gediehenen Pläne und den Verlust ihres Geliebten versinnlichen. Liebe und Eifersucht zwangen sie, eher irgend einen verzweifelten Anschlag auszubrüten, als ihre theuersten Hoffnungen vernichtet zu sehen. Victoriens Ankunft war einmal bekannt geworden; sie konnte solche dem Grafen Montfort nicht verheimlichen, auch wenn sie die gefährliche Nichte schnell wieder entfernen wollte. Sie mußte also Victoriens guten Ruf zernichten und zugleich ihr Glück zerstören. Ein solches Mittel konnte nicht mislingen. Die Heftigkeit ihrer Leidenschaften riß sie mit so viel Ungestüm zu diesem neuen Verbrechen hin, daß sie sogar, um sich ihren Geliebten zu erhalten, der Rache des Grafen von Vizenza trotzte, obgleich sie sehr wohl voraussah, daß ihre Schandthaten sie der Gewalt dieses Elenden preis gaben und daß er sie mit der unversöhnlichsten Wuth verfolgen würde, sobald sie es wagen könnte, seinen habsüchtigen Entwürfen auf die entfernteste Weise nachtheilig zu werden.

Nach vorhergegangener Rücksprache und förmlicher Berathung mit ihren würdigen Vertrauten Bianka und Maratti, begann sie ihr satanisches Werk damit, daß sie sich mit dem Zutrauen ihrer Nichte, das sie ihres vergangenen Betragens halber verscherzt zu haben glaubte, wieder auszusöhnen suchte, behielt indeß Mittel schärferer Art im Hinterhalte, um im äussersten Falle die schutzlose Victoria mit Gewalt zu irgend einer ehelichen Verbindung zu zwingen, die mit einem Male den verliebten Nachstellungen Montforts ein Ziel setzen mußte. Dadurch daß der Zufall den Neger Hippolit mit ihrer Nichte zugleich in ihre Hände lieferte, und diese aus ihrer warmen Erkenntlichkeit für die ihr von dem Jünglinge geleisteten wichtigen Dienste kein Geheimniß machte, schien er Elwirens Absichten befördern zu wollen; sie erfand daher die an sich wahrscheinliche, obgleich unwahre Nachricht von Polidors Tode und den Gefahren, in welchen Hippolit sich des Mordes wegen befinden sollte, und hoffte daß Victoriens Dankbarkeit sich verpflichtet halten würde, ihren Befreier ungeachtet seines niedern Standes, durch ein freiwilliges Geschenk ihrer Hand, von dem angedroheten Tode durch [das] Henkersbeil zu retten. Ihre Erwartungen waren indeß doch etwas überspannt und ihre Begriffe von der Leichtgläubigkeit und Angst ihrer Nichte zu übertrieben; auch mußte der ungestüme Eifer, womit sie diese Angelegenheit betrieb und ihre ausbrechende Wuth bei der standhaften Weigerung der empörten Victoria nothwendig Verdacht gegen sie erwecken und die bis daher noch aufgesparten Zwangsmittel entkräften; es war daher nothwendig, die Hartnäckige von der Nähe der Gefahr durch Betrug zu überzeugen. Maratti schaffte zwei Männer in Banditengestalt herbei, die zur Ermordung Hippolits gedungen zu sein schienen, ertheilte ihnen Verhaltungsbefehle und ließ sich, im Gespräch mit diesen, vorsätzlich von der furchtsamen Rosalie belauschen, die, wie man voraussehen durfte, Victorien von diesem Mordanschlage sogleich benachrichtigte. Den Pater Anselm glaubte die Herzogin durch listige Ueberredung und lügenhafte Verdrehung der Umstände für sich gewonnen zu haben, weil er ihr nicht nur feierlich gelobte, der Verbindung ihrer Nichte mit ihrem Befreier aus dem Räuberschlosse nicht hinderlich zu sein, sondern sich sogar erbot, die Trauung selbst zu vollziehen. Aber der menschenfreundliche Pater, in steter Ausübung tugendhafter und gerechter Grundsätze ergraut, verbarg seine wahren Gesinnungen und schien das Betragen der Herzogin zu dulden, um ihre bösen Absichten desto sicherer zu zerstören.

Der Pater Anselm wußte, mit wem er zu thun hatte, wärend der Verlauf der Jahre, das Alter, ein fremder Name, seine andere Sprache und endlich die einen Theil des Gesichts bedeckende Kaputze, Elwiren verhinderten, in ihm den achtungswerthen Rinaldo, jenen vormaligen Kaplan im Schlosse von Manfredonia, der sie als frühzeitige Gemalin des Grafen von Vizenza mit Strenge und Verachtung empfangen hatte, zu erkennen Siehe Seite 10 des ersten Bandes..

Das Bewußtsein, edel zu handeln und ein Werk der Boßheit zu zernichten, bewog den rechtlichen Priester zur Verstellung, als der einzigen kräftigen, zur Beschützung der Unschuld geeigneten Waffe, seine Zuflucht zu nehmen, und die Tochter des Grafen Ariosto von dem Verderben zu retten. Mit kindlichem Vertrauen hatte ihm Roland seinen wahren Namen, Stand und seine Liebe zu Victorien entdeckt und ihm freimüthig gestanden, daß er, da es ihm gelungen sei, in der Gestalt des Afrikaners ihre Hochachtung zu gewinnen, sich schmeicheln dürfe, vielleicht in der doppelten Eigenschaft des Grafen Urbino und Hippolits einst Erhörung zu finden. Nach dieser Offenherzigkeit erklärte der Pater, daß er selbst dahin wirken werde, Victorien durch List oder scheinbare Gewalt zu der von Elwiren ausgedachten Vermälung zu vermögen.

Von diesem Augenblicke an, sprach er, wird die Herzogin, die nur darnach trachtet, sich der Gegenwart ihrer Nichte um jeden Preis zu entledigen, sie Euch ganz überlassen. Ich werde zu Eurer schnellen Abreise die nöthigen Anstalten vorläufig treffen; habt Ihr sie dann zu ihrem Bruder geleitet, so mag sie über Euer Schicksal frei bestimmen, und nach dem Gefühle ihres Herzens ein erzwungenes Gelübde wieder auflösen, das unter solchen Umständen, wo keine Neigung für Euch spricht, Eure Ehre und Eure Großmuth zu benutzen, Euch nicht erlauben.

Nach dieser Uebereinkunft genehmigte der Pater Anselm Elwirens Vorschläge, und ließ sich in der Nacht, die der Vermälung voranging, den vermeinten Hippolit ausliefern. Der Pater Peter erhielt den Auftrag, ihn nach dem Kloster des heiligen Ludwigs abzuholen; von ihm wurde jenes trostreiche Billet auf dem Tische zurückgelassen.

Wer mögte Roland's Empfindungen an dem denkwürdigen Morgen, wo Victoriens Hand mit der seinigen vereinigt wurde, beschreiben? -- Mehr als einmal war er im Begriff, ihre Qual zu enden, zu ihren Füßen zu sinken und ihr alles zu gestehen. Aber seine Liebe und seine Ehre machten es ihm zur heiligsten Pflicht, sie um jeden Preis den verrätherischen Händen, die an ihrem Verderben arbeiteten, zu entreißen und sie von dem Joche einer schändlichen Vormünderin zu befreien. Er sah sich daher gezwungen, mit ihr zu dulden und zu schweigen, und eingedenk des Versprechens, das er Franzisko geleistet hatte, beharrte er unerschütterlich bei dem frühern Entschlusse, die Geliebte von allen Nachstellungen befreit zu wissen, und nicht eher die schwarze Maske abzulegen, als bis er sie dem sichern Schutze ihres Bruders überliefert hatte; aber die unvorhergesehene Ankunft des Grafen von Montfort zwang ihn zum erstenmale in seinem Leben, sein Wort zu brechen.

Roland war des Grafen Freund; er war der erste Vertraute, dem Montfort seine Liebe gestanden hatte, er kannte das Ungestüme seiner Leidenschaft. Was mußte er von der erbitterten Eifersucht seines Nebenbuhlers nicht fürchten? Er würde es nicht ungeahndet ertragen haben, wenn dieser verschmähte Anbeter, Victorien die Gattin des unbekannten Hippolits, des unglücklichen, durch seine Geburt zur Knechtschaft verurtheilten Negers, mit kränkenden Vorwürfen, mit beißenden Spöttereien zu überhäufen, sich durch höhnische Verachtung an ihr zu rächen gewagt hätte! Von diesem Gedanken wurden alle andre Rücksichten zurückgeschreckt; und der Pater Anselm hatte weder die Zeit noch die Mittel, seinen Entschluß zu bekämpfen. Als daher die Herzogin sie mit stürmischer Eile in das Nebenzimmer verwieß und die Thür hinter ihnen verschloß, warf Roland alles, was sein Gesicht bisher so täuschend verstellt hatte, von sich, ließ ein Pulver, das er zu diesem Behuf stets bei sich trug, in ein wenig Wasser zergehen, nach dessen Gebrauch die künstliche Schwärze seines Gesichts sogleich verschwand, und befreiete seinen Kopf von dem Turban, der sein schönes Haar verbarg. In dieser neuen Gestalt trat er als Gemal Victoriens von Modena, dem spöttischen Aufruf der Herzogin gehorchend, stolz hervor; aber die schönen Züge, der edle stolze Anstand des Grafen Urbino wirkten auf die boßhafte Furie gleich dem Anblicke des Medusenhauptes. Alle ihre Leidenschaften mußten jetzt der Angst weichen; sie zitterte bei dem Gedanken an die schrecklichen Folgen dieser Verbindung, die sie selbst erzwungen hatte. Ihrem eignen Sohne hatte sie eine Gattin aufgedrungen, die Polidor für sich bestimmte. Nie konnte sie ihn überzeugen, daß die Macht des Zufalls und ihre Unwissenheit diese Vermälung allein vollzogen habe; und über kurz oder lang würde er für diesen unglückseligen Misgriff sie mit der schrecklichsten Rache bestrafen. Nur schnelle Flucht konnte sie vor der verfolgenden Wuth des Grafen von Vizenza retten; in Begleitung Maratti's und Bianka's floh sie hinüber nach England und nahm ihre Kostbarkeiten und das vorräthige Gold mit sich.

Aber auch jenseits des Meeres konnte sie die von sich gestoßene Ruhe nicht wiederfinden; von dem qualvollen Andenken an ihre scheußlichen Verbrechen, von der Gewißheit der himmlischen Strafe, die ihr endlich erwachtes Gewissen ihr als unvermeidlich zeigte, verfolgt, verwandelte ihr angstvoller Geist alles, was sie umgab, jeden, der sich ihr nahete, in einen heimlichen Feind, der nach ihrem Blute dürste. -- Ihre beide Mitschuldigen, Bianka und Maratti, wurden ihr bald verhaßt und furchtbare Gegenstände des Entsetzens. Konnten diese Treulosen sie nicht auch verrathen, wie sie so viele Edle verrathen hatten? --

Sie eilte fliehend von einem Orte zum andern, erschöpfte ihr Gehirn, der göttlichen Gerechtigkeit, deren schwere Hand drückend auf ihr lastete und ihre Qual mit unaufhörlicher Angst begann, zu entfliehen, und trug den schrecklich nagenden Wurm mit sich umher, bis er endlich den Sitz aller Laster, das schändliche Herz zerfraß. Ihre Gesundheit unterlag in wenigen Jahren, eine Vereinigung der schrecklichsten Krankheiten, die Folge ihrer Ausschweifungen, ließ ihr die fürchterlichsten Schmerzen erdulden; und als sie nun im Augenblicke des Todes das größte ihrer Verbrechen, den entsetzlichen Vatermord gestand, wich der ihre Beichte hörende katholische Priester schaudernd zurück, und weigerte sich, sie los zu sprechen von dieser unerhörten Sünde; in den schrecklichsten Zuckungen entfloh ihre der Verzweiflung preis gegebene Seele dem Körper, um von dem unbestechbaren gnädigen, aber gerechten Richter das unwiderrufbare Urtheil zu empfangen.

 


Funfzehntes Kapitel.

Wir können es nicht vermeiden, den Leser nochmals in das Pyrenäen-Schloß zurückzuführen, um ihm manches dunkel Gebliebene, in der Unterredung Roland's mit Victorien wärend ihrer kurzen Reise von dem Schlosse der Herzogin bis zum Kloster von Santa Margarita zu erklären.

Wenige Tagen vor Victoriens Befreiung ging dieser, in der Hoffnung, die Geliebte zu sehen, in der Kirche nachdenkend umher. Unvermerkt hatte ihn der Abend überrascht; und da er so spät auf die Erfüllung seiner Wünsche nicht mehr rechnen durfte, so war er im Begriffe, sich zu entfernen und des schwarzen Hippolits Gestalt wieder anzunehmen, als er im Hintergrunde der Kirche, hinter dem Gitter, welches das Chor umgab, einen hellen Schein bemerkte, der sich zu nähern schien. Roland erschrack, denn seine eigne Sicherheit war in diesem Augenblicke mit Victoriens Schicksal zu fest verkettet; und obschon er von Franzisko wußte, daß dieser geheimnißvolle Theil des Schlosses Don Manuel und seinen Getreuen nicht bekannt sei, so fürchtete er doch, daß der Zufall, der Victorien so günstig gewesen war, auch einem ihrer Verfolger dienstbar sein könnte.

Er verbarg sich daher schnell in einer nahen Kapelle, hörte Seufzen und Gewimmer und gewahrte nach einigen Augenblicken, wärend der Schrein des Lichts immer näher rückte, einen schwarz gerüsteten Ritter, der eine Lampe trug und mit wankenden, unsichern Schritten durch das Schiff der Kirche wanderte. Das Visir seines Helmes war geöffnet und die verschiedenen Theile seiner Rüstung an mehreren Stellen mit Blut befleckt. Mit gesenkten Augen schritt die Gestalt der Gegend, wo Roland sich versteckt hielt, zu und zeigte dem Jüngling jetzt ein vom Scheine der Lampe erhelltes Gesicht, das einem Leichnam anzugehören schien. Bei diesem Anblicke schauderte Roland, denn diese bleichen, eingefallenen und entstellten Züge für das Antlitz eines lebenden Wesens zu halten, dünkte ihn fast unmöglich.

Langsam wankte der Gerüstete neben ihm vorbei, nahm wenig Acht auf die Gegenstände um ihn her, stieß sich mit dem Kopfe an eine Säule der Kirche und taumelte mit einem leisen Stöhnen in sichtbarer schmerzhafter Betäubung auf die Stufen eines nahen Grabmals. Roland's Vorsicht und das anfänglich verspürte Grauen verwandelte sich in Mitleid; er näherte sich dem unbekannten Ritter und bot ihm seinen Beistand an. Dieser erschrack, schlug seine Augen auf, blickte den Jüngling mit starrem Entsetzen an, stieß einen dumpfen Schrei aus und fiel ohne Besinnung zur Erde. In äußerster Bestürzung suchte der Jüngling den schweren Helm zu öffnen, es wollte ihm aber nicht gelingen; er vermuthete, daß der Unglückliche vielleicht ein von Don Manuels Bande gefährlich verwundeter Fremdling sei, der um ihren blutdürstigen Händen zu entrinnen, zufällig in die Kirche eingedrungen wäre; und doch schien seine sonderbare, eiserne Bekleidung diesem Wahne zu widersprechen. Roland sah sich von allen Mitteln, ihm zu helfen, entblößt; Franzisko war abwesend, und Don Sebastian befand sich im Innern des Schlosses; überdem mußte er befürchten, daß die Banditen, von der blutigen Spur geleitet, mit dem Gerüsteten auch ihn zugleich überraschen könnten.

Wärend er unruhig und verlegen über die Folgen dieser Begebenheit nachsann, regte sich ein Lebensfunken in den Adern des Greises; er schlug die Augen auf, blickte den Jüngling an und Thränen liefen über seine hagern Wangen; dann wollte er reden, aber nur mit schwacher, stockender Stimme stammelte er Worte, deren Sinn demjenigen, an den sie gerichtet zu sein schienen, völlig unverständlich blieb.

Sohn des Wohlthäters, den ich verfolgt, des Freundes, den ich verrathen habe, darfst Du mit so viel Menschlichkeit einem Elenden beistehen, der nur Deine Verachtung und Deinen Haß verdient? Ach, statt daß Du mich mit Güte behandelst, stoße mich mit Abscheu von Dir --

Erholt Euch, Sennor, antwortete Roland mitleidig, sammelt Eure Sinne, ich bitte Euch, und sagt mir, was ich thun kann, damit ich Euren Zustand erleichtere und Euch helfe.

Mit diesen Worten wollte der Jüngling den Greis umfassen und ihn wieder auf die Stufen hinauf heben, doch der Unbekannte sträubte sich gewaltsam in seinen Armen.

Roland, rief er mit wahnsinnigem Blicke, Sohn der edeln, schändlicherweise ermordeten Viola, dem ich seine Eltern und alle Rechte seiner glorreichen Geburt entrissen habe, drücke eine verpestete Schlange, die über Deine ganze Familie das scheußlichste Gift ausspie, nicht an Deine unschuldige Brust. Schaudere, ehe Du mich anrührst, und wirf mich zurück auf diese mit meinem verruchten Blute besudelte Erde.

Mit unwillkührlichem Beben hörte der Jüngling des Greises schreckliche Worte an; er hielt ihn für einen unglücklichen Verrückten, ermahnte ihn mit sanftem, theilnehmenden Tone, sich zu beruhigen, und sprach zu ihm:

Es ist mir nicht bekannt, ob Ihr mir irgend Leid zugefügt habt; aber wäre es auch, in diesem erbarmungswürdigen Zustande würde es mir unmöglich sein, Euch meinen Haß fühlen zu lassen, es ist vielmehr mein Wunsch, Euch nach meinen Kräften zu dienen.

Ob ich Dir Leid zugefügt habe? wiederholte der Unbekannte schaudernd und lächelte fürchterlich, ach, konnte ich Dich unglücklicher machen? -- O, warum ist es mir nicht vergönnt, daran zu zweifeln! -- Siehe her, Jüngling, betrachte dieses härne Gewand, das ich unter meiner Rüstung trage, betrachte diese Wunden, die ich mir mit eignen Händen schlug, sieh dieses von Fasten und Buße ausgetrocknete Gesicht. Du wendest Deinen Blick ab, ach, spare Dein Entsetzen für den Verbrecher und nicht für seine Reue auf. Meine Schandthaten übertreffen hundertmal die Strafen, die ich mir auferlegt habe; nie, nie werde ich mich mit meinem Gewissen wieder versöhnen können.

Kein Sterblicher ist vor einem Fehltritte ganz gesichert, keiner ist davon ganz ausgeschlossen, tröstete ihn Roland, aber nur der Himmel allein kann Reue, wie die Eurige ist, einflößen, und wenn er Euch diesen Beweis seiner Gnade hat angedeihen lassen, darf ich, schwaches Geschöpf, es wagen, Euch meine Verzeihung zu verweigern. Beruhigt Euch, sagt mir, wohin ich Euch führen soll, und ob ich wirklich der Sohn der Edeln bin, deren Tod Ihr beweint, erkennet in der Theilnahme, die mich für Euch durchdringt, den Einfluß ihres beseelenden, friedlichen Geistes. Sie sehen in diesem Augenblicke auf uns herab, und befehlen mir, Euch zu trösten und zu helfen.

Allmächtiger Gott, schrie der Unbekannte, entriß sich Roland's Armen und stürzte auf seine Knie. Göttliche Vorsehung, wie unbegreiflich sind Deine Wege und wie unendlich ist Deine Barmherzigkeit! Dieser Jüngling, dieser Engel, der verzeihen will, ist mir von Dir zugeschickt, um das Geständniß meiner Verbrechen zu hören, und meine Reue, die einzige Buße, die mir übrig bleibt, zu empfangen.

Nach diesen Worten blieb er schweigend zu Rolands Füßen, der ihn mit einer Mischung von Ehrfurcht und Schauder betrachtete, liegen, erhob sich nach einer Weile, winkte dem erstaunten Roland und ging langsam in das Schiff der Kirche zurück.

Folge mir, o Du liebenswürdiger, großmüthiger Jüngling, folge dem unbarmherzigen Mörder Deiner himmlischen Mutter, dem treulosen Freunde Deines edeln Vaters, dem Zerstörer Deiner ganzen erlauchten Familie. Der Himmel befiehlt es; folge mir in meine Zelle um dort die Schriften in Empfang zu nehmen, die er selbst für Dich aufbewahrte; sie werden Dir Deine Güter, Deinen Stand und einen Schatz, der kostbarer ist als Alles, einen zärtlichen und wie Du tugendhaften Vater wiedergeben, dessen Stolz und Freude Du sein wirst.

Himmlische Gottheit! rief Roland, ist es wahr, lebt mein Vater noch, werde ich so glücklich sein, ihn wieder zu sehn, -- werde ich dann von der Abhängigkeit des schändlichen Grafen von Vizenza befreit sein?

Er athmete kaum, indem er diese Worte aussprach, und die Antwort des Unbekannten erwartete. Alles sagte ihm, daß er jener geheimnißvolle Vormund sei, der über sein und Mathildens Schicksal gebieterisch herrschte und über den er von Franzisko nur dunkle, verworrene und geflissentlich unverständliche Auskunft hatte erlangen können.

Ja, erwiederte der Unbekannte, Du sollst Deinen Vater wiedersehn, sein Rang gehört zu den ehrenvollsten in der Reihe des neapolitanischen hohen Adels, Du bist mit diesem Ungeheuer, das sich Vizenza nennt, diesem Räuber Deiner Schätze, der beinahe ein eben so großer Verbrecher ist, als ich selbst bin, nicht, verwandt. Sei barmherzig Roland, rief er mit Entsetzen aus, betrachte mich nicht so aufmerksam, Deine Blicke gleichen denen Deiner unglücklichen Mutter zu sehr.

Nach diesen Worten unterbrach ihn das Geräusch eilender Schritte, und noch ehe sie Zeit gewannen sich zu verbergen, erschien Franzisko im Eingange der Kirchenhalle.

Theodor, rief er ängstlich und odemlos, Du hast zu lange Zeit hier verweilt; in einer Vierthelstunde muß Dich Gonzalvo wieder in Deinem Kerker finden, sonst werden alle Deine Hoffnungen auf ewig zertrümmert!

Wie unglücklich bin ich, antwortete mismüthig der Jüngling, daß ich gezwungen werde, mich in einem Augenblicke zu entfernen, wo ich von einem Geheimnisse Kenntniß erhalten sollte, an dessen Entdeckung mir so viel liegt.

Ich widersetze mich seiner Entfernung nicht, sprach der Unbekannte sehr ernst zu Franzisko, weil Ihr ihm sagt, daß sein Vortheil solches heischt; aber Ehre und Freundschaft legen Euch die Verpflichtung auf, ihn morgen früh in meine Zelle zu führen. Ich muß ihm vor meinem Tode noch ein wichtiges Geheimniß anvertrauen; denke daran, Theodor, Dein Glück und das zukünftige Heil meiner Seele hängen davon ab.

Er hatte den Namen Theodor mit besonderm Nachdrucke ausgesprochen, flüsterte dann mit leiser Stimme in Roland's Ohr:

Hüthet Euch; Jemand, wer es auch sein möge, selbst Don Sebastian nicht ausgenommen, einen von den Namen zu nennen, die ich, als wir allein waren, genannt habe.

Hierauf entfernte sich der Ritter und Franzisko, der vor Ungeduld brannte, bis er erfahren hatte, was zwischen Beiden vorgefallen sei, befragte den Jüngling über die Veranlassung und Folgen dieses Zusammentreffens; doch Roland erzählte nur mit wenigen Worten das Umsinken des schwarzen Ritters, so wie seine seltsamen Reden und eilte, in Hippolit wieder umgeformt, schnell in sein Gefängniß zurück.

Ohne Zweifel hat der Leser in der Verkleidung des schwarzen Ritters den Grafen Elfridi sogleich erkannt. Seine frühere Krankheit und der strenge Lebenswandel, den der Unglückliche führte, hatten seine Vernunft zerrüttet; und obschon er sie zuweilen wieder erhielt, so gab es doch Augenblicke, wo sich der Wahnsinn förmlich bei ihm ausbildete, und seine Fantasie sich dann nur mit dem ungewöhnlichsten und schrecklichsten, was er gehört oder gelesen hatte, beschäftigte. In solchen Anfällen von Verrücktheit bildete er sich ein, ein gewisser Ritter zu sein, dessen Lebensgeschichte er in einem alten Manuscripte gelesen, der zu seinen Ahnherrn gehörte, in frühern Jahrhunderten dieses Schloß bewohnt hatte, und sowol durch seine Verbrechen als schwere Buße berüchtigt geworden war; einst fand er eine alte, der Sage nach jenem sündigen Rittersmann zugehörig gewesene schwarze Rüstung, nebst seinem Helme, dessen doppeltes Visir den Vorderkopf eines Gerippes vorstellte, legte beides zuweilen an, und wanderte in diesem sonderbaren, schauderhaften Aufzuge umher, womit er denn auch damals Victorien in der Bibliothek und auf der Treppe erschreckte Siehe Seite 193 der ersten, und Seite 27 des zweiten Bandes.. Zuweilen bedeckte er sein hageres Gesicht mit der Todtenlarve, um auf seinen geheimnißvollen Gängen die unberufenen Beobachter zu verjagen, oft auch, ohne alle Absicht; doch war ihm stets der Anblick der Bewohner des Schlosses verhaßt, und damit er ohne Geräusch auch in der schweren Rüstung umherschleichen konnte, hatte er dicke Filzsohlen unter seinen Füßen befestigt, die den Schall seiner Fußtritte dämpften.

Nach diesem Vorfalle in der Kirche begab sich der listige Dominikaner, der sich Glück wünschte, durch seine Darzwischenkunft noch zur rechten Zeit die Eröffnung gewisser, für Theodor sicherlich höchst wichtiger Entdeckungen, die aber Don Manuels und seiner Bande Sicherheit gefährlich werden konnten, verhindert zu haben, zu dem Unglücklichen in seine Zelle, und bot alle seine Schlauheit, die Macht der vormaligen Freundschaft, alle Kunstgriffe der Ueberredung auf, um den Grafen Elfridi zu vermögen, daß er ihm den Inhalt der von ihm aufbewahrten Schriften und das Geheimniß, dessen Enthüllung er Theodor versprochen hatte, ebenfalls mittheilen mögte; doch Elfridi, welcher in diesem Augenblicke sich des Genusses seines vollen Verstandes erfreuen durfte, der Franzisko's Anhänglichkeit für seinen Sohn Don Manuel kannte, und den daraus entstehenden Misbrauch und die Verfehlung seines eignen Zwecks vorhersah, war auf seiner Huth, und blieb unerbittlich. Franzisko verzichtete daher auf die Hoffnung ihn jetzt zu gewinnen, versprach sich jedoch einen günstigern Erfolg von der Benutzung des vernunftlosen Zustandes seines verschlossenen, mistrauischen Freundes.

Im Laufe der Unterredung ließ Elfridi sich verlauten, daß es für seine Seelenruhe in dieser und jener Welt durchaus unentbehrlich sei, den Sennor Don Sebastian, mit einigen seine eigne Person betreffenden Schriften, die nur in des heiligen Vaters eignen Hände überliefert werden könnten, sobald als möglich nach Rom zu senden, und fügte hinzu, daß aus besondern Gründen dieser Auftrag von Niemandem, außer Don Sebastian erfüllt werden könne. Er bitte ihn daher inständigst, diesem Gefangenen die Freiheit zu verschaffen, das Schloß verlassen zu können: Es sei dieses, sprach er, der größte Dienst, den er ihm leisten könne, die letzte Gefälligkeit, um welche ihn ein alter, am Rande des Grabes weilender Freund bitte; er hoffe, daß der sie ihm nicht verweigern werde. Franzisko erstaunte über dieses seltsame Anliegen; doch verbarg er seine Absichten, und schien die Bitte Elfridi's gewähren zu wollen; wärend er ihm inzwischen unbedenklich versprach, seinen ganzen Einfluß dazu anzuwenden, daß Don Sebastian in den Stand gesetzt werde, den gewünschten Auftrag zu übernehmen, faßte er den Entschluß, selbst mit dem Ueberbringer der Schriften abzureisen, und sich derselben zu bemächtigen, müßte er auch zu den Mitteln greifen, die ihm als Mitglied der Heiligen und mächtigen Inquisition zu Gebote standen. Es war ihm sehr daran gelegen, den Inhalt der Papiere kennen zu lernen, um seine Handlungsweise darnach zu richten, und für die Wohlfahrt seines Sohnes zu sorgen, ohne jedoch dem achtbaren Don Sebastian dadurch zu schaden.

Zu diesem Endzweck begab er sich, sobald er Elfridi verlassen hatte, zu Don Manuel, und benachrichtigte diesen, daß ihn eine sehr wichtige Angelegenheit nöthige, das Schloß zu verlassen und er von ihm im Namen des heiligen Tribunals die Erlaubniß fordere, den Sennor Don Sebastian mit sich zu nehmen, weil ihm derselbe zu dem Erfolge seiner Religions-Verhandlungen, vermöge seiner vollkommnen Kenntniß der orientalischen Sprachen und vorzüglich der hebräischen, unentbehrlich sei. Um allen Einwendungen Don Manuels in voraus zu begegnen, betheuerte er ihm bei seiner väterlichen Liebe, daß Don Sebastians kurze Abwesenheit ihre Verbrüderung nicht der geringsten Gefahr aussehen würde, weil er den Gefangenen nicht einen Augenblick sich selbst überlassen, sondern derselbe stets von einem Familiar der Inquisition begleitet und bewacht, also ausser Stand gesetzt sein werde, einen Versuch zum Entfliehen zu wagen, oder irgend eine Unbedachtsamkeit zu begehen.

Zwar zweifelte Franzisko nicht, daß sein Verlangen durch Einmischung des Namens der heiligen und furchtbaren Inquisition würde bewilligt werden, doch hatte er nicht erwartet, daß solches von Don Manuel mit so viel Bereitwilligkeit geschehen würde. Aber weder Furcht noch Hochachtung oder kindliche Ergebenheit hatten diesesmal Theil an Don Manuels besonderer Willfährigkeit; ein kräftiger Bewegungsgrund vermogte ihn, bei dieser Gelegenheit seine gewöhnliche Vorsicht ausser Acht zu lassen. Nichts konnte ihm erwünschter kommen als seines Vaters und Don Sebastians Reise; es war sogar nothwendig, daß er, um Mathildens Aufenthaltsort zu entdecken, ihre beiden Beschützer entfernt hielt; über die Mittel, dieses zu bewerkstelligen, hatte er auch bereits nachgesonnen, als ihm grade Franzisko selbst die Hand dazu bot, weshalb er denn zur Verstellung greifen mußte, um nur seine Freude unterdrücken zu können.

Franzisko seinerseits folgte ebenfalls seinen Plänen, und zu diesen gehörte, daß er Roland an einer zweiten Zusammenkunft mit Elfridi auch auf dem Wege des Betrugs verhinderte; er ging also angeblich in des unbekannten Ritters Auftrag zu ihm, versicherte dem Jünglinge, daß sein geheimnißvoller Vormund nach langer und reiflicher Erwägung sich entschlossen habe, den Sennor Don Sebastian als Bevollmächtigten nach Rom zu Sr. Heiligkeit abzusenden, daß er, Theodor, sich dorthin begeben und ihn daselbst finden werde, sobald er für Victorien einen sichern und angemessenen Aufenthaltsort aufgefunden habe und daß alsdann Don Sebastian ihm das Geheimniß, seiner Geburt entdecken und ihn seinem Vater und der achtungswerthen Familie, mit welcher er zu leben vom Schicksal bestimmt sei, wiedergeben würde. -- Weil Franzisko indeß besorgte, Roland mögte darauf bestehen, auch Mathilden aus dem Schlosse zu entführen, so fügte er hinzu, der schwarze Ritter habe feierlich betheuert, daß zwischen ihnen Beiden der Verwandschaft Bande nicht vorhanden wären, daß er Mathilden für eine elternlose Waise halte, daß es jedoch möglich sein könnte, von Roland's Vater über die Geburt derselben befriedigendere Aufschlüsse zu erhalten, und daß es endlich für Theodor von der größten Wichtigkeit sei, sobald als möglich in Rom einzutreffen.

Auf diese von Franzisko zum Theil ersonnene Mittheilung gründete sich Roland's Vermuthung, daß Don Sebastians Sendung nach Rom keinen andern Zweck habe, als ihn in eine Lage zu versetzen, die ihm das Recht geben könnte, auf eine Verbindung mit dem Hause des Grafen Ariosto Anspruch zu machen. Die Hoffnung, den dunkeln Schleier, der über seiner Geburt schwebte, zu zerreißen, trieb ihn, als er Hippolits Gestalt auf immer entsagt hatte, zur Reise nach Rom an; zu dieser Ungeduld gesellte sich die Veränderung in Victoriens Betragen gegen ihn, und ihr unveränderlicher Entschluß, der seinem geträumten Glücke den Einsturz drohete, wenn er nicht bald rein von allem Verdachte vor ihr erscheinen konnte.

Nachdem er also die Geliebte den sichern Händen der Priorin von St. Margarita anvertraut hatte, und versichert war, daß der heilkundige Pater Peter für ihre Gesundheit Sorge tragen werde, reisete er in Begleitung des ehrwürdigen Pater Anselm und Thomas mit bitterm Gram im Herzen und der Ungewißheit über sein zukünftiges Schicksal stets vor seinen ängstlichen Blicken, der Bestimmung zu. Leider hatten die Reisenden Pisa kaum erreicht, so harrten ihrer dort schon Nachrichten, die Roland's Betrübniß vermehren und seinen Entschluß ändern mußten.

Drei Tage nach Roland's Flucht aus dem Pyrenäen-Schlosse befand sich Lorenzo allein in seinem Zimmer und dachte mit banger Besorgniß an die theuren Flüchtlinge und den durch die Trennung von ihnen erzeugten Zuwachs seiner Leiden, als plötzlich Elfridi, in der Gestalt des schwarzen Ritters, das Gesicht aber mit dem gewöhnlichen Visir, statt des Todtenkopfes, bedeckt, zu ihm herein trat, schweigend, doch mit zitternder Hand ein versiegeltes Paquet auf den Tisch legte und sich dann schnell wieder entfernte.

Als Lorenzo's Erstaunen über diese seltsame, schreckhafte Erscheinung sich gemäßigt hatte, betrachtete er das ihm auf eine so geheimnißvolle Art zugestellte Paquet und erkannte mit Verwunderung und einer Regung von Freude die Handschrift seines alten Freundes, des Grafen Elfridi, von dem er seit so langen Jahren nichts gehört hatte, und dessen Treulosigkeit er zu ahnen, weit entfernt war. Anfänglich glaubte er in seiner Bestürzung seinen Augen nicht trauen zu dürfen, doch war es wirklich Elfridi's Hand, welche die Ueberschrift:

An Lorenzo, Herzog von Manzfredonia,

geschrieben hatte.

Hastig erbrach er das Siegel, fand unter dem Umschlage einen Brief an den regierenden Pabst und ein Billet mit folgenden Zeilen:

»Wenn Ihr Euch nicht auf ewig ins Verderben stürzen wollt, so entdeckt Niemandem, daß ich Euch geschrieben habe. Morgen werdet Ihr dieses teuflische Schloß verlassen und es nie wiedersehen. -- Verschweigt Eurem Reisegefährten Euren Namen und unsere frühern freundschaftlichen Verhältnisse sorgfältig. Kann Eure fromme Barmherzigkeit das Seelenheil eines reuigen, zerknirschten Sünders wünschen, so erfüllt gewissenhaft meine Bitte: Verwahrt den eingeschlossenen Brief gleich dem kostbarsten Kleinod auf Erden und gebt ihn nicht eher aus Euren Händen, bis ihr ihn selbst vor dem Stuhle des heiligen Papstes in Rom niederlegen könnt. Er enthält Euer Schicksal; durch diesen Brief werdet Ihr zu Eurer Freiheit, Eurem Range, Eurer edeln Familie, die Eurer so würdig ist, zu alle dem Glücke, welches der verworfenste der Menschen Euch nicht hat rauben können, wieder gelangen.«

Dieser seltsame Inhalt vermehrte Lorenzo's freudige Bestürzung; er konnte sich nicht entschließen, zur Ruhe zu gehen. Mit Nachsinnen und in Betrachtungen über diese wunderbare Begebenheit vertieft, durchwachte er die Nacht; so fand ihn der Morgen und mit ihm Franzisko, der ihn zu benachrichtigen kam, daß der Augenblick der Abreise nahe sei, und Don Sebastian ihn begleiten solle. Lorenzo glaubte zu träumen; voll Furcht und Hoffnung, voll Zweifel und Verwunderung fühlte er seine Brust beengt und seine Glieder gelähmt; auch fand er erst nach vieler Anstrengung Kraft und Muth, die ihm aufgetragene Sendung zu übernehmen. -- Gegen Abend verließ er mit Franzisko das Schloß, und zwei Familiare der Inquisition begleiteten die Reisenden.

Elfridi hatte seinem ehemaligen Freunde Franzisko nicht verschwiegen, daß er selbst die bewußten Schriften dem Sennor Don Sebastian überliefert habe. Der Mönch fand in der Veranlassung zu dieser Wahl keinen andern Grund als Elfridi's Ueberzeugung von der seltenen Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit des Gefangenen; und da er darauf rechnete, daß er sich des Paquets bemächtigen könnte, sobald er es für nöthig hielt, so verschob er aus ganz gleichgültigen Ursachen die Ausführung dieses Plans bis zu ihrer Ankunft in den päpstlichen Staaten.

Das mehrmals erwähnte Paquet, war jedoch nicht jenes, was der sterbende, Elfridi später Victorien anvertraute, sondern ein einfacher Brief an den Papst, den Elfridi wärend seiner Anwesenheit in Rom oftmalen gesprochen hatte, und in welchem er Seine Heiligkeit dringend bat, den Ueberbringer des Schreibens sogleich gegen alle Art von Verrätherei oder Gewaltthätigkeit in Schutz zu nehmen, und zu befehlen, daß man ihn mit der Ehrerbietung, die sein Rang und seine Verdienste heischten, behandle, ferner den Dominikaner Franzisko Gassendi und seine beiden Begleiter als Gefangene in Rom zurückzuhalten, ihnen jede Verbindung mit andern und allen Briefwechsel zu untersagen, einen Bevollmächtigten nach dem Dominikanerkloster in Gerona zu schicken, damit sich dieser nach Franzisko's Felsenzelle geleiten lassen könnte, wo er, Elfridi, sich unfehlbar einfinden, und dem Bevollmächtigten wichtige Geheimnisse entdecken werde, von denen das Schicksal einer bedeutenden Anzahl schuldloser und achtungswerther Individuen, so wie die Sicherheit der menschlichen Gesellschaft überhaupt abhängig sei.

Lorenzo, der Mönch und ihre Begleitung durchreiseten Frankreich und Italien ohne Abentheuer und so schnell als möglich; auf dem Wege von Genua nach Lukka aber zerbrach ihr Wagen, und Franzisko erhielt eine so bedeutende Beschädigung am Arme, daß er genöthigt war, die Fortsetzung seiner Reise aufzuschieben, und mit den Uebrigen in einem Kloster unweit der letztern Stadt zurück zu bleiben. Hier traf ihn ein Eilbothe aus Spanien, der ihn ohne diesen Unfall nicht würde eingeholt haben. Dieser Eilbote war von der Priorin eines Klosters in Jonquiera, wo er den Tag vor seiner Abreise Mathilden in der Ueberzeugung, daß Niemand Kenntniß davon erhalten würde, einen Aufenthalt verschafft hatte, an ihn abgeschickt. Sobald er den überbrachten niederschlagenden Brief gelesen, reisete er, obschon seine Wunde noch nicht völlig geheilt war, unverzüglich mit Don Sebastian und seinem Gefolge nach Pisa ab, in der Absicht, sich dort zur Rückkehr nach Spanien einzuschiffen.

 


Sechszehntes Kapitel.

Der Mönch Guzman trachtete nach der Erreichung eines doppelten Ziels, das er auch keinen Augenblick aus dem Gesichtskreise verlohr; erstens dem Pater Franzisko zu schaden, und dann Don Manuels Gunst sich dadurch zu erwerben, daß er ihm zu dem Besitze der schönen Mathilde verhalf; und um nun seine zwiefache Absicht nicht zu verfehlen, so beobachtete der neidische Pfaffe im geheim lauschend alle Schritte und Handlungen seines Feindes, der kein Mistrauen in ihn zu setzen, bisher Veranlassung gefunden hatte. Er rechnete sehr richtig darauf, daß Franzisko vor dem Antritte einer so langen Reise, seine Pflegetochter ohne Zweifel besuchen werde; dieserhalb schärfte er seine Wachsamkeit; und da er jenen nach einem andern Nonnenkloster sich begeben sah, so schloß er daraus, daß dieses Kloster Mathilden zum Aufenthalte dienen müsse, überzeugte sich auch bald nachher, daß sein Schluß gegründet sei. Nach dieser Entdeckung beschäftigte sich sein boßhafter Geist nur mit dem Erdenken der Mittel, die ihm zur Entführung der schönen Kostgängerin dienen konnten.

Ohne viele Mühe verführte er durch Versprechung demnächstiger Beförderung zum geistlichen Stande, eine Layenschwester, welche den Reisenden gewöhnlich die Merkwürdigkeiten der Kirche zeigte, und bewog diese, Mathilden zu überreden, nach dem Gottesdienste in der Kirche zu verweilen, um dort eine sehenswerthe Prozession von Pilgrimmen zu schauen, die nach Loretto wallfahrteten, vorher aber die Ueberreste einer sehr verehrten Heiligen, welche das Kloster als Reliquie besaß, zu sehen wünschten. Man kann nun füglich errathen, daß die angeblichen frommen Wallfahrer niemand anders als Don Manuel und ein Theil seiner gottlosen Rotte waren. Kaum waren sie am Abende in die Kirche eingezogen, so fielen sie über die Layenschwester und die anwesenden Nonnen her, verstopften ihnen den Mund, banden sie an die Säulen der Kirche, und schleppten Mathilden, die beim Anblicke der Mishandlungen, welche ihren Klosterschwestern widerfuhren, ohnmächtig niedergesunken war, mit sich fort.

Als Franzisko diese schreckliche Nachricht erhielt, erkannte er den Anstifter der Entführung sogleich, und fand hierin zu seinem Leidwesen den Beweis, daß seines Sohnes Absichten mit Mathilden keinesweges zu den reintugendhaften gehörten. Unter dem Vorgeben, daß er jetzt des Beistandes seines Begleiters vorzüglich bedürfe, verhinderte er Sebastian, seine Reise nach Rom allein fortzusetzen, und dieser, den Mathildens Schicksal eben so lebhaft beängstigte, widersetzte sich dem Willen seines Führers nicht.

Bei ihrer Durchreise durch Pisa verweilten sie eine Weile in der Schenke, wo einige Augenblicke zuvor Roland mit dem Pater Anselm und Thomas auf ihrer Reise nach Rom angelangt waren. Wärend Franzisko und Roland, über dieses glückliche und unerwartete Zusammentreffen entzückt, sich zu einer geheimen Unterredung in ein besonderes Zimmer zurückgezogen hatten und Thomas in den Hafen geschickt war, blieben Lorenzo und Anselm allein. Schon vom ersten Augenblicke an, hatte des Greises edles und ehrwürdiges Ansehn die Aufmerksamkeit des Paters gefesselt; kaum hatte der vormalige Kaplan Rinaldo aber den Fremden länger und prüfender betrachtet, so konnte er, ungeachtet Alter und Leiden Lorenzo's blühende Züge verändert und entstellt hatten, einen alten tugendhaften Freund, seinen würdigen Beschützer, den Herzog von Manfredonia, dessen Gebeine er vor langen Jahren schon in das Grabgewölbe seiner Vorfahren begleitet zu haben glaubte, und jener den guten, menschenfreundlichen Pater Rinaldo nicht verkennen. Ihre Empfindungen bei dieser Entdeckung, die den Pater Anselm beim Anblicke des todtgeglaubten in stärkerem Grade als den Herzog überraschte, drückte sich durch Thränen der Rührung und Freude sprechend aus; und lange hielten sie sich stumm umarmt, ehe Lorenzo die Besorgniß, verrathen zu werden, aus des treuen Freundes Armen riß. Mit wenigen Worten entdeckte er ihm, daß seine bisherige Existenz und sein zukünftiges Schicksal im Dunkel des Geheimnisses noch begraben liege, und daß er sich sorgsam hüthen müsse, weder seinen Namen auszusprechen, noch den Verdacht zu erregen, daß sie sich einst gekannt hätten. Der Pater Rinaldo versprach vorsichtig zu sein, so viele Ueberwindung es ihm auch kosten mögte, die Sprache seiner Gefühle zum Schweigen zu zwingen; doch entschloß er sich, seinen edlen Freund nicht aus den Augen zu verlieren; und im Falle der Gefahr die Macht der weltlichen und geistlichen Gesetze anzurufen, um ihn aus den Händen seiner Verfolger zu befreien und zum Wiederbesitz seines geraubten Vermögens zu verhelfen.

Gegen Abend lief das Schiff in den Hafen von Rosa's ein. Franzisko versah Lorenzo, Roland und Thomas mit Mönchsgewändern, und verließ sie dann mit dem Versprechen, sie in seiner Felsenhöhle, wohin Roland seine Begleiter auf einem ihm bekannten heimlichen Pfade führen sollte, in der Nacht zu erwarten. Aber der schändliche Guzman von des Dominikaners Rückkehr unterrichtet, hatte ihre Fährte aufgespürt, wählte alle Arten von Verkleidungen, folgte alle ihren Schritten; und kaum war er gewiß, daß sie ihm nicht mehr entgehen würden, so benachrichtigte er Don Manuel von der drohenden Gefahr und zeigte ihm den Ort an, wo er sich der treulosen Reisenden, die im nächtlichen Dunkel dem Schlosse nur Verderben bereiten wollten, bemächtigen konnte.

Roland und seine treuen, aber ermüdeten Reisegefährten wurden bei Nachtzeit in der Hütte des Ziegenhirthen, der ihnen Obdach gegeben, überfallen Siehe Seite 350 des zweiten Bandes. [In der Vorlage fälschlich »des dritten Bandes«. -- D.Hg.], in das furchtbare Raubschloß zurückgeschleppt, und dort den grausamen Händen des frohlockenden Garzias überliefert. Der Pater Rinaldo ward auf seinen Befehl in ein gewöhnliches Gefängniß eingesperrt, Lorenzo erhielt den nördlichen Thurm zu seinem Kerker, aber für Roland hatte sein unversöhnlichster Feind die schrecklichste Rache, den Hungertod, ausgedacht. Einige Worte, die der gefangenen Mathilde in einem Anfalle von Verzweiflung entschlüpft waren, hatten Garzias verrathen, daß Victoriens Befreier, der Neger Hippolit, und Theodor nur eine und dieselbe Person sei, und diese Entdeckung seinen Haß noch mehr vergiftet. Er ließ sein Opfer in den gräßlichen Kanal hinabsenken; wie ein Verzweifelter vertheidigte sich Roland gegen seine Henker, verwundete sogar einige von ihnen, erhielt aber selbst einen leichten Stich in den Arm, den er mit Victoriens Tuche verband, und mußte der Uebermacht unterliegen. Man fesselte ihn an den eisernen Mordstuhl; beim Ringen des Wehrlosen mit den erbitterten Banditen, blieb ein Fetzen von dem Tuche an der Höllenmaschine hängen, und ward in den Händen der Vorsehung ein Werkzeug zur Befreiung des unglücklichen Jünglings, den Victoria in dem Augenblicke, wo der letzte Lebensrest dem Dolche des Mörders geopfert werden sollte, vom Tode rettete.

Mit steigender Unruhe erwartete Franzisko seine Freunde die Nacht über; und kaum dämmerte das Morgenlicht vor seiner Grotte, so kehrte er nach Rosas zurück; als er aber hier erfuhr, daß sie bereits am Abende des verflossenen Tages abgegangen waren, so überstieg seine Besorgniß und sein Schmerz alle Grenzen. Demungeachtet vernachlässigte er nichts, das Schicksal der Verschwundenen zu ergründen; doch dieses Mal wollte es seinem Eifer und seinem Scharfblicke, verbunden mit seiner genauen Bekanntschaft aller Schlupfwinkel im Schlosse, aller Mühe und Rastlosigkeit ungeachtet nicht gelingen, die geringste Spur von ihnen zu entdecken.

Wärend dieser Zeit war Mathilde in einem von Don Manuel selbst bewachten Gemache, das Franzisko, weil es nicht zu den verborgenen gehörte, unbeachtet gelassen hatte, eingeschlossen gewesen. Ihre Verfolger glaubten, daß sie Roland liebe; deshalb behagte es dem grausamen Garzias, ihr die Einkerkerung des Jünglings und seines Lehrers Sebastian mit der Drohung anzukündigen, daß man entschlossen sei, Beide zu ermorden, sobald sie sich noch länger weigern würde, dem Willen ihrer Mutter, die sie als Erbtheil dem Don Manuel zur Gattin bestimmt habe, zu gehorchen; und zu ihrer endlichen Entschließung verstattete er ihr einige Stunden Bedenkzeit. Anfänglich schwankte die Unglückliche in der grausamsten Angst; aber ihre ungewöhnliche Geistesstärke konnten Garzias Drohungen nur erschüttern, nicht aber besiegen. Sie erinnerte sich aus Roland's Erzählungen der schrecklichen Prüfungen, die Victoria auf Don Manuels Befehl bestanden hatte, und die nur in der Absicht ersonnen waren, um diese zu ängstigen und zu einer Verbindung mit dem Grafen von Vizenza zu zwingen; die vorgebliche Einkerkerung ihrer vielleicht im Hafen der Ruhe weilenden Freunde däuchten ihr so unwahrscheinlich, daß sie solche zuletzt für ein lügenhaftes Schreckmittel hielt und Garzias, hämischen Betheurungen keinen Glauben beimaß. Ihre hartnäckige Weigerung und der unverheimlichte Abscheu, womit sie Don Manuels Liebesanträge von sich stieß, erbitterte diesen endlich so sehr, daß seine Liebe sich in Wuth und Haß verwandelten und er die Unglückliche in ein Gefängniß des nördlichen Thurms mit eigner Hand einkerkerte.

Franzisko blieb indeß in seinen Nachsuchungen, seinem Umherschleichen und Lauschen unermüdet, obschon sie ihn dem Ziele nicht näherten; zuletzt blieb ihm nichts übrig, als Don Manuel und Garzias zur Rede zu stellen und die Verschwundenen von diesen zu fordern; er drohete ihnen sogar mit dem Gewichte seiner Rache, sobald sie sich länger weigern würden, ihm seine Freunde auszuliefern; aber Beide beharrten übereinstimmend bei der Behauptung, von dem Schicksale derjenigen, die er ihnen nannte, nicht die geringste Kunde zu haben.

Den Dominikaner konnte dieses verabredete Läugnen nicht bethören; er war vom Gegentheile ihrer Versicherungen überzeugt und mit dem Ungestüm eines Mannes, der sich nicht geduldig betrügen lassen will, überhäufte er seinen Sohn mit bittern Vorwürfen; dieser antwortete trotzig, und der Wortwechsel erhitzte sich dermaßen, daß sie sich noch immer zankend mit dem festen Vorsatze trennten, alle Gemeinschaft aufzuheben und sich nie wiederzusehen. Kaum hatte sich der erboßte Franzisko in seine Zelle zurückbegeben, so berief man ihn nach Gerona zu einer Versammlung der heiligen Inquisition.

Schon seit drei Tagen war die Sitzung des furchtbaren Tribunals eröffnet, und noch hatte die Unruhe seines Geistes ihm nicht erlaubt dort zu erscheinen; wie konnte er auch nur ahnen, daß er selbst an der Angelegenheit, welche man in diesem Augenblicke dort verhandelte, so nahen Antheil haben könnte?

Thomas und Diego's Aussagen gaben ihm den ersten Begriff von der Gefahr, in der sein Sohn schwebte; nun vergaß er seinen Grimm und fühlte, daß dieser Sohn doch seinem väterlichen Herzen immer theuer sei. -- Aber, wie konnte er ihn retten? -- Die auf Verfügung der Inquisition gegen Don Manuel ergriffenen, von dem Vater als Mitglied des Gerichts gebilligten Maasregeln machten ihn beben, und kaum konnte er seine Angst verbergen.

Als einer der ersten Beamten des heiligen Offiziums in Gerona durfte er die Sitzungen nicht verlassen, sah sich von Spionen und Feinden, die seinen Einfluß längst mit neidischem Auge betrachtet hatten, umgeben, und mußte mit jedem Worte, das er zum Verderben des Raubstaats aussprach, sein Gefühl verläugnen und die Aufmerksamkeit seiner Amtsbrüder, die ihn mit richterlichem Scharfblick unaufhörlich umgaben, täuschen; verrieth er sich, so war er verlohren, und gelang es ihm nicht, den Sohn von dem Ungewitter, daß sich über dem Pyrenäen-Schlosse zusammen zog, zeitig genug zu benachrichtigen, so erhielt dieser auf dem Blutgerüste unfehlbar den Lohn für seine Thaten.

In dieser schrecklichen Stimmung schloß er sich an die nach dem Pyrenäen-Schlosse ziehende furchtbare Prozession mit an. Die Nacht war stürmisch und rabenschwarz; der unglückliche Vater, dessen Angst mit jedem Augenblicke wuchs, konnte dem Drange seiner Gefühle nicht widerstehen; zitternd benützte er die Finsterniß, entschlüpfte leise aus der Reihe des still fortziehenden furchtbaren Trupps, blieb zurück, warf sich, als ihn die Vorübergezogenen nicht mehr hören konnten, in einen kaum gangbaren Nebenpfad, der den Weg zum Schlosse abkürzte, rannte odemlos durch seine Grotte in das mittlere Gewölbe und schlug mit Vereinigung aller Kräfte die gräßliche Lermtrommel. Dann eilte er in Schweiß gebadet nach dem Zimmer seines Sohnes; seine Amtskleidung als Inquisitor, seine Blässe, sein verstörtes Ansehn und sein Beben galten als unwiderlegbarer Beweis für die Wahrheit der von ihm überbrachten schrecklichen Nachricht. Er trieb seinen Sohn zur Eile, umarmte ihn stürmisch, sagte ihm Lebewohl und stürzte davon. Im Gange stieß er auf die ohnmächtige Therese; sie erregte sein Mitleid, doch konnte er für sie weiter nichts thun, als daß er sie vom Boden aufhob, und in Don Sebastians ehemalige Zimmer trug, wo er sie aufs Bette warf, und dann im Finstern wieder zurückeilte, den Zug der Inquisitoren am Fuße des Felsenwalles erreichte, sich ungesehen in ihre Reihe einschlich und nach einer Weile seine frühere Ruhe wieder erhielt.

Nach Franzisko's Entfernung versammelte Don Manuel eilig seine Räuber, und kündigte ihnen die nahe Gefahr und die Unmöglichkeit an, Widerstand zu leisten und das Schloß zu behaupten, weil sie Opfer des Verraths und ihre unterirrdischen Zugänge ihren Feinden bekannt wären.

Bei dieser schrecklichen Kunde ergriff Angst und Bestürzung alle Gemüther. Verwirrung und Unordnung waren unvermeidlich und wurden bald allgemein; jeder dächte nur an seine eigne Rettung, und in wilder Flucht retteten sich die Glieder der aufgelößten Bande auf verschiedenen Wegen, selbst ihr unerschrockener Chef; vom Strome und der Nothwendigkeit, den rächenden Händen der Inquisition zu entfliehen, fortgerissen, stürzte [dieser] knirschend den Uebrigen nach und vergaß mit seiner Leidenschaft für Mathilden auch die Pflichten der Menschlichkeit; denn er gab das unglückliche Geschöpf, dessen Kerker nur der Zufall früh genug entdecken konnte, dem Hungertode preis.

Kaum von seiner Wunde genesen, flüchtete sich der Graf von Vizenza mit seinem würdigen Busenfreunde Garzias in eine tiefe, am Rande des Meers gelegene und durch hohe Felsenmasse verdeckte Höhle; hier blieben sie den Tag über, doch die Ueberzeugung, daß ihre Spur unentdeckt geblieben sei, beruhigte sie etwas und der Hunger zwang sie endlich, solche zu verlassen; zufällig gewahrten sie ein nicht weit davon angebundenes Fahrzeug und entschlossen sich, ihr Leben dem Willen des Meeres eher anzuvertrauen, als sich den Händen der unerbittlichen Inquisitoren zu überliefern. Doch ungeachtet ihrer ängstlichen Eilfertigkeit, beredeten sich die beiden Ungeheuer, vor ihrer Abfahrt von der Küste noch ein neues Verbrechen zu begehen, das ihre Schandthaten in den Pyrenäen beschließen sollte. Polidor hatte durch seine Anhänger in Frankreich Victoriens Vermälung erfahren; und obgleich er sich immer noch für des vermeinten Grafen Urbino's Vater hielt, so verstärkte doch die Eifersucht sowohl als auch die von jenem erhaltene gefährliche Wunde seinen Haß gegen Elwirens Sohn, und er dürstete nach Roland's Blute mehr noch als der unversöhnliche Garzias.

Dieser kannte einen in der Ebbezeit gangbaren, schlüpfrigen Klippenpfad, auf welchem man durch die Felsenhöhlung bis zu Roland's Kerker gelangen konnte. Die beiden Mörder, fest entschlossen ihren Durst nach Rache zu sättigen, ließen sich durch das Mühsame und Gefährliche des Pfades nicht abschrecken, erreichten auch mit einiger Vorsicht das unterirrdische Gefängniß des halbentseelten Jünglings, und der Unmensch zückte den Dolch gegen die wehrlose Brust; aber der Himmel, welcher auch Victorien den Weg zu ihm gezeigt hatte, ließ sie dort zum Schutz des Schwachen vor ihnen anfangen, durch ihre plötzliche geisterhafte Erscheinung den schrecklichen Mord verhüthen und die Mörder verjagen, die Violens blutigen Schatten zu erblicken glaubten, der zur Beschützung des Unglücklichen die Gruft verlassen zu haben schien, und ihnen Verderben drohete. Von Entsetzen angetrieben flohen sie mit unruhigem Gewissen bis zu ihrer Barke, warfen sich in das von der rächenden Hand der Vorsehung geführte zerbrechliche Fahrzeug und segelten ihrem Untergange entgegen, wie wir es bald sehen werden.

 


Siebenzehntes Kapitel.

Ungeachtet der wiederholten Betheurungen seines Sohnes und Garzias blieb Franzisko doch überzeugt, daß seine Freunde in irgend einem Kerker des Schlosses schmachteten; und da er sich erinnerte, daß Elfridi vor seiner Bekehrung jenen mehrere künstlich versteckte, zur Einkerkerung von Unglücklichen geeignete Orte überwiesen hatte, so gerieth er auf den Einfall, Victorien zu diesem Greise, den er seit seiner Rückkehr aus Italien nicht besucht hatte, zu führen. Nach seiner letzten Unterredung mit ihm und mehr noch dadurch, daß er wider sein Versprechen den Sennor Don Sebastian nach Rom hatte begleiten wollen, mußte er in Elfridi's Geiste sicher Verdacht erregt haben und durfte daher auf sein Zutrauen nicht weiter rechnen; doch hoffte Franzisko, daß Victoriens Jugend, ihre Schönheit, ihr Schmerz und vorzüglich ihr edles Bestreben, den Gemal zu retten, von dem zum Guten gestimmten Greise jede gewünschte Auskunft erhalten würden.

Der Weg durch die Kirche war ihm durch die Anwesenheit der Inquisitoren, die er sorgfältig vermeiden mußte, versperrt; deshalb führte er Victorien auf beschwerlichen Pfaden durch Felsenhöhlen und über Abgründe nach Elfridi's Zelle. Seine mehrtägige Unruhe über das Schicksal seines Sohnes wie auch seine Besorgniß für seine eigne Sicherheit und die ungewisse Zukunft, hatten alle seine Leidenschaften in eine dumpfe Gährung versetzt, und ließen ihn in öftern Augenblicken Victorien als die Ursache aller seiner Leiden betrachten. Dann starrte er sie mit schrecklichen Augen an und schien ihr ein grausames Wesen; aber seine Menschlichkeit und der Gedanke, die Gattin seines theuren Pflegesohnes zu betrüben, die selbst den Drangsalen kaum gewachsen war und eher sein Mitleid als seinen Zorn verdiente, söhnte ihn wieder mit ihr aus, und er schämte sich seiner ungerechten Erbitterung.

Um auf dem Wege, den er einzuschlagen gezwungen gewesen war, Elfridi's Felsenwohnung aufzufinden, mußte er vor dem Gewölbe, worin man die geraubten Schätze der Bande aufbewahrte, vorüber. Dieser Ort war nur Don Manuel und einigen Auserwählten bekannt, und durch seine schreckliche Lage im Mittelpunkte unbesteigbarer schroffer Felsen vor jedem Angriffe vertheidigt. Da indeß die Möglichkeit nicht zu bestreiten war, daß von der Meeresseite der Zufall einen Seefahrer auf die Klippen werfen und dieser, um sein Leben zu retten, fortklimmend bis zu der verborgenen Schafkammer dringen konnte, so hatte man, ungeachtet der natürlichen Schrecknisse, deren Bezirk noch mit den schauderhaften Gegenständen umkreiset. Alle Geheimnisse der Mechanik und Chemie waren erschöpft, die schauderhaftesten Zurüstungen aufzustellen, und den Kühnen von weitern Versuchen, den Ort kennen zu lernen, abzuschrecken. An der Thür des Vorzimmers flammten mit immer brennendem Phosphor die Worte:

Gemach des Todes,

und mit dem in demselben befindlichen Zauberwerk, hatte es folgende künstliche, doch natürliche Bewandniß.

Ein sehr geschickter Mechanicker aus Genf, war einst auf seiner Reise nach Neapel, wo er seine Kunstwerke zur Schau zu stellen, beabsichtigte, von Don Manuels Bande aufgegriffen, geplündert und nach dem Schlosse geschleppt. Garzias benutzte dieses unglücklichen Künstlers seltne Fähigkeiten, ließ von ihm den großen Mechanismus verfertigen, den Victoria damals mit Entsetzen, erblickte Siehe Seite 19 des dritten Bandes.; und als die Arbeit beendigt war, so schloß er den Schöpfer des Kunstwerks in ein Nebenzimmer, wo alle Federn desselben conzentrirt zusammen liefen, ein, und zwang ihn dort sein Leben zu beschließen, um im Falle der Annäherung eines Ungeweihten die Maschine in Bewegung zu setzen. Der Pfeil des Automaten war mit einer so starken Dosis Electrizität geladen, daß er auch den Stärksten, den er berührte, betäubt zur Erde warf. Der unglückliche Gefangene, dem aus Liebe zum Leben keine Wahl übrig blieb und dem mit Ausnahme der Freiheit nichts fehlte, unterwarf sich dem Willen seines drohenden Tyrannen mit Geduld und erfüllte sein trauriges Amt mit strenger Pünktlichkeit.

Franzisko kannte alle Geheimnisse dieses Orts, aber sein Geist war zu sehr mit wichtigern Gegenständen beschäftigt und er selbst zu ungeduldig, Elfridi's Zelle zu erreichen, daß er nicht daran dachte den Schlag des electrischen Pfeils zu vermeiden, den ihm das Gerippe entgegen streckte; deshalb erhielt er eine heftige Erschütterung und stürzte ohne Besinnung zu Boden.

Als die Wirkung verflogen war und er sich allein sah, benutzte er die von Victorien zurückgelassene Laterne und folgte der im feuchten Sande eingedrückten Spur ihrer Schritte bis in Elfridi's Gemach, wüthend, daß sie ihm zuvorgekommen war und vielleicht seine Absicht, wenn gleich ohne ihr Verschulden, vereitelt hatte.

Elfridi's Leben schien sich mit raschen Schritten seiner Auflösung zu nähern; sobald er dem Herzoge das bewußte Paquet zugestellt hatte, fühlte er sich ruhiger, aber matter, verließ aus Kraftlosigkeit nur selten seine Zelle und sah seine wenigen Kräfte mit jedem Tage schwinden, so daß er befürchten mußte, bald nicht mehr nach Franzisko's Grotte kriechen zu können, um dort den Abgesandten des Papstes zu empfangen, der, vorausgesetzt daß Don Sebastian das Ziel seiner Reise glücklich erreicht haben würde, seiner Berechnung nach in einigen Wochen dort eintreffen mußte. Diese Angst vergrößerte sein Uebel und vermehrte mit jeder Stunde seine Mattigkeit; doch behielt er noch so viel Kraft, daß er mit Anstrengung nach dem Orte wankte, wo er die wichtigen Papiere, den unaufhörlichen Gegenstand seiner Unruhe vergraben hatte. Sorgfältig nahm er sie mit sich in seine Zelle, versteckte sie unter seiner Matte und bestürmte den Himmel täglich mit Bitten, daß er ihn in den Stand setzen mögte, sie sichern und tugendhaften Händen zu überliefern. Auf sein elendes Lager hingestreckt, aller Hülfe und selbst der ärmlichen Nahrung, die er nach Gago's Tode von Franzisko erhalten hatte, oder sich selbst verschaffte, beraubt, durchjammerte er die letzten Tage seines traurigen Lebens im hülflosesten Zustande, bis seine Glieder im nahenden Todeskampfe langsam abstarben. Endlich erhörte der Himmel sein inbrünstiges Flehen und schickte ihm Victoria, die das kostbare Kleinod erhielt, welches einige Augenblicke später in Franzisko's Hände gefallen und von diesem aus blinder Zärtlichkeit für den strafbaren Sohn der rechtmäßigen Bestimmung sicher entzogen sein würde. So aber wachte die Vorsehung über die Wohlfahrt der Unschuld und reichte Victorien den Faden, der sie an das Ziel ihrer ratlosen Bemühungen leiten und ihre muthige Ausdauer belohnen sollte.

Der glückliche Erfolg, womit die Unternehmung gekrönt wurde, löschte in Franzisko's Seele jedes Gefühl von Wuth und Haß. Sein angebornes mitleidiges Herz überließ sich mit Aufrichtigkeit der Freude, alle seine Freunde gerettet zu sehen; aber in der gefährlichen Lage, worin er sich befand, durfte er es nicht wagen, sichtbar zu werden Seine sorgfältigsten Nachsuchungen in Elfridi's Zelle und unter seinen hinterlassenen dürftigen Effecten ließen ihn kein Papier entdecken, das auf Theodor's und Mathildens Geburt Bezug haben konnte; er zitterte, wenn er an die Schilderung dachte, die der reuige, mit ihm zerfallene Elfridi von ihm entworfen haben konnte; und da er überzeugt war, daß dieser Schriften zurückgelassen habe, so peinigte ihn die Unruhe, bis er ihren Besitzer ausspähen konnte.

Demungeachtet konnte er das Verlangen, seinen lieben Theodor wiederzusehen, nicht länger unterdrücken; er hoffte sogar, daß er von diesem einige Aufklärung über den Gegenstand seiner Angst würde erhalten können; inzwischen durften die übrigen Bewohner des Schlosses seine Anwesenheit daselbst nicht ahnden; dieserhalb erdachte er ein zuverlässiges Mittel, den Jüngling zu einer geheimen Unterredung vorzubereiten, indem er durch eine in der Decke des Zimmers befindliche Fallthür ein zu diesem Behufe geschriebenes Billet herabfallen ließ Siehe Seite 129 des dritten Bandes..

Roland's trübseelige Stimmung mußte dieser geheimnißvolle Wink seines verschwundenen Wohlthäters, den er für eine günstige Vorbedeutung hielt, schnell in Freude umwandeln. In seiner letzten Unterredung mit Mathilden, hatte diese ihm ihre Besorgniß mitgetheilt, daß Franzisko allem Anschein nach, auf immer verschwunden und mit ihm der einzige Lichtstrahl erloschen sei, der das, ihr beiderseitiges Schicksal umhüllende Dunkel hätte erhellen können. Franzisko nun wiederzufinden, ihn in seiner Nähe zu wissen, schien für den armen Roland in seinen damaligen peinlichen Verhältnissen ein unschätzbares Glück. Das Geheimniß seiner Geburt war mit den Empfindungen seines Herzens eng verbunden, denn von ihm hing die Bestätigung seiner Vermälung mit Victorien ab; er eilte daher voll Ungeduld nach dem, ihm von Franzisko bezeichneten Orte; doch leider konnte diese Zusammenkunft, von der er sich so viele Vortheile versprach, die aber beide Theile nicht befriedigte, nur die Qual seiner Ungewißheit vermehren. Franzisko unterrichtete ihn von dem Tode des Grafen Elfridi und der Unmöglichkeit, ein kostbares Manuscript, welches ohne Zweifel den Schlüssel zu dem Geheimnisse seiner Geburt enthalte, aufzufinden; auch erfuhr er von dem Dominikaner, daß Elfridi dem Sennor Sebastian ebenfalls Briefe mit dem gemessenen Auftrage anvertraut habe, solche nur den Händen des heiligen Vaters in Rom allein zu überliefern. Nun ging Roland's letzte Hoffnung von Franzisko auf Don Sebastian über, und er beschloß, zu ihm zu gehen, sobald jener wieder hergestellt sein würde; weil es indeß ungewiß blieb, ob es ihm je erlaubt sein mögte, sich bis zu der Familie Ariosto empor zu schwingen und auf eine Verbindung mit ihr Anspruch zu machen, so untersagte er sich bis dahin aus Delikatesse alles Umgangs mit Victorien und ihrem Bruder und ließ in seiner Einsamkeit den trostsprechenden Gedanken nicht entweichen, daß die Vorsehung, die ihm in so mancher Gefahr schützend zur Seite gestanden hatte, ihn auch jetzt, wo über das Glück seines Lebens entschieden werden sollte, nicht verlassen würde.

Da erschien der Tag, wo er alle seine Leiden in den Schooß seines ehrwürdigen Freundes niederlegte und wo dieser Freund, von seinen Schwüren entbunden, nun auch ihm seinen Namen und sein unglückliches Schicksal entdeckte. Noch wußte der Greis nicht, mit welchen heiligen Rechten der Graf Urbino seine Zärtlichkeit verlangen konnte, doch von einer Neigung, deren Quelle ihm unbekannt war, zu seinem Zöglinge hingezogen, hatte er sich bereits entschlossen, ihn vor seiner zweiten Abreise nach Rom, wohin ihn Elfridi's Auftrag sandte, zu seinem Sohne anzunehmen. Auch hegte er die Absicht, für Mathilden zu sorgen, wiewol er sich gegen sie noch nicht erklärt hatte; dieserhalb fand die Unglückliche, da sie sich von Franzisko verlassen glaubte, obgleich sie auf Theodors und Sebastians Freundschaft rechnen konnte, es dennoch für rathsamer und angemessener, von Victorien Schutz zu erbitten; vielleicht mogte auch ihre geheime Neigung für Alfons bei diesem Entschlusse mitwirken. Endlich hob das von Victorien dem Geliebten überreichte schriftliche Geständniß des Grafen Elfridi und die beigefügten beweisführenden Original-Dokumente alle Zweifel, enthüllten alle Geheimnisse und ließen in einem Augenblicke den unglücklichen Herzog von Manfredonia aus dem Abgrund von Drangsalen aller Art den höchsten Gipfel des irdischen Glücks erreichen, das ihm nach so herben Verlusten im Greisenalter noch zu Theil werden konnte.

Ende der Geschichte des Herzogs
von Manfredonia.

 


Achtzehntes Kapitel.

Alfons und Victoria verzögerten aus Freundschaft für den Herzog von Manfredonia ihre Abreise vom Pyrenäen-Schlosse, bis dessen vollkommne Genesung ihm erlaubte, sie mit seinen Kindern zu begleiten. Lorenzo benutzte diesen Aufschub dazu, daß er dem Andenken seiner zärtlich geliebten und unglücklichen Gemalin die letzten Ehrenbezeugungen widerfahren ließ, und seine fromme Ergebung in den Willen des Allmächtigen ließ ihn die nöthige Standhaftigkeit zur Ausübung einer so schmerzlichen Verpflichtung finden.

Zuvor besuchte er in dem feuchten Gewölbe das Grab seiner Viola, und vergoß mit seinem Schmerze allein auf der kalten Erde häufige, bittere Thränen der Reue und des nie verschwindenden Grams. Lorenzo! Deiner Betrübniß, Deiner Wehmuth kann nur die Standhaftigkeit, mit der Du Dein langjähriges Unglück ertragen hast, gleich gestellt werden! -- Wir wollen diese stillen, feierlichen Augenblicke, wo nur die Religion und der Trost einst wieder gereinigt zu werden, allein Deinen Schmerz lindern kann, nicht stören; wir wollen mit unserer schwachen Feder es nicht versuchen, weder die herben Gefühle, die Deine Seele zerreißen, noch Deine duldsamen Betrachtungen, die zu gleicher Zeit tröstlichen Balsam auf Deine Wunden träufeln, zu beschreiben!

Einige Tage nachher wurde alles, was von der schönen und tugendhaften Viola noch auf der Erde übrig geblieben war, von dem Pater Rinaldo, Pater Peter, den übrigen Mönchen des heiligen Ludwigs und den Geistlichen vom Orden des heiligen Dominikus mit angemessenem Gepränge und den heiligen, von dem römisch-katholischen Ritus vorgeschriebenen Feierlichkeiten und Gebräuchen in das Schiff der Schloßkirche getragen, um die noch bleibende sterbliche Hülle aus einer profanen Erde in ein geheiligtes Grab zu versetzen.

Der Herzog, dem seine Gesundheitsumstände nicht gestatteten, dieser traurigen Feierlichkeit beizuwohnen, bat Victorien, sich mit dem Chor der Nonnen, deren Gesänge die Zeremonie begleiten sollten, zu vereinigen.

Meine Gebete, sprach er, von Eurer reinen, himmlischen Stimme vorgetragen, werden sich hinaufschwingen zum Throne des barmherzigen Gottes und den übrigen vorauseilen.

Victoria, zwar ebenfalls noch nicht ganz genesen, mußte den Bitten Lorenzo's, so sehr sie auch von ihrer eignen Rührung überwältigt zu werden befürchtete, nachgeben. Sie sang, und begeistert von Verehrung für die Todte, der ihre Andacht galt, drückte sich ihr Gefühl in den hinreißendsten und schmelzenden Tönen ihrer schönen biegsamen und vollen Stimme so lebhaft aus, daß sogar das Chor verstummte und eine Todtenstille in der Kirche herrschte, die nur das Schluchzen der weinenden Versammlung unterbrach. In diesem feierlichen Augenblicke drängte sich ein Mönch vom Orden der Kartheuser, der am Sarge stand, mit Ungestüm durch die Menge und verließ mit allen Merkmalen des tiefsten Schmerzes und der Verzweiflung schnell die Kirche.

Nach dieser Feierlichkeit trug man Violens Sarg auf ein von der spanischen Admiralität dazu beordertes Fahrzeug mit schwarzer Flagge; Lorenzo und seine Kinder, Victoria, Alfons und ihre treuen Anhänger begleiteten den Leichenzug nach Neapel und verließen auf immer das verrufene Schloß, den Schauplatz so vieler Leiden und Verbrechen. Auf ihrer Fahrt berührten sie den Hafen von Livorno, wo sich der Pater Rinaldo und der Pater Peter von ihnen trennten, um sich nach Rom zu begeben und die Elfridi's Geständnisse enthaltenden Schriften dem heiligen Pontifen zu überreichen. Sobald der Papst sie gelesen, sandte er sogleich einen Bevollmächtigten nach Neapel mit dem Auftrage, die Leiche der Herzogin von Manfredonia zu empfangen, und für die rechtmäßigen Eigenthümer die Wiedereinsetzung in die Besitzungen von Manfredonia und Palermo zu bewirken.

.Die Ueberreste der unglücklichen Viola wurden im Hafen von Neapel von den Ersten des Adels und der Geistlichkeit empfangen; drei Lage hindurch wurde der Sarg in der Kirche der heiligen Rosalia mit geistlicher Pracht ausgeschmückt, der neugierigen, frommen Menge gezeigt, von Stunde zu Stunde las man Messen für die Ruhe der Verblichenen, die feierliche Todtengesänge begleiteten; dann brachte man sie mit einem zahlreichen Gefolge gerührter Neapolitaner nach Manfredonia, wo die Leiche in dem Grabgewölbe der Familie den ihr gebührenden Platz erhielt, nachdem sie neunzehn Jahre lang, seit dem unglücklichen Tage, wo die Hand eines Mörders den Lebensfaden der Tugendhaften zerriß, von ihren glorreichen Vorfahren getrennt gewesen war.

Die verarmten, von ihrem letzten schändlichen Gutsherrn gedrückten und ausgesogenen Landleute der zu Manfredonia gehörigen Ortschaften, konnten vor ihrem verehrten Herzoge nicht in Trauerkleidern erscheinen; doch eilten sie mit grünen Zypressenzweigen und frohen Gesichtern ihm entgegen. Das Andenken der seit seiner Abwesenheit erduldeten Drangsale, die Gefährten ihrer Armuth, gesellte sich natürlich zu der Erinnerung an alle die Wohlthaten, mit denen er sie unaufhörlich überschüttet hatte, und verdoppelte durch die Vergleichung der Vergangenheit und Zukunft ihre Dankbarkeit und Freude. Jeder jubelte laut, und ein lermendes Freudengeschrei, dem selbst die Nähe des heiligen Klerikus nicht Ruhe gebieten konnte, schallte dem Zuge entgegen. Kaum aber erblickten die Jauchzenden ihren von der Last des Grams, mehr noch als der Jahre gebeugten ehrwürdigen Gebieter, dessen beinahe unkenntliche Gesichtszüge tiefe Spuren des Schmerzes, mit dem er so lange gekämpft hatte, trugen, so verstummten plötzlich diese lebhaften, rauschenden Freudetöne; Rührung und Erstaunen traten an ihre Stelle, und schweigend folgten die Bestürzten dem langsamen Zuge der Leidtragenden.

Sobald der Herzog einige Wochen nach Violens feierlicher Beisetzung sich daran gewöhnt hatte, die Trauer der Erinnerung mit stiller Wehmuth zu ertragen, welche ihm beim Anblicke des Daches, unter welchem er so kurze Zeit mit der Entseelten glücklich gewesen war, und so vieler andern Gegenstände anwandelte, so beschäftigte er sich mit den erforderlichen Maasregeln, seinen Kindern den Besitz des übriggebliebenen Reichthums, der ihnen angehörte, zu sichern. Er erwählte Männer von anerkannter Fähigkeit und geprüfter Treue, die seine Angelegenheiten reguliren und seine Einkünfte verwalten, vor allem Uebrigen aber ihm behülflich sein sollten, seine Vasallen und alten Diener seines Hauses von dem zeitherigen Drucke zu befreien und ihnen das Leben zu erleichtern, damit sie allmälig den früher genossenen Wohlstand wieder erringen könnten. Nachdem er auch diese Pflicht erfüllt und für seine Unterhanen väterlich gesorgt hatte, begleitete er seine Kinder nach dem Schlosse von Palino, wo der theilnehmende Alfons nichts vergaß, den unglücklichen Greis zu zerstreuen und das Bittere der Erinnerungen, die sich nicht ganz verwischen ließen, nach Möglichkeit zu mildern.

Im Schlosse von Palino war auf Alfons Veranstaltungen bereits das Erforderliche vorbereitet, um sowohl den Eintritt der Volljährigkeit des jungen Grafen, als auch die rechtmäßige Vermälung Roland's mit Victorien zu feiern. Dies Festlichkeiten dauerten mehrere Tage, nach deren Verlauf Alfons, dessen Urlaub verstrichen war, sich genöthigt sah, seine theuren Freunde zu verlassen, um dem Rufe der Pflicht und Ehre zu folgen. Die Trennung von dem jungen Krieger betrübte Alle, aber Niemand war bei seiner Abreise gerührter als Mathilde, welche in ihrer liebenswürdigen Arglosigkeit die Empfindungen ihres Herzens so wenig zu verstellen wußte, daß Roland's und Victoriens Augen ohne Mühe hineindrangen und ein Geheimniß darin entdeckten, welches Alfons zärtliche Freundin so sorgfältig verborgen zu haben wähnte.

 


Neunzehntes Kapitel.

Ehe Roland, der würdige Erbe aller Tugenden seines Vaters, das schreckliche Pyrenäen-Schloß auf immer verließ, hielt er es für seine Pflicht, das Unglück der in den Gefängnissen vorgefundenen Opfer, verhältnißmäßig und nach seinen Kräften zu erleichtern; wärend nun auf Befehl der Inquisition die Räuberburg von Grund aus zerstört und mit der Erde gleich gemacht wurde, und man die nöthigen Untersuchungen anstellte, damit jeder Gefangene seiner Familie zurückgegeben werden konnte, dachte Roland nur daran, sie vor dem ersten Mangel zu sichern und keinen hülflos in die Welt hinauszustoßen.

Der unglückliche, von seiner Haft befreiete Mechanikus aus Genf erhielt zur Rückreise in sein Vaterland, und damit er seinen künstlichen Fleiß auf eine nützliche und belustigende Weise der menschlichen Gesellschaft widmen konnte, eine zulängliche Summe Geld. Franzisko hatte, ohne sich zu zeigen, Mittel gefunden, die Höhle, wo der wahnsinnige Sanguinario an den Felsen angekettet war, und den Weg dahin zu bezeichnen; er wurde nach Barzelona in ein Hospital für Gemüthskranke gebracht, erhielt durch zweckmäßige Behandlung mit der Zeit seine Vernunft wieder, und beschloß sein Leben reuevoll und gebessert.

Der verführten Hero wurde auf Antrag ihres eignen Bruders, zum lebenslänglichen Aufenthalt ein Kloster angewiesen; sie ergab sich in ihr Schicksal und schätzte sich glücklich, in der Einsamkeit durch häufiges Gebet, die Schande, ihre Gebieterin verrathen und gegen die ersten Pflichten ihres Geschlechts gesündigt zu haben, büßen zu können.

Alonzo und die übrigen Glieder des Räuberbundes, welche beim Ueberfalle der Inquisitions-Truppen schnell entflohen waren, zerstreuten sich im Gebirge. Einige wenige unter ihnen, wie Juan und Fabrize, entsagten ihrem ehrlosen Handwerke, benutzten die gerettete Beute und ergriffen nützliche Gewerbe. Die Uebrigen, von ihren schändlichen Gewohnheiten fortgerissen, suchten ihren Lebensunterhalt in der fernern Ausübung der Verbrechen, denen sie sich bisher überlassen hatten; aber über kurz oder lang erreichte sie die strafende Gerechtigkeit und ließ ihnen unter der Hand des Henkers für ihre Uebelthaten den verdienten Lohn reichen.

Der Himmel hatte dem Grafen Polidor und Garzias eine schrecklichere Strafe zuerkannt. Bei Victoriens Anblick flohen die Verworfenen zu ihrer Barke, erreichten glücklich Narbonne und schifften sich von dort nach Amerika ein. Bei der Ankunft in diesem Welttheile, wo sie sich ohne Geld und Bekanntschaften befanden, vereinigten sie sich nach einer langen Reihe von unglücklichen Abentheuern mit einem indianischen Volksstamme, erschlichen sich durch Heuchelei dessen Freundschaft und begleiteten ihn in seinen kriegerischen Expeditionen, an denen sie Theil zu nehmen gezwungen waren. Aber ihre Bundesgenossen erlitten nach einigen Siegen über eine andere Volkskaste eine vollständige Niederlage, und die beiden Europäer fielen in der Feinde Hände, die sie, ihren grausamen Sitten getreu, mehrere Tage auf das scheußlichste quälten und dann unter den erdenklichsten Martern sterben ließen.

 

Wir werden unsere Augen weg von diesem schrecklichen Gemälde und kehren nach dem Schlosse von Manfredonia zurück, wohin sich der Herzog, als Alfons abgereiset war, mit seiner Familie heimbegeben hatte. Auf Bitten seines alten, tugendhaften Freundes, verließ der ehrwürdige Pater Rinaldo das Kloster des heiligen Ludwigs und übernahm in Manfredonia sein vormaliges Amt als Schloßkaplan wieder. Gern verzichtete er auf die ihm angebotenen hohen Stellen im geistlichen Stande, um an Freundes Brust in sanfter Ruhe sein Leben zu beschließen. Der weise Alberti begleitete seinen Zögling zum Heere, und die Signora Farinelli, die Gesellschafterin Victoriens, blieb bei dieser, sehnte sich nach dem Augenblicke, wo sie bei den Kindern ihrer theuren Pflegetochter die durch Victoriens Vermälung überflüssig gewordene Stelle der Erzieherin wieder ausfüllen und durch ihre tugendhaften Lehren zu ihrem dereinstigen Glücke beitragen konnte. Octavia bereuete es nicht, durch ihre Reise nach Spanien mancherlei Gefahren bestanden zu haben. Victoria befreiete sie für immer von der Besorgniß über das Schicksal ihrer zahlreichen Familie, deren Versorgung die dankbare Gattin Roland's übernahm.

Man wird leicht vermuthen, daß Roland und Victoria die gute Therese nicht vergaßen. Vor seiner Abreise nach dem Pyrenäen-Schlosse hatte der Erstere seiner Erzieherin die Wahl gelassen, ihn nach Italien zu begleiten und dort in Ruhe ihr Leben zu enden, oder mit einem ansehnlichen Jahrgehalte nach ihrem Geburtsorte zurückzukehren. Das Herz der guten Alten gerieth hierüber in eine nicht geringe Verwirrung. Wollte sie dem Rathe ihrer zärtlichen Anhänglichkeit für den Markis von Palermo und seine Gattin folgen, so konnte sie sich von ihnen unmöglich trennen; wollte sie aber heiligere Pflichten erfüllen, so mußte sie nach Arragon zu ihrem Gatten und ihrem Kinde zurückkehren. In dieser Verlegenheit, die sie immer unentschlossener machte, zog sie endlich Victorien zu Rathe; und diese rieth ihr, ihren Geburtsort zu besuchen, um sich zu überzeugen, ob diejenigen Bande, welche sie an denselben fesseln konnten, nicht etwa von der Zeit gelößt waren; zu gleicher Zeit könnte sie für den Unterhalt ihrer Familie sorgen und dann ihrer Neigung ungezwungen die Wahl überlassen, entweder dort zu verbleiben oder nach Italien zurückzukehren. Dieser Vorschlag stimmte mit Theresens Empfindungen vollkommen überein, erleichterte ihr Gewissen und setzte sie in den Stand, ihre Wünsche zu befriedigen, die alle dahin abzielten, über kurz oder lang ihren Wohnsitz bei demjenigen zu wählen, den sie als Knabe gepflegt, gehegt und geliebt hatte. Sie reisete also mit Thränen von ihren Beschützern ab und langte ohne Unfall auf den väterlichen Fluren an. Es kostete aber der armen Therese wenig Ueberwindung, ihre Familie wieder zu verlassen; sie brauchte mit ihrem Herzen der Trennung halber keinen Kampf zu bestehen. Ein Zeitraum von zwanzig Jahren führt in der Welt wesentliche Veränderungen mit sich. Ihr Gatte, ihre Tochter und ihre Enkel, alles schlief, vom gelben Fieber dahin gerafft, im kalten Grabe; ihr Schwiegersohn hatte sich wieder verheirathet und besaß schon herangewachsene Kinder von seiner zweiten Frau. Alle ihre alten Bekanntschaften waren verschwunden; als sie sich zu erkennen gab, fand sich kaum einer, der sich ihrer erinnerte, und jeder betrachtete sie als einen fremden Gast, den man höflich aber ohne Herzlichkeit empfängt. Diese peinliche Lage, die sich eines Theils zwar mit ihren Wünschen und Absichten so wohl vertrug, verursachte ihr dagegen auf der andern Seite eine unwillkührliche Herzbeklemmung. Hastig eilte sie nach ihrem theuren Roland zurück, und der freundschaftliche Empfang bei ihrer Ankunft entschädigte sie hinlänglich für die Mühseeligkeiten der traurigen Reise und die getäuschte Erwartung.

Auch Diego's Eltern lebten nicht mehr; doch war sein kleines Erbtheil in Ermanglung der Gewißheit von seinem Tode für ihn aufbewahrt; auch hatte Altidoro, Alfons Vater, den Gespielen seiner Jugend in seinem Testamente reichlich bedacht. Obgleich nun die väterliche Verlassenschaft im toskanischen Gebiete belegen war und Diego für den Sohn seines Wohlthäters Hochachtung und Zuneigung empfand, so zog er es doch vor, in Manfredonia zu bleiben und das Glück zu genießen, in Roland's und Victoriens Nähe zu leben. Da aber die Unthätigkeit eine Pein für den gebesserten Diego gewesen wäre und sein lebhafter Geist einer steten Beschäftigung bedurfte, so übertrug ihm der dankbare Herzog die durch den Tod des ehrlichen Fidato erledigte Stelle eines Majordomo im Schlosse.

Aber der mit Belohnung überhäufte, geehrte und geliebte Diego, blieb seines ehrenvollen Amts ungeachtet, noch immer unglücklich. -- Von dem Andenken an sein verflossenes Leben unaufhörlich gemartert, kehrten seine Gedanken stets zu den Handlungen zurück, über die er die bitterste Reue empfinden mußte, und nichts konnte sein unruhiges Gewissen besänftigen. Wenn er sich am Abende ermüdet auf sein Lager streckte, raubte ihm der Dornenstich der innerlichen Vorwürfe seinen Schlaf und peinigte ihn mit gräßlichen Traumgestalten. Sogar der Anblick der Tugendhaften, unter denen er lebte, vermehrte seine Qual, er hielt sich für unwürdig, ihre Wohlthaten zu genießen, und vermied, so oft es seine Geschäfte erlaubten, mit scheuem Blicke ihre Gesellschaft.

Victoria und Roland bemerkten seine Gemüthsstimmung und überredeten ihn ohne Mühe, ihnen seinen heimlichen Gram zu vertrauen. Theilnehmend wandten sie zu seiner Beruhigung alle Hülfsmittel an, die ihnen ihr Verstand und ihre richtige Beurtheilung einflößen konnten, und als sie sich überzeugten, daß ihre Ermahnungen zu wirken begannen, so übergaben sie ihn den Händen des guten, aufgeklärten Rinaldo, dessen sanftmüthige und fromme Tröstungen in Diego's reuigem und zartem Gewissen den verlohrnen Frieden wieder zurückriefen.

Victoria hatte indeß noch ein anderes, eben so wirksames Mittel ausgedacht, den Geist ihres lieben Diego von seinen finstern Träumereien abzulenken und der Regsamkeit seiner Empfindungen eine seinem Glücke angemessenere Richtung zu geben. Das scharfe Auge der jungen Markise von Palermo hatte unlängst bemerkt, daß ihre gute und treue Rosalie mit Diego's Trübsinn lebhaftes Mitleid hegte und von ihm stets mit vieler Theilnahme sprach. Auch vermuthete sie nicht ohne Ursache, daß Diego, als sie ihn wärend seiner Krankheit im Schlosse des Grafen Montfort damals mit Sorgsamkeit pflegte, sich dieser Freundschaftsbezeugungen mit einiger Zärtlichkeit erinnern würde. Sie beobachtete Beide, befragte sie dann und überzeugte sich, daß eine Heirath beide Theile glücklich machen könnte; wozu denn auch bald geschritten wurde. Die Folge lehrte, daß Victoria sich in ihrer Hoffnung nicht getauscht hatte; mit seinen neuen Pflichten fand Diego öftere Gelegenheit, seine Neigung zur Tugend auszuüben, und fing allmälig an, sich wieder selbst zu achten, ein zur eignen Ruhe so nöthiges Gefühl; und obschon er nie aufhörte, die Verirrungen seiner Jugend zu verabscheuen, so begriff er im festen Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit doch, daß der Weg zur Tugend dem Wahrhaftreuigen nicht verschlossen ist; das Andenken an die Vergangenheit ward auf diese Art eine heilsame Lehre für den Gebesserten, statt einer Quelle von fortdaurenden Qualen.

Thomas, der ehrliche Matrose hätte gern seine Freiheit benutzt, um nach seinem Vaterlande zurückzukehren; da er aber in zarter Kindheit seine Eltern verlohren hatte und keine Angehörigen mehr besaß, die für ihn hätten sorgen können, sein zunehmendes Alter ihn überdem zum schweren Matrosendienste untauglich machte, so hielt er es für rathsamer, das Anerbieten seines vormaligen Gesellschafters, des nunmehrigen Markis von Palermo mit Freuden anzunehmen, und Italien mit England zu vertauschen. Um nun auch ihm eine seinem Geschmacke angemessene Beschäftigung zu geben, so übertrug ihm der Herzog die Aufsicht über die zur Fischerei bestimmten Barken, unter denen sich einige befanden, welche zur Vertheidigung der Küsten gegen Landungen von Seeräubern ausgerüstet waren. -- In seinem neuen Amte wagte sich der glückliche Thomas mir seinen leichten Fahrzeugen zuweilen weit hinaus in das adriatische Meer, um die Wendungen der barbaresken Schiffe, die sich der Küste zu nähern schienen, zu beobachten und die Strandbewohner vor der Gefahr zu warnen; zuweilen führte er den Herzog und seine Familie auf dem spiegelglatten Meere umher, und wenn er dann stolz auf das Steuerruder gelehnt, den Lauf der reichverzierten Barke leitete, so hätte er sein Loos mit dem hohen Range eines brittischen Admirals sicherlich nicht vertauscht.

Oft dachte der Markis von Palermo und seine Gattin an ihren Freund und Reisegefährten Pedro, den treuen und geschickten Wundarzt, bis sie endlich frohe Nachricht von seinem Schicksale erhielten. Glücklich hatte er, als er in die tobenden Fluthen sprang, die Felsen am Gestade erreicht, aber kaum betrat sein Fuß sicheres, trockenes Land, so sank er erschöpft zur Erde, und auf eine schwindelartige Ermattung folgte gänzliche Betäubung und eine Sinnlosigkeit von mehrern Stunden. Als er wieder erwachte, braußte der Sturm von neuem und das Schiff mit seinen theuren Freunden war verschwunden; ob es gesunken oder von den Wellen fortgerissen sei, darüber konnte der jammernde Pedro keine Gewißheit erlangen. Von seinem Versprechen, Hülfe zu senden, durch das Verhängniß entbunden, entschloß er sich, ins Vaterland zurückzukehren. Ohne zu verweilen wanderte der Rastlose von Marseille aus durch Languedock, Gaskognien, schlich sich aus Furcht, Don Manuels Bande wieder in die Hände zu fallen, verkleidet und auf Umwegen durch die Pyrenäen und erreichte endlich, nachdem er im Fluge Navarra und Kastilien durchstrichen, das ersehnte Murzia. Bei seiner Ankunft in Karthagena wagte er es nicht, in seinem Hause einzukehren; statt dessen begab er sich mit klopfendem Herzen zu einem alten Priester, dem Beichtvater und Freund seiner Familie und erfuhr von ihm mit Entzücken, daß seine theure Isabelle noch nicht aufgehört hatte, den entschwundenen Gatten, von welchem sie sich auf immer getrennt glaubte, zu beweinen, und daß sie sich mit ihrem Schmerze in ein Kloster begraben haben würde, wenn sie sich nach dem Verschwinden ihres Gatten nicht in einem Zustande befunden hätte, nach welchem alle jungen Weiber so sehnlichst verlangen. Mit möglichster Vorsicht hatte man sie von der nie gehofften Ankunft ihres todtgeglaubten Gatten unterrichtet, und als er nun die Schwelle seines Hauses betrat, stürzte ihm die treue Isabelle mit einem schönen Kinde entgegen. Beinahe ein Jahr lebte Pedro im Schooße seiner Familie glücklich und nichts trübte seinen Frohsinn als die Ungewißheit über das Schicksal seiner Freunde im Pyrenäen-Schlosse, die er im Kampfe mit den brausenden Wellen zurückgelassen hatte und an deren Rettung er endlich zu zweifeln anfing; da erhielt er einen Brief von dem Markis von Palermo, mit einem Geschenke aus der Freundschaft dankbaren Händen, das der Ueberraschte nicht zurückweisen durfte. Zugleich lud ihn der verwandelte Hippolit zu einem Besuche in Manfredonia dringend ein, und Pedro zu schwach, das Verlangen, seine Unglücksgefährten wiederzusehen, unterdrücken zu können, nahm die Einladung an, reisete mit seiner Gattin nach Manfredonia ab und theilte mehrere Monate hindurch die Freude der Tugendhaften, die er im Räuberschlosse oft zur Ausdauer im Unglücke ermuntert und zur stillen Duldung ermahnt hatte, wärend in seinem eignen Herzen die letzte Hoffnung zu verschwinden drohete.

Roland's aufmerksame Herzensgüte erstreckte sich sogar dahin, daß er jenen Hippolit von Rosario, dessen Rolle er so lange gespielt hatte, aufsuchen ließ, und den gutmüthigen Neger mit dem Entzücken überraschte, seinen Jugendfreund und Lehrer aus dem Pyrenäen-Schlosse zu umarmen. Der gute Prior, bei welchem Hippolit gelebt hatte, war seit einiger Zeit gestorben, hinterließ jedoch seinem treuen und geduldigen Gesellschafter so viel, daß dessen Wunsch nach Amerika zurückzukehren, erfüllt werden konnte. Der Liebe zum fernen Vaterlande mußte also die Freundschaft weichen; der Jüngling hatte die Zeit und die Erfahrungen genutzt, der Zweck seines Aufenthalts in Europa war auch im Räuberschlosse mit Don Sebastians Hülfe nicht verfehlt; mit Thränen dankte er dem Herzoge von Manfredonia für seinen Unterricht und seine herrlichen Lehren, und bestieg das segelfertige Schiff mit dem Versprechen, die Freunde nie zu vergessen, auch wie es ihm im neuen Welttheile gehen werde, ihnen zu schreiben.

Nun bleibt uns noch Franzisko übrig: Er hatte Verbrechen begangen, aber auch gute Handlungen konnte er der Gnade Gottes aufweisen. Stets war er für Roland und Mathilden ein treuer und zärtlicher Pflegevater gewesen; er hatte sie nach den Grundsätzen der Tugend erziehen lassen, und nichts versäumt, ihre Herzen und ihren Verstand zu bilden. Mit Achtung und theilnehmender Freundschaft hatte er den gefangenen Don Sebastian behandelt, ohne in ihm den Herzog zu ahnen, und Victorien von dem Verderben, dem sie, von ihm verlassen, nicht entgehen konnte, gerettet. Die Familie Manfredonia und Ariosto waren mithin durch die Bande der Erkenntlichkeit mit ihm verbunden, und wenn sie gleich die Verirrungen seines Lebens mit Strenge tadelten, so vereinigten sie doch ihr Ansehn und ihren Einfluß, um von dem Entlarvten die auf ihn eindringende Gefahr abzuwenden oder zu entkräften.

Franzisko's Gemeinschaft mit den Räubern im Pyrenäen-Schlosse konnte kein Geheimniß mehr bleiben. Lange Zeit vorher hatte er schon den Verdacht seiner Amtsbrüder erregt, und nur seine Eigenschaft als Inquisitor ihn geschützt; als man aber die furchtbare Raubfeste zerstörte, da ließ die Verbindung seiner Grotte mit dem Schlosse über seine Strafbarkeit keine Zweifel übrig. Sobald die Bewohner Kataloniens den Betrug des heiligen Eremiten, der für sie so lange Zeit der fromme Gegenstand ihrer Anbetung, ihr Rathgeber und Seelsorger gewesen war, in Erfahrung brachten, kannte ihre Wuth keine Grenzen, und kaum konnte schnelle Flucht den Unglücklichen vor den Händen eines rasenden Volks sichern, das ihn in Stücken zu zerreißen schwur. Aber auch die geistlichen und weltlichen Gerichte drangen auf die Bestrafung des Betrügers; nur des Herzogs dringende Vermittlung und bedeutende Opfer waren nach langen Unterhandlungen im Stande zu bewirken, daß die gegen ihm eingeleitete Kriminal-Prozedur niedergeschlagen und er in ein nahe bei Manfredonia belegenes Franziskaner-Kloster auf Lebenszeit verwiesen wurde, wo er so glücklich war, von denjenigen, die wärend ihrer Unglücks-Periode Beweise seiner Menschlichkeit und seiner Theilnahme empfunden hatten, oft besucht zu werden und wo seine Tage in aufrichtiger Zerknirschung und dem musterhaftesten, strengsten und bußfertigsten Lebenswandel ungestört verstrichen.

Des Herzogs von Manfredonia thätige Großmuth beschränkte sich nicht allein auf die Lebenden. Mit unermüdetem Eifer suchte er alles, was seiner Viola theuer gewesen war, auch noch im Tode zu ehren, und nach langen, fruchtlosen und kostspieligen Umhersuchen und Nachgraben gelang es ihm endlich die Gebeine des unglücklichen Bernardo wieder aufzufinden, die man in einem Gehölze unweit Alfidenza, wo die Mörder sie verscharrt hatten, entdeckte. Violens treuer Diener, das Opfer seiner Anhänglichkeit, erhielt zu den Füßen des Grabmals in welchem die Herzogin ruhete, den wohlverdienten Platz, und eine einfache Marmorplatte bezeichnete mit wenigen, rührenden Worten das traurige Ende eines Mannes, der im Leben stets gewünscht hatte, für seine Wohlthäter zu sterben.

 


Zwanzigstes und letztes Kapitel

Noch war kein volles Jahr verstrichen, so segnete der Himmel Roland's und Victoriens Verbindung durch die Geburt einer Tochter, die den Namen Viola erhielt. Der Graf Ariosto, welcher mit dem Friedensabschluß zwischen Spanien und England seine kurze kriegerische Laufbahn einstweilen endigte, fand sich bei der Geburt des Kindes seiner geliebten Schwester in Manfredonia ein und nahm die Einladung seines Schwagers, die schöne Jahrszeit daselbst zuzubringen, willig an. Mathildens Gefühle für Alfons waren noch dieselben, aber sie selbst erschien in mancher andern Rücksicht sehr verändert. Mit ihrer Liebe unaufhörlich beschäftigt, von dem Verlangen Alfons Herz zu gewinnen, lebhaft beseelt, sann sie stets auf die sichersten Mittel ihm zu gefallen und befleißigte sich mit größter Sorgfalt, alles Mangelhafte aus ihrem Benehmen zu vertilgen. Sie verlohr das herrliche Vorbild, welches sie täglich schauen konnte, nicht aus den Augen, und nicht sowohl durch des Beispiels Lehren befriedigt, fragte sie vielmehr oft mit aufrichtiger Vertraulichkeit ihre liebenswürdige Schwägerin um Rath, den diese ihr mit Vergnügen ertheilte und den die aufmerksame Schülerin mit dem besten Erfolge benutzte. Ohne daher das geringste von ihrer Lebhaftigkeit und Geistesfestigkeit zu verlieren, lernte Mathilde diese glücklichen Geschenke der Natur durch jene hinreißende Sanftmuth und bescheidene Zurückhaltung mäßigen, die ihrem Geschlechte den größten Reiz verleihen. Die natürliche Schönheit ihrer Gestalt und die Anmuth ihres Geistes wurden nun von einem reinen, zarten Geschmack und einer feinern Ausbildung noch erhöht, und in kurzem bemerkte Niemand, daß bei ihrer Erziehung die mütterliche Aufsicht gefehlt habe. Victoria und Mathilde waren demungeachtet sich nicht ganz gleich; jede hatte ihren besondern Character und besaß ihre Art liebenswürdig zu sein, für sich; sah man sie aber von einander getrennt, so konnte man kühn über jede das Urtheil fällen, daß kein weibliches Wesen sie übertreffen werde,;erschienen sie neben einander, so mußten die erfahrensten Richter über die Entscheidung in Verlegenheit gerathen, wer von beiden den Vorzug verdienen könne.

Alfons wurde über die in einem Jahreslaufe bewirkte Veränderung in dem Benehmen Mathildens auffallend überrascht und konnte sein Erstaunen und sein Entzücken nicht verheimlichen. Längst schon betrachtete er Roland's schöne Schwester mit Augen, die keine Gleichgültigkeit verriethen, ihre liebenswürdigen Eigenschaften hatten bereits tiefen Eindruck auf sein Herz gemacht; und jetzt, da sie in vollendeter Gestalt vor ihm erschien und mit dem Glanze hoher Schönheit strahlte, der im Pyrenäen-Schlosse den Nebel der Leiden nicht durchdringen konnte, jetzt fühlte er, daß er nur in ihrer Gegenliebe ein Glück finden werde, von dem er in schwärmerischen Augenblicken oft geträumt hatte. Er bot sich also der Kette, mit der man ihn zu umschlingen suchte, freiwillig an, und wenige Monate nach seiner Ankunft in Manfredonia feierte man in der Kapelle seine Vermälung mit der glücklichen Mathilde, deren zitternde Hand der Pater Rinaldo in die seinige legte.

Für den Herzog Lorenzo war dieser Tag ein neues Freudenfest; er sah seine Familie auf doppelte Weise mit der Familie des besten Freundes, den er je besessen hatte, vereinigt und dankte dem Himmel mit Thränen der Rührung, daß er ihn so hoher Begünstigung würdig gefunden. Noch einige Zeit blieben die Neuvermälten in Manfredonia, dann führte der glückliche Alfons seine liebenswürdige Gattin nach Toskana, um seine Vasallen mit dem Anblicke der schönen und guten Gräfin Ariosto zu ergötzen.

Beide Ehepaare genossen eines ungetrübten Glücks; Einigkeit herrschte unter beiden Familien, denn sie war auf gegenseitige Hochachtung und zärtliche Freundschaft gegründet und nie wurde sie auf einen Augenblick gestört. Zuweilen wechselten sie den Schauplatz ihres Glücks und verlebten die schönen Sommermonate abwechselnd in Manfredonia oder Palino, wohin der völlig genesene, wieder verjüngte Herzog seine Kinder begleitete. Ein Jahr nach Alfons Vermälung gebar die Markise eine zweite Tochter, der man den theuren Namen Clementine gab.

 

Mit der Fortdauer des Friedens und Glücks, das sich in Manfredonia und Palino angesiedelt hatte, würde der Stoff unserer Geschichte ermatten und solche nun beendigt sein, wenn uns nicht eine Begebenheit zu erzählen noch übrig bliebe, die in naher Berührung mit derselben steht.

Einige Zeit nach der Wiedereinsetzung des Herzogs in seinen Rang und seine Güter bemerkten die Diener im Schlosse oft einen Mönch aus dem benachbarten Franziskanerkloster, der in der Gegend des Parks umherirrte, die einsamsten Orte suchte und mit scheuem Benehmen und ängstlicher Vorsicht Jedem auswich und die Blicke der Menschen sorgfältig zu vermeiden schien. Dieser unter dem Klosternamen Julio bekannte Mönch hatte erst seit einem Jahre das priesterliche Gelübde abgelegt, ward aber bereits durch die fromme Regelmäßigkeit seiner Sitten und die strenge Lebensart, die er führte, als ein Muster des Monasteriums betrachtet. Er schien stets in tiefe Schwermuth versenkt, obschon seine herabhängende Kaputze seine Gesichtszüge zu erkennen, verhinderte. Man konnte über den Grund, warum er sich so oft in Manfredonia's Nähe zeigte, nichts Bestimmtes vermuthen. Alles was man bemerkte, war, daß er die Gelegenheit auszuspähen suchte, den Herzog von Manfredonia oder den Markis von Palermo, seine junge Gattin und ihre Kinder ungesehn zu betrachten; dann stand er oft unbeweglich, und diese Gegenstände fesselten lange Zeit seine Aufmerksamkeit, bis er sich beobachtet glaubte und nun schnell den Blicken der Menschen sich entzog. Auch entdeckte man, daß er oft in die Kapelle des Schlosses hineinschlich, sobald er sie leer wußte, und dort stundenlang bis zur sinkenden Nacht, von Gräbern umgeben, zubrachte.

Mehrere Jahre hindurch setzte der Pater Julio auf diese seltsame Art sein einsames, menschenscheues Umherwandeln fort, und vermied sorgfältig, mit denen, die ihm begegneten, eine Unterredung anzuknüpfen; nur wenn er auf seinen Wegen die Kinder der Markise mit ihrer Wärterin antraf, so sprach er mit diesen, liebkosete sie und wünschte ihnen unter Thränen, die man unter der Kapuze über die bleichen Wangen herabfließen sah, den Segen des Himmels.

Eines Tages begegneten die Kleinen, auch nur von ihrer Wärterin begleitet, dem frommen Pater Julio abermals; er schien leidender und betrübter als gewöhnlich, vermogte sich kaum aufrecht zu erhalten, und feine Schritte waren wankend, schwach und mit Mühe nur verständlich seine Stimme. Sobald er aber die kleine Viola und Clementine bemerkte, schien er sich zu ermuntern, ging ihnen näher, segnete sie, küßte mit Zärtlichkeit die kleine Viola, drückte sie seufzend an seine Brust und hing ihr eine kostbare diamantene Kette mit einem blitzenden Kreuze und der Bitte um den Hals, dieses Kleinod als ein Andenken von ihm und einen Beweis seiner Hochachtung für ihre erlauchte Familie zu tragen. Darauf sprach er nochmals den Segen feierlich über beide Kinder aus und ging dann rasch in ein nahes Gehölz, wo er verschwand.

Roland und seine Gattin erstaunten, als sie die funkelnde Kette an dem Halse des fröhligen Kindes erblickten, und ihnen die Wärterin die Art, wie Viola dieses kostbare Geschenk erhalten hatte, erzählte. Sogleich begab sich der Markis nach dem Franziskaner-Kloster und verlangte mit dem räthselhaften Pater Julio zu reden, doch dieser war nicht in seiner Zelle und eben so wenig im Kloster aufzufinden. Voll Ungeduld diesen seltsamen Vorfall aufzuklären und das kostbare Geschenk zurückzugeben, ging Roland zu dem Pater Franzisko, der in demselben Kloster im Exil lebte und zeigte ihm die blitzende diamanten Kette. Kaum aber hatte Franzisko mit einem Blicke das Kleinod betrachtet, so erkannte er es sogleich, fand in ihm die Bestätigung einer schon lange gehegten Vermuthung, seufzte tief, ohne dem Markis zu antworten, und bat den Vorsteher des Klosters, den unglücklichen Pater Julio so schnell als möglich aufsuchen zu lassen. Anfänglich blieben die sorgsamsten Bemühungen ohne Erfolg, erst am andern Morgen fand Diego in der Kapelle auf den Stufen des Grabmals, in welchem Viola ruhete, den entseelten Körper des in sein klösterliches Gewand eingehüllten Paters. In diesem Zustande trug man ihn nach seinem Kloster und entdeckte hier unter vergeblichen Versuchen, ihm das Leben wieder einzuflößen, daß der gefühllose und entstellte Leichnam Alles war, was von einem Manne auf der Erde übrig blieb, dessen Tapferkeit und Heldenthaten einst so gerühmt, dessen Schönheit so bewundert und dessen Verbrechen so verabscheuet wurden. Es war Don Ambrosio von Montalvan, der unter diesem Namen lange Zeit der Glanz der spanischen Marine, als Don Manuel von Baskara aber der Schrecken Kataloniens und der angrenzenden Provinzen gewesen war.

Er wurde dem Herkommen gemäß in der Klosterkirche begraben, gerührt und voll Ehrfurcht für sein frommes Andenken begleiteten die Mönche seine Leiche zur Gruft, und der Herzog von Manfredonia folgte mit seinem Sohne, von Wehmuth durchdrungen, dem stillen, feierlichen Grabeszuge; aber Diego und Thomas weinten ihm Thränen der Dankbarkeit und Anhänglichkeit nach; so nahm dieser ungewöhnliche Mann das Bedauren und die Bewunderung Aller, die in den letzten Jahren Zeuge seines musterhaften und frommen Lebenswandels gewesen waren, mit sich ins Grab. --

Als Don Manuel damals zur Flucht aus dem Pyrenäen-Schlosse gezwungen war, verbarg er sich in einer nahen Felsenbucht, wo Elfridi's schauderhafte Bekenntnisse bis zu seinen Ohren tönten und ihm Violens entsetzliche Ermordung entdeckten. Er mußte selbst mit Gefahr seines Lebens der Einweihung ihrer Leiche in der Kirche beiwohnen und an ihrem Sarge Verzeihung für seinen Antheil an ihrem frühen Tode erflehen. Don Manuel war jener Kartheuser-Mönch, dessen Gewissen Victoriens rührende Stimme aus dem Todtenschlafe weckte und der wärend der Feierlichkeit, von Unruhe und Schauder gefoltert, die Kirche verließ. Von diesem Augenblick an verfluchte er seine Leidenschaft für Mathilden, alle strafbaren Neigungen, die bisher in seinem lasterhaften Herzen gewüthet und es befleckt hatten, waren auf immer aus ihm verbannt. Violens Andenken nur beschäftigte seine Sinne, ihre vom Dämon der Rache erwürgte Gestalt schwebte unaufhörlich vor seinen Augen, ihr blutiger Schatten folgte überall seiner Spur. Er faßte den festen Vorsatz, durch eine reuige Belehrung dereinst zu dem Glücke zu gelangen, sich ihr im Wohnsitze der Tugenden nähern zu dürfen; und von dem Augenblicke an, wo dieser Gedanke aus seiner Seele emporstieg, war sein Schicksal unabänderlich beschlossen. Er begab sich nach Neapel, folgte Violens sterblicher Hülle nach Manfredonia und war vermummt zugegen, als man den Sarg in das Grabgewölbe der Vorfahren Lorenzo's hinabtrug.

Nach der Erfüllung dieser Pflichten wählte er das nahe gelegene Franziskaner-Kloster zu seinem Aufenthalte, unterwarf sich mit bewundrungswürdigem Eifer den strengen Vorschriften des Noviziats und sprach nach einem Jahre vor dem Altare das fesselnde Gelübde, das ihn zum Diener Gottes weihete, mit froher Zuversicht und ohne Reue aus. Einige Zeit darauf bemerkte er seinen Vater unter der Mönche Zahl und überzeugte sich, daß auch Franzisco das heilige Gewand nicht ferner schändete, doch gab er sich ihm nicht zu erkennen, weil er durch kein anderes Gefühl in seiner frommen und reuevollen Beschäftigung gestört werden wollte. Bald fühlte er seine Gesundheit merklich schwinden und die Kraft seines Körpers erschlaffen; demungeachtet verrichtete er stets sein Amt mit strenger Pünktlichkeit, wollte sich dem Laufe der Natur überlassen und sein Leben durch keine künstliche Mittel zu verlängern suchen. Vorübergehende Linderung seiner Leiden fand der Bekehrte nur in dem Anblicke der Glückseeligkeit des Herzogs von Manfredonia und seiner Familie; und so oft es ihm seine klösterlichen Pflichten erlaubten, suchte er sich den Genuß zu verschaffen, dieses tröstliche Gemälde zu betrachten.

Nah wenigen Jahren fühlte er, daß seine letzte Stunde nicht mehr fern sein konnte, sah wie der Tod, dem er als Krieger und als Räuber so oft Hohn geboten, sich ihm mit ungestümen Schritten näherte und schauderte auch jetzt nicht. Aber noch einmal mußte er die kleine Viola sehen, bei welcher seine Fantasie so viele Aehnlichkeit mit der verklärten Frau, deren Namen sie führte, zu entdecken glaubte. Das einzige Kleinod was ihm von allen seinen Schätzen auf der Erde übrig geblieben war, bestand in einer Kette und einem diamanten Kreutz, die er einst aus den Händen seines Monarchen erhielt, zur Belohnung für die glorreichste Waffenthat, die den Namen Don Ambrosio von Montalvan verherrlichte. Er schlang die Kette um des Kindes Hals, schleppte sich mit Anstrengung zu dem Grabmal, das Violens Asche verschloß, und erfüllte hingestreckt zu ihren Füßen auf den Marmorstufen den sehnlichsten Wunsch seines Herzens, neben den Manen der Geliebten, die er im Leben angebetet und im Tode stets beweint hatte, zu sterben.

 

Ende des vierten und letzten Bandes.

 


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