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Noch zögerte Victoria einen Entschluß zu fassen, noch immer schwankte sie zwischen der Besorgniß, die so leicht zu verletzende Wohlanständigkeit zu beleidigen, und der Neigung ihres Herzens, die es ihr zur Pflicht zu machen schien, der Einladung des Unbekannten zu folgen, wenn gleich jene in der Erfüllung ihres Versprechens einen Mangel an Gefühl für reine Sittlichkeit zu erkennen glaubte; der Augenblick der Entscheidung nahete und mit ihm wuchs ihre Ungewißheit, da schlug die Glocke im Schlosse zwölf Male. Sie erschrack, der wimmernde Schall drang in ihr Herz, nur der Gedanke durch eine unrichtige Anwendung ihrer von strengen Grundsätzen geleiteten Beurtheilungskraft, durch eine überspannte Ansicht von den Pflichten der Jungfrau und deren Zierde der Sittsamkeit, ihrer Errettung hinderlich sein zu können; sich den Vorwurf machen zu müssen, ein Opfer das selbst der strengste Richter ihrer Handlungen nicht misbilligen konnte, zu Gunsten ihres eignen Wohls verweigert, die uneigennützige Theilnahme, die kühne Beharrlichkeit eines edlen Jünglings verschmäht zu haben, besiegte endlich im Augenblicke der Entscheidung ihre Unentschlossenheit. --
Erinnerte sie sich nicht, daß der Unbekannte sie zu retten versprochen hatte, sobald es ihm gelingen würde, seine Freunde zu befreien? Schien es nicht, als ob die Vorsehung ihn zu ihrem Beistande gesendet hätte? Die fast wunderbaren Begebenheiten, durch welche ihr Zusammentreffen herbeigeführt worden, bekräftigten sie dieses Urtheil nicht? -- Wer war ihr Bürge, daß nicht ein thörigtes Zurückweisen des ihr dargebotenen Rettungsmittels sie zu spät den Vorwürfen preis geben konnte, in ihm die Wohlthätigkeit des Himmels, die besondere Gunst ihres Schutzheiligen verkannt, und Alles verlohren zu haben? -- Ueberdem hatte ihr der unbekannte Jüngling nicht verheimlicht, daß sein Herz bereits gefesselt sei, ihr Benehmen konnte daher höchstens als unbesonnen beurtheilt werden, aber ihr Zartgefühl nicht verwunden; und endlich war sie ja durch ihn zur Kenntniß des geheimen Eingangs in die Bibliothek und zu dem Mittel gelangt, sich nach Befinden der Umstände sogleich zu entfernen. Zu allen diesen Rücksichten gesellte sich noch der Gedanke, daß sie die einstweilige Besitzerin eines kostbaren Kleinods sei, dessen Zurückgabe die Pflichten der Ehre verlangten.
Der letzte Schlag der Glocke hob alle Bedenklichkeiten; Victoria legte die Hand auf die verborgene Feder in der Wand, drückte, die Täfelei gleitete zurück und der erste Gegenstand, den ihr Auge erblickte, war der junge Unbekannte, der am Fuße des Monuments von schwarzem Marmor stand, und sein Auge unverwandt auf die geheime Thür richtete. Victoria erschrack, doch war jetzt keine Zeit mehr, das Vorhaben zu verändern, denn schon hatte sich ihr der Jüngling genähert, half ihr, die Stufen hinab zu steigen, schloß behutsam die Oeffnung im Täfelwerk und bat sie, sich neben ihn auf den Absatz am Fuße des Monuments zu setzen.
Diese zarte Aufmerksamkeit, sie nicht von dem Orte zu entfernen, wo ihr ein Mittel gesichert war, schnell zu entschlüpfen, entging Victorien nicht, und befreiete ihr Herz von aller Unruhe und jedem Mistrauen. Der Unbekannte begann nun ihr mit Worten voll Gefühl, aber Ehrerbietung zu versichern, daß der Beweis ihres Zutrauens, mit welchem sie ihn in diesem Augenblicke beglücke, ihn eben so sehr rühre, als er ehrenvoll für ihn sei; und alsbald entspann sich zwischen Beiden eine lebhafte Unterhaltung, in welcher der liebenswürdige Fremdling so viel Edelmuth und richtiges Urtheil entwickelte, die Güte seines Herzens und eine seltene Anspruchlosigkeit so deutlich zu erkennen gab, daß Victoria sich nicht enthalten konnte, die ihr von dem kühnen und edlen Hippolit eingeflößte hohe Achtung, mit ihm zu theilen. Doch verschloß sie dem unerklärbaren Reize seines Gespräches immer sorgfältiger ihr empfängliches Herz, und je mehr sich dieser Reiz vergrößerte, desto unerschütterlicher stellte Victoria ihm ihre Lebensklugheit und die Strenge ihrer Grundsätze entgegen. Mit dem Drange kämpfend, ohne Rückhalt zu reden und ihrem Zuhörer ihr Herz mit allen seinen Geheimnissen zu öffnen, war sie stark genug, ihrer angebornen Freimüthigkeit Fesseln anzulegen, und das Wenige, was sie von ihren Gedanken, Hoffnungen und ihren Urtheilen ihm mitzutheilen sich getrauete, mußte, ehe es über ihre Lippen trat, einer behutsamen Prüfung unterliegen; diesem Grundsatze getreu hüthete sie sich wohl, bei der Erzählung von den Nachstellungen Alonzo's, der ausgestandenen Gefahren, und der schuldigen Dankbarkeit gegen ihre muthigen Erretter, auf die entfernteste Art etwas zu erwähnen, das diesen Don Manuels Unwillen hätte zuziehen können.
Seinerseits kündigte ihr der Unbekannte an, daß seine Vorbereitungen zur beabsichtigten Flucht seit gestern merklich fortgerückt waren, und daß er Ursach zu haben glaube, sich ein glückliches Gelingen davon zu versprechen, doch bestand er in bescheidener Bitte ferner darauf, sowohl seine Pläne als seine Person auf die frühere geheimnißvolle Art zu verschweigen, weil, wie er sagte, das Verbot sich in Ansehung dieser Gegenstände jetzt schon zu erklären, noch nicht aufgehoben sei. Aber dieses Hindernisses ungeachtet, wußte er die Zeit der Zusammenkunft so trefflich auszufüllen, der Unterhaltung so viel lebhafte anziehende Kraft zu verleihen, daß auch nicht eine einzige Pause Victorien Gelegenheit bieten konnte, ihn vor Ablauf der bestimmten Frist zu verlassen.
Doch leider für den Jüngling viel zu früh ließ sich der unglückliche Schlag der Schloßuhr vernehmen. Sogleich sprang er auf, und als Victoria die Stufen zur heimlichen Oeffnung betrat, sprach er mit einem Seufzer: Wie schnell ist die Zeit seit Mittag verstrichen, dagegen wird ihr Lauf bis zu dem Augenblicke, wo Ihr mich mit einer zweiten Unterredung beglücken werdet, in tödtlicher Langsamkeit dahinschleichen. Darf ich es wagen, mir dieses Glück auf Morgen zu erbitten, wenn sonst kein Hinderniß sich ihm widersetzt?
Victoria antwortete nicht, aber glühende Röthe überzog ihr Gesicht.
Ach, rief er schmerzhaft aus, so hab ich doch noch den Verdacht aus Eurer Seele nicht verbannen können, Ihr fürchtet, Euch mir anzuvertrauen.
Nein, antwortete Victoria mit liebenswürdiger Aufrichtigkeit, mein Herz giebt keinem Verdachte, keinem Mistrauen Raum, aber ihm mangelt die Leitung, der Rath des reifern Alters, und in diesem Augenblicke fragte ich mich, ob die weise Erzieherin, unter deren Augen ich schon die Jahre der Kindheit verlebt habe, die mich noch vor wenigen Wochen an ihre mütterliche Brust drückte, ob sie diese geheimen Zusammenkünfte billigen oder wenigstens entschuldigen könnte? -- Ach, obgleich mich unübersteigbare schreckliche Hindernisse von ihr trennen, so will ich mich doch bemühen, so zu handeln, als ob ich noch das Glück genösse, von ihr bewacht, beobachtet und beschützt zu sein.
Was könnte sie in diesen Zusammenkünften finden, unterbrach der Jüngling Victorien mit Feuer, das nicht ihrer Weisheit, ihrer Zärtlichkeit ganze Beistimmung verdiente? -- Was würde sie in ihnen anderes sehen, als einen neuen Grund, auf ihre Schülerin stolz zu sein? -- Ach, befändet Ihr Euch noch unter dem Schutze einer wohlthätigen Macht, wäret Ihr noch von Euren Eltern und Freunden umgeben, nie würde der Gedanke bei mir erwachen, Euch durch meine Bitten zu diesem Schritte zu verleiten. Treffe mich die himmlische Rache, wenn ich je die Absicht hegte, Euer grausames Geschick zu misbrauchen, Euch, die von der ganzen Menschheit Verlassene, zu betrügen! Habe ich den Wunsch geäußert, daß Ihr bei diesen Zusammenkünften weniger zurückhaltend und behutsamer sein mögtet, als Ihr es unter den Augen Eurer weisen Erzieherin waret? Man hat Euch allen Beistand geraubt, mithin bin ich Euch den Meinigen schuldig; in diesem Anerbieten liegt der Grund meiner Bitten, dies ist meine Entschuldigung, wenn ich Euch zu überreden suchte, mir Eure Gegenwart zu schenken, die doch kein anderer Ausweg zur gegenseitigen Mittheilung ersetzen kann. Das Urtheil, was früher Eure Handlungsweise leitete, kann unter den gegenwärtigen Umständen Euer Führer und Rathgeber nicht mehr sein. Das unerbittliche Schicksal warf Euch auf eine Bahn, wo Ihr unerhörten Gefahren, ja dem Verderben begegnet; diese Bahn verlangt von Euch andere Ansichten, Opfer und Anstrengungen, wenn Ihr sie glücklich beenden wollt. Die schreckliche Nothwendigkeit will, daß Ihr von Ungeheuern, die Ihr nie hättet kennen sollen, umringt sein sollt; muß aber deshalb jeder, der sich Euch nahet, ein Verräther, ein Betrüger sein?
Es ist leider nur zu wahr, erwiederte traurig Victoria, ich bin von lasterhaften Menschen umgeben, deren Anblick mich zittern macht. So lange der Himmel es duldet, daß ich in Don Manuels Schlosse lebe, wird dieses mein Loos sein. Aber so schrecklich auch dieses Loos ist, so kann es doch mein Gewissen nicht beunruhigen; mein Herz bebt, doch mit des Vorwurfs schmerzhaftem Stachel kann es mich nicht verwunden, denn ich habe dieses Unglück durch mein Verschulden mir nicht zugewendet. Sobald ich indeß mich hieher zu Euch begebe, so gehorche ich der Nothwendigkeit nicht mehr, ich weiche der Gewalt nicht, es ist eine willkürliche, freie Handlung, bei welcher ich nur die Vernunft und mein Herz zu Rathe ziehe.
Bei diesen Worten glänzten die Augen des Jünglings von Bewunderung, und sein Beifall sprach sich in seinen Blicken so deutlich aus, daß Victoria verwirrt, verwundert und geschmeichelt ihr Gesicht wegwandte, um ihre Verlegenheit zu verbergen. Nach einer Weile sprach der Unbekannte:
Ich werde von jetzt an nicht ferner Euch bestürmen, um die Gunst zu erlangen, die ich von Euch so dringend erbat. Eurer reinen, himmlischen Tugend allein will ich die Entscheidung überlassen, jede Bemühung sie zu zwingen, scheint mir eine Gotteslästerung; ich lege mein Schicksal in die Hände Eures freien Willens, und erwarte morgen um Mittag von einer schmeichelhaften, aber ungewissen Hoffnung gespannt, ob mir ein günstiger Beschluß des Himmels gestatten will, über Eure und meine Verfolger in vollem Maaße zu triumphiren.
Victoria schien sich zu bedenken, dann richtete sie auf ihren jungen Freund einen Blick, aus dem die Sanftmuth und Aufrichtigkeit ihrer Seele hervorleuchtete, und erwiederte:
Ihr habt Recht, die Begriffe, auf welche noch unlängst mein Betragen sich gründete, sind bei den gegenwärtigen Verhältnissen, in welchen ich leider zu leben gezwungen bin, nicht mehr anwendbar. Empfinde ich gleich in gewissenhafter Ausübung meiner Grundsätze gegen diese heimlichen Unterredungen einige wohl begreifliche Abneigung, so fühle ich doch, daß sie fortgesetzt werden müssen, und entschließe mich dazu, als dem einzigen Mittel, welches sich mir darbietet, meine Freiheit wieder zu erlangen. Verzeiht daher meine Bedenklichkeiten, die vielleicht in Euren Augen den Anschein von Undankbarkeit gewannen, sie bezogen sich nur auf die Zulässigkeit unserer Zusammenkünfte, aber glaubt mir, nie regte sich in meinem Herzen irgend ein beleidigender Verdacht gegen Euren Edelmuth. Morgen werde ich mich zur gewöhnlichen Stunde hier einstellen, wenn sonst nicht Hindernisse, welche zu beseitigen mir unmöglich sind, mich zurückhalten.
Der Jüngling verbarg sein Entzücken über diese Antwort nicht, er ergriff Victoriens Hand, die er dankbarlich gern in der seinigen sanft gedrückt haben würde, wenn ihn nicht die der Tugend und dem Unglücke schuldige Achtung zurückgehalten hätte, öffnete mit Vorsicht die Täfelei, blickte umher, ließ seine Freundin in die Bibliothek hinaufsteigen, verfolgte sie mit den Augen und schloß nur dann erst die Oeffnung, als die hohen Pfeiler sie seinen Augen entzogen..
Am äußersten Ende der Bibliothek warf sich Victoria in einen Sessel und suchte sich zu sammeln; Angst und Hoffnung, ihre Unentschlossenheit, ihr Versprechen, eine Anwandlung von Reue, solches wiederholt geleistet zu haben, und der Gedanke, den schönen, den edlen Jüngling durch Täuschung zu kränken, alle diese verschiedenen Empfindungen verwirrten ihren Geist, und der stürmische Wechsel erregte in ihrem Busen eine Beklemmung, die ein ungestümes Pochen des Herzens begleitete. Erst nach einer Weile besänftigten sich ihre aufgeregten Sinne und jetzt fiel ihr ein, daß sie vergessen habe, das Portrait zurückzugeben, eine Unachtsamkeit, über die sie erröthete. Gedankenlos zog sie es hervor, ergötzte sich nochmals an der sprechenden Aehnlichkeit, fühlte, daß sie sich ungern von ihm trennen würde, fand aber Beruhigung, wenn auch nicht Ersatz in dem Gedanken, daß ihn der Wiederbesitz eines gewiß ungern entbehrten Kleinods erfreuen werde. Mit Wohlgefallen betrachtete sie die Züge, auf denen sie noch vor wenigen Augenblicken abwechselnd den Glanz der Freude und Zärtlichkeit ausgedrückt, und mit dem Schleier der Traurigkeit behangen, von peinlicher Angst erbleichend gesehn. -- Sie fühlte sich glücklich, ihre Augen ruheten auf dem anziehenden Gemälde, das ihr den neuerworbenen Freund zeigte, aber plötzlich zerstörte eine unberufene Erinnerung ihre stille Glückseeligkeit. Hatte ihr nicht der Jüngling in ihrer ersten Unterredung seine Neigung für eine Andere entdeckt? -- Dieser Gedanke wirkte auf ihre Einbildungskraft gleich dem Anblicke einer schauderhaften Erscheinung, ihr Herz erstarrte und der Hoffnung zarte Blüthe, die kaum in ihm aufgebrochen war, verwelkte schnell.
Ach, rief sie in Wehmuth aus, ich hatte es leider vergessen, sein Herz ist nicht mehr frei. Thränen füllten ihre Augen. Thörigte Schwachheit, fuhr sie fort, ist es denn so schwer, Dich zu besiegen.
Sie trocknete ihre Thränen und war im Begriffe, das Portrait vor ihren Augen zu verbergen, als sie zufällig ihren Schatten im Sonnenschein am Fußboden, und hinter, aber dicht neben ihr den Schatten einer männlichen Gestalt gewahrte. Ueber diesen Anblick bestürzt und erschreckt, sprang sie auf, sah umher und hinter sich, aber verschwunden war der schreckbare Schatten und keine Spur eines menschlichen Wesens sichtbar.
Dieses unbegreifliche Verschwinden vermehrte ihr Entsetzen, sie eilte zum Glockenzuge, um Theresen herbeizurufen, ihre Augen hatten sie nicht getäuscht, es mußte Jemand sie belauscht haben, denn übernatürliche Erscheinungen gehörten nach ihren Begriffen nur in das Zeitalter der Wunder. In dem Augenblicke also, wo sie sich allein glaubte, wo sie keinen Zeugen ahnend, das Bildniß in ihren Händen hielt, war ein Mann Herr eines Geheimnisses ihres Herzens geworden, das sie vor sich selbst verbergen wollte. -- Und welche Folgen konnten aus dieser Entdeckung für den großmüthigen Unbekannten, der auf ihre Verschwiegenheit so fest bauete, nicht erwachsen? Angst und Scham, wirkten so heftig auf ihr Gemüth, daß sie in Thränen ausbrach, in welchem Zustande sie Therese fand.
Gerechter Himmel! rief diese aus, was ist Euch denn begegnet, theure Sennora, daß Ihr so weint? -- Kann denn selbst Franzisko's Schutz Euch wenigstens für jetzt nicht beruhigen?
Victoria erzählte Theresen die Erscheinung des Schattens und dessen unbegreifliches Verschwinden; diese aber schien weniger erstaunt als erschreckt, denn die gute Therese, deren Geistesvermögen vom Alter und den langjährigen Leiden geschwächt war, hielt sich für fest überzeugt, daß die Bibliothek fortwährend von Gespenstern bewohnt sei.
Kaum hatte Victoria sich etwas beruhigt, so erkundigte sie sich bei Theresen nach dem Befinden Diego's.
Ich war so eben im Begriffe ihm, auf des Sennor Pedro Befehl, eine stärkende Brühe zu bringen, als mich das Schellen von Eurer Hand eilends hieher rief.
Ihr habt also statt Eurer einen Andern zu Diego geschickt, gute Therese?
Nein, Sennora, es war Niemand bei mir.
In diesem Falle geht nur geschwind, und denkt erst dann an mich, sobald Diego Eurer Hülfe nicht ferner bedarf; es wird mir Freude machen zu hören, daß er sich besser befinde.
Therese gehorchte. Als sich jedoch Victoria allein befand, kehrte ihre Aengstlichkeit zurück, und sie sah sich genöthigt ihren ganzen Muth und die Waffen ihrer Vernunft aufzubiethen, um sie zu bekämpfen; aus diesem Kampfe erlösete sie glücklicherweise der Eintritt Don Sebastians. Niemand konnte ihr in diesem Augenblicke erwünschter sein, sie eilte auf ihn zu, und voll Ungeduld einen Ort zu verlassen, der sie zu lebhaft an dasjenige erinnerte, was sie zu vergessen wünschte, bat sie den ehrwürdigen Greis, sie in den Park zu begleiten, wo sich ein Anfall von Mismuth, der sich seit einigen Augenblicken in ihre Seele eingeschlichen habe, gewiß zerstreuen würde.
Don Sebastian war sogleich bereitwillig ihr zu willfahren, nachdem er aber Victorien eine Zeitlang aufmerksam betrachtet hatte, verweilte er und sagte mit Kopfschütteln und im Tone der misbilligenden Theilnahme:
Ach, meine liebe Tochter, Ihr habt geweint, Ihr wollt Euch also nicht bemühen, Eure Gedanken von Eurem Misgeschicke durch Zerstreuungen abzulenken. Ich fürchte, daß wir, wenn Ihr noch länger Eurer Traurigkeit in solchem Grade nachhängt, bald uns mit Mitteln gegen die Krankheit des Körpers wie die der Seele rüsten müssen.
Nach diesen Worten ergriff er mit väterlicher Zärtlichkeit ihre Hand, und führte die liebenswürdige Gefangene in den angenehmsten und einsamsten Theil des Gartens, wo es seinen rührenden und lehrreichen Ermahnungen gelang, seiner jungen Freundin von neuem Muth einzuflößen, und die Bitterkeit ihrer Leiden ihr von der erträglichsten Seite zu zeigen. Aber wenn gleich Victoria mit kindlicher Verehrung an den Greis gefesselt war, seine Zärtlichkeit und Tugenden ihm auch ihr unbegrenztes Zutrauen längst erworben hatten, so hielt sie es doch für rathsamer, ihm die Erscheinung des Schattens, die Ursache ihrer Angst, zu verschweigen aus Besorgniß, daß seine dieserhalb angestellten Nachforschungen ihn zufällig zu einem Resultate führen mögten, mit welchem die Entdeckung eines Geheimnisses, das sie vor Jedermann zu bewahren gelobt hatte, zu nahe verwandt war. Bald lud sie der Schall der Glocke zum Mittagsessen ein; sie kehrten ins Schloß zurück, aßen ungestört und erhielten von Juan, der sie bediente, über den Gesundheitszustand Diego's sehr beruhigende Nachricht.
Nach dem Essen nöthigte ein Besuch bei Franzisko Don Sebastian seine Gesellschafterin zu verlassen, bevor er aber von ihr schied, ließ er sich durch das Versprechen beruhigen, daß sie im Fall eines Uebelbefindens ohne Verzug den Arzt Pedro zu Rathe ziehn und sich seinen Vorschriften unterwerfen würde.
Jetzt war Victoria sich wieder selbst überlassen, und weil es ihr nicht erlaubt war, ohne Begleitung den Park zu besuchen, ungewiß, ob sie in dem Eßsaale bleiben oder ihre Furchtsamkeit überwinden und in der Bibliothek Zerstreuung und Beschäftigung suchen, oder auch sich auf ihr Zimmer begeben und Theresen zu sich zurufen sollte. Zu dem letztern bestimmte sie der Gedanke an die zuversichtliche Aeußerung des Jünglings, daß die Stunde der Flucht bald und unerwartet sich einstellen könne, weshalb sie es für nöthig hielt, einige zu der Entweichung erforderliche Vorbereitungen zu treffen. Der Weg zu ihrem Zimmer führte bei Diego's Wohnung vorüber, nicht fern von seiner Thür begegnete ihr Pedro, der auf ihr Befragen über das Befinden des Kranken die Nachricht Juans bestätigte, jedoch hinzufügte, daß man ihn noch immer vor jeder heftigen Gemüthsbewegung sichern müsse. Mit des Arztes Antwort zufrieden eilte sie in ihr Gemach, verschloß es, jede Ueberraschung zu verhüthen, und wählte unter ihren Sachen das Kostbarste und die unentbehrlichsten Kleidungsstücken aus, band solche in ein Bündel zusammen, ordnete ihre Garderobe für die kurze Zeit, welche sie noch im Schlosse zuzubringen glaubte, versteckte das Päckchen sorgfältig, damit es nicht den Zweck verrathen konnte und richtete nun, als Alles beendigt, im stillen Gebete die Bitte zu dem Allmächtigen, das edle Vorhaben des tugendhaften Jünglings seines Schutzes zu würdigen, und sie aus den räuberischen Händen der Lasterhaften zu erretten.
Der Tag neigte sich zum Abende, als Victoria erst daran dachte ihr Gemach zu verlassen, in welchem sich wie in dem ganzen übrigen Theile des im alten Styl gebaueten finstern Schlosses die Dunkelheit merklich früher einnistete, als an andern Orten; sie konnte es nicht über sich gewinnen, länger allein zu bleiben, und hielt es daher für gerathener sich nach dem Eßsaale zu begeben, wo sie Jemand anzutreffen hoffte. Diego's Kammerthür, die früher halb geöffnet stand, war, als sie vorüberging, geschlossen; sie hörte auch im Innern nicht das mindeste Geräusch, und schloß hieraus, daß der Kranke schlafen müsse; um ihn nun nicht zu erwecken, schlich sie im Dunkeln leise die Treppe hinab; wie erschrack sie aber, als sie auf der letzten Stufe dem langen Gange gegenüber stand, ein heller Lichtschein plötzlich ihre Augen blendete, und sie jenen schwarzen Geharnischten erblickte, der ihr schon einmal in der Bibliothek erschienen war, und der ihr jetzt den Weg vertrat. Das Visir seines Helmes war geöffnet und ließ sein leichenartiges, bleiches Gesicht genau erkennen. Victoria, deren zartes Nervensystem mit jedem Tage mehr litt, war in diesem Augenblicke auf ein Abentheuer der Art nicht gefaßt, halb ohnmächtig stützte sie sich auf die Einfassung der Treppe und suchte mit den Augen das schreckliche Fantom, um Wirklichkeit von Fantasientrug zu unterscheiden, aber mit dem Verschwinden der Helligkeit war es auch ihrem Blicke entrückt, und tiefe Finsterniß lag vor ihr ausgebreitet.
Im Begriff, ihren Weg fortzusetzen, hörte sie ein klagendes, anhaltendes Gewimmer, von neuem sah sie den hellen Schein vor sich, und nicht fern von ihr stand der schwarze Ritter, aber, o Schrecken! sein Antlitz war verwandelt, statt der bleichen Züge grinsete der fleischlose Todtenkopf eines Gerippes sie an. Diesen gräßlichen Anblick konnte sie nicht ertragen, ein Angstgeschrei entfuhr der Armen, noch immer widersetzte sich das Gespenst ihrem Vorhaben, sie mußte daher zurückkehren; kaum hatte sie aber mit unsichern Füßen die Treppe wieder erstiegen, so stürzte sie besinnungslos in Pedro's Arme, den aus Diego's Kammer ihr Geschrei zu ihrem Beistande herbei gerufen hatte.
Der Zufall führte Theresen ebenfalls in die Nähe, sie hörte des Arztes ungestümes Schellen an der Glocke, und wollte beim Anblicke der Ohnmächtigen in lautes Klagen ausbrechen, doch der entschlossene Pedro befahl ihr ungeduldig zu schweigen und ihm zu helfen, damit er Victorien in ihr Zimmer tragen und ihren Zustand untersuchen könne. Glücklicherweise schlief Diego zu fest, um von dem Geräusche erweckt zu werden.
Wohl fing, von des Arztes trefflich gewählten Mitteln gereizt, die Ohnmächtige nach wenigen Augenblicken wieder zu athmen an, wol schlug sie die schönen Augen auf, aber ihre Besinnung kehrte nicht wieder zurück, das Organ des Gedächtnisses war zerrüttet, denn der heftige Schrecken hatte den Ausbruch der Krankheit, die seit einigen Tagen schon in ihrem Blute keimte, beschleunigt, und die Gefährlichkeit der Crisis wuchs so mächtig, daß die Kranke um Mitternacht mit dem Wahnsinne des tödlichsten Fiebers kämpfte. Fünf Tage schwebte sie besinnungslos zwischen Tod und Leben, ohne daß es der Geschicklichkeit und den rastlosen Bemühungen des unermüdlichen Pedro's gelingen wollte, die Fortschritte der Krankheit zu hemmen und die Hitze des Fiebers zu mildern, und wärend dieser fünf unglücklichen Tage blieb sie ihrer Vernunft gänzlich beraubt. Die schrecklichsten Bilder zeigten sich ihrer zerstörten Fantasie, sie rief die ehrwürdigen Schatten ihrer Eltern oft um Beistand an, sie suchte Schutz in den Armen ihrer theuren Ursula und des von ihr getrennten Bruders, sie bat den unbekannten Jüngling um Hülfe und Befreiung aus den Händen wüthender Banditen, die ihre blutigen Dolche gegen ihre Brust gerichtet hatten. Zuweilen schrie sie laut, ihre entstellten Züge drückten dann die größte Angst, die höchste Verzweiflung aus, und kaum waren Theresens und des Arztes vereinte Kräfte hinreichend, sie auf ihrem Bette, das sie wie von Furien gepeinigt mit Aufbietung ihrer gespannten Körperstärke zu verlassen sich anstrengte, zurückzuhalten. --
Endlich besiegte die vortreffliche Beschaffenheit ihres Körpers, ihre unverdorbene Jugend, aber auch die unausgesetzte und wirksame Aufmerksamkeit und Pflege des talentvollen Arztes diese schreckliche Krankheit, und am Abende des fünften Tages erklärte Pedro mit ungekünstelter Freude, daß die Kranke jetzt ausser Gefahr sei. Die sich langsam wieder einstellende Ruhe ihrer Seele stärkte bald alle ihre Organe mit frischem Muthe und verscheuchte von ihrer Fantasie das Heer der Fantome, die sie umlagert hielten. Im Laufe der Krankheit und der Genesung verließen Sebastian und Therese nur selten das Bett der Leidenden, und wachten bei ihr mit so vieler Zärtlichkeit und Sorgfalt, als die einzige Tochter von liebenden Eltern nur hätte verlangen können.
Von dem Augenblicke an, wo es gelungen war, das verzehrende Feuer des Fiebers zu dämpfen, besserte sich Victoriens Zustand zusehends, und das Uebel schien mit eben der Schnelligkeit von ihr zu weichen, wie es sie überfallen hatte, so daß sie nach einigen Tagen schon wieder vermögend war, obschon noch schwach und hinfällig, ihr Zimmer zu verlassen. Nach der Wiedererlangung ihrer Vernunft war ihre erste Pflicht, auf die rührendste Weise ihre Dankbarkeit gegen diejenigen, die sie so sorgsam gepflegt, in nächtlicher Weile bei ihr gewacht hatten, und denen sie ihr Leben dankte, auszudrücken. Wie sehr wünschte sie, daß Pedro sich dazu verstehen. Mögte, von ihr als Beweis ihrer Erkenntlichkeit einige ihrer Kostbarkeiten als Geschenk anzunehmen, aber der genügsame Arzt verweigerte Alles, und nur ihr wiederholtes Bitten konnte ihn bewegen, einen einfachen goldenen Ring auszuwählen, den er mit den Worten an seinen Finger steckte:
Daß er es als eine Ehre betrachte ihn Zeit seines Lebens in Erinnerung des herrlichsten Genusses, den ihm je die Ausübung seiner Wissenschaft verschafft hatte, zu tragen.
Auf Sebastians und Pedro's Erkundigung erzählte nun Victoria ihr Erschrecken über die gräßliche Erscheinung des schwarzen Ritters mit dem Todtenkopfe, so wie die Art und den Ort, wie und wo er sich ihr drohend entgegengestellt hatte; aber Beide waren außer Stande diese wunderbare Begebenheit zu erklären, zweifelten an der Wirklichkeit und hielten sich für überzeugt, daß diese angebliche Erscheinung nur ein Werk des Fiebers gewesen sei, welches damals schon das Blut der Kranken erhitzte, und ihr Gehirn verwirrte; auch Victoria überredete sich ihrem Urtheile beizupflichten, und das Gespenst für die Brut ihrer glühenden Fantasie zu halten.
Aber mehr als diese Unbegreiflichkeit beschäftigte sie der Gedanke an den unbekannten Jüngling, und die von ihr so feierlich gelobte, jetzt nun wider ihren Willen unterbrochene Fortsetzung der heimlichen Zusammenkünfte. Was sollte der Jüngling von ihr denken, mußte er sie nicht der Undankbarkeit oder eines ungerechten Mistrauens wegen anklagen? Wird dieser ungünstige Schein die von ihm gezeigte zärtliche Theilnahme nicht erkälten machen, wird er den Eifer, welchen er zu ihrer Befreiung anzuwenden gelobt, nicht herabstimmen? -- Vielleicht hat sich gar die Gelegenheit zur Flucht gezeigt, vielleicht hat er sie zu Gunsten seiner Freunde benutzt, und sich entschlossen, sie, die er ihrem Versprechen ungetreu und undankbar glaubte, die er für leichtsinnig hielt, in der schrecklichen Gefangenschaft zurückzulassen, aus der zu entkommen, mit ihm nun jede Hoffnung schwand? -- --
Doch nein, in seinem Gesichte, in seinem Benehmen hatte Victoria zu viel Edelmuth, zu viel Seelenadel und Beständigkeit aufgefunden, als daß er so leicht ein Unternehmen hätte aufgeben können, dem er sich mit so viel Wärme unaufgefordert geweiht hatte. Ueberdem verriethen seine Reden, daß er durch irgend ein geheimes Einverständniß von den Vorgängen im Schlosse unterrichtet sein müßte, ihm folglich Victoriens Krankheit nicht unbekannt geblieben sein werde. Diese Betrachtung erleichterte das Herz der kaum Genesenen, und tröstete sie damit, daß wenn der liebenswürdige Jüngling auch der Nothwendigkeit gewichen und ohne sie abgereiset sei, er doch keine ungünstige Meinung von ihr mit sich genommen habe.
In der Ungeduld aus dieser drückenden Ungewißheit erlößt zu werden, verließ sie früher, als es des Arztes Vorschrift erlaubte, ihr Gemach, und war zum ersten Male den Bitten ihrer Freunde ungehorsam. Aber vergebens haschte sie nach dem Augenblicke allein zu sein, um sich in die Bibliothek begeben zu können, Don Sebastian, Therese und Pedro, einen Krankheits-Rückfall fürchtend, verlohren sie auch nicht auf einen Augenblick aus den Augen, und waren an ihre Schritte gefesselt. Ach, wie lästig war ihr gerade jetzt ihrer Freunde zärtliche Besorgniß; wenig fehlte, daß nicht der Zwang ihre Absicht und Ungeduld zu verheimlichen, und die Hindernisse, auf die sie bei der Ausführung ihres Vorhabens immer stieß, neuen Krankheitsstoff in ihr hervorgedrängt hätten.
Mehrere Tage waren schon verflossen, ohne daß Victoria Gelegenheit finden konnte unbeachtet in die Bibliothek zu gelangen; die Hoffnung einer nahen Flucht, welche sie mit so vieler Ueberzeugung in ihrem Herzen genährt hatte, entfernte sich aus demselben immer mehr, betrübt saß sie in ihrem Zimmer und überdachte ihr trauriges Geschick, da trat Therese mit bestürzter Miene herein, und auf ihrer Zunge schien eine schlimme Nachricht zu schweben.
Ach, meine theure Sennora, keuchte sie athemlos, die ruhigen Tage sind vorüber; was mag uns nun bevorstehn, ich habe unten im Saale das verhaßte Gesicht des Ungeheuers, des boshaften Garzias gesehn.
Hastig fragte Victoria, ob er allein zurückgekehrt sei; Therese konnte hierauf keine befriedigende Antwort geben, doch Beide blieben nicht lange in der Ungewißheit, denn Juan erschien in selbigem Augenblicke im Auftrage Don Manuels, der Victorien um die Ehre bitten ließ, mit ihm zu Abend zu essen.
Vergebens würde man es versuchen mit Worten das Erschrecken und die Bestürzung der armen Victoria beim Empfang dieser Einladung zu beschreiben; inzwischen fühlte sie, daß solche ein Befehl sei, dem sie sich leider unterwerfen müsse, sie sammelte daher ihre Standhaftigkeit, erzwang eine scheinbare Ruhe, stützte sich auf Theresens Arm, und, stieg bebend die Treppe hinab; an der Thür des Eßsaals aber verließen sie fast ihre Kräfte, und ohne den Beistand Don Manuels, der ihr auf die höflichste Weise entgegen kam, wäre sie unfehlbar zur Erde gesunken. Mit Ehrerbietung, wahrer Theilnahme und Besorgniß erkundigte er sich nach ihrem Befinden, führte sie hierauf an den Ehrenplatz der gedeckten Tafel, setzte sich neben sie und stellte sie den Anwesenden als die Beherrscherin seines Herzens und die zukünftige Gebieterin dieses Schlosses vor. Abscheu und Verachtung überzogen Victoriens Gesicht mit glühender Röthe, da sie jedoch befürchtete, einen Mann zu erzürnen, der sie in seinen Fesseln gefangen hielt, so begnügte sie sich, ihren Blick zur Erde zu senken, und auf diese Weise ihre Verwirrung zu verbergen. Nur erst nach einer Weile wagte sie es, die Anwesenden zu betrachten, in der Absicht nach ihrem Aeußern zu beurtheilen, was sie zu fürchten oder zu hoffen haben könnte.
Zur rechten Seite bemerkte sie Hero mit bleichem, niedergeschlagenen Gesichte, das ihr Mitleid eingeflößt haben würde, wenn sie sich nicht überzeugt hätte, daß diese elende Dirne von Zeit zu Zeit verstohlene Blicke auf sie warf, aus denen Feindschaft, Wuth und Rache hervorleuchteten; Hero gegenüber erkannte sie den heimtückischen Garzias, von dem sie aber bald ihre Blicke wegwandte, um sie auf einen Unbekannten zu richten, der nicht fern von ihr zur Rechten saß. Er war wie ein Piemontesischer Bergbewohner gekleidet, und lange schon bemühete sich Victoria vergebens sein Gesicht zu betrachten, das er vorsätzlich zu verbergen schien, als gegen das Ende der Mahlzeit eine zufällige Wendung sie ihren Zweck erreichen ließ, und sie zu ihrem größten Erstaunen in dem Unbekannten den unwürdigen Gemahl ihrer Tante, den verhaßten Grafen Polidor von Vizenza erkannte, einen Gegenstand, der in diesem angstvollen Augenblicke nur allein geschaffen schien, alle die auf sie unbarmherzig eindringenden Widerwärtigkeiten und Schrecknisse zu vermehren. Dieser Anblick preßte ihr Herz, und erstarrte ihr Blut, kalter Schweiß bedeckte ihre Stirn, Todtenblässe überzog ihr Gesicht, sie unterschied nichts mehr, ein dichter Nebel umschleierte ihre Augen, matt und gefühllos sank ihr Kopf auf die Rücklehne des Sessels und ohne Besinnung lag die Arme in einem Zustande zwischen Schlaf und Tod.
Ihre Ohnmacht verursachte einen allgemeinen Aufstand unter den Anwesenden, alles umringte sie, schnell rief der bestürzte Don Manuel den Arzt Pedro herbei, der ihre Körper-Beschaffenheit kennend, sie nach einigen Versuchen, wieder ins Leben zurückbrachte. In dem ersten Augenblicke der Unordnung und Verwirrung näherte sich Vizenza Victorien, als sie die Augen aufgeschlagen hatte, und fand Gelegenheit ihr drohend ins Ohr zu flüstern:
Wenn Ihr nur einigen Werth auf Euer Leben und Eure Freiheit setzt, so beschwöre ich Euch im Namen Eures Heilands, hüthet Euch durch Worte oder Merkmale, Verdacht zu erregen, daß Ihr mich auf die entfernteste Weise kennt; es kostet Euch das Leben!
Polidors Stimme vermehrte nur Victoriens Entsetzen, aber das Uebermaaß ihrer Angst verlieh ihr Kraft und gab ihr den verlohrnen Muth wieder. Ohne die ihr gegebene Warnung zu achten, gleichgültig gegen Alles, was auch für sie daraus entstehen konnte, nur dem Willen ihres Herzens folgend, sprang sie schnell auf, eilte in den Hintergrund des Saals, warf sich dort auf ihre Knie nieder, bedeckte ihr Gesicht mit deinen Händen, und flehete mit lauter Stimme zum Himmel um seinen Beistand und Schutz zu Gunsten ihrer Unschuld.
Ach, rief Don Manuel seufzend aus, so ist es nur zu wahr, daß dieses liebenswürdige Geschöpf den Verstand verlohren habe.
Wenn das der Fall ist, fiel nun der Graf von Vizenza in italienischer Sprache und mit angenommener wichtiger Miene ein, so will es ein glückliches Ungefähr, daß ich mich hier befinde; seit langen Jahren schon habe ich dem Studium der Krankheiten, die das Gehirn angreifen, obgelegen, und schon oft das Glück gehabt, meinem Nächsten den verlohrnen Verstand wieder zu geben. Es giebt vielleicht Niemand in ganz Italien, der nicht von dem berühmten Doctor Impazzato hatte reden hören, und mein Ruf ist sogar bis hier ins Land gedrungen, denn ich verließ eben meinen Wohnsitz in Piemont, um den Bitten eines reichen Kaufmanns in Tortosa zu willfahren, dessen Gattin Spuren von Wahnsinn gezeigt hatte, als -- --
Ach, lasset das unzeitige Geplauder, unterbrach ihn Don Manuel heftig, und verliert die kostbare Zeit nicht. Gelingt es Euch, diesen Engel, der mir theurer ist als mein Leben, zu heilen, so rechnet, Doctor, auf die gewisse Erfüllung meines Versprechens: Eure Freiheit und tausend Goldstücke sollen Eure Belohnung sein.
Der Graf antwortete mit einer tiefen Verbeugung, näherte sich nun Victorien und wollte ihre Hand ergreifen, aber sie zog solche mit allen Merkmalen des Abscheus und der Verachtung zurück.
Diese Halsstarrigkeit und Aufwallung des erhitzten Gemüthes, Sennora, sprach der vermeinte Doctor, können Euch nur nachtheilig sein, weil Ihr mich verhindert, Euch einen Dienst zu leisten, was ich doch so sehr wünsche, wenn Ihr nur so gefällig sein wolltet mich anzuhören.
Ihr, schrie sie mit Schaudern, Ihr wollt mir einen Dienst leisten? -- Gott der Gnade und des Erbarmens, schütze mich gegen den ruchlosesten aller meiner Verfolger!
Ihr seht, Sennor, sprach Polidor gelassen, indem er sich zu Don Manuel wandte, ihre kranke Fantasie hält mich für einen ihrer Feinde. Und von neuem wollte er es versuchen, ihre Hand zu ergreifen, allein Victoria floh bis an das andere Ende des Saals, warf sich erschöpft auf einen Sessel und zwei Thränenströme stürzten aus ihren Augen.
Diese Thränen, sprach Don Manuel sich ihr nähernd, können, hoffe ich, zu Eurer Erleichterung beitragen.
Daran ist nicht zu zweifeln, nahm Vizenza das Wort, ich bin überzeugt, daß sie die aufrührerischen Lebensgeister der Sennora besänftigen und sie dahin stimmen werden, günstiger von denjenigen zu urtheilen, die ihr so gern nützlich sein mögten.
Aber zum Teufel, fuhr Garzias barsch heraus, es ist ja nicht das erste Mal, daß wir mit halsstarrigen Dirnen zu schaffen haben, wir sind ja aber, Gott sei Dank, mit hinreichenden Mitteln versehen, sie vernünftig und zahm zu machen.
In diesem Augenblicke trat Pedro, der sich, Arznei zu holen entfernt hatte, wieder herein. Endlich kommt Ihr, redete ihn Don Manuel ungeduldig an, unsere liebenswürdige Gefangene bedarf abermals Eurer Hülfe, Ihr wißt wie heftig meine Neigung zu ihr ist, aber ich fürchte sehr, daß ihr Uebel von ganz eigner Art sei, und Eure Erfahrung es nur schwach beleuchten könne; denn der Doctor Impazzato, den Ihr hier seht, ein kenntnißreicher, und in der Behandlung dieser Art von Krankheiten sehr berühmter Mann, versichert, daß der Sitz des Uebels im Gehirn liege.
Pedro warf einen mitleidigen, fast verächtlichen Blick auf Polidor, ging auf Victoria zu, die ihm ohne Widerstand ihre Hand reichte, und sagte, nachdem er die Kranke untersucht hatte:
Ich nehme mir die Freiheit, die Meinung des Sennor Impazzato zu verwerfen, und behaupte daß der Sitz des Uebels keinesweges im Gehirn zu suchen sei. Die Kranke leidet an einer zu starken Gemüths-Erschütterung; ich verbürge mich sie wiederherzustellen, sobald man mir erlaubt, ihr diejenigen Mittel zu geben, die ich zur Kühlung ihres Blutes für zweckdienlich erachte. Ich war unlängst so glücklich, sie von einem der hitzigsten Fieber, das ich in meiner frühern ausgedehnten Praxis je habe beobachten können, zu heilen, und mehr als zwanzig Mal zitterte ich für ihr Leben. Auf diese Art fand ich Gelegenheit mich zu überzeugen, daß die Quelle ihres Uebels aus der Unruhe ihres zu sehr gereizten Geistes, ihrer zu sehr angespannten zarten Nerven entspringe. Man bringe sie auf ihr Gemach, entferne von ihr alles, was ihre Ruhe stören könnte, und bald wird der Doctor Impazzato zur Ueberzeugung gelangen, daß seine Erfahrung und sein Scharfblick ihn hier doch irre geleitet haben. Ich bin im Stande, ununterbrochen den Zustand der Kranken zu beobachten, da mich meine Pflicht als Arzt in dieser Nacht an Diego's Bette fesselt, dessen Kammer dicht neben dem Gemache der Sennora ist, und dessen Krankheit eine unerwartete, gefährliche Wendung genommen hat.
Wie, unterbrach ihn Garzias heftig, Diego hat die Verwegenheit gehabt, ohne höheren Befehl sich im nördlichen Flügel niederzulassen?
Keineswegs, antwortete Pedro bedeutend, er hat seine Wohnung nicht verändert, die Sennora ist's, welche mit vorausgesetzter Bewilligung des Sennor Don Manuel befohlen hat, ihr ein Zimmer in der Nähe Theresens zu bereiten, damit ihr diese zuweilen Gesellschaft leisten könnte.
Welche alberne Ziererei, murmelte Garzias kaum hörbar, nun, wir werden ja diesem Eigensinne auch wol ein Ziel zu setzen wissen.
Es ist mir sehr leid, schöne Victoria, sprach Don Manuel mit einer Art von Herzlichkeit, daß Ihr eine für Euch so wenig passende Wohnung gewählt habt. Jetzt aber, da ich mich selbst hier befinde und für Eure Sicherheit wachen kann, Ihr auch Niemand mehr zu fürchten braucht, will ich, daß Ihr auf eine anständigere Weise in meinem Schlosse wohnen sollt. Versprecht mir daher in Euer früher inne gehabtes Gemach zurückzukehren, laßt mich Euch nicht vergeblich um diese kleine Gefälligkeit bitten.
Victoria antwortete nicht, aber bezeigte durch ausdrucksvolle Gebärden ihren Widerwillen seine Bitte zu gewähren, dieses bemerkte Pedro, näherte sich Don Manuel und sprach lange zu ihm mit Wärme und Ausdruck in seinen Mienen, obgleich leiser Stimme.
Bei Eurem Leben, fragte, als er schwieg, Don Manuel, ist das Eure aufrichtige und wahre Meinung?
Ja, Herr, bei meiner Ehre! antwortete der Arzt.
Wohlan denn, fing Don Manuel zu Victorien gewendet wieder an, ich will nicht weiter in Euch dringen, theure Victoria, ich ehre jetzt noch selbst Eure Vorurtheile, dagegen schmeichle ich mir, daß Ihr in kurzer Zeit einen Antrag eher berücksichtigen werdet, den Eure Vernunft mit Gründen nicht verwerfen kann.
Die arme noch immer leidende Victoria gab nur durch Zeichen ihre Erkenntlichkeit zu erkennen, und folgte dann Theresen, die sie auf ihr Zimmer zu geleiten, herein kam; hier erst bemerkte sie, daß Hero sie begleitet habe; die Gegenwart dieser treulosen Dienerin, die sich zu ihren Verfolgern gesellt hatte, war ein neuer Dolchstich für ihr gekränktes Herz, mit Recht fürchtete sie in dieser einen Lauscher, den man ihr beigegeben hatte, um sie zu verhindern, ihr Herz vertrauungsvoll denjenigen Mitbewohnern des Schlosses zu öffnen, die Theil an ihrem Schicksale nahmen.
Der Eintritt Pedro's, der ihr Arznei brachte, beruhigte sie etwas. Ach Sennor, redete sie ihn an, seid barmherzig, sagt mir unverholen, darf ich hoffen, bald von alle meinen Leiden befreit zu sein, wird der Tod bald ihnen ein Ziel setzen?
Ich zweifle nicht, Sennora, erwiederte dieser, daß Ihr einer baldigen Befreiung davon entgegen sehen dürft; aber hoffentlich auf keinem so traurigen Wege, als dem Tode.
Ich fühle, es ist mir unmöglich, länger den Zustand zu ertragen, worin ich hier zu leben gezwungen bin.
Dieser Zustand wird auch nicht von langer Dauer sein, Sennora, die Verordnungen der Vorsehung sind für den Sterblichen undurchdringbar, demungeachtet lehrt uns die Religion, den Himmel auch wenn er uns betrübt, als unsern Wohlthäter anzusehn, und stärkt uns mit der Ueberzeugung, dass, wenn er uns auch schwere, drückende Lasten auferlegt, solche doch nie die Kräfte einer sich in seinen Willen fügenden Seele übersteigen.
Bei diesen Grundsätzen, sprach Victoria, wundere ich mich, Euch an einem Orte zu finden, den Ihr zu bewohnen, so wenig geschaffen zu sein scheint.
Nicht immer habe ich mich über meinen Aufenthalt hier beklagen können, oft hat er mir Gelegenheit verschafft, die Leiden meiner Mitmenschen zu lindern, ja sie ganz von ihren Uebeln zu befreien.
Nie in meinem Leben, unterbrach ihn Victoria, werde ich vergessen können, was ich Eurer Menschlichkeit, Eurem gefühlvollen Herzen und Euren Kenntnissen verdanke, ich bin arm und unglücklich, aber die Dankbarkeit ist mit tiefen Zügen in meiner Seele eingegraben.
Das Wenige, was ich weiß, antwortete Pedro mit einer Verbeugung, ist die Frucht meines Fleißes, einer langen Erfahrung und frühern ausgedehnten Praxis, mehr aber noch des glücklichen Zufalls, der mir die Bekanntschaft einiger geschickten englischen Aerzte verschaffte, welche, gleich mir, bei der Armee dienten, und von denen ich durch ihr Vorbild den kostbarsten Unterricht erhielt.
Auf diese Art sprecht Ihr gewiß Englisch? fragte Victoria.
Ziemlich fertig, und Ihr, Sennora?
Ich verstehe diese Sprache, die ich sehr liebe vollkommen, obgleich es mir schwer wird, mich mit Leichtigkeit auszudrücken; ein wenig Uebung würde mir von Nutzen sein, und dieser Wechsel mich zerstreuen.
Es ist mir sehr angenehm, auch mit meiner geringen Sprachkenntniß meiner Kranken dienen zu können, antwortete Pedro, der den Sinn der Frage sehr wohl verstand, dann fuhr er auf Englisch gesprächsweise fort: Vers steht uns diese Dirne?
Nein.
Hüthet Euch vor ihr, und welchen Gegenstand Ihr auch in Unterredung mit ihr berührt, betragt Euch gegen sie mit der größten Vorsicht und Mistrauen. Der Verräther, dessen schändliche Absichten gegen Euch unlängst scheiterten, hat sie durch Verführung und nur in der Hoffnung bethört, sie mit Nutzen bei der Ausübung seiner Pläne zu gebrauchen; nun aber, da der Erfolg seiner Erwartung nicht entsprochen, behandelt er sie mit gebührender Verachtung, und stößt sie von sich. Sie weiß, daß Ihr der geheime Gegenstand der unedlen Leidenschaft ihres vermeinten Geliebten seid, und jetzt hat nun der Unmuth, betrogen, verschmäht und entehrt zu sein, ihr gegen Euch Begierden des Hasses und der Rache eingeflößt, die sie zu befriedigen glüht. Fürchtet sie wie Eure ärgste Feindin, allein zu einiger Beruhigung darf ich Euch sagen, daß jenes geheimnisvolle Wesen, dessen Name allein schon so viel Macht hier im Schlosse besitzt, und den Ihr an diesen Zügen erkennen werdet, ohne daß ich ihn zu nennen brauche, noch immer fortfährt, ungeachtet der Rückkehr des Herrn dieser Burg, Euch zu beschützen, und daß ich besonders beauftragt bin, Euch die feste Versicherung davon zu geben.
Hier unterbrach die Ankunft Theresens den Arzt, der nun wieder die Unterredung in spanischer Sprache anfing, und der Alten befahl, Victorien eine beruhigende Mixtur zu reichen, die er für sie zubereitet hatte, und die sie im Bette nehmen müsse.
Ich werde die Arznei nur dann nehmen, sprach Victoria, sobald ihr mir versichert, daß sie nichts Schlaferregendes enthalte, denn ich will für keinen Preis der Welt mich jetzt dem Schlafe überlassen.
Seid unbesorgt, Sennora, antwortete Pedro, ich habe nur die nöthige Dosis zur Beruhigung Eurer Sinne hinzugemischt, und will durchaus keine Betäubung hervorbringen; überdem wird Therese bei Euch wachen, und ich bleibe am Bette Diego's, dessen Uebel seit einigen Tagen sich sehr verschlimmert hat, weil man meiner Befehle ungeachtet so unvorsichtig gewesen ist, ihm von Eurer Krankheit zu erzählen. Nur mit Mühe habe ich ihn von dem Einfalle, aufzustehn und Euch zu bedienen, und der Ausführung desselben, abbringen können.
Victorien rührte der Eifer und die Theilnahme Diego's, so wie sie sein Zustand betrübte; sie versprach dem Arzte, die Arznei zu nehmen, und dieser rieth im Begriffe wegzugehen Hero, die Kranke allein zu lassen und sich in ihr Zimmer zur Ruhe zu begeben.
Ich werde gehen, sobald es mir gefällig ist, antwortete die freche Dirne trotzig.
Und zwar in diesem Augenblicke wird es Euch gefallen, erwiederte Pedro sehr ernst, ich finde es nicht gerathen, durch Eure Gegenwart die meiner Obhuth anvertraute Kranke belästigen zu lassen; wenn Ihr indeß Euch in des Arztes Vorschriften zu fügen verweigert, so möchte Franzisko Euch leicht einen zweiten Besuch abstatten, und an einen Ort zur Ruhe verweisen, der nicht gar bequem zu sein scheint.
Bei dem schrecklichen Namen Franzisko erblaßte Hero, versprach sogleich zu gehorchen und folgte dem Arzte ohne Widerrede. Victoria begab sich nun auch unentkleidet zu Bette, verschluckte die ihr von Theresen gereichte Arznei, und fiel bald in einen festen Schlaf, trotz aller ihrer Anstrengungen, den Angriffen desselben zu widerstehen. Pedro fand die Ruhe zur Erfrischung und Kühlung ihres heißen Blutes durchaus nöthig, und daher eine Täuschung in Betreff der Bestandtheile seiner Arznei erlaubt; seiner Vorsorge verdankte es Victoria, daß sie bis neun Uhr des andern Morgens eines anhaltenden, ruhigen Schlafes genoß, wärend Therese halb wachend, halb schlafend neben ihrem Bette saß und für ihr Wohl betete.
Obgleich Victoria beim Erwachen von dem Gefühle ihrer Leiden noch nichts verlohren hatte, so waren doch ihre Sinne nicht mehr im Aufruhr, und der lange ruhige Schlaf hatte sie mit neuer Hoffnung gestärkt, aber leider blieb sie nicht lange in dieser ruhigen Gemüthsverfassung. Kaum hatte sie Therese verlassen, so trat Hero zu ihr herein und verkündigte durch die in ihren Augen blitzende boshafte, hämische Freude, daß sie die Ueberbringerin einer unangenehmen Nachricht sei.
Was wollt Ihr, Hero? fragte Victoria kalt.
Mein Fräulein, erwiederte die Befragte mit den Gebärden einer vorsätzlich übertriebenen und ins lächerliche fallenden Ergebenheit, der Sennor Don Manuel von Bascara hat mich beauftragt, der Donna Victoria von Modena seine unbegrenzte Ehrfurcht zu Füßen zu legen, und sie zu bitten, ihn mit ihrer Gegenwart beim Frühstück zu beehren.
Victoria schien das unschickliche, spöttelnde Betragen ihrer Zofe zu übersehen, und schickte sich an, ihr schweigend zu folgen, als ihr Pedro's Rath, vorsichtig zu sein, einfiel, deshalb sagte sie nach einigem Bedenken:
Bevor ich Euch begleite, wünsche ich Theresen und Pedro zu sehen, der Beistand des Letztern ist mir überdem vonnöthen; diese Gunst wird man mir hoffentlich nicht verweigern.
Ohne Zweifel, antwortete Hero, wird es der Sennora erlaubt sein, sie zu sehen, aber nicht hier. Ihr seid ja so herablassend, so erkenntlich gegen Eure Freunde, werdet also nicht zu viel thun, wenn Ihr sie in dem Kerker, wo sie eingeschlossen sind, besucht.
Was soll das bedeuten, Hero, fragte Victoria erschreckt, ich verlange Theresen und den Arzt zu sprechen, wo sind diese?
Muß ich Euch es denn wiederholen? -- Im Gefängnisse, mit allen Euren andern tapfern Rittern; Sennor Garzias hat mir es so eben zugeschworen. Es dünkt mich billig und gerecht, daß das Fräulein diejenigen im Kerker besuche, die durch ihren Eifer und ihre Anhänglichkeit an deren Person hineingeschleppt sind. Zudem wird das Fräulein dort sich nach Gefallen mit dem Sennor Pedro in der Sprache unterhalten können, die es so sehr liebt.
Victorien schauderte über die Bösartigkeit der Dirne, die unter Frohlocken ihr das Herz zerriß; um sich von ihr zu entfernen, eilte sie schnell aus ihrem Zimmer und verweilte einen Augenblick vor Diego's Gemache, dessen Thür geöffnet stand; sie blickte nach der Stelle, wo sie das Bette und den Kranken zu finden hoffte, aber das Bette war leer, selbst die Matratzen, so wie alle Geräthschaften im Zimmer waren verschwunden.
Mein Gott, rief Victoria mit heftigem Erschrecken, was ist aus Diego geworden?
Ja, was Diego anbetrifft, antwortete die unbarmherzige, giftige Schlange, welche ihr gefolgt war, der ist nicht mehr auf dieser Welt.
Diego todt! schrie die Unglückliche im Tone des höchsten Schmerzes. Gütiger Gott, Diego todt! --
Diese unerwartete, schreckliche Nachricht, der Verlust eines treuen Dieners, der ihren Vater geliebt hatte, der mit wahrer herzlicher Theilnahme an ihr hing, zerstörte in einem Augenblicke die durch Pedro's zweckmäßige Arznei hervorgebrachte wohlthätige Wirkung, und lähmte Victoriens Bewußtsein, sie stand unbeweglich und erstarrt, als Hero, die sie nicht verließ, sich mit den Worten: »Nun, Sennora, was hält Euch zurück, Don Manuel wird die Geduld verlieren, und Euch selbst herbeiholen,« zu ihr wandte und ihre Hand ergreifen wollte. Die Berührung dieser elenden Kreatur schreckte Victorien aus ihrer Sinnslosigkeit auf; sie schauderte, bot ihre schwindenden Kräfte auf, entriß sich Hero's Händen, stürzte die Treppe hinab, eilte mit allen Merkmalen der Geistesverwirrung und Verzweiflung durch den Saal, wo Don Manuel und seine Gefährten versammelt waren, dann in die Bibliothek bis zur Thür, welche zu Don Sebastians Wohnung führte. Hier setzten leider Schloß und Riegel ihrer Flucht ein Ziel, aber die Unglückliche hoffte daß ihr Rufen den Aufenthalt des Sennor Sebastian erreichen würde, sie klammerte sich fest an der Thür-Einfassung, und ließ die Gewölbe von ihrem Geschrei um Hülfe und Beistand ertönen, ohne zu bedenken, daß Don Sebastian, gleich ihr ein Gefangener, sie nicht zu schützen vermögte.
Wärend dem hatte sich der wilde Garzias ihr unvermerkt genähert, er schlang seine Riefen-Arme um sie, hob sie in die Höhe und trug sie, ohne auf ihr Geschrei zu achten, bis in den Bezirk der Gefängnisse.
Ach, Ihr spielt die Widerspenstige, brummte der unbarmherzige Bandit, Ihr glaubt also uns widerstehen zu können. -- Thörin, Du kennst noch unsere Korrections-Mittel nicht, wir haben zur Genüge Deinen hartnäckigen Sinn zu beugen; lerne erst die Handschellen, das eiserne Schnürleib und andere kleine Erfindungen dieser Art kennen, die ein kluger Kopf erdachte, dergleichen rebellische Geister zur Vernunft und Nachgiebigkeit zurückzubringen und sie zu kirren.
Mit diesen Worten schleppte der Unhold sein Opfer bis zur eisernen Gitterthür des Gefängniß-Reviers, hinter welcher Gonzalvo's Gestalt wie ein unterirrdisches Gespenst hervorstieg.
Schließt sofort die Folterkammer auf, rief ihm Garzias zu, und bringt den nöthigen Apparat in Ordnung.
Schweigend ging der Gefangenwärter vor ihm her, öffnete die Thür eines engen Kerkers, in welchem nichts als ein Haufen Stroh sichtbar war, auf dieses Schmerzensbett ließ der Tiger seine unschuldige Beute niedersinken und grinsete sie an. Aus des Ungeheuers Armen befreit, hob Victoria ihre bittenden Hände zum Himmel und suchte Schutz bei der Gottheit, mit jener frommen Ergebung und dem unerschütterlichen Glauben, die sie auch in den grausamsten Prüfungsstunden aufrecht erhielten.
Der Wüthrich lachte laut auf, als er die Unglückliche beten sah.
Ihr werdet ohne Zweifel dem Himmel bald eine Schaar seiner Engel abdringen, rief er höhnend und spottend, damit es Euch hier nicht an Gesellschaft fehle, bis zu ihrer Ankunft will ich Euch aber doch den Doctor Impazzato schicken, dessen weiser Gesellschaft Ihr sehr zu bedürfen scheint.
Hierauf entfernte sich Garzias und bald nach ihm trat der Graf von Vizenza in den Kerker, der sich hinter ihm verschloß..
Eine Weile schwiegen Beide, zuerst brach Victoria das Stillschweigen; Herr Graf, redete sie und blickte ihn mit kaltem, ruhigen Auge, aus dem die ganze Stärke ihrer Seele sprach, an, Ihr kommt wahrscheinlich, Euch von dem Zustande zu überzeugen, den Ihr für Eure Nichte, die Mündel Eurer Gemahlin, die Anverwandte Eurer Wohlthäter, zubereitet habt. Seht und prüft, vielleicht ist es möglich Euer Opfer noch tiefer zu erniedrigen, sein Unglück noch zu vergrößern.
Grausame, undankbare Victoria, antwortete der Graf von Vizenza, indem er sich bemühete ein Ansehn von Bestürzung und Erstaunen anzunehmen, nachdem ich so vielen Gefahren getrotzt, tausendmal mein Leben gewagt habe, um zu Eurem Beistande herbei zu eilen, konnte ich da solch einen Empfang von Eurer Seite erwarten? Wie viele Hindernisse habe ich nicht beseitigen, wie viele Mühseligkeiten ertragen, wie vielem Ungemach mich blos stellen müssen, um diesen unsichtbaren, höllischen Aufenthalt zu entdecken, und in dessen fast unzugängliches Innere zu dringen? Und alles dieses geschah in der einzigen, reinen, uneigennützigen Absicht, Euch aus der schmachvollen Gefangenschaft, in der Ihr schmachtet, zu befreien!
In Begleitung einiger treuen und muthigen Freunde bahnte ich mir einen Weg durch der Waldung Dicke, über der Felsen Abgründe, die dieses Schloß umgeben; Euch zu dienen habe ich mich freiwillig dem wüthenden Angriffe der Räuber ausgesetzt, und mich mit meinen Gefährten ihren drückenden Fesseln überliefert. Unser Leben, unsere Freiheit, selbst unsere Ehre, kein Opfer war für uns zu kostbar, um Euch nahe sein und den Vorsatz ausführen zu können, Euch aus dieser Banditenhöhle zu entführen.
Herr Graf, erwiederte Victoria als jener schwieg, Ihr habt zwar auf meines Alters natürliche Unbefangenheit und Leichtgläubigkeit gerechnet; aber Ihr habt nicht daran gedacht, daß die Schule des Unglücks dasjenige ersetzt, was der unerfahrnen Jugend an Vorsicht mangelt. Es gab einst eine Zeit, wo in meinem Herzen Zutrauen zu Euch und Anhänglichkeit an meinen vermeinten Beschützer zu entstehen begann; doch diese Zeit ist vorüber, und nie, nie wird sie zurückkehren. Von dem Augenblicke an, da Ihr Euch nicht gescheuet habt, die Euren Händen von einem Vater, einem sterbenden Freunde wie ein heiliges Vermächtniß anvertraute, in Eurem eigenen Hause untergebrachte, Eurem besondern Schutze übergebene hülflose Waise, auf die schändlichste Art zu kränken; von diesem Augenblicke an zeigte sich mir die Bösartigkeit Eures Herzens in ihrer ganzen entsetzlichen Größe, ich sah in alle Falten dieses Herzens, und entdeckte in ihm auch nicht einen Winkel, wo das Gefühl für Ehre hätte verborgen sein können. Ohne Wiederkehr habt Ihr alle Rechte auf meine Achtung verlohren, und von nun an kann ich Euch nur mit Abscheu und Verachtung sehen und anhören.
Thörigtes Mädchen! rief der Graf vor Zorn erblassend aus. Ihr verachtet die Euch angebotene Hülfe, Ihr trotzt mir, Ihr wagt es mich zu beleidigen? -- Bedenkt wohl, was Ihr thut, ehe es zu spät ist, beschleunigt nicht muthwillig Euer eigenes Verderben; ein schrecklicher Abgrund ist vor Euren Füßen gähnend geöffnet, ein Augenblick blinder Uebereilung kann Euch ohne Rettung hinabschleudern. Ihr wißt nicht, wie viel ich vermag!
Ich weiß nur zu gut, erwiederte Victoria, wie viel ich von Euch zu fürchten habe, aber nie werde ich mich erniedrigen, meine Gefühle zu verstellen. Eure Drohungen können meine Gesinnungen nicht verändern. -- Erwägt auch Ihr, was Ihr zu thun willens seid. Der Tod des kleinsten der Insecten ist seinem Schöpfer nicht unbekannt, wie könnte er gleichgültig sein bei dem Untergange eines menschlichen Wesens, das frei von Vorwürfen und von allem Beistande entblößt ist? -- Ihr könnt mich ohne Zweifel verderben, aber früh oder spät wird der Tag der Gerechtigkeit und Vergeltung anbrechen, und das strafende Schwert der himmlischen Rache schwebt fortwärend über dem Haupte dessen, der den Schwachen verfolgt und den Unschuldigen betrübt! --
Victoria sprach diese Worte mit so viel Nachdruck aus, die Begeisterung der Religion und Unschuld verlieh ihren Augen einen so reinen, seelenvollen Glanz, und ihre Unerschrockenheit und Ruhe erhöheten die Reize ihrer Schönheit und ihrer Unschuld Anmuth auf eine so wunderbare Weise, daß selbst Polidor davon ergriffen ward. Sein für Verbrechen abgehärtetes Herz fühlte wärend eines Augenblicks die unwiderstehlige Gewalt der Tugend, aber dieser Augenblick war kurz.
Nichts kann also, hub er wieder an, Eure grausame Widersetzlichkeit besiegen? -- Ihr wollt es, Ihr sprecht selbst Euer Urtheil aus, und zwingt mich, Euch der Willkühr dieser blutdürstigen Männer zu überlassen, die mit den empörendsten Verbrechen spielend umgehen.
Wenn ich zu Euch meine Zuflucht nehmen muß, erwiederte Victoria entschlossen, um dem Tode zu entgehen, so will ich es versuchen, seiner Bitterkeit Trotz zu bieten.
Der Tod, sprach Polidor hohnlachend, ist nicht das Euch jetzt zugedachte Loos. Für ein Weib wie Ihr seid, giebt es Qualen, die hundertmal schrecklicher als der Tod sind, und diese Qualen erwarten Euch. -- Es kann Euch nicht unbekannt sein, welche gefährliche Neigung Eure Schönheit in Don Manuels roher Brust entzündet hat, und glauben könnt Ihr, alles wird er sich erlauben, um seine schändlichen Absichten mit dem Erfolge zu krönen.
Nicht minder schändliche Absichten offenbart der Graf von Vizenza, antwortete Victoria, und freiwillig werde ich mich den unzweideutigen Gefahren eines verderblichen Schutzes, den er mir anbietet, nicht überliefern.
Also findet es die keusche Victoria ihrer Tugend angemessener, fragte Vizenza höhnisch, die Geliebte eines Räuber Chefs zu werden?
Ach, Signor, seufzte sie, seit langer Zeit schon bleibt mir selbst nicht einmal die Wahl im Unglücke übrig. Ihr und Eure verbrecherischen Absichten haben dafür gesorgt, daß die Tochter Eures Wohlthäters jetzt nur ein leidendes Opfer, ein elendes Spielwerk ihrer Henker ist.
Wollt Ihr mich nur noch einen Augenblick anhören? rief der Graf in heftiger Ungeduld aus, und ergriff mit Ungestüm eine ihrer Hände.
Auch hierin, erwiederte Victoria, habe ich keine freie Wahl. Mit Euch in diesem engen Kerker eingeschlossen, kann ich es nicht vermeiden, Eure Worte zu hören.
Ich bekenne, fing Polidor mit verstellter Aufwallung und Schaam an, in einem unseligen Anfalle von Geistesverwirrung, den ich verabscheue, wagte ich es, von so vielen unwiderstehlichen Reizen geblendet, strafbare Wünsche aus meinem Herzen hervorzulocken, ja ich war so kühn, sie Euch zu entdecken. Ich vergaß auf einen Augenblick die Gesetze der Ehre, die Rechte der Tugend, aber mit wie vielen Vorwürfen des Gewissens und quälender Scham habe ich diesen Augenblick der vorübereilenden Verblendung und des Wahnsinns nicht gebüßt! -- Die erlittene Kränkung ließ Euch Klage bei der Herzogin führen; mein Fehltritt und meine Reue waren ihr schon bekannt, nichts destoweniger schien sie entrüstet und verwieß Euch in Eure Zimmer, meinen Nachstellungen zu entgehen. Aber weder Ihr noch ich, waren der Gegenstand ihrer Unruhe und Eifersucht; die Furcht, eine strafbare Leidenschaft, die in ihr tobte, beschränkt zu sehen, war die Veranlassung dazu. Ja, schöne, tugendhafte Victoria, mit den schmerzlichsten Gefühlen muß ich Euch meine eigne Schande gestehen, und vor Euren Augen ein Weib entlarven, das Ihr seit früher Kindheit gewohnt waret, zu achten und zu lieben. Auch ich liebte sie einst mit ungestümer Zärtlichkeit, meine vorgefaßte Meinung von ihrer Tugend ließ mich ihre Denkungsart und ihre Aufführung nur in dem Spiegel blinder Vorliebe beurtheilen. Doch genug davon. Ich war schrecklich getäuscht, jetzt weiß ich Alles, mir ward unlängst die traurige Ueberzeugung, daß die Herzogin von einer unerlaubten Neigung für den Grafen von Montfort glühe, der zu ihrem Leidwesen von Euren Reizen gefesselt, ihr seine Absicht vertraut hatte, Euch seine Hand anzubieten und Erhörung zu erflehen; daß sie Euch in die Einsamkeit verbannte, um eine Erklärung von Seiten des ungeduldigen Montforts zu verhindern, und nun, als des Jünglings Leidenschaft trotz allen Hindernissen wuchs, und er fest entschlossen war, zu Eurem Besitze zu gelangen, in Geheim die Reise nach Spanien veranstaltete, welche so schreckliche Folgen für Euch mit sich geführt hat. Urtheilt von meinem Schmerze und meiner Verzweiflung, als ich zu spät ihre Absicht entdeckte, und es mir unmöglich war, die Ausführung zu hintertreiben. Ohne Zaudern verließ ich die ränkevolle, strafbare Gattin, und folgte rastlos Eurer Spur, aber lange Zeit blieben meine Nachforschungen vergeblich. Ihr und Eure Begleitung waret verschwunden, und in den Pyrenäen verlohr sich der Faden, welcher mich bis an Spaniens Gränze in der Hoffnung leitete, daß ich Euch einholen oder Euren Aufenthalt entdecken würde. Fruchtlos durchirrte ich die unwegsamsten Thäler und Schluchten, verzweiflungsvoll erstieg ich die schroffsten Felsen und wagte mich über unabsehbar tiefe Abgründe, meine Hoffnung schwand und meine Geduld war erschöpft; da war ich endlich so glücklich, den einzigen Eurer Diener aufzufinden, der in der Mordnacht den Dolchen der Banditen entronnen war; und von ihm erfuhr ich Eure Entführung. Fest entschlossen, Alles zu wagen, um Euch Freiheit, Euer Leben und Eure Ehre zu retten, verband ich mich mit einigen kühnen Freunden, die wie ich darauf gefaßt waren zu sterben oder das Ziel zu erringen. Bevor ich indeß mich auf den Weg machte, mein Vorhaben auszuführen, erfuhr ich, daß der Graf von Montfort endlich den Verführungen meines ungetreuen Weibes nachgegeben habe, ich erhielt untrügliche Beweise ihrer strafbaren Verbindungen, und nun entschloß ich mich, ein mir angebotenes Hülfsmittel in Anwendung zu bringen, welches mich auf die Möglichkeit hinwieß, alle die mich an jenes verhaßte Weib knüpfenden Bande zu zerreißen, die mit Elwiren vollzogene Vermälung für ungültig und uns von Rom als geschieden erklären zu lassen. Darf ich es Euch sagen, angebetete Victoria, der so schrecklich Betrogene frohlockte darüber, daß mir die Herzogin ihre Untreue nicht zu verbergen gewußt hatte, denn nun wieder vollkommen frei geworden, konnte ich mein Herz und meine Hand derjenigen anbieten, die mir von dem Augenblicke, wo ich so glücklich war sie kennen zu lernen, die heißeste Liebe eingeflößt hatte. -- Verzeiht ein Uebermaas von Voreiligkeit und Vermessenheit, wenn ich also in der schmeichelhaften Hoffnung einer Erhörung diese schriftliche Zusicherung habe aufsetzen lassen.
Bei diesen Worten zog der Graf ein Papier hervor, reichte solches Victorien und fuhr fort:
Es enthält eine Erklärung, durch welche Ihr Euch verpflichtet, Euch mit mir zu vermälen, und die ich Euch zu unterschreiben bitte. Ist diese Formalität beobachtet, so entführe ich Euch ohne Weiteres aus diesem Orte des Schreckens, geleite Euch in das Kloster, wo sich jetzt Eure theure Erzieherin, die Signora Farinelli, befindet, und überlasse es Eurem Gutdünken, dort so lange bei ihr zu verweilen, bis es Euch gefallen wird, Euer Versprechen zu erfüllen und mich glücklich zu machen.
Obgleich Victoria in dieser Erzählung und dem Antrage des Grafen sogleich eine neue, ihrer Leichtgläubigkeit gelegte Schlinge entdeckte, so unterdrückte sie doch ihren Abscheu und Unwillen, sah dem arglistigen Polidor forschend ins Auge und fragte:
Erklärt mir doch, durch welches Wunder hat Derjenige von meinen Begleitern, welcher den mörderischen Streichen der Räuber, die mich entführten, entgangen sein soll, Euch in dieses geheimnißvolle Schloß, das seit so vielen Jahren schon, selbst den Gebirgsbewohnern unbekannt, unsichtbar und unzugänglich gewesen, dessen Eingang auch der von seinem Dasein Unterrichtete nicht hat auszuspähen gewußt, einführen können?
Der Graf, über diese Frage in sichtliche Verlegenheit gerathen, zögerte mit der Antwort.
Herr Graf, fuhr Victoria verächtlich fort, Ihr hättet bei der Erdichtung dieser Geschichte doch wol etwas mehr Scharfsinn gebrauchen sollen, oder vielleicht dünkte Euch die Einfalt derjenigen, die Ihr damit hintergehen wollt, doch größer als sie ist.
Ich sagte Euch nur Wahrheit, erwiederte Polidor gefaßt, und meine Verlegenheit, die Ihr so unrichtig deutet, hat darin ihren Grund, daß mich Euer unedler Verdacht zwingt, meinem gegebenen Worte ungetreu zu werden. Der zu Eurer Begleitung gehörige, den Dolchen der Räuber entronnene Diener konnte mich nur in die Waldung der Gebirgskette führen. Hier irrte ich lange spähend umher, bis ich endlich in der Gegend von Baskara so glücklich war, einen Räuber von Don Manuels Trupp mit Hülfe des Goldes und unter dem Versprechen des Geheimnisses zu bestechen, der mich in des Raubschlosses Nähe geleitete, und mir Mittel anwieß, mich von dieser Verkleidung begünstigt, von Don Manuels Bande aufgreifen zu lassen.
Diese mit dem Schein der Wahrheit schwach gestempelte Erklärung erschütterte dennoch Victoriens vorgefaßte Meinung nicht; weder die Bitten Polidors, noch seine Drohungen und sonstigen Kunstgriffe der Ueberredung konnten ihren Entschluß ändern. Als er nun zur Ueberzeugung gelangte, daß er über sie nichts gewinnen konnte, so brach er in Erbitterung aus:
Ich lasse Euch noch vier und zwanzig Stunden Zeit, damit Ihr Eure Sinne zum Nachdenken sammeln und Eure unheilbringende Halsstarrigkeit bekämpfen könnt; ist diese Frist verstrichen, so werde ich hier wieder eintreffen, um Euer Schicksal und das Meinige zu erfahren. Wenn Ihr dann noch darauf beharrt, Euch selbst zum Verderben und zur Schande zu verurtheilen, so bin ich gezwungen, Don Manuel den Irrthum zu benehmen, in welchem er über die vermeinte Geisteszerrüttung, die ich Euch angedichtet habe, um Euch ohne Zeugen sprechen zu können, noch lebt, und alsdann bleibt mir kein Mittel mehr übrig, Euch den schändlichen Absichten, die dieser Elende gegen Eure Ehre und Tugend gerichtet hat, zu entziehen.
Nach diesen Worten verließ der Graf das Gefängniß, Gonsalvo verschloß die Thür, und die Gefangene überließ sich ihren traurigen Betrachtungen. Nach einer Weile, als sie sich erschöpft auf ihr Strohlager niedergelassen hatte, bemerkte sie neben demselben etwas weißes und fand, daß solches ein zusammengedrücktes Stück Papier war, welches nach der Stelle, wo es lag, zu urtheilen, dem Grafen entfallen sein mogte, als er die Heiraths-Versicherung hervorzog, um sie von Victorien unterschreiben zu lassen. Dieser Umstand erregte ihre Neugierde; sie näherte sich dem Gitter ihres Kerkers, durch welches spärliches Tageslicht hereinfiel, und fand nun, daß das Papier ein Stück von einem zerrissenen Briefe sei, dessen Schriftzüge ihr zwar unbekannt waren, die aber doch deutlich nachstehende fünf unzusammenhängende Zeilen bildeten:
… auch die Sennora in die Falle geht …
… nur die Hälfte der reichen Besitzungen …
… den Bruder aus dem Wege zu schaffen, dem die andere Hälfte …
… das Gerücht, als sei er in der Schlacht geblieben …
… Geld und zwei sichere Männer anzuschaffen, …
Victoria erstarrte, als sie gelesen, vor Entsetzen; diese Zeilen offenbarten ihr ein Complot, schwärzer, schändlicher, als sie es nur immer geahnet hatte. Es war ihr klar, durch die Unterschrift des Versprechens, das dem Grafen Polidor ihre Hand und ihre Güter zusicherte, unterzeichnete sie das Todesurtheil eines zärtlich geliebten Bruders; und nur der Gedanke an seinen Tod war mehr als hinreichend, sie in ihrem Entschlusse zu bestärken, eher die schrecklichsten Qualen zu erdulden, als in das Begehren Polidors zu willigen, das man von ihr erzwingen wollte. Sie fürchtete die im Hintergrunde auf sie lauernden schweren Prüfungen; sie durfte leider erwarten, daß der lasterhafte Graf von Vizenza kein Verbrechen scheuen würde, seinen Endzweck zu erreichen; aber sie fühlte Kraft in ihrer Brust, eher der Welt zu entsagen und sich dem Tode in die kalten Arme zu werfen, als die Hand eines Elenden zu ergreifen, welche nach dem Raube ihrer Ehre und dem Leben ihres theuren Bruders ausgestreckt war. Von einer dunklen, unheilversprechenden Zukunft bedrängt und beängstigt, warf sich die Unglückliche auf ihre Knie und erbat Schutz vom Himmel, aber ein schauderhaftes Gerassel von Ketten, die in dem angrenzenden Kerker geschleift zu werden schienen, verscheuchte ihre Andacht und vermehrte ihr Entsetzen. Diesem Geräusche folgte ein verwirrtes Getöse von Stimmen und Schreien, ein tobendes Durcheinanderlaufen, ein Lermen wie von Kämpfenden, dann Degen- und Waffengeklirre und hierauf anhaltendes klägliches Gewimmer und Röcheln, ähnlich den lauten, schmerzlichen Verzuckungen der gewaltsam dem Tode geopferten Unglücklichen. Bald darauf schwieg das Getöse und Grabesstille nahm seinen Platz ein.
Victoria zitterte, sie glaubte, die letzten Seufzer der edlen Freunde, die sich ihrem Dienste geweiht hatten, und welche nicht fern von dem Kerker, in dem sie schmachtete, lange schon eingeschlossen sein mußten, zu vernehmen. Dieser Gedanke, der in Victoriens gegenwärtiger Stimmung leicht in feste Ueberzeugung überging, griff ihre geschwächten Lebensgeister zu heftig an, und versenkte sie in eine tiefe Ohnmacht, aus der sie nur des grausamen Garzias Donnerstimme, der in Begleitung Juans, ihr die nöthige Nahrung überbrachte, erwecken konnte. Mit matter Stimme erklärte sie, daß es ihr unmöglich sei etwas zu genießen, doch der Kannibale, ein schreckliches Behagen darin findend, sie zu ängstigen und zu quälen, trug seinem Begleiter auf, den Folterknecht mit den eigens dazu bestimmten Instrumenten herbeizuholen, welche, wie er sagte, vorzügliche Dienste bei Gefangenen verrichteten, deren Halsstarrigkeit den Genuß dargebotener Lebensmittel verweigerte. Nun wich Victoria der Gewalt, aß mit Widerwillen einiges, und trank einen Becher Wein, den ihr der weniger gefühllose Juan reichte. Entweder überwand das Bedürfniß des Schlafens die Unruhe ihrer Seele, oder enthielt der Wein eine Mischung betäubender Mittel, denn kaum hatten sich Beide wieder entfernt, so schlossen sich der armen Gefangenen Augen, und sie schlief mehrere Stunden, bis sie vor Tages Anbruch erwachte.
Schreckliche Traumbilder hatten sie im Schlafe gepeinigt, ihr Erwachen war nicht beruhigender, sie zitterte vor Frost, sie fühlte ihre Stirn mit kaltem Schweiße bedeckt und sich entkräfteter als vor dem Entschlafen. Noch war es der früh wachen Morgendämmerung nicht vergönnt, in ihren Kerker, den der Lampe erlöschendes Flämmchen kaum erhellte, einzudringen. Ein nahes, leises Geräusch fesselte ihre Aufmerksamkeit, deutlich hörte sie nach einigen Augenblicken die Schritte eines Unsichtbaren, der langsam und abgemessen im Kerker umherging und mit den Füßen das auf dem Boden umhergestreute Stroh von sich zu stoßen schien. Von neuem Schrecken ergriffen, warf sie ihre Augen auf die Thür des Gefängnisses, aber ungeachtet der fortwärenden Dunkelheit durfte sie nicht zweifeln, daß solche fest verschlossen war. Die Dicke des Gewölbes und der Mauern aber, aus denen ihr enges Behältniß bestand, so wie der geringe Umfang der mit einem festen, eisernen Kreuze verwahrten Oeffnung, dem einzigen Eingangsmittel für Tageslicht und Luft, vernichteten jeden Gedanken, daß es irgend einem menschlichen Wesen möglich gewesen sein könnte, sich wärend ihres Schlafes in ihren Kerker auf eine andere Art, als durch dessen Thür einzuschleichen. In möglichster Erwartung verhielt sie sich ganz ruhig, und wagte nicht durch eine Bewegung ihre Gegenwart zu verrathen, plötzlich sprach in weniger Entfernung von ihrem Ohre eine starke, helle Stimme die Worte:
»Unglückliches Schlachtopfer!«
Großer Gott, sprach Victoria zu sich selbst, was mag mir dieser unsichtbare Besuch, dieser Ausruf bedeuten?
»Die Folter, den Tod!«
antwortete dieselbe Stimme mit rauhem Tone, der eher Verspottung als Mitleid andeutete, und wiederholte zu mehrern Malen mit grausamer Gefälligkeit diese gräßlichen Prophezeihungs-Worte; dann folgte, um Victorien die leiseste Vermuthung zu benehmen, daß diese Benachrichtigung aus dem Munde eines beklagenden, mitleidigen Wesens erschalle, ein wildes, unmäßiges Auflachen. Der Schlund der Hölle schien dieses Lachen von sich zu stoßen, und der unglücklichen Victoria war es, als hörte sie das schreckliche Freudejauchzen der Teufel über die Leiden des Gerechten und Unschuldigen, den man zur Schlachtbank zerrt. Einen Augenblick dünkte es sie, als nähere sich ihr das unsichtbare Fantom, um sie zu ergreifen, deshalb drückte sie sich leise in des Gefängnisses Winkel, um ihm zu entgehen, und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Nun ließ sich in der Luft ein helles Pfeifen und ein gellendes Geschrei hören, eine heftige Erschütterung stürzte die Lampe von dem Steine herab, auf welchem sie gestanden, und gleich darauf war wieder Alles in tiefe Stille begraben. --
Als endlich das Tageslicht Victorien erlaubte, das Innere ihres Gefängnisses mit Sorgfalt zu untersuchen, überzeugte sie sich vollkommen, daß auf keinem andern Wege als durch die knarrende, mit schweren Schlössern beschwerte Thür ein menschliches Wesen zu ihr eindringen konnte, daß indeß diese nicht geöffnet worden, unterlag keinem Zweifel, doch erinnerte sie sich sehr wohl, daß das von ihr Gehörte Wirklichkeit gewesen, es also den mannichfachen Wirkungen der Fantasie nicht beigemessen werden konnte.
Kaum war die Victorien zugestandene vier und zwanzig stündige Frist verstrichen, so hörte sie die Thür ihres Gefängnisses öffnen, und erblickte Gonsalvo, der, nachdem er den Grafen von Vizenza eingelassen hatte, sich wieder wegbegab und die Thür verschloß. Der Anblick des Grafen erweckte in dem Geiste der zärtlich liebenden Schwester des fernen Alfons den Gedanken an das ihr vom Zufalle entdeckte mörderische Vorhaben Polidors; sie bedurfte aller ihrer Standhaftigkeit, um die in ihrem Herzen verborgenen Gefühle von Verachtung und Abscheu zurückzuhalten, aber diese Empfindungen wurden auf's Höchste gereizt, als Polidor seinen verhaßten Antrag wiederholte, nochmals die schändliche Scriptur, welche sie bereits verworfen hatte, vor ihren Augen entfaltete und auf ihre Unterschrift drang. Der in allen Kunstgriffen gewandte, arglistige Graf, dem so viele Mittel zu Gebote standen, der nach den Umständen und seinem Gefallen auf's täuschendste die Rollen des liebenswürdigsten, tugendhaftesten und großmüthigsten Mannes wechselte, und dem die Erfahrung gelehrt hatte, daß bei einer gewissenlosen Auswahl der Maasregeln, die auf gradem oder krummen Wege zum Zwecke führen, solcher selten verfehlt wird; bot seine ganze nicht geringe Ueberredungs-Gabe zu einem letzten heftigen Sturme wider Victoriens Vernunft und ihres Herzens Neigung auf; bald versuchte er sein Opfer durch glatte Worte zu verführen, bald glaubte er es durch Drohungen zu schrecken, aber alles war vergebens; allen seinen Anstrengungen, allen seinen Kunstgriffen, stellte Victoria nur eine kalte und standhafte Weigerung entgegen, die wol dazu geeignet war ihn zu verwirren, und ihm die Hoffnung des endlichen Gelingens zu rauben. Als er sich zuletzt überzeugte, daß alle seine Angriffe scheiterten, alle seine Bemühungen an der unerschütterlichen Seelenstärke seiner Gefangenen ihre Kraft verlohren, eilte er mit Ungestüm und rachekochendem Herzen aus dem Gefängnisse, und seine wüthenden Blicke, seine zitternden Lippen und sein drohendes Gemurmel schwuren der Unschuld ewige Fehde und unvermeidliches Verderben.
Victoria verheelte sich den Umfang der ihr drohenden Gefahren nicht, sie glaubte mit Recht erwarten und fürchten zu müssen, daß, da Polidors damalige habsüchtige Pläne durch ihre standhafte Weigerung vereitelt worden, ihm nun zur Erreichung seines strafbaren Zwecks kein Mittel übrig bleiben und sicherer scheinen würde, als die Ermordung der beiden Waisen, nach deren reicher Verlassenschaft seiner Verschwendungssucht gelüstete, und dass ihr Verfahren gegen ihn, das Leben ihres Bruders vor den mörderischen Angriffen der Banditen, die vielleicht schon besoldet waren, nicht schützen konnte; aber zu ihrer Beruhigung durfte sie wenigstens der Vorwurf nicht drücken, durch eine freiwillige Handlung dazu beigetragen zu haben, die ruchlosen Absichten Polidors zu begünstigen. Fest stand ihr Entschluß, nichts gegen die Eingebungen ihres Gewissens zu unternehmen, und bei diesem Bewußtsein fühlte sie, daß sie wol der Gewalt unterliegen könnte, ihr aber nicht weichen würde. War ihr Tod beschlossen, so starb sie in Frieden mit ihrem Herzen, und dieser Gedanke gab ihr Kraft, sich mit Ruhe und Ergebung den undurchdringlichen Anordnungen der stets weisen Vorsehung zu unterwerfen, und die zukünftigen Ereignisse, so wie die Folgen, welche ihr Tod, vor dessen Anblick sie nicht zitterte, nach sich ziehen könnte, zu erwarten. Sie zweifelte nicht, daß der Augenblick, wo ihr Gefängniß sich wieder öffnen würde, das Zeichen ihrer Ermordung sein werde; ohne Bangigkeit betrachtete sie das Ziel eines Lebens, das eine lange Reihe von Unglücksfällen und Widerwärtigkeiten ihr mit so viel Bitterkeit genießen ließ. Aber ihre Standhaftigkeit ward bei dem Gemälde der Qualen, die ihr vielleicht vorbehalten waren, erschüttert; sie war im voraus überzeugt, das von dem Grafen von Vizenza zur Befriedigung seines Geizes und seiner Habsucht und Sättigung seiner Rache auserwählte Werkzeug, konnte kein anderer als der grausame Garzias sein, und sie wußte, daß dieses Ungeheuer Wollust aus den Martern schöpfen würde, die es ihr auferlegen durfte. Ihr starker Geist konnte ein leises Beben nicht überwältigen, die menschliche Natur verleugnete sich in einem zarten, weiblichen Busen nicht; Victoria empfand bereits in der Einbildung die Qualen eines langsamen, schmerzhaften Todes.
In dieser Lage befand sie sich, als die Riegel ihrer Thür rasselten, ihr Gefängniß aufsprang, um nicht den unerbittlichen Henker, dessen sie mit Entsetzen gedachte, sondern Don Manuels Gestalt zu zeigen, der sich ihr ehrfurchtsvoll, mit Besorgniß und einiger Beschämung näherte.
Schöne Victoria, redete er sie an, wie werde ich mir ein Verfahren verzeihen können, das Euch nicht anders als grausam scheinen muß? -- Welch ein Aufenthalt für ein, in jeder Hinsicht so vollkommnes Erzeugniß der Natur, wie mußtet Ihr mich beurtheilen, in welchem Lichte muß ich vor Euch erscheinen, wenn Ihr bedachtet daß Ihr hier nur auf meine Einwilligung konntet eingekerkert sein? Aber ach, man hat mich überzeugen wollen, daß das Gefühl Eures eingebildeten Unglücks und Eure übertriebene Angst Eure Einbildungskraft in dem Grade verwirrt hatten, daß sogar Eure Vernunft dadurch zerrüttet sei. Man hatte mir versichert, wie nur ein Mittel übrig bliebe, diesen vorübergehenden Wahnsinn schnell und gründlich zu heilen; nämlich Euch mit schreckhaften Gegenständen zu umringen, Euch das Bild des Todes und seine Qualen zu zeigen, damit das mächtige Gefühl Eurer Selbsterhaltung Eure wild und fessellos umherirrenden Verstandeskräfte zur Wiedervereinigung zwingen, und Eure Vernunft in ihre natürlichen Schranken zurückrufen werde. Auf diese Weise hat man mir Befehle entrissen, die mich Eurem gerechten Hasse unterwerfen würden, wenn sie nicht durch jenen Bewegungsgrund gemildert und gerechtfertigt wären. Zwar war es ohne Zweifel das größte Opfer, was man von mir verlangen konnte, weil ich mich der Gefahr aussetzte, Euren Abscheu zu verdienen, aber was würde ich nicht gewagt, nicht gethan haben, um das Glück zu erlangen, alle Vorzüge, welche ein vernünftiges Wesen verherrlichen, derjenigen wiederzuverleihen, die unstreitig die schönste Zierde der Natur ist! Entweder haben sich nun Männer, die sich jahrelang der Heilkunde widmeten und mit Gelehrsamkeit rühmen in dem Zustande Eurer angeblichen Gemüthskrankheit geirrt, oder die von ihnen verordnete Behandlung hat, wie sie es versprochen, gewirkt; genug, jetzt zeigt man mir an, daß Ihr wieder im Besitze der seltenen Verstandes-Fähigkeiten, die ich so oft an Euch zu bewundern Gelegenheit fand, seid. Laßt uns also schnell dieses unwürdige Gefängniß verlassen, und folgt mir an einen angemessenern Ort.
Nach diesen Worten ergriff Don Manuel die Hand der erstaunten Victoria, ohne daß sie solche zurückzuziehen wagte, und führte sie auf dem bekannten Wege in die Bibliothek, wo sie den Grafen Polidor, Hero und Garzias versammelt fand.
Hier ließ er seine Gefangene auf eine Art von Divan, der für sie herbei geschafft zu sein schien, niedersetzen, nahm seinen Platz auf einem Sessel neben ihr und gab ein Zeichen. Alsbald sprangen die Flügelthüren auf, und der ganze Trupp seiner Untergebenen in kriegerischer Tracht und bewaffnet trat langsam und paarweise herein, reihete sich nach militairischer Weise und bildete einen Kreis um Don Manuel und seine Begleiter.
Als der Trupp geordnet war, sprach der Räuberfürst nach einer augenblicklichen Stille mit erhobener, feierlicher Stimme:
Victoria, Euch habe ich zu meiner einzigen und rechtmäßigen Gattin erkohren; jetzt ist der Augenblick, wo ihr Euch in Gegenwart aller meiner Vasallen, die in Zukunft auch die Eurigen sein werden, auf ewig mit mir verbinden sollt!
Jetzt zeigte er mit der Hand auf einen nahen Tisch, auf welchem sich Feder, Dinte und ein beschriebenes Blatt Papier befanden, und fuhr fort:
Ich habe das Versprechen, durch welches ich mich feierlich verbinde, auf immer der Eurige zu sein, unterschrieben, gründet und besiegelt nun auch mein Glück, indem Ihr Eure Unterschrift zu der Meinigen gesellt.
Hierauf reichte er ihr die Feder, und schnell schob man den Tisch vor den Divan.
Victoria war überrascht, von Schrecken und Abscheu durchdrungen und im Begriff durch eine rasche That die Feierlichkeiten dieser unerwarteten Vermählung zu unterbrechen, aber ein Blick auf das verhaßte Gesicht des erwartungsvollen Polidor, der mit schrecklichen Schwüren sie zu besitzen sich vermessen hatte, und jetzt lauernd ihres Entschlusses harrte, ein schneller Vergleich zwischen dem Meuchelmörder und Don Manuel, der für das Mitleid noch Raum in seinem Herzen besaß, und ihre Wahl bedurfte keiner Ueberlegung. Alles was sie bisher von Don Manuel gesehn, alles was sie aus Theresens und Diego's Erzählungen von ihm gehört hatte, so wie verschiedene Vorfälle überzeugten sie, daß dieser Räuber-Chef keine gemeine Seele, sondern ungekünstelte Neigung zum Edelmuthe und unzweideutige Aufrichtigkeit besitze. Sie bedachte, daß ihr in ihrer gegenwärtigen Lage wol keine größere Wohlthat zu Theil werden könnte, als der Besitz eines mächtigen Beschützers, der an sie gekettet mit Nachdruck sich ihrem ärgsten Feinde, dem Grafen von Vizenza entgegenstellen, und seine heimlichen, verrätherischen Absichten zernichten könnte; es ihr also dadurch gelingen würde, ihres Bruders Leben zu sichern. Dieser Gedanke schien ihr vom Himmel eingeflößt, ihre eigne Seelenruhe, ihr zukünftiges Glück oder Elend durfte hier ihre Handlungen allein nicht leiten; entschlossen nahm sie die dargebotene Feder und schickte sich an, zu unterschreiben. Als sie aber ihr Auge auf das entfaltete Papier warf, da glaubte sie plötzlich in ihm, das von Polidor verfertigte unglückliche Eheversprechen zu erkennen. Sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus, warf die Feder von sich und rief:
Himmel! was wollte ich thun, meines Bruders Todesurtheil unterschreiben!
Hierauf sank sie auf den Divan zurück, die Gewalt der vielfachen, beunruhigenden Eindrücke hatte sie erschöpft, ermattet sank ihr Kopf, ihre Augen schlossen sich und sie verlohr die Besinnung. Ungeduldig hatte Garzias diesem Auftritte zugesehn, er murmelte Verwünschungen und Drohungen; aber Don Manuel gebot ihm Schweigen, ließ den Tisch fortschaffen, seine Räuber sich entfernen und beschäftigte sich mit Victorien, die nach einigen gewöhnlichen Mitteln ins Leben zurückkehrte. Kaum hatte sie aber ihr Bewußtsein wieder erlangt, so zog ein neuer Vorfall die Aufmerksamkeit Don Manuels und seiner Umgebung auf einen andern Gegenstand. Der Graf von Vizenza stand neben Victorien, mit dem Arme auf ein Rückenpolster des Divans, auf welchem sie saß, gelehnt, und mit dem Gesichte einem Fenster der Bibliothek absichtslos zugekehrt. Mit einem Male sah man ihn erbleichen; sein halb geöffneter und unbeweglicher Mund, seine wild starrenden Augen und sein empor sich sträubendes Haar bezeichneten im höchsten Grade Erstaunen und Entsetzen, ohne daß einer der Anwesenden die Ursache dieser sonderbaren Bestürzung und Angst zu errathen, oder den Gegenstand, der sie hätte hervorbringen können, zu entdecken im Stande gewesen wäre. Bald darauf fingen alle seine Glieder convulsivisch zu beben an, seine Knie brachen und er stürzte leblos zur Erde.
Auf Don Manuels Befehl hob man den Grafen von Vizenza eilig von Boden auf und trug ihn auf sein Zimmer, wohin ihn der herbeigerufene Wundarzt begleitete. Zwar äußerte Don Manuel seine Verwunderung über diesen unbegreiflichen Vorfall gegen Garzias, doch schien er wenig Theilnahme oder Besorgniß für den Grafen zu empfinden, und als in demselben Augenblicke Juan hereintrat, um ihn zu benachrichtigen, daß das Abendessen bereit stehe, so bot er seiner Gefangenen die Hand und führte sie in den Eßsaal. Wärend des Essen, bei welchem das Stillschweigen selten unterbrochen ward, war Don Manuel ernst und nachdenkend, ohne jedoch auch nur auf einen Augenblick gegen diejenige, von der seine ganze Aufmerksamkeit gefesselt schien, weniger zuvorkommend und ehrerbietig zu sein.
Zur gewöhnlichen Stunde erschien Juan, um die Gefangene nach ihrem Schlafzimmer zu geleiten, wohin auch Hero mit ihr sich zu begeben, bereit war. Der Anblick Juans, der diesen Dienst allein verrichtete, verwundete abermals das leidende Herz der gefühlvollen Victoria. Also war es doch leider wahr, daß Diego nicht mehr lebte? Und die gute Therese, was war aus ihr geworden, wo schmachtet der treue, tapfere Hippolit? -- Alles, was mit Wohlwollen und Theilnahme ihr ergeben war, hielt man absichtlich von ihr entfernt, nur von Feinden und Verfolgern sah sie sich umringt. Bekümmert beurlaubte sie sich bei Don Manuel und folgte stillschweigend Juan; Diego's Zimmerthür, bei welcher ihr Weg sie vorüberführte, stand offen, aber leer und verlassen war das Innere, und nur ihre traurigen Blicke verweilten auf einige Minuten in derselben, und der Erinnerung Schmerz preßte ihr einen Seufzer aus.
Keine Neigung zum Schlafe fühlend, warf sie sich unentkleidet auf einen Lehnsessel zwischen ihrem Bette und der geheimen zur Kirche führenden Thür, und wartete, bis Juan die Lampe angezündet und sich wieder wegbegeben hatte. Kaum war dieses geschehen und sie nun mit ihrer boshaften Zofe, dem Werkzeuge aller gegen sie geschmiedeten Komplotte allein, so war sie darauf bedacht, für ihre Ruhe und Sicherheit wärend der Nacht nach Möglichkeit zu sorgen. Sie verrammelte so gut es sich thun ließ, die Thür, setzte die Lampe neben sich, sowohl um den geheimen Ausweg, auf den sie im Falle einer unvermeidlichen Gefahr ihre letzte Hoffnung gründete, immer im Auge zu behalten, als auch weil sie willens war, bei etwaniger Flucht das Licht mit sich zu nehmen und Hero im Dunkel zu lassen, damit diese verhindert würde, die Art ihres Verschwindens zu entdecken, und das versteckte Federwerk, wodurch die Oeffnung in der Tapete entstand, aufzufinden.
Nachdem sie alle diese Vorsichtsmaasregeln ausgeführt hatte, nahm sie ihren Platz im Lehnsessel wieder ein, und schauete im Zimmer umher, das sie in manchen Stücken verändert fand. Die Ordnung und Reinlichkeit, welche die gute Therese sorgfältig darin unterhielt, und die doch immer viel dazu beitrugen, das traurige Ansehn dieser düstern Wohnung zu mildern, waren verschwunden, zerstreut lag die Asche im Kamine umher, Victoriens Bett war noch ungemacht, und noch wie am Morgen standen die übrigen Geräthschaften im Zimmer, alles verrieth Mangel an Aufmerksamkeit und eine ungewöhnliche Vernachlässigung. Victoria betrauerte anfänglich den Verlust der ihr entrissenen Freunde, und der Gedanke, daß sie jetzt allein, von allen gutdenkenden Seelen verlassen sei, wollte ihren Augen Thränen entlocken, aber bald riefen tröstliche Betrachtungen ihren schwindenden Muth und ihre bis daher nie von ihr gewichene Standhaftigkeit wieder zurück. Der untrüglichste Beistand, auf den sie mit Zuversicht rechnen konnte, der allen schuldlos Unglücklichen zugestandene göttliche Schutz verließ sie ja in keiner Lage des Lebens; von dem Gefühle der Anbetung ergriffen, kniete sie vor dem Sessel nieder, streckte ihre gefalteten Hände zum Himmel, und schüttete ihr Herz in stillen Ergießungen einer aufrichtigen Frömmigkeit und eines unerschütterlichen Vertrauens, die ihr auf lange Zeit alle Gefahren und Drangsale vergessen ließen, vor ihrem Schöpfer aus.
Bald empfand sie die heilsame Wirkung ihres stillen, kunstlosen Gebets, sie fühlte sich gestärkt und ruhiger, und wollte diese Stimmung benutzen, um sich schlafen zu legen. Aber: wie sehr erstaunte sie, als sie Hero nicht mehr im Zimmer fand! Sie eilte zur Thür, doch diese war noch immer durch ihre Vorsicht versperrt; Hero's Verschwinden konnte mit Hülfe der Fallthür nicht bewerkstelligt sein, denn das Geräusch derselben war ihrer Fantasie noch in zu lebhaftem Andenken, als daß es ihrem leisen Gehör und ihrer ängstlichen Aufmerksamkeit entgangen sein könnte, noch weniger war hier aber der geheime Ausgang in der Tapete, den sie auch wärend des Gebets nicht aus den Augen verlohren hatte, mit im Spiele. Ohne Zweifel war Hero's Verschwinden vorbereitet und mit deren Einverständniß geschehen, der geringste Widerstand von ihrer Seite hätte sonst gewiß den nächtlichen Ueberfall verrathen und die Ausführung vielleicht gestört; hiernach mußte also Victoria in diesem Verschwinden die Losung zu einem neuen, gegen sie gerichteten Anschlage befürchten. Dieses Schlusses ungeachtet, siegte der behagliche Gedanke, so unvermuthet von einer gefährlichen und verächtlichen Gesellschaft befreit zu sein, über ihre Furcht, und sie überließ sich dem Schlummer mit der Ruhe einer reinen Seele und eines friedlichen Gewissens, fest überzeugt, daß von ihren feindseligen Verfolgern, wenn gleich frei und anscheinend mächtig, keiner sich einer solchen Stimmung erfreuen durfte.
Als am andern Morgen Juan Victorien zum Frühstücke abzuholen kam, erstaunte derselbe nicht wenig, auf seine Erkundigung nach Hero, die unerklärbare Art ihres Verschwindens zu erfahren, doch schwieg er kopfschüttelnd und enthielt sich nachdenkend aller Aeußerungen. Beim Eintritt in den Versammlungssaal, wo Victoria Don Manuel mit Garzias im Gespräche begriffen fand, war ihre erste Sorge, dem Erstern das seltsame Ereigniß in der Nacht mitzutheilen. Bei dieser Erzählung blieb Don Manuel nicht Herr über eine Anwandlung von Bestürzung, und sogar von Schrecken, die sich wider seinen Willen im flüchtigen Hingleiten über sein ganzes Wesen ausbreitete; doch wohlerfahren in der Kunst sich schnell zu fassen, verschwand auch diese innere Bewegung im Augenblicke, er schien den Vorfall zu belächeln, umging eine nähere Erklärung, verdoppelte sein gefälliges Betragen gegen Victorien und leitete scherzend das Gespräch auf einen andern Gegenstand. Aber Garzias, weniger vorsichtig als Don Manuel und nicht so geschickt als jener, seine Leidenschaften zu zügeln, brach in Verwünschungen aus, welche deutlich sein Erstaunen und Entsetzen über dieses seltsame, unerwartete Verschwinden Hero's verriethen, und Don Manuel mußte das ihm eigne gewandte Benehmen in geschärftem Maaße aufbieten, um jenem das Unpassende und Unvorsichtige seiner Uebereilung begreiflich zu machen, und ihn dahin zu stimmen, daß er in Victoriens Gegenwart seinen unbesonnenen Eifer in den geziemenden Schranken zurückhielt; doch geschah diese Zurechtweisung auf eine so feine Art, daß sie Victoria kaum bemerkte, und sie ihr auch keine Veranlassung zu weitern Auslegungen geben konnte.
Die Zeit des Frühstücks verstrich unter Stillschweigen wie der verwichene Abend. Don Manuels Blicke waren unverwandt auf Victorien gerichtet, aus deren bleichen Gesichtszügen so viel Edles und Rührendes sprach, daß er sie nicht ohne Theilnahme betrachten konnte; in seinem Innern schien sich etwas Ungewöhnliches zu regen, er neigte sich zu Garzias Ohr und flüsterte diesem einige Worte zu, die Victoria nicht verstehen konnte, aber von der Antwort des wilden Banditen entging ihr keine Silbe. Wüthend schlug er auf den Tisch und rief ärgerlich aus:
Hohl der Teufel Eure Liebeleien, Ihr zeigt warlich eine Weichlichkeit die man bemitleiden muß; ist denn hier die Rede von solchen Tändeleien, die man von Euch grade am allerwenigsten erwarten sollte. Wohl, habt Ihr vielleicht nie der Rache Wollust genossen, habt Ihr etwa vergessen, daß dieses Mädchen --
Schweigt! fiel Don Manuel mit befehlendem Tone ein, und Garzias, der zu gehorchen gezwungen war, warf dem unglücklichen Opfer einen schrecklichen Blick zu, in welchem sich seine Rachsucht deutlich aussprach, dann stand er murmelnd auf, und ging dem Anschein nach mit bitterm Grolle durch die in den Park führende Thür aus dem Saale.
Garzias Weggehen verdoppelte Victoriens Verlegenheit und ihre Angst, und obgleich ihr dieser sehr verhaßt sein mußte, so fehlte doch wenig, daß sie nicht seine Gegenwart herbei gewünscht hätte; bebend erwartete sie, was ihr Don Manuel jetzt sagen würde; endlich brach dieser das Stillschweigen:
Liebenswürdige, tugendhafte Victoria, sprach er, ich habe meinen Entschluß, Eure Hand zu erhalten und der Eurige zu werden, nicht aufgegeben, schon waret Ihr im Begriff meine Wünsche zu erfüllen, als ein sonderbarer Einfall, den ich nicht erklären kann, sich plötzlich Eurem Vorhaben zu widersetzen schien.
Vielleicht findet Ihr die Formalitäten dieser Vermälung nicht feierlich genug, gern werde ich mich demjenigen unterwerfen, was Eure Vorurtheile, Ansichten und Grundsätze als unerläßlich oder unentbehrlich betrachten, ja ich will sogar in dieser Hinsicht der unter uns hier bestehenden Einrichtung in den Augen meiner Untergebenen trotzen. Morgen um zehn Uhr Vormittag soll ein Geistlicher sich hier im Schlosse einfinden, um unsere Verbindung unter den von der Religion vorgeschriebenen heiligen Formen einzusegnen. Ist mir nun erlaubt die Hoffnung zu hegen, daß Ihr keine weitere Einwürfe machen, und zu meinem Vorschlage Eure Einwilligung geben werdet?
Victoria schwieg betroffen und versank in Nachdenken. Das ihr von Don Manuel bisher bewiesene Mitleiden und seine Theilnahme trugen den Stempel der Wahrheit zu deutlich, als daß sie solche hätte verkennen sollen. Es schien ihr, als ob er nur ein gezwungenes Werkzeug der Verfolgung, die sie erdulden mußte, und von einem fremden Antriebe, dem er nicht widerstreben konnte, in Bewegung gesetzt sei; sie hielt sich für überzeugt, daß feige, hinterlistige und boshafte Maasregeln weder mit Don Manuels Gesinnungen, noch seinen Absichten gegen sie, in Vereinigung gerathen konnten. Die vorgeschlagene Ceremonie schloß sogar die Möglichkeit eines Betrugs aus, alle jene Gründe, die sie am verwichenen Tage bewogen hatten, die Feder zu ergreifen, stellten sich mit verdoppelter Triftigkeit ihrem Geiste wiederum dar, und befreieten sie von aller Unentschlossenheit.
Doch fehlte es ihr an Kraft eine Silbe hervorzubringen, nur mit einer leichten Verbeugung des Kopfes konnte sie ihre Beistimmung an den Tag legen, und diese Verneigung verrieth sowohl ihre Bereitwilligkeit, wie auch die schmerzhaften Bewegungsgründe, welche ihr solche entrissen hatten.
Aber wider Erwarten äußerte sich die Wirkung dieses Merkmals der Nachgiebigkeit, das Don Manuel die Erfüllung seiner heißen Wünsche zusicherte, bei diesem auf eine seltsame Art, denn anstatt der gewöhnlichen Ergießungen des Entzückens und der Dankbarkeit, die man von einem leidenschaftlichen Anbeter erwarten durfte, bildete sich in diesem Augenblicke ungewöhnliches Befremden auf seinem Gesichte.
Wie, sprach er dann, also ohne Einwand, ohne die geringste Weigerung, ohne Widerwillen wollt Ihr freiwillig die Hand zu dieser Verbindung reichen? -- Victoria, ich erstaune, ein solches Benehmen ist warlich schwer zu erklären, wenn ich bedenke von welcher Seite ich bis jetzt Eure Gefühle und Eure Grundsätze kennen lernte. Ich muß fast befürchten, daß alles dieses einen andern Vorsatz verberge; antwortet mir mit der aufrichtigen Sanftmuth, die Euch so natürlich ist, wollt Ihr Euch der Verzweiflung überlassen, habt Ihr vielleicht die schreckliche Absicht Euer Leben mit eigner Hand zu verkürzen?
Sennor, antwortete Victoria mit Würde, wie schwer auch das Gewicht der Leiden, die ich unverschuldet zu tragen bestimmt bin, sein mag, so bin ich doch weit entfernt davon, mich durch ein Verbrechen von ihm zu befreien; ich unterwerfe mich dem Willen des Himmels, er kann meinem Leben zu jeder Stunde ein Ziel setzen, ich würde seinen weisen Anordnungen vorgreifen, wenn ich darnach trachten könnte, dieses Ziel mit eigner Hand zu beschleunigen. Was die Einwilligung, welche Ihr von mir erheischt, anbetrifft, so darf ich Euch nicht verhehlen, daß sie die Wirkung des Zwanges und der Gewalt sei. Genösse ich der Freiheit, die mir gebührt und die mir nur das Misgeschick geraubt hat, so würde ich diese Einwilligung nicht geben; mir bleibt jetzt weiter nichts übrig, als eine Wahl im Unglücke und der Art desselben; ich besitze einen Bruder, den ich mehr als mich selbst liebe, sein Leben ist in Gefahr, und in diesem Augenblicke sehe ich nur Euch, der ihn gegen seine Mörder beschützen kann, die seinen Tod geschworen haben, um sich mit seinen Glücksgütern und den meinigen zu bereichern. Seine Erhaltung ist wol eines großen Opfers werth; wenn ich es also bringe, so habe ich das Vertrauen, daß ich nur den Eingebungen der Vorsehung gehorche. Don Manuel, rettet meines Bruders Leben, so wird das Gefühl der lebhaftesten Erkenntlichkeit mir die Ausübung derjenigen Pflichten, zu denen ich mich gegen Euch verbinde, erleichtern und sie mir, so lange sie mir auferlegt bleiben, weniger drückend scheinen.
Wunder von Tugend und Standhaftigkeit! rief Don Manuel aus und sank zu Victoriens Füßen. Vorbild aller menschlichen Vollkommenheiten; Gott mag mich bewahren, daß ich nie -- --
In diesem Augenblicke ließ der sich nahende Garzias seine Stimme hören, schnell sprang Don Manuel auf, eilte ihm an der Thür entgegen und sprach mit Entzücken:
Garzias, mein Loos ist entschieden, ich bin der glücklichste der Menschen, dieser angebetete Engel hat durch seine Einwilligung mein Glück gegründet.
Es thut mir leid, erwiederte Garzias mit spöttischem Lächeln, Euch von Eurer glücklichen Höhe herabsteigen zu lassen, und Euch zu ganz irrdischen Dingen zurückzuführen, aber es wird Euch wol erinnerlich sein, daß in diesem Augenblicke eine sehr wichtige Angelegenheit Eure Gegenwart erfordert.
Don Manuel schien die Nothwendigkeit, sich zu entfernen, zu fühlen, er verbeugte sich gegen Victorien und folgte Garzias der mit ihm den Saal verließ; Victoria im Kampfe mit der peinlichsten Unruhe blieb allein zurück.
Don Manuels Gattin, eines Räuberhauptmanns Weib zu sein, und zu dieser schmachvollen, beispiellosen und unwiderrufbaren Verbindung freiwillig ihre Zustimmung gegeben zu haben; dieser Gedanke war entsetzlich. Und stimmte denn auch diese Verbindung mit den Absichten Don Manuels und seinem Herzen überein? War sie nicht vielleicht ein neues von ihren Feinden erdachtes Mittel, um sie zu verfolgen? Sie glaubte bemerkt zu haben, daß Don Manuels angebliche Liebe den Schein einer zwischen ihm und seinen Verbündeten verabredeten Verstellung trage, daß er in Gegenwart der Uebrigen den liebenswürdigen, leidenschaftlichen Verehrer spiele, aber allein mit ihr nur voll Gefühl und Theilnahme eines wahren Freundes sei. Alles dieses befestigte ihre Vermuthung, der Graf von Vizenza müsse die Triebfeder aller der wider sie in Bewegung gesetzten Machinationen sein. Eine Menge Ereignisse und einzelne Vorfälle, welche in ihr Gedächtniß zurückkehrten, vereinigten sich, ihr zu beweisen, daß dieses lasterhaften Mannes Absichten und schändliche Pläne bis zu einem weit frühern Zeitpunkte, als dem Tage ihres Raubes hinaufstiegen, und daß sogar schon vor ihrer Abreise von Frankreich der gräßliche Plan, den ihr der Zufall entdeckt hatte, entworfen zu sein schien.
Doch blieb ihr in dem Betragen Don Manuels noch vieles sehr räthselhaft; es war ihr unmöglich, auf richtigen Muthmaßungen zu fußen, und in dieser Verlegenheit und Verwirrung fühlte sie, daß der Rath eines weisen Freundes, dessen Erfahrung ihr den Schleier der Ungewißheit zerreißen helfen, und ihre Handlungen leiten könnte, ihr jetzt unentbehrlich sei. Da sie allein war und von Niemandem beobachtet wurde, so entschloß sie sich, den alten, guten Sebastian aufzusuchen, ihm den Zuwachs ihrer Leiden zu klagen, und durch seine Verwendung den ihr versprochenen Schutz des mächtigen Franzisko in Anspruch zu nehmen, welcher ihrer Meinung nach allein nur im Stande sein konnte, die Vollziehung der unglücklichen Verbindung zu hintertreiben.
Ein anderer gleich wichtiger Bewegungsgrund lud sie zu einem Besuche der Bibliothek ein, und bewog sie, sich der Gegend zu nähern, die mit dem Aufenthalte des edlen Jünglings, dessen Bild unaufhörlich vor ihren Augen schwebte, in Verbindung stand. Seit langer Zeit von den Umständen gezwungen, alle Gemeinschaft mit ihm abzubrechen, war es mehr als wahrscheinlich, daß er unterdeß Mittel gefunden haben würde, seine Freunde, den Gegenstand seines kühnen Unternehmens, zu befreien, und daß er sich vielleicht schon weit von dem Schlosse befinde, wo ihr, der Verlassenen noch so herbe Leiden bevorstanden; und doch belebte ein leiser Hauch von Hoffnung, den Jüngling wiederzusehn, ihren Busen, und ließ den Wunsch in ihm entstehen, den Ort der verabredeten Zusammenkunft zu betreten.
Die zu Don Sebastians Wohnung führende Thür war ihr wohl bekannt, aber sie war leider verschlossen; Victoria klopfte anfangs leise, dann stärker, und als auch dieses nichts half, rief sie den Namen Don Sebastian zu verschiedenen Malen mit so lauter Stimme, daß die Bibliothek davon erzitterte. Er hätte sie hören müssen, und doch erfolgte keine Antwort, eine Todtenstille herrschte im Innern. Bekümmert über das Schicksal ihres zweiten Vaters, des ehrwürdigen Greises, dem sie ihr ganzes Herz zu öffnen gewohnt war, ließ sie von jedem weitern Versuche ihn herbei zu rufen ab, und war im Begriffe voll Betrübniß in den Saal zurückzukehren, als sie in einiger Entfernung von einer nicht unbekannten Stimme ihren Namen leise aussprechen hörte. Erschrocken blickte sie mit ängstlichem Auge zurück und sah mit Erstaunen und einer wohlthätigen Erschütterung die heimliche Thür hinter der Landkarte geöffnet, und im Hintergrunde den jungen Unbekannten, der mit bittender Gebärde sie winkend einlud, sich zu nähern. Victoria wußte jeden Lauscher entfernt, ihre Ahnung hatte sie nicht getäuscht, der schöne Jüngling weilte noch im Schlosse und hatte das Gelübde sie zu befreien nicht aufgegeben, sie war ihm Dank schuldig, ohne Zögern eilte sie zu ihm
hin, und ihre gewöhnliche Bedachtsamkeit ward von der Hoffnung, milde Worte des Trostes aus einem schönen Munde zu hören, verdrängt.
Ach, Sennora, sprach der Unbekannte, indem er ihre Hand ergriff, die sie ihm nicht entziehen mogte, in welch einer peinlichen Erwartung habe ich nicht seit unserer letzten Zusammenkunft geschwebt. Ich habe Eure Krankheit, die Gefahr der Ihr ausgesetzt gewesen, und alle Eure Leiden in Erfahrung gebracht; urtheilt nun von meiner Angst und der grausamen Ungewißheit, die mich umfangen mußte. -- Aber die Zeit ist kostbar, ich darf keinen Augenblick verlieren um Euch zu benachrichtigen, daß ich Gründe zu hoffen habe, Euch in sehr kurzer Zeit frei zu sehen. Ums Himmels Willen, fügte er ihre, freudige Bestürzung gewahrend, schnell hinzu, beruhigt Euch, sammelt allen Euren Muth, Ihr bedürft seiner im ersehnten Augenblicke Eurer Befreiung. Sobald Ihr in dieser Nacht die Glocke des Schlosses ein Uhr werdet anzeigen hören, so säumt nicht, die in Eurem Schlafzimmer befindliche geheime, zur Kirche führende Tapetenthür zu öffnen und Euch auf dem bekannten Wege hieher zu begeben, ich werde Euch erwarten und Euch den Händen treuer und sicherer Freunde überliefern, die Euch bis zu dem Orte begleiten werden, den Ihr zu Eurem Aufenthalte gewählt habt. Bis zu diesem Augenblicke aber unterdrückt die frohe Empfindung einer unerwarteten Erlösung, täuscht Eure Verfolger, erkünstelt Ergebung in Euer Schicksal und Gelassenheit. Lebt wohl bis zur stillen Mitternachtsstunde.
Hierauf drückte der Jüngling Victoriens Hand zum Abschiede, zog sich schnell zurück und schloß die Oeffnung.
Bei diesem kurzen aber inhaltsschweren Zusammentreffen hatte Victoria kein Wort geredet, der schnelle Uebergang von der Hoffnung zur Gewißheit, von der Angst zur Freude und von dieser wieder zum Entsetzen bei dem Gedanken an die Möglichkeit des Mislingens benahm ihr auf eine Zeitlang die Sprache und verwirrte ihren Kopf, so daß sie einige Augenblicke nach dem Verschwinden des Jünglings noch in dem Wahne stand, von einer Erscheinung ihrer Fantasie getäuscht zu sein, bis sie die Rückerinnerung der bedeutungsvollen Worte des Unbekannten von der Wirklichkeit überzeugte. Um jeden Verdacht bei ihren Wächtern zu vermeiden, verließ sie ohne Säumen die Bibliothek und begab sich in die östliche Halle, wo ihre Betrachtungen über die nächtliche, gewiß gefahrvolle Unternehmung, die stillen Ergießungen ihres dankbaren Herzens über eine so unerwartete, hoffentlich glückliche Wendung ihres Schicksals und ihre Bitte zum Himmel um Verleihung des nöthigen Muthes im Augenblicke der Gefahr sie die Zeit über bis zum Mittagsessen beschäftigten.
Hier fand sie Don Manuel, der sie in den Saal führte, wo der Graf von Vizenza nebst Garzias bereits gegenwärtig und im Gespräche begriffen waren. Der Erstere war ungewöhnlich bleich und niedergeschlagen, sein ganzes Wesen verrieth den innern Kampf der Leidenschaften, sein Blick blieb fortwärend gesenkt und scheu, und trug das Gepräge tiefer Traurigkeit, seine Lippen bebten oft krampfhaft, und nur wenige Worte hörte man mit leiser ungewisser Stimme aus seinem Munde, dann aber versank er wieder in dumpfes Hinbrüten, und aus seinem zuweilen auffallend verzerrten Gesichtszügen sah man deutlich, daß er mit Anstrengung seinen Ingrimm zu unterdrücken suchte. Don Manuel war wie gewöhnlich zuvorkommend, zärtlich und eifrig bemüht, Victorien zu gefallen. Diese erinnerte sich der Warnungen ihres jungen Freundes, sein Rath schien ihr anfänglich so leicht zu befolgen, doch jetzt fand sie in der Ausführung große Schwierigkeit. Jede Art von Verstellung war ihrem Herzen fremd; von früher Kindheit an gewohnt, seinen unschuldigen, reinen Trieben sich ungezwungen zu überlassen, fand sie es fast unmöglich ein ruhiges, gleichgültiges Betragen anzunehmen, das so sehr mit ihrer Ungeduld und Beängstigung im Widerspruche stand, und fürchtete jeden Augenblick, den wahren Zustand ihrer Seele zu verrathen. Taub für Don Manuels Artigkeiten und die Betheurungen seiner heißen Liebe, bemerkte sie selbst die verstohlenen, drohenden Blicke, welche der Graf von Vizenza, so oft es die Gelegenheit erlaubte, auf sie warf; nicht nur dem hämischen Auge des spöttelnden Garzias, der ihr gegenüber saß, begegnete sie zuweilen, und die Furcht daß dieser Feind ihrer Ruhe in ihrer Seele lesen könne, vermehrte ihre steigende Verwirrung mit jedem Augenblicke.
Glücklicherweise währte dieser peinliche Zustand nicht lange, zuerst entfernte sich der bleiche Polidor unter dem Vorwande einer Unpäßlichkeit, die ihn nöthigte, seine Sieste zu halten, und Don Manuel, den dringende Geschäfte riefen, folgte ihm in Garzias Begleitung kurz darauf.
Victoria athmete jetzt freier, sie war nun ganz allein und ungewiß ob sie in die Bibliothek gehen, oder in Begleitung Juans den Park besuchen sollte, als ihr einfiel, daß die beabsichtigte Flucht noch einige wenige Vorbereitungen erfordere. Sie begab sich zu dem Ende in ihr Schlafzimmer, steckte ihre Kleinodien und andere Kostbarkeiten, die sie nicht zurückzulassen willens war, zu sich, aus Furcht, daß sie solche im Augenblicke der Flucht in der Bestürzung vergessen könne, und hielt es ihrer jetzigen Gemüthsstimmung für am angemessensten, einige Stunden auf dem Sessel über das nächtliche Wagstück nachzudenken und sich an den gräßlichen Gedanken einer zu frühen Entdeckung und deren unglückliche Folgen zu gewöhnen.
Mit diesem wichtigen Gegenstande, der das Glück oder Unglück ihres Lebens bestimmte, zu sehr beschäftigt, hatte sie nicht bemerkt, daß der Tag sich zu neigen bereits angefangen hatte, und würde sich auch jetzt von dem schönen Gemälde einer selbst geschaffenen glücklichen Zukunft noch nicht getrennt haben, wenn nicht das Geräusch der Riegel unter ihren Füßen, die sie schon einmal der tödlichen Angst preis gegeben hatten, ihre Träumereien jetzt schnell beendet hätten. Deutlich unterschied sie, daß man mit Gewalt die Fallthür, welche Diego auf irgend eine ihr unbekannte Art versperrt hatte, zu öffnen suchte und daß solches nicht gelingen wollte. Diese anscheinend fruchtlosen Bemühungen und Diego's Vorkehrungen zu ihrer Sicherheit hatten sie zwar beruhigen können, da indeß das Rasseln und Klopfen an der Fallthür mit jeder Minute an Heftigkeit zunahm, so fürchtete sie mit Grund, daß zuletzt doch noch die Hindernisse der Gewalt weichen und die unterirrdischen gräßlichen Ruhestörer ihren Zweck erreichen würden, eilte also schnell zur Thür, in der Absicht durch Flucht dem seltsamen Besuche zu entgehen. Als sie aber die Thür ihres Gemaches öffnete, fesselte ein Lerm anderer Art ihre flüchtigen Füße.
Sie hörte im Gange unfern ihres Zimmers mehrere Männerstimmen, worunter sich Garzias rauhe Töne vorzüglich auszeichneten, und urtheilte nach der zunehmenden Stärke derselben, daß auch dieser Besuch ihr gelten müsse. Von zwei verschiedenen Seiten mit Gefahren eingeengt, blieb der Beängstigten kein Ausweg übrig, als ihre Zuflucht zu der von dem Geharrnischten verdeckten, geheimen Thür in der Tapete, die ihr schon einmal zur Flucht die hülfreiche Hand geboten, mit dem Vorsatze zu nehmen, durch die Kirche in die Bibliothek zu schlüpfen, wohin sich, wie ihr bekannt war, am Abende keiner der Schloßbewohner aus abergläubischer Furcht wagte. Ohne Zögern führte sie den ersten Theil ihres Entschlusses glücklich aus, stieg die Windeltreppe hinab, hob die hölzerne Stufe empor, glitt hindurch und gelangte so ohne Hindernisse in den düstern Bogengang, der beiden Flügeln der Kirche zur Verbindung diente, wo sie sich von einem Geräusche erschreckt, hinter einer hohen Säule versteckte. Sie horchte und hörte nun nicht fern von dort die Tritte eines Gehenden, und als sie vorsichtig umherspähend, ihren Kopf hervorsteckte, so entdeckte sie von ihrem düstern Schlupfwinkel aus, in einiger Entfernung den jungen Unbekannten. Doch dieser war nicht allein, eine junge, schöne weibliche Gestalt, von zartem edlen Wuchse ging neben ihm und ihre Hand ruhete nachlässig auf der Schulter des Jünglings. --
Bei diesem Anblicke empfand Victoriens Herz eine so herbe, schmerzliche Bestürzung, daß sie darüber auf einen Augenblick das Gefühl für ihre übrigen Leiden vergaß. Mit heißer Begierde gebot sie anfänglich der klopfenden Brust Stillschweigen, um von dem lebhaften Gespräche der beiden Unbekannten etwas zu vernehmen, aber bald fühlte sie das Unedle ihres Vorhabens, und um nicht ferner in Versuchung zu gerathen, die Geheimnisse Anderer zu belauschen, die sich allein glauben und diese Gelegenheit benutzen, einander ihre Gedanken mitzutheilen, so beschloß sie den Augenblick abzuwarten, wo sie sich etwas weiter entfernt haben würden, um sich in die Kirche und von dort aus in die Bibliothek zu schleichen. Doch ehe sie noch ihr Vorhaben ausführen konnte, sah sie die beiden Unbekannten auf die Gegend, wo sie sich versteckt hielt, zukommen, und fühlte nun, daß sie einstweilen noch in ihrem Hinterhalte verweilen müsse, wenn sie nicht Jene durch ihre unverhoffte Erscheinung erschrecken, und vielleicht in den Augen des schönen Jünglings, der jetzt ihre Gegenwart nicht vermuthen konnte, an Achtung verlieren wollte. Unbeweglich stand sie also hinter dem verbergenden Pfeiler, als Jene vorübergingen, und vernahm wider ihren Willen aus dem Munde der Unbekannten einen Theil der Unterhaltung.
Wie viel Ungeduld und Angst, sprach diese vertraulich zu dem Jünglinge, werde ich in der Zeit Eurer Abwesenheit ertragen müssen; wie wird mich die Ungewißheit, ob ich Euch wiedersehn soll, quälen? Ach und was mich mehr als Alles beunruhigt, ist der Gedanke, daß Ihr über diese schöne Victoria, von der Ihr unaufhörlich redet, und die Ihr mir mit so verführerischen Farben malt, leicht Eure unglückliche Mathilde vergessen mögtet.
Die Unbekannte schwieg; und die Entfernung verhinderte Victorien, des Jünglings Antwort zu vernehmen, aber diese wenigen Worte hatten sie zur Gewißheit geführt, wo bisher nur Vermuthung obgewaltet; sie war betäubt, ihr Herz schien zu erkalten, in diesem Augenblicke wäre ihr der Tod willkommen gewesen. Sie mußte sich Gewalt anthun, um ihren Schlupfwinkel zu verlassen, ungesehen floh sie bis zu den Stufen des Monuments, gebrauchte die ihr von dem Jünglinge gezeigten Mittel, öffnete die getäfelte Wand, überzeugte sich flüchtig, daß keine Entdeckung ihr drohe, und schlüpfte in die Bibliothek, wo sie sich erschöpft auf den nächsten Divan niederließ. Nie war sie verstimmter und mismüthiger gewesen, und doch konnte sie die Ursache dieser widrigen Gemüthsbewegung nicht recht erklären; nahe Erlösung stand ihr bevor, und demungeachtet fühlte sie sich unglücklich; sie war genöthigt sich selbst der Unbilligkeit und Ungerechtigkeit anzuklagen; sie fand, daß sie undankbar sei, aber ihre Ruhe war unwiderruflich verlohren.
Wie kann ich mich beklagen, sprach sie zu sich selbst, habe ich denn auf seine Zuneigung gerechnet, hat er sich denn bemüht mich zu betrügen? -- Hat er mir nicht entdeckt, daß ein theurer Gegenstand ihn hier gefesselt halte? -- Warum kann ich diese Mathilde nicht lieben, die doch mit so viel Theilnahme, so viel Großmuth ihre Einwilligung zu einer Trennung giebt, deren Ursache ich allein bin? -- Ach, ich fühle, selbst in dem Augenblicke, wo er sie verläßt, um an meiner Errettung zu arbeiten, wo er mich auf meiner Flucht begleitet und sie allein gefangen hier zurückbleibt, ist sie doch nicht unglücklicher als ich. -- Aber darf ich ihr Glück beneiden, kann in meinem Herzen ein Wunsch entstehen, der ihr es misgönnte, ohne daß ich mir den Vorwurf machen müßte, daß ungerechteste, undankbarste aller Geschöpfe zu sein? Zum ersten Male entdeckte Victoria in ihrer Seele Tiefe eine tadelnswerthe Empfindung. Die eigne Hochachtung, das Bewußtsein ihrer Tugend, diese letzte Stütze der Unglücklichen, soll auch diese von ihr weichen? -- Sie sollte jetzt Leiden neuer Art bekämpfen, Leiden die sie zu fürchten nie geglaubt hatte. Sie schauderte bei diesem Gedanken, ihre Grundsätze, ihr Stolz, ihr Muth gewannen neue Schwungkraft, sie gelobte in ihrem Herzen ein Gefühl zu überwältigen, das ihr sowohl schimpflich als auch strafbar schien, und sie bestärkte sich in dem Gelübde, nie ihr eignes Glück auf Kosten ihres Nebenmenschen zu gründen.
Sinnend über die Art, ein fremdes Eigenthum aus ihrem Herzen zu reißen, hatte sie ihre Gefangenschaft, ihre Verfolger und Don Manuel selbst vergessen, da stand dieser plötzlich vor ihr:
Gütiger Himmel, redete er sie halb scherzend, halb besorgt an, was ist seit zwei Stunden mit Euch vorgegangen? Ihr habt mich auf die grausamste Weise beunruhigt und mich genöthigt, Euch in allen Winkeln des Schlosses aufsuchen zu lassen.
Ganz gewiß hat man mich hier nicht gesucht? antwortete Victoria mit erzwungener Gleichgültigkeit, womit sie ihre Angst, Verdacht erregt zu haben, zu verbergen suchte.
Nein, warlich nicht! erwiederte Jener lächelnd; denn Ihr müßt wissen, daß der größte Theil meiner Tapfern nicht wie Ihr, nach Sonnenuntergang an diesem verschrienen Orte verweilen würde.
Ich bin nichts weniger als muthig, sagte Victoria ernsthaft, aber ich fürchte die Todten nicht, denn ich darf nicht angstvoll erwarten, daß mir ein Schatten erscheinen werde, um mir den Vorwurf zu machen, ihn im Leben betrübt zu haben.
Bei diesen Worten verzog sich Don Manuels Gesicht, er erblaßte, faßte sich aber schnell wieder, änderte den Gegenstand des Gesprächs und erbat sich die Erlaubniß, sie in den Saal zu führen. Bei ihrem Eintritte bemerkte sie Garzias grämliches Gesicht, der mit dem Grafen von Vizenza im Saale auf und nieder ging, sobald aber jener Victoria ansichtig wurde, so ging er rasch auf sie zu und fing damit an, ihr Vorwürfe über die Art, wie sie sich seit Mittag der Gesellschaft entzogen habe, zu machen; aber Don Manuel gebot ihm mit trocknen Worten Stillschweigen, und empfahl ihm im Tone des Gebieters, nie wieder die Achtung, welche Donna Victoria von ihm zu verlangen berechtigt sei, aus den Augen zu verlieren. Garzias wagte es nicht zu widersprechen, auch der Graf von Vizenza schien über diese kräftige Zurechtweisung sehr verlegen. Don Manuel fand indeß die Warnung genügend, bekümmerte sich um Beide wenig, setzte sich neben Victorien und leitete ein Gespräch ein, das ihm Gelegenheit gab, seinen Verstand, seinen richtigen Geschmack und seine vielfachen Kenntnisse so vortheilhaft und mit so vielem Glanze zu entwickeln, daß Victoria ohne ihre Abneigung gegen dieses Mannes sonderbaren Character und sein ehrloses Gewerbe, ihm mit Aufmerksamkeit und Vergnügen zugehört und Bewunderung gezollt haben würde.
Beim Abendessen setzten Beide ihre Unterhaltung ohne Einmischung der Uebrigen fort. Polidor blieb fortwärend düster und still. Garzias folgte seinem Beispiele, nur schoß er zuweilen wüthende Blicke auf Don Manuel und Victorien; indeß hüthete er sich sorgfältig, sie von dem Erstern bemerken zu lassen. Dieser war auch überdem mit seiner jungen, schönen Braut zu sehr beschäftigt, um auf dergleichen Nebendinge zu achten; keinen Augenblick ließ er die Quelle der Unterhaltung versiegen, er wußte durch die Macht seiner geistreichen, originellen und zuweilen komischen Einfälle und Bemerkungen Victoriens wachsende Aengstlichkeit zu betäuben; aber so sehr er sich auch bemühete, aufgeräumt und bei der herrlichsten Laune zu scheinen, so schimmerte doch zuweilen deutliches Mitleid aus seinen Augen, wenn solche mit Rührung auf Victoriens Gesichte ruheten, und ein feiner, ungestörter Beobachter würde ohne Mühe etwas Zwang in seinem Benehmen, so wie in seinen Zügen die Kennzeichen eines geheimen Grams entdeckt haben.
Endlich schlug die Glocke eilf Uhr, die kritische Stunde rückte näher, Victoriens Herz klopfte im ungestümen Drange, als Juan hereintrat, um sie wie üblich nach ihrem Schlafzimmer zu begleiten. Seiner Gewohnheit getreu, führte sie Don Manuel bei der Hand bis zur Thür des Saals, doch dieses Mal, statt der gewöhnlichen Zärtlichkeit, mit der er ihr wohl zu schlafen wünschte, begnügte er sich mit einer stummen Verbeugung, drückte ihr bedeutungsvoll die Hand, und verließ sie dann mit einem wehmüthigen, sprechenden, aber der Aengstlichen unverständlichen Blicke. Dieser sonderbare Umstand vermehrte die Bangigkeit der unglücklichen Gefangenen, sie fühlte sich in allen Gliedern gelähmt, und war genöthigt Juans Arm zu ergreifen, um sich im Fortgehen auf solchen zu stützen.
Victoriens Verwirrung, erlaubte ihr nicht, auf den Weg zu achten, den sie Juan führte, nur im Augenblicke erst, als sie am Fuße der großen Treppe angekommen war und man diese hinaufsteigen wollte, sah sie mit erschreckten Augen umher und fragte bestürzt:
Wohin wollt Ihr mich führen, dieses ist ja der Weg zu meinem Schlafzimmer nicht?
Sennora, antwortete Juan, ich bringe Euch dem Befehle unsers Herrn zufolge nach dem Gemache, welches Ihr anfänglich bewohntet, zurück; was das andere anlangt, so ist bestimmt worden, daß ihr ferner daselbst nicht schlafen sollt.
Dieser Bescheid war für Victorien ein Donnerschlag; überzeugt daß es Juan nicht über sich nehmen würde, den Befehlen Manuels entgegen zu handeln, hielt sie jede Erklärung oder Bitte für unnütz; dagegen entschlüpfte sie ihm mit Blitzes Schnelligkeit und eilte in den Saal zurück, wo sie Don Manuel noch zu finden hoffte, den sie nicht für unerbittlich hielt; aber leider hatte er sich bereits entfernt, und statt seiner empfing sie der erstaunte Garzias, und fragte sie mit harten Worten, warum sie zurückgekehrt sei und was sie verlange?
Ich wünsche mit Don Manuel zu reden, antwortete Victoria athemlos, und von ihm die Erlaubniß zu erbitten, nicht in einem Gemache zu übernachten, wo ich unmöglich würde schlafen können.
Und warum denn nicht, wenn's Euch zu sagen gefällig ist? fragte der Grausame mit spöttischem, boshaften Blicke, und schien an Victoriens Aengstlichkeit Wohlgefallen zu finden.
Ihr wißt ja selbst, entgegnete diese, was sich in jenem Zimmer, wohin man mich führen will, zugetragen hat. Dort ist mir meine glückliche Gesellschafterin, die Signora Bernini, mitten in der Nacht bei verschlossener Thür auf eine, mir unerklärbare Weise entführt.
Herrlich! lachte der Barbar, das ist ja ein schöner Grund. Und ist denn Eure junge Dienerin nicht auf dieselbe Art in dem Gemache, wo Ihr gestern geschlafen habt, entführt? Es ist also hier gar kein hinreichender Grund vorhanden, ein Zimmer dem andern vorzuziehen. Ueberdem wozu die Weitläuftigkeiten? Don Manuel hat befohlen daß Ihr heute Abend in das erste Gemach zurückkehren sollt, und ich will Euch nur gesagt haben, ohne gegen den Euch schuldigen Respect zu sündigen, daß ihr Euch in diesem Augenblicke dorthin verfügen müßt.
Nach diesen Worten ergriff er die unglückliche Gefangene, welcher der Schreck fast die Besinnung geraubt hatte, und trug sie die Galerie hinab, bis in das so sehr gefürchtete Zimmer, wo er sie auf einen Stuhl niederließ, die Lampe bei der von Juan getragenen anzündete, sich dann spöttelnd entfernte, die Thür fest verschloß und verriegelte, und das unglückliche Opfer in Verzweiflung zurückließ.
Ermattet, vernichtet, im Zustande der größten Hülflosigkeit und betäubt, blieb Victoria auf dem Sessel, wo sie Garzias niedergesetzt hatte, liegen. Bald darauf verkündigte die Schloßuhr Mitternacht, und dieser unglückselige, schauerliche Schlag tödtete ihre theuersten Hoffnungen. Bei diesem Signal, das sie mit so vieler Ungeduld erwartet hatte, schrack sie zusammen, denn jetzt war es für sie nur ein Aufruf zur Verzweiflung. Heiße Thränen stürzten aus ihren Augen, von krampfhaften Schmerzen ergriffen, sank sie auf ihren Sessel zurück und fand ihr Unglück unaussprechlich. Aber bald erweckte sie ein entsetzlicher Gedanke aus ihrer Betäubung.
Ohne Zweifel war ihre Absicht zur Flucht entdeckt, sie konnte den plötzlichen Wechsel ihres Schlafzimmers und die Verdoppelung der Vorsichtsmaaßregeln keiner andern Ursache, zuschreiben, und also ihr großmüthiger Freund das Opfer seiner edlen Bereitwilligkeit, seines kühnen Unternehmungsgeistes geworden. Sie sah ihn ergriffen, in der unglücklichen ihr zur Flucht bestimmten Stunde, mit Ketten belastet, und nach Erduldung von allen ersinnlichen Martern, die eine von Verbrechen jeder Art abgehärtete Grausamkeit nur erfinden konnte, zum Tode geschleppt. Gräßliche Bilder, von ihrem ahnungsvollen Geiste entworfen, stiegen aus einem schwarzen Abgrunde vor ihren Augen empor und ergriffen sie mit schrecklicher Angst.
In diesem Augenblicke hörte sie ein dumpfes, klägliches Gewimmer im Hintergrunde des Gemachs. Erschrocken blickte sie hin, und ihr Auge fiel auf das kleine Bette, in welchem Hero früher geschlafen hatte, und auf eine menschliche Gestalt, die in demselben zu ruhen und der Kleidung nach von ihrem Geschlechte zu sein schien. In tröstlicher Hoffnung, die gute Therese zu finden, eilte sie hinzu, und erkannte, o entsetzlicher Anblick! den entstellten, blutigen mit unzähligen Dolchstichen durchbohrten Leichnam der entschwundenen Octavia, Schaudernd, mit lautem Geschrei faßte sie die Hand ihrer unglücklichen Freundin, aber diese welke, kalte Hand überzeugte sie nur zu sehr, daß des Lebens beseelendes Feuer, den vor ihr liegenden Körper schon seit mehreren Tagen verlassen habe. Der Anblick der Ermordeten war Victorien zu gräßlich, sie konnte ihn nicht ertragen, und nur die Religion unterstützte sie in dieser schrecklichen Prüfung, ohne dieses letzte, aber untrügliche Mittel des Trostes und der Erhaltung, hätte sie die Barmherzigkeit des Allmächtigen bezweifelt. Betend sank sie bei dem Bette nieder, und erfüllte die letzte, der Todten gebührende Pflicht für die Ruhe ihrer Seele dort oben, eifrig zu bitten. Ihre Gedanken stiegen in jene glückliche Welt hinauf, die Ewigkeit lag enthüllt vor ihrem verklärten Auge, und alle Leiden eines vorübergehenden Lebens hienieden sanken von ihrer gestärkten Brust; die feste Zuversicht einst noch reine, ungetrübte Glückseligkeit zu erringen, mit dem Kranze der Schuldlosigkeit und Tugend geschmückt, vor ihrem Schöpfer zu erscheinen und in der Zahl der Auserwählten zu glänzen, entzündete in ihrem Herzen die dem Erlöschen nahe Standhaftigkeit.
Lange betete sie mit heißer Andacht, die Augen von dem Leichnam weggewendet, da störte sie das Knarren der Thür, die leise geöffnet wurde in ihrer frommen Beschäftigung, und herein trat mit allen Merkmalen der Verzweiflung im Gesichte, und in der Hand einen blinkenden Dolch haltend, der schändliche Graf von Vizenza. Dieses war der Mann, dessen Anblick sie mehr als den Tod fürchtete, denn eine geheime Ahnung flüsterte ihr zu, daß er die Quelle aller Drangsale, die sie unermüdlich bestürmten, daß er der Mörder ihrer Octavia sei; sie blickte ihn daher mit Ruhe, Verachtung und Abscheu in das verstörte bleiche Angesicht und fuhr im Gebete fort.
Victoria, redete sie der Graf im Drange der Aengstlichkeit an, die Augenblicke sind kostbar; hört mich an. Ich habe mein Leben auf's Spiel gesetzt, ich habe der Rache des unversöhnlichen Don Manuels getrotzt, um bis in Euer Gemach zu dringen. Hier das schreckliche Schauspiel vor Euren Augen wird Euch hinlänglich beweisen, wie weit sich die Grausamkeit der Barbaren, die Euch gefangen halten, erstreckt. Don Manuels Absichten liegen klar am Tage. Ihr habt ihm eine Leidenschaft eingeflößt, die er um jeden Preis befriedigen will. Er brennt vor Ungeduld, die Früchte seiner Verbrechen zu genießen, und morgen, morgen schon, ohne weitern Aufschub ist Euer Schicksal entschieden! -- Weigert Ihr Euch jetzt noch, in einer so dringenden Gefahr die Stimme eines Verwandten, eines zärtlichen Freundes zu hören, der das Schrecklichste verachtet, um Euch von der Schande zu retten? Gelobt mir, Euch mit mir zu verbinden, unterschreibt diese Versprechung und Eure Befreiung ist gewiß. Mehr darf ich in diesem Augenblicke Euch nicht erklären, aber ich schwöre Euch, dieses Papier gibt mir, sobald es mit Eurer Unterschrift versehen ist, Rechte auf Eure Person, mit deren Hülfe ich die Fesseln Eurer Verfolger zerbrechen und ihre Wuth verlachen kann. Wenn Ihr nun auch Eure Einwilligung der heißen, rechtmäßigen Liebe, die ich für Euch empfinde, versagen wolltet, könnt Ihr sie auch Eurer Freiheit, Eurer Ehre vorenthalten?
Spart Eure Worte, erwiederte Victoria ruhig und mit Entschlossenheit, nie werde ich unterschreiben.
Sie stieß das Papier mit Abscheu zurück und setzte ihr Gebet fort. Ihre kalte, verächtliche Weigerung trieb die in Polidors Brust kochende Wuth bis auf's äußerste.
Unglückliche! schrie er rasend, ich lese in Deinem schamlosen Herzen, Dein listiger Räuber hat Dich verführt, und Du bist entschlossen die Maitresse eines Banditen-Hauptmanns zu werden; aber dennoch sollst Du das Blut, aus dem Du entsprossen bist, nicht verunreinigen, Du sollst die Familie, zu der Du gehörst, nicht entehren. Ich werde Dich sogar wider Deinen Willen der Schande entreißen, in deren Pfuhl Du Dich frech hinein zu stürzen nicht schämst!
Nach diesen Worten ergriff er sie bei dem langen, über ihre Schultern herabhängenden lockigten Haar, riß sie zur Erde, hob den Dolch über ihrem Busen empor, und schien Begriff sie zu ermorden.
Victoria war bereit zu sterben, sie waffnete sich mit aller Standhaftigkeit, welche die Frömmigkeit und Tugend verleihen und sprach gefaßt:
Wenn es der Himmel gestattet, so sterbe ich durch eines Mörders Hand, aber nie werde ich eine Verbrecherin.
Polidors Raserei bedurfte nach diesen Worten keines Zuwachses mehr, er schäumte, seine Hand wühlte in dem schönen Haar der dem Tode Geweiheten, seines Dolches Spitze berührte ihre wallende Brust, da fühlte er sich von hinten ergriffen, und von kraftvollen Armen, denen selbst die Stärke der Verzweiflung nicht widerstehen konnte, entwaffnet und zu Boden geschleudert. Der kühne Hippolit war es, der Victoriens Leben rettete; kaum erkannte sie ihn, so sprang sie vom Boden auf und eilte Schutz suchend zu ihm hin. Auch der Graf von Vizenza raffte sich auf, zog wüthend den Degen und griff den Befreier seines Opfers mit blindem Ungestüm an, doch dieser gleichfalls bewaffnet, stellte ihm Kaltblütigkeit und wahren Muth entgegen.
Graf von Vizenza, sprach er warnend, hier ist weder der Ort, noch jetzt der Augenblick, wo ich mich mit Euch messen könnte; aus Achtung gegen Donna Victoria, werde ich mich blos auf meine Vertheidigung beschränken, denn für jetzt ist nur ihre Erhaltung der einzige Zweck, den ich vor Augen habe.
Beim zweiten Stoße des Grafen, den dieser mit der Ungeschicklichkeit eines Rasenden nach Hippolits Brust führte, wandt ihm dieser den Degen aus der unsichern Hand; ihn im Fallen zu ergreifen, streckte sich Polidor nach vorn und stürzte blind vor Wuth in das Schwerdt seines Gegners. Mit einem Schrei des Schmerzes sank er zu Boden, ergriff im Fallen den Tisch, stürzte diesen sammt der Lampe um, sie erlosch und der blutige Auftritt war im Augenblicke in Dunkelheit begraben.
Ohne Zeitverlust schob Hippolit, in dessen Armen die halbohnmächtige Victoria ruhete, das größere Bette von seiner Stelle, öffnete eine verborgene Thür in der Tapete, und trug seine kostbare Bürde vom Kampfplatze. Sie befanden sich auf dem Vorsprunge einer von Backsteinen erbaueten, äußerst engen Treppe, die fast mit Schutt bedeckt war, der aber seit Kurzem zur Seite geräumt zu sein schien, um den Durchgang wieder herzustellen. Hippolit schloß hinter sich die Thür, schützte sich vor jeder schnellen Verfolgung durch das Vorschieben zweier rostigen Riegel, und trug nun Victorien, so schnell als es die zerbrechlichen Stufen erlaubten, von einem unten dämmernden Lichtscheine geleitet, die Treppe hinab. Die Helligkeit des Scheines nahm mit dem Hinabsteigen zu, und als sie den Fuß der Treppe erreicht hatten, erblickte Victoria eine männliche Gestalt mit einer Fackel in der Hand, die ihnen entgegen kam, und in der sie mit Entzücken Pedro, ihren wohlthätigen Arzt, erkannte. Schon öffnete sie den Mund, jenem ihre Freude, ihn, den Vermißten, wiederzusehn, zu bezeugen, aber Hippolit rieth ihr durch Zeichen, das tiefste Stillschweigen zu beobachten, Nachdem sie ohne zu reden einen langen Gang zurückgelegt hatten, waren sie abermals genöthigt, eine in den Felsen gehauene Treppe, deren Stufen aber mehr noch als die erste, zertrümmert waren, hinunter zu steigen.
Diese Treppe war so eng, und das sie bedeckende Gewölbe so niedrig, daß Hippolit seine Gerettete nicht länger tragen konnte, sondern sie sich, ihrer Schwäche ungeachtet, dazu verstehen mußte, zwischen ihm und Pedro zu gehen; aber die zitternde Unschuld bedurfte ihrer völligen Gewandheit und ihres Muthes, um auf diesem steilen, ungleichen und gefährlichen Pfade hinabzuklimmen. Die Treppe stieß wieder an einen engen, sonderbar gewundenen Felsengang, dessen Boden so abhängig, naß und glatt war, daß man sich ohnmöglich hätte aufrecht halten können, wenn nicht die beiden Seitenwände, welche kaum Platz zum durchgehen übrig ließen, dazu gedient hätten, sich an sie zu stützen und auf diese Art zu halten. Langsam und stillschweigend halfen sich die drei Flüchtlinge einander, jedem Unfalle zu begegnen, bis man den Eingang einer Höhle erreichte, deren Anblick entsetzlich war. An dieser Stelle brauchte Hippolit die Vorsicht, Victorien zu bedeuten, daß sie über dasjenige, was sie sehen werde, nicht erschrecken müsse, weil diese schwarze Höhle nur Freunde beherberge. -- Ohne diese heilsame Vorbereitung würde sie unfehlbar ihre Angst bei dem Anblicke eines Trupps mit Feuergewehren bewaffneter Männer, die sich im Hintergrunde bewegten, nicht haben unterdrücken können. Hippolit näherte sich ihnen und fragte ob alles bereit sei?
Ja, mein tapferer Hauptmann! antwortete einer der Bewaffneten hervortretend, und an seiner Stimme erkannte Victoria den biedern Matrosen Thomas. Hierauf löschte man die Lichter mit Ausnahme zweier Blendlaternen aus, und der ganze Trupp setzte sich behutsam und ohne Geräusch in den Gebirgsschluchten, die an den Meeresstrand führten, in Bewegung. Ein frischer, kühler Wind, der sich grade erhob, stärkte Victoriens schwindenden Kräfte, obschon ihre Angst bei der Möglichkeit einer nahen Verfolgung stieg; jede Felsenspitze, die sich in der Entfernung zeigte, schien ihr Polidors oder Garzias Gestalt, und bei dem Geräusche der in ihrer Ruhe gestörten Nachtvögel, bebte sie erschrocken; endlich erblickte sie bei dem Ausgange aus einem gekrümmten Hohlwege am Gestade das unabsehbare Meer und zu gleicher Zeit einen Kahn am Ufer, in welchem zwei Männer auf ihre Ruder gelehnt harrten. Hippolit und Pedro halfen ihr den Kahn besteigen, nahmen sie in ihre Mitte, die übrigen Begleiter folgten, und als das Boot sie alle aufgenommen hatte, entfernte es sich mit Hülfe der Ruder vom Ufer und erreichte bald eine unweit vor Anker liegende Brigantine, welche, nachdem Victoria mit ihrem Gefolge an Bord gegangen war, die Anker hob und mit vollen Seegeln und günstigem Winde in See ging. Der Eifer und die Gewandheit, mit welcher die Matrosen die Seegel und das Tauwerk handhabten, so wie die Einigkeit, der gute Wille und die Munterkeit, welche in ihrer Mitte herrschten, beruhigten Victorien vollkommen, der ängstigende Gedanke an Verfolgung und Gefahren verlohr sich aus ihrem Geiste; jetzt erst fing sie das Glück der wiedererrungenen Freiheit zu genießen an, und ihr so lange schon belastetes Herz erleichterte sich durch Vergießung von Thränen des Entzückens und der Erkenntlichkeit, sanftere hatte sie seit ihres Vaters Tode nicht geweint, und wärend sie flossen, verriethen ihre den Befreiern zugerichteten Augen in rührendem Ausdrucke die Empfindungen ihres von Freude überströmenden Herzens, mit einer Wahrheit und Beredsamkeit, die keine Sprache ersetzen kann.
Alle Maasregeln waren so gut eingeleitet, daß die Brigantine sich in Kurzem auf hoher See befand, und Victoria beim Scheine des Mondes die Felsengebirge nicht mehr erkannte, welche dem fürchterlichen Schlosse, aus dem sie entronnen, zur Brustwehr und unübersteiglichen Ringmauer dienten. Hippolit näherte sich ihr jetzt ehrerbietig mit der Frage, in welchem Hafen von Frankreich man sie einführen solle, damit sie ihre Anverwandten von ihrer Ankunft daselbst so schnell als möglich benachrichtigen könne?
Ach, antwortete Victoria, ich besitze in Frankreich keine Angehörigen bei denen ich Schutz finden könnte, ich kann nur nach meinem Bruder verlangen, der aber unglücklicherweise sich gegenwärtig mit seinem Regimente in Cadix befinden wird.
Hippolit fragte den Steuermann, ob er den Lauf des Schiffes nach Cadix richten könne, aber dieser erwiederte, daß der Wind zu dieser Fahrt nicht günstig sei, und man bei zu langem Verweilen in diesen Gewässern befürchten müsse, von Don Manuels Fahrzeugen eingeholt zu werden.
Auf diese Erklärung begehrte Victoria in den ersten französischen Hafen einzulaufen, wo sie in dem nächsten Frauenkloster Zuflucht suchen, und von dort aus entweder ihrem Bruder nach Cadix, oder an die Familie Farinelli schreiben könnte. Nach einigem Ueberlegen beschloß man nach dem Hafen von Toulon zu steuren, um durch diesen Lauf den Feind zu hintergehen, der sie wahrscheinlich auf der Fahrt nach dem nächsten Hafen vermuthen, und seine Nachjagd hiernach richten würde.
Die Kühle der Nacht nöthigte Victorien, sich in die Kajüte zu begeben, wo sie in dem jetzigen ruhigen Augenblicke gegen ihre Freunde den Wunsch äußerte, zu erfahren, durch was für ein glückliches Ereigniß diese in den Stand gesetzt worden wären, Garzias Rache sich zu entziehen und ihre Befreiung zu unternehmen?
Sennora, antwortete Pedro, Franzisko ist es, der die Thüren unserer Gefängnisse öffnete, er war es gleichfalls, der uns Mittel lieferte, bis zu Euch zu gelangen, und Eure Flucht zu begünstigen.
Großer Gott, rief Victoria vom Dankgefühl begeistert aus, Du belohnst die Wohlthätigkeit und Menschlichkeit; sieh nun auch herab auf meine großmüthigen Erretter und überschütte sie mit Deiner Gnade. -- Aber nun, fuhr sie dann fort, Freunde, gebt mir Kunde von dem Schicksal Don Sebastians, Diego's und der armen Therese.
Therese und Don Sebastian befinden sich in vollkommner Sicherheit, antwortete Pedro, und unter Franzisko's Schutz, wo sie nichts zu fürchten brauchen, der Letztere ist sogar im Begriffe, nach Rom zu reisen, wohin ihn in einer wichtigen Angelegenheit Franzisko senden wird. Was indeß Diego anbetrifft, so können wir Euch über sein Schicksal keine Aufklärung geben; in seinem Zimmer ward ich nach Don Manuels Rückkehr am Abende ergriffen, eingekerkert, und seit jener Zeit habe ich so wenig als Hippolit von diesem treuen Diener das Geringste vernommen.
Die Ungewißheit über Diego's Schicksal betrübte die mitleidige Victoria, aber eine weit lebhaftere Unruhe belastete ihr Herz, und doch wagte sie es kaum, diese mitzutheilen.
Ach, sprach sie seufzend, wie glücklich würde ich mich nennen können, wenn ich in Ansehung Diego's beunruhigt sein könnte und nicht zittern müßte, daß noch ein anderer --
Victoria zögerte fortzufahren, die Röthe der Verwirrung überzog ihre Wangen, der aufmerksame Hippolit, dem ihre Verlegenheit nicht entging, sprach dieserhalb bescheiden:
Wenn es sich ziemt, so unterfange ich mich nach dem Namen desjenigen zu fragen, den Ihr zu nennen Anstand nehmt, und dessen Schicksal Euch nicht gleichgültig zu sein scheint?
Diese Frage vermehrte Victoriens Verwirrung; sie hatte indeß zu viel gesagt, um das Uebrige verschweigen zu können, überdem erlaubte die sie peinigende Besorgniß kein längeres Verheimlichen.
Nicht Mistrauen ist es, sprach sie, was meine Zunge fesselt, wol aber ein Geheimniß, und auch jetzt noch, fern von Don Manuels Macht, weiß ich nicht, ob es mir vergönnt ist, desjenigen zu erwähnen, dessen Loos mich sehr unruhig macht. Doch den Freunden, die mir so kräftige Beweise ihrer Anhänglichkeit gaben, darf nichts verborgen bleiben. -- Des Zufalls sonderbares Spiel ließ mich in einem Seitenflügel von Don Manuels Schlosse mit einem großmüthigen Unbekannten zusammentreffen, der wie Ihr von Menschlichkeit und Mitleid hingerissen, mir zu meiner Entweichung behilflich zu sein versprach, und diese Nacht war zur Ausführung seines Vorhabens bestimmt. Aber leider läßt die unerwartet angeordnete Veränderung meines Schlafgemachs mich fürchten, daß mein Beschützer entdeckt und ein Opfer der unerbittlichen Rachsucht meiner grausamen Verfolger geworden sei.
Ist's möglich, rief Pedro erstaunt aus, zum ersten Male höre ich von einem Unbekannten reden, von dessen Existenz ich nie Kenntniß gehabt habe, obgleich mir als Arzt alle Bewohner des Schlosses genau bekannt sind.
Hippolit war in Nachdenken versunken. Eure Besorgniß, Sennora, sprach er nach einer Weile, ist, hoffe ich, ungegründet, zwar kenne ich Euren geheimnißvollen Beschützer, dessen Schicksal Eure Unruhe erregt, eben so wenig als Pedro, doch weiß ich, daß sein Vorhaben nicht entdeckt worden, und man eben so wenig geahnet habe, daß ein solches in Werke sei. Wenn man Euch in das früher bewohnte Zimmer zurück verwieß, so geschah dies nur aus der Ursache, die schändlichen Absichten des verkappten Grafen von Vizenza zu begünstigen. Franzisko, der unbezweifelt den von jenem Unbekannten entworfenen Plan kannte, und der ihn mit seinem Beistande unterstützte, fand es vielleicht angemessener, mir, dem Glücklichen, die Ausführung dieser Unternehmung anzuvertrauen. Mehr darf ich über diesen Gegenstand nicht reden; Franzisko hat mir Bedingungen auferlegt, die ich zu ehren beschworen habe; doch wird die Zeit kommen, wo alle diese Geheimnisse ohne Hülle vor Euren Augen sich zeigen werden. Bis zu Diesem Zeitpuncte, dem ich nicht voraus eilen darf, muß ich schweigen, doch erinnere ich mir, gehört zu haben, daß jener Unbekannte eines zu mächtigen Schutzes genösse, als dass er die Angriffe Don Manuels oder seiner Genossen zu fürchten haben sollte.
Die Unterredung wurde in diesem Augenblicke durch einen heftigen Windstoß, der das Fahrzeug auf die Seite warf und ein Getöse verursachte, als ob es in Trümmern zerschlagen sei, unterbrochen, ihm folgte das Nothgeschrei der ganzen Mannschaft. Sogleich verließ Hippolit mit verheimlichter Bestürzung die Kajüte, die Ursache des Lerms zu erfahren, ließ jedoch Pedro bei Victorien zurück, um sie zu beruhigen, zu welchem Behuf sich dieser, mit sichtlicher Angst in den Zügen, wenig eignete. Glücklicherweise war Victoriens Besorgniß von kurzer Dauer, der wiedereintretende Hippolit wußte sie durch die Versicherung, daß der Augenblick der Gefahr vorüber sei, sogleich zu heben.
Wir haben bei ruhigem, windstillen Wetter, sprach er, die Küste verlassen, und zur schnellern Flucht alle Seegel aufspannen müssen, die jetzt von dem plötzlich sich erhebenden Windstoße etwas gelitten haben, obgleich unsere erfahrnen Matrosen versichern, daß dem Schaden in einer Stunde werde abgeholfen sein. Indeß wird es rathsam werden, Sennora, wenn Ihr Euch jetzt schon mit den Launen des wankelmüthigen Elements, dem Euer Schicksal in diesem Augenblicke angehört, vertraut macht, und an sie gewöhnt, damit Euch der Sturm, welcher allen Anzeigen und der, Vorhersagung des Steuermanns nach, gegen Morgen ausbrechen wird, vorbereitet und mit jener Standhaftigkeit ausgerüstet finde, die wir in weit gefährlichern Lagen so oft an Euch bewundern mußten. Jedoch darf ich zur Minderung Eurer vielleicht erwachenden Furcht sagen, daß wir sehr unterrichtete und vorsichtige Seeleute an Bord besitzen, die ein Schiff zu leiten verstehen, und die mir die Versicherung gegeben haben, daß unser Fahrzeug von festem, dauerhaften Bau und im Stande sei, dem heftigsten Sturme Trotz zu bieten.
Lächelnd versprach Victoria, ohne Angst dem Ungewitter entgegen zu sehen, auch die Gefahren der See weniger zu fürchten, und bald zeigte sich die Gelegenheit, wo sie ihres Muthes bedurfte, denn nach wenigen Stunden erhob sich der Wind mit verdoppelter Gewalt, prasselnde Wellen bedeckten das schwankende Fahrzeug, und auch die größte Anstrengung und Geschicklichkeit der Matrosen konnte nicht verhindern, daß es von der Gewalt des Sturmes nach einer entgegen gesetzten Richtung hingerissen und verschlagen wurde.
Zwei Tage wüthete der Sturm mit unermüdeter Gewalt; wärend dieser Zeit leisteten Pedro und Hippolit der liebenswürdigen Waise abwechselnd Gesellschaft, doch war der Letztere oftmalen gezwungen sie zu verlassen, um für ihre Rettung zu arbeiten, und den Matrosen, die ihn liebgewonnen hatten, bei Handhabung der Seegel hülfreiche Hand zu leisten, so oft es inzwischen die Augenblicke der Erhohlung erlaubten, eilte er in die Kajüte, den Zustand ihres Geistes zu erforschen, und ihr Betragen zu beobachten, aber nie fand er sie verzagend, sondern so ruhig als es die Umstände gestatteten.
Bei dieser Gelegenheit glaubte Victoria in der Theilnahme und Besorgniß ihres schwarzen Freundes einen Anstrich von Zärtlichkeit zu entdecken, der sie in Verwirrung brachte, obgleich sich in Hippolits Benehmen mehr Bescheidenheit, Unterwürfigkeit und Ehrerbietung aussprach, als sie von ihrem Befreier, dem Manne, der sein Leben für sie gewagt hatte, erwarten durfte. In Gegenwart Pedro's war sein Betragen gefälliger, zutraulicher und einnehmender, er schien sich den Bewegungen seines Herzens williger zu überlassen, und glich dem besten, dem gefühlvollsten Freunde. War er aber allein mit ihr, so lag in seinem ganzen Wesen Zurückhaltung, Furchtsamkeit und ein auffallendes Bestreben, ihre Wünsche zu errathen, ihr Wohlwollen zu erwerben, er hielt sich entfernter von ihr und war dann nichts mehr, als der eifrigste und anhänglichste der Diener.
Dieses Benehmen beruhigte die sittsame Victoria über die sonderbaren und öfters unbehaglichen Verhältnisse ihrer gegenwärtigen Lage. Sie war das einzige weibliche Geschöpf in der Mitte von größtentheils ungebildeten Männern, die nur ihre Leiden kannten, deren Gesinnungen und Leidenschaften, ihr aber gefährlich werden konnten; wer wollte sie beschützen? Getrost sah sie der Zukunft entgegen, denn eine feste Stütze blieb ihr in dem Vertrauen auf den tugendhaften Hippolit.
In der dritten Nacht endlich legte sich der Sturm, und mit dem Hervorbrechen der Morgenröthe beruhigte sich das Meer, die Winde schwiegen und die Schiffer überließen sich der Freude und der süßen Hoffnung, bald den ersehnten, freundschaftlichen Hafen zu begrüßen. Der nächste Hafen war Toulon, doch hatte wärend des Sturmes das Fahrzeug zu weit nach Osten getrieben, daher Hippolit der Meinung war, nach Livorno zu steuern, um das durch die verfolgenden Schiffe Don Manuels, welche die Entflohenen an der französischen Küste vermuthen würden, irre zu leiten, allein das Schicksal schien die armen Reisenden immer weiter vom Ziele ihrer Fahrt entfernen zu wollen. Es trat nämlich eine so gänzliche Windstille ein, und das Meer war so spiegelglatt, daß auch die ungeduldigen Matrosen durch Ausspannung aller vorräthigen Seegel das Fahrzeug nur unmerklich in Bewegung setzen konnten. Diese Stunden der Ruhe und Unthätigkeit weihete Victoria dem seit mehreren Nächten entbehrten Schlafe, und als sie neugestärkt erwachte, begab sie sich auf's Verdeck, wo sie mit Entzücken die reine Luft einathmete und dann die grobe Nahrung der Seeleute theilte, die sie bei heiterm Geiste und in Sicherheit geschmackvoller fand als die Leckereien auf Don Manuel's Tische.
In der Nacht erhob sich endlich ein frischer Wind, den die Mannschaft mit Jauchzen willkommen hieß; nun drang zwar Hippolit von neuem auf die Richtung nach Livorno, allein der Steuermann, welcher unweit Toulon geboren war, und daher innerlich wünschte, in diesem Hafen anzulegen, machte verschiedene Einwendungen gegen den Vorschlag Hippolits, gab vor, daß der Wind ihnen entgegen sei, die Ueberfahrt zu langwierig sein möchte, und das Fahrzeug von dem dreitägigen Sturme zu bedeutend gelitten habe, um noch lange See halten zu können; da nun überdem bei der Berathschlagung der größte Theil der Schiffsmannschaft ihres Steuermanns Meinung beitrat, so war Hippolit genöthigt nachzugeben, obgleich er den Lauf nach Livorno zur Vermeidung des verfolgenden Feindes immer noch für sicherer hielt.
Toulons Hafen konnte den Berechnungen des Steuermanns zufolge nicht fern sein; um ihn nicht zu verfehlen, lenkte er das Fahrzeug nach Westen; der günstige Wind bließ in die vollen Seegel, das Wetter und die See schienen den Wünschen der Matrosen entgegen zu kommen; in wenigen Stunden hatte die leicht bemannte Brigantine eine ansehnliche Strecke zurückgelegt, und immer näher trugen sie die friedlichen Wellen dem ersehnten Bestimmungsorte.
Wärend Hippolit auf dem Verdecke mit geschäftigem Muthe die Matrosen in ihren Dienstverrichtungen unterstützte, hatte sich Victoria auf des Arztes Verlangen eines feuchten Nebels wegen in die Kajüte zurückgezogen, wohin er sie begleitete, und sie auf ihren wiederholten Wunsch mit der Geschichte seiner Lebensjahre bekannt machte.
Mein Vater, sprach er, war ein wenig bemittelter Kaufmann in Carthagena; unverschuldete Unglücksfälle hatten seinen Handel und sein Vermögen, bald darauf aber leider auch seine Gesundheit zerrüttet, und nach seinem kurz darauf erfolgtem Tode hinterließ er eine dürftige Witwe mit sieben Kindern, von denen ich das Aelteste war. Schon vor Absterben meines Vaters war ich, weil ich früh viele Neigung zum chirurgischen Fache verrieth, bei einem geschickten Wundarzte untergebracht, dessen Tochter mich liebgewann, und mir ihr Herz und ihre Hand mit Zustimmung ihres Vaters versprach, sobald ich mich in der Welt umgesehn haben und im Stande sein würde, eine Frau zu ernähren. Freunde meiner Eltern, die mir gewogen waren und meinen Entschluß, mich auswärts zu vervollkommnen, billigten, verschafften mir eine Anstellung als Unter-Wundarzt bei einem nach Westindien bestimmten Regimente, mit welchem ich mich kurz darauf nach Hispaniola einschiffte. Sieben Jahre blieb ich im fremden Welttheile, besuchte den größten Theil der spanischen Besitzungen, sammelte Erfahrungen und Kenntnisse, und weil mir das Glück bei meinen Curen und Unternehmungen günstig war, ein ansehnliches Vermögen, größtentheils Früchte meiner Ersparnisse. In meinem sechs und zwanzigsten Jahre kehrte ich in mein Vaterland und nach Carthagena zurück, fand bei meiner theuren Isabella noch eben die Liebe und Treue, welche sie mir aufzubewahren gelobt hatte, ließ mich häuslich nieder, und erschuf mir bald ein nie geträumtes Glück in den Armen einer liebenden Gattin, das ich aber leider nur kurze Zeit genoß.
Einige Jahre nach meiner Verheirathung, als ich einst am Abende aus einem Dorfe unweit Carthagena, wo ich einen Kranken besucht hatte, zurückkehrte, und mich mein Weg durch einen Wald führte, bemerkte ich in einer Schlucht einen ausgestreckt auf der Erde liegenden, wohlgekleideten, dem Anscheine nach leblosen Mann. Sogleich stieg ich vom Maulthiere, mich zu vergewissern, ob er tod sei oder meiner Hülfe noch bedürfe, und fand ihn nur verwundet, aber auf eine so gefährliche Art verwundet, daß eine Stunde Zögerung den Verband unnöthig gemacht haben würde. An seinem Kopfe floß das Blut aus einer tiefen Wunde, und mehrere andere Theile des Körpers waren theils gebrochen, theils zerschellt. -- Ohne Verzug rief ich Beistand herbei, verband den Verwundeten so gut es sich im Walde thun ließ, sorgte dann dafür, daß er nach der Stadt getragen und nicht weit von meiner Wohnung untergebracht wurde, wo ich ihn selten verließ, und durch den Gebrauch zweckmäßiger Mittel und der nöthigen Sorgfalt in einigen Tagen zu der Beruhigung gelangte, ihn außer Gefahr zu sehen.
Ach, ich fühlte mich so glücklich ihn gerettet zu haben, und wie viel Leiden hätte mir sein Tod erspart!
Der Fremde schien Verstand, Kenntnisse und Bildung, Früchte einer guten Erziehung zu besitzen, aber in seinem Benehmen und selbst in seinem Gesichte lag eine versteckte Härte und etwas Zurückstoßendes. Er war vom lebhaftesten Danke durchdrungen, als ich ihm ankündigte, daß er bald ganz hergestellt sein würde, und betheuerte mir, daß er den ihm geleisteten Dienst nie vergessen werde. -- Er hat leider Wort gehalten. Seiner Erzählung nach war er aus Messina gebürtig und Besitzer eines Fahrzeugs, mit welchem er an den Küsten des mittelländischen Meeres Handel trieb. Seit einigen Tagen, sagte er, sei er mit einer reichen Ladung in den Hafen von Carthagena eingelaufen, und nachdem er seine Geschäfte beendigt, in der Absicht ausgeritten, die umherliegende schöne Gegend kennen zu lernen, aber am Abende von dem Wege abgekommen, im Gehölze irre geritten und mit dem Maulthiere in den Abgrund gestürzt, in welchem ich ihn gefunden hatte. Diese Aussage stimmte mit dem Zeugnisse mehrerer Einwohner Carthagena's, die ihn als einen, den Hafen der heiligen Barbara fleißig besuchenden Kaufmann kannten, überein. Als er im Stande war das Zimmer zu verlassen, lud ich ihn ein mich zu besuchen, bewirthete ihn bei mir, und machte ihn zum Zeugen meines Glücks, das er in freundschaftlichen Scherzen mir zu beneiden schien. Im brüderlichen Umgange verlebte er mit uns die Zeit seiner Genesung, und vor seiner nach einigen Wochen erfolgenden Abreise von Carthagena bat er meine Gattin, einen kostbaren Diamant, zum Beweise seiner Dankbarkeit für meine ärztlichen Bemühungen und die gute Aufnahme, die, er in meinem Hause gefunden hatte, anzunehmen.
Dieses Geschenk in Vereinigung mit der ansehnlichen Belohnung, die ich dafür erhielt, daß ich einen allgemein geliebten und verehrten Geistlichen in Murzia, den ich, als ihn schon alle seine Aerzte verlassen und aufgegeben hatten, behandelte, und von einer schweren Krankheit wie durch ein Wunder glücklich heilte, setzten mich in den Stand, eine meiner Schwestern mit einem jungen Anverwandten meiner Gattin, einem liebenswürdigen Jüngling, zu verheirathen und anständig auszusteuren. Ein Jahr seit ich die glückliche Cur an dem Kaufmann aus Messina vollbracht hatte, mochte beinahe verflossen sein, als ich die Vermälung jener beiden jungen Leute feierte, deren Glück so wie die Zufriedenheit meiner geliebten Gattin für mich ein Gegenstand des Entzückens und des Triumphes war. Umgeben von Menschen, deren Wünsche durch mich befriedigt waren, geachtet und geliebt von der ganzen Stadt, eine frohe Zukunft vor Augen und Frieden im Herzen, genoß ich die Ergötzlichkeiten einer reinen, heitern Glückseeligkeit, und ich gestehe es offenherzig: nicht ganz gelegen kam mir daher eine unerwartete Störung.
Ein junger Bauer fragte außer Athem und bestürzt nach mir, und benachrichtigte mich, daß sein armer Vater so eben von einem Schlagflusse getroffen sei, weshalb er mich mit Thränen bitte, zu seiner Hülfe sogleich mit ihm zu gehen, ehe es zu spät sein könnte. Obgleich ich mich zwar in diesen Augenblicken ungern von der frohen Gesellschaft trennte, so schwankte ich doch nicht eine Minute, mein Vergnügen meinem Berufe und den Pflichten der Menschheit aufzuopfern, versah mich schnell mit dem Nöthigen, versprach, sobald es die Umstände erlauben würden, mich wieder einzufinden, und folgte dem jungen Bauer. Dieser führte mich in die Vorstadt dem Wohnorte seines Vaters zu. Es war bereits spät am Abende; nachdem wir durch mehrere Straßen gegangen waren, zeigte er mir ein Haus von dürftigem Aeußern und ließ mich eintreten; aber kaum hatte ich die Schwelle überschritten, so schloß sich hinter mir die Thür, ein Haufen Banditen fiel in der Dunkelheit über mich her, band mich, verstopfte mir den Mund, schleppte mich in einen Wagen, der an der Hinterthür des Hauses hielt, und fuhr mit mir rasch davon, ohne daß ich hätte errathen können, welche Absicht man mit mir hege. Auf diese Art brachten mich meine Begleiter, die ich für Räuber halten mußte, ans Ufer des Meeres, trugen mich bei finsterer Nacht, ohne mich meiner Bande zu entledigen, in ein vor Anker liegendes Schiff, wo man mich in eben diesem Zustande in den untersten Raum warf, und bald darauf das Gestade verließ. Wohin das Schiff seinen Lauf nahm, blieb mir unbekannt und war mir Unglücklichen, den die Verzweiflung und Seekrankheit marterte, gleichgültig. Nach vielen Stunden, als längst der Tag angebrochen war, und wir uns meiner Rechnung nach auf hohem Meere befinden, und viele Meilen schon zurückgelegt haben mußten, langte ein Boot bei uns an. Man holte mich nun von unten herauf, verband mir die Augen, ließ mich in das Boot hinab und erreichte nach wenigen Stunden Land. Bis daher war ich an Händen und Füßen fest gebunden und geknebelt gewesen, jetzt befreiete man die letztern von den Stricken, und führte mich mit noch immer verbundenen Augen auf einem sehr beschwerlichen Wege bald bergauf, bald bergab über Felsstücke und Mauertrümmern, mehrere Treppen hinauf, und als man mir endlich die Binde von den Augen nahm, befand ich mich in einem Saale von Don Manuels Schlosse, wo dieser selbst mit noch einem andern Manne gegenwärtig war, den ich sogleich als den angeblichen Kaufmann von Messina, der mir die Erhaltung seines Lebens dankte und den ich mit der aufrichtigsten Gastfreundschaft behandelt hatte, wieder erkannte. Nachdem mir die Hände losgebunden waren, stellte mich dieser dem Don Manuel, mit den mir ewig unvergeßlichen Worten vor:
Seht hier, Sennor, jenen geschickten Wundarzt, den ich Euch zuzuführen versprochen, und dessen Talente ich an mir selbst bewährt gefunden habe; ich glaube, ich hätte Euch kein nützlicheres und nothwendigeres Mitglied unserer Gesellschaft zuführen können.
In diesem Zuge satanischer Undankbarkeit und Verrätherei, werdet Ihr Sennora, ohne Mühe den schändlichen Garzias erkennen. -- Acht lange Jahre habe ich in der Räuberhöhle zugebracht, ohne auf irgend eine Weise mir Kunde von meinem unglücklichen Weibe verschaffen zu können, nur die Hoffnung, daß die Vorsehung über kurz oder lang ein mitleidiges Auge auf meine traurige Lage werfen, und mir Mittel zuweisen könnte, die schreckliche Knechtschaft abzuwerfen, hat mich erhalten.
So weit, war Pedro in seiner Erzählung, welche Victoria mit Aufmerksamkeit und lebhafter Theilnahme zuhörte, gekommen, als ein verwirrtes Geschrei der Mannschaft auf dem Verdecke diese plötzlich unterbrach, und Beide sich erschrocken und fragend ansahen. Gleich darauf trat Hippolit mit einem Gesichte in die Kajüte, das seiner Bemühungen ungeachtet gleichgültig zu scheinen, seine Unruhe mit deutlichen Zügen bezeichnete.
Sennora, fing er etwas bedenklich an, das Schicksal scheint uns noch immer nicht ganz günstig werden zu wollen, und ich fürchte fast, daß Euer bewunderungswürdiger Muth bald wieder auf eine harte Probe gestellt werden könne.
Ich verstehe Euch, unterbrach ihn Victoria erschreckt, wir werden verfolgt.
So scheint es, erwiederte Hippolit, denn wir entdecken in der Ferne ein Schiff, das Jagd auf uns zu machen scheint, und dem wir nicht entgehen konnten, weil uns der seit einigen Stunden herabgesenkte dichte Nebel verhindert hat, es zeitig genug zu gewahren; bis jetzt können wir noch nicht unterscheiden, ob es ein algierischer Korsar, oder eine von Don Manuels Brigantinen ist, aber unglücklicherweise ist es entweder der eine oder die andere, und unsere letzte Hoffnung ruht jetzt nur auf dem von uns sämmtlich gefaßten Entschluß, eher mit den Waffen in der Hand zu sterben, als uns zu ergeben.
Nach diesen Worten wollte Hippolit zu der Mannschaft zurückkehren, doch Victoria hielt ihn zurück.
Ihr dürft nicht allein gehn, rief sie entschlossen, zu oft schon habt Ihr Euer Leben für eine Unglückliche gewagt, deren Schicksal der Himmel bestimmt hat; mich allein suchen die Barbaren, nur mir gilt die Verfolgung, ich will daher lieber ihnen ihr Opfer freiwillig überliefern, als so großmüthige Freunde für meine Vertheidigung sterben sehen.
Diese edle Aufopferung, sprach Hippolit ernst, würde Euch verderben, ohne uns zu retten; unser unglückliches Verhängniß ist von gleichem Maaße, auch gegen uns ist ihre Rache gerichtet, uns droht Tod oder harte Gefangenschaft, und nur vermöge einer hartnäckigen, verzweifelnden Gegenwehr können wir vielleicht dem uns geschwornen Verderben entgehen. Lieber Pedro, fuhr er fort, bleibt bei Donna Victoria, trachtet darnach, ihr an Standhaftigkeit gleich zu kommen, und erlaubt nicht, daß sie sich auf dem Verdecke blicken lasse, wo sie ohne Nutzen der größten Gefahr in die offnen Arme eilen würde. Und Ihr, Sennora, könnt auch hier in der Kajüte Euren Freunden im kritischen Augenblicke nützlich sein; ich erlaube mir, Eurer starken und mitleidigen Seele eine Sorge aufzutragen, die ihrer würdig ist. Sollte einer von unsrer kühnen Mannschaft im Gefechte verwundet werden, so will ich ihn hieher zu Euch schicken, damit Eure wohlthätige Hand Pedro beim Verbande unterstützen und Euer Mund dem Leidenden Trost sprechen kann.
Die Ausübung der Wohlthätigkeit und Menschlichkeit war Victorien in allen Gestalten eine heilige Pflicht, die sie auch auf Kosten ihres eignen Heils dem Unglücklichen nie versagt haben würde, sie war daher sogleich bereit zu bleiben und das Amt zu übernehmen, waffnete sich mit aller zu erzwingenden Standhaftigkeit, empfahl den davon eilenden Hippolit dem Schutze des Himmels, hoffte aber noch immer, daß Gott ihr leises Gebet erhören, ihr flüchtiges Fahrzeug vor dem tückischen Auge des Feindes verhüllen und so die Gefahr vor dem Ausbruche zertheilen werde. Pedro dagegen suchte stillschweigend die nöthigen Instrumente und den Apparat hervor, zerschnitt seufzend das zum Verbande bestimmte Leinen und schüttelte zweifelnd den Kopf, so oft Victoria die Möglichkeit, den Corsaren zu entfliehen, berührte, und den heißen Wunsch zu erkennen gab, daß seine Vorbereitungen unnöthig sein mögten.
Inzwischen vergrößerte sich mit jedem Pulsschlage der Lerm und das Getümmel auf dem Verdecke, und bald verkündigte das Getöse der Waffen, das rasende Geschrei der Streitenden und vor Allem das von beiden Seiten mit gleicher Heftigkeit und Schnelle donnernde Geschütz den Anfang des blutigen Gefechts, und die Wuth des Angriffes, so wie die Verzweiflung des Widerstandes. Unbekannt mit den Schrecknissen eines Seegefechts, fürchtete die arme betäubte Victoria den immer näher rückenden Augenblick, wo sie der steigenden Angst unterliegen würde, da brachte man einen bedeutend Verwundeten, dessen Anblick sie an ihre Pflicht erinnerte, und ihr neue Kräfte einhauchte. Ohne Säumniß half sie Pedro, der des unglücklichen Matrosen Wunde untersuchte, und scheuete nicht selbst Hand mit an zu legen, als er verbunden wurde, bei welcher Arbeit der Arzt sich nach der Lage der Sachen auf dem Verdecke erkundigte.
Auf unserer Seite, sprach dieser, thut Tapferkeit von der Verzweiflung angefeuert Wunder, obgleich uns der Feind an Zahl und Geschütz drei Mal überlegen ist. Aber unser Anführer, der brave Hippolit, schlägt sich herum wie ein Löwe, und wird wol den Sieg zu unserm Vortheile entscheiden.
Kaum war der Sprecher verbunden, so trat schon ein zweiter herein, dessen Arm von einer Kugel zerschmettert war. Geschäftig näherte sich ihm Victoria, das rieselnde Blut zu stillen, fuhr jedoch beim Anblick der klaffenden Wunde, aus der des Knochens Splitter hervorsteckten, schaudernd und seufzend zurück, und das Mitleid entriß ihr einen leisen Schrei.
Großer Gott, sprach sie bebend, und mit einem bedenklichen Blick auf Pedro, diese Wunde ist doch nicht tödlich? --
Sie wird mir den Arm kosten, antwortete statt des Arztes der Matrose kaltblütig, aber gern hätte ich sie Beide verlohren, wenn nur unser theure Neger verschont geblieben wäre.
Himmel! rief Victoria mit Entsetzen, Hippolit ist verwundet?
Ja wohl, Sennora, erwiederte der Mastrose, aber trotz dem macht er den Feinden, die alle ihre Hiebe nur nach ihm zu richten scheinen, viel zu schaffen; man hat ihm zugerufen, daß er keine Gnade finden werde, wenn er Euch nicht sogleich ihren Händen überliefere, er will sich aber lieber in Stücken hauen lassen, als auf diese Art sein Leben zu retten.
Mehr hörte Victoria nicht; ohne daß es Pedro, der mit den Verwundeten beschäftigt war, verhindern konnte, flog sie auf das Verdeck, erzwang sich eine Bahn durch Feuer, Rauch und die Menge der Streitenden, bis zu dem kämpfenden Hippolit, den sie von einem Haufen Feinde, die beim Entern an Bord gesprungen waren, umringt fand, und der, obgleich er aus einer breiten Wunde am linken Arme viel Blut verlohr, sich doch immer noch mit Vortheil vertheidigte, und mehrere seiner Gegner zu seinen Füßen hingestreckt hatte.
Hier bin ich, schrie sie außer sich, ich überliefere mich Euch, haltet ein! -- Und so warf sie sich den, über dem Haupte ihres Befreiers drohend gehobenen Säbeln muthig entgegen, stieß einen der Räuber, der sein Pistol auf ihn abzudrücken im Begriff war, zurück, und sank nun von der Heftigkeit ihrer Anstrengungen erschöpft, ohne Besinnung auf's Verdeck zwischen Todte und Verwundete.
Bei ihrem Wiedererwachen befand sie sich in einer andern Kajüte als die, welche sie früher bewohnt hatte, und vermuthete daher, daß sie auf der feindlichen Brigantine sein müsse. Alles war still, das Gefecht war beendigt und sie also von neuem in der Gewalt der siegreichen Banditen Don Manuels. Ihre Ungewißheit hierüber verschwand, das letzte Fünkchen Hoffnung erstarb beim Anblick des verhaßten Garzias, der zu ihr hereintrat. Schweigend und verhöhnend betrachtete er das wiedererhaschte Opfer, auf seinem Gesichte las man die höllische Freude des triumphirenden Verbrechers, und in seinen frohlockenden Blicken den Genuß, welchen er sich beim Anschaun der Leiden, die diesem von neuem vorbehalten waren, versprach.
Die Gegenwart dieses Barbaren war hinreichend, Victorien den Umfang ihres unglücklichen Schicksals beurtheilen zu lassen. Ihre Lage war jetzt schrecklicher als in den ersten Tagen ihrer Entführung, von der peinlichsten Unruhe über das Loos der tapfern Freunde, die sich ihrer Vertheidigung geopfert hatten, gequält, aller Mittel beraubt, von einer theilnehmenden, mitleidigen Seele Aufschluß und Gewißheit zu erhalten, fürchtete sie durch unnütze Fragen und überflüssige Klagen den Triumph ihrer Henker zu vermehren, und verfiel in einen Zustand, der einer gänzlichen Gefühllosigkeit glich, ohne daß ein Wort, ein Seufzer über ihre Lippen trat, oder eine Thräne ihr Auge befeuchtete; aber in ihres Herzens Tiefe schöpfte sie Trostgründe und Standhaftigkeit in der Ruhe ihres Gewissens und in ihrem vollkommnen, unerschütterlichen Vertrauen auf die Gerechtigkeit des Allmächtigen, dessen Fügungen sie sich mit Ergebung ohne Wehklagen unterwarf.
In diesem Zustande einer ruhigen, duldsamen Gemüthsverfassung blieb Victoria bis zur Stunde der Mitternacht. Längst schon hatte sich Garzias mit seinen Raubgenossen, die sie fest eingeschlafen glaubten, entfernt, um sich zu Tische zu setzen und von der Anstrengung des Gefechts beim vollen Becher zu erholen. Plötzlich unterbrach ihre Träumereien ein leises Gemurmel, sie glaubte zu verschiedenen Malen ihren Namen mit gedämpfter Stimme ausrufen zu hören, richtete sich von ihrem Lager auf, stützte sich horchend auf den Ellenbogen und bemühete sich zu unterscheiden, wo und wer sie rufe. Nun bemerkte sie am Fenster ihres Zimmers das Gesicht eines Mannes, dessen Züge sie durch die Finsterniß zu erkennen glaubte.
Großer Gott, rief sie ermuntert aus, ist es Diego's Geist, der mich ruft?
Es ist Diego selbst, antwortete die Stimme, der Euch zu befreien kommt, wenn Ihr Euch entschließen könnt, ihm zu folgen.
Ach, guter Diego, seufzte Victoria zweifelhaft, dessen Tod ich mit bittern Thränen beweint habe, wolltet Ihr wirklich Eure Wiederaufstehung durch eine Wohlthat verherrlichen?
Wir dürfen keine Minute verlieren, sprach der treue Diener ungeduldig, ein nahes Boot erwartet Euch, vertraut Euch meiner Führung an, die Augenblicke sind uns günstig, denn noch schlafen Eure Verfolger.
Ich folge Euch, Diego, erwiederte Victoria, aber sagt mir ohne Hehl, wird meine Flucht dem treuen Hippolit und den übrigen Freunden verderblich sein?
Im Gegentheil, entgegnete Diego, zu diesen will ich Euch geleiten.
Hoffnung und Liebe zur Freiheit liehen nun Victorien neue Kräfte, von Diego unterstützt stieg sie aus dem Fenster der Kajüte auf die am Hintertheil des Schiffes befindliche Gallerie und in ein Boot hinab, das von einem Matrosen bewacht wurde, den sie mit inniger Freude für den ehrlichen Thomas erkannte. Kaum war sie mit möglichster Behutsamkeit und Stille von jenem hineingehoben, so entfernte sich das Boot mit leisen Ruderschlägen und erreichte nach einigen Augenblicken das in der Nähe befindliche Fahrzeug, welches Victorien auf ihrer Flucht davon getragen hatte, und an dessen Bord sie Pedro und der größte Theil ihrer Begleiter mit Thränen der Rührung und aufrichtiger, ungekünstelter Freude willkommen hießen. Dankend reichte Victoria den um sie her versammelten Matrosen die zitternden Hände, trocknete ihre nassen Augen, denn auch die Gefühlvolle konnte sich des Weinens nicht enthalten, und gelobte, ihre seltne Anhänglichkeit und Treue nie zu vergessen, da sie sich jetzt leider außer Stand befinde, sie nach Verdienst zu belohnen. Doch der Steuermann rief ungeduldig die Säumigen an die Arbeit, schnell eilte jeder an den angewiesenen Posten, die Seegel wurden dem Winde preis gegeben, und dieser, diesmal der verfolgten Unschuld hold, benutzte die Gelegenheit ihr zu dienen, und jagte das Schiff mit bewunderungswürdiger Schnelle durch die Wogen, daß man in einer Stunde viele Meilen gewann und einen bedeutenden Vorsprung vor Garzias Brigantine bekam.
Victoria wollte das Verdeck nicht verlassen, ihre unruhigen Blicke verweilten suchend auf allen Gestalten, die um sie her beschäftigt waren da sie aber noch immer den ihr theuer gewordenen Hippolit vermißte, so wagte sie es endlich, mit bebender Stimme den geschäftigen Wundarzt um das Schicksal dieses kühnen aber unglücklichen Jünglings zu befragen.
Auch er ist hier an Bord, antwortete dieser, aber seine Wunde, wenn gleich nicht gefährlich, ist doch immer so bedeutend, daß ich für nothwendig gehalten habe, ihm das Wagstück Diego's so lange zu verschweigen, bis das Gelingen nicht mehr zweifelhaft sein könnte; die Unruhe seines Gemüths hätte leicht sehr nachtheilige Folgen haben können. Da ich aber ihm jetzt so gute Nachrichten zu hinterbringen habe, so will ich auch sofort sein Gefängniß öffnen.
Nach diesen Worten entfernte sich Pedro, kehrte aber nach einer Weile mit Hippolit, der sich auf ihn stützte und einen Arm im Bande trug, zurück. Die besorgte Victoria fürchtete, daß der Freude Uebermaas und der plötzliche Uebergang von so entgegengesetzten Empfindungen, seiner Gesundheit in seinem gegenwärtigen, schwachen und hinfälligen Zustande leicht gefährlich sein könnte; aber Pedro hatte ihn vorzubereiten gewußt, mit weiser Vorsicht gebot er dem kranken Freunde, der, von Entzücken hingerissen, die Verlohrne wiederzusehn, sein Herz in Ergießungen ausschütten wollte, Stillschweigen, und in der Absicht die Reizbaren zu zerstreuen, erweckte er ihre Neugierde, indem er ungeduldiges Verlangen bezeigte, von Diego zu erfahren, auf welche wunderbare Art er ein so kühnes und gefahrvolles Unternehmen beginnen, und so glücklich ausführen können.
Ich glaube, begann Diego bescheiden, daß der Himmel, um mich zum Guten zurückzuführen, die erste löbliche Handlung eines reuigen Sünders hat begünstigen wollen, denn Alles ist über meine Erwartung trefflich gelungen, und noch erstaune ich selbst über die Möglichkeit des Gelingens.
Ich bin genöthigt, Sennora, in meiner Erzählung bis zu dem Zeitpuncte hinaufzugehen, wo Pedro von meinem Krankenlager gerissen wurde. Gleich darauf trat Don Manuel herein, ließ mein Bette von einem Haufen seiner Untergebenen umringen, verbot mir, einen Laut von mir zu geben, und befahl, mich so, wie ich ausgestreckt im Krankheitszustande lag, mit Matratze und Decke auf das Fahrzeug, welches wir so eben verlassen haben, und das in unserer Bucht ruhig vor Anker lag, zu tragen. In der Kajüte des Steuermanns war bereits zu meinem Empfange das Nöthige eingerichtet; man legte mich in eine gut befestigte und bequeme Hangmatte, Don Manuel hieß seinen Leuten sich entfernen, und brach dann das bisher beobachtete Stillschweigen:
Diego, sprach er, aus Zuneigung zu Dir, und in Berücksichtigung Deiner treuen Dienste so wie Deines guten Herzens, habe ich bisher den Vorschlag, Dich in einem Gefängnisse zu verwahren, immer verworfen; doch ist es gegenwärtig durchaus nöthig, daß Du keine Verbindung mit den übrigen Bewohnern des Schlosses habest. Ich kenne Deine seltsame Anhänglichkeit für die junge Dame, die ich dort zurückhalte; ich weiß den Grund Deiner Theilnahme an ihrem Schicksale, ich kann ihn nicht tadeln, aber ich will auch nicht, daß er der Ausübung der Absichten, die ich mit ihr hege, schade. Uebrigens umfassen diese Absichten nichts, was Dich beunruhigen könnte. Wenn ich gleich die Anwendung einiger Maasregeln gestattete, welche dahin abzielten, sie in Angst zu setzen und zu erschrecken, um sie nachgiebiger zu machen, so wird mich doch nichts in der Welt vermögen können, meine Einwilligung zu geben, daß ihr das geringste Leid geschehe. Aber ich habe einem Freunde, der sie leidenschaftlich liebt, und dem die Bande des Bluts ein Recht auf sie einräumen, mein Wort gegeben; es kömmt nur darauf an, ihre Einwilligung zu einer Verbindung zu erlangen, gegen welche ihr Geist einen thörigten Widerwillen bezeigt. Diese Verbindung ist in jeder Hinsicht vortheilhaft für sie, und es ist durchaus nöthig, daß sie sich, auch mit Zwang dazu entschließe. Ich lasse Dir Felix, der Dein Freund ist, er wird Dich mit Eifer und Sorgfalt bedienen, und Dir die Arznei reichen, welche Dir Pedro verordnet hat; es soll Dir an nichts fehlen, füge Dich in Dein Schicksal, denn eine Aenderung kann vor jetzt nicht statt finden, und bedenk, daß mit jedem Andern nicht so glimpflich würde verfahren sein.
Nach dieser Weisung verließ mich Don Manuel und Felix nahm seinen Platz ein. Ich weiß nun nicht, ob ich der Seeluft die baldige Wiederherstellung meiner Gesundheit zuschreiben soll, genug in kurzer Zeit und ohne weitere Mittel war ich so weit genesen, daß ich mein Bette verlassen und meine Zeit des Tages über auf dem Verdecke zubringen konnte, wo es mir an Langerweile nicht fehlte.
In einer Nacht, als ich längst völlig gesund geworden und in meiner Hangmatte ruhig schlief, entstand ein unbeschreiblicher Tumult auf dem Verdecke, ein Laufen und Toben, daß mir darüber der Gedanke aufstieß, uns könne Gefahr drohen. Eilends sprang ich auf, sah das Fahrzeug mit Matrosen angefüllt, die es schnell in seegelfertigen Stand setzten, und erfuhr, daß es dazu bestimmt sei, Euch auf Eurer Flucht zu verfolgen. Nun schloß ich zwar unmuthig, daß man mich zu dieser Expedition nicht gebrauchen werde und mir die Gelegenheit benommen würde, Euch nützlich zu sein; indeß irrte ich mich glücklicherweise und die Sache drehete sich anders. Garzias, der Befehlshaber des Schiffes, setzte kein Mistrauen in meine Treue; er rechnete den thätigen Antheil, den ich bei Gelegenheit jenes nächtlichen Ueberfalls Alonzo's, an Eurer Vertheidigung genommen, so wohl meiner bekannten Feindschaft gegen diesen als auch meiner Treue gegen Don Manuel zu und ahnete meinen Eifer und meine Anhänglichkeit an Euch nicht, da ihm die frühern Verbindungen mit Eurer achtungswerthen Familie unbekannt geblieben waren; überdem bedurfte er zur Ausführung des ihm gegebenen Auftrages eines erfahrnen Seemannes, der ich zu sein mir schmeicheln darf, und also nahm er keinen Anstand mich zu gebrauchen. Nun hoffte ich zwar, daß Ihr bereits weit entfernt sein und den nächsten Hafen erreicht haben könntet, und daher unsere Nachjagd vergeblich sein werde, bemerkte jedoch zu meinem Leidwesen nach einigen Tagen, daß wir Euch dennoch eingeholt hatten. --
Unter der Mannschaft befanden sich nur zwei oder drei Freunde, auf deren Beistand ich rechnen dürfte, es blieb mir daher nichts übrig als mich auf eine Art zu betragen, die keinen Verdacht erwecken konnte, um mir die Mittel zu bewahren, Euch dienen zu können, so bald sich eine günstige Gelegenheit dazu zeigen würde. Beim Entern sprangen Felix und ich sogleich auf Euer Bord, und indem wir uns stellten, als ob wir Hippolit wüthend angriffen, gelang es uns, vom Tumult und der Finsterniß begünstigt, einen großen Theil der ihm geltenden Hiebe abzuwenden oder aufzufangen. Der Ausgang des Gefechts konnte nicht lange zweifelhaft bleiben, denn wir waren den Eurigen an Anzahl zu sehr überlegen; unsere Sorge ging daher nur dahin, die Freunde dem Tode zu entreißen, aber Mühe und Gewandheit kostete es uns, den wüthenden Hippolit zu überwältigen, als er Euch, die Ihr so großmüthig Euren Feinden in die Arme eiltet, in Gefahr sah, und nur mit Verachtung unseres eigenen Lebens, und mit Aufbietung aller unserer Kräfte erreichten wir endlich unsere Absicht, entwaffneten den verwundeten Neger, banden ihn und brachten ihn in der hintern Kajüte in Sicherheit, wärend die andern Gefangenen tief unters Verdeck geworfen wurden. Mit bewunderungswürdiger Geschäftigkeit, aber aus guten Gründen suchte Felix des Eigenthums der Ueberwundenen habhaft zu werden, um es dem habsüchtigen Garzias zu überliefern, brachte aber aus der von dem Sennor Pedro verwalteten Schiffsapotheke auf meinen Befehl, den ganzen Vorrath von Opium auf die Seite, den er mir später heimlicherweise zusteckte, weil er mir zur Ausführung meines Vorhabens unentbehrlich war.
Sobald wir Sieger, auf Garzias Brigantine zum Theil zurückgekehrt waren, unterließ dieser nicht, wie ich vorhergesehn, Befehle zur Zubereitung seines Abendessens zu ertheilen und trug mir auf, für die Befriedigung seines Magens und den Wohlgeschmack seines Gaumens zu sorgen. Ich würzte nun, wie leicht vorauszusehen ist, von Keinem beobachtet, die mehrsten der Speisen mit einer guten Dosis Opium, ermangelte auch nicht, mit solchem den Wein, von welchem man, wie ich wußte, reichlich trinken würde, zu vermischen, und erwartete darauf, nicht ohne Bangigkeit den Erfolg meines Kunststücks. Garzias und seine drei Vertrauten, Sancho, Ramirez und Fernando aßen nach dem hungererregenden Kampfe mit Begierde und tranken verhältnißmäßig, so daß ich noch vor dem Ende des Abendessens alle viere fest eingeschlafen fand. Der übriggebliebene, mit dem wohlthätigen Schlaftrank vermengte Wein wurde alsdann unter die Matrosen vertheilt; diejenigen aber welche mir zugethan waren, bekamen begreiflichermaßen nichts davon und wurden durch unverfälschten dafür schadlos gehalten. Das Meer war ruhig, mithin die Dienstverrichtungen der Matrosen in diesen Augenblicken unbedeutend, nur eine Wache befand sich auf dem Verdecke und diese war von mir gewählt, mir gewogen und mit zum Complotte gehörig. Aber der Oberbootsmann, der am Steuerruder saß und einer Verwundung am Kopfe halber nicht zum Trinken zu bewegen gewesen, mußte noch, da er ein baumstarker und dem Garzias sehr ergebener Mann war, unschädlich gemacht werden. Zaudern mehrte die Gefahr, also schlichen wir uns hinter ihn, warfen ihn zu Boden und setzten ihm das Pistol mit der Drohung auf die Brust, daß jeder Laut sein Leben kosten würde. Dieses wirkte, er ließ sich geduldig an das Steuerruder binden, den Mund verstopfen und nur aus seinen Augen schoß die schrecklichste Wuth Blitze, die wir aber verlachen konnten.
Wärend alles dieses sich auf dem Verdecke und im Untertheil des Schiffs, wo die Schlafsucht allgemeine ansteckende Wirkung gethan hatte, zutrug, waret Ihr, Sennora, noch von Garzias in der Kajüte des Steuermanns eingeschlossen, und ich konnte nicht eher an Eure Befreiung denken, bis ich mich in den Besitz des Schiffes, wo Felix und Rodriguez unsere gefangene Freunde bewachten, gesetzt hatte. Ich ruderte also leise dorthin, bemächtigte mich mit dem Beistande des treuen Felix ohne Mühe der Person des Rodriguez, zog den Sennor Pedro und die übrigen armen Gefangenen aus dem untern Raume, wo sie an einander gedrängt, elend schmachteten, hervor, und kehrte nun in dem leichten Boote mit Thomas nach Garzias Schiffe zurück, gab mich Euch zu erkennen, und erreichte das unaussprechliche Glück, Euch den Händen Eures Peinigers zu entreißen und ohne Unfall an Freundes Bord zu bringen.
Das Wagstück ist Gott sei Dank gelungen, der Wind ist uns günstig, die Küste Frankreichs kann nicht fern mehr sein, der Himmel hat sich für uns erklärt und bald, bald steht uns Sündern der Weg zum Guten wieder offen.
Das letzte Wort erstarb auf Diego's Lippen, denn krachend stieß das Schiff mit solcher Heftigkeit gegen eine verborgene Klippe, daß alle von der gewaltigen Erschütterung zu Boden stürzten.
Wir sind verlohren, ohne Rettung verlohren! schrie voll Entsetzen die Schaar der herbeigeeilten Matrosen. Das Schiff ist geborsten, es sitzt fest!
Victoria noch vor wenigen Augenblicken in der frohen Erwartung, das Glück ihrer Errettung zu genießen, erschrack auf's äußerste, jedoch verlohr sie die Fassung nicht, weniger noch Diego und Hippolit. Der Erstere stürzte davon, die Lage der Sachen zu untersuchen und die Größe der Gefahr ermessen zu können; Hippolit aber, den seine Wunde gefesselt hielt, blieb mit dem bestürzten Pedro bei Victorien in der Kajüte und flößte ihr Muth ein; heulend, fluchend, betend und wehklagend rannten die Matrosen in der Dunkelheit auf dem Verdecke umher, erwarteten den Anbruch des Tages und mit Zittern das Sinken der zertrümmerten Brigantine. Nach einer Weile kehrte Diego langsam, bleich wie ein Todter und naß vom Halse bis zu den Füßen, zurück.
Es ist vorbei, sprach er nicht verzagend, doch mit einem wehmüthigen Seufzer, wenn Gott kein Wunder thut, so sind wir binnen einer halben Stunde höchstens, im Meere begraben.
Himmel! rief Hippolit in Verzweiflung aus, ist denn keine Rettung möglich?
Nein, antwortete Diego bestimmt, das Leck ist zu bedeutend, es fehlt an Pumpen, unsere drei Schwerverwundeten im untern Raume sind bereits im Wasser erstickt, es steigt mit jeder Minute.
Ach, die armen Unglücklichen! seufzte Victoria schaudernd.
Unser Schicksal wird nicht besser sein, fuhr jener fort, das Fahrzeug ist alt und hat im Kampfe schon sehr gelitten, die Klippe hat das Gerippe am Hintertheile zertrümmert, kaum hält es noch, eine leichte Welle und wir sinken. -- Unser Verderben scheint im Buche des Schicksals unabänderlich beschlossen, denn das Boot, auf welches ich noch die letzte Hoffnung stützte, Euch zu erhalten, fehlt, mit ihm der schändliche Steuermann, dessen Unvorsichtigkeit uns dem Tode preis gibt, und sieben von der Mannschaft; sie haben die allgemeine Bestürzung, den Tumult benutzt und sind entflohen. Gern würde ich noch das letzte Rettungsmittel versuchen und aus dem Wrack ein Floß zu erbauen mich bemühen, allein auch dazu gebricht es uns an Zeit, und wärend wir die Balken und Bretter von den Wänden brechen, um ein Floß zu zimmern, spaltet des Wassers und des Felsens Wuth das Fahrzeug, und das Meer verschlingt uns vor vollbrachter Arbeit. Bereitet Euch zum Tode, lasst uns standhaft sein, es ist ein Uebergang, wer beten kann, der bete; ich bin ein großer Sünder, ich sehe das Fegefeuer schon lodern, mein Gebet ist kraftlos, es erreicht des Himmels Höhen nicht.
Thomas stürzte herein: Wer fertig schwimmen kann, rief er, der mag sein Heil versuchen und vielleicht dem Tode diesmal noch entgehen, durch die graue Morgendämmerung schimmert in einiger Entfernung Land, dem Anschein nach, denn deutlich kann man's jetzt noch nicht erkennen; einige von der Mannschaft sind schon über Bord gesprungen, ob sie den Strand erreicht haben, mag der Himmel wissen; die See geht hohl, lange kann sich das Schiff nicht mehr halten. Wer schwimmen kann und die Gefahr des Todes nicht scheut, dem rathe ich es, das Wagstück zu unternehmen.
Das Wort Land trieb die Unglücklichen alle aus der Kajüte auf's Verdeck, wo sie in der Entfernung durch das Nebelmeer des erwachenden Morgens Felsenriffe und hinter diesen Land zu erkennen glaubten, nach welchem sie sich lange schon gesehnt hatten. Die See wurde indeß mit jeder Minute unruhiger, alle Vorbothen eines heftigen Sturms stellten sich unerwartet ein, und das Fahrzeug von den Wellen geschlagen, begann am Hintertheile um mehrere Fuß mit schrecklichem Krachen zu sinken. Schrecken und Hoffnung ergriff die, von dem in der Verzweiflung reichlich genossenen Weine berauschte Mannschaft; sie starrte mit sehnsuchtsvollem Auge hin auf das sich immer mehr entschleiernde Land, und nur eines kühnen Beispiels bedurfte es, die Ausführung des in jedes Brust pochenden Gedankens zur Reife zu bringen. Endlich rief ein sechszigjähriger Matrose: Was zaudern wir, bricht der Sturm los, so bringt uns kein Gott durch die Brandung am Felsen; wer Muth hat, folge mir!
Nach diesen Worten sprang er über Bord ins Meer und schwamm dem Strande zu, sein Beispiel und der Wogen wachsendes Getobe wirkte; rasch folgte ihm Einer, dann ein Zweiter, ein Dritter, und bald war nur noch Victoria mit ihren treuen Freunden Hippolit, Pedro, Diego und Thomas übrig. Pedro war ein trefflicher Schwimmer auf seinen Seereisen geworden, aber er fühlte, daß dieses Rettungsmittel Victorien nicht nützen, auch von dem verwundeten Hippolit nicht versucht werden konnte, deshalb wollte er sich von den Freunden nicht trennen und ihr Schicksal theilen. Aber Victoria bestürmte ihn mit so dringenden Bitten, sich zu retten, stellte ihm mit so kräftigen hinreißenden Worten die Pflicht vor Augen, den Vater seiner Familie, den Gatten seiner zärtlichen Isabella, aus deren Armen die schändlichste Verrätherei ihn gerissen, zu erhalten, malte ihm die Möglichkeit, ihnen von Lande schnelle Hülfe zu senden, und auf diese Weise das Werkzeug ihrer Rettung zu sein, mit so lieblichen und hoffnungsvollen Farben, daß er sich endlich von ihrer Beredsamkeit überwunden fühlte, ihre Hand drückte, die Uebrigen mit Thränen umarmte, ohne Verzug ein Boot zu schicken versprach und sich dann nach einigem Zögern ebenfalls in die Fluth warf. Nun wandte Victoria sich zu Diego, auch diesen zur Befolgung der Selbsterhaltungs-Pflicht zu bewegen, hier aber stieß sie auf entschlossene, feste Beharrlichkeit und kalte Ruhe.
Sennora, sprach er entschlossen, widersetzt Euch dem Willen des Himmels nicht, ich beschwöre Euch, laßt mich die Gnade empfangen, mit welcher er, der Gütige, mich zu beschenken würdigt; denn ohne Zweifel ist's der Allmächtige, der zur Büßung meiner Verbrechen und meiner schwarzen Undankbarkeit mir jetzt vergönnt, zu den Füßen der Tochter meines verehrten Herrn zu sterben; ich habe das Leben stets gering geschätzt, jetzt ist mir der Tod mit Euch willkommen.
Victoria unterließ keine Vorstellungen, keine Bitten, ihn von seinem verzweifelten Entschlusse abzubringen; aber er blieb unerschütterlich. Was Hippolit anbetraf, so pries sich dieser glücklich, daß ihm seine Verwundung einen natürlichen, unverwerflichen Vorwand darbot, seiner Neigung, das unglückliche Schicksal Victoriens bis zur Entscheidung zu theilen, unbeschränkt zu folgen. Das Beispiel Diego's hatte auf Thomas ehrliche und seiner äußern Rohheit ungeachtet, theilnehmenden Seele, kräftig gewirkt, er wollte diesem nicht nachstehen, und in einer übertriebenen Aufwallung von Edelmuth und Verachtung des Lebens beharrte er standhaft bei seinem Entschlusse, mit den Uebrigen zu leben oder zu versinken; zudem war es auch dem besten Schwimmer, nach des Matrosen Urtheil, jetzt unmöglich sich über diese Berge von Wellen einen Weg zum Lande zu bahnen, und unzerschmettert den Strand zu erreichen.
Thomas hatte recht, das seit Mitternacht im Anzuge gewesene Ungewitter brach mit unerhörter Wuth los und schickte einen von Blitz und Donnerschlägen begleiteten Platzregen herab, der Victorien und ihre Begleiter nöthigte, in die Kajüte zu flüchten, um nicht theils von den Regengüssen, theils von den über Bord schlagenden Wellen weggeschwemmt zu werden; denn Niemand wollte dem Tode freiwillig in die Arme laufen, ihn vielmehr vermeiden, so lange noch Möglichkeit vorhanden war. Nur Thomas allein blieb auf dem Verdecke zurück, und als der Wind mit Brausen durch die Seegelstangen und das Tauwerk pfiff, spannte der Verwegene alle Seegel auf, in der trügerischen Hoffnung, das Fahrzeug durch diese an sich unrichtige Weise noch so lange vor dem Sinken zu sichern, bis der Sturm sich gelegt haben würde, und man vom Lande Hülfe erwarten könne. Aber des Matrosen unvorsichtiges Treiben schien den Augenblick des Untergangs beschleunigen zu wollen, denn plötzlich vereinten sich die Windstöße mit der Gewalt der stürmenden Wogen, warfen das Schiff auf die Seite, rissen es mit entsetzlichem Krachen von der Klippe los, und schleuderten es in die tobende See. Die Unglücklichen, in der Kajüte von der gewaltsamen Bewegung und dem harten Stoße zur Erde geworfen, hielten den Tod jetzt für unvermeidlich, klammerten sich an nahe, feste Gegenstände und erwarteten ohne Klagen den Moment des Untergangs im nassen Element. Allein sie irrten sich, das kochende Meer schien über ihre seltene Standhaftigkeit erbittert; statt ihr halb zertrümmertes Fahrzeug zu verschlingen, warf es dasselbe verächtlich von sich und der heulende Sturm trieb es tanzend, ein Spiel der berghohen Wellen weit in die See. Auf diese wundervolle Weise hielt es sich von der unaufhörlichen, schaukelnden Bewegung vor dem Sinken bewahrt, ungeachtet der Menge des eingedrungenen Wassers, noch eine Zeitlang auf dem erboßten Meere, legte in kurzer Zeit eine Strecke von mehrern Meilen am Gestade, wohin es wieder getrieben war, hinauf zurück, verlohr Masten, Seegel und Steuerruder, und ward endlich, als nur noch ein kleiner Theil von dem hülflosen Wracke aus dem Meere hervorragte, durch des Allmächtigen unverkennbare Begünstigung von einer mitleidigen Welle auf den Strand geschleudert. Halbtodt, kaum ihren Augen trauend, krochen die Geretteten aus den Trümmern hervor, jubelten beim Anblick des nahen Landes vor Entzücken und wateten dann, von Diego angeführt, der die Tochter feines vormaligen Gebieters in seinen Armen trug, durch das Wasser, bis sie das Trockene erreichten. Vom Drange des pochenden Herzens hingerissen, kniete Victoria auf dem Felsen am Strande nieder, dem Himmel für ihre wunderbare Errettung zu danken, ihre Begleiter, von derselben Begeisterung ergriffen, warfen sich gleichfalls zur Erde und vereinigten sich mit ihr zu dieser heiligen Handlung, in dem festen Vertrauen, daß ihr Gebet dem Schöpfer der Welten willkommen und angenehm sein müsse, weil ein so sanfter und frommer Engel, den sie zu ihrem Vermittler und Fürsprecher gewählt hatten, ihre Andacht leite und begeistere.
Nach der Erfüllung dieser unerläßlichen Pflicht beschäftigten sich die Gestrandeten damit, das Land umher kennen zu lernen; verschiedene Umstände, der Lauf des Fahrzeugs und die Gegend am Ufer führten sie auf die Vermuthung, daß sie sich in einem Theile von Piemont oder der Provence befinden müßten, allein der sie umhüllende dicke Nebel und der noch immer herabfallende feine Regen, verhinderten sie, die entferntern Gegenstände um sich her zu erkennen; man sah sich also genöthigt, tiefer ins Land hineinzudringen, um eine menschliche Wohnung, die ihnen das so nöthige Obdach verschaffen könnte, aufzufinden. Um diesen Zweck zu erreichen, machten sich die Durchnäßten, von Hunger und Kälte ermattet, aber mit freudigen Herzen auf den Weg, gingen über eine vor ihnen ausgebreitete Ebene einer Waldung zu, hinter welcher sie Wohnungen von Landleuten anzutreffen hofften, und hatten bald das dichte Gehölz, in welchem sie dem Regen weniger ausgesetzt waren, erreicht.
Nun aber nahm bei der Beschwerlichkeit des unwegsamen Waldes, Victoriens Ermattung so bedeutend zu, daß sie mit dem besten Willen, und obschon Diego sie am Arme führte, kaum dem verwundeten Hippolit, der besorgt neben ihr ging, folgen konnte, und daher die Nothwendigkeit einsah, mit dem Neger zurückzubleiben, wärend Diego und Thomas zur fernern Untersuchung des Landes ihren Weg im Gehölze fortsetzen, und die zurückgebliebenen durch den rastlosen Thomas von dem zu verhoffenden baldigen, glücklichen Erfolge benachrichtigen würden. Victoria war gezwungen diesen Vorschlag anzunehmen und zur Geduld und Hoffnung auf eine nahe Erlösung aus der Wildniß verwiesen, Diego bereitete ihr unter einem dichten Baume einen Sitz von dürren Blättern, Thomas versicherte der Besorgten mit kräftigen Schwüren daß er sie ohne Mühe wiederfinden werde, und folgte dann dem Rufe des vorausgeeilten Diego's, als sie deutlich das Geläute einer Glocke hörten, welche die Diener des Herrn zum frühen Gottesdienst zu ermuntern schien.
Diese, den Entkräfteten einen wenig entfernten Zufluchtsort versprechenden Töne, stärkten sie von frischem; Victoria fühlte sich nach der kurzen Erholung stark genug, dem Schalle zu folgen; sie begaben sich daher wieder auf den Weg, und gelangten nach einigem Suchen zur Pforte des Klosters, das am entgegengesetzten Saume des Waldes lag. Der eifrige Matrose, voll Jubel beim Anblicke des großen Gebäudes, eilte geschäftig voraus und zog aus allen Kräften an dem herabhängenden Glockenzuge. Sogleich öffnete sich die Pforte und es erschien ein bärtiger Mönch im Gewande der Kartheuser, der ihn um sein Begehr befragte. Hippolit, des ungestümen Thomas rauhe und unverständliche Anrede fürchtend, trat nun herzu und bat um einstweilige Aufnahme für ihn und seine Begleiter, welche vor einer Stunde an der Küste Schiffbruch gelitten, kaum dem Tode entronnen und von Hunger und Ermüdung entkräftet waren.
Der Mönch war sogleich bereitwillig sie im Kloster aufzunehmen, versprach ihnen Obdach und Pflege und lud sie ein, mit ihm zu gehen; kaum erblickte er aber Victorien, so verweigerte der heilige Mann ihr mit einem Winke seiner Hand den Eintritt, und sprach mit vieler Theilnahme:
Meine liebe Tochter, es thut mir leid Euch zurückweisen zu müssen, aber die strenge Observanz unserer Anstalt duldet es nicht, daß ein Wesen Eures Geschlechts ohne die besondere Erlaubniß des Bischofs vom Bezirke in unser Kloster eingelassen werde.
Ueber diese unerwartete Weigerung gerieth der ungeduldige Thomas in gerechten Eifer, und sein Unwille wollte, in derben Verwünschungen ausbrechen, aber der besonnene Hippolit gebot ihm Stillschweigen und sprach bittend zum Pförtner:
Ehrwürdiger Pater, seht den erbarmungswürdigen Zustand dieser unglücklichen, jungen Dame, wollt Ihr, daß sie auf der Schwelle Eures heiligen Hauses vor Entkräftung und Kälte ihren Tod finde; kann denn das Elend, die unbeschreibliche Hülflosigkeit, in der wir uns befinden, nicht auf einen Augenblick die Strenge der Vorschriften eines Ordens wie den Eurigen mildern, in dessen Statuten doch Wohlthätigkeit und Mitleid vor allen Tugenden prangen?
Mein Sohn, erwiederte der Pater gerührt, auch ich trage kein gefühlloses Herz in der Brust, und kann nicht ohne Mitleid die Thränen der Unglücklichen fließen sehen; das Schicksal dieser jungen Dame ist mir nicht gleichgültig, ihre Leiden erwecken in mir den lebhaftesten Wunsch ihr zu helfen, aber ich darf die Grundgesetze unsers Hauses eigenmächtig nicht übertreten; erlaubt, daß ich den ehrwürdigen Pater Anselm, der ein Licht unsers Ordens ist, zu Rathe ziehe; ohne Weigerung werde ich mich seiner Meinung unterwerfen.
Nach diesen Worten zog er an einem Eisendrahte, der in seiner Zelle herabhing, und wenige Augenblicke später kamen zwei wie der Bruder Pförtner gekleidete Mönche den Klostergang herunter. Der Erstere, welcher sehr kurzsichtig zu sein schien, war außerordentlich wohl beleibt, und trug eine von jenen ausdruckslosen Gesichtsbildungen zur Schau, welche ein leeres Herz ohne Wirksamkeit und einen beschränkten Verstand mit Gutmüthigkeit bezeichnen; der Andere besaß Gegentheile ein Aeußeres, das beim ersten Anblicke Vertrauen und Achtung einflößte: Man las in seinen Zügen Würde ohne Stolz, Frömmigkeit ohne übertriebenen Ernst oder Scheinheiligkeit, und Tugend ohne Strenge; aber alle diese Eigenschaften übertraf sein Ansehen von Herzensgüte. Kaum hatte er einen Augenblick die harrrenden Unglücklichen und den Pförtner beobachtet, so konnte man ohne Mühe aus seinen durchdringenden, aber milden Augen und seinem forschenden Blicke schließen, daß er die Veranlassung zu diesem Auftritte errathen habe, und nur aus Gefälligkeit die Erklärung des Bruders Pförtner, so wie die Art der zu hebenden Schwierigkeit anhörte. Als jener geendet, versüßte dieser mit einem gütigen Lächeln den Vorwurf, den er ihm machen wollte und sagte:
Pater Hilarion, die erste unserer Pflichten ist Menschlichkeit und Milde; vor allen Dingen müssen wir die Leiden derjenigen, die bei uns Zuflucht suchen, nach unsern Kräften mildern; und die Vorschriften unsers Ordens können nie mit den heiligen Grundsätzen des Evangeliums in Widerspruch kommen. Führt diese junge Dame in Eure Zelle, wo sie sich niederlassen, erwärmen und von ihrer Ermüdung erholen kann, ihre männlichen Begleiter werden den Bruder Augustin ins Refectorium begleiten, und dieser gern dafür Sorge tragen, daß die Unglücklichen die ihrem Zustande angemessene Speisung erhalten.
Meine gute Tochter, fuhr er gegen Victorien gewendet, welche auf seine Einladung ins Innere des Klosters eingetreten war, fort: Eure Unglücksgefährten werden hier im Kloster Betten und alles was ihre Lage benöthigt, erhalten; was Euch aber anlangt, so müssen wir einen Aufenthaltsort für Euch auszumitteln suchen, wo Ihr von Personen Eures Geschlechts verpflegt werden könnt. Das Kloster der Benedictinerinnen von Santa Margarita, wo meine Schwester Priorin ist, bietet Euch einen bequemen und anständigen Zufluchtsort an, aber leider ist es von hier bis zur nächsten Stadt, wo man sich einen Wagen verschaffen könnte, um Euch nach dem Kloster zu bringen, über eine Meile, es würde also darüber viel Zeit verlohren gehen, und doch bedürft Ihr so schnell als nur möglich eines warmen Bettes und der nöthigen Ruhe, weil es für Eure Gesundheit von den nachtheiligsten Folgen sein könnte, wenn Ihr noch mehrere Stunden in dieser durchnäßten Kleidung zubringen müßtet. Da Ihr nun einmal nicht länger hier im Kloster verweilen dürft, so hört meinen Vorschlag; ich schmeichle mir, daß er Euch annehmlich scheinen werde.
Kaum hundert Schritte von hier liegt ein Schloß, das gewöhnlich an Kranke vermiethet ist, die auf ärztliche Verordnung hieher ziehen, um eine zeitlang die heilsame balsamische Luft der Provinz einzuathmen und Seebäder zu gebrauchen. In diesem Augenblicke steht es leer, und soviel ich vernommen habe, werden diejenigen, welche es wieder miethweise in Besitz genommen und bereits einen Theil ihrer Dienerschaft geschickt haben, erst in einigen Tagen hier eintreffen. Ich bin überzeugt, daß Ihr daselbst, wenigstens für den Augenblick, die unentbehrlichste Hülfleistung finden werdet. Morgen mögtet Ihr Euch vielleicht von den ausgestandenen Gefahren und Drangsalen etwas erholt haben und eher im Stande sein, nach dem Kloster von Santa Margarita gebracht zu werden, bis dahin soll ein Wagen für Euch bereit sein.
Victoria, die sich schon von kindlicher Verehrung und Dankbarkeit für den achtungswerthen Pater Anselm durchdrungen fühlte, gab mit völligem Vertrauen seiner vorgeschlagenen Einrichtung ihren Beifall. Bald darauf trat der Pater Augustin mit gutem Weine und nahrhafter, aber einfacher Speise herein, welche Victorien um so willkommener war, als sie bereits seit vier und zwanzig Stunden keine Nahrung zu sich genommen hatte; auch Hippolit, Diego und der redselige Thomas, welche im Refectorio reichlich gespeißt waren, fanden sich wieder bei ihr ein, und schickten sich an, sie mit dem Pater Anselm nach dem vorerwähnten Schlosse zu begleiten, und da Diego bemerkt hatte, daß Victoriens zarte Füße auf den scharfen Felsenkanten und Spitzen am Strande, und im unebenen Gehölze wund gerieben waren, sie Schmerz zu empfinden anfing und nur mit Mühe gehen konnte, so verschaffte er sich im Kloster eine, zum Gebrauche der Kranken daselbst befindliche Sänfte, hob sie, ihre Weigerung nicht achtend, hinauf, und trug sie mit Thomas dem Schlosse zu; an beiden Seiten der Sänfte gingen im Gespräche der Pater Anselm und der Neger. Der Weg dahin war kurz, bei ihrer Ankunft empfing sie der Thürsteher mit aller Achtung, die er dem Führer des Zuges, dem ältesten der Mönche im Kloster des heiligen Ludwigs schuldig zu sein glaubte; einige Geldstücke machten ihn noch geschmeidiger und verschafften den armen Gescheiterten eine gute Aufnahme.
Seid unbesorgt, hochwürdiger Pater, versicherte er, die junge Dame befindet sich hier in guten Händen, es wird ihr an nichts fehlen; ich will nur die Frau Bourdalouet (die Kastellaninn des Schlosses) wecken, und im Augenblicke soll der Ermüdeten ein gutes Bette und alle mögliche Pflege zu Gebote stehen.
Zufrieden mit dieser Versicherung kehrte der gute Pater Anselm in sein Kloster zurück, versprach aber beim Scheiden, daß er Victorien noch vor ihrer Abreise nach dem Frauenkloster, besuchen werde.
Der Thürsteher ließ nun die von dem Hochwürdigen Begünstigte und ihre drei Begleiter in eine Art von Vorzimmer, wo ein loderndes Feuer im Kamin brannte, eintreten und lud sie ein, sich zu setzen und die Stunde zu erwarten, wo die Frau Bourdaloue aufzustehn gewohnt sei. Mittlerweile kamen mehrere von der Dienerschaft herein, setzten sich ohne Umstände ans Kamin und blickten mit unverschämter Neugierde und einer gewissen beleidigenden Geringschätzung auf die Unglücklichen, denen man ein vorläufiges Unterkommen im Schlosse gestattet hatte. So verstrich beinahe eine Stunde, wärend welcher mehrere Personen kamen und gingen, ohne sich um die neuen Gäste zu bekümmern, bis endlich die Neugierde auch ein Kammermädchen hereinführte, das seine Ungeduld, den Gegenstand des allgemeinen Gesprächs der Bedienten kennen zu lernen, nicht langer im Zaume halten konnte.
Jungfer Manette, fragte sie der Thürsteher endlich, habt Ihr die Frau Bourdaloue geweckt?
Gott bewahre, ich werde mich hüthen, antwortete Manette, sie würde einen schönen Lerm machen, wenn ich mich unterstände, sie vor neun Uhr in der Ruhe zu stören.
Da es nun kaum sieben Uhr sein mochte, so konnte Diego, dem dieses Benehmen überhaupt und die Verzögerung sehr misfiel, seinen Unmuth nicht länger verbergen; er stand auf, näherte sich der Kammerzofe und sagte nachdrucksvoll und mit verbissenem Aerger:
Jungfer Manette, seid so gefällig und sagt Eurer Frau Bourdaloue, daß die Dame die sich gegenwärtig hier befindet, und so schleunig als es sich thun läßt, eines guten Bettes bedarf, das Fräulein Victoria von Modena, Tochter des Grafen Altidoro Ariosto ist.
Bei Nennung dieses Namens machten die Anwesenden große Augen, zogen sich in eine ehrerbietige Entfernung zurück, und einige von ihnen verließen sogleich das Vorzimmer, das Gehörte Andern zu erzählen. Die Wirkung erfolgte schnell, die Thür ward aufgerissen und ein junges Mädchen stürzte herein, warf sich vor Victorien nieder und rief ausser sich vor Freude:
Ach mein theures, mein geliebtes Fräulein, seid Ihr es denn auch wirklich?
Und mit diesem Ausrufe drückte es Victoriens Hände an seine Lippen und befeuchtete, sie mit seinen Thränen; diese war erstaunt und erkannte anfänglich diejenige, welche sie so zärtlich bewillkommte, nicht.
Wie, sprach diese, Donna Victoria erkennt die kleine Rosalie nicht mehr, die Gespielin ihrer Kindheit, die sie mit Wohlthaten überhäuft hat.
Jetzt erst erinnerte sich Victoria der jungen Italienerin Siehe Seite 16 des ersten Bandes., die der Graf Ariosto seiner Tochter als Gespielin beigesellt hatte, die ihr nach Frankreich gefolgt und in kurzer Zeit groß und wohlgebildet geworden war.
Sie war entzückt diese so unerwartet wiederzufinden, drückte das liebenswürdige Kind, von dessen Anhänglichkeit und Treue sie so oft Beweise erhalten hatte, mit Zärtlichkeit an ihre Brust, und vergoß bei dem Andenken an die glücklichen Zeiten der frohen Jugend und die ausgestandenen Leiden, Thränen.
Als der erste Freudenrausch des Wiedersehens etwas verflogen, rief Rosalie verwundert aus:
Aber, mein Gott, in welchem Zustande finde ich mein gutes, mein verehrtes Fräulein wieder? Habt die Gnade mir zu folgen, erlaubt daß ich mein Amt wieder übernehme und Euch als Kammermädchen bediene. Ein gutes Bette erwartet Euch; sobald Ihr geruhet und Euch von den Beschwerlichkeiten Eurer Reise erholt haben werdet, will ich in der Garderobe der Frau Herzogin die nöthigen Kleidungsstücke aussuchen, damit Ihr Eurem Range gemäß erscheinen könnt.
Wer ist die Herzogin, von der Du sprichst, liebe Rosalie? fragte Victoria.
Eure Tante, Donna Victoria, die Frau Herzogin von Manfredonia.
Himmel, rief Victoria bestürzt aus, ich befinde mich also bei meiner Tante; sie ist hier im Schlosse?
Nein, Signora, antwortete Rosalie verwundert, hier ist sie noch nicht, wir erwarteten sie Morgen, aber nach der heute eingegangenen Nachricht, wird sie erst in einigen Wochen hier eintreffen.
Beruhigt folgte hierauf Victoria der jubelnden Rosalie und bat ihre Begleiter ins Kloster des heiligen Ludwigs, wo sie erwartet würden, zurückzukehren, doch Diego erklärte, daß er um die Ehre bitte, in ihrem Dienste zur bleiben, daß er ein alter Diener ihrer edlen Familie sei, und wenn er seine früh übernommenen Verpflichtungen gegen ihren Vater noch nach dessen Tode erfüllen wolle, er den Ort nicht verlassen könne, wo sie sich aufzuhalten gedenke. Victoria willigte gern ein und trennte sich von Hippolit und Thomas, welche, da sie die Gerettete in sichern und treuen Händen zurückließen, einstweilen nach dem Kloster zurückgingen, um dort die langentbehrte Ruhe zu finden.
Man darf wol erwarten, daß Rosalie, deren Eifer von Anhänglichkeit und Dankbarkeit beseelt wurde, keinen Augenblick verlohr, ihrer verehrten Beschützerin das beste Zimmer im ganzen Schlosse zu öffnen und zu dem bequemsten Bette zu führen, und daß sie sich glücklich fühlte, stets um sie sein zu können. Auch die Frau Bourdaloue ihrerseits hatte kaum Kenntniß von dem Namen derjenigen, die sie im Schlosse beherbergen sollte, erlangt, so nahm sie keinen Anstand etwas zeitiger als gewöhnlich ihren Schlaf zu unterbrechen, aufzustehn und der Tochter des erlauchten Grafen Ariosto ehrfurchtsvoll und unter tausend Entschuldigungen ihre Dienste anzubieten.
Alle die an Victorien verschwendete Pflege konnte inzwischen den unvermeidlichen Folgen, nicht vorbeugen, welche eine zu heftige Körperanstrengung und Erschütterung der Geisteskräfte, so wie die stete Todesangst auf eine zarte Beschaffenheit des Nervensystems unfehlbar hervorbringen mußten. Sobald sie sich nicht mehr in die Nothwendigkeit versetzt sah, jene seltene Seelenstärke die sie in der Mitte von Gefahren und Schrecknissen aufrecht erhalten hatte, zum Kampfe gegen diese aufzubieten, und die Natur sich selbst überlassen war, unterlag sie der Gewalt der übertriebenen Forderungen, deren Befriedigung in den Unglücksstunden von ihrer Standhaftigkeit und Ausdauer allein erzwungen ward, und auf die zu große Anspannung folgte eine gänzliche Erschlaffung; ihr Schlaf war unruhig und ängstlich, sie fühlte sich bei ihrem Erwachen matter als vorher, und bald stellten sich die Vorboten eines bedeutenden Fiebers ein. Glücklicherweise eilte der Pater Anselm, der von ihrem Uebelbefinden sogleich benachrichtigt wurde, mit dem Bruder Peter, dem Arzte des Klosters, einem erfahrnen Heilkundigen, zu ihrem Beistande ungesäumt herbei; es war indeß zu spät, den Ausbruch der Krankheit zu verhindern, und obgleich der Pater Peter mit vieler Bestimmtheit erklärte, daß für ihr Leben nichts zu fürchten sei, so hielt er doch die größte Vorsicht und strenge Befolgung seiner Vorschriften für das einzige Mittel, die Kranke wieder herzustellen, und machte es ihrer Umgebung zur heiligsten Pflicht, dafür zu sorgen, daß sie binnen einer Woche das Bette nicht verlasse. Wärend ihrer Krankheit wich die treue Rosalie nicht von Victoriens Seite, und bewieß ihr die zärtlichste Ergebenheit, überdem waren noch auf Verlangen des Paters Anselm von der Priorin des Klosters der heiligen Margarita zwei Schwestern geschickt worden, um ihr zu Aufwärterinnen und Nachtwachen zu dienen.
Sobald Victoria den abmattenden Angriffen des Wechselfiebers nicht mehr ausgesetzt war und die Krankheit den Weg der Besserung einschlug, war ihre erste Sorge, sich nach ihren im Kloster des heiligen Ludwigs zurückgebliebenen Unglücksgefährten und nach Diego, den sie seit mehrern Tagen vermißte, zu erkundigen; hierauf erhielt sie von dem Pater Peter die beruhigende Versicherung, daß sie einer vollkommnen Gesundheit genössen und die Mönche sich bestrebten, ihnen den Aufenthalt im düstern Kloster so angenehm als möglich zu machen; dies war jedoch in Betreff der Gesundheitsumstände ihrer Freunde eine heilsame Nothlüge, die sich der Pater Peter ohne Bedenken zu erlauben glaubte, um nicht durch die Wahrheit die Gefahren einer langsamen Genesung bei seiner Kranken zu verstärken: denn Hippolit und Diego hatten leider mit eben dem Fieber, das Victorien befallen hatte und aus gleichen Ursachen entstanden war, aber ungleich im höhern Grade zu kämpfen, und auch bei ihnen mußte eine ähnliche List gebraucht werden, damit der bedenkliche Zustand Victoriens nicht zu ihrer Kenntniß kam, der unfehlbar den nachtheiligsten Einfluß auf ihren geschwächten und leidenden Körper hervorgebracht und die Wirkung der Arzneimittel entkräftet haben würde. Nur Thomas befand sich wohl, war aber Tag und Nacht um seine kranken Freunde beschäftigt, und bewieß bei dieser Gelegenheit mehr Theilnahme, Besorgniß und zartes Gefühl, als man von einem Matrosen, der auf der See erzogen, von Gefahren gewiegt und unter harter und rauher Behandlung zum Manne gereift war, je erwartet hätte.
Sobald man Victorien ohne Nachtheil für ihre Gesundheit das Schreiben erlaubte, ließ sie ihrem Bruder eine genaue Darstellung ihrer Entführung, der erlittenen Drangsale und Gefahren, und ihrer gegenwärtigen Lage zugehen, und da sie sich nicht mit der Hoffnung schmeicheln durfte, daß seine Dienstverhältnisse ihm die weite Reise zu ihr erlauben würden, so bat sie ihn, ihr den weisen Alberti, dessen Rath der verlassenen Waise in der jetzigen hülflosen Lage, wo sie der Führung eines erfahrnen und bejahrten Freundes so sehr bedurfte, unentbehrlich war, baldigst zu schicken. -- Zu gleicher Zeit schrieb sie an ihre theure Farinelli, und schickte aus Unkunde ihres Aufenthalts den Brief an einen Bruder, den diese in Florenz besaß, mit der Bitte ihn schleunigst zu besorgen.
Mittlerweile rückte der Tag des Eintreffens der Herzogin von Manfredonia immer näher; Victoria wünschte daher, noch vor ihrer Ankunft sich nach dem Kloster der heiligen Margarita, dessen Priorin sie verschiedene Male besucht und ihre Zuneigung gewonnen hatte, zu begeben, allein der Bruder Peter fand, ihrer Schwäche halber für nöthig, die Abreise noch auf einige Tage zu verschieben, und seinem ärztlichen Willen mußte sich Victoria unterwerfen.
Eines Abends, als sie mit Rosalien allein war, und der treuen Jugendgespielin ihre Schicksale im Schlosse der Pyrenäen und Gefahren auf der See mit bereitwilliger Gutmüthigkeit erzählte, äußerte sie den Wunsch zu erfahren, was sich seit dem Tage ihrer Abreise vom Schlosse des Grafen Vizenza ereignet habe.
Signora, begann Rosalie, diese übereilte Abreise, die ganz das Ansehn einer Entführung hatte, versetzte den größten Theil der Bewohner des Schlosses in unbeschreibliche Bestürzung. Alle in Eurem Dienste befindliche Personen wurden noch an demselben Tage entlassen; ich allein nur blieb, um bei der Frau Herzogin die abgereisete Hero zu ersetzen. Wenige Augenblicke nach Eurer Abreise kehrten die Grafen von Montfort und Urbino, der, wie ich später erfuhr, schon lange im Geheim die zärtlichste Liebe für Euch empfand, von der Jagd zurück. Kaum vernahm der Letztere, was sich wärend seiner Abreise zugetragen hatte, so schien er ausser sich, eilte zur Herzogin und unterhielt sich mit dieser eine lange Stunde in ihrem Zimmer, aus welchem ich ihn bleich, entstellt und mit der Verzweiflung im Gesichte heraustreten sah. Nun begab er sich zum Grafen von Vizenza; ihre gegenseitige Erklärung schien sehr lebhaft, denn sie sprachen ungewöhnlich laut, und verließen sich, der eine gegen den andern gleich heftig erbittert. Inzwischen hatte der Graf von Urbino heimlicherweise und in größter Schnelligkeit seinen treuen Diener Hugo verschickt, der erst am andern Morgen zurückkehrte. Was ihm dieser für Nachricht überbracht hat, ist mir nicht bekannt geworden, aber der Graf verschwand gleich darauf aus dem Schlosse, und seit diesem Augenblicke habe ich sowol ihn, wie auch den Grafen von Vizenza nicht wiedergesehn.
Was den Grafen von Montfort anbetraf so verließ dieser das Schloß nicht, sondern ließ sich von den Bitten der Herzogin bewegen, die ihn beschwor, sie in dem Augenblicke nicht zu verlassen, wo das plötzliche und unerwartete Verschwinden ihres Gemals und ihres Neffens sie in die peinlichste Unruhe versenkte.
Signora, fuhr Rosalie beschämt und verlegen, nachdem sie etwas gezögert hatte, fort, ich weiß sehr wohl, daß es mir nicht zusteht, über die Aufführung meiner Gebieter zu urtheilen und noch weniger etwas zu sagen, was ihren guten Ruf antasten könnte; überdem mögte dasjenige, was ich noch hinzufügen kann, einen widrigen Eindruck auf Euch machen, und ich würde auch um keinen Preis von einer Angelegenheit sprechen, über die meine Pflicht und mein eignes Zartgefühl mir Stillschweigen zu gebieten scheinen, wenn sie nicht eines Theils öffentlich bekannt wäre und ich andern Theils nicht fürchten müßte, daß sie über kurz oder lang mit bösartigen Zusätzen zu Euren Ohren gelangen könnte. Verzeiht also, mein theures Fräulein, wenn ich Euch gestehe, daß ich meiner Jugend ungeachtet zu meinem größten Erstaunen und Leidwesen eingesehn habe, daß die zahlreichen Erzählungen von der unanständigen und lasterhaften Aufführung der Herzogin weder übertrieben noch Verläumdung, sondern wahr sind. Ich habe mich leider überzeugt, wie tief eine schamlose Frau sinken kann, wie wenig Ueberwindung es ihr kostet, die ersten Pflichten ihres Geschlechts mit Füßen zu treten und dem Urtheile der Welt mit Frechheit zu trotzen. Unter den Augen der Signora Farinelli erzogen, würde es mir schwer geworden sein, die Verachtung und den Abscheu, welche eine solche Aufführung mir einflößen mußten, ganz zu verbergen, wenn mich die Herzogin nicht von sich entfernt hätte; doch diese, die vielleicht meine Denkart errathen hatte, eilte, mich unter dem Vorwande, meine Gesundheit wiederherzustellen, nach dem Schlosse hier zu schicken, daß der Graf von Montfort unlängst gemiethet hat, und wo er sich, wie man vermuthet, mit der Frau Herzogin vermälen wird, sobald es dieser gelingt, die Ehescheidung von dem Grafen von Vizenza, welche seit einiger Zeit sehr betrieben wird, zu erwirken.
Victoria erstaunte wenig über Rosaliens, Mittheilungen, denn sie war darauf schon vorbereitet; aber sie betrübten die Tugendhafte sehr, denn wie konnte sie vergessen, daß diese so verachtete, in Ansehung ihrer Sitten so verschriene Frau doch die Schwester ihres allgemein verehrten und geliebten Vaters blieb. -- Es war mit ihrer Sittsamkeit nicht verträglich, auch konnte es ihrem eignen Rufe gefährlich werden, wenn sie länger in einem Hause des Grafen von Montfort verweilte, dessen schamlose Verbindungen mit der Herzogin zu einem Gegenstande des öffentlichen Aergernisses geworden waren. Dieserhalb beschloß sie, ihre Abreise nach dem Kloster der Benedictinerinnen zu beschleunigen, und dort die Ankunft des weisen Alberti und der Signora Farinelli zu erwarten, um sich mit diesen über die Mittel zu berathen, die sie von der Macht Elwirens befreien und ihr eine andere Vormünderin bis zum Eintritt ihrer Volljährigkeit ernennen konnten. Mit dem festen Vorsatze auf jeden Fall morgen schon nach dem Kloster abzureisen, schlief sie ein.
Beim Erwachen schellte Victoria, um sich anzukleiden, ward aber auf eine unangenehme Weise überrascht, als sie statt der dienstfertigen Rosalie die bekannte, schnöde Bianka eintreten sah. So viel Unverschämtheit und freches Betragen diese nun an jenem Tage, wo Victoria Vizenza's Schloß verließ, gezeigt hatte, eben so ergeben und kriechend betrug sie sich jetzt.
Ich komme im Auftrage der Frau Herzogin, sprach sie, anzufragen ob es dem Fräulein gelegen ist, ihren Besuch anzunehmen?
Die Herzogin ist also schon angekommen? rief Victoria erschreckt.
Seit einer Stunde, Signora, bei der Nachricht von Eurem grausamen Schicksal und der darauf erfolgten gefährlichen Krankheit ist sie, vor Erschrecken von einer Unpäßlichkeit befallen, und ohne Jemand zu sehen, in ihrem Zimmer eingeschlossen geblieben; jetzt erst hat sie mir befohlen anzufragen, ob sie das Glück haben könnte, ihre theure Nichte zu sehen und in ihre Arme zu drücken.
Obgleich Victoria nur mit Widerwillen zu dieser Zusammenkunft ihre Einwilligung geben konnte, und sie ihr gern ausgewichen wäre, so blieb doch die Herzogin immer noch ihre Tante, und die von ihrem sterbenden Vater für sie gewählte Vormünderin; sie fühlte daher, daß sie, wenn sie nicht undankbar und ohne die geringste Lebensart erscheinen wollte, ihren Besuch nicht ablehnen durfte, aber jeder Verstellung gram antwortete sie Bianka kalt:
Ich werde mich sogleich ankleiden, sagt der Frau Herzogin, daß ich in einer Viertelstunde bereit sein werde, sie zu empfangen.
Sobald sich Bianka entfernt hatte, erzählte die herzugekommene Rosalie ihrer Gebieterin, daß die Herzogin, sobald sie Victoriens Anwesenheit im Schlosse vernommen habe, erblaßt sei, und ihrer Verstellungskunst zum Hohne, ihre Unruhe nicht habe verbergen können.
Für die gute Victoria, von Kindheit an gewohnt alle Menschen zu achten und zu lieben, war es eine peinliche Aufgabe in wenigen Augenblicken eben derselben Herzogin von Manfredonia gegenüber zu stehen, die sie von Jugend auf als ihre Tante zu ehren, wie eine zweite Mutter zu lieben gelernt hatte, und die jetzt in einem ganz andern Lichte vor ihr erschien, die sich ihrem Blicke unter der Gestalt eines schamlosen, verächtlichen, in seinen eigenen Augen erniedrigten, und seiner Aufführung halber im Angesichte der Welt mit der allgemeinen Verachtung gebrandmarkten Geschöpfes zeigte. Ueberdem hegte Victoria einige Besorgnisse für ihre eigne Sicherheit, und konnte eine Anwandlung von Furcht, daß diese lasterhafte, zu jeder Schändlichkeit fähige Frau es versuchen mögte, sie zum zweiten Male den Händen des Grafen von Vizenza zu überliefern, nicht beherrschen.
Nach Verlauf einer in unangenehmer Spannung verstrichenen Stunde, ließ sich die Herzogin anmelden, und trat auf Bianka's Arm gelehnt, anscheinend matt und leidend in's Zimmer. Victoria erhob sich, sie zu empfangen, doch konnte sie es nicht über sich gewinnen, ihr entgegen zu gehen; die Herzogin kam ihr indeß zuvor, eilte sehnsuchtsvoll auf sie zu, drückte sie an ihre Brust, überhäufte sie mit allen Aeußerungen der zärtlichsten Anhänglichkeit, Freundschaft und mütterlichen Liebkosungen; leider aber schimmerte, ihren Bemühungen zum Trotz, Zwang und Verlegenheit aus allen ihren Handlungen; man las das Gefühl ihrer eignen Schande in ihren Augen, und der Anblick ihrer vom Glanze der Jugend und Unschuld und dem würdevollen Ernst der Tugend strahlenden Nichte, vermehrte ihre Unruhe und ihre Verlegenheit und vernichtete den erborgten Anstrich von Unbefangenheit und Schwermuth, mit welchem sie die muthmaßlich vorgefaßte, ungünstige Meinung ihrer Mündel zu bestechen hoffte. Der trügerische Schleier war ihr entfallen, und ihre treulosen Liebkosungen, ihre Betheurungen konnten nur die Verachtung und das Mistrauen derjenigen vermehren, die sie zu hintergehen vermeinte.
Dieser erste Besuch, den man von beiden Seiten abzukürzen innerlich wünschte, war nicht von langer Dauer, und es dünkte Victorien, als ob die Herzogin kein Verlangen trage, ihn sobald zu erneuern, doch erschien sie nach dem Mittagsessen schon wieder, um mit ihrer theuren Nichte ungestört plaudern zu können, entfernte die von ihrer Gebieterin unzertrennliche Rosalie, wählte geflissentlich einen Platz im Zimmer, wo ihr Gesicht dem Tageslichte entzogen war, sie aber nach Gefallen Victoriens Züge beobachten und verborgene Geheimnisse hervorziehen konnte, und bat diese, ihre theilnehmende Neugierde zu befriedigen, und ihr die sonderbaren Abentheuer im Raubschlosse der Pyrenäen und auf ihrer Flucht mitzutheilen. Victoria nahm keinen Anstand ihr Verlangen zu erfüllen, doch war sie behutsam genug, alles dasjenige zu verschweigen oder mit gemilderten Farben vorzutragen, was die Eigenliebe der Herzogin hätte verwunden können; so auch überging sie einzelne Vorfälle, welche die Klugheit ihr zu verheimlichen rieth, dagegen hielt es die Dankbare für ihre Pflicht, lange und mit Wärme bei der Erzählung von dem besondern Eifer, der Anhänglichkeit und Tapferkeit des großmüthigen Hippolits zu verweilen, und nichts zu verbergen, was den Ruhm des Negers, den sie mit Vergnügen ihren theuren Befreier nannte, vergrößern konnten.
Die Herzogin schien Victoriens Erzählung mit lebhafter Theilnahme anzuhören, drückte sie am Schlusse nochmals zärtlich in ihre Arme, wünschte ihr Glück, so schrecklichen Gefahren glücklich entronnen zu sein, lobte ihren außerordentlichen Muth und ihre fromme Ergebung, und endete mit dem heißen Wunsche, daß sie in Zukunft so glücklich sein mögte, als sie es verdiene, und eine ununterbrochene Reihe von ungetrübten, frohen Jahren, sie für die ausgestandenen unerhörten Drangsale entschädigen mögten.
Aber, fügte sie nach einer Weile forschend hinzu, sagt mir doch, geliebte, theure Victoria, wenn es sonst kein Geheimniß ist, wer ist denn dieser Hippolit, dieser ruhmwürdige Held Eurer interessanten Geschichte?
Ich kenne weder seine Familie, antwortete mit Aufrichtigkeit die Befragte, noch sonst Vorfälle aus seinem frühern Leben, und begreife auch noch nicht, warum das eigensinnige Schicksal einen, mit so viel Tugenden und seltenen Eigenschaften begabten Jüngling zu Don Manuels Sclaven hat herabwürdigen können.
Inzwischen glaube ich, meine liebe Nichte, entgegnete Elwire lächelnd und im Tone der Vertraulichkeit, wenn ich nach der Lebhaftigkeit Deiner Augen und dem Ausdrucke in Deinen warmen Lobeserhebungen, so oft Du von Deinem theuren Befreier redest, urtheilen darf, daß es mir wol erlaubt sein könnte, wenn beinahe erlaubte Zweifel in Ansehung seines von Dir so gepriesenen Edelmuths bei mir entstehen, und es mir scheinen könnte, als sei er für die Gefahren, denen er sich Deinetwegen ausgesetzt hat, zur Genüge belohnt.
Ich verstehe Euch nicht! sprach Victoria, die auch in der That den Sinn dieser Worte nicht begriff.
Ich will damit sagen, liebes Kind, antwortete die Herzogin hämisch, daß Du Deinem tapfern Vertheidiger nichts schuldig geblieben bist, so bald er so glücklich geworden, für die geleisteten, ganz lobenswerthen Dienste das Geschenk Deines Herzens zu erhalten. Wie Du erröthest, Victoria!
Und wirklich färbte die Röthe des Unwillens Victoriens Wangen, so schmerzlich fühlte sie sich durch den von ihrer Tante geäußerten Verdacht gekränkt und beschämt. Wenn sie schon weit entfernt war, einem falschen Dünkel zu huldigen, so besaß sie doch den gewöhnlichen Stolz, welchen eine hohe Geburt einflößt, ohne sich jedoch von ungerechten Vorurtheilen beherrschen zu lassen; sie ehrte den Unterschied der Stände, ohne welchen die Ordnung der Dinge und die in der menschlichen Gesellschaft so nothwendige Abhängigkeit und Absonderung nicht erhalten werden können. Welche hohe Achtung sie daher auch für Hippolits Tugenden hegte, wie sehr sie seine seltene Eigenschaften bewunderte, und wie viel Dankbarkeit und freundschaftliche Zuneigung sie auch für ihn, ihren Erretter empfand, so war es ihr doch nie eingefallen, für ihn eine Art von Neigung zu fühlen, wie solche die Herzogin entdeckt zu haben glaubte. Der Stand des Jünglings, seine Farbe, die den unvertilgbaren Stempel der Knechtschaft an sich zu tragen schien, hatten ihm in einer so weiten Entfernung von ihr seinen Standpunkt angewiesen, daß sie die argwöhnische Vermuthung der Herzogin für beleidigend hielt und solche als eine ihrer Würde und ihrem Zartgefühle angethane Schmach empfand. Sie antwortete daher auch in einem bittern, ihr ungewöhnlichem Tone:
Ja, Herzogin, ich erröthe über das, was Ihr mir zu sagen Euch nicht entblödet, denn nie hätte ich mir einbilden können, der Gegenstand eines so plumpen und kränkenden Scherzes sein zu müssen.
Scherz, wiederholte Elwire mit erzwungener Lebhaftigkeit und einem Ansehn von Leichtsinn, ich scherze warlich nicht. Ich kann Dir betheuern, meine Liebe, daß ich im Gegentheile sehr ernsthaft rede. So, Du kennst also die Macht der Liebe nicht, Du weißt also nicht, daß es keine Art von Wunder giebt, die sie nicht vollbringen könnte.
Nein, Herzogin, davon verstehe ich nichts, und habe auch noch nicht daran gedacht, mir hierüber Kenntnisse oder Erfahrungen zu sammeln.
Ach, Victoria, fuhr die Herzogin fort, das ist in der That bei Deinen Jahren fast unglaublich; dann muß ich Dich belehren: Sieh, meine Liebe, es giebt kein Hinderniß, das die Liebe nicht übersteigt, keine Entfernung, die sie nicht überschreiten könnte; sie verleiht dem Gegenstande ihrer Wahl einen solchen Reiz, daß sie aus ihm das Schönste, das Vollkommenste auf der Welt hervor zaubert; sie verwandelt nach Gefallen schwarz in weiß, und benutzt jede Eigenschaft, jede Tugend, um sich in ein Herz einzuschleichen. Achtung, Bewunderung, Freundschaft und Dankbarkeit sind ihre gewöhnlichen Fürsprecher, und ich zweifle nicht, daß mit der Begünstigung dieser Gefühle, denen Du Dich unschuldigerweise hingegeben hast, Dein liebenswürdiger Neger in Deiner Einbildung unter der Gestalt eines Adonis einen Platz gefunden habe. Ja, Victoria, ich bin von der Wahrheit meines Schlusses so fest überzeugt, dass, wenn Dein theurer Hippolit des Mordes überführt, verurtheilt und zum Blutgerüste geschleppt würde --
Großer Gott, schrie Victoria mit allen Gebärden des Entsetzens, welcher schreckliche Gedanke, was bedeutet diese sonderbare Redensart? -- Seid barmherzig, Tante, ich beschwöre Euch, erklärt Euch!
Mit diesen Worten ergriff Victoria die Hand der Herzogin und sah sie unruhig und bittend an, ließ sie aber schnell wieder sinken und trat zurück, als sie in den Augen Elwirens Merkmale grausamer, boshafter Freude zu entdecken glaubte.
Wozu diese Aengstlichkeit, mein Engel? fragte die Herzogin anscheinend verwundert, besorgt, daß sie sich verrathen könnte. Ich sage ja nicht, daß Hippolit des Mordes angeklagt sei, ich meine nur wenn dieser Fall sich ereignen würde --
Aber ohne ihn zu bekräftigen, sprach Victoria, haltet Ihr die Sache für möglich, vielleicht für wahrscheinlich?
Ich will hoffen, daß dieses Unglück sich nie ereignen möge! antwortete Elwire kalt, brach das Gespräch kurz ab, umarmte Victorien mit Zärtlichkeit, entfernte sich und ließ ihre Nichte in ängstlicher Beklemmung zurück.
Mit Ungeduld erwartete die arme Victoria den andern Morgen, um die Gelegenheit zu suchen, mit Hippolit reden und ihn von der drohenden Gefahr benachrichtigen zu können; sie ahnete, daß die Herzogin, unterrichtet von seinem Kampfe mit dem Grafen von Vizenza und dessen aller Wahrscheinlichkeit nach gefährlicher Verwundung, die schreckliche Absicht hege, ihn zu verderben. Deshalb wollte sie dem Jünglinge rathen, so schnell als möglich Frankreich zu verlassen, und sich der rachebrütenden Feindin zu entziehen. Ueber die Mittel nachsinnend, eine Unterredung mit ihm zu veranstalten, fand sie der heilkundige Pater Peter und ihr Blut in heftiger Wallung.
Ich bereue jetzt, sprach er, daß ich mich Eurer Abreise nach dem Kloster der heiligen Margarita widersetzt habe; die Bewegung der Reise würde Eurer Gesundheit weniger nachtheilig gewesen sein, als die Gegenwart dieser nur zu bekannten, bösartigen Frau, die Ihr nicht habt vermeiden können.
Es ist wahr, Hochwürdiger, antwortete Victoria, ich habe eine sehr unangenehme Unterredung mit ihr gehabt; zwar weiß ich nicht, welchen Sinn ich ihren Reden geben soll, aber sie beunruhigen mich sehr.
Diese Herzogin, erwiederte der fromme Pater, wird von keinem guten Geist geleitet, denn sie brütet über irgend einem boshaften Anschlage, und hat es schon versucht, mich durch Verstellung zu hintergehn; als sie aber sich durch die Erfahrung überzeugt hat, daß ihr arglistiges Betragen bei mir keinen Eingang findet, so hielt sie für zweckmäßiger, den Pater Anselm in ihre Pläne mit zu verstricken, und bildet sich ein, daß es ihr leicht sein werde, diesen Bruder, nach dem Ansehn von Sanftmuth und Aufrichtigkeit, das er auf seinem Gesichte ausgedrückt trägt, in die Falle zu locken; aber hierin irrt sie sich gewaltig, denn der Pater Anselm ist eben so schwer zu betrügen, als zu bestechen.
Ich habe Veranlassung zu glauben, antwortete Victoria, daß ihr böses Vorhaben vornehmlich gegen Hippolit gerichtet sei.
Das ist wahrscheinlich, erwiederte der Pater, denn sie hat ihn schon heute früh zu sich rufen lassen, und bis jetzt ist er ins Kloster noch nicht wieder zurückgekehrt.
Himmel! rief Victoria erschreckt aus, meine Angst war gegründet, das Verbrechen ist vollführt!
Beruhigt Euch, meine Tochter, fiel der ehrwürdige Kartheuser ein, ich habe ihn so eben gesehn und aus seinem Munde gehört, daß er nicht besorgt zu sein brauche, und wenn er gleich die Bosheit seiner Verfolger kenne, doch sie nicht fürchte, weshalb er auch den Vorschlag angenommen hat, hier im Schlosse zu wohnen.
Mein Vater, sprach Victoria lebhaft, ums Himmelswillen, ich beschwöre Euch, sucht ihn dahin zu stimmen, daß er seinen voreiligen Entschluß ändere, und dieses Haus sobald als möglich verlasse. Glaubt mir, ist der Graf von Vizenza an seiner Wunde gestorben, so ist Hippolit verlohren.
Aber, meine Tochter, werdet Ihr ihn nicht besser überreden können als ich? Was hindert Euch mit ihm zu reden? Er hat mit der Herzogin eine lange Unterredung gehabt, kann vielleicht ihre Absicht durchschaut haben, und wird Euch wahrscheinlich über Manches Licht geben können.
Victoria fand diesen Rath ausführbar, und rief als sich der Pater entfernt hatte, Rosalien, damit diese sie in der Gegend des Schlosses umherführen könnte, weil sie die frische Luft genießen wollte.
Ihr konntet keinen bessern Einfall haben, meine theure Signora, sprach diese, auch Signor Hippolit meint, daß Ihr Euch Bewegung machen müßt.
Wie, Rosalie, hast Du mit ihm geredet?
Ja wohl, antwortete Rosalie, wir haben lange mit einander geplaudert, und ich bin über seinen Verstand und sein liebenswürdiges Betragen ganz bezaubert, man vergißt fast, daß er ein Mohr ist; auch hat er mir gesagt, daß er recht sehr wünsche, mit Euch zu reden, und er sich in dieser Absicht auf der Terrasse des Schlosses einfinden würde; es scheint ihm wirklich viel daran gelegen, Euch zu sehen.
Victoria, die sich nach dem Vorgefallenen das Verlangen des Negers, sie zu sprechen, leicht erklären konnte, war nicht weniger begierig als er, Aufschlüsse zu erhalten; sie ließ sich daher schnell ankleiden, und war im Begriffe, mit Rosalien den Spaziergang anzutreten, als man sie von Seiten der Herzogin benachrichtigte, daß diese von ihrem Vorhaben unterrichtet, und die herbe Luft für ihre Gesundheit fürchtend, sie in einem bedeckten Wagen an der Schloßpforte erwarte, um sie der Vorschrift des Pater Peter gemäß im Freien umher zu fahren, und mit den Schönheiten der Gegend bekannt zu machen. Da Victorien aber Entschuldigungsgründe fehlten, diese Einladung abzulehnen, so antwortete sie, daß sie sogleich erscheinen werde.
Victoria, über die unzeitige Besorgniß der Herzogin innerlich misgelaunt, trug Rosalien auf, Hippolit von dem eingetretenen Hindernisse mit der Versicherung zu benachrichtigen, daß sie sich bemühen werde, ihn in den Abendstunden auf einige Augenblicke zu sprechen, und ging dann in den Saal hinab, wo die Herzogin sie erwartete. Mit zärtlichen Freundschafts-Aeußerungen führte Elwire ihre Nichte an den Wagen, in welchem bereits zu der Letztern angenehmen Verwunderung der Pater Anselm einen Platz eingenommen hatte.
Wärend ihrer zweistündigen Abwesenheit vom Schlosse sprach man nur von den Tugenden und herrlichen Eigenschaften des liebenswürdigen Negers; Elwire und der Pater waren in Lobeserhebungen über diesen Jüngling, von welchem sie als einer unbegreiflich-wunderbaren und seltenen Erscheinung der Natur sprachen, unerschöpflich, und beinahe schien es, als ob sie beiderseitig darin übereingekommen wären, keinen weitern Gegenstand im Gespräche zu berühren. Dagegen versetzte dieser fortdauernde Stoff der Unterhaltung Victorien in die peinlichste Verlegenheit; sie hüthete sich, in das allgemeine Lob Hippolits mit einzustimmen, und fand es, nach dem, was zwischen der Herzogin und ihr vorgefallen war, für rathsamer, wenig oder gar nichts zu sagen.
Bei der Rückkehr nach dem Schlosse war sie wirklich zu erschöpft, um die Einladung der Herzogin mit ihr zu essen, annehmen zu können, und bat also um die Erlaubniß einige Stunden ruhen und auf ihrem Zimmer allein essen zu dürfen; bald nachher fand sich Rosalie mislaunig bei ihr ein.
Was fehlt Dir, Rosalie, fragte Victoria, Du scheinst mir niedergeschlagener und unruhiger als gewöhnlich?
Ach, theures Fräulein, antwortete Jene seufzend, ich werde auch nicht eher froh und ruhig werden, als bis ich Euch aus diesem Hause entfernt weiß.
Aber was für einen neuen Grund hast Du denn, mich daraus entfernt zu sehen?
Den Grund, daß das Betragen der Frau Herzogin, und Alles, was hier vorgeht, mit jedem Augenblicke meine Unruhe vermehrt. Diese heimlichen Zusammenkünfte zwischen Bianka und Maratti prophezeihen nichts Gutes.
Guter Gott, rief Victoria erschreckt aus, ist denn dieser böse Maratti hier? Wie ist meine Tante auf den Einfall gekommen, ihren Haushofmeister mit nach dem Schlosse des Grafen von Montfort zu nehmen, was hat sie wol dazu vermögen können?
Ich weiß es nicht, Fräulein, antwortete Rosalie, aber gewiß irgend eine böse Absicht.
Es ist wahr, hub Victoria wieder an, schon der Gedanke an diesen Maratti macht mich schaudern, und diese Wirkung hat er, so lange ich ihn kenne, immer auf mich hervor gebracht. Seine Gesichtszüge sind denen eines Tigers, der sich nur vom Blute seiner Opfer ernährt, nicht unähnlich, und man bemerkt auch nicht eine Runzel, womit das Alter seine Stirn gefurchet hat, aus der nicht Treulosigkeit und Grausamkeit hervorlauschte. Gewiß, wenn dieser Maratti seine Hand mit in einen Anschlag gegen uns taucht, so dürfen wir alles fürchten.
So viel kann ich Euch sagen, mein bestes Fräulein, sagte Rosalie, er und Bianka stecken und flüstern immer zusammen, und sogar in dem Augenblicke, wo ich Euren Auftrag bei Hippolit ausrichtete, fand ich Beide in einem lebhaften, aber halb leisen Gespräche an einer dichten Stelle des Boskets. Sie schienen verlegen, als sie mich bemerkten, schwiegen und sahen sich mit unruhigen und argwöhnischen Augen an, als ob sie fürchteten, daß ich ihr Gespräch gehört hätte.
Rosaliens Aengstlichkeit theilte sich dem Geiste der schon unruhigen Victoria, welche nach der dazu unglücklichen Erfahrung so sehr gestimmt war, Schlimmes zu ahnen, leicht mit; sie sehnte sich nach einer Unterredung mit Hippolit, entschloß sich, ihn unverzüglich aufzusuchen und ließ ihn von Rosalien benachrichtigen, daß sie ihn im Parke erwarte; aber ehe sie noch ihr Zimmer verlassen konnte, öffnete sich die Thür und die Herzogin stürzte herein. Victoria erschrack bei ihrem Anblicke, ihr Gesicht war blaß, ihre Blicke verstört, ihr Haar hing unordentlich um ihren Kopf und Hals, ihre Hände zitterten und ihr ganzer Zustand verkündigte die Wirkung des heftigsten Schmerzes. Der Aufruhr ihrer Sinne schien ihr die Sprache benommen zu haben, ermattet sank sie auf den nächststehenden Sessel.
Gerechter Himmel, Herzogin, was fehlt Euch? rief Victoria.
Elwire antwortete nicht und blieb lange Zeit unbeweglich mit gefalteten Händen, starren Augen im Zustande der höchsten Verzweiflung, endlich bewegten sich ihre Lippen, und mit erstickter Stimme, unter lautem Schluchzen brach sie in unzusammenhängende Worte aus:
Armer Polidor, rief sie aus, unglücklicher Gemahl, den ich in glücklichen Zeiten so sehr geliebt habe! -- Untreue, Meineid, unedle Behandlung, Betrug, alles ist vergessen, alles ist auf immer aus meinem Gedächtnisse verwischt. -- Ja, mein Polidor, jetzt empfinde ich nur Zärtlichkeit für Dich. Mein Herz ist zerrissen -- ich kann das Gemälde Deines grausamen Schicksals nicht ertragen!
Victoria, von den Worten der Herzogin erschüttert und bestürzt, ergriff eine von ihren Händen und fragte mit schwacher, zitternder Stimme:
Der Graf von Vizenza ist -- --
-- -- todt! fügte Elwire mit schrecklichem Blicke hinzu, stieß sie ungestüm zurück und sprang wie wahnsinnig vom Sessel auf. Todt, ermordet von der Hand Deines theuren Befreiers.
Bei diesen Worten heftete Victoria auf ihre Tante einen schmerzlichen Blick, in welchem sich der Vorwurf mit dem rührendsten Mitleide vereinte, und sank einer Ohnmacht nahe auf ihren Stuhl. Sogleich eilte die Herzogin auf sie zu, und drückte sie theilnehmend an ihren Busen.
Verzeihe, Victoria, rief sie aus, mein theures Kind, meine aufrichtige Freundin, das einzige mir auf der Welt übrigbleibende Gut, vergib mir, das Uebermaas meines Schmerzes reißt mich mit sich fort, und verwirrt meine Sinne. -- Erhole Dich, meine gute Victoria, sieh Deine unglückliche Tante an, blicke sie ohne Unwillen an. Dieser wahnsinnige Anfall von Erbitterung, der aus meiner Zärtlichkeit für einen angebeteten Gatten entsprang, den ich aber tadle, ist ein Gefühl, das meine Victoria verstehen, das sie entschuldigen wird. Doch obgleich mein Schmerz heftig und tief in meinem Herzen wüthet und er mich sogar zur blinden Ungerechtigkeit gegen meine theure Nichte verleitete, so glaube ja nicht, daß der biedere Hippolit von mir als Mörder angeklagt wurde.
Wer aber hat ihn angeklagt? fragte Victoria und wollte sich den Umarmungen ihrer Tante entziehen.
Beruhige Dich, sei gefaßt mein Kind, erwiederte die Herzogin, alles ist ja noch nicht verlohren, vielleicht giebt es noch ein Mittel, ihn dem strafenden Schwerdte der Gerechtigkeit zu entreißen.
Er ist also doch angeklagt! schrie Victoria mit Entsetzen und in ängstlicher Bestürzung.
Leider, mein bestes Mädchen, leider ist es nur zu gewiß. Die grausamen Verwandten Polidors haben diese entsetzliche Anklage eingeleitet. Die Nachricht von dem Tode meines unglücklichen Gemals, und die Kunde von der Hippolit geltenden Anklage sind mir zu gleicher Zeit zugekommen. Zwei so eben angelangte Justiz- Beamte sind deren Ueberbringer; sie tragen einen Befehl vom Könige bei sich, der Person Hippolits sich zu bemächtigen und ihn in das Gefängniß abzuführen.
Jetzt fühlte Victoriens dankbares Herz nur die Größe der Gefahr, in welcher sich Hippolit befand, alles Uebrige war ihr in diesem Augenblicke völlig gleichgültig; sie stürzte vor ihrer Tante nieder, umschlang ihre Knie und beschwor sie mit flehender, bewegter Stimme und aller ihr in diesem schrecklichen Moment zu Gebote stehenden Beredsamkeit, Hippolit zu retten.
Ich habe Deine Bitten nicht abgewartet, liebes Kind, um mich mit dieser Sorge zu beschäftigen, denn sobald mir Maratti die schreckliche Nachricht überbrachte, habe ich Hippolit sogleich in ein entferntes, verborgen liegendes Zimmer führen, die Thür fest verschließen und mir den Schlüssel dazu überliefern lassen. -- Aber ach, ich fürchte leider, daß uns diese Vorsicht zu nichts helfen werde, denn die Hascher besitzen eine ausgedehnte Vollmacht, die ihnen erlaubt, in allen Winkeln des Schlosses und in der ganzen Gegend umher Untersuchungen anzustellen, um Hippolits Person habhaft zu werden.
Aber, sprach Victoria und ein Schimmer von Hoffnung schien in diesem Abgrunde für sie zu dämmern, wenn man Hippolit wirklich vor Gericht führt, so muß er unfehlbar freigesprochen werden; bei dieser schrecklichen Begebenheit bin ich nur der einzige Zeuge, und mein Zeugniß beweißt seine Unschuld.
Ach, armes Kind, antwortete Elwire, Du sprichst, wie die Unbefangenheit, die Unschuld selbst, die noch keinen Begriff von der Verderbtheit der Menschen, die sich rächen wollen, hat; Du weißt noch nicht, welchen großen Einfluß Ansehn und Macht auf das Urtheil und den Ausspruch der Richter haben. Des Grafen von Vizenza Familie ist mächtig und geachtet; dagegen ist der arme Hippolit ein Fremdling, ein unbedeutender Sclav ohne Schutz.
Nein, nein, Herzogin, fiel Victoria lebhaft ein, so lange noch mein Bruder lebt und ich, wird es meinem edlen Retter nicht an Freunden fehlen, die ihm dienen können.
Aber, schönste Victoria, Dein Bruder ist nicht anwesend, Du bedenkst nicht, daß er weit von hier entfernt ist, und sein Corps nicht verlassen darf. Und sodann, scheinst Du nicht zu wissen, wie geschwind man hier zu Lande dergleichen Proceduren beendigt. Bedenke doch, auf der einen Seite ist der Mann, dessen Tod man rächen will, von hohem Range und aus einer der ersten gräflichen Familien entsprossen, auf der andern ist der Beklagte leider von jener unglücklichen Menschenklasse, denen ihre Farbe eine natürliche Schmach aufgedrückt zu haben scheint, und die nach unsern Gebräuchen und Gesetzen kaum unter die Menschen gezählt werden. Man wird keine Umstände mit ihm machen; Zeugen, wenn es Noth thut, werden nicht fehlen, und das Banditenschloß Don Manuels wird das Uebrige fehlende ersetzen. Sie sagen, diese Mordthat sei von der Art, daß ein Urtheil sogleich erfolgen müsse, und wenn dem also ist, so bedarf es einiger Tage, um den Beklagten zu richten, zu verurtheilen und zum Tode, vorher aber, um noch andre Geständnisse zu erpressen, zur Folter zu führen.
Victoria hörte kaum die Reden ihrer Tante, sie war unvermögend, ein Wort hervorzubringen; nur ihre Augen, ihre Thränen, ihre Gebärden sprachen Elwiren um Mitleid an.
Aber, liebe Victoria, fuhr diese fort, erwäge doch, daß ich weder Hippolit lange verbergen, noch ihn vom Tode retten kann, ohne mich den größten Widerwärtigkeiten auszusetzen, und der schändlichsten Verläumdung selbst ein freies Feld zu eröffnen. Die Art, wie wir, der Graf und ich, in der letzten Zeit zusammen lebten, ist unglücklicherweise allgemein bekannt; wenn ich mich nun jetzt als Beschützerin seines Mörders erklären wollte, denn als solcher wird Hippolit bezeichnet, was würde die Welt von mir sagen?
Ach, Herzogin, mag doch die Welt davon sagen, was sie will! Was kümmert es Euch? Der Mann, der zwanzig Mal sein Leben auf's Spiel setzte, um das Leben und die Ehre der unglücklichen, Eurer Obhut anvertrauten Waise zu retten: hat der nicht Ansprüche auf Euren Schutz, sobald man ihn ungerechterweise verfolgt? -- Erinnert Euch der Versprechungen, die Ihr meinem sterbenden Vater thatet! Habt Ihr nicht in Hinsicht meiner seine Stelle eingenommen und müßt Ihr nicht so handeln, wie er selbst gehandelt haben würde? Bedenkt, daß dieser mein unvergeßlicher, verehrungswürdiger Vater, der für Euch der beste der Brüder, der treueste der Väter war, vom hohen Himmel, wo er jetzt verweilt, herab, ohne Unterlaß seine Augen auf Euch richtet! Bedenkt, daß an jenem großen Tage, wo die himmlische Gerechtigkeit Strafen und Belohnungen spenden wird, er von Euch Rechnung fordern mögte, über das Eurer Sorge anvertraute Unterpfand, und die heiligen Verpflichtungen, die Ihr übernommen habt!
Diese in einer Art von Begeisterung ausgesprochenen Worte, erschütterten die Herzogin; sie schien einige Augenblicke verwirrt, schlug die Augen nieder, war unentschlossen und schien mit ihrem Gewissen zu kämpfen; aber bald bemerkte Victoria, die in ihren Mienen zu lesen sich bestrebte, daß ihre Augen sich mit Härte waffneten und in allen ihren Zügen kalte, grausame Unerbittlichkeit sich lagerte. Lange schwieg Elwire, zitternd erwartete Victoria ihren Entschluß, endlich sprach die Herzogin, nachdem sie mit Gewalt die sprechenden Empfindungen aus ihrem Gesichte verwischt hatte:
Alle Deine Bitten sind überflüssig, Du, Du allein vermagst Hippolit von dem schmachvollen Tode, der ihm drohet, zu retten!
Ich, Herzogin, ich kann ihn retten? O erklärt Euch, ich bitte Euch!
Die Herzogin antwortete nicht, erst nach einer langen Pause hub sie wieder an:
Versprich mir bei Deiner Ehre, bei dem Heile Deiner Seele, bei Allem was von dem Menschen als heilig angesehn wird, daß Du Morgen früh Hippolit zu Deinem Gemal annehmen willst. Gieb mir dieses Versprechen; und alle weitere Verfolgung hört von diesem Augenblicke an auf, dieses bin ich beauftragt, Dir zu sagen.
Noch kniete Victoria vor ihrer Tante, aber bei diesen Worten stand sie mit einer Bewegung des Erstaunens und der Verachtung auf, setzte sich ihrer Tante ruhig gegenüber und sprach nach einer Weile Nachdenken mit festem, würdevollen Tone:
Ich besitze ohne Zweifel wenig Erfahrung, Herzogin, aber ich habe doch so viel richtiges Urtheil und klare Begriffe um einzusehn, daß die von Euch vorgeschlagene, sehr seltsame Verbindung kein Mittel zur Rettung Hippolits darbieten mögte, weil diese Verbindung nur dazu dienen würde, das einzige Zeugniß zu vernichten, was noch Hippolits Unschuld zu verfechten im Stande sein dürfte. Ich muß also hieraus schließen, daß die Freunde des Grafen von Vizenza nur nach des Unglücklichen Blute dürsten. Ich bitte Euch, Herzogin, sagt denjenigen, die es wagen konnten, Eure Vermittelung zu gebrauchen, um mir diesen unwürdigen Vorschlag zu machen, sagt ihnen, daß ich so gut wie ein Andrer weiß, was ich meinem Range schuldig bin, daß ich meine Glücksgüter, meine Freiheit, mein Leben für den tugendhaften Mann, der mich von der Verfolgung und der Schande rettete, opfern kann, daß ich aber nie den mir von meinen Vorfahren überlieferten, edlen Namen entehren werde, und daß die Ehre meiner Familie ein heiliges Pfand ist, über welches mir nicht erlaubt ward zu bestimmen. Ich muß noch hinzufügen, daß wenn ich wirklich in der thörigten Uebertreibung meiner Dankbarkeit und Bewunderung für Hippolit, fähig sein könnte, mich so weit zu vergessen, die meiner Geburt und der Würde meiner Voreltern schuldige Achtung zu verletzen, Ihr Herzogin, meine Tante, die Ihr mir den Schutz und die Gefühle einer Mutter schuldig seid, deren Pflicht es ist, mich gegen meine eigne Schwachheiten zu vertheidigen, daß Ihr selbst die Erste sein müßtet, mit Eurem Ansehen und sogar mit der Macht des Gesetzes gewaffnet, Euch einer so ungeheuern Verbindung zu widersetzen.
Sind dieses Deine wahren Gesinnungen? fragte Elwire fast vor Wuth erstickend.
Sie sind es, antwortete Victoria mit derselben festen Entschlossenheit. Meine Angst über Hippolits Schicksal ist zerstreut. Dieses Gespenst, das man vor meine Augen stellte, um mich zu schrecken, ist verschwunden; jetzt glaube ich den Tod des Grafen von Vizenza nicht mehr, und ich bin jetzt fest überzeugt, daß Niemand weder die Macht, noch die Kühnheit habe, das Leben meines Retters anzutasten.
Dein Aufenthalt im Schlosse der Pyrenäen, armes Kind, antwortete mit erzwungener Gleichgültigkeit die Herzogin, hat, wie mir scheint, deinem Verstande wirklich geschadet.
Nein, Signora, entgegnete Victoria, im Gegentheil, mein Unglück hat meinem Urtheile eine frühe und für meine Ruhe gefährliche Reife gegeben. Es hat mir gelehrt, Dinge zu durchschauen, die ich mir nie geträumt haben würde; ich habe die schreckliche Erfahrung gemacht, daß meine grausamsten Feinde nahe Blutsverwandte sind, deren Schutz und Beistand mir sowohl von der Natur, als den Gesetzen angewiesen worden.
Beim Schlusse dieser Worte stockte ihre Stimme, ihr Herz blutete, sie vergieng fast in Thränen.
Wohl! sprach Elwire mit tückischem Feuer im Auge und unversöhnliche Rache athmend: Wohl an, wenn Dir denn Deine Feinde bekannt sind, so lerne nun auch alles dasjenige kennen, was Du von ihnen zu fürchten, hast. Wisse, daß sie nichts unternehmen, was sie nicht zu vollführen im Stande sind. Mag immerhin der vorgebliche Tod des Grafen von Vizenza ein, Dich zu schrecken geschaffenes Fantom sein oder nicht, Dein Hippolit bleibt nichts desto weniger in der Gewalt derjenigen, die Du Deine Feinde nennst, und in deren Händen Deine großmüthige Erkenntlichkeit ihn ohne Bangigkeit verläßt. Mache Dich darauf gefaßt, ihn bald zum Richtplatz schleppen zu sehen, und damit keine trügerische Hoffnung Dich irre leite, so wisse, daß die ihn zu ergreifen beauftragten Häscher den Befehl haben, ihn todt oder lebend fortzuführen, und daß er ihnen nicht entrinnen kann. Uebrigens, fügte sie mit gemilderter Stimme hinzu, glaube mir, Victoria, was ich Dir gesagt habe, bleibt unabänderlich. Hippolits Schicksal ist entschieden, morgen früh wird er Dein Gemal oder sein Tod ist unvermeidlich. Bedenk und wähle! Hierauf entfernte sie sich ohne Victoriens Antwort zu erwarten.
Diese befand sich in der schrecklichsten Verwirrung, sie zitterte für Hippolits Leben und bereuete es, die Herzogin nicht zurückgehalten zu haben oder ihr nicht gefolgt zu sein. In ihrer Verzweiflung, von Aengsten bestürmt, wäre sie bereit gewesen, alles zu versprechen, alles zu thun, um nur demjenigen zu dienen, der sie so oft vom Untergange gerettet hatte; aber ihr Zustand erlaubte ihr nicht, das Zimmer zu verlassen; die heftigen Angriffe auf ihr Gemüth, die erzwungene Standhaftigkeit, womit sie sich diesen entgegen stellte, hatten sie erschöpft; sie fühlte sich zu schwach, um aufzustehen, und blieb lange in schmerzlicher Betäubung, unfähig zu denken und zu handel.
In diesem Zustande traf sie die eintretende Rosalie. Victoria erholte sich beim Anblicke dieser treuen Seele, und erleichterte ihr armes, gepeinigtes Herz durch die Mittheilung der Schreckens-Scene, die ihrer Ankunft vorangegangen war und die jetzt einen Rath, einen raschen Entschluß erforderte, um die angedrohete Verhaftung Hippolits zu verhindern. Das arme Mädchen verstummte vor Entsetzen, war aber so wenig mit den ränkevollen Absichten der Herzogin vertraut, von zu beschränkten Geistes-Fähigkeiten und zu bestürzt, um in einer so mislichen Lage trösten oder helfen zu können; mit aufrichtiger Wehmuth theilte sie den Schmerz ihrer Gebieterin und mischte ihre Thränen mit den ihrigen; einen Ausweg aus diesem Labyrinthe zu suchen, war daher nur Victorien allein überlassen; der unerschrockene, biedere Diego fiel ihr ein. Ach, sagte sie gefaßter, wenn mich jetzt ein treuer und muthiger Freund aus diesem Abgrunde ziehen kann, so gelingt es keinem als dem ehrlichen Diego. Lauf, liebe Rosalie, rufe ihn geschwind herbei!
Rosalie schlug die Augen nieder, schien sich zu besinnen und zögerte verlegen mit der Antwort. Wie, fragte Victoria besorgt, es ist ihm doch kein Unglück widerfahren?
O nein, erwiederte Rosalie, aber er ist nicht mehr hier im Schlosse. Die Frau Herzogin hielt den Aufenthalt im Kloster des heiligen Ludwigs, wo er in der Nähe des Arztes wäre, für seine noch immer schwankende Gesundheit zuträglicher, und hat ihn heute Morgen dorthin geschickt, auch den Wunsch seines guten, aber kranken Herzens, sich bei Euch vor seinem Abgange beurlauben zu können, unter einem nichtigen Vorwande verweigert.
Wenn die Herzogin wirklich für Diego's Gesundheit besorgt ist, sprach Victoria zweifelhaft, so muß ich ihre Aufmerksamkeit loben, aber ich habe gegründete Ursache zu glauben, daß ihre Hauptabsicht dahin geht, alle diejenigen von mir zu entfernen, die mir dienen und ihren arglistigen Plänen hinderlich sein könnten.
Aber, meine theure Signora, fiel Rosalie ein, dieses Uebel ist ja nicht ohne Mittel; das Kloster ist nur wenige Schritte von hier entfernt, wenn Ihr es wünscht, so kann ich ja leicht dorthin gehen und Diego zu Euch rufen.
Victoria nahm dieses Anerbieten mit Erkenntlichkeit an, und beauftragte Rosalien zu gleicher Zeit, den Pater Peter, dessen Weisheit und festen Character ihr jetzt von großem Nutzen sein konnten, wenn es möglich wäre, mitzubringen. Als sie allein war, überdachte sie nochmals mit ruhigern Sinnen den gehabten Auftritt und bemühete sich die Bewegungsgründe zu dem unerklärbaren Betragen ihrer Tante zu durchdringen.
Will sie vielleicht durch diese schmachvolle Verbindung, sprach sie zu sich selbst, mich in den Augen meines Bruders und in der öffentlichen Meinung herabsetzen? Wäre dieses ein ausgesonnenes Mittel, mich unwürdig erklären zu lassen, das Erbtheil meiner Vorfahren in Besitz zu nehmen, und ein sicherer Weg zur Ausführung des mir in Don Manuels Kerker vom Zufalle entdeckten schändlichen Vorhabens Polidors, seine Mündel um ihr Eigenthum zu betrügen? Nur der ruchlose Maratti konnte dieses Gewebe von Bosheit und Habsucht gesponnen haben. Vielleicht leiten aber auch andre Leidenschaften die rachebrütende, eifersüchtige Herzogin. Wüthend über den Vorzug, mit welchem mir früher der Graf von Montfort zu huldigen schien, will sie, indem sie mich mit Schmach bedeckt, ihren Geliebten grausam bestrafen und mit demselben Streiche glühender Rachgier die ihr Vorgezogene tödlich verwunden. -- Ach, was auch ihre Absicht sein kann, so sehe ich sehr wohl, daß meine Weigerung den Tod des großmüthigen Freundes nach sich ziehen muß. Ein Verbrechen mehr oder weniger, es wird diese Frau nicht zurückhalten, und dieses Verbrechen kann ungestraft begangen werden, denn der unglückliche Hippolit gehört ja leider zu jener verbannten und verachteten Menschenklasse, die, weil man sie mit Gelde erkauft, nur in einem geringen Grade den Schutz der Gesetze genießen.
In diesem Augenblicke kam Rosalie zurück, aber ihr mit Betrübniß überzogenes Gesicht verrieth deutlich, daß sie den Auftrag nicht habe vollführen können.
Ach, theures Fräulein, sprach sie klagend, ich bin nicht im Kloster gewesen. Ungesehen, wie ich glaubte, erreichte ich zwar das Gehölz, dort aber stieß ich auf den abscheulichen Maratti, der mich, ohne auf meine Vorstellungen zu hören, wieder zurückschleppte und dem Thürsteher den Befehl gab, ohne seine Erlaubniß Niemand aus dem Schlosse zu lassen. Das ist aber noch nicht alles, ich habe Euch noch etwas Schrecklicheres zu berichten; als ich wieder ins Schloß ging, bemerkte ich Bianka mit zwei Männern von sehr verdächtigem Ansehen, die durch die Hinterthür eingelassen wurden. Ich fand Gelegenheit diese Unbekannten genau zu betrachten, und muß sie nach ihren Gesichtern und ihrer Kleidung für ein Paar verwegene Taugenichtse halten, die gewiß nichts Gutes im Schilde führen.
Gerechter Himmel! schrie Victoria, sie trachten nach Hippolits Leben, jeder Augen[blick] kann ihn verderben. Ach, könnte ich den Pater Peter zu Rathe ziehen, er würde für mich denken, für mich handeln. Geh, beste Rosalie, thue Dein Möglichstes, suche einen der Diener mit Gold zu bestechen, damit er mir unverzüglich den guten Mönch herbei schaffe; die größte Eile nur kann hier eine Schandthat verhüthen.
Rosalie gehorchte, und Victoria, in unbeschreiblicher Angst, von allem Beistande entblößt, nur noch auf die Barmherzigkeit ihres Heilandes vertrauend, fiel auf ihre Knie und rief mit Thränen und Händeringen zu Gott und seinen Heiligen um Hülfe in der dringendsten Noth. -- Noch betete sie, als Rosalie außer Athem, bleich, zitternd und mit verstörten Mienen wieder hereinstürzte.
Ach, Rosalie, rief Victoria in ängstlicher Erwartung, was bringst Du für Nachricht?.
Armer Hippolit! schluchzte diese, armer Hippolit! wiederholte sie und weinte laut statt der befriedigenden Antwort, die ihre Gebieterin in peinlicher Ungeduld erwartete.
Du spannst mich mit Deinem Schweigen auf die Folter, sprach Victoria mit bebender Zunge, sag mir Alles, ich beschwöre Dich.
Ach, Signora, antwortete Rosalie und hielt den Lauf der Thränen mit Anstrengung zurück, ich verließ Euch, wie Ihr wißt, Eure Befehle auszurichten und war eben im Begriff die Treppe hinaufzusteigen, als ich unter mir flüstern hörte. Ich lauschte und erkannte Maratti und Bianka mit jenen beiden saubern Subjecten, die ich Euch vorhin schon geschildert habe. Ich konnte anfänglich von ihrem Gespräche nichts verstehen, deshalb folgte ich ihnen schleichend bis in den düstern Gang, der in den Theil des Schlosses führt, wo der Signor Hippolit eingeschlossen sein soll; die Dunkelheit und das Geräusch ihrer Schritte begünstigte mich, und als sie das Ende des Ganges erreicht hatten, verbarg ich mich schnell hinter einem großen Schranke. Einen Augenblick fürchtete ich entdeckt zu werden, weil Maratti sich plötzlich umdrehete und nach der Stelle, wo ich versteckt war, hinblickte, aber ich kam mit der Furcht davon, denn sorglos setzte er sein Gespräch mit den Uebrigen fort. Sie waren jetzt bis vor die Thür eines Zimmers gekommen, das am Ende des Ganges gelegen ist, hier zog Maratti einen verborgenen Dolch hervor, reichte ihn dem einen seiner beiden Begleiter und sprach zu ihm, was ich deutlich hörte, obgleich er mit ihm flüsterte:
Die Spitze ist in ein starkes, schnell wirkendes Gift getaucht, der Kampf wird kurz und das Gold in einer Minute verdient sein.
Victoria athmete kaum, ihre Besinnung drohete sie zu verlassen. Fahre fort, Rosalie, lispelte sie kaum hörbar.
Dann zeigte Maratti auf die Thür und fuhr fort: Dieses hier ist das Zimmer, wo Ihr Euer Opfer finden werdet; sobald die Glocke ein Uhr schlägt, öffnet Ihr das Zimmer mit diesem Schlüssel, fallt über den Neger her und schickt ihn zu allen Teufeln.
Diese Verfahrungsart, antwortete der Andere, ist freilich die geschwindeste; sie erspart uns die Mühe, ihn ins Gefängniß zu bringen, und kürzt die Formen des Prozesses ab. Aber müßte der Wittwe des Grafen, um den Mord ihres Gemals zu rächen, nicht mehr daran liegen, den Mörder von Gerichtswegen öffentlich zum Schwerdte verurtheilen und hinrichten zu lassen?
Nein, erwiederte Maratti, die Herzogin will aus Rücksicht gegen ihre Nichte, die dem Neger einige Verpflichtungen schuldig ist, alles Aufsehn vermeiden.
So, fing Jener wieder an, das ist was anders; warum sollen wir ihm aber nicht lieber jetzt gleich den Garaus machen? Der Augenblick ist günstig, Niemand sieht uns.
Das wäre dem Befehle der Herzogin entgegen, sagte Maratti, sie will, daß der Neger mitten in der Nacht bestraft werde, damit man den Leichnam, wärend Alles im Schlafe liegt, aus dem Schlosse fortschaffen kann. Also bis zum Augenblicke der Hinrichtung, müßt ihr hier im Nebenzimmer Wache halten, Ihr habt Dolch und Pistolen bei Euch; sollte es nun Jemandem einfallen, bei dem Schwarzen vor seinem Ende noch einen Besuch abstatten zu wollen, so unterlaßt Ihr nicht, Euch seiner Person zu bemächtigen.
Nachdem er dieses gesagt hatte, öffnete er das Zimmer dicht neben des armen, unglücklichen Hippolits Gefängnisse, und alle vier traten hinein; ich aber benutzte diesen Augenblick, kam aus meinem Schlupfwinkel hervor und lief hieher zu Euch.
Victoria hörte diese neue schreckliche Entdeckung bis zum Ende an; die Nähe der ihrem Freunde drohenden Gefahr lieh ihr Kraft, Angst und Entsetzen zu besiegen; sie bot alle ihren Muth, ihre so oft geprüfte Geistesgegenwart auf; aber allein, ohne Rathgeber, ohne einen Freund, als ihr Herz und ihre Vernunft, blieb sie lange unbeweglich, unentschlossen und in Nachdenken vertieft. Die Herzogin hatte ihre Vorbereitungen und Maasregeln zu gut gewählt; ihr Opfer konnte ihr nicht entrinnen. Und was half es Victorien, wenn sie wirklich den eignen Gefahren trotzend, Hippolit beizustehen wagte, sich zwischen ihn und seine Mörder stellte, um Hülfe rief und das Schloß, die Nachbarschaft durch ihr Geschrei in Schrecken und Aufruhr versetzte? In edler Absicht beschleunigte sie nur den Augenblick der Greuelthat, oder überlieferte den Jüngling dem entehrenden, grausamen Strafgericht, das die Mörder mit blutigem Urtheil lohnt. Der einzig übrige Weg, die Herzogin zur Schonung zu bewegen, war blinde Unterwerfung und Erfüllung der von ihr geheischten Bedingung. Der Schimpf einer solchen ungleichen Verbindung war ja nur scheinbar und auf die Meinung der Welt begründet. Doch einen Unschuldigen vom Tode zu retten, den schuldigen Tribut der Dankbarkeit zu bezahlen, blieb dieses nicht die heiligste der Pflichten, eine von dem Gewissen und der Lehre des Allmächtigen vorgeschriebene Pflicht?
Alles was Hippolit für sie geleistet, die Gefahren, in die er sich für ihre Errettung, für ihre Vertheidigung allein gestürzt hatte, seine Anhänglichkeit, seine Treue, sein muthiges Betragen in Don Manuels Schlosse und im Kampfe auf der See, seine Besorgniß für ihr Wohl und seine edle Bereitwilligkeit, sein Leben für ihre Erhaltung zu opfern, alle diese Beweise von beispielloser Seelengröße stellten sich ihrer Erinnerung in vergrößerten Maaße dar, reitzten ihre Fantasie und öffneten ihr Herz dem Andrange großmüthiger Empfindungen. Endlich, nach langer, reiflicher Ueberlegung ergriff sie die Feder und schrieb der Herzogin diese wenigen Zeilen:
»Wenn mit dem Preise meiner Ruhe Hippolits Leben allein nur erkauft werden kann, so verspreche ich feierlich ihn Morgen zum Gemal anzunehmen.«
Victoria von Modena.
Rosalie ward beauftragt, das Billet der Herzogin sogleich zu überbringen. Nach dieser freiwilligen Aufopferung fühlte sich Victoria erleichtert, sie empfand die Beruhigung, welche stets auf die gewissenhafte Ausübung der von der Menschenliebe und Dankbarkeit erheischten Pflichten folgt, und welche um so sanfter sein mußte, als das Opfer groß und herzergreifend war.
Nach wenigen Augenblicken überbrachte Rosalie die Antwort der Herzogin.
»Sei ohne weitere Besorgniß für Hippolits Leben,« schrieb sie, »fürchte auch keine Weigerung von seiner Seite in Ansehung der beabsichtigten Verbindung; er ist davon unterrichtet und giebt ungezwungen seine Einwilligung. Halte Dich also morgen früh um acht Uhr bereit und finde Dich mit Rosalien bei mir ein; wir werden uns dann nach der Kirche des heiligen Ludwigs begeben, dort Hippolit und den Pater Anselm finden, wo Euch der Hochwürdige den ehelichen Seegen ertheilen wird. Nach beendigter Feierlichkeit kehren wir ins Schloß zurück, doch wünsche ich, daß Du um Mittag nach dem Kloster der Benedictinerinnen der heiligen Margarita abreisest, um daselbst so lange zu bleiben, bis ich alles dasjenige geordnet und besorgt haben werde, was Deine zukünftige Einrichtung erfordert. Hippolit ist bereits seiner Haft entlassen und nach dem Kloster zurückgekehrt, um sich auf die morgende Trauung vorzubereiten.«
Elwire von Manfredonia und Vizenza.
Der Inhalt dieses Billets beruhigte Victorien, aber Rosaliens Thränenquell wollte nicht versiegen. Umsonst malte ihr Victoria Hippolits Tugenden und seine edlen Handlungen mit den lebhaftesten Farben, umsonst wiederholte sie alles, was sie so oft zu seinem Lobe gesagt hatte, das arme Mädchen konnte sich an den Gedanken nicht gewöhnen, daß seine schöne Gebieterin, die Erbin des erlauchten Grafen Ariosto, mit allen gerechten Ansprüchen auf eine eben so glückliche als ehrenvolle Verbindung mit den ersten Familien des Landes, die Gattin eines unbekannten, niedrigen Fremdlings, eines Sclaven werden sollte, dessen Farbe allein schon Rosalien ein Kennzeichen der Schmach und Verachtung schien. Endlich fand auch sie, die von ihrer Kindheit an gewohnt war, wie ihr Fräulein zu denken und ihre Meinungen zu theilen, sich in das ihr als unvermeidlich geschildertes Schicksal derselben, konnte aber die Hoffnung, daß Gott unmöglich eine solche Entheiligung der Ehe gestatten würde, nicht unterdrücken.
Ihr Gespräch verlängerte sich bis zur Mitternacht, sie hörten die Glocke im Schlosse eins schlagen, und nach einem Augenblicke den Schlag vom Klosterthurme wiederholen. Bei diesem Schalle erschrack Victoria unwillkührlich und schauderte, es war das zur Ermordung Hippolits verabredete Zeichen, aber der blutige Befehl war ja widerrufen, ihr Versprechen und das Billet der Herzogin war ihr Bürge. Rosalie gewahrte Victoriens Erblassen und errieth die Ursache.
Beruhigt Euch, mein Fräulein, ich will mich überzeugen, ob Hippolit nicht mehr in Gefahr ist, die Banditen sind mir jetzt nicht weiter fürchterlich, sie werden sich an einem armen Mädchen nicht vergreifen; und hält man mich an, so weiß ich mir schon mit irgend einer Ausflucht zu helfen.
Noch ehe es die furchtsame Victoria verhindern konnte, war Rosalie mit einem Lichte davon geeilt und kam nach wenigen Augenblicken in der Hand einen blanken Dolch und einen kleinen Zettel haltend, zurück.
Seid unbesorgt, theure Signora, sprach sie, die Herzogin hat Euch nicht getäuscht, Hippolit ist fern, sein Gefängniß leer und auf dem Tische fand ich diesen Dolch, an welchem man keine Spur von Blut entdeckt, und dieses Stück Papier. Hastig nahm es Victoria und las folgende mit Bleistift geschriebene Zeilen in spanischer Sprache:
»Donna Victoria kann sich Morgen in völligem Vertrauen nach der Klosterkirche des heiligen Ludwigs begeben; sie wird dort, zur Ehre Gottes, ein Ende ihrer Leiden und sichern Schutz vor ihren strafbaren Feinden finden!«
Der Pater Peter.
Victoriens Herz klopfte vor Entzücken beim Ueberlesen dieser tröstlichen Worte, die sie dem Sinne nach zu ihrem Vortheile auslegen mußte; doch konnten sie ihr Herz nicht bestechen, und obgleich sie den Wunsch hegte, daß, da Hippolit gerettet worden, die eingeleitete unglückselige Vermählung nicht vollzogen, und Hippolit zu großmüthig sein könnte, die vom Zwange entrissene Einwilligung zu benutzen, vielleicht auch die Klosterväter zu weise und zu vorsichtig sein mögten, ihre geistlichen Hände zu solch einer bizarren Verbindung zu bieten; so ließ sie diesen Wunsch doch nicht laut werden, wagte auch nicht sich mit der Hoffnung einer Möglichkeit zu täuschen, und selbst nicht einmal der Gedanke, daß sie das erzwungene Versprechen, ohne wortbrüchig zu werden, zurücknehmen könnte, fand in ihrer Seele Raum. Entschlossen, sich in allen Verhältnissen des Lebens nach den Vorschriften der Ehre und der Stimme ihres Gewissens zu betragen, innerlich gelobend sich vertrauungsvoll den Fügungen des Himmels zu unterwerfen, legte sie sich, als längst Mitternacht vorüber, auf wiederholtes Bitten der besorgten Rosalie, zur Ruhe, und entschlief mit diesem heilsamen und tröstlichen Gedanken beschäftigt.
In der Frühe des andern Morgens kleidete Rosalie ihr Fräulein zur bevorstehenden großen Feierlichkeit, die nun bald stattfinden sollte, an. Bei diesem Geschäfte klopfte Victoriens Herz mit schnellen, ungestümen Schlägen, und drohete vor Wehmuth zu zerspringen; ihre Standhaftigkeit war erschüttert, und ihren Anstrengungen und ihrer frommen Ergebung zum Trotz stahl sich von Zeit zu Zeit eine Thräne aus ihrem Auge, und die Röthe der Schaam überzog zu öftern Malen ihr holdes, bleiches Gesicht. Zufällig erblickte sie unter ihren wenigen Kostbarkeiten das in Don Manuels Raubschlosse gefundene Gemälde, sie nahm es erschreckt zu sich, und ohne die Kapsel zu öffnen, ohne sich einen letzten Blick zu erlauben, entschlossen, nie die schönen Züge wieder zu schauen, weil sie es als ein Verbrechen betrachtete, mit einem andern vermält, noch fernerhin mit Wohlgefallen des unbekannten Jünglings zu gedenken, umgab sie es mit einem dichten Umschlage von Papier, besiegelte diesen an mehrern Orten und überlieferte dann das Paquet Rosalien mit dem Auftrage, es so lange an sich zu behalten und sorgfältig aufzubewahren, bis sie es von ihr wieder verlangen würde, um es dem rechtmäßigen Eigenthümer, wenn sich ja die Gelegenheit zeigen könnte, zuzustellen.
Gegen acht Uhr bat Bianka um die Erlaubniß eintreten zu dürfen, Nie hatte Victoria diese Dirne geachtet, aber wenn sie bedachte, mit welcher grausamen Gefühllosigkeit dieses boshafte Geschöpf seine unglückliche, ihm so unähnliche Schwester Octavia zu einer Reise überredet hatte, deren Gefahren ihm in voraus bekannt waren, wie unbarmherzig es die Signora Farinelli behandelt, so ging ihr Widerwille in wahrhaft tödlichen Haß über, und sie betrachtete diese Bianka nur als die Bothschafterin und das Werkzeug des Verbrechens. Auch schauderte sie bei dem Tone der gehässigen Stimme und ein großer Theil ihrer Standhaftigkeit entfloh beim Anblicke des lasterhaften Gesichts.
Bianka benachrichtigte Victorien, daß die Herzogin in der zum Kloster führenden Allee sie erwarte.
Ohne zu antworten ergriff Victoria mit zitternder Hand den Arm der bebenden Rosalie und folgte Bianken bis zu dem Orte, wo die Herzogin in Begleitung Maratti's ihrer harrte. Der Anblick dieser beiden Ungeheuer verdoppelte die Beängstigung, welche mit jedem Augenblicke die Seele der Unglücklichen krampfhafter bedrängte; selbst Elwire schien in heftiger Bewegung. Ohne ein Wort zu reden, lösete sie Victoriens Hand vom Arme Rosaliens, und zog das wankende Opferlamm unter stetem düstern und traurigen Stillschweigen, von Maratti, der voranging, und Rosalien begleitet, bis an die Kirchenthür, die ein Laienbruder öffnete. Im Innern empfing sie im priesterlichen Ornate gleichfalls stillschweigend der Pater Anselm und führte sie zum Altare, wo sich bereits, einfach geschmückt und mit tiefer Betrübniß im Gesichte, Hippolit in Begleitung des ehrlichen Thomas, der kaum seine Wuth unterdrücken konnte, befand.
Hochwürdiger Pater, sprach die Herzogin mit kaum hörbarer, unsicherer Stimme zum Pater Anselm, verrichtet Euer Amt!
Von dem Augenblicke an, daß Victoria sich vor dem Altare an Hippolits Seite sah, und sie den Pater die ersten Worte der hochzeitlichen Feierlichkeit aussprechen hörte, verlohr sie ihre Besinnung; ihre Gedanken kreiseten sich in verworrenem Gedränge in ihrem Kopfe, dunkel ward es vor ihren Augen; sie sah, sie hörte nichts mehr und stand in gänzlicher gefühlloser Bewußtlosigkeit. Die Unruhe des gepeinigten Hippolits, die Stellung der treulosen Herzogin, die ihre Blicke zur Erde gesenkt, und deren verbrecherische Seele in diesem entscheidenden Augenblicke mit den beißenden Vorwürfen des Gewissens kämpfte, das erstickte Schluchzen der unglücklichen Rosalie, Thomas Zähneknirschen, jeder Umstand bei dieser schrecklichen Scene blieb dem starren Auge der geopferten Victoria unsichtbar. Inzwischen verrichtete der Pater Anselm mit der Ruhe eines frommen, wahren Verehrers der Gottheit die heilige Handlung, und nach den gebräuchlichen Gebeten gab er den beiden Neuvermählten, so feierlich und ernst, als es die Heiligkeit seines priesterlichen Amtes erforderte, den ehelichen Seegen. Noch immer im Zustande gänzlicher Unempfindlichkeit sprach die unglückliche Vermählte mechanisch das fesselnde, fürchterliche Ja aus, empfing den ihr dargereichten Ring, und gelangte nur dann erst wieder zu einiger Besinnung und fing die sie umgebenden Gegenstände, ihre Begleiter und ihren neuen Gemahl wieder zu erkennen an, als die kirchlichen Vermälungs-Feierlichkeiten und die Formalitäten der Sakristei beendigt waren, und man sich auf den Rückweg nach dem Schlosse begab. Jetzt erst erinnerten der heitere Himmel, die frische Morgenluft und Hippolits sanftes Zureden Victorien an ihr unglückliches Loos.
Die Aussicht, nun auf immer mit Hippolit verbunden zu sein, öffnete sich vor ihren Blicken, und zwang sie zu dem Bedürfnisse, ihr so lange beklemmtes Herz durch Thränen zu erleichtern; aber diese Thränen konnten ihren Widerwillen gegen die so eben eingegangene, durch ihre feierliche Einwilligung besiegelte Verbindung verrathen, sie mußten unbezweifelt die Zärtlichkeit und Eigenliebe ihres Gemahls schmerzlich verwunden; sie zwang sich daher sie zurückzuhalten, und brachte also auf diese Weise ihren neuen Pflichten das erste schmerzliche Opfer.
Wärend sich die Herzogin mit dem Pater Anselm, den sie zum Frühstück mit den Neuvermälten im Schlosse eingeladen hatte, unterredete, fand sich für Hippolit, an dessen Arm Victoria wankend einherging, die Gelegenheit, eben die Hand, die einige Augenblicke vorher das Zeichen der gegenseitigen Treue empfangen hatte, sanft zu drücken und seiner Gattin zuzuflüstern:
Kann Donna Victoria wirklich indem Wahne stehen, daß derjenige, welcher aus ihrem Munde und nicht aus ihrem Herzen ein von Angst und Zwang entrissenes Gelübde erhielt, ungerecht und grausam genug sein könnte, solches auf's schändlichste zu misbrauchen? Nein, Euer Herz und Eure Hand sind noch immer frei, und wenn es Euer Wille ist, so vereinige ich meine Stimme mit der des Gesetzes, um eine Verbindung zu zernichten, die nur in so weit bindend für Euch sein kann, als Ihr aus freiem Willen sie anzunehmen und Euren Schwur zu halten, kein Bedenken hegen würdet. Verzeiht mir nur, daß ich wider meine Neigung eine Rolle bei diesem Auftritte, wo Eure Würde, Euer Zartgefühl und Eure Reizbarkeit so viel gelitten haben, übernehmen mußte; es gab aber kein anderes Mittel, Euch der Macht jener Ungeheuer, die Euer Verderben berathschlagten, zu entreißen. Die Größe der Gefahr rechtfertigt das Mittel, und ich wage es, mir zu schmeicheln, daß Ihr mein Verfahren billigen werdet, so bald es mir möglich sein wird, Euch die Bewegungsgründe dazu näher zu erläutern.
Bewunderung, Zuneigung, Dankbarkeit und alle die Gefühle, welche Victoria so lange schon in ihrem Busen für Hippolit unterhielt, sprachen in diesem Augenblicke mit mächtiger Stimme zu dem Herzen des jungen Weibes. Victoria fühlte daß sie nie einen Mann kränken würde, dessen edle und großmüthige Freundschaft sich in keinem Verhältnisse verläugnete; sie blickte ihn furchtsam, aber liebreich an, und ein bezauberndes Lächeln vertrat die Stelle der Antwort, als sie bemerkte, daß man vor dem Schlosse angekommen war, und die Herzogin sie beobachtete.
Das Frühstück stand schon im Saale bereit. Elwire, die in jeder Minute den Grafen von Montfort erwartete, und die von Ungeduld brannte, ihre Nichte sobald als möglich zu entfernen und nach dem Kloster der heiligen Margarita zu schicken, hatte die nöthigen Vorkehrungen dazu bereits getroffen.
Wärend des Frühstücks beobachtete Victoria ein tiefes Stillschweigen, die Unterredung war auf die Herzogin und den Pater Anselm beschränkt; dieser blieb immer heiter und ruhig, jene zwang sich bis zum Ende, die übernommene schwierige Rolle auszuspielen, indem sie die Qualen ihrer verdorbenen Seele unter einem erkünstelten muntern und scherzhaften Betragen zu verbergen suchte. Was Hippolit anbetraf, so verweilte dieser in zärtlicher, aber ehrfurchtsvoller Besorgniß in der Nähe seiner Gattin; sein Widerwille und sein tiefer Abscheu gegen die Herzogin schimmerte aus seinen Handlungen und Gebärden hervor, doch war er aufmerksam genug, sich nie von den Vorschriften zu entfernen, die ihm die Höflichkeit gegen sie vorschrieb.
Man war eben im Begriff, vom Frühstück aufzustehen, als ein Diener der Herzogin hereintrat, um die Ankunft des Grafen von Montfort anzukündigen.
Dieser unvorhergesehene, so früh nicht erwartete Besuch verwirrte die Herzogin, sie verlohr auf einen Augenblick ihre gewöhnliche Geistesgegenwart.
Welch ein unangenehmes und unzeitiges Zusammentreffen, rief sie verlegen aus, man verweigere ihm den Eintritt.
Frau Herzogin, antwortete der Diener, der Herr Graf folgt mir, er muß schon im Vorzimmer sein.
Nun sprang die Herzogin hastig auf, zeigte mit der Hand auf ein Nebenzimmer, das geöffnet stand, und sprach in verlegener Geschäftigkeit: Hochwürdiger Pater und Ihr Hippolit, ich bitte Euch dringend, begebt Euch nur auf einige Augenblicke in dieses Zimmer. Verzeiht diese sonderbare Zumuthung, ich habe meine Gründe, die Ihr, so bald ihr sie wissen werdet, billigen müßt.
Hippolit und der Geistliche erfüllten bereitwillig ihren Wunsch, und kaum hatten sie die Thür hinter sich geschlossen, so trat Montfort in den Saal.
Er eilte auf die Herzogin zu, ergriff ihre Hand, um solche zu küssen, ließ sie jedoch beim Anblicke Victoriens mit allen Merkmalen des größten Erstaunens wieder sinken.
Täusche ich mich nicht, rief er verwundert aus, ist es Donna Victoria von Modena wirklich, die ich das Glück habe vor mir zu sehen? Dann wandte er sich zu Elwire und sagte bitter: Ach, Herzogin, Ihr habt mich also doch hintergehen wollen? Warum sagtet Ihr mir, daß die Signora sich aus freier Wahl in ein Kloster zurückgezogen habe, um dort den Schleier zu nehmen, und daß der Name und die Gegend des Klosters bis zu dem Augenblicke verborgen bleiben müßten, wo sie vor den lasterhaften Nachstellungen Eures Gemahls gesichert sein werde? Welche erbärmliche Kunstgriffe! Ich finde Fräulein Victoria jetzt hier, und das Kleid was ihren schönen Leib bedeckt, ist kein Nonnengewand.
Ich sagte Euch die Wahrheit, erwiederte Elwire mit erborgter Kaltblütigkeit, um ihre Schaam und ihren Unmuth zu verbergen. Es ist vollkommen gegründet, daß meine Nichte abgereiset gewesen, um sich ins Kloster zu begeben, aber unglücklicherweise wurde ihr Wagen auf der Reise von Banditen angegriffen, die wie ich glauben muß, von Vizenza dafür besoldet waren, und sie lange Zeit in die Höhle der Räuber, die in den Pyrenäen ihr Unwesen treiben, eingesperrt.
Hierauf erzählte die Herzogin in genauer, aber gedrängter Wiederholung alles, was Victorien Abentheuerliches in Don Manuels Schlosse betroffen, ihre Flucht, ihren Schiffbruch, die Begebenheiten, welche sie veranlaßt hatten, einen Zufluchtsort im Schlosse zu suchen, und beschloß ihre Erzählung mit den Worten:
Jetzt, lieber Graf, bleibt Euch nur noch das wunderbarste in dieser abentheuerlichen Geschichte zu erfahren übrig. Wisset also, daß dieser tapfere und edelmüthige Hippolit, der sein Leben so oft für meine Nichte gewagt und der sie aus den Händen ihrer Verfolger gerettet hat, über ihren Geschmack, ihre Neigung und ihr Herz so viel Gewalt zu erlangen gewußt hat, daß sie dem geistlichen Berufe entsagte, und daß dieser Hippolit gegenwärtig Victoriens glücklicher Gemahl ist!
Was soll das bedeuten? rief der Graf aus, welch abscheulicher Scherz!
Nein, Herr Graf, antwortete die Herzogin, nein, es ist kein Scherz, eben diese Victoria von Modena, welche mit so viel Bestimmtheit und erklärter Abneigung die Huldigungen des Grafen von Montfort stets verwarf, hat ihre Hand und ihr Herz dem liebenswürdigen Neger, von dem ich Euch so eben erzählte, geschenkt.
Montfort, bei seiner Eigenliebe angegriffen und von der Herzogin zum Zorne und zur Verachtung gereizt, schien dennoch ungewiß, ob er diesen seltsamen Reden Glauben beimessen sollte, und sein Gebärdenspiel drückte seine Zweifel lebhaft aus.
Weil Ihr mir aber noch nicht zu glauben scheint, fing die Herzogin satanisch lächelnd und mit Wuth in den Blicken wieder an, so muß ich Euch wol überzeugen. Und schnell riß sie die Thür des Gemaches, wo Jene verborgen waren, auf:
Zeigt Euch, Hippolit, rief die Boßhafte mit lauter Stimme, der Graf von Montfort verlangt nach der Ehre, dem glücklichen Gemal der Tochter des Grafen Ariosto vorgestellt zu werden!
Wärend dieses vorging, unterlag Victoria fast der peinlichen Rolle, die ihre unbarmherzige Tante bei diesem Auftritte sie zu spielen zwang; sie saß unbeweglich, schlug die Augen nieder und brennende Röthe der Schaam wechselte mit der Blässe des Abscheus auf ihrem Gesichte. Aus diesem schrecklichen Zustande befreiete sie in dem Augenblicke, als die Thür geöffnet wurde, ein Schrei des Erstaunens, der dem Grafen von Montfort beim Anblicke des Heraustretenden entfuhr. Was sehe ich, rief er aus, der Graf Urbino! --
Dieser Name erinnerte Victorien an Hero's Erzählungen auf der Reise nach Spanien, von dem Neffen des Grafen Polidor; furchtsam blickte sie auf, und erkannte -- o Wunder! -- in der Kleidung Hippolits den liebenswürdigen, unbekannten Jüngling, den sie in der Kirche des Pyrenäen-Schlosses getroffen hatte, und in ihm das Original des schönen Gemäldes, von dem sie vor der Trauung auf ewig sich trennen zu müssen geglaubt hatte. Die Schwärze des Gesichts, das wollige Haar, des Negers starke Züge waren wie durch Zauberei verschwunden, und im Glanze der Jugend und Schönheit stand der längst schon heimlich Geliebte vor ihr.
Der Ausruf des Grafen Montfort hatte schnell die Aufmerksamkeit der schadenfrohen Herzogin auf eben denselben Gegenstand hingezogen.
Urbino! -- rief sie erstaunt und zornig, wie kommt Ihr hieher, was soll dieser Betrug?
Ich bin zu stolz auf diesen Namen, erwiederte dieser, um diese Aufforderung nicht sogleich zu beantworten. Victoriens glücklicher Gatte hat wol das Recht sich zu zeigen.
Die wunderbare Verwandlung ihres Gatten, die plötzliche Erscheinung eines theuren, unvergeßlichen Freundes, der Andrang vorhergegangener Gefühle, die ausgestandene Angst, die schrecklichen Eindrücke der verschiedenen Auftritte, die glückliche Wendung ihres ehlichen Schicksals, alle die dadurch rege gewordenen und contrastirenden Empfindungen bestürmten Victoriens Herz und entflohen dann mit ihrem Bewußtsein; sie erblaßte, ihre Augen schlossen sich und ihr Kopf sank auf des Sessels Rücklehne.
Ihr Gatte kniete besorgt zu ihren Füßen, doch schon die ersten Töne dieser theuren Stimme gaben der Ohnmächtigen die Besinnung wieder, ihre Augen öffneten sich, um die reizenden Züge dessen zu schauen, der in zwei Gestalten Anspruch auf ihre doppelte Dankbarkeit hatte, und Thränen erleichterten ihre Brust.
Meine Victoria, rief er, meine zärtliche Freundin, meine tugendhafte Gattin, verzeiht mir, daß ich so lange in dieser Kleidung, mit dieser Farbe, die ich künstlich nachzuahmen gezwungen war, und die mir die Klugheit und Vorsicht noch ferner beizubehalten räth, vor Euren Augen erschien; verzeiht mir auch, daß ich sie ohne Schonung, ohne Vorsicht, die den Wirkungen des Erschreckens begegnen konnte, ablegte; aber man zwang mich zu diesem gewagten Schritte. Man verlangte den Gemahl Victoriens von Modena öffentlich zu schauen, ich konnte mich also nicht entschließen, die Ehre Eures Namens, die Würde Eurer Person zu erniedrigen und in dieser herrlichen Eigenschaft als ein gemeiner, verachteter Negersclav vorzutreten. Ich darf behaupten, mein Rang und meine Geburt machen mich nicht unwürdig, eine Verbindung mit dem erlauchten Hause von Modena zu wünschen. Der Name Urbino, unter welchem ich jetzt hier erscheine, giebt mir ein Recht und die Kraft, Euch gegen jede Kränkung und Verfolgung Eurer Feinde zu beschützen; und da der Himmel meine Wünsche begünstigt und ein so kostbares Pfand meiner Obhuth anvertraut hat, so wird mich nichts abhalten, die mir auferlegten heiligen Pflichten zu erfüllen.
Verwegener, wahnsinniger Jüngling! fiel die Herzogin vor Wuth erstickend ein, Ihr seid Victoriens Gemahl nicht. Unter dem Namen Hippolit hat sie einen Gatten gewählt und aus priesterlicher Hand empfangen, sie kann also nicht Urbino's Weib sein, und bleibt unstreitig meiner Vormundschaft auch jetzt noch unterworfen.
Nein, nein, Frau Herzogin, antwortete gelassen Urbino, ich kannte den Werth der mir angebotenen Hand zu gut, um mich der Gefahr auszusetzen, sie mir rauben zu sehen. Unter meinem wahren Namen habe ich Donna Victoria Treue geschworen, und die ihrige erhalten. Es darf mich nicht wundern, daß in Eurer unruhigen Stimmung dieser Umstand Euch entgangen ist, doch der hochwürdige Pater hier kann Eure Zweifel hierüber zertheilen und meine Behauptung bekräftigen.
Die Herzogin schwieg, aber ihre glühenden Augen durchbohrten den Pater Anselm und schienen eine Erklärung zu verlangen.
Der Gemahl Eurer Nichte Donna Victoria, antwortete mit Ruhe und Unerschrockenheit der ehrwürdige Geistliche, ist mit ihr unter dem Namen, den er zu führen berechtigt ist, getraut, die Vermählung ist nach Vorschrift der geistlichen und weltlichen Gesetze vollzogen und in unsere heiligen Kirchenbücher eingetragen.
Wohlan, Unglücklicher, schrie die Herzogin, so vernehmt, was Ihr gethan habt. Ihr betrogt mich, Ihr habt mir den schmachvollsten Tod bereitet, aber Euch selbst von diesem Augenblicke an in einen Abgrund von Verderben gestürzt, in welchem Ihr bald, o sehr bald Euren Untergang finden sollt.
Hierauf stürzte sie in rasender Wuth aus dem Zimmer.
Graf Urbino, sprach nun Montfort im Tone schmerzlicher Erinnerung, wir waren Freunde; ich hatte Euch meine Gefühle nicht verschwiegen, und ihr seid es, der mir den Gegenstand entführt, der allein nur das Glück meines Lebens gründen konnte.
Graf von Montfort, erwiederte jener nicht ohne Rührung, auch meine Liebe war Euch bekannt, das Vertrauen war gegenseitig. Waret Ihr es nicht selbst, der mir entdeckte, daß Donna Victoria Euren Wünschen nie mit dem leisesten Hauche von Hoffnung geschmeichelt habe? Der Zufall, oder besser die göttliche Vorsehung warf mich in einen Strudel unerhörter Gefahren, den die schändlichste Verrätherei vor den Füßen der Donna Victoria geöffnet hatte, und ich war so glücklich, sie aus der Gewalt von Ungeheuern, die ihr Verderben geschworen hatten, zu befreien; und heute Morgen bietet mir ihre eigne Tante, die ihr das Gesetz als Vormünderin gab, ihre Hand an, zwingt mich sogar sie anzunehmen.
Habt Ihr nun Ansprüche, die mit den meinigen abgewogen, diesen gleichen? Uebrigens kenne ich die Achtung die das mir anvertraute kostbare Pfand verdient, sehr gut, und werde in diesem Augenblicke von der erhaltenen ruhmwürdigen Eigenschaft dadurch Gebrauch machen, daß ich für Donna Victoria einen ihr würdigern Zufluchtsort wähle. Will Donna Victoria, fragte er zu ihr gewendet, sich meiner Ehre anvertrauen, und meine Dienste nicht verschmähen?
Graf Urbino, antwortete diese mit unsicherer Stimme, und blickte an ihm mit sanftem zärtlichen Auge hinauf, könnt Ihr mich so fragen?
Nach diesen Worten reichte sie ihm sittsam erröthend ihre Hand, entzückt nahm Hippolit die dargebotene an und sprach zu dem Pater Anselm:
Heiliger Vater, Ihr erfüllt sicher unsere Bitte, und begleitet uns nach dem Kloster der Benedictinerinnen von Santa Margarita?
Der Pater nickte bejahend und alle drei entfernten sich hierauf, nur der Graf von Montfort blieb von Unmuth und Neid gräßlich benagt, wie ein Träumender zurück.
Der nach Santa Margarita bestimmte Wagen stand bereit, sie stiegen ein und erwarteten nur noch Rosalien, die einige nothwendige Geschäfte bisher zurückhielten.
Theure Victoria, redete Urbino nach einigem Stillschweigen, von dem ersten Augenblicke an, da ich das Glück genoß, vor Euren Augen zu erscheinen, zwang mich eine grausame Nothwendigkeit, mich mit Verkleidung und Geheimnissen zu umhüllen. Dieser Zwang, so unerträglich er auch für mich ist, muß noch fortdauern und ich mich seinem Gebote unterwerfen. Ich muß Euch auf eine Zeit verlassen, und die ungewisse Dauer meiner Abwesenheit ist ein Zuwachs zu den Leiden, die mir das Verhängniß auferlegt hat. Ich sehe Euch frei von dem Joche einer gewissenlosen, zu allem Bösen fähigen Vormünderin, ich weiß Euch vor den abscheulichen Anschlägen und Nachstellungen eines Buben, der ein verbrecherisches Auge auf Euch zu werfen wagte, in Sicherheit, ich weiß Euch unter guten Menschen; dieser Gedanke soll mich trösten, und mir die Pein der Trennung ertragen helfen. Ich gehe jetzt an einen Ort, wohin mich das Schicksal mahnend ruft, und diese Reise wird entscheiden, ob ich der glücklichste oder der unglücklichste aller Sterblichen sein soll. Ihr werdet mich nur dann wiedersehen, sobald ich in Begleitung eines Vaters vor Euch erscheinen kann, der seine Wünsche mit den meinigen vereinbaren und von Euch die Bestätigung des heiligen Gelübdes erflehen wird, das nur Menschlichkeit und Dankbarkeit allein Euch zu Gunsten eines elenden Fremdlings abzulegen, vermogt haben. Der Name dieses Fremdlings, glaubt mir, wird sobald es mir erlaubt ist, ihn zu nennen, dem ehrenvollen Namen der Ariosto's keine Schande machen.
Victoria schwieg gedankenvoll; die Verkleidung, unter welcher ihr Gatte sich noch ferner verbergen sollte, war kein Gegenstand der Unruhe für sie; sie zweifelte nicht, daß seine Geburt der ihrigen angemessen sein werde; sein Betragen hatte es früher gezeigt, als die gegebene Versicherung. Der liebenswürdige Jüngling aus der Kirche und der tugendhafte Hippolit waren ja jetzt eine und dieselbe Person, Alle äußeren Reize, die Victoriens Fantasie fesseln und ihr Herz gewinnen konnten, alle Tugenden, die ihre Achtung erzwingen, alle seltnen Eigenschaften, die ihre Neigung bestimmen mußten, alles was an dem Fremdling ihr Herz entzückt und bestochen, was sie mit Bewunderung erfüllt und zu Hippolit hingezogen hatte, war ja jetzt in einem Manne vereinigt, und diesen nannte sie ihren Gemahl. Aber indem sie jenen gefährlich-schönen Unbekannten, der zuerst den Frieden ihres schuldlosen Herzens getrübt hatte, wiederfand, konnte sie zugleich das Wiederaufleben schmerzlicher Bilder der Erinnerung nicht verhindern; die Gegenwart des Jünglings erweckte in ihr ein so bitteres Gefühl, das sie zu Thränen zwang.
Jetzt hatte Rosalie ihre Aufträge beendigt und fand sich bei ihrer Gebieterin ein; die wunderbare Verwandlung, von der das ganze Schloß wiederhallte, war ihr natürlich nicht fremd geblieben.
Endlich ist es so weit gekommen, schrie sie in närrischer Freude, nun will ich zufrieden sterben, mein innigster Wunsch ist erfüllt. -- Schon lange hielt ich den Grafen Urbino für den einzigen Mann, der meines unvergleichlichen Fräuleins würdig ist, und nur Donna Victoria kann ein Herz, wie das des Grafen Urbino besitzen, sie allein hat Ansprüche auf seine Liebe.
Ich Ansprüche auf seine Liebe? wiederholte Victoria leise für sich. O Mathilde! -- Sie erinnerte sich jetzt lebhaft der Worte, die sie aus Mathildens schönem Munde gehört hatte, als sie diese wider ihre Absicht in Don Manuels Kirche belauschte. Welch einen Flecken entdeckte sie nun in Urbino's Character, wie schmerzlich war es für sie, bei ihm nicht jene Reinheit der Gefühle wiederzufinden, die sie an Hippolit so sehr bewundert hatte.
Dieser liebenswürdige Urbino, dachte sie, ist also so vielen seines Gleichen ähnlich, die mit Offenheit, Zartgefühl und Rechtlichkeit anscheinend prangen, und doch kein Bedenken tragen, ein unschuldiges Wesen zu betrügen, wenn es, ihren Schwüren trauend, an ihnen seine Zärtlichkeit verschwendet; er gehört also zur Zahl jener gewissenlosen, grausamen Jünglinge, die ohne Furcht gegen die Gesetze der Ehre zu verstoßen, unser Geschlecht mit falschen Schwüren hintergehn, die sich einbilden, daß sie die Menschheit nicht beschimpfen, wenn sie das Herz eines unerfahrnen, leichtgläubigen und empfindsamen Weibes betrügen.
Bald führte ihre großmüthige, edeldenkende Seele sie auf andere Gedanken.
Eure Hand und Euer Herz sind auch jetzt noch frei! hat er selbst mir gesagt. Wohlan, ich entsage dieser Verbindung, ich nehme das Gelübde, welches er von mir erhalten hat, zurück, damit mein tapferer Befreier den verhaßten Namen eines Meineidigen nicht verdienen möge. Die Dankbarkeit befiehlt es mir, ich muß über seine Ehre wachen, und verhindern, daß diese Ehre nicht durch die Thränen der unglücklichen Mathilde befleckt werde. Urbino weiß nicht, in welchem hohen Grade er mein Herz besitzt, ach, wenn er es wüßte, so wäre die liebenswürdige und unglückliche Mathilde ohne Rettung verlohren. Ich muß ihm meine Gefühle verbergen, nie darf er erfahren, wie theuer er mir ist, und eine ewige [muß] Trennung folgen; in Zukunft sollen Victoria und Urbino einander fremd sein. Ja, Urbino, Dein eigner Ruhm gebietet mir dieses Opfer. Ach, dieses Opfer überwiegt die Deinigen. Es ist beschlossen, bald darf ich Dich nicht mehr sehen; kehre in Dich zurück, folge dem Antriebe Deines ursprünglich guten und edlen Herzens, dann wirst Du über Deine Untreue erröthen, Dich Deiner ersten Schwüre erinnern, und auf den graden Weg der Tugend, die Deinen Begriffen nicht fremd ist, zurückkehren. Du wirst mit Deiner Mathilde glücklich sein, und ich, ein elendes, der Wehmuth und Trauer geweihetes Opfer, will mich in den Mauern eines Klosters begraben, und dort langsam mein trauriges Dasein enden.
Victoriens kaum aufgeblühetes Glück war schnell gestorben, diese wehmüthigen Betrachtungen marterten ihr armes Herz; ihre matten Augen waren in diesem Augenblicke ein treuer Spiegel ihrer Seele, und dem beobachtenden Urbino war ihre schwermüthige Stimmung, der sonderbare Widerspruch in ihrem frühern Benehmen auffallend. Er errieth, daß in ihrem Geiste, zu seinem Nachtheile eine schnelle Aenderung vorgegangen sein müsse; doch blieb ihm der Anlaß zu dieser Entstehung unerklärbar. Daß ihr der Zufall Mathildens Namen, ihre Existenz verrathen, ahnete er nicht, und schrieb daher nach langem traurig-peinlichen Sinnen, der Geliebten ängstliches Grübeln, ihr fortdauerndes Stillschweigen und ihr sorgfältiges Vermeiden seiner zärtlichen Blicke, dem Geheimnisse zu, das noch über seiner Person eine Dunkelheit verbreitete, die möglicherweise in dem Busen seiner so sehr gekränkten Gattin, Verdacht gegen seine Wahrheitsliebe und Offenherzigkeit aufgeregt haben konnten. Er hielt diese Auslegung für die richtige, und sie brachte seinen Entschluß zur frühen Reife.
Hochwürdiger, redete er den Pater an, es drängt mich, aus dieser ungewissen, lichtscheuen Lage, die mich ermüdet und martert, mich herauszuwinden; ich hasse alles, was einer Verheimlichung, einer Lüge ähndelt, die kleinste Verstellung ist mir unerträglich. Warum soll ich länger zaudern, warum nicht den Schritt beeilen, der alle Ungewißheit heben, und mich von einem Zwange befreien muß, der meine Aufrichtigkeit mit so drückenden Fesseln belegt? Meine Absicht war, wie ihr wißt, nicht eher das Kloster des heiligen Ludwig, bis nach der Ankunft der Signora Farinelli, die von Donna Victoria in Kurzem erwartet wird, zu verlassen. Ich habe jetzt meinen Plan geändert, und reise noch heute nach Rom ab. Ich bin ungeduldig, mich Victorien so zu zeigen, wie ich bin und immer sein werde. Verstellung und Zurückhaltung vertragen sich mit der Seele derjenigen, die stets mit Offenheit ihre Handlungen begleitet und Wahrheit auf ihren Lippen trägt, nicht; ich sehne mich nach dem Augenblicke, wo kein Umstand in meinem Leben, kein Gedanke, keines meiner Gefühle, das sie nicht billigen könnte, Victorien verborgen bleiben soll.
Welche Sprache! dachte Victoria, einen dem entschlüpfen nahen, tiefen Seufzer zurückhaltend. Wie viel Aufrichtigkeit in diesen Worten! -- Wie kann sein Gewissen seine Ungerechtigkeit gegen Mathilde verleugnen, und zu den Leiden, die er ihr bereitet, schweigen? --
Mit forschendem Blicke betrachtete sie Urbino's Augen, um vielleicht in ihnen den Ausdruck jener innern Stimme, welche der Mund nicht ungeahndet Lügen straft, zu entdecken. Urbino, auf alle ihre Handlungen achtsam, erhaschte im Fluge diesen zweifelsvollen, mistrauischen Blick, den er nicht misdeuten konnte und der sein Herz durchbohrte. Er sah sich verkannt, fühlte, daß Victoria einen ungerechten Verdacht auf ihn geworfen habe, und erröthete im Gefühle seiner Unschuld über das falsche Urtheil seiner angebeteten Gattin, deren Zutrauen er noch nicht hatte erringen können, weil sie noch immer in die Aufrichtigkeit seiner Worte Zweifel setzte. Alle Hoffnung, glücklich zu werden, verschwand, Thränen traten in seine Augen und tief betrübt richtete er seine traurigen Blicke auf die umherliegende Gegend.
Dieses Erröthen, diese zurückgehaltenen Thränen blieben auch Victoriens beobachtendem Auge nicht verborgen; sie fand in ihnen die Bestätigung ihrer Auslegung, und da sie immer an die verlassene Mathilde dachte, so konnte sie Urbino's beklommenes Wesen nur der unvermeidlichen Qual eines unruhigen Gewissens zuschreiben. Umsonst beeiferten sich der gute Pater und die fröhlige Rosalie, ihre traurigen Begleiter zu erheitern, und ihre Schwermuth zu zertheilen; es wollte ihnen nicht gelingen, den ganzen Weg über blieben sie Beide nur mit ihrem Grame beschäftigt, und nahmen an dem Gespräche nur geringen und gezwungenen Antheil.
Endlich kam man bei dem Kloster von Santa Margarita an. Die Priorin empfing Victorien mit aufrichtiger, herzlicher Gastfreundschaft, und drückte sie mit mütterlicher Theilnahme in ihre Arme, dann begrüßte sie nach klösterlicher Weise den Grafen Urbino, der in Gegenwart des Paters Anselm, ihre Freundschaft und ihren Schutz für eine zärtlich geliebte Gattin in Anspruch nahm, von der er sich auf einige Zeit zu trennen gezwungen sei, und die er dem heiligen Hause, das sie verwalte, zuversichtlich überliefere; er bat die Priorin mit so rührender Stimme, seine Victoria vor den Nachstellungen ihrer Feinde zu verwahren, er stellte ihr so dringend vor, daß er sie von ihr als ein anvertrautes Pfand zurückfordern werde, daß sie vom Himmel erwählt sei, bei der unschuldigen elternlosen Waise Mutterstelle zu vertreten, daß sein ganzes Glück in ihren heiligen Händen ruhe, er gern mit seinem Blute, mit reichen Spenden diesen Liebesdienst erkennen und belohnen werde; er schien so ängstlich, so besorgt und schwermüthig, daß seine Begleiter, auch die Priorin selbst, bewegt wurden, und diese mit den feierlichsten Versprechungen seine Wünsche, die ohnehin zu den Pflichten ihres heiligen Amtes gehörten, zu erfüllen gelobte.
Der Augenblick des Scheidens nahete, länger durfte Urbino im Nonnenkloster nicht verweilen; er fühlte, daß eine längere Zögerung seiner Standhaftigkeit gefährlich werden, seinen Entschluß erschüttern würde; er bot alle seine Geistesstärke auf, vergaß auf einen Augenblick die Empfindung seines heftigen Schmerzes, und ließ beim Abschiede nur seine Zärtlichkeit reden. Aber Victoria, eingedenk des gethanen wohlerwogenen Gelübdes, das sie auf ewig von dem geliebten Gatten riß, das ihr alle Hoffnung, ihn je zu besitzen, raubte, die starke Victoria unterlag dem schrecklichen Gedanken, ihn nie wiedersehn zu dürfen, und kaum behielt sie Fassung genug, seine Hand sanft aber krampfhaft zu drücken, und ihm mit bebenden Lippen und Thränen im Auge ein Lebewohl zu flüstern, das ihrer Meinung, ihrem Vorsatze nach, das Letzte sein mußte; als er nun hinaus wankte, und sich die schwarze Klosterpforte hinter ihm dröhnend schloß, da aber war ihre Standhaftigkeit erschöpft, eine Ohnmacht umnebelte ihre Sinne und leblos sank sie in die Arme der treuen Rosalie.
Als Victoria ihre Augen wieder öffnete, schlang sie von schmerzlicher Erinnerung ergriffen ihre Arme um den Hals der guten Rosalie, verbarg ihr Gesicht an des Mädchens Busen und erleichterte ihre Brust durch einen Strom von Thränen. Aber die Wunde ihres Herzens war nicht von der Art, daß sie Linderung hoffen durfte. Weder die zärtlichen Ermahnungen der achtungswerthen Priorin, noch die Freundschaft der theilnehmenden Nonnen, und die unaufhörliche Sorgsamkeit der mit ihr leidenden Rosalie, konnten sie nur auf einen Augenblick von dem Gefühle ihres Grams entfernen, oder ihr Zerstreuung gewähren; die Ruhe floh von ihr und ihre Augen fanden keinen Schlaf. Der Gedanke, von Urbino getrennt, auf immer von ihm getrennt zu sein, marterte unaufhörlich ihre kranke Seele und drückte den schmerzlichen Pfeil immer tiefer in ihr blutendes Herz. -- Aber die Billigkeit, die Ehre und Gerechtigkeit geboten ihr dieses Opfer, und sollte sie auch dem Uebermaaße ihrer Leiden unterliegen, so war sie doch fest entschlossen, ihre Pflicht zu erfüllen und ihm zu entsagen. Oft bat sie den Himmel mit heißen Thränen um seinen gattlichen Beistand, rief ihn im Gefühle ihrer Schwachheit um Hülfe an, damit er ihr Vorhaben stärke, ihr Kraft verleihe, es zu vollbringen, aber der Himmel schien taub bei ihren Bitten, und der göttliche Beistand, den sie bisher vergeblich nicht erfleht hatte, schien sich zum ersten Male von ihr abzuwenden.
Am andern Morgen benachrichtigte sie der Pater Peter, daß Urbino in Hippolit wieder umgestaltet, zwei Stunden nach seiner Rückkehr vom Kloster der heiligen Margarita, in Begleitung des Pater Anselm, der sich die Erlaubniß dazu ausgewirkt habe, und mit Thomas nach Rom abgereißt und daß die Herzogin, von ihren schändlichen Vertrauten Maratti und Bianka gefolgt, bald nach Victoriens Abreise vom Schlosse, heimlicherweise aus demselben verschwunden sei, ohne daß man wisse, welchen Weg sie eingeschlagen hätte; auch fügte der Pater hinzu: dem Vernehmen nach beabsichtigte der untröstliche Graf von Montfort, so schnell als möglich einen Ort zu verlassen, der ihn zu lebhaft an den erlittenen Verlust, den er nie verschmerzen könne, erinnere, und willens sei, sich nach England zu begeben, um dort sein Leben zu beschließen.
Noch an demselben Lage schickte der gütige Himmel Victorien eine Freundin, deren Besitz gewiß ihre geschwundene Ruhe zurückgeführt haben würde, wenn dieses auf irgend eine Art möglich gewesen wäre. Es war ihre zweite Mutter, die Signora Farinelli, welche sich bei ihrem Bruder aufgehalten, dort Victoriens Brief empfangen und sogleich Florenz verlassen hatte, um in ihres geliebten Zöglings Arme zu eilen.
Farinelli's Freude über die so sehnlichst gewünschte Wiedervereinigung ward beim Anblicke des Gesundheitszustandes ihrer geliebten Pflegetochter sehr gemäßigt. Obgleich sie die vorsichtige Priorin schon vorbereitet hatte, so übertraf doch die vorgegangene Veränderung ihre ängstliche Erwartung und erregte ihre theilnehmende Verwunderung. -- Sie hatte Victorien strahlend vom Glanze, mit welchem Schönheit die Blüthe der Jugend erhöhen kann, verlassen; sie sah sie blaß, mager, mit Augen, die von Thränen und Schlaflosigkeit erbleicht und verdunkelt waren, und in allen ihren Zügen den Ausdruck des tiefsten Schmerzes verkündigend, wieder. Ach, und sie kannte die Seelenstärke derjenigen, die sie gebildet und erzogen hatte, zu gut, um nicht richtig zu schließen, dass der Gram, welcher in so kurzer Zeit so schnelle, schreckliche Fortschritte machen, und so tiefe Spuren hinterlassen konnte, von keiner gewöhnlichen Art sein müsse.
Für Victorien war die Ankunft ihrer weisen Erzieherin ein Ereigniß, das allein nur geschaffen schien, ihr die verlohrne Standhaftigkeit, die sie vergeblich zu erringen gesucht hatte, wieder einzuflößen, und ihr traurendes Herz zu trösten. Der Unglücklichen wesentlichstes Bedürfniß von der Ursache ihrer Leiden sprechen zu können, hatte ja bis jetzt unerfüllt bleiben müssen; denn obgleich Rosalie einen Theil ihrer Freundschaft besaß, und diese ihr Zutrauen nie gemißbraucht haben würde, so konnte sich Victoria doch nie dazu entschließen, ihr Mathildens Namen zu nennen. Ein Name, der Urbino's Ehre mit einem Flecken verdunkeln, und die ihm gebührende Achtung schmälern konnte, war für Victorien ein Geheimniß, das sie in ihrem Herzen feierlich verschließen, und nur dem Busen einer Freundin anvertrauen wollte, die seit Jahren in ihrer Seele ungehindert gelesen und unbedingte Rechte auf ihr Zutrauen und ihre kindliche Liebe hatte.
Kaum war sie daher mit ihrer theuren Ursula allein, so wich sie den bestürmenden Fragen derselben und leerte in ihrer Brust den Becher ihres Grams bis auf den Boden, ohne der erfahrnen Matrone ihre Zweifel, ihren Entschluß und ihr Wanken zu verheimlichen, Victoriens vertrauliche Mittheilung erfüllte Ursula mit Bekümmerniß und brachte sie in peinliche Verlegenheit. Unbekannt mit Mathildens Schicksalen, ihren Ansprüchen und ihrem Charakter, ausser Stande die Bewegungsgründe von Urbino's Betragen zu erklären, wagte sie nicht, ihn weder zu verdammen, noch zu seiner Vertheidigung das Wort zu reden. Sie wollte ihrem geliebten Zöglinge nicht mit ungewissen trüglichen Hoffnungen schmeicheln; aber sie fand auch in der Entdeckung und der daraus hergeleiteten Vermuthung nichts augenscheinlich Ueberzeugendes, was den raschen Entschluß ihrer lieben Victoria billigen und erfordern könnte. Alles, was sie von Urbino wußte, was sie aus Victoriens Munde von ihm hörte, bewieß nach ihrer Ansicht, daß die Liebe dieses Jünglings zu Victorien seine erste und uns getheilte Neigung sei, daß diese so wahre, reine, auf gegenseitige Achtung gegründete und über alle Prüfungen erhabene Liebe, alle Andeutungen besaß, durch welche eine edle, dauerhafte und tugendsame Leidenschaft sich offenbart, und daß endlich in allen Verhältnissen, wo Urbino nach seinem Gefühle frei, und von den geheimnißvollen unerklärbaren Banden ungehindert, handeln konnte, er sich stets so aufrichtig, treu, großmüthig und den Vorschriften der Ehre angemessen, gezeigt hatte, daß es unmöglich blieb, Zweifel in seine Rechtlichkeit zu setzen. Sie mußte daher nach allen reiflichen Zusammenstellungen und Schlüssen auf den Gedanken gerathen, daß Victoria im Augenblicke der Angst und Wallung ihres Bluts die Worte aus Mathildens Munde verhört haben müsse, und äußerte diese Vermuthung gegen Victorien.
Nein, nein, antwortete diese, ich habe jene unseligen Worte nur zu gut gehört und verstanden; unaufhörlich klingen sie in meinem Ohr, ich kann sie nie vergessen. Ihr Sinn ist klar und kann zweierlei Deutungen nicht unterliegen. Die unschuldige, leichtgläubige Mathilde schenkte ihm, im Vertrauen auf seine Ehre ihre ganze Zärtlichkeit, beweint ihn und erwartet in peinlicher Ungeduld seine Rückkehr. Der Beweis seiner Untreue ist auffallend und vollständig, der Himmel selbst hat mich im Gewande des Zufalls zur Ueberzeugung hingeleitet. Ach, und es bedurfte dieser herben Ueberzeugung, um den Schleier von meinen Augen zu reißen, solch eine hohe Meinung besaß ich von seinen Tugenden, meine Bewunderung war ohne Gränzen. Ohne Zweifel liebt er mich; ich müßte unbillig, thörigt oder blind sein, wenn ich nur einen Augenblick an seiner glühenden Neigung zweifeln könnte. Kann mich aber diese Liebe beglücken, kann ich meine Achtung einem Jünglinge schenken, der das Zutrauen, was er erschlichen, misbraucht; der seiner geleisteten Versprechungen spottet, der bei den Thränen, die durch ihn fließen, bei den Qualen, die er selbst erzeugt, gefühllos bleibt, und ein Dasein, das ihm einzig und allein geweihet wurde, unendlichen Leiden preis giebt? Ist Urbino der Gatte, mit welchem ich auf die ganze Dauer meines Lebens verkettet, ein eheliches Glück hoffen dürfte, den ich achten, ehren und lieben könnte? Sagt es mir, meine gute, theure Mutter, würdet Ihr hierin Eure Victoria erkennen, würde sie auf diese Art sich Eurer und Eurer weisen Lehren würdig zeigen? Ach, wenn Ihr wissen, wenn Ihr es begreifen könntet, welche Herrschaft er sich über mein schwaches Herz zugeeignet hat, wie unaussprechlich glücklich ich durch seinen ungetheilten Besitz geworden wäre! Aber mein Glück trug seine Vernichtung in sich; es ist vorüber, für mein Herz giebt es keinen Frieden, für meine Tage und meine Nächte keine Ruhe mehr, und nur im Grabe kann ich das Ziel meiner Leiden erringen.
Ursula's Klugheit und Zärtlichkeit zeigten ihr kein Mittel, ein so tiefliegendes, schmerzliches, langsam nagendes Uebel zu heilen, sie fürchtete, daß die so manchen Drangsalen und harten Prüfungen widerstandene Gesundheit ihrer Victoria, den schrecklichen Wirkungen des heimlichen Grams unterliegen könnte. Doch schien die Krankheit als geistiges Uebel, bis jetzt der herrlichen Körperbeschaffenheit, womit die Natur ihre Pflegetochter beschenkt hatte, noch mit keinen ernsthaften und gefährlichen Angriffen geschadet zu haben. Die Blässe ihres Gesichts, die Mattigkeit ihrer Augen und die Veränderung ihrer Stimme waren die einzigen Symptome, welche die innerlichen Leiden ihrer Seele verriethen, und den langsamen und stufenweisen Verfall ihrer Gesundheit ankündigten. Mit Ungeduld erwartete Ursula die Ankunft des weisen Alberti, den sie nach Rom zu schicken beschloß, damit er Urbino zur Rede stellen, ihn über Mathilden befragen, die nähern Umstände dieser unglücklichen Verbindung erfahren, und sie in den Stand setzen könnte, ihre hinwelkende geliebte Victoria von den Qualen der Ungewißheit zu befreien, die grausamer und verheerender bei ihr wirkten, als die trübseligste Wahrheit.
Aber ein Tag verstrich nach dem andern und Alberti erschien nicht, auch war Victoria bis jetzt noch immer ohne Nachricht von Urbino, der sogleich zu schreiben versprochen hatte, geblieben; zu dieser beunruhigenden Stille gesellte sich nun ebenfalls der unbegreifliche Umstand, daß auch der junge Graf Ariosto nichts von sich hören ließ. Endlich als selbst die gelassene Priorin, so reich an Trostsprüchen, die Geduld verlohr, und über das Schicksal ihres Bruders, des Paters Anselm, der mit Urbino fortgezogen war, und wie jener nicht geschrieben hatte, besorgt zu werden anfing, gerieth die Signora Farinelli, von dem leidenden Anblicke der harmvollen Victoria und der wachsenden Aengstlichkeit der Priorin täglich mehr gefoltert, auf den Einfall, Diego, der von seiner Krankheit wieder genesen war, und bis daher im Kloster des heiligen Ludwigs seinen Aufenthalt gehabt hatte, nach Rom abreisen zu lassen, um den Grafen Urbino, den er aber nur als den Neger Hippolit kannte, weil ihm die schnell wieder geschwundene Verwandelung desselben nicht vertraut war, dort aufzusuchen.
Den Tag vor seiner bereits festgesetzten Abreise befand sich Victoria mit Ursula und Rosalien in ihrem Zimmer, als eine Layenschwester hereintrat und die Signora Farinelli: zur Priorin rief. Ursula folgte sogleich; ihre Abwesenheit verzögerte sich aber so bedeutend, daß Victoria, zur Besorgniß geneigt, Rosalien zu ihr schickte, um sich nach der Ursache ihres ungewöhnlichen Verweilens zu erkundigen. Da inzwischen auch Rosalie nicht wieder zurückkehrte, so konnte die unglückliche Gattin Urbino's, deren beängstigte Fantasie irgend eine schreckliche Kunde von dem Gegenstande, der sie ausschließlich beschäftigte, weissagte, ihrer Ungeduld nicht länger Schweigen gebieten; sie ging also mit bebenden Schritten zum Sprachzimmer der Priorin hinab, und öffnete leise und schüchtern die Thür.
Zuerst erblickte ihr Auge ihre beiden Gefährtinnen und die Priorin in Thränen und Bestürzung; doch noch ehe sie die Ursache ihrer Betrübniß erfahren konnte, zeigten ihr durch das Sprachgitter des treuen Thomas Gestalt und seine Gebärden, alles was sie zu fürchten hatte. In Verzweiflung ging dieser mit unruhigen Schritten am Gitter auf und nieder, schlug an seine Brust, rang die Hände und dicke Thränen liefen an seinen braunen Wangen herab.
Bei diesem Anblicke wachten die schrecklichsten Ahnungen in Victoriens Seele auf, aber dennoch blieb ihr Geist stark und das Uebermaas von Unglück oder von Gefahr, die ihr Thomas Erscheinung zu hinterbringen drohete, erweckte sogleich ihren Muth. Sie sammelte sich, erzwang Fassung und sprach mit äußerlicher, Standhaftigkeit: Redet, Thomas, verschweigt mir von der entsetzlichen Nachricht, die Ihr zu verkünden gekommen seid, nichts. Ich ahne, Urbino ist entweder todt, oder in der Gewalt seiner Feinde?
Sobald Thomas ihre Stimme hörte, erschrack er, näherte sich laut schluchzend dem Gitter und antwortete jammernd: Ach, beste Signora, es ist ja leider nur zu wahr, die Unmenschen haben auf unserer Reise den guten, tapfern Hippolit mit dem Sennor Don Sebastian und den Pater Anselm rein weggekapert. Alle drei sind der höllischen Banditenrotte in die Hände gefallen.
Erzählt mir alles, sagte Victoria mit einem Seufzer, und ergriff eine Eisenstange im Gitter, um sich zu halten. Vergeßt ja keinen Umstand, lebt Hippolit noch, kann ich ihn retten?
Die Priorin und Ursula betrachteten Victorien mit Ehrfurcht und Bewunderung. Eine himmlische Begeisterung schien ihnen diese seltene, außerordentliche Standhaftigkeit, sie hütheten sich, solche zu unterbrechen, und ohne ein Wort zu reden, ließen sie Victorien in der angenommenen Stellung, worin sie auf jedes Wort, das aus Thomas Munde ging, ängstlich lauschte, und für die Gegenwart ihrer Freundinnen und ihre Theilnahme unempfindlich zu sein schien. Ungeachtet der Undeutlichkeit und der Verwirrung, die in des ehrlichen Matrosen Erzählung und seiner Art, sich in einer fremden, halb erlernten Sprache auszudrücken, herrschten, erhielt sie doch über die unglückliche Begebenheit nachstehende Aufklärung:
Urbino und der Pater Anselm hatten sich in Thomas Begleitung in Nizza eingeschifft und waren bald darauf zu Pisa gelandet, um sich von dort aus nach Rom zu begeben. In dieser Stadt erwarteten sie den Wagen, der sie dem Ziele ihrer Reise zuführen sollte, als sie auf dem Hofe des Wirthshauses, wo sie verweilten, den Sennor Sebastian und Franzisko ankommen sahen. Ueber dieses wunderbare Zusammentreffen nicht wenig erstaunt, eilte ihnen Hippolit freudig entgegen, und obgleich ihre Verwunderung nicht geringer war, sie den Jüngling auch mit herzlichen Umarmungen willkommen hießen, so schimmerte doch tiefe Betrübniß und eine gewisse Aengstlichkeit aus ihren Zügen hervor. Mit dem Pater Anselm begaben sie sich nun in ein Zimmer der Schenke und es fand eine Unterredung statt, der Thomas nicht beiwohnte; bald darauf sah er aber Franzisko mit Hippolit heraustreten, und vernahm im Vorübergehen von ihrem Gespräche so viel, daß dem Letztern von Franzisko eine traurige Nachricht mitgetheilt worden, über welche Hippolit in lebhafte Unruhe gerathen zu sein schien. Beide eilten mit raschen Schritten nach dem Hafen, um ein seegelfertiges Schiff auszuspüren, kehrten sodann zurück und nach einigen Augenblicken schifften sich alle wiederum ein und steuerten der Küste Spaniens zu.
Am Bord erfuhr Thomas aus den häufigen Unterredungen seiner Reisegefährten, der Zweck ihrer schnellen Reise, sei wo möglich eine junge Dame, Mathilde genannt, die Don Manuel wärend Franzisko's Abwesenheit geraubt habe, den Händen dieses Räuberchefs wieder zu entwinden. Ihr letztes Hülfsmittel zur Erreichung ihres Vorhabens war auf Anrathen des Pater Anselm, Zuflucht zur Inquisition zu nehmen, doch wollten sie diese ausserordentliche Maasregel nur in der äußersten Nothwendigkeit in Anwendung bringen, weil Franzisko seiner Macht im Schlosse und seinen geheimen Verbindungen vertraute, und auch ohne Einwirkung dieses schrecklichen Gerichts Mathilden aus Don Manuels Gewalt zu befreien hoffte. Wärend der Ueberfahrt schien Hippolit betrübter und unruhiger als Don Sebastian und selbst Franzisko, unter dessen Schutze Mathilde sich befunden hatte. Oft wehklagte er laut, beschuldigte sich, die Ursache ihres Unglücks zu sein, und dieser Gedanke folterte ihn so unbarmherzig, daß er ihn der Verzweiflung nahe brachte. Im heftigsten Schmerze blieb das Tuch, mit welchem Victoria beim nächtlichen Kampfe Thomas Wunde verbunden Siehe Seite 297 des ersten Bandes. und das Hippolit im Gefängnisse von dem guten Matrosen auf seine Bitten erhalten hatte, sein einziger Trost, das einzige Mittel, ihn zu beruhigen, seine sinkende Standhaftigkeit mit neuer Stärke zu beseelen und ihn vor den Anfällen der Verzweiflung zu schützen. Zu diesem Talisman nahm er seine Zuflucht, so oft der Schmerz seine Vernunft zu besiegen drohete; dann zog er es hervor, drückte es an seine heißen Lippen und betrachtete es lange Zeit mit gerührten Augen, die sich zuletzt mit Thränen füllten.
Ohne Unfall lief das Schiff in den Hafen von Rosas, wo sie Franzisko verabredetermaßen verließ, ein. Auf seinen Rath vertauschten sie ihre Kleidung mit dem Mönchsgewande; Hippolit verbarg sein schwarzes Gesicht in der Kapuze, und unter dieser Verkleidung begaben sie sich auf den Weg, um Franzisko wieder aufzusuchen, der vorausgeeilt war, und sie in seiner zu Don Manuels Schlosse gehörigen Höhle, wo er seine Zelle hatte, erwartete.
Von den Vermummten war Hippolit der einzige, welcher den Theil der Waldung, wo Franzisko's Grotte gelegen war, und den Weg, der zu ihr führte, kannte; aber von seiner düstern Schwermuth und dem Drange, die Geraubte zu befreien, geleitet, vernachlässigte er die nöthige Vorsicht, verfehlte den rechten Weg, schlug einen entgegengesetzten Pfad ein, und verirrte sich mit seinen Begleitern dergestalt in den dunkeln, labyrinthischen Krümmungen der dichten Waldung, daß er, ungeachtet seiner Bemühungen, Franzisko's Felsenwohnung nicht aufzufinden vermogte.
Die Nacht überfiel die ermüdeten, und über diesen Unfall äußerst verstimmten Wanderer noch in eben der Verlegenheit, sie zweifelten jetzt, daß es ihrem Führer gelingen würde, den rechten Pfad in der schwarzen Finsterniß aufzufinden, und da sich von allen Seiten hungrige Wölfe heulend hören ließen, und sie einen Angriff von ihnen befürchten mußten, so beschlossen sie am ersten sichern Orte zu verweilen und bis zum kommenden Morgen ihre beschwerliche Wanderschaft zu verschieben. Glücklicherweise entdeckten sie bald darauf die ärmliche Hütte eines Ziegenhirten, baten um Aufnahme und Nachtlager, und wurden als Diener des Herrn mit Gastfreundschaft empfangen. Thomas war der einzige, der einer Anwandlung von Müdigkeit nicht widerstehen konnte; der mitleidige Ziegenhirt zeigte ihm bereitwillig unter einem an die Hütte angebaueten Schuppen eine Schlafstelle, Thomas warf sich auf das Strohlager und war auch im Augenblicke fest entschlafen. Aber bald erweckte ihn des Hirten Hülfgeschrei, er erinnerte sich im ersten Augenblicke des Erwachens, den Huftritt eilender Rosse im Walde gehört zu haben. Mit einem von Angst verzerrten Gesichte erzählte ihm sein Wirth, dass, als er im Gespräche mit den andern Mönchen um ein brennendes Bündel Holz gesessen habe, die Thür von einem zahlreichen und wohlbewaffneten Räubertrupp gewaltsam aufgebrochen sei, daß die Räuber über seine Gäste hergefallen wären, sich ihrer, ungeachtet der löwenmäßigen Vertheidigung des jüngern Mönches, bemächtigt, und sie gebunden fortgeschleppt, ihn aber wärend des Tumults gehalten, und durch Mishandlungen so wie gräßliche Drohungen verhindert hätten, ihnen weder beizustehen, noch um Hülfe zu rufen.
Ohne zu überlegen was für ihn daraus entstehen konnte, wollte der tollkühne Thomas in seiner Bestürzung den Spuren der Räuber im raschen Laufe folgen, und Don Manuels verstecktes Räubernest aufsuchen, wohin man seine unglücklichen Reisegefährten unbezweifelt geschleppt haben mußte, doch der klügere und besonnenere Ziegenhirt bewieß ihm das gewagte und tollkühne eines solchen unnützen Unternehmens, und machte ihm endlich begreiflich, daß es heilsamer für ihn und vortheilhafter für seine Freunde sein müsse, er auch diesen wesentlichere Dienste würde leisten können, wenn er seine Freiheit und sein Leben erhielte, welche er doch unfehlbar verlieren würde, sobald er den Räubern in die Hände fiel. Thomas fand seines Wirths Rath vernünftig; es fiel ihm ein, daß er auf dem Schiffe die Macht der heiligen Inquisition habe rühmen gehört, und dieses brachte ihn auf den Einfall, ihre Unterstützung anzurufen; als er aber reiflicher über die Ausführung nachdachte, schien es ihm doch um so räthlicher, verständigern und unterrichtetern Leuten die Sorge zu überlassen, diese dringende Angelegenheit auf's zweckmäßigste zu betreiben, als ihm überhaupt jenes furchtbare Gericht nur dem Namen nach bekannt war. Da nun natürlicherweise Niemand an des unglücklichen Hippolits Schicksal größern Antheil nehmen konnte, als die Donna Victoria, so hatte er es für seine Pflicht gehalten, ihr den Vorfall in möglichster Schnelligkeit zu berichten, war noch vor Tages Anbruch von dem guten Ziegenhirten auf den Weg nach Rosas geführt worden, hatte dort auf einem Schiffe von dem mitleidigen Patron, unter der Bedingung Matrosendienst verrichten zu wollen, freie Ueberfahrt erbeten, mit günstigem Winde Nizza erreicht, und war, als er ans Land gestiegen, ohne sich aufzuhalten nach dem Kloster der heiligen Margarita gelaufen.
Thomas beschloß seine Erzählung mit tausend Verwünschungen gegen Mathilden, die er eine gefährliche Sirene nannte, und allen Teufeln der Hölle überlieferte, weil sie, wie er sich ausdrückte, die Männer anderer Frauen in ihre schändlichen Netze lockte, und auf diese verrätherische Weise Hippolits Pläne habe in dem Augenblicke scheitern lassen, als er im Begriff gewesen sei, den Hafen der Glückseligkeit zu erreichen.
Urbino's Gefahr und die Mittel ihn zu retten, waren jetzt die einzigen Gedanken, welche Victorien beschäftigten. In der kunstlosen Erzählung, die sie aus Thomas aufrichtigem Munde vernommen hatte, war manches, was ihr Herz empfindlich verwundete und den Glauben an Hippolits Treue und Rechtlichkeit, welchen Ursula's Ermahnungen und Ueberredungskunst bei ihr aufgeregt hatten, mächtig erschütterte. Sie hatte warlich nicht erwartet, daß ihr Gatte noch so großen Antheil an Mathildens Schicksal nehmen würde, um sogleich ein Vorhaben aufzugeben, von welchem, seinen eignen Worten nach, das Glück seines Lebens abhängig war; und daß ihn Mathildens Gefahr so tief erschüttern würde, daß er bei dieser Gelegenheit die ihm so eigne Standhaftigkeit und bewunderungwürdige Geistesgegenwart verlieren konnte. Victoria besaß im hohen Grade reizbare Empfindlichkeit, die Aussteuer ihres Geschlechts; zu gleicher Zeit war sie aber auch mit einer Seelenstärke und Entschlossenheit begabt, die nur wenigen Männern von der Natur zu Theil geworden ist; daher ward dieser üble Eindruck bald verwischt, und mußte der einzigen, wichtigen Betrachtung, die jetzt alle Eigenschaften ihres Geistes fesselte, weichen.
Hochwürdige Frau, sprach sie, ihre traurigen Blicke auf die Priorin richtend, Thomas Schreckensbothschaft verwundet uns Beide. -- Euer Bruder und mein Gemahl schweben in gleicher Gefahr, wir müssen den einen wie den andern retten, oder sie sind Beide auf ewig für uns verlohren. Ich weiß, welchen großen Einfluß, wie viel Gewalt der Prior vom Kloster des heiligen Ludwigs besitzt; gelingt es Euch, ihn dahin zu vermögen, daß er zu unserm Vortheile alle die Mittel, die ihm zu Gebote stehen, anwendet, so dürfen wir noch nicht verzweifeln. Nur die Waffen der heiligen Inquisition allein, können die Pforten von Don Manuels unsichtbarem Schlosse öffnen, und mit ihrer Hülfe können wir vielleicht den Ungeheuern ihre unschuldigen Opfer entreißen. Aber kein Augenblick darf verlohren gehn. In dieser Stunde schmachten unsere unglücklichen Freunde in einem scheußlichen Kerker, und sind alle den Qualen ausgesetzt, die der unversöhnlichste, rachsüchtigste Haß, die unersättlichste Grausamkeit nur erfinden kann, um ihre Foltern zu verlängern. Die kleinste Verzögerung von unserer Seite würde strafbar und unverantwortlich sein. Dieserhalb bin ich entschlossen, mit dem mächtigen Beistande der Mönche des heiligen Ludwigs gerüstet, und von meinen treuen Freunden Diego und Thomas begleitet, noch in der kommenden Nacht nach Spanien abzureisen.
Ihr, meine Victoria! schrie die Signora Farinelli in tödlicher Angst, in diesem Zustande wolltet Ihr reisen?
Meine verehrte Freundin, meine zweite Mutter, erwiederte Victoria mit fester entschlossener Stimme, Ihr wißt, ich habe mich jederzeit von Eurem weisen Rathe leiten lassen, ich habe Eurer zärtlichen Freundschaft nie etwas verweigert, aber alle meine Folgsamkeit, alle meine Hochachtung und Anhänglichkeit für Euch, können in meinem Entschlusse nichts ändern; er ist unerschütterlich. Ich bin Urbino's Gattin, und so lange ich diesen Namen führe, will ich auch die damit verbundenen Pflichten erfüllen, und meine erste Pflicht ist jetzt, das Leben meines Gemahls zu retten. Meine Gesundheit kann hier kein Hinderniß sein, denn ich fühle zu gut, wenn ich in diesem Augenblicke dem Antriebe meines Herzens und der Stimme meines Gewissens widerstreben wollte, so würde dieser widernatürliche, strafbare Zwang mir das Leben kosten. Im Gegentheil, von meiner Pflicht aufrecht erhalten, von der Hoffnung beseelt, werde ich bald die zu meinem Vorhaben nöthige Kraft und Gesundheit wieder erlangen, auch vielleicht, wenn mich die Vorsehung zu unterstützen würdigt, einst noch das verlohrne Glück wiederfinden.
Ursula entgegnete nichts. Victoriens Sprache und ihr Benehmen waren zu bestimmt, in ihrem Auge lag so viel verklärtes und überirrdisches, daß alle Gegenrede hier unnütz werden mußte; auch konnte ihre Erzieherin nicht umhin, ungeachtet ihrer Klugheit und Erfahrung, die Kraft in Victoriens Ueberzeugungs-Gabe zu bewundern, und ihr zu huldigen. Sie enthielt sich aller Einwendungen und alles, was sie zu ihrer eignen Beruhigung thun konnte, war, sich gleichfalls zu entschließen, ihre Pflegetochter nicht zu verlassen und sie bei dieser gefahrvollen Unternehmung zu begleiten.
Ohne Zaudern unterrichtete die Priorin das Kloster des heiligen Ludwigs von der erhaltenen traurigen Nachricht, und lud die achtbarsten der Mönche und vorzüglich diejenigen, welche ihr in dieser wichtigen Angelegenheit mit ihrem Ansehn und ihren Einsichten von Nutzen sein konnten, zu sich ein. Dann rief sie die Schaar der Nonnen ins Chor, und ordnete außergewöhnliche Betstunden an, die neun Tage fortgesetzt werden sollten, um vom Himmel die glückliche Befreiung des Paters Anselm und feiner beiden Unglücksgefährten zu erbitten.s
Die Unglücksbothschaft verursachte im Kloster des heiligen Ludwigs allgemeine Bestürzung. Der Pater Anselm hatte sich sowohl durch seine Weisheit als seine Tugenden große Achtung im ganzen Orden erworben; das Kloster zu dem er gehörte, hielt es für eine Ehre und besondere Gunst des Himmels, ihn zu der Zahl seiner Mitbrüder zu zählen. Vornehmlich schätzte ihn der Prior sehr und liebte ihn wie seinen Bruder. Auch dieser Prior stand bei der Kirche in hoher Achtung; ein naher Anverwandter von ihm saß in damaliger Zeit auf dem päpstlichen Stuhle, und zwischen beiden fand ein regelmäßig fortgesetzter Briefwechsel statt. Dieser schätzbaren Verbindung verdankte er einen bedeutenden, wiewol geheimen Einfluß bei der Brüderschaft der heiligen Inquisition; er war es, der im Auftrage des Papstes ihr Verfahren, so wie ihre wichtigsten Verordnungen leitete, und durch seine Vermittlung ließ der heilige Vater diesem gefürchteten und heimlichen Tribunale seine besonderen Instructionen zugehen. Man darf also hiernach wol annehmen, daß der Prior von St. Ludwig nach Gutdünken mit der Macht der heiligen Inquisition schaltete; da er aber eben so tugendhaft als aufgeklärt war, so nutzte er diesen Einfluß nur dazu, große Uebel zu verhüthen, und suchte ihn nur deshalb zu erhalten, damit er nicht in andere weniger vorsichtige Hände gerathen mögte, die ihn vielleicht gemisbraucht hätten. Jetzt konnte er nun gewiß sein Ansehn und seine Macht nicht nützlicher und würdiger in Wirksamkeit setzen, als daß er sie zu Gunsten seines unglücklichen Freundes gebrauchte, und dieses Mal dienten die schrecklichen Waffen der Inquisition der Religion und der ganzen Menschheit, indem sie der Gesellschaft und der Kirche einen ehrwürdigen Geistlichen wiedergaben, dem eine Räuberhorde auf die schändlichste Weise die Freiheit geraubt hatte. Auch wurde es dem Prior nicht schwer die Einmischung des heiligen Offiziums in eine Angelegenheit dieser Art zu erhalten. Das allgemein verbreitete Gerücht erzählte von dem Schlosse in den Pyrenäen, es sei früher von den Mauren bewohnt gewesen und verberge noch in diesem Augenblicke eine Rotte von Heiden und Ungläubigen; und aus alle dem, was die Bewohner der umherliegenden Gegend von den entsetzlichen Geheimnissen der schrecklichen Felsenburg wußten, ging hervor daß man in ganz Catalonien die Räuber als bösartige Zauberer fürchtete, die einen verruchten Umgang mit den Mächten der Hölle unterhielten.
Nachdem nun der Prior von St. Ludwig seinen Plan überdacht und geordnet, begab er sich sogleich nach dem Kloster der heiligen Margarita, um sich von den nähern Umständen der Entführung genau in Kenntniß zu setzen und über die Mittel der Ausführung Rücksprache zu nehmen. Ihn begleiteten außer dem Pater Peter noch zwei andere Mönche des Klosters, der Pater Leonhard und St. Romain, deren Muth und Eifer für die gute Sache ihm bekannt waren; auch versäumte er nicht, den braven Diego, der von großem Nutzen sein konnte, dorthin zu senden.
Nach reiflicher Ueberlegung, bei welcher auch Diego zugelassen ward, und wo dieser mehrere weise Vorschläge entwickelte, und über manches Wichtige Aufklärung gab, beschäftigte man sich sogleich damit, nach dem entworfenen Plane zu handeln.
Schon am andern Morgen vor Tagesanbruch reiseten Victoria und ihre weibliche Begleitung Ursula und Rosalie, die drei Mönche, Pater Peter, Leonhard und St. Romain, und der herzhafte Diego mit Thomas, alle in Pilgrimms Kleidung, nach Nizza ab, schifften sich dort auf einem nach Rosas bestimmten Fahrzeuge mit gutem Winde ein, und erreichten diesen Hafen am Ende einer kurzen Ueberfahrt. Sobald sie das Land betraten, zeigten die Ordensgeistlichen von St. Ludwig der heiligen Inquisition in Gerona sogleich den Zweck ihrer Reise und Ankunft in Spanien an.
Die geheimnisvollen Briefe, mit welchen sie der Prior versehen hatte, und die sie unverzüglich dem Patriarchen daselbst überschickten, waren in so bündigem und kräftigen Styl abgefaßt, daß sie sogleich alle heimlichen Triebfedern der furchtbaren Brüderschaft in Bewegung setzten, und selbst die guten, in diese Geheimnisse nicht eingeweiheten Mönche, erstaunten über die Schnelligkeit, mit welcher die Befehle ertheilt, und die unermüdete Thätigkeit, mit der sie befolgt wurden. In wenigen Tagen war eine bedeutende Macht versammelt und mit allem Nöthigen versehen, obgleich die Familiare der Inquisition, aus denen sie bestand, mit einfachen Mönchsgewändern bekleidet waren, um jedem profanen Auge ihr Treiben und ihre Absichten sorgfältig zu verbergen.
Es ward nun beschlossen daß Victoria mit ihrer weiblichen Begleitung unter besonderm Schutze der geistlichen Gewalt in Rosas zurückbleiben, die Mönche vom Kloster des heiligen Ludwigs aber, so wie Diego und Thomas die furchtbare Gesandschaft nach Don Manuels Schlosse begleiten sollten. Diego war es, den man dazu vermogt hatte, den Weg dahin zu zeigen und Mittel zu liefern, in die verborgene, bisher unzugängliche Räuberhöhle einzudringen, aber er hatte diesen Auftrag nur unter dem feierlichen Versprechen von Seiten des Pater Peter übernommen, daß es ihm erlaubt sein dürfe, die Flucht Don Manuels zu begünstigen, auf den Fall, daß solcher sich im Schlosse befände.
Zur bestimmten Stunde, mit dem Anfange der Nacht setzte sich die fürchterliche, zur Geißel des Verbrechens gestiftete Brüderschaft, die aber nur zu oft auch das Schrecken der Unschuld ist, langsam in Bewegung; diejenigen, welche erwählt waren, diese wichtige Unternehmung zu leiten, gingen an ihrer Spitze. Ohne Vorwissen aller, mit Ausnahme des treuen Thomas allein, hatte indeß noch Jemand Mittel gefunden, sich dieser geheimnißvollen Heerschaar beizugesellen, und in ihre Glieder einzuschleichen. Victoria war es; ihr edler Drang, den eingekerkerten Gemahl befreien zu helfen, für sein Wohl ihr Leben zu wagen, und alle Gefahren zu theilen, hatte ihr nicht erlaubt zurückzubleiben. Sie war ihren beiden ahnungslosen Gefährtinnen, wärend diese fest schliefen, leise entschlüpft, und ohne einen andern Vertrauten als den ehrlichen Thomas zu besitzen, in einem Mönchsgewande, das ihr dieser treue Diener zu verschaffen gewußt hatte, verhüllt, schmiegte sie sich dieser schrecklichen Prozession in dem Augenblicke an, wo man die Waldung erreicht hatte. Ihr sorgsamer Vertrauter wich nicht von ihrer Seite; oft hielt sie sich an seinem sichern, starken Arme, und auf diese Art gelang es Urbino's muthiger Gattin, die Beschwerlichkeiten und Gefahren dieses mühsamen, holprigen und mit Gestrippe bewachsenen Pfades, der oft an tiefen Abgründen vorüberführte, zu überwinden. Furchtlos schritt sie über Hohlwege und Abgründe, erklimmte Felsen und durchwatete Moraste; das Gefühl ihrer Pflicht beseelte sie in diesen Drangsalen und die Hoffnung stärkte sie.
Nach langer ermüdender Wanderschaft befand man sich am Fuße einer steilen Felsenwand, deren Gipfel man mit der größten Anstrengung und Schwierigkeit endlich erstieg; von hieraus kletterte man in eine ungeheure Höhle hinab, deren vielfache Krümmungen ein so verworrenes Labyrinth bildeten, daß aus ihm der Wanderer ohne Hülfe des erfahrnen Führers, der an der Spitze des Trupps stand, nie den Ausgang gefunden haben würde. Das Ende dieser gewundenen Höhle verschloß eine feste eiserne, mit scharfen Stacheln übersäete Wand, die keine Spur einer Thür zeigte, aber auf einen einfachen Druck von Diegos starker Hand, der mit dem Geheimnisse bekannt war, sich rasselnd trennte und beide Flügel an die Felsenmauer lehnte. Diese furchtbare Wand führte in eine lange enge Schlucht zwischen hohen Felsenmassen, die sich an einem tiefen schrecklichen Abgrunde endete, in welchem sich von den Felsen herab mit betäubendem Rauschen ein ungestümer Waldstrom stürzte, dessen kochenden Wellen den Rand des Abgrundes bespritzten und diejenigen mit dickem, weißen Schaume bedeckten, welche sich dem Schlunde näherten. Bei diesem Anblicke traten die sonst unerschrockenen Familiare der heiligen Inquisition vor Entsetzen zurück; und da es ihnen ein Ding der Unmöglichkeit schien, den verschlingenden Abgrund bis zum gegenseitigen, gleichwol nahen Felsen-Ufer passiren zu können, so zweifelte keiner, daß ihr Führer Diego nicht irre gegangen sein müsse, indem er sie an einen so schrecklichen Ort geleitet habe, wo ihnen die Natur ein Hinderniß in den Weg warf, das sie unausgerüstet nicht übersteigen konnten. Diego errieth ihre Gedanken, weidete sich einige Augenblicke an dem Erstaunen auf ihren bleichen Gesichtern, näherte sich dann einem der Felsen, die den Abgrund einschlossen, ergriff einen eisernen in der Höhlung des Steins verborgenen Ring und zog ihn mit beiden Händen an sich. Alsbald entstand ein fürchterliches Gerassel von Ketten und dieses, von den in den Bergen nistenden Echos hundertfältig wiederholte schauerliche Getöse, betäubte vor Entsetzen die unerschrockensten Inquisitoren und machte ihr Blut erstarren. Jeder stand in banger Erwartung, die Ursache des unbegreiflichen Gerassels nach seiner Auslegung deutend, und in dem Führer den Verräther fürchtend; da stieg unter den Füßen der Erschrockenen langsam und majestätisch eine breite eiserne Brücke hervor, schob sich, von dem verborgenen Mechanismus getrieben, langsam vorwärts, und legte ihr äußerstes Ende auf des Abgrundes entgegengesetzten Rand. Unter Diego's Anführung eilte der ermuthigte Trupp staunend hinüber, und gelangte endlich, nachdem er noch einige andere kunstreich angelegte und nicht weniger geheimnisvolle Hindernisse mit Diego's Hülfe, der den Schlüssel dazu besaß, glücklich überwunden hatten, unter den Wölbungen jenes gefürchteten Schlosses an, das so lange Jahre schon das Schrecken und die Zuchtruthe Cataloniens gewesen und allen Nachforschungen der Gerechtigkeit unsichtbar und unerreichbar geblieben war. Durch finstre Gewölbe, enge versteckte Treppen hinab und hinauf; durch verborgene, unterirrdische Gänge, Fallthüren und künstlich dem Auge entzogene Maueröffnungen und Pforten, erreichten erst gegen Morgen die Verbündeten den, zu den Gemächern führenden Corridor, und schlichen sich leise, aber mit klopfenden Herzen in den großen Saal des Schlosses, wo sie sich, als Alle versammelt waren, unter dem tiefsten Stillschweigen in zwei Gliedern reiheten.
Kaum waren sie in Schlachtordnung aufgestellt, so verkündigte die Schloßuhr die fünfte Stunde. Der Glocke dumpfer, schauerlicher Schall, der Anblick des finstern Ortes, der lange Zeit der Schauplatz von so vielen Greuelthaten gewesen war, und wo das Verbrechen bis jetzt ungestört und unbestraft sein Wesen getrieben hatte; der Gedanke an den großen aber gefahrvollen Zweck ihrer Sendung, den sie jetzt erringen mußten, und den noch ungewissen, doch immer blutigen Kampf, erfüllte aller Herzen mit einer Art von religiöser Furcht. Von einer heiligen Begeisterung ergriffen, flüsterten sie sich einander zu: Gott der Allmächtige beschützt uns in diesem Augenblicke, er hat uns zum Werkzeuge seiner Rache erkoren, er wird der gerechten Sache den Sieg verleihen; die Stunde der strafenden Vergeltung hat geschlagen!
Alle zogen nun die Kapuzen tief in's Auge, beugten ihre Häupter und beteten andächtig zu Gott und dem ihnen vorgesetzten Heiligen um Schutz. Der ungeduldige Pater Peter, nach Thaten verlangend, war der erste, welcher die Stille unterbrach und die Brüder ermahnte, die Befehle der heiligen Inquisition zu vollziehen.
Jetzt löschte man die Fackeln aus, ersetzte sie durch Blendlaternen, die dem Geheimnisse und der Vorsicht, welche ihr Vorhaben heischte, angemessener waren, entblößte die unter dem Gewande versteckten mörderischen Waffen, und theilte die versammelte Macht in drei Haufen; der eine war bestimmt, im Saale als dem Mittelpunkte des Wirkungskreises harrend zurückzubleiben, und im Nothfalle dem Bedrängten Hülfe zu senden; der zweite richtete seinen Weg unter Thomas Anführung nach dem Flügel des Schlosses, wo Garzias schlief; und der dritte, dem Diego und der Pater Peter vorangingen, erhielt den schwierigsten Auftrag: Don Manuel in seinem Schlafgemache aufzusuchen und sich seiner zu bemächtigen.
Victoria war im großen Saale zurückgeblieben. Die Nacht, die Stille um sie her, das geheimnißvolle Flüstern der bewaffneten Vermummten, in deren Mitte sie sich befand und die vom schwachen Scheine der Blendlaternen beleuchtet, gleich schwarzen Gespenstern umherschlichen, und mehr noch des anhänglichen Thomas Abwesenheit machten sie ängstlich; sie wagte es kaum sich zu bewegen, aus Furcht erkannt zu werden; einsam und von allen ihren Freunden verlassen, zitterte sie für das Leben ihres Gatten; und wie groß auch ihr Vertrauen auf Gott und seinen heiligen Beistand, den sie zu preisen so oft Gelegenheit hatte, war, so konnte sie doch den schrecklichen Gedanken nicht unterdrücken, daß Urbino's Leben jetzt vom Schicksal der Waffen abhängig sei, und der nächtliche Ueberfall vielleicht gar seinen Untergang beschleunigen könnte.
Mit jedem Schritte, der Diego Don Manuels Gemache näher führte, klopfte sein Herz ungestümer und wankte seine Standhaftigkeit sichtbarlicher. -- Von einer unwillkührlichen Empfindung befangen, lehnte sich seine Seele wider seinen Willen gegen einen Entschluß auf, der nach seiner Ansicht die schwarze Farbe der Treulosigkeit und des Verraths trug. Die frommen Söhne des heiligen Bruno hatten ihn lange ermahnt und seine Bedenklichkeiten mit Beweißgründen bestritten, gegen welche er nichts einzuwenden wußte. Sie hatten ihn überzeugt, daß zwischen der Tugend und dem Laster, kein gültiger Contract statt finden könne, und daß er selbst ein Verbrecher bliebe, sobald er in seiner dem Verbrechen gelobten Treue beharre. Sie hatten ihm gezeigt, daß seine Erkenntlichkeit gegen Don Manuel auf irrigen und strafbaren Ansichten ruhe, daß dieser Räuber ihn nur der Sclaverei entrissen, habe, um ihn mit einer zehnmal drückendern und fluchwürdigern Kette zu belasten, und daß, wenn er auch seinem Körper einige vorübergehende Schmerzen erspart habe, er dagegen seine Seele in einen Abgrund von ewigen Qualen versenkt hätte. Befragte Diego sein Herz und seine Vernunft, so erkannte er die Wahrheit dieser weisen Lehren, und unterwarf sich ihnen mit dem besten Willen. Aber dieses Gefühl zur Dankbarkeit, das man aus seinem Herzen zu reißen, ihm befahl, hatte in einem Alter darin Wurzel geschlagen, wo sein Urtheil noch nicht zur gehörigen Reife gelangt war. Die verführerischen Eigenschaften Don Manuels hatten den Unerfahrnen zur Bewunderung gereizt und ihn zu gewinnen gewußt, und obschon er die Handlungen seines vormaligen Herrn verabscheuete, obschon er sie, selbst in der Zeit, wo er Theil an ihnen nahm, für etwas Unerlaubtes und Strafbares hielt, so konnte er doch einen Ueberrest von Anhänglichkeit für diesen lasterhaften Mann, ja eine Art von Hochachtung für einige gute Eigenschaften, auf welche jener, auch bei den größten Ausschweifungen und Schandthaten, nicht ganz verzichtet hatte, in seiner Brust nicht ersticken. Um nun in diesen peinlichen Augenblicken sich in seinem Entschlusse zu bestärken, wußte Diego nichts besseres zu thun, als ein Gefühl durch ein anderes zu bekämpfen, und sich zu überreden, daß die Schuld seiner Dankbarkeit gegen die achtungswerthe Familie Ariosto edler und älter, auch in ihrer natürlichen Entstehung von richtigern Begriffen ohne Tadel geleitet worden sei, die Tochter des Grafen von Ariosto also rechtmäßigere Ansprüche auf seine Dienste, als Don Manuel habe.
Mit diesen Empfindungen erreichte er und feine Begleitung die gefürchtete Thür. -- Der tapfere Diego zitterte vielleicht zum ersten Male in seinem Leben. -- Ohne daß es die Uebrigen, ausser dem Pater Peter, der seine Einwilligung dazu gegeben hatte, bemerken konnten, berührte er einen versteckten Knopf an der Mauerwand, der einen Drath über Don Manuels Bette und zu einem Federwerke leitete, das dazu bestimmt war, ihn bei Gelegenheit eines plötzlichen Ueberfalls durch Erschütterung aufzuwecken, und ihm Zeit zu lassen, durch eine der geheimen Thüren, die fast in allen Zimmern des Schlosses angebracht waren, zu entfliehen. Nach dieser Vorbereitung zeigte Diego Manuels Thür, welche die Familiare hierauf sogleich gewaltsam erbrachen, wärend ihr Führer, bleich wie der Tod, ihnen mit unsichern Schritten folgte und über ihre Köpfe mit ängstlichen Blicken im Gemache umherspürte. Bald aber überzeugte er sich, daß Don Manuel wärend der Nacht nicht in seinem Bette geschlafen habe, mithin abwesend vom Schlosse sein müsse. Dieser Anblick erleichterte des armen Diego Herz von einer drückenden Last; seine Blicke wurden ruhiger, seine Gesichtsfarbe kehrte zurück, seine Knie zitterten nicht mehr, sein Herz pochte schwächer, und über sein ganzes Gesicht verbreitete sich ein zufriedener Schein.
Die Nachsuchungen wurden nun im ganzen Flügel des Schlosses fortgesetzt; alle Zimmer fand man offen und leer, und die Unordnung in den mehrsten zeigte, daß sie von ihren Bewohnern in der größten Hast verlassen sein mußten. Dieser sonderbare Umstand erweckte in des Paters Peter Kopfe einigen Verdacht gegen die Zuverlässigkeit der Vorsteher des heiligen Gerichts, doch hüthete er sich wohl, ihn Jemandem mitzutheilen. Diego dagegen verheelte seine Meinung keinesweges und behauptete sehr bestimmt, die Bewohner des Schlosses müßten in der Nacht von den gegen sie unternommenen geheimen Maasregeln benachrichtigt sein, weil sie sich durch schnelle Entweichung dem ergreifenden Arme der heiligen Inquisition entzogen hätten. Man kehrte nun unverrichteter Sache in den großen Saal zurück, wo die von Thomas geführte Schaar so eben, nach gleichen fruchtlosen Untersuchungen auch eintraf.
Die Morgenröthe schimmerte hervor. Diego nahm einige von den Streitfähigen mit sich, um die Befestigungswerke, Garten und Wälle in Augenschein zu nehmen, aber keine einzige Wache war mehr sichtbar, alles war wie ausgestorben. Da nun nach alle diesem im menschenleeren Raubschlosse kein Widerstand zu fürchten war, so beschloß man, in den Bezirk der Gefängnisse hinabzusteigen, um den daselbst etwa eingekerkerten Opfern die Freiheit wiederzugeben.
Gonsalvo's Wohnung war wie alles übrige verlassen, man fand Kisten, und Schränke offen; die kostbarsten Sachen schienen mitgenommen zu sein, aber das auf dem Fußboden zwischen den Registern und Papieren des Gefangenwärters zerstreut umherliegende Leinenzeug und die übrigen Geräthschaften, bewiesen deutlich die Eile und Unordnung, welche bei der Flucht stattgefunden haben mußten. Zwischen alle diesen Haufen von Sachen fand man nach einigem Suchen die Kerkerschlüssel an einem ungeheuren Eisenringe, zündete sogleich Fackeln an, und ein Theil der heiligen Schaar unter Anführung des geschäftigen Diego setzte sich in Bewegung, die Fesseln der an diesen Leidensorten schmachtenden Unglücklichen zu zerbrechen.
Victoria schloß sich an die, zur Oeffnung und Untersuchung der Gefängnisse bestimmten Familiare mit an, und der treue Thomas, der sie nicht aus den Augen verlohr, nahm bedachtsam seinen Platz an ihrer Seite. Bei jeder Thür, die geöffnet werden mußte, bei jeder klagenden Stimme, die aus diesen gräßlichen Kerkern jammernd hervordrang, klopfte das in tödlicher Angst zuckende Herz der armen Victoria vor Furcht und Hoffnung. Immer schmeichelte sie sich, denjenigen zu finden, den ihr Auge suchte, und immer sah sich ihre Erwartung schrecklich getäuscht. Mit unruhiger Sehnsucht richtete sie ihre Blicke auf die Unglücklichen, deren Glieder man von der herabziehenden Last ihrer schweren Ketten befreiete; und immer begegnete sie nur unbekannten Gesichtern, von denen einige in gefühlloses dumpfes Hinstarren versenkt blieben, wärend das Entzücken über die unverhoffte Befreiung in den Zügen anderer sich unter der Gestalt des Wahnsinns oder der ausgelassensten Freude zeigte. Von diesen angreifenden Auftritten erschüttert und dem langen nächtlichen Marsche ermattet, fühlte Victoria, die ihre Hoffnung immer tiefer sinken sah, die Anwandlung einer Ohnmacht, und bat, um einem solchen Unfalle, der ihr Geschlecht verrathen konnte, vorzubeugen, den diensteifrigen Vertrauten mit leiser Stimme, sie aus diesen Schreckensorten fort, und in den großen Saal zurückzuführen.
Sie hatte von Thomas geführt bereits die Treppe erreicht, als sie in einem offenstehenden Kerker neben derselben eine Gefangene bemerkte, die auf dem Strohlager, das ihr zum Bette diente, kniete, und zu beten schien; dieser Gegenstand erregte ihre Aufmerksamkeit; sie näherte sich, die Betende zu betrachten, und erkannte mit Verwunderung und Freude ihre theure Octavia Bernini, deren Tod sie so lange beweint hatte. Ihre Verkleidung vergessend, konnte sie dem Drange ihres Gefühls nicht widerstehn, und drückte mit Entzücken die wiederaufgefundene Reisegefährtin zärtlich in ihre Arme. Diese, gleichfalls erstaunt und begierig, denjenigen kennen zu lernen, der sie mit so zärtlichen Liebkosungen überhäufte, warf die Kaputze des sie immer noch fest umarmt haltenden Mönches zurück, und entschleierte den Augen der neugierigen Zuschauer das blasse, schöne Gesicht der fern geglaubten Victoria.
Ein Ausruf der Verwunderung entfuhr dem Pater Peter und Diego, als sie die Gemahlin Urbino's in ihrer Mitte erkannten; aber der Erstere tadelte ihre Unbesonnenheit mit strengen Worten, weil er von ihr nachtheilige Wirkungen für ihre Gesundheit befürchtete, und war eben im Begriff, sie in die wohnbaren Gemächer zurückzuführen, da benutzte den Augenblick der Verwirrung, der durch diese Entdeckung unter den Familiaren entstanden war, einer der Inquisitoren, näherte sich Diego und flüsterte ihm leise ins Ohr:
Geleitet Donna Victoria in Don Sebastians Wohnung, sie wird dort Theresen finden!
Nach diesen wenigen Worten verschwand er unter der Menge, ohne daß es dem verwunderten Diego, seiner Bemühung ungeachtet, möglich gewesen wäre, ihn von den Andern zu unterscheiden. Doch wollte dieser den gegebenen Rath benutzen, bat daher um Victoriens Arm, die ihr Gesicht wieder unter der Kaputze verborgen hatte; der Pater Peter führte Octavien und Thomas blieb bei den Inquisitoren zurück, um ihnen in ihren fernern Nachsuchungen nützlich zu sein.
Als Diego mit Victorien und den Uebrigen durch die öden Gänge und Corridors vor den Zimmern des Sennor Don Sebastian angekommen waren, wachte bei ihn der Gedanke auf, daß unter der geheimnisvollen Benachrichtigung des unbekannten Mönches eine Hinterlist versteckt liegen könnte; er wollte daher zuvor allein die nöthige Untersuchung anstellen und sich überzeugen, daß nichts zu fürchten sei. Auf seine Vorstellungen blieb Victoria bei Octavien und dem Pater zurück, und Diego, der sie von dem Erfolge seiner Untersuchungen sogleich zu benachrichtigen gelobte, ging mit gezogenem Schwerdte ins Innere der Gemächer, nachdem er die verschlossene Thür erbrochen hatte.
Sein Verdacht war jedoch ungegründet, Therese fand sich wirklich in einem Gemache von Don Sebastians Wohnung eingeschlossen, sie war beim Anblicke Victoriens vor Freude so sehr außer sich, daß sie Diego kaum anhören wollte, als ihr dieser ihre gemeinschaftliche Befreiung und den hoffentlichen Untergang der Räuberrepublik erzählte. Doch getrauete man sich nicht, ihr Octavien zu zeigen, ohne sie gehörig vorbereitet zu haben; die gute Alte war stets geneigt gewesen, an Gespenster zu glauben; sie würde bei der Erscheinung einer Frau, die sie für ermordet hielt und deren Geist sie zu sehen glaubte, gewiß vor Furcht gestorben sein.
Nach Theresens erstem Freudetaumel, befragte Victoria sie über das Schicksal Don Sebastians und der zwei übrigen Mitgefangenen.
Theuerste Sennora, antwortete Therese, seit dem Augenblicke, wo man mich von Euch entfernte, habe ich den Sennor Sebastian nicht gesehen. Garzias, der Bösewicht, hat mich immer in einem Gefängnisse eingeschlossen gehalten, aus dem ich erst nach Eurer Flucht aus dem Schlosse, wieder hervorgekrochen bin. -- Seit jener Zeit hat man hier nur eine Gefangene eingebracht, es war eine junge, zartgebauete Dame, und so schön, daß ich ihre Schönheit nur mit der Eurigen vergleichen kann. -- Man nannte sie Mathilde.
Mathilde! -- Wiederholte Victoria im Ausrufe schmerzlicher Erinnerung.
Ihr kennt sie also, meine beste Sennora? fuhr Therese fort, ach ich kann Euch aber nicht sagen, was aus ihr geworden ist. Sie hatte mit Don Manuel einige Male sehr lebhafte Zänkereien, denn es fehlt viel daran, daß sie ein so sanftes Gemüth hätte, wie ihr; und eines Tages auch, als sie sich heftig stritten, schleppte sie Don Manuel in einem Anfalle von Wuth aus dem Zimmer, das sie bewohnte; und seit der Zeit habe ich nicht weiter von ihr reden gehört.
Hierauf mischte sich Diego in die Unterredung und fragte, ob Don Manuel seit diesem Vorfalle das Schloß verlassen habe?
O nein, antwortete Therese, er hat sogar gestern hier noch zu Abend gegessen, aber gegen Mitternacht ließ sich der gewöhnliche gräßliche unterirdische Donner, der immer ein so böses Wahrzeichen ist, mit solchem entsetzlichen Getöse hören und währte so ungewöhnlich lange, daß ich sicher den Einsturz des ganzen Schlosses erwartete. In Todesängsten lief ich hinter Juan her, um mich in den Eßsaal zu flüchten, aber da erblickte ich plötzlich ein großes schreckliches Gespenst, in ein langes schwarzes Leichentuch und in blaue Flammen eingehüllt, das auf die Saalthür langsam zuschritt. Aus Furcht fiel ich ohne Besinnung zu Boden und als ich wieder zu mir selbst kam, fand ich mich in diesen Gemächern eingeschlossen.
Victoria wünschte nun zu erfahren, was der Signora Bernini seit der nächtlichen Entführung begegnet sei, und diese erzählte Nachstehendes, woran wir zur Belehrung des Lesers einige Begebenheiten knüpfen, die sie nicht wissen konnte, die aber seitdem zu unserer Kenntniß gelangt sind.
An dem Tage, der ihrem unerklärbaren Verschwinden vorherging, erhielt Juan Befehl unter die Speisen, welche den drei Gefangenen am Abende vorgesetzt wurden, ein schlaferregendes Pulver zu mischen. Wärend des betäubenden Schlafs nun, ließ man vermittelst der sonderbaren Bauart des Schlafgemachs, dessen Fußboden beweglich war, das Bette mit der Schlafenden langsam hinunter gleiten, so daß sich Octavia bei ihrem Erwachen in einem kleinen engen, gefängnißartigen und düstern Zimmer befand, wo man ihr täglich Nahrung brachte und sie so lange blieb, bis Garzias, in der Absicht Victoriens vorgeblichen Starrsinn durch Schrecken zu beugen, wieder zu seinen gewöhnlichen Mitteln Zuflucht nahm und die Signora Bernini in einen todtenähnlichen Schlaf versetzte. Darauf überzog er ihr Gesicht und ihre Hände mit einem kalten, feuchten Safte, der das Auge und sogar das Gefühl täuschte, und ihr ganz das Ansehn eines Leichnams gab, befleckte sie mit Blut, malte ihr einige tiefe Wunden, und ließ sie in das Zimmer derjenigen tragen, vor deren Augen er das schauderhafte Schauspiel eines entsetzlichen Mordes mit allen Schrecknissen ausbreiten wollte. An demselben Tage und in demselben Zimmer wurde bekanntermaßen der Graf von Vizenza von dem schützenden Hippolit schwer verwundet. Sobald Garzias den Erfolg seiner heillosen List erfuhr und Victoriens Flucht nicht länger zweifelhaft blieb, fiel seine Wuth in Ermangelung eines andern Gegenstandes auf die unglückliche Bernini; ohne ihrer Bitten zu achten, ließ er sie in den Kerker schleppen, aus welchem sie erst vor wenigen Augenblicken befreiet worden; und von jenem Tage an, hatte sie nur das mürrische Gesicht Gonsalvo's gesehn.
Octavia erzählte von obigen Begebenheiten dasjenige, was sie wissen konnte, und drückte die Hände ihrer theuren Gebieterin an den frohen Mund, als der angränzende Saal von lautem Freudengeschrei erschallte, das bis in die Bibliothek drang. Victoria überließ sich bebend den süßesten Hoffnungen, welche der Anblick des jubelnden Thomas, der von einigen Familiaren gefolgt, freudig hereinstürzte, zu rechtfertigen schien, und lauschte auf frohe Bothschaft aus seinem Munde.
Gott sei gelobt, rief der ehrliche Matrose, einen guten Theil unserer Ladung haben wir den verfluchten Korsaren wieder abgenommen; das Fehlende wird auch wol noch aufgetrieben werden.
Nach diesen Worten zog er den Pater Anselm, dessen Gefängniß man endlich entdeckt hatte, bei der Hand aus der Menge hervor und führte ihn der erstaunten Victoria zu. Der gute Mönch, dem es nicht träumen konnte, Victorien an diesem Schreckensorte und unter solcher Verkleidung zu finden und den die Tageshelle blendete, glaubte kaum seinen Augen trauen zu dürfen; gerührt drückte er im Angesichte der Inquisitoren, die Ordensstrenge dieses Mal vergessend, die gute Tochter des Grafen Ariosto in seine Arme, empfing die Beweise ihrer Theilnahme und ihre kindlichen Liebkosungen mit väterlicher Zärtlichkeit und blickte dankend zum Himmel, der ihn mit wohlthätiger Hand vor seinem nahen Scheiden von der Welt, noch einmal das Gebiet der Freiheit betreten ließ, und ihm vergönnte, seinen Brüdern ferner nützlich werden zu können. Victoria war dem weisen, tugendhaften Greise Dank schuldig; ihr zu dienen verließ er das friedliche Kloster, scheuete im hohen Alter keine Mühseligkeiten, fürchtete keine Gefahren, und der Lohn seiner frommen, edlen Bereitwilligkeit ward ein kalter, feuchter Kerker, aus welchem ohne besonderes Walten der Vorsehung nur der Tod sein Erlöser geworden wäre.
Victoriens erkenntliches Herz fühlte, daß er für sie und ihren Gatten gelitten, daß er nach seinem Wahne sich ihrem Glücke geopfert hatte; nur durch wahre Verehrung und aufrichtige kindliche Liebe konnte sie es ihm vergelten, und ungeachtet der tödlichen Unruhe, die ihre Seele peinigte, zollte sie ihm diese mit der reinen, schuldlosen Sprache ihres Herzens und gründete zugleich auf seine Auferstehung aus dem unterirrdischen Kerkergewölben die tröstliche Hoffnung, bald auch den Grafen Urbino und ihren guten Leidensgefährten Sebastian erscheinen zu sehen.
Der Pater Anselm konnte über das Schicksal seiner Unglücksgefährten keine Aufklärung geben, man hatte sie bei der Ankunft im Schlosse von ihm sogleich getrennt, ihnen mit der fürchterlichsten Rache gedroht, und er von dieser Zeit an keinen von Beiden wiedergesehn; bis jetzt aber hatte man auch nicht die geringste Spur von ihnen entdecken können, obgleich an allen Orten, die Diego und Thomas bekannt waren, die sorgfältigsten Untersuchungen angestellt worden. Victoria öffnete hierauf zu ihrer großen Verwunderung die von der Bibliothek in die Kirche führende heimliche Thür in der Mauer, und man durchsuchte nun auch diese weiten Hallen, die jenen, so wie Theresen, ihres langen Aufenthalts im Schlosse ungeachtet, durchaus unbekannt waren. Zuletzt fand man auch die hohe feste Thür, welche Victorien bei ihrem ersten Besuche in der Kirche anfänglich ein Mittel zur Flucht geschienen hatte, und da man ihren Zweck kennen lernen wollte, so zerbrach man mit großer Mühe die eisernen Stäbe und Schlösser, die solche verschlossen, fand aber auf der andern Seite dichte Waldung, und so riesenhafte Bäume, deren Zweige in einander verschlungen dicht vor der Thür gewachsen waren, und hierin den Beweis, daß die Thür seit Jahrhunderten nicht gebraucht sein müsse.
Die Kirche wurde überall genau durchspürt, jeder Winkel, den man erreichen konnte, durchkrochen, und mit Fackeln erleuchtet; doch fand man weder Hippolit noch Sebastian, und entdeckte selbst nicht das kleinste Merkmal von ihrer Existenz im Raubschlosse. Victoriens Unruhe wuchs mit jedem Augenblicke, umsonst hatte sie ihre Hoffnung bis jetzt genährt, sie fing an zu erlöschen, und schreckliche Ahnungen füllten ihren Platz aus.
Nachdem nun alles genau und zu verschiedenen Malen durchsucht, Versuche mancherlei Art angestellt waren, und keine dunkle Stelle mehr zu durchstöbern übrig blieb, so kehrten die Abgesandten der heiligen Inquisition mit Diego und Thomas in den großen Saal zurück, um sich über das weitere Verfahren zu berathschlagen; und Victoria in Begleitung des Pater Peter begab sich gleichfalls dahin. Zuerst wurde von den Jüngern des heiligen Gerichts über den Zweck ihrer Sendung und das Resultat derselben, ein Bericht in protokollarischer Form aufgesetzt, welcher dem Groß-Inquisitor vorgelegt werden mußte; auch wurden die vorgefundenen sämmtlichen Papiere, Sachen und sonstige Gegenstände, welche zur Beweisführung gegen die Schuldigen dienen konnten, gehörig inventirt; dann die Aussage eines jeden der befreieten Gefangenen, ihre Namen, Familien, Vaterland, Stand, die Begebenheiten bei und wärend ihrer Gefangenschaft, wo und wie sie den Räubern in die Hände gefallen, u. s. w. aufnotirt; alle diese Arbeiten erforderten mehrere Tage. Bei diesem Geschäfte aber waren der Pater Peter und die übrigen Mönche vom Kloster des heiligen Ludwigs unnütz; alle hegten gleiches dringendes Verlangen nach ihrem Kloster zurückzukehren, und suchten Victorien zu überreden, sie zu begleiten und diesen traurigen Ort zu verlassen. Doch Victoria konnte sich nicht entschließen, ihren Bitten nachzugeben; ein in der Tiefe ihres Herzens glimmer Hoffnungsfunke schien ihr zuzuflüstern, daß das theure Opfer, der Gegenstand ihrer Angst und Liebe noch in einem verborgenen, bis jetzt dem Auge der Suchenden entgangenen Kerker, in der Gefahr schmachte, dem Hunger und Elend zu unterliegen; und diese leise Ahnung hielt sie wie mit einer magischen Kette an das unglückliche Schloß gefesselt.
Mit fester Entschlossenheit widerstand sie den Bitten und Vorstellungen ihrer Reisegefährten; da näherte sich ihr eben der Inquisitor, welcher schon einmal heimlich mit Diego geredet hatte, und von den Uebrigen unbemerkt, flüsterte er ihr ins Ohr:
Hüthet Euch, dieses Felsenschloß zu verlassen, bevor Ihr über das Schicksal des Grafen Urbino hinreichende Kunde erlangt habt!
Die geheimnißvolle Art dieser Warnung erschreckte sie, doch behielt sie Geistesgegenwart genug, den finstern, tiefvermummten Rathgeber nicht aus den Augen zu verlieren, und sobald sie ungesehn ihren Vorsatz ausführen konnte, fragte sie ihn mit leiser, bebender Stimme:
Habt Ihr Gründe zu vermuthen, daß Urbino sich hier befinde? --
Ja, antwortete der Unbekannte, blickte sorgfältig und ängstlich um sich her, ob er nicht beobachtet wurde und fuhr fort:
Ich habe wichtige Ursache zu glauben, daß er in irgend einem geheimen Kerker, der mir noch unbekannt ist, an dessen Entdeckung mir aber eben so viel liegt, als Euch, eingeschlossen sei.
Nach einigem Stillschweigen, nachdem er unruhig umher geblickt hatte, neigte er sich abermals zu Victoriens Ohr und flüsterte weiter:
Hättet Ihr wol Muth genug, mir bei finsterer Nacht an abgelegene, nur mir allein bekannte Orte zu folgen?
Ich habe Muth dazu, antwortete Victoria entschlossen.
Wohlan! -- Aber hört, fuhr er fort, der geringste Laut von dem, was jetzt zwischen uns geredet ist, wird unfehlbar Urbino's Verderben und das Eurige nach sich ziehen.
Ich verspreche Euch tiefes Stillschweigen, sprach Victoria. --
Der Vermummte schien einige Augenblicke nachzusinnen, sah besorgt umher und sagte dann bedeutungsvoll:
Ich will es wagen, laßt Euch mit dem Schlage Mitternacht an der Thür, die zur Bibliothek führt, finden.
Und kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, so entfernte er sich schnell und verschwand unter den versammelten übrigen Inquisitoren.
Ende des zweiten Bandes.