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Dritter Band.


Erstes Kapitel.

Victoriens Vorsatz blieb unerschütterlich, sie beharrte standhaft bei ihrer Versicherung, länger noch im Raubschlosse zu verweilen; man beschloß daher, Diego den kommenden Morgen nach Rosas unter Begleitung abreisen zu lassen, damit derselbe Ursula und Rosaliens ängstliche Besorgniß heben, und Beide Victorien zuführen könnte, sobald sie sich zu dieser Reise entschließen würden.

Jeder ging nun mit dem Sinken des Tages die nöthige Ruhe zu suchen; nur Victoria dachte an keinen Schlaf, aber in angstvoller Spannung an die Verbindlichkeit, ihr Versprechen zu erfüllen.

Soll ich mich den Händen eines unbekannten Mönchs überliefern, sprach sie zu sich selbst, dessen heimliches Betragen ganz geeignet ist, Mistrauen zu erwecken, und dessen dumpfe Stimme mich mit Schrecken erfüllt? -- Doch, was liegt mir an dem Leben; vielleicht bleibt mir nur dieser einzige Weg, meinen Gatten den Qualen eines langsamen, grausamen Todes zu entreißen; darf ich, von thörigter Furcht gefesselt, ihn unbenutzt lassen?

Sie war entschlossen; sobald die Schloßuhr mit dumpfen, schauerlichen Schlägen Mitternacht verkündete, erhob sie sich, verließ die Festschlafenden, hüllte sich in ihr Mönchsgewand und schlich mit leisen Schritten der Bibliothek zu. Harrend saß bereits an dem bestimmten Orte vor einem Tische der geheimnißvolle Inquisitor, und neben ihm stand eine Blendlaterne und ein bedeckter Korb. Tief über die Augen herab hing dem Unbekannten die Kaputze, und nur ein kleiner Theil eines beschatteten Gesichts war sichtbar.

Ich rechnete auf Euren Muth, sprach er sich erhebend und ging auf sie zu, aber Ihr bedürft seiner. Ich mag Euch nicht verschweigen, daß wir eine schreckliche Bahn betreten, daß wir mancherlei Gefahren trotzen müssen. Doch habe ich mich vorgesehn und bin gegen einen Theil dieser Gefahren gewaffnet, im Fall eines Angriffs -- seht hier Mittel Euch zu vertheidigen.

Bei diesen Worten riß er sein Gewand auseinander und zeigte einen, mit Pistolen besteckten Gürtel.

Der Versuch, den ich zu wagen entschlossen bin, fügte er hinzu, ist das einzige, zur möglichen, aber immer zweifelhaften Rettung Urbino's mir bleibende Mittel; doch kann ich ohne Euren Beistand mein Vorhaben nicht beginnen. Mich leiten gegründete Hoffnungen, aber auch sie können getauscht werden, und ist dies der Fall, so stirbt ein liebenswürdiger, edler Jüngling, dem seine seltnen Tugenden und herrlichen Eigenschaften die schönste und glorreichste Laufbahn öffneten, als Opfer der wildesten Grausamkeit und unversöhnlichsten Rache in irgend einem scheußlichen Kerker.

Bei diesem Bilde von Gefahren, die Urbino's Leben droheten, schauderte Victoria, doch schwächte des Unbekannten lobende Schilderung des theuren Urbino ihr Mistrauen. Ich bin bereit, Euch überall zu folgen, wohin Ihr mich zu führen gedenkt, sprach sie entschlossen, ich kenne keine Gefahr die ich nicht wagen würde, in der Hoffnung meinen Gatten zu retten.

Um an den Ort unserer Bestimmung zu gelangen, antwortete der Mönch, müssen wir geheime Wege betreten, die mir die heiligsten Schwüre, Jemandem zu zeigen, verbieten. Wird sich Eure Bereitwilligkeit so weit erstrecken, leiden zu können, daß ich Euch die Augen verbinde?

Urbino that noch mehr für mich, erwiederte Victoria, schlug die Kaputze zurück und ließ ihre Augen geduldig mit einem dichten Tuche bedecken, das der Inquisitor hervorzog.

Dieser Zustand wird nicht lange dauern, sprach er, denn die Wege, welche ich Euch führen muß, sind nicht fern. Hierauf ergriff er ihre Hand, sie zu geleiten, und neue Furcht wandelte die Aengstliche bei dem Berühren an, denn seine Hand war eisig kalt und zitterte heftig; es war indeß zu spät zur Umkehr, sie sammelte daher ihren Muth und folgte dem unbekannten Führer.

Einige Zeit gingen sie auf einem ebenen, sichern Boden, nur verschiedene Male verweilte der Mönch, um, wie es schien, Thüren zu öffnen, dann entstand eine Pause, bis er mit dem Fuße gewaltsam den Boden stampfte. Nun senkte sich dieser über Manneshöhe mit Beiden hinab, der Unbekannte hob Victorien von der Fallthür, welche, so verrieth es das Geräusch, wieder hinauf stieg.

Hier band dieser das Tuch von seiner Begleiterin Augen und ließ ihr den Eingang eines dunkeln, niedrigen Gewölbes schauen, das die Natur in eine lange Felsenkette gegraben. Eine Seitenvertiefung der Höhlung verbarg einen Haufen Harzfackeln, die dort aus Vorsicht aufbewahrt schienen. Victoriens Führer nahm zwei davon, zündete sie an seiner Laterne an, die er hierauf an seinen Gürtel hing, reichte Victorien die eine brennende Fackel, behielt die andre, und setzte dann seinen Weg in die schwarze Tiefe fort, nachdem er sich zuvor umgesehn hatte, ob er auch von seiner Begleiterin gefolgt sei.

Der Weg in dem Felsengewölbe war eng und beschwerlich und der Boden, den die Wellen des Meeres zur Zeit der hohen Fluth bedeckten, so naß und glatt, daß die Nachtwandler nur mit Mühe die schlüpfrige Bahn betreten konnten. Dieser mühselige, gewundne Pfad führte sie in eine geräumige schwarze Höhle, in deren Mitte sich das Meer einen Durchgang gebrochen und nach Jahreslängen ein Bette gewühlt hatte, worin es unter der Gestalt eines reißenden Stromes floß und seine kochenden mit Schaum überzogenen Wellen von dem hundertfach wiederholten Brüllen, der in den Gebirgen laurenden Echos begleitet, an den Felsen, der beiden Ufer stürmisch brach. Der Schein der Fackeln, den der Strom blendend zurückwarf, rief Victorien ihre erste Ankunft im Schlosse Don Manuels ins Gedächtniß zurück, und die angstvollsten Erinnerungen schlichen sich in ihre klopfende Brust ein und vermehrten die Schrecknisse ihrer gegenwärtigen Lage. Ihre zitternden Knie wollten sie nicht länger tragen, wider ihren Willen war sie gezwungen zu verweilen; kaum athmete die Arme, kalter Schweiß bedeckte ihre Stirn, und ausser Stand zu folgen, war sie im Begriff ihren schweigenden, schrecklichen Führer zu bitten, daß er sich ihrer erbarmen, verweilen oder zurückkehren mögte; aber der Gedanke an Urbino, die Hoffnung ihn zu retten umschwebte sie von neuem mit lieblichen Gestalten, ihre Standhaftigkeit schöpfte neue Nahrung in der Wonne des möglichen Wiedersehens; das Vertrauen kehrte in ihre Seele zurück, sie fühlte sich gestärkt, und setzte nun ihren Weg mit mehr Zuversicht und Ausdauer fort.

Nach einer Weile führte sie ihr Begleiter an eine steile Felsenanhöhe, die sie erklimmen mußten, deren Gipfel Victoria aber nur mit der äußersten Anstrengung und Aufbietung aller ihrer Kräfte erreichte. Als sie solche endlich bestiegen, gewahrte sie mit Schaudern, daß durch das sonderbarste Spiel der Natur, sich der Felsen, auf welchem sie fußete, herüberragend ausdehnte, und eine natürliche schmale Brücke bildete, die, mehr als hundert Fuß über die Oberfläche des Stromes erhoben, die Höhle theilte. Auf dieser schrecklichen Brücke, die ohne Stützen und Grundlage, wie von einer magischen Kraft in der Luft schwebend erhalten wurde, stand jetzt die zitternde Unschuld und blickte in den brausenden Abgrund des Todes.

Jetzt bedurfte sie einer für das Weib fast übernatürlichen Unerschrockenheit, um ihrem Führer auf dieser langen und schmalen Felsenmasse, die von dem übrigen Theile des Gebirges abgerissen schien, zu folgen und ihre Geistesgegenwart an sich zu halten; die verderblichen Folgen des Schwindels fürchtend, blickte sie nur verstohlen und so oft es die gefährliche Bahn heischte, hinab in den entsetzlichen Schlund, der unter ihren Füßen murrend rauschte.

Als sie das Ende dieser gräßlichen, schon Jahrtausenden trotzenden und doch dem Blicke des Menschen, mit jedem Augenblick den Einsturz drohenden Brücke, die sich nach Art der Schwibbogen auf der andern Seite der Höhle niedersenkte, erreicht hatten, sprangen die Wanderer über den Zwischenraum, der sie vom festen Boden trennte, und stiegen dann eine Anhöhe, gleich jener, die sie vorher erklimmt hatten, mühsam hinab. Plötzlich ließ sich, in dem Augenblicke, als sie die schroffe Spitze eines ihre Bahn kreuzenden, hohen Felsens umgangen waren, in der Entfernung ein entsetzliches Getöse, ein verwirrtes Gemisch von wüthendem Geschrei und schmerzlichem Gewimmer hören. Zwar vermehrten diese grausigen Töne Victoriens Entsetzen, doch enthielt sie sich aller Aeusserungen von Erstaunen und Angst, in der Erwartung, beruhigende Worte aus dem Munde ihres Führers zu hören; allein dieser setzte seinen Weg schweigend fort.

Je weiter sie gingen, desto deutlicher drang das Geschrei in ihre Ohren, und bald unterschieden sie vereint mit dem Gehäule wilder Bestien die klagenden Laute einer menschlichen Stimme, und von Zeit zu Zeit das Rasseln von Ketten. Noch nie hatte Victoria auch in den schrecklichsten Momenten ihres Lebens eine ähnliche Bangigkeit, wie jetzt gefühlt, ihr ganzer Körper bebte und von einem unwiderstehlichen Gefühle hingerissen, ergriff sie des Inquisitors Arm, und rief in Verzweiflung und merklicher Geistes Verwirrung:

Treuloses Werkzeug der Grausamkeit, hieher hast Du mich also geführt, damit ich meinen blutenden, zerfleischten Gemal unter den Zähnen wilder Thiere enden sehe?

Donna Victoria, antwortete jener mit sanfter überzeugender Stimme, Ihr irrt Euch, ich habe kein so grausames Herz, als Ihr vermuthet.

Diese wenigen, mit theilnehmendem Gefühle gesprochenen Worte, zerstreueten Victoriens Angst, und beruhigten ihren Geist; sie schämte sich ihres Mistrauens und bat ihren Begleiter, diesen kränkenden Verdacht zu verzeihen.

Ich habe nichts zu verzeihen, antwortete er kalt, die unüberlegte Sprache des Schmerzes und der Angst hat für mich keinen Anstrich von Beleidigung.

Hiernach ging er weiter und stillschweigend folgte Victoria, stieg langsam und behutsam den gekrümmten Abhang des Felsens am Ausgange der Höhle, die unabsehbar schien, hinab, konnte aber noch nichts entdecken, was ihr das fortdaurende Getöse hätte erklären können. Endlich bemerkte sie deutlich unfern der Höhle in einem Felsenthale ein Wesen von unbegreiflicher, unnennbarer Gestalt, das in steter Bewegung auf einem Raume von ungefähr zwölf Fuß umherlief, voll Wuth und Verzweiflung, daß es die um seinen Leib geschmiedete, in den Felsen befestigte dicke Kette nicht zerreißen konnte. Erst als die Krümmungen des Felsens Victorien, dieser Art von Ungeheuer so nahe als nöthig war, um vor seinem Griffe gesichert zu sein, geführt hatten, lag vor ihren Augen der entsetzlichste Anblick für eine mitleidige Seele, und zu gleicher Zeit der empörendste für die Menschlichkeit. Das Geschöpf, seiner Gestalt nach, halb Thier halb Mensch, schien durch die Qual des Hungers und die schreckliche Krankheit, die in seinem Gehirne tobte, auf den höchsten Grad der Raserei getrieben.

Sein Kopf, menschlich geformt, war unter einem dicken struppigten, mit Unrath eckelhaft verklebten und bedeckten Haarwuchse, versteckt; zwei Augen, die von roher Wildheit gleich denen reißender Thiere funkelten, glänzten daraus hervor. Es ging nach Art der Quadrupeden, und stieß bei jeder Bewegung abwechselnd Geheul, ähnlich dem wüthenden Wolfe, und jammerndes Geschrei, wie ein Mensch im Uebermaaß des Schmerzes, aus. Der übrige Theil des Körpers war mit einer rauhen, pelzartigen Thierhaut bedeckt.

Der Inquisitor trat näher, betrachtete eine Weile stillschweigend dieses scheußliche Wesen, dann rief er mit lauter, aber mitleidsvoller Stimme:

Sanguinario, unglücklicher Sanguinario! Bei diesem Anruf stutzte das Geschöpf und richtete sich in die Höhe; jetzt erkannte Victoria in ihm ein menschliches Wesen, aber von allen herrlichen Eigenschaften des Menschen, die ihn vom Thiere unterschieden, war ihm nichts übrig geblieben; nur seine scheußliche Gestalt erinnerte an das vollkommenste aller Wesen, seine Sinne aber waren von jener unglückseligen, beweinenswürdigen Art von Wahnsinn, welche die Aerzte unter dem Namen Lycanthropie Verwandlung eines Menschen in einen Werwolf. [ Anm.d.Hrsg.] bezeichnen, zerrüttet. Es heulte jetzt nicht mehr, aber sein schmerzliches Jammergeschrei und klägliches Wimmern verriethen einen so hohen Grad von Verzweiflung, daß sie das Ohr und Herz der Nahestehenden zerrissen. Durch Gebärden gab es die Qual seines Hungers zu erkennen, faltete seine vertrockneten schwärzlichen Hände, und streckte sie bittend, als wollte es um Nahrung flehen, dem Inquisitor entgegen.

Dieser zog aus dem mitgebrachten Korbe ein großes Stück Fleisch hervor, und warf solches vor die Füße des unglücklichen Halbverhungerten, der mit entsetzlichem Freudegeschrei über seine Beute herfiel und sie zu verschlingen begann. Victoria konnte diesen schrecklichen Anblick nicht länger ertragen, sie war gezwungen, ihr Gesicht wegzuwenden, und sich auf den Arm ihres Führers zu lehnen, den sie sanft an sich zog. Der Mönch verstand diesen Wink und führte sie in eine nahe Grotte, wo sie, nach einigen Schritten, das Rasseln der Kette und das Geschrei des Rasenden, so dicht neben sich hörte, daß sie sich von ihm verfolgt glaubte, und einen unwillkührlichen Angstschrei ausstieß, den die Echos in der Höhle vielfach wiederholten. Bestürzt sah sich der Inquisitor, der, da der Weg in der Grotte aufwärts führte, höher als sie vor ihr ging, nach ihr um, die Ursache ihres Schreckens zu erfahren, und obgleich sein Gesicht so wie seine Augen fast gänzlich von der Kapuze bedeckt waren, so erblickte Victoria beim röthlichen Scheine der Fackeln, doch einen Theil seiner Züge, und in dem Wenigen was sie von ihnen sah, schien so viel Bösartiges und Grausames zu liegen, daß ihre Aengstlichkeit sogleich neue Lasten auf ihre Brust wälzte.

Seid nicht furchtsam, sprach ihr Begleiter kalt, und ging weiter.

Seid nicht furchtsam! Wiederholte eine leise Stimme, welche dicht hinter Victorien zu sprechen schien, erstaunt sah sie sich um, und entdeckte Niemand.

Denkt an Urbino und faßt Muth, fügte der Inquisitor im Fortschreiten hinzu, und auch diese Worte wiederholte eine helle Stimme von oben herab, theilte sie andern Stimmen mit, die auf einander folgend, immer schwächer tönten, und sich endlich entfernt in einen kaum vernehmbaren Laut verlohren.

Der geheimnißvolle Mönch, nur auf seinen Weg, auf alles andre wenig achtend, erreichte stillschweigend bald darauf eine niedere schwarze Thür, über welcher Victoria in seltsamen Schriftzügen, wie mit Feuer geschrieben, die Worte: Gemach des Todes las.

Der Inquisitor klopfte mit lauten Schlägen; ein anhaltendes Gewimmer war die Antwort. Er hielt eine Weile inne, dann klopfte er zum zweiten Male, und stärker und länger als zuvor ertönte das Gewimmer. Nach einer abermaligen Pause klopfte der Mönch zum dritten Male. Alsbald erbebte die Thür und öffnete sich langsam, zugleich erschallte das Geläute einer Todtenglocke, eine feierliche, gedämpfte Musik ließ sich hören, dann sang eine einzelne Stimme in der Entfernung deutlich, aber in trauriger Harmonie den bei Leichenbegängnissen üblichen Grabesgesang.

Die zitternde Victoria folgte ihrem Führer in dieses schreckliche Gemach, dessen Wände und Decke aus dem schwärzesten Felsen bestanden, und für das Tageslicht undurchdringbar waren. Plötzlich schwieg der Grabgesang, ein Geräusch, ähnlich dem Rollen einer schweren Kette, ließ sich hören, der Hintergrund des Gemachs theilte sich unter entsetzlichem Getöse, und hinter ihm breitete sich ein von allen Seiten reichlich erleuchtetes Trauergerüste aus. In der Mitte stand ein Sarcophag, und auf diesem lag eine kolossalische Figur, die einen vom Kopfe bis zu den Füßen mit einer schwarzen Rüstung bedeckten spanischen Ritter vorstellte. Nach einer Weile schmetterten in dreien abgemessenen Zwischenpausen drei helle Trompetenstöße, beim drittenmale streckte der schwarze Ritter einen Arm aus, und erhob sich langsam vom Sarge, seine ungeheure Gestalt berührte fast die Decke des Gemachs, in der einen Hand hielt er ein Schwerdt, am andern Arme trug er einen Schild mit den Sinnbildern des Todes; majestätisch stieg er vom Sarkophag herab, und ging auf den Inquisitor, an dessen Seite Victoria in ängstlichem Erstaunen stand, zu. So bald er sich ihnen genähert hatte, hob er den bewaffneten Arm, aus dem sogleich ein Strom Blut herausstürzte, und der sich dann allmälig wieder senkte, als ob alle Kraft und alle Empfindung von ihm gewichen. Nun aber stürzte mit schauerlichem Gerassel des Ritters Rüstung stückweise von ihm ab; in ein Gerippe, das Bild des Todes, ward er umgewandelt, und kaum berührte die Spitze des Pfeils, den er statt des Schwerdtes in seiner Knochenhand hielt, den Inquisitor, so sank dieser ohne Gefühl einem Todten ähnlich, zu den Füßen der schrecklichen Gestalt.

Auch Victoriens Blut erstarrte bei diesen Anblicke, ein Schwindel tobte mit ihren Sinnen, sie lehnte sich kraftlos an den kalten Felsen, und als sie furchtsam die Augen wieder öffnete, war das Gerippe und Trauergrüste verschwunden. Zwar besaß sie ein richtiges vollendetes Urtheil, und ihre Frömmigkeit war gereinigt von aller den freien Geist umstrickenden Schwärmerei, die vor den eitlen Schreckbildern des Aberglaubens zittert; dennoch hatten sie die wunderbaren, unbegreiflichen Auftritte betäubt; sie zweifelte an der Wirklichkeit des Gesehenen und war zu dem Glauben geneigt, daß sie aus einem schweren Traume erwacht, oder ihr Gehirn, von Ermattung und Angst zerrüttet, Schöpfer dieser fantastischen Erscheinung sei.

Daß sie sich aber nun an diesem schrecklichen Orte allein und ohne Führer befand, daß sie von der übrigen Natur durch Hindernisse getrennt war, die sie allein zu übersteigen nicht hoffen durfte, dieses wenigstens unterlag keinem Zweifel. Wie sollte sie ohne Mittel und Leitung ins Schloß zurückkehren, da sie die geheimen Gänge und Pfade, die sie bis hieher geführt hatten, nicht kannte? Indeß hatte sie die Hoffnung, Urbino zu finden, nicht aufgegeben; und war der Inquisitor kein treuloser Verräther und Betrüger, so mußte sie sich auf dem Wege, zu den Spuren des Gegenstandes ihrer nächtlichen Wanderschaft, befinden. Sie entschloß sich also, ihr gefahrvolles Unternehmen fortzuführen, erbat den göttlichen Beistand, bemächtigte sich der Pistolen, die in des entseelt liegenden Inquisitors Gürtel steckten, ergriff die seiner Hand entfallene Fackel, und suchte einen Ausgang mit dem festen Vorsatze, ihrem unbekannten Schicksal entgegen zu gehn.

 


Zweites Kapitel.

Bald bemerkte sie eine Thür, dem Eingange des Todtengemachs gegenüber, die, als sie solche ohne Mühe geöffnet hatte, und hindurch gegangen war, sich hinter ihr von selbst gewaltsam wieder schloß. Victoria fand hier eine Treppe, die sie ohne Bedenken hinabstieg, dann einen langen, engen Gang und wieder eine Thür, welche gleich der erstern auf eine unbegreifliche Weise hinter ihr zusprang.

Der Ort, wo sie sich nun befand, schien ein Hofraum zu sein, den von allen Seiten Felsen umgaben, und der ihr keinen Ausgang zeigte. Bemüht die Gegenstände umher genau zu erkennen, stieß die Bedaurungswürdige mit dem Fuße an einen Stein, den sie nicht bemerkt hatte, strauchelte, und war genöthigt, sich an den Felsen zu halten, um dem Falle vorzubeugen. Bei dieser Bewegung bediente sie sich der Hand, mit der sie die Fackel hielt, diese entglitt ihr, fiel zur Erde, erlöschte und die unglückliche Victoria war nun an diesem wilden Orte in dichte Finsterniß eingeschlossen.

Sobald der erste Augenblick des Schrecks vorüber war, blickte sie mit unruhigen Augen nach allen Seiten der Dunkelheit verzagt und spähend umher, und entdeckte zu ihrer großen Freude, in der Entfernung durch eine Felsenspalte einen schwachen Lichtschimmer, eilte nach der Gegend hin, erkletterte ungeachtet der schwarzen Nacht wie ein Reh den Felsen, und fand, als sie dem Scheine nahe gekommen, eine in die Felsenwand angebrachte kleine Thür, die dem ersten Andrange wich, und Victorien ein Gemach von seltsamer Form zeigte. Es glich dem Innern einer Pyramide, in deren Mitte auf einem steinern Tische eine Lampe brannte. Victoria nahm solche und erblickte, als sie an den Wänden des Gemaches eine Thür suchend umherging, in einem Winkel desselben einen auf einer Matte, dem Anscheine nach schlafenden Mann, der mit einer Mönchskutte bedeckt war. Ihr Herz pochte vor Entzücken, sie hoffte das Ziel ihrer Wanderung errungen, ihren geliebten Urbino gefunden zu haben, bei näherer Betrachtung überzeugte sie sich indeß leider bald von ihrem Irrthume, und als sie die Züge des Schlafenden ruhiger beleuchtete, erkannte sie in ihm mit Erstaunen jene Schreckensgestalt Siehe Seite 160 des ersten Bandes. die ihr am dritten Tage ihrer Gefangenschaft in der Bibliothek erschienen war, und deren drohende Blicke sie aus Garzias rohen Händen glücklich befreiet hatten.

Der Liegende schlief nicht, sondern befand sich in einem, von Schwäche und Krankheit erzeugten Zustande von Ohnmacht; der genäherte Schein der Lampe blendete seine Augen; er schlug sie auf, hörte neben sich Geräusch, erhob sich, stützte seinen Kopf auf den Arm und zeigte nun Victorien das Gesicht eines Sterbenden, halb erloschene Augen und Züge, in denen unverkennbare tiefe Spuren von Elend und Leiden ausgedrückt lagen.

Victoriens geistliches Gewand täuschte den Unglücklichen, inbrünstig drückte er ein Kruzifix, das er mit schwachen Händen hielt, an seine Lippen und lispelte mit leiser, sterbender Stimme:

Gütiger, barmherziger Gott! ich danke Dir, daß Du diesen heiligen Mann zufällig an das Lager eines elenden Sünders geleitet hast. Ehrwürdiger Vater, fuhr er gegen Victorien gewendet fort, Ihr seht hier vor Euch einen mit den gräßlichsten Verbrechen, mit den entsetzlichsten Schandthaten besudelten Unglücklichen, ja Schandthaten, bei deren Erfindung selbst eines Teufels Bosheit sich erschöpft hätte! Doch in diesem Augenblicke, wo ich meine letzte Stunde herannahen sehe, wo ich fühle, daß ich vor dem Gotte der Vergeltung erscheinen werde, ist der Tod kein Schreckbild in meinen Augen, ich kann ihn ohne Grauen erwarten, denn die feste Ueberzeugung, daß meine aufrichtige Reue, die letzten in Buße und Zerknirschung durchjammerten Jahre meines Lebens mich werden Gnade finden lassen, vor dem Throne des Allgütigen, beseelen meine Brust mit Standhaftigkeit im Augenblicke der Auflösung. Bevor Ihr mir aber Euren priesterlichen Beistand angedeihen, Euren heiligen Segen empfangen laßt und mich von meinen Sünden lossprecht, muß ich wenigstens für diejenigen, welche ich grausamerweise verfolgt und gekränkt habe, noch so viel Gutes bewirken, als in meiner Macht steht.

Nach diesen Worten zog er ein versiegeltes Paquet, das er auf der Brust verborgen getragen hatte, hervor, und reichte es Victorien, die von Staunen, Entsetzen und Rührung sprachlos sich über ihn beugte.

Ich vertraue Euch, fuhr er mit stärkerer, feierlicher Stimme fort, diese Schriften in Gegenwart unsers göttlichen Schöpfers, des Erlösers von allen unsern Sünden an. Gelobt mir, bei der Ehrfurcht, die Ihr Eurem heiligen Gelübde schuldig seid, bei Eurer Hoffnung auf ewige Belohnung im zukünftigen Leben, daß Ihr dieses Paquet nicht eher aus Euren Händen geben werdet, bis Ihr es, wenn es der Himmel erlaubt, demjenigen selbst überliefern könnt, an den es gerichtet ist. Wenn Ihr die Tugend ehrt, wenn die Gerechtigkeit Euch theuer ist, so verliert keinen Augenblick, ich beschwöre Euch, den unglücklichen Jüngling aufzufinden, der durch mich elend geworden ist, und dessen Schicksal diese Schriften enthalten. Ich zweifle nicht, daß die allmächtige Vorsehung, die Euch hieher leitete, damit ich Euren reinen Händen dieses kostbare Unterpfand, das Eigenthum des Sohnes eines von mir verrathenen Freundes, eines Wohlthäters, dessen Untergang ich geschworen hatte, mit einem Worte, des herrlichen Jünglings, den die Welt unter dem Namen des Grafen Urbino -- --

Urbino! rief Victoria, nahm das Paquet und drückte die kalte, zitternde Hand des Greises. Ihr nehmt Antheil an dem Schicksale des Grafen Urbino?

Der Ton ihrer Stimme schien auf den Sterbenden einen schrecklichen Eindruck zu machen, mit einer Art von Entsetzen entzog er ihr seine Hand, schauderte, warf sich auf sein Lager zurück und verhüllte sein Gesicht.

In diesem Augenblicke sprang die Thür auf und Victoria erblickte mit Erstaunen den Inquisitor, den sie anscheinend erschlagen in der Grotte zurückgelassen hatte. Er trug die Blendlaterne in seiner Hand und fragte mit gebieterischer, zorniger Stimme:

Warum habt Ihr ohne mich Euch hieher begeben?

Sobald der Greis ihn sprechen hörte, ergriff Zittern alle seine Glieder und ängstlich rief er aus:

Ach, ich beschwöre Euch, vor diesem Manne verbergt was ich Euch vertraut habe, er darf es am wenigsten erfahren.

Was sprecht Ihr? fragte der Inquisitor unruhig, doch mit drohendem Tone.

In seinem Krankheitszustande, antwortete Victoria, hat ihn mein Gewand getäuscht, er hielt mich, glaube ich, für seinen Beichtvater.

Mit dieser Antwort zufrieden, drückte der Sterbende zum Beweise seiner Billigung und Erkenntlichkeit die Hand der Verschwiegenen, aber der zornige Inquisitor näherte sich ihm mit allen Zeichen der Wuth und Erbitterung.

Elender, fuhr er ihn an, abscheulicher Satan, was hast Du ihm zu vertrauen gewagt? Schändlicher Bösewicht, verfluchter Teufel, Du, der mich in einen Abgrund von Sünden hinabgestoßen, der mein Leben vergiftet, der es für die Ewigkeit den unerträglichsten Qualen des Gewissens preis gegeben hat, Du willst mich verlassen und verrathen? Deine elende, kleine Seele hat mich also in Deiner feigen Beichte schändlich geopfert? Warum, verdammter Betrüger, mußt Du um die Größe Deiner Verbrechen zu bemänteln, andre darin zu verstricken suchen? -- Sprich, sprich sogleich, greiser Schurke, oder in diesem Augenblicke fühlst Du das Gewicht meiner gerechten Rache!

Dieses ungestüme, rohe Betragen empörte Victorien, sie fürchtete, daß ihm eine Gewaltthat gegen den halb Entseelten folgen könnte, trat daher dem Wüthenden entgegen, legte die Hand auf eins, von dem ihm abgenommenen Pistolen, und sprach mit entschlossener, verächtlicher Stimme:

Haltet ein, harter, leidenschaftlicher Mann, Ihr seht, wir sind hier Herrn Eures Lebens, schont die letzten Augenblicke eines Sterbenden; ängstigt ihn nicht durch wüthende Drohungen, fragt gelassen, so wird man Euch mit Aufrichtigkeit antworten.

Der Inquisitor trat einige Schritte zurück, erhob seine Kaputze ein wenig, betrachtete Victorien eine Zeitlang mit Erstaunen und rief dann aus:

Seltsames, bewunderungswürdiges Wesen, bald könntest Du mich zwingen, Dir zu verzeihen, daß Du Urbino's Mörderin bist.

Ich, Urbino's Mörderin! wiederholte Victoria mit Entsetzen.

Ja, seine Mörderin, antwortete der Mönch heftig; hätte er nie Eure gefährliche Schönheit betrachtet, hätten Eure unheilbringenden Reize seine Augen nicht geblendet und sein Herz verführt, so würde er vielleicht jetzt noch ruhig und glücklich in der Familie des Grafen von Vizenza leben. War es nicht in der Absicht Euch zu retten, daß dieser kühne und unglückliche Jüngling sich in Don Manuels Teufelsschloß warf, und mich selbst endlich überredete, bei seinen gefährlichen Unternehmungen und romanhaften Plänen hülfreiche Hand zu leisten? Ihr seid es, Ihr allein habt ihm Vizenza's und seiner schändlichen Rotte Haß zugezogen; Ihr seid die Ursache, daß er gewiß in diesem Augenblicke der unerhörtesten Grausamkeit und unzusättigenden Rachsucht preis gegeben, im Elende und unter Qualen schmachtet.

Diese unerwarteten, unverdienten Vorwürfe durchbohrten Victoriens Herz, die Mahnung des Schonungslosen an ihres Gatten Gefahr aber schien es in Verzweiflung und Wehmuth auflösen zu wollen, sie blieb sprachlos und Thränen stürzten aus ihren Augen.

Was sprecht Ihr? rief nun der Sterbende mit deutlichen Merkmalen der heftigsten Bestürzung und richtete sich auf seinem Lager in die Höhe. Welches Unglück, welche Gefahren drohen dem theuren, dem herrlichen Jünglinge; wo ist er? Redet, ich beschwöre Euch, laßt alle Feindseligkeiten, jeden Groll vor diesem kostbaren Gegenstande weichen; aus Barmherzigkeit, im Namen des Allmächtigen, redet Franzisko!

Franzisko! wiederholte Victoria mit freudigem Erstaunen. Ach, nun bin ich frei von allem Mistrauen, jedem Verdachte: Ihr seid Franzisko; Ihr habt Urbino beschützt und mir Euren Beistand geschenkt. Nein, nein, ich fürchte nichts mehr, ich bin überzeugt, Ihr werdet diesem Greise kein Leid zufügen, wenn auch die Leidenschaften Euch beherrschen; ich vertraue Euch blindlings, und muß erröthen, Waffen, die Euch angehören, noch ferner in Gewahrsam zu behalten; nehmt sie zurück.

Ihr habt gesiegt, Donna Victoria, erwiederte Jener, wäre es mir auch möglich, mich noch länger zu verleugnen, so würde ich doch Euren Edelmuth kränken, wenn ich fernerhin meine wahre Gestalt vor Euch verbergen, die Triebfeder meiner seltsam scheinenden, geheimnißvollen Handlungen Eurer reinen Seele verhehlen wollte.

Bei diesen Worten warf er die Kaputze auf die Schultern zurück und zeigte Victorien sein Gesicht, in dessen Zügen sie mit Verwunderung jenen Greis wieder erkannte, den sie einst durch eine geheime Thür in ihr Schlafgemach eintreten und die Bande der schönen Mathilde hatte lösen gesehn Siehe Seite 204 des ersten Bandes.. Diese Entdeckung war ihr unerwartet. Das natürlich barsche und abschreckende in dem Gesichte dieses außerordentlichen Mannes strafte die Freimüthigkeit auf seiner Stirn und ein gefühlvoller Blick in seinen lebhaften, durchdringenden Augen so überzeugend Lügen, daß es unmöglich blieb, in die Aufrichtigkeit seiner Worte Zweifel zu setzen; doch bei näherer Betrachtung überzeugte sich Victoria, daß in seinen stark ausgedrückten Zügen der Wohnsitz düsterer, heftiger Leidenschaften sei, und er eine von jenen glühenden Seelen besitzen müsse, welche jede stürmische Aufwallung unaufhörlich zum Extreme des Guten oder Bösen treibt, und die abwechselnd nach Maasgabe der Umstände und ihrer Launen für die Tugend in Begeisterung gerathen und sich den schrecklichsten Verbrechen überlassen können.

Ja, fuhr er fort, ich bin Franzisko! Ihr seht, Donna Victoria, mein Leben und meine Ehre sind in Eurer Gewalt, aber Eure Klugheit und Seelengröße beruhigen mich. Die grausame Ungewißheit über das Schicksal meines geliebten Urbino hat mich zur Verzweiflung gebracht, ich habe mich entschlossen, Euch hieher zu führen; daß wir Beide dem gewissen Tode nicht entgehen könnten, sobald uns der Zufall Jemand von der höllischen Rotte entgegen geführt hätte, war mir wohl bewußt. Ich habe alles gewagt. Auf die unwiderstehliche Macht Eurer Schönheit gründete ich meine Hoffnung, auf Eure Unschuld, Eure bezaubernde, rührende Stimme und alle Reize die Euch umfangen. Ich bildete mir ein, daß es allen diesen Reizen, vereint mit der Liebe zu dem theuren Jünglinge und dem Muthe, von dem Ihr die glänzendsten Beweise gegeben habt, gelingen würde, das eherne Herz dieses Unglücklichen, den ich ehemals meinen Freund nannte, zu rühren; daß er Euch ein undurchdringbares, mir stets hartnäckig verweigertes Geheimniß entdecken würde, und daß Ihr ihn endlich überreden könntet, den lästerlichen Schwur zu brechen, mit welchem er gegen Don Manuel gelobt, nie die Existenz gewisser unbekannter Orte in diesem geheimnißvollen Schlosse und die Mittel, solche aufzufinden, zu verrathen. Hätte mich meine letzte Hoffnung getäuscht, wären auch Euer Einfluß, Eure Bitten, Eure Thränen unwirksam geblieben an diesem Felsenherzen, so würde ich Euch Beide vielleicht, ich will es nicht verschweigen, in wüthender Verzweiflung meiner Rache geopfert haben. Da es Euch nun aber gelungen ist, ihn zu entwaffnen, so hoffe ich, der starre Eigensinn des Grafen Elfridi wird Eurer Ueberredungskunst weichen und keine falsche Bedenklichkeiten werden fernerhin über ihn Macht haben. Mag er eilen, das durch ihn begangene Böse, so viel als möglich wieder gut zu machen, möge er nicht weiter dabei beharren, ein Geheimniß zu verschweigen, dessen Entdeckung allein noch Urbino zu retten im Stande ist; denn fest bin ich überzeugt, unser unglückliche Freund schmachtet in irgend einem teuflischen Kerker, wohin selbst die Fackel der heiligen Inquisition nie dringen wird.

O unglückliches Kind, theurer Erbe der Edlen, die ich schändlich ermordete! rief der Graf von Vorwürfen gepeinigt und von Entsetzen erstarrt. Was höre ich! Welche schreckliche Nachricht vergiftet meine letzte Stunde? Gott hat es tagen lassen in meiner Seele, er hat die Gnade gehabt mich zu überzeugen, daß die dem Laster geleisteten Schwüre eine Entheiligung sind, die Niemand bindet; daß wer jenen Schwüren Treue hält, Gottes Allmacht lästert. Kommt Franzisko, helft mir.

Der Wille, einem lobenswerthen Gefühl zu folgen und der Eifer seinen Fehltritt zu verbessern, schienen dem Greise neue Kräfte zu geben. Von Victorien und Franzisko unterstützt richtete er sich von seiner Matte auf, zeigte ihnen ein Mittel, eine versteckte Thür in der Mauer, die in einen schmalen Gang führte, und künstlich verborgen war, zu öffnen und folgte ihnen langsam. Aber leider hatte diese Anstrengung den letzten erbärmlichen Rest seines Lebens erschöpft, seine Begleiter bemerkten bald, daß er zu viel auf seinen Eifer gerechnet hatte und waren genöthigt, ihn auf sein Lager zurückzutragen, wo er einige Augenblicke darauf in ihren Armen verschied, und ihnen mit seinem letzten Athemzug den Faden, der sie auf die Spur zu Urbino's Kerker hätte leiten können, entriß.

Franzisko's Verzweiflung überstieg jetzt alle Grenzen, er vergaß die Vorschriften der Vernunft und Gottesfurcht, stieß die entsetzlichsten Verwünschungen gegen den entseelten Leichnam des unglücklichen Sünders aus, verfluchte sein eignes Dasein, rief die himmlische Rache auf die Verbrechen seines vergangenen Lebens herab, wälzte sich auf der Erde, und im Uebermaaße seiner Raserei riß er sich die weißen Haare aus, schlug seine Brust wie ein Wahnsinniger und beging alle Thorheiten einer blinden Verzweiflung.

Victoriens Betrübniß war zwar nicht weniger heftig, aber ihr Schmerz blieb in den Schranken der Wehmuth einer christlichen Seele; es war ein ruhiger, stiller Schmerz. Die Religion lehrte ihr die Hand erkennen, die in ihrem Herzen plötzlich den letzten Schimmer von Hoffnung erlöschte; und mit Ergebung beugte sie sich vor dem Willen des Allmächtigen. Die nagende Bekümmerniß in ihrem Busen und die fromme Unterwerfung, mit der sie solche ertrug, malten sich mit so ausdrucksvollen, rührenden Zügen auf ihrem schönen, Theilnahme erweckenden Gesichte, daß auch Franzisko diesem edlen, beredten Vorbilde nicht widerstehen konnte. Er schämte sich seines unsinnigen Betragens, und da er der Macht einer so ruhigen, ihm zwar kaum begreiflichen Fassung weichen wußte, so sammelte er alles, was ihm von guten Grundsätzen und tugendhaften Neigungen übrig blieb, empfand bald den heilsamen Einfluß des Vertrauens auf die göttliche Vorsehung; eine unbekannte Gewalt bezähmte die wilden Ausbrüche der in seiner Brust tobenden Leidenschaften und er fühlte, daß ein wohlthätiger, tröstender Balsam dem tödtlichen Gifte in der Wunde, woran sein Herz litt, kräftig entgegen wirkte.

 


Drittes Kapitel.

Auch auf Victorien warf der Himmel einen mitleidsvollen, trostreichen Blick, er ließ die Hoffnung in ihrem Busen wieder aufleben, beruhigte ihr Gemüth und flößte ihrer Wehmuth neue, tröstliche Hülfsquellen ein. Sie hob die Fackel vom Boden auf, zündete sie an Franzisko's Laterne an und sprach zu ihm mit fester, entschlossener Stimme:

Der Graf erfüllte Euer Verlangen, er war im Begriff, uns jene unbekannten Orte zu zeigen, wo Ihr den zu finden glaubt, dem unsere nächtliche Wanderschaft gilt. Weil er uns nun dort in einen Gang, von welchem Ihr keine Kenntniß zu haben scheint, geführt hat, so müssen wir natürlich erwarten, dass, indem wir seinem Laufe folgen, wichtige Entdeckungen uns noch bevorstehen werden. Laßt ans also diesen Weg, den uns die Vorsehung selbst geöffnet zu haben scheint, benutzen; und wenn der Himmel uns seines Beistandes würdigt, so kann vielleicht der Erfolg unsere Bemühungen und Beharrlichkeit krönen.

Die in Victoriens Augen glänzende Hoffnung und der sie beseelende, Eifer, theilten sich ihrem Bewunderer mit; von neuer Standhaftigkeit erfüllt billigte er ihren Vorschlag, nahm die Waffen wieder an sich und Beide kehrten in den verlassenen düstern Gang zurück, der sie nach einigen hundert Schritten an den Aufgang einer Treppe in cylindrischer Form führte. -- Ohne Zögerung stiegen sie eine bedeutende Anzahl Stufen hinauf und befanden sich nun einer kleinen Thür gegenüber, die durch ein Schloß eigner, sonderbarer Art verschlossen war. Da indeß Franzisko das Geheimniß desselben kannte, so öffnete er ohne Mühe die Thür und als sie hindurch geschlüpft waren, sahen sie sich in einem großen, mit vielen Statüen ausgeschmückten Saale. Victorien schien der Ort bekannt und nach einigem Nachsinnen fand sie, daß es derselbe Saal sei, vor welchem sie mit ihren Begleiterinnen am ersten Tage ihrer Entführung vorübergegangen war Siehe Seite 92 des ersten Bandes., und den Juan ihnen als den Zergliederungs-Saal bezeichnet hatte.

Franzisko gerieth in sichtbare Verwirrung, als er bemerkte, daß ein so langes und mühseliges Aufsuchen nur dazu gedient hatte, sie in einen Saal zu geleiten, der von den Familiaren der Inquisition den Tag zuvor schon auf's genaueste durchsucht war, weil ihnen Diego erklärt hatte, es sei ihm wohl bekannt, daß eine nicht geringe Anzahl unglücklicher Gefangenen hieher geschleppt und verschwunden wäre, ohne daß man jemals wieder etwas von ihnen gehört hätte.

Diego's Aussage und das Geheimniß des unerklärbaren Verschwindens der Gefangenen, gab Victorien hinreichenden Stoff zum Nachdenken. Sie bemerkte ihrem trostlosen Begleiter, daß dieser Saal unbezweifelt der Ort sein müsse, den ihnen der Graf Elfridi zu zeigen im Begriff gewesen, als ihn der Tod übereilt habe, und daß nach Vereinigung aller Umstände er wahrscheinlich irgend ein Geheimniß verbergen müsse, an dessen Entdeckung jetzt alles liege. Nach einigem Ueberlegen theilte Franzisko ihre Meinung und sie fingen ihre Untersuchungen den Wänden entlängs an, da verkündigte die Schloßuhr die fünfte Morgenstunde.

Jetzt bin ich genöthigt, Euch zu verlassen, sprach Franzisko, von nun an dürft Ihr mich nur als Inquisitor zu kennen scheinen. Ihr werdet selbst ermessen, welche unangenehme Folgen daraus für mich entstehen würden, wenn man in Erfahrung brächte, daß ich Gemeinschaft mit diesem Schlosse besitze, und solche der mächtigen Brüderschaft, zu deren Gliedern ich gehöre, verschwiegen habe.

Verlaßt Euch auf mein Versprechen und rechnet auf meine Verschwiegenheit, antwortete Victoria. Aber hängt nicht Urbino's Leben von der mindesten Zögerung ab?

Sobald die Brüder, versammelt sein werden, erwiederte Franzisko, will ich eine nochmalige Untersuchung dieses schauerlichen Saals veranlassen; führt nun unglücklicherweise auch diese zu keiner neuen Entdeckung, so müssen wir in der kommenden Nacht auf heimlichen Wegen und zwar allein wieder nach Elfridi's Zelle zurückkehren, von neuem den Gang und das Mauerwerk durchsuchen und vorzüglich darnach trachten, gewisse sorgfältig von ihm verborgene Papiere aufzufinden, weil solche über Manches Aufschluß geben und uns das Ziel erreichen lassen können, nach welchem wir so sehnsuchtsvoll streben.

Victoria erinnerte sich des ihr von Elfridi anvertraueten Paquets, es fiel ihr ein, daß seinen Worten nach, grade Franzisko derjenige sei, vor welchem sie solches verbergen sollte; da überdem die Papiere ihr eingehängt waren, um Urbino's eigner Person überliefert zu werden, so konnten sie füglich über sein gegenwärtiges Schicksal, das selbst dem Grafen unbekannt war, keine Auskunft nachweisen; sie hüthete sich also, von dem Vorgefallenen und daß sie die Besitzerin dieser Papiere sei, ein Wort zu erwähnen.

Gleicherweise bin ich gezwungen, fuhr Franzisko fort, mein Gesicht vor Diego und Thomas, die keinen Anstand nahmen, ihren Herrn zu verrathen, sorgsam zu verhüllen; es ist mir lieb, wenn diese mich mit den übrigen Bewohnern geflohen glauben. Folgt mir nun, damit ich Euch auf nahen unbekannten Wegen in die Gegend Eures Schlafzimmers bringe.

Hierauf geleitete er Victorien durch dunkle unterirrdische Gewölbe bis auf den Corridor, der an das von ihr früher bewohnte, unfern Don Sebastians Wohnung belegene Zimmer, stieß, und ging zurück; leise schlüpfte Victoria in ihr Gemach.

Noch schlief Octavia, ohne Geräusch legte auch sie sich nieder, die Anstrengung der nächtlichen Wanderschaft und die Eindrücke des Vorgefallenen hatten sie ermüdet; mehrere Stunden schlief sie ruhig und erwachte heiter. Bei ihrem Erwachen zeigte man ihr an, daß die Pater Anselm, Peter, Leonhard und St. Romain, von Diego und einigen vornehmsten Inquisitoren begleitet, in der Frühe des Morgens nach Gerona abgereiset waren, um dort einer ungewöhnlichen Sitzung und Berathschlagung der Inquisition beizuwohnen, und daß Thomas statt Diego's beauftragt sei, sich nach Rosas zu begeben, um Ursulen und Rosalien von dem Aufenthalte ihrer Gebieterin zu benachrichtigen und sie nach dem Schlosse zu geleiten.

Wärend Victoria die Stunde erwartete, wo die Familiare sich versammeln würden, um über ihre ferneren Unternehmungen im Schlosse zu berathen, bat sie Theresen ihr alles mitzutheilen, was ihr von Mathilden bekannt geworden; und die gute alte, redseelige Frau erzählte ohne Umstände wie folgt:

Kurze Zeit nachdem man mich wieder aus dem Gefängnisse frei gelassen, und ich mein gewöhnliches Amt im Schlosse wieder übernommen hatte, sah ich eines Tages Don Manuel hereintreten, der in seinen Armen ein junges ohnmächtiges, wie eine Klosterkostgängerin gekleidetes Frauenzimmer trug. Meinen Bemühungen gelang es bald, es wieder zu beleben; es war die bewußte Mathilde, sie schlug die Augen auf und sah mit verstörten Blicken im Zimmer umher; sobald ihren Augen aber Don Manuel begegnete, stieß sie einen lauten Schrei aus und verlohr abermals die Besinnung, ohne daß es mir möglich gewesen wäre, ihr zu helfen; sie blieb im Zustande gänzlicher Sinnlosigkeit. Hierüber gerieth mein Gebieter in die größte Besorgniß, seine Unruhe kam dem Wahnsinne gleich, und aus den unzusammenhängenden Worten und Reden, die ihm seine Angst entriß, verstand ich so viel, daß dieses schöne Frauenzimmer die Tochter einer Dame sein müsse, die er vormals sehr geliebt, die aber seine Leidenschaft nicht erwiedert, und ihn sehr unglücklich gemacht habe.

Da nun kein gewöhnliches Mittel von Wirkung war, so rief man den Wundarzt Inigo herzu, der ihr eine Ader schlug, und sie darauf zu Bette bringen ließ, mir aber befahl, bei ihr zu wachen. In der Nacht erhielt sie ihr Bewußtsein wieder, schluchzte und weinte aber unaufhörlich und beklagte sich über ihren theuren Urbino, dem sie bitter vorwarf, sie verlassen und der Gewalt ruchloser Menschen bloßgestellt zu haben.

Mit Tages Anbruch wollte sie aufstehen, erlaubte mir aber nicht, ihr behülflich zu sein, so sehr verabscheuete sie mich, wahrscheinlich weil ich in Don Manuels Diensten war. Um sieben Uhr zwangen mich meine Geschäfte sie zu verlassen; als ich sie später benachrichtigte, daß das Frühstück im Saale ihrer warte, antwortete sie mir mit sehr bestimmtem, hochmüthigen Tone, daß sie mir nicht folgen werde.

Ueber diese, Don Manuel pflichtmäßig hinterbrachte Antwort runzelte sich seine Stirn und er befahl mir ihr zu sagen, dass, wenn sie nicht zum Frühstück kommen wolle, er zu ihr gehen und bei ihr frühstücken werde. Nun entschloß sie sich mich zu begleiten, sprach aber kein Wort, würdigte meinen Herrn, der ihr entgegen ging, keines Blickes und warf sich trotzig auf den nächsten Sessel. Don Manuel reichte ihr ehrerbietig eine Tasse Chokolade, sie stieß sie ihm heftig aus der Hand und während ich beschäftigt war, die Scherben vom Boden aufzusammeln, sagte Don Manuel warnend:

Wozu dieses ungesittete, heftige Betragen, Mathilde, seid Ihr nicht in meiner Gewalt, vergeßt Ihr, daß Euch Euer tapferer Ritter verlassen hat? Jetzt, Mathilde, könnt Ihr aus eigner Erfahrung beurtheilen, wie grausam es ist, sich von demjenigen verschmäht zu sehen, den man liebt. Die verführerischen Reize der schönen, einnehmenden Victoria haben Euren Urbino sehr bald zur Unbeständigkeit verleitet; ich dagegen, obschon der eifrichste Bewunderer aller Reize und Tugenden, die sie schmücken, ich der sie mit einer bis zur Anbetung hinaufsteigenden Zärtlichkeit liebte, ich bin demungeachtet meiner ersten Liebe zu Euch treu geblieben. Und ist diese Liebe nicht gewissermaßen von Eurer Mutter selbst gegründet? -- Hat dieses himmlische Weib, dieser Engel von Schönheit und Tugend, diese bewunderungswürdige Heilige, von allen Schrecknissen ihrer grausamen Martern umringt, in dem letzten Augenblicke ihres Lebens Euch nicht meinen Armen überliefert? Hat sie mir nicht ihre Tochter hinterlassen, in einem Augenblicke, wo der Wille des sterbenden Menschen unabänderlich und heilig ist?

Lange Zeit hat ein strafbares Verfahren, haben schändliche Kunstgriffe Euch meinem rechtmäßigen Schutze entzogen, jetzt aber seid Ihr mir wiedergegeben und nur der Tod kann uns trennen. Urbino ist für Euch verlohren; Franzisko, der mit frecher Anmaßlichkeit in meine Rechte Eingriffe that, ist gegenwärtig in Rom, wo ihn wichtige Angelegenheiten fesseln. Ihr gehört daher unwiderruflich mir, ich habe mich des mir, von Eurer sterbenden Mutter anvertraueten Vermächtnisses wieder versichert, und Niemand auf dieser weiten Welt wird mich hindern, ihren Willen in Erfüllung zu bringen.

Nie werde ich die unwillige Bewegung, mit welcher die junge Dame, als Don Manuel geendet, vom Sessel aufsprang, noch das aus ihren Augen sprühende Feuer vergessen. Ihre stolze Haltung und das empörte Gefühl, welches aus ihrem ganzen Benehmen unverkennbar sprach, ließen sie mir so groß erscheinen, daß Don Manuel ihr gegenüber nur einem Zwerge glich. Sie erhob die Stimme und sprach mit einer Kraft, die etwas Aehnliches mit dem Rollen des Donners hatte:

Kannst Du es wagen, elender Betrüger, feiger Verfolger der Unschuld, kannst Du es wagen, den Schatten meiner ehrwürdigen Mutter zu belästern, kannst Du Dich rühmen, daß sie Dir ihre Tochter hinterlassen hat? Wem willst Du glauben machen, daß sie ihr reinstes Blut dem schändlichsten Verbrecher anvertrauet habe? Weißt Du nicht, daß zwischen ihr und Dir ewig die unerreichbare Entfernung statt gefunden, die das Laster von der Tugend trennt. Wohl ist mir bewußt, daß ich mich in Deiner Gewalt befinde, daß ich von Deiner wilden, rachsüchtigen Seele alles zu fürchten habe; aber ich trotze Deinen Kerkern und Deinen Qualen; Du kannst mich ermorden, mich zerfleischen, doch nie wirst Du die Verachtung und den Abscheu, den ich für Dich hege, dämpfen. Nie wird mein Herz für Dich andere Gefühle verschließen, als solche die meine Zunge, so lange sie noch stammeln kann, zu verkünden sich beeifern wird, nämlich: Abscheu, Verachtung, Entsetzen und den tödlichsten, unversöhnlichsten Haß!

Don Manuel, vor Wuth zitternd, befahl mir, mich zu entfernen; ich fürchtete, daß er sie in seiner Raserei ermorden mögte und horchte deshalb an der Thür, aber es blieb von seiner Seite diesesmal bei Drohungen, Bitten, Betheurungen und Schwüren, ohne daß er damit das Geringste über sie gewann. So verflossen mehrere Tage; so oft ich bei ihr war, fand ich sie in Thränen gebadet oder in tiefster Betrübniß. Sie schien mehr Zutrauen zu mir gefaßt zu haben; ihr einziger Trost bestand in einer goldenen Kette, die an ihrem Halse hing, und die sie mit unzähligen Küssen und ihren Thränen bedeckte. Sie vertrauete mir mittheilend, daß diese Kette bestimmt gewesen, das Bildniß ihres theuren, zärtlichen Freundes zu tragen, welches sie von Madrid geschickt bekommen, aber auf eine unbegreifliche Weise verlohren habe, und über diesen Verlust untröstlich sei.

Victoria erröthete und empfand eine innere Bekümmerniß bei dem Gedanken, daß sie, wiewol unschuldigerweise, dazu beigetragen habe, die Leiden dieser Unglücklichen zu vermehren.

Therese fuhr fort:

Endlich kehrte der boßhafte Garzias, dessen lange Abwesenheit Don Manuel sehr geängstigt hatte, ins Schloß zurück. Er und die übrigen Taugenichtse von der Bande, waren mit Hülfe des Teufels, einem Schiffbruche entronnen, und stießen unaufhörlich die schrecklichsten Drohungen und Flüche gegen Diego und Urbino, an denen sie die fürchterlichste Rache zu nehmen beschlossen, aus. Nun erfuhr ich erst, daß unser liebenswürdige Neger Hippolit ein Graf Urbino gewesen; Garzias sprach mit meinem Herrn davon und bei dieser Gelegenheit hörte ich gleichfalls, daß dieses Geheimniß der Donna Mathilde in einem Augenblicke der Angst, als sie von Don Manuel sich geraubt sah, entschlüpft sei. Als ich ihr erzählte, daß der Graf Urbino und Ihr der Verfolgung des bösen Garzias glücklich entflohen wäret, gerieth sie vor Entzücken ausser sich, und seit dieser Zeit behandelte sie Don Manuel mit noch mehr Verachtung und Trotz, so daß ich mich wahrlich oft gewundert habe, daß er sie in seiner Wuth mit dem Dolche nicht durchbohrte.

Ich bemerkte bald, daß Garzias meinem Gebieter äußerst niederschlagende Nachrichten überbracht hatte, und ach, es währte nicht gar lange, so brachte ich in Erfahrung, wovon die Rede war. Als ich mich eines Tages im Saale befand, und Beide meine Anwesenheit nicht zu bemerken schienen, sprach Don Manuel zu Garzias:

Ich würde die Hälfte meiner Schätze für die Gewißheit geben, daß jenes unglückliche Fahrzeug vor dem Sturme gerettet, und der liebenswürdigen Victoria kein Unfall begegnet sei.

Ich hüthete mich wohl, diese Worte der unglücklichen Donna Mathilde zu hinterbringen, weil ich voraussah, daß sie ihre Angst über des Grafen Urbino Schicksal, den sie leidenschaftlich liebte, nur vermehrt haben würden.

Garzias Rückkehr schien auf Don Manuels Benehmen gegen diese Unglückliche wesentlichen Einfluß zu haben; er behandelte sie härter, auffahrender und drohender, so daß ich endlich für ihr Leben zu fürchten begann, und mir es unterfing, ohne Vorwissen meines strengen Gebieters, ihr vernünftige Vorstellungen zu machen. Ich ermahnte sie zur Sanftmuth und Geduld, ich führte Euch, liebenswürdige Dame, als Beispiel an; sagte ihr, daß es Euch nur durch Eure Tugenden möglich geworden wäre, dem grausam scheinenden Don Manuel menschlichere Gesinnungen einzuflößen, ihn zu Euren Gunsten gefühlvoller und großmüthig zu stimmen. Alles, was ich ihr von Euch erzählte, entzückte sie; sie ließ mich stundenlang von diesem Gegenstande reden, und dann that sie mir hundert Euch betreffende Fragen. Ich mußte ihr Euer Gesicht, Eure Gestalt und übriges Benehmen genau beschreiben, ihr die Stellen zeigen, wo Ihr zu sitzen und umherzugehen gewohnt waret, kurz ihr die Anwendung Eurer Zeit bis zum unbedeutendsten Umstande wiederholen. Vor allen andern Dingen aber wünschte sie zu wissen, ob Euer Herz irgend eine zärtliche Neigung enthielte und mit welchem Auge Ihr Hippolit betrachtet hättet. Als ich ihr hierauf Eure Verhältnisse zu diesem Jünglinge erzählte und ihr vertrauete, dass, so viel ich aus Euren Worten hatte schließen können, Ihr einem gewissen jungen Herrn, mit Namen Alfons, sehr gewogen geschienen, so färbte sich ihr Gesicht hochroth und sie schien sehr traurig zu werden; dann rühmte sie Euer Glück, von einem Eurer Zärtlichkeit würdigen Jünglinge geliebt zu sein, und klagte, wie elend sie dagegen sei, einem Gegenstande ihr Herz geschenkt zu haben, von welchem sie nie Gegenliebe erwarten dürfe.

Um aber Euch, theure Sennora, mit dieser schrecklichen Geschichte nicht weiter zu ermüden und mich so kurz als möglich zu fassen, so wisset denn, daß vor vier Tagen Don Manuel mit ungewöhnlicher Heftigkeit zu mir hereintrat und mir befahl, zu ihr zu eilen und ihr nöthigenfalls beizustehn. Ich fand die Unglückliche in einem Anfalle von Verzweiflung, und erfuhr erst nach einer Weile und nachdem ich sie durch meine Ermahnungen etwas beruhigt hatte, daß ihr von Don Manuel die entsetzlichste Nachricht, die ihr schrecklicher sei als der Tod, angekündigt wäre, daß ihr Don Manuel die Wahl überlassen habe, ihn binnen vier und zwanzig Stunden zum Gemal anzunehmen, oder Zeuge des Todes desjenigen zu sein, den sie mehr als ihr Leben liebe. Ach, nie habe ich einen Menschen in einem fürchterlichern Kampfe mit dem Schmerze und der Verzweiflung gesehn, als diese Unglückliche während der schrecklichen vier und zwanzig Stunden.

Nach Verlauf dieser Frist fragte sie Don Manuel mit gräßlicher Kälte, zu was sie sich entschlossen habe. Ich hoffte noch immer, das Ungewitter würde auch dieses Mal vorübergehen; aber hingerissen von ihrem, von Natur zur Heftigkeit geneigten Character, erklärte sie ihm mit einer bewunderungswürdigen Entschlossenheit, daß sie seinen Worten keinen Glauben beimesse, sich durch keinen Betrug hintergehen lasse, daß er bei ihr so wenig mit List als Gewalt seinen Zweck erreichen würde, und sie lieber tausend Mal sterben wolle, ehe sie sich so tief erniedrigen werde, seine Gattin zu sein. Nun konnte aber Don Manuel die in ihm gährende Wuth nicht länger mäßigen. Garzias, das Ungeheuer, reizte ihn noch mehr an, und fürchterlich brach sie los; beide ergriffen die arme Unschuldige, und ungeachtet ihres Geschreis, ihres hartnäckigen Widerstandes schleppten sie dieselbe in jenes schreckliche Gemach, wo, wie ich Euch erzählt habe, einst die Mutter meines theuren Theodors verschwunden ist. Indeß vermuthe ich nicht, daß sie sie werden ermordet haben, denn am andern Morgen sah ich Juan eine Flasche Wein, einen Krug mit Wasser und Brod bei Seite setzen, und später in den Saal, wo Don Manuel gewöhnlich verweilt, tragen. Meine Angst und Neugierde vermogten mich dazu, in einem dunkeln Hinterhalte aufzulauern; nach einigen Augenblicken bemerkte ich Don Manuel, der mit demselben Korbe und einer Laterne in der Hand die große Treppe herauf kam, ich folgte ihm schleichend und sah ihn in jenes Gemach, wohin man Donna Mathilde getragen hatte, eintreten, das sich hinter ihm schloß.

Himmlischer Gott, welcher Lichtstrahl! rief Victoria vom Sessel aufspringend aus. -- Diese Laterne, dieser Korb und jeder kleinliche Umstand frischten in ihrem Gedächtnisse das Andenken an einen Vorfall wieder auf, der sich, da er für sie von keiner Wichtigkeit gewesen, und sie ihn auch für ein Blendwerk ihrer ängstlichen, zerrütteten Fantasie zu halten geneigt gewesen, beinahe darin verwischt hatte. Sie erinnerte sich in diesem Augenblicke vollkommen jenes Räubers, den sie, als sie für die erkrankte Hero Hülfe rufend, in der Frühe des Morgens ihr Schlafzimmer verlassen, gleichfalls mit einer Laterne in den Saal Neptuns hatte wandern gesehn Siehe Seite 67 des ersten Bandes. [In Wirklichkeit befindet sich die betreffende Stelle auf den Seiten 182-184; dorthin führt der Link dieser Anmerkung. D.Hg.]. Sie besann sich, dass, hinter der Colonnade verborgen und mit den ängstlichen Blicken dem Banditen folgend, er plötzlich in den Armen der kolossalischen Statüe Proserpinens, die auf ihn zugehend und ihn umarmend geschienen, verschwunden war. Schnell entschlossen bat sie Octavien und Theresen sie zu begleiten, eilte oder flog vielmehr in den geheimnißvollen Saal Neptuns, ging gerade auf Proserpinens Bildsäule zu, untersuchte sie an allen Seiten mit der größten Aufmerksamkeit, und drückte mit ihren Händen nach und nach alle Theile derselben, die sie erreichen konnte, in der Hoffnung, ein geheimes Federwerk zu entdecken, das den schweren Automaten in Bewegung setzen könnte. Aber alle ihre Versuche blieben fruchtlos, die Statüe stand unbeweglich. Endlich, nach langen wiederholten Bemühungen verlohr Victoria, die sonst bei ihr schwer zu erschöpfende Geduld, ging mit einer Anwandlung von Verdrießlichkeit, die vereitelte Hoffnung so leicht hervorbringt, einige Schritte, immer noch die riesige Gemalin des Höllengottes im Auge, zurück und trat zufällig auf einen aus dem getäfelten Fußboden unbedeutend hervorragenden Stift. Sogleich schob sich die Statüe zu ihr her, breitete ihre ungeheuren Arme, sich öffnend, aus, umschlang Victorien, die ihr unerschrocken entgegenschritt, verbarg sie in ihrem Innern und kehrte auf dieselbe Art zu ihrem vorigen Platz zurück.

 


Viertes Kapitel.

Der schauderhafte Anblick, den Victoriens plötzliches Verschwinden den Augen ihrer erschrockenen Begleiterinnen gewährte, entriß diesen ein durchdringendes Hülfsgeschrei, das die Entführte, die es noch lange Zeit hören konnte, bekümmerte, ohne sie jedoch von der Ausführung ihres gefahrvollen Vorhabens abzuhalten.

Sie fand unter dem Fußgestelle des Automaten eine kleine Treppe, die sie hinabstieg und durch einen langen, engen Gang in eine bedeckte Gallerie gelangte, die an der Aussenseite eines der Thürme des Schlosses hinaufführte, und mit so vieler Künstlichkeit angebracht war, daß man in der Gallerie weder innerhalb des Thurmes, noch von Außen gesehn werden konnte. Von Hoffnung angefeuert und ermuthigt stieg sie hastig die enge Bahn hinauf und erreichte das platte Dach des Thurmes von ungefähr dreißig Fuß im Durchmesser, auf welchem sich in der Mitte eine gothische Spitze in Form einer Pyramide erhob, deren stumpfes Ende durch eine Art von vorspringendem Mauerwerk mit dem Schlosse wieder in Verbindung stand. Nach einigem Suchen entdeckte Victoria in einer der Nischen, womit die Pyramide geziert war, eine kleine eiserne, mit Riegeln von außen verschlossene Thür. Ihrer ängstlichen Ungeduld, vereint mit der natürlichen Schwäche ihrer Arme, gelang es nur nach wiederholten Bemühungen, die rostigen Riegel zurückzuschieben und die Thür zu öffnen, hinter welcher sie einige aufwärts führende Stufen bemerkte. Auch die Dunkelheit im Innern der Pyramide schreckte nun die Muthige nicht ab; einzelne Lichtstrahlen, die durch die Ritzen des Gemäuers fielen, waren ihre einzigen Führer, und doch drang sie bis in die Spitze, wo sie zwar eine Verbindung mit dem obern Theile des Hauptgebäudes vermuthete, von der schwarzen Finsterniß aber verhindert wurde, irgend einen Gegenstand zu unterscheiden. Jetzt erst fühlte sie lebhaft ihre Unbesonnenheit, sich ohne Licht so weit an Orte gewagt zu haben, wo sie vermuthen konnte, daß sie desselben bedürfen würde.

Endlich fand sie im Finstern umhertastend einen Eingang zu ihrer Linken, und indem sie überlegte, ob sie in der Dunkelheit diesen unbekannten Weg verfolgen oder zurückkehren sollte, um sich mit Licht zu versehen, hörte sie deutlich einen tiefen Seufzer, wie ihn das Elend dem Leidenden entpreßt. Nun war für sie keine Wahl übrig; entschlossen und ohne Zagen wanderte sie weiter, half sich mehr durch das Gefühl als ihr Gesicht, richtete sich nach den Tönen des Gewimmers und der Klagen, die sie von Zeit zu Zeit hörte, und faßte nach einigen Schritten mit der Hand statt der Mauer ein Eisengitter, hinter welchem sie, Geräusch vernehmend, den unglücklichen Gefangenen vermuthete.

Redet, rief sie in ängstlicher Erwartung, von der Heftigkeit ihrer Empfindungen fortgerissen, sprecht, wo ist Urbino?

Wer ruft?

Antwortete eine weibliche Stimme, aber so schwach, daß man sie kaum verstehen konnte.

Göttliche Vorsehung! sprach Victoria, sicher ist es die unglückliche Mathilde.

Wer nähert sich, die Augen der unglücklichen Mathilde zu schließen? fragte die arme Eingekerkerte.

Die Hand einer Freundin, die Euch befreien, Euch das Glück und die Ruhe wiedergeben will, erwiederte Victoria zu gerührt, um sich zu verstellen.

Aber Mathilde gab keinen Laut weiter von sich, obgleich Victoria ihr mit den zärtlichsten Worten Muth einsprach. Jetzt ward es ihr begreiflich, daß der Schreck und die Freude, die Geisteskräfte des schwachen, schmachtenden Opfers erschöpft haben könnten, und sie fühlte bittere Reue, mit der Ankündigung ihrer Befreiung so unvorsichtig geeilt zu haben.

Mittlerweile hatten sich ihre Augen mehr an die Dunkelheit gewöhnt, und sie konnte jetzt deutlich unterscheiden, daß das vor ihr befindliche Gitter die Thür eines kleinen Gefängnisses sei, in dessen Hintergrunde sie auf einen Haufen Stroh ein weibliches Wesen ausgestreckt liegen sah. Gern wäre sie sogleich zum Beistande der Unglücklichen hineingedrungen, aber vor dem Gitter hing ein gewaltiges Vorhängeschloß, das sie zu zerbrechen, nicht hoffen durfte. Sie eilte daher mit dem Eifer, Menschlichkeit zu üben und Beistand herbei zu rufen, die Treppe hinab, vergaß an ihre eigene Sicherheit zu denken, und erst als sie den bedeckten Gang erreicht hatte, stieß ihr der peinliche Gedanke auf, daß es ihr vielleicht nicht gelingen möchte, Proserpinens schweres Standbild von innen ohne Kenntniß des Geheimnisses von der Stelle zu bringen. Was sollte, war ihre Furcht gegründet, aus Mathilden, deren Zustand die schnellste Hülfe verlangte, und aus ihr, der Miteingekerkerten werden? Und doch blieb ihr kein anderer Ausweg übrig; sie mußte daher den Versuch wagen und sich mit zuversichtlichem Vertrauen auf die Güte der Vorsehung verlassen.

Noch war sie den bedeckten Gang am Thurme nicht hinabgestiegen, als ein verwirrtes Geräusch vieler Stimmen, vereint mit dem Getöse von Hammerschlägen und dem Krachen des Brecheisens ihr Ohr betäubte, und ihr nach wenigen Augenblicken Octavien in Begleitung eines Haufens Familiare, von denen, die zur Bewachung des Schlosses zurückgeblieben waren, entgegen stürzte. Octavia war nämlich über das plötzliche Verschwinden Victoriens, sogleich zu den Inquisitoren geeilt, um sie von der Gefahr, in die sich ihre Gebieterin unbesonnenerweise gestürzt hatte, zu unterrichten; und ohne weiteres hatten diese, durch die zu dergleichen Zwecke mitgenommenen Arbeiter, die unbewegliche Statüe zerbrechen und zerstören lassen, wodurch man sich einen ungehinderten Eingang verschafft hatte.

Octavia jubelte, als sie ihre theure Victoria lebend und wohl wiederfand, und diese theilte ihre Empfindungen bei dem Gedanken, daß sie jetzt im Stande sei, Mathildens Gefängniß zu öffnen; sie benachrichtigte die Familiare von ihrer neuen Entdeckung, und da diese mit Licht versehen und allen zu solchen Unternehmungen erforderlichen Werkzeugen, gerüstet waren, so ließen sie sich von ihr den Ort des Jammers näher bezeichnen und stürmten so rasch fort, daß ihnen ihre ermüdeten, schwächlichen Begleiterinnen nur langsam folgen konnten, und endlich aus Mangel an Raum in dem engen, mit Menschen angefüllten Gange am Fuße der Pyramide zurückblieben, wo ihnen nach einer Weile die zurückkehrenden Inquisitoren ankündigten, daß sie zwar ihrer Weisung zufolge eine Gitterthür aufgebrochen, in dem Kerker aber statt der Gefangenen, die Victoria gesehn zu haben glaubte, einen Greis gefunden hatten. Mit ängstlicher Neugierde warf Victoria einen Blick auf den Befreieten und genoß des Glückes, ihren verehrten Freund Don Sebastian in ihre Arme zu drücken.

Mehr als zweitägiger Mangel an Nahrung, verbunden mit der dicken, faulen Luft des Gefängnisses hatten ihn so sehr geschwächt, daß er sich im Zustande gänzlicher Gefühllosigkeit befand. Man trug ihn ins Schloß hinab, wo die gute Therese, deren Pflege er übergeben wurde, ihn jedoch mit Hülfe einiger Stärkungsmittel wieder ins Leben zurückrief und nachdem sie ihn mit leichter, nahrhafter Speise erquickt hatte, ein gutes Bette für den abgemagerten Greis besorgte.

Victoria, die fest überzeugt war, die unglückliche Mathilde gesehn und ihre Stimme gehört zu haben, drang von neuem in die geschäftigen Inquisitoren, ihre Untersuchungen im obern Theile der Pyramide und dem von dort aus an das Hauptgebäude stoßenden verdeckten Gange fortzusetzen, diese waren sogleich bereit, ihrem Wunsche zu willfahren, doch schon hatten einige oben Zurückgebliebene den Kerker der Leidenden entdeckt und trugen die schöne, ohnmächtige Mathilde in ihren Armen behutsam die Stiegen hinab.

In der abgestumpften Spitze der Pyramide befanden sich zwei dicht nebeneinander gelegene Seitengänge, die zu Gefängnissen dienten; zufällig war Victoria in der Dunkelheit an das Gitter gerathen, das Mathildens Kerker verschloß, wogegen die Inquisitoren zuerst beim Scheine ihrer Fackeln den Gang und das Gefängniß fanden, wo Don Sebastian schmachtete.

Mathildens Zustand war weit beunruhigender als Don Sebastians; mit ungeduldiger Besorgniß erwartete Victoria die Rückkehr des Pater Peter, damit dieser als Arzt sich der schönen Kranken annehmen könnte, welche zwar nach einigen gewöhnlichen Mitteln aus ihrer Bewußtlosigkeit erwacht war, aber noch immer keinen Laut von ihren Lippen hören ließ und so kraftlos und für alles unempfindlich blieb, daß man bei dem Mangel ärztlicher Hülfe hinreichende Ursache hatte, für ihr Leben zu fürchten.

Die Bauart des obern, mit dem Schlosse vereinigten Theils der Pyramide bewieß unwiderlegbar, daß solcher weiter keine Gefängnisse, als die aufgesprengten, verbergen konnte; daß mithin alles weitere Durchsuchen auf dieser Seite überflüssig und unnütz sei. Diese traurige Wahrheit, von der sich Victoria mit eignen Augen überzeugt hatte, verwirrte ihren Geist und betrübte ihr Herz schmerzlich; doch ließ sie ihre Standhaftigkeit und ihre Geistesgegenwart nicht von sich weichen und jeden auch den kleinsten Umstand, der sie vielleicht dem Ziele nähern konnte, hoffnungsvoll erhaschend, ging sie zu dem ältesten Pater, dem die übrigen gehorchten und sprach:

Hochwürdiger Vater, aus Diego's Beschreibung von diesem Schlosse weiß ich, daß hier vier Thürme vorhanden sein müssen; ist es nicht wahrscheinlich, daß sich auf der Höhe der drei übrigen, auch eben solche Gefängnisse befinden, wie diejenigen, welche uns die Vorsehung auf eine fast wunderbare Weise hat entdecken lassen?

Eure Vermuthung, meine liebe Tochter, antwortete der gute Pater, scheint mir um so gegründeter, als ich mich sehr wohl erinnere, bei unserer Durchsuchung des westlichen Flügels ein ganz gleiches Gemach, wie jenes, wo Ihr die glückliche Entdeckung machtet, gefunden zu haben. Auf dem Fußboden dieses Gemaches lag ein Dolch und daneben bemerkten wir frische Spuren von Blut, woraus wir schließen mußten, daß dort vielleicht kurze Zeit vor unserer Ankunft irgend eine blutige That verübt sei.

Eine schreckliche Angst wälzte des Paters Erzählung auf Victoriens Seele und gräßliche Ahnungen rief sie aus ihr herauf; peinigend war dieser Zustand zwischen Angst und Hoffnung, dieses Schwanken zwischen Duldung und Verzweiflung, es mußte enden; sie fühlte, daß sie jetzt noch Kraft besitze, das Gefährlichste zu wagen; die Augenblicke waren ihr, so wie dem Gatten, kostbar, sie beschwor also den Pater ungesäumt zur Untersuchung des westlichen Thurms zu schreiten.

Auch diesen beseelte religiöser Eifer und Menschlichkeit; er rief sogleich die Layenbrüder mit den Brecheisen und Aexten herbei, gesellte zu ihnen einen Trupp bewaffneter Familiare, und an ihrer Spitze von Victorien begleitet, begab man sich nach dem westlichen Thurme und dem von ihm bezeichneten Saale.

Dieser war dem Saale Neptuns völlig gleich, am Eingange befand sich gleichfalls eine halbrunde Colonnade, in deren Mitte die schöne Statüe Amphitridens stand. Das Innere des Saals war indeß verfallen, und der baufällige Zustand desselben zeigte augenscheinlich, daß er schon seit vielen Jahren unbenutzt geblieben und seit seiner ersten Erbauung vielleicht nicht ausgebessert sei. Am besten hatte sich noch die Bildsäule Plutos erhalten; sie war rücksichtlich der kolossalischen Größe und des Standpunktes, der vor wenigen Stunden zerstörten Statüe Proserpinens ganz gleich.

Auch Pluto hatte bald dasselbe Schicksal. Nach seiner Zerstörung erblickte man unter dem Fußgestelle gleichfalls einige Stufen, die hinabführten, und stieg dann auf die schon bekannte Art durch die gewundene und bedeckte Gallerie auf den Thurm. Die gothische Spitze desselben war mit dem nördlichen Thurme symmetrisch, aber die Thür in derselben stand offen, ein Umstand, der Victorien von ungünstiger Vorbedeutung schien, weil sie daraus schließen zu können glaubte, daß man eine so einfache Vorsicht nicht versäumt haben würde, sobald irgend ein Gefangener im Innern eingeschlossen sei; indeß stieg sie mit ihrer Begleitung hinauf. Die Treppe war in Ansehung ihrer Bauart von der im nördlichen Thurme verschieden, auch bestand sie aus weit mehr Stufen und endigte sich auf eine andere Art. Oben befand sich nämlich eine runde, umlaufende Gallerie, in deren Mitte sich der Schaft einer Säule mit dem Karnieß versehen, erhob; diese cylinderförmig aus Stein gehauene Masse war vier Fuß hoch und hielt sechs Fuß im Durchmesser.

Eine genaue Besichtigung ergab sogleich, daß die gothische Spitze auf der Plattforme keine Gefängnisse enthalten konnte, und doch waren alle diese auf eine so geheime und künstliche Weise angelegten Gänge, Gallerien und der Cylinder gewiß nicht ohne Absicht erbaut. Man besprach sich über diesen Gegenstand, und die von Allen geäußerten verschiedenen Muthmaßungen vereinigten sich zu der einstimmigen Meinung, daß der Säulenschaft die Umkleidung einer Windeltreppe sein könne, die in den Thurm hinabführe, wo wahrscheinlich Gefängnisse vorhanden sein würden. -- Nun gerieth man aber über die Wahl der Mittel, diese Vermuthung zu ergründen und sich einen Zugang zur Treppe zu bahnen, in Verwirrung, denn die Dauerhaftigkeit der Säule, die Jahrhunderte nicht hatten beschädigen können, widerstand allen Anstrengungen der Arbeiter, und es wollte keinem Werkzeuge gelingen, sie zu zerstören.

Schon beschloß man, überzeugt von der Unmöglichkeit, den harten Stein zu zertrümmern, die unnütze Arbeit aufzugeben und von dem Unternehmen abzustehen, und hielt es für gerathener zu versuchen, ob sich vielleicht am Fuße des Thurmes ein Eingang in die Mauer leichter brechen lasse, als Victoriens scharfes Auge in einer von den tiefen Reifen, womit die Säule geziert war, einen kleinen künstlich verborgenen Ring von Kupfer entdeckte, der, als man daran zog, ein Geräusch wie das Rollen einer Kette im Innern der Säule veranlaßte; gleich darauf fing das Karnieß der Säule sich zu bewegen an, und ward nach einigen Augenblicken von vier starken Eisenstangen, die aus dem Gestein langsam emporstiegen, in die Höhe geschoben. Mit Erstaunen und Bestürzung gewahrten nun die aufmerksam Umstehenden, daß statt der vermutheten Treppe das Innere der Säule eine ungeheure Leere, gleich einem Brunnen, dessen Grund man nicht absehen konnte, zeigte. Eine seltsame Maschine hing vermittelst einer langen Kette, deren Ende in der Tiefe sich verlohr, an einem in der innern Einfassung der Säule befestigten dicken Balken. Diese Maschine bildete eine Art von eisernen Lehnstuhl, der mit Ringen, Spangen und Fesseln versehen war, die dazu bestimmt zu sein schienen, den Leib, die Hände und Füße desjenigen anzuschließen, den man auf diesen Sessel sich niederzusetzen zwang; an beiden Seiten desselben waren zwei eiserne Körbe angebracht, die augenscheinlich zu keinem andern Gebrauche sein konnten, als die Henker zu tragen, welche beauftragt waren, das unglückliche Schlachtopfer zu begleiten, seine Fesseln am Bestimmungsorte zu lösen, es vom Sessel herabzureißen und seinem Schicksale zu überliefern, einem schrecklichen Schicksale, vor dem die Einbildungskraft mit Entsetzen zurückschreckte.

Beim Anblicke dieses fürchterlichen Apparats schauderten Alle und beobachteten ein tiefes Stillschweigen. Nur Victoria bemerkte, als sie mit über den Rand des schrecklichen Brunnens gebeugtem Kopfe alle Theile des Folterinstruments betrachtete, einen Fetzen weiße Leinewand, der an einem der Eisenstabe hängen geblieben zu sein schien und vom Zugwinde bewegt flatterte; und da sie glaubte, daß sie bei dieser Gelegenheit auch den kleinsten Umstand nicht vernachlässigen dürfte, so riß sie es los, um es zu untersuchen. Aber bleicher noch als die Leinewand in ihrer Hand färbte sich ihr Gesicht, als sie mit schmerzlich traurigem Gefühle auf diesem Fetzen die Anfangsbuchstaben ihres eignen Namens entdeckte, und ihr dieses Zeichen verrieth, daß es ein Stück von ihrem eignen Tuche sei, mit welchem sie einst Thomas Wunde verbunden, und das, wie sie aus des Matrosen Erzählung wußte, Urbino zu sich genommen, auch immer bei sich getragen hatte. Nach so vieler Angst, so manchen gescheiterten und immer wieder erstandenen Hoffnungen, welch eine schreckliche Gewißheit? -- Denn daß Urbino an dieses Mordinstrument gefesselt gewesen, war ihr eben so klar als der blaue Himmel über ihr.

Eine Weile blieb sie unbeweglich und in eine Art von Sinnlosigkeit versenkt, dann richtete sie ihre Augen zum Himmel, wandte sich zu dem Vornehmsten der Inquisitoren und sagte mit bewegter, dumpfer, aber fester Stimme:

Wohlan, jetzt bleibt nur noch ein Schritt zu wagen übrig.

Was wollt Ihr beginnen? fragte der Pater mit Erschrecken, wer kann die Verwegenheit haben, den Gefahren zu trotzen, mit denen dieser satanische Ort uns bedroht.

Ich werde sie haben, antwortete Victoria mit Festigkeit.

Ihr, meine Tochter! Glaubt Ihr denn, daß ich es zulassen werde, daß Ihr vor meinen Augen in den unvermeidlichsten Tod Euch stürzt? Liegt es nicht klar am Tage, daß diese der Hölle würdige Erfindung, keinen andern Zweck habe, als jedes dem Tode geweihete Opfer auf eine grausame Art zu verderben? Denn ohne Zweifel stürzt sie den Unglücklichen in einen Strudel, der ihn verschlingen muß, oder in eine von wilden Thieren bewohnte Höhle, die ihn zerreißen!

Die Gefahr, Hochwürdiger, erwiederte Victoria unerschrocken, ist wahrlich nicht so groß, als Ihr glaubt. Die zwei eisernen, zu beiden Seiten der Maschine befestigten Körbe sind unbezweifelt dazu bestimmt, Männer zu tragen, die nicht in den Tod gehen, und die auch sicherlich nicht fürchten, daß sie ihr Leben wagen werden.

Aber diese Männer kennen das Innere dieses scheußlichen Brunnens, entgegnete der Inquisitor, sie wissen, wie tief sie sich ohne Gefahr hinablassen dürfen, ja es ist sogar wahrscheinlich, daß ein ihnen bekanntes Geheimniß existirt, das sie vor jedem Unfalle beschützt. -- Gute Tochter, der Eifer Eure Pflichten zu erfüllen, führt Euch auf Abwege und reißt Euch über die Grenzen der Vernunft hinaus; ich würde mich als Euren Mörder betrachten, wenn ich mich nicht mit aller meiner Macht Eurem thörigten Vorhaben widersetzen wollte.

Und hierauf befahl er die Säule zu verschließen. Diese Weigerung erbitterte Victorien; sie hielt es für ihre Pflicht, das Schicksal Urbino's an allen Orten mit Gefahr ihres Lebens zu erforschen, und fand daher des Paters Widerstreben ungerecht und tyrannisch.

Hochwürdiger! redete sie ihn entschlossen, ja sogar mit einiger Heftigkeit an, wenn Ihr mich verhindern könntet, meinem Willen und meiner Pflicht zu folgen, so möge Urbino's Blut über Euer Haupt kommen! -- Dann sank sie von der Macht des Gefühls hingerissen auf ihre Knie, streckte ihre Hände zum Himmel und rief in Begeisterung aus: Allmächtiger Richter der menschlichen Handlungen, der Du mir befiehlst, zum Beistande meines Gatten hinzueilen, ich flehe zu Dir, ich beschwöre Dich, verzeihe seinen Henkern und strafe mit Deinem rächenden Arme denjenigen, der sich mir in dem Augenblicke widersetzt, wo ich der Pflicht gehorchen muß!

Ihr Gesicht war verklärt bei diesen Worten, sie schien vom Himmel begeistert und mit Heldensinn beseelt zu sein. Niemand konnte sich hinauf zu dieser Höhe schwingen. -- Der Pater Vorsteher war betroffen. Achtung und Furcht vor der göttlichen Strafe ergriffen ihn; er wagte es nicht weiter, sie an der Ausübung ihres Vorhabens zu hindern, sondern beauftragte seine Getreuen, den Befehlen der Gemalin Urbino's in Allem zu gehorchen.

Sie verlohr keinen Augenblick, ließ sich eine Fackel, eine Laterne und etwas Wein reichen, setzte sich in den eisernen Lehnsessel und sprach zu dem Pater: Versprecht mir, Hochwürdiger, wenigstens so lange hier auszuharren, bis meine Freunde von Rosas zurückgekehrt sein werden, und mit Achtsamkeit die Bewegungen dieser Kette zu beobachten, mit ihr will ich ein Zeichen geben, sobald ich wünsche, daß die Maschine herauf gezogen werde.

Feierlich versprach der Inquisitor, nicht eher von der Stelle zu weichen, bis jede Hoffnung, sie wiederzusehn, erloschen sei; nun befahl sie mit kühnem Muthe, die Kette rollen zu lassen.

Stillschweigend, doch mit Widerwillen gehorchten die Inquisitoren; es zwang sie eine höhere Macht, ihre Kräfte dem Gebote der Schwachen zu widmen, und keiner wagte durch Worte seine Misbilligung zu verrathen.

 


Fünftes Kapitel.

Wärend Victoria dem entschwundenen Gatten mit stiller Duldung dieses große Opfer brachte, beugten die umherstehenden Mönche alle, von einem unwillkürlichen Drange zur Anbetung hingezogen, ihre Knie und baten den Himmel um seinen Segen für die junge, schöne Heldin, die nun bald mit der Märtyrerkrone geschmückt vor ihm erschien. Inzwischen trennten sich die Ringe der Kette langsam von der Walze, die zwei kräftige Familiare mit Anstrengung handhabten, und die allmälig im schwarzen Abgrunde versinkende, schreckliche Maschine, entzog Victorien bald den Blicken der schaudernden Zuschauer, deren Wünsche und Thränen die Unglückliche begleiteten. Lange Zeit herrschte tiefes Stillschweigen umher, nur das knarrende Rasseln der Kette in der finstern Tiefe tönte unglückverkündend von unten herauf und vermehrte die allgemeine Angst.

Endlich war die Kette ganz hinunter gerollt und Victoria, die im Sinken einen Raum von mehr als funfzig Klafter zurückgelegt hatte, befand sich etwa sechs Fuß unter dem Brunnen, in einer langen, finstern Höhle, deren Boden in der Mitte erhaben war, die beiden abhängigen Seiten aber von den Wellen des nahen Meers bespült wurden. Die eiserne Maschine, die sie in ihren Armen trug, senkte sich auf ein erhabenes, abgeflachtes Felsenstück, einem engen Pfade zu ihrer Rechten gegenüber nieder. Victoria überlegte nicht lange, sprang vom Sessel hinunter: nahm die Fackel in ihre linke Hand und schlug kühnlich den vor ihr liegenden Pfad ein, nicht ohne Besorgniß, von den Wellen, welche sich an dem Felsen, der sie trug, brachen, verschlungen zu werden. Kein Tageslicht erhellte die Höhle, ihr Ausgang mußte sich nach Victoriens Vermuthung ins Meer erstrecken; es würde daher gefährlich gewesen sein, zur Zeit der Fluth sich weiter zu wagen; da aber Victoria aus dem Sinken des Wassers richtig schloß, daß die Ebbe eingetreten sein müßte, so setzte sie ihren Weg fort und fand bald eine kleine eiserne Thür in dem Felsen, die durch zwei starke Riegel von Außen verschlossen war. Nach langer, mühseliger Anstrengung gelang es ihr, einen nach dem andern zurückzuschieben und die Thür, welche sich nach inwendig öffnete, aufzustoßen. Der Modergeruch und ein feuchter Dunst, der sie zu ersticken drohete, ließen sie die Bestimmung des Ortes errathen, und in ihm ein niedriges, enges Gefängniß erkennen, zu welchem die Luft von Außen nur spärlich und mühsam gelangte. Sie ging einige Schritte tiefer hinein, aber die sie umgebende dicke Ausdünstung verdunkelte die Fackel so sehr, daß sie kaum die Gegenstände erkennen konnte und ein Ersticken der Flamme befürchten mußte. --

Nach einer Weile unterschied sie indeß in einem Winkel dieses finstern Kerkers eine männliche, auf einen Haufen Stroh ohne Bewegung ausgestreckt liegende Gestalt, die mit einem Mönchsgewande bekleidet war und so lag, daß sie mit dem einen Arme das Gesicht bedeckte. Zitternd vor Hoffnung und Angst, kaum athmend wagte sie es, die andere Hand zu berühren, um sich von dem Leben oder Tode des Liegenden zu überzeugen; aber wenn gleich die brennende, trockne Haut keinem Leichnam zugehören konnte, so fühlte sie doch an der Gewalt des Fiebers, von dem der unglückliche Gefangene verzehrt wurde, daß sein Lebenslicht dem Erlöschen nahe sei. Sie zog ihm nun langsam und zagend den Arm vom Antlitze, blickte hin, erkannte die geliebten Züge und stürzte mit dem Ausruf: Mein theurer Urbino, ohnmächtig zu Boden.

Einige Zeit blieb Victoria ihrer Sinne beraubt, und als sie wieder erwachte, starrte sie erst eine Weile die Dunkelheit an, ehe sie bemerkte, daß die ihr entfallene Fackel erloschen sei. Sie hob sie auf, erinnerte sich, daß sie beim Aufschieben der Riegel die noch brennende Laterne am Eingange des Kerkers zurückgelassen hatte, holte sie herbei, die Fackel wieder anzuzünden, riß sie hastig auf und sah das halb erstickte Flämmchen von einem vorüberziehenden Luftzuge gleichfalls erlöschen. Was nun beginnen? Schwarze Finsterniß schloß die Unglückliche ein, von allen Rettungsmitteln entblößt. Blieb ihr nur der Trost an der Seite ihres Gatten zu sterben? --

Die schrecklichsten Gedanken, die peinlichsten Vorwürfe bestürmten sie in diesem fürchterlichen Augenblick! -- Schon schwang der Tod seine Sichel über Urbino, nur frische Luft und schleunige Mittel konnten ihn vielleicht retten, und sie selbst war es, die durch ihre unvorsichtige Uebereilung, den schwachen Hoffnungsschimmer zur Erhaltung des endlich glücklich aufgefundenen Gatten in Grabesnacht verwandelte. Wie sollte sie ohne Licht den Weg zum Kanal, wo die Maschine ihrer wartete, wiederfinden; mußten nicht die auf des Thurmes Höhe Verweilenden, aus ihrem langen Zurückbleiben, die Bestätigung ihrer gräßlichen Ahnungen folgern, und der Gedanke an ihren gewissen Untergang und die Gefahren der unbekannten Tiefe Jeden zurückschrecken, der von Menschlichkeit und Mitleid angespornt, es hätte wagen wollen, ihren Spuren zu folgen? Und doch blieb ihr nichts übrig, als zu versuchen, ob sie im Finstern den Weg zurückfinden könnte, sie faßte daher den kühnen, aber nothwendigen Entschluß, sich auf den schmalen Felsenpfad hinauszuwagen und keine Gefahr zu scheuen.

Verschlingt mich das Meer auf dieser unsichern Bahn, sprach sie zu sich selbst, so wird mich der Gedanke im Todeskampfe trösten, daß Urbino, um mich zu retten, oft einem ähnlichen Schicksale getrotzt hat.

Schon war sie an der Thür des Gefängnisses, als die traurige Vorstellung, daß sie sich wahrscheinlich auf immer von Urbino trennen werde, ihren Geist mit solcher Macht ergriff, daß sie gefesselt stand. Nach langem Ueberlegen und Schwanken kehrte sie an das Schmerzenslager ihres sterbenden Gatten zurück, kniete neben ihm nieder, drückte die mit Fiebergluth überzogene Hand des Jünglings, und fühlte auch die ihrige von ihm sanft gedrückt.

O Gott, rief sie aus, er erkennt mich noch. Thränen stürzten aus ihren Augen; sie drückte einen letzten Kuß auf die brennende Hand des unsichtbaren Geliebten, sprang dann entschlossen auf und verließ mit den Worten: Lebe wohl, mein Urbino, ich bringe Dir Hülfe oder sterbe! den Kerker.

Noch war sie inzwischen kaum einige Schritte auf dem schmalen Pfade tappend fortgegangen, so bemerkte sie auf dem zu ihrer Seite rauschenden Gewässer einen schwachen Lichtschimmer sich bewegen, und das für jede Hoffnung verschlossene Herz der Armen öffnete sich schnell ihr wieder. Bald sah sie den Lichtschein, bald verschwand er wieder; dieses währte einige Augenblicke, bis er sich bald darauf ohne Wechsel auf der Oberfläche viel glänzender als vorher zeigte. Nun erst ward Victoria gewahr, daß der Schein nicht von der Seite, wo sie Hülfe etwa erwarten konnte, ihr sichtbar würde, sondern vielmehr am Ausgange der Höhle der Meeresseite zu, entstehen mußte und sie also selbst den unrechten Weg eingeschlagen habe.

Wärend dem näherte sich der Schein immer mehr und seine blendenden Strahlen ließen den Glanz einer Fackel vermuthen. Victoria war unschlüssig, was sie thun sollte; sie schwankte zwischen Hoffnung und Angst, doch hielt sie es für rathsam, sich von der Ursache dieser nahenden Helligkeit zu überzeugen und verbarg sich zu dem Ende hinter einem Felsstücke am Eingange des Kerkers. Kurz darauf unterschied sie im Hintergrunde der Höhle eine männliche Gestalt von schreckhaftem Ansehn, die langsam und vorsichtig zwischen den Felsen herauf kam, und deren hoher und plumper Wuchs sie sogleich an den bösartigen Garzias erinnerte und ihre Angst vergrößerte.

Nach einer Weile sah sie einen Zweiten, dessen Anblick nicht weniger Furcht erregend war, mit derselben Langsamkeit, und Vorsicht seinem Begleiter folgen. -- Plötzlich standen Beide still und unterredeten sich ; der Erstere zog einen Dolch unter seinem Mantel hervor, und obgleich sie zu leise sprachen, um von Victorien verstanden werden zu können, so verriethen doch ihre Gebärden, den Vorsatz zu irgend einer gräßlichen That. Sie setzten gleich darauf ihren Weg fort und jetzt, als die Fackel einen Schein auf das Gesicht dessen, der sie trug geworfen, erkannte die Verborgene wirklich die Züge Garzias; und hätte nicht der Gedanke an die ihrem Gatten geltende neue Gefahr, auch ihrer Seele neue Kraft verliehen, so wäre sie sicher beim Anblicke dieses Ungeheuers vor Entsetzen zu Boden gestürzt. Sie waren nur noch wenige Schritte von ihr entfernt; fest entschlossen, ihren Gatten zu beschützen, ihn mit ihrem Körper zu bedecken und den Stoß des Mörders für ihn zu empfangen, schlüpfte sie in das Gefängniß und verbarg sich hinter der geöffneten Thür, denn schon hörte sie der Kommenden nahe Schritte, und der Schein der Fackel fiel hell in den dunkeln Marterort.

Garzias und sein Begleiter schienen betroffen, als sie die Thür geöffnet fanden, verweilten zögernd vor derselben und blieben einige Augenblick ungewiß, was sie thun sollten; Garzias unterbrach dann zuerst die Stille mit einem schrecklichen Fluche und fügte hinzu, daß die verwünschte Inquisition sicher auch diesen Kerker aufgespürt und ihr Opfer entführt habe.

Nein, nein, erwiederte der Andere, an dessen Stimme Victoria den schändlichen Grafen von Vizenza erkannte. Dort liegt er ohne Bewegung, ich glaube fast, der Tod hat uns vorgegriffen, und uns um die Wollust betrogen, ihn mit eignen Händen zu morden.

Das wollen wir gleich sehen, antwortete Garzias, aber, tod oder lebendig, Gott soll mich verdammen, wenn ich ihm nicht den Dolch bis ans Heft ins Herz stoße!

Kaum hatte er diese gräßlichen Worte ausgesprochen, so verrieth ein Aechzen Urbino's, daß er lebe, und diese Gewißheit überzog das Gesicht des Ungeheuers mit einer teuflischen Freude, die sich durch ein satanisches Lächeln zu erkennen gab. Blutgierig stürzte der Tieger auf das Lager, wo seine Beute bereits mit dem Tode kämpfte, zu, und schwang den mit dem Dolche bewaffneten Arm, da sprang Urbino's Schutzengel, jede Gefahr, die Pflicht der Selbsterhaltung vergessend, mit Blitzes Schnelligkeit zwischen den Mörder und sein Opfer. Von der raschen Bewegung war die Kapuze zurückgeworfen, ihr todtenbleiches Gesicht, ihre wildfunkelnden Augen, ihre von Angst und Verzweiflung entstellten und dem bläulichen Scheine der Fackel, den des Kerkers faule Dünste färbten, erhellten Züge, gaben ihr die Gestalt eines Gespenstes; das schwarze Mönchsgewand und das um ihren Kopf flatternde Haar, so wie ihr plötzliches Erscheinen, vermehrten diese Täuschung.

Bei ihrem Anblicke taumelte Garzias erschreckt zurück, das Mordinstrument fiel aus seiner Hand und mit eiligen Schritten floh er schreiend davon, ihm folgte von gleichem Grauen gejagt und eben so furchtsam als er, sein feiger Kumpan.

Victorien, die sich mit ihrem Gatten von Henkershand schon durchbohrt glaubte, blieb die schnelle Flucht der Mörder unerklärbar, sie bezweifelte das Zeugniß ihrer Sinne, nur erst, als der Wiederschein der davon eilenden Fackel immer schwächer wurde, endlich ganz verschwand und mit dichter Finsterniß wechselte, hielt sie den Theuren für gerettet. Wer aber bürgte ihr dafür daß seine Mörder nicht zurückkehren würden? Verweilte sie länger noch bei ihm, so überlieferte sie den Unglücklichen, der kaum noch athmete, den sichern, unvermeidlichen Armen des laurenden Todes; verließ sie ihn, so ward er vielleicht den Dolchen der zurückgekehrten Garzias und Vizenza blosgestellt. Nach welcher Seite sollte sie sich wenden, damit das Opfer ihres Lebens dem Geliebten nützlich werden mögte? Starr und im Zustande der Unempfindlichkeit heftete sie ihre Augen auf die undurchdringliche Finsterniß; die kostbare Zeit verstrich, jeder Augenblick gebot über des Theuren Leben und doch konnte sie sich zu keiner Wahl entschließen; da zitterte abermals ein Lichtschein auf der Oberfläche des Wassers und bedrohete die Bebende mit der Rückkehr der blutdürstigen Banditen; indeß glaubte sie zu bemerken, daß der Schein, dessen Helligkeit sich immer mehr ausbreitete, sich von der andern Seite der Höhle nahe, und demselben Pfade folge, der sie von dem eisernen Armsessel bis zu Urbino's Kerker geleitet hatte. Diese Bemerkung beruhigte sie etwas und ließ die Hoffnung, diesen Balsam des Lebens, um so schneller in ihrem Busen wieder aufkeimen, als sie in der Entfernung ihren Namen zu wiederholten Malen auf eine Art rufen hörte, welche die lebhafteste, zärtlichste Unruhe deutlich aussprach.

Ein Gefühl des Entzückens, das ihrem Herzen längst schon fremd geworden war, drang in ihre Seele, und diese wohlthätige Erschütterung überwältigte ihre physische und moralische Stärke, mit welcher sie bis hieher den stürmischen Wechsel des Schicksals bekämpft und ertragen hatte. -- Umsonst versuchte sie der immer näher tönenden Freundesstimme zu antworten, ihre zitternden Füße wollten sie nicht mehr tragen, ihre zunehmende Schwäche behielt die Oberhand, ihre Augen schlossen sich und einer Ohnmacht nahe, klammerte sie sich an den Felsen, aus welchem Urbino's Gefängniß bestand, bis sie die Arme eines Herbeigeeilten, der sie mit den zärtlichsten Namen und tausend Küssen begrüßte, umfingen; Victoria erkannte die geliebte Stimme, sie öffnete ihre Augen und als sie sich überzeugt hatte, daß keine Täuschung arglistig mit ihr spiele, konnte sie dem Andrange der ungewohnten Gefühle nicht länger widerstehen und verlohr das Bewußtsein.

Sie konnte die Stimme, die Gesichtszüge ihres theuren Alfons, dieses zärtlichen Bruders, den sie seit der Entstehung ihrer Leiden, nicht wiedergesehn hatte, nicht verkennen; ihre Ohnmacht verließ sie bald, Thränen der Freude, der Zärtlichkeit und des Dankes erleichterten ihr beklommenes Herz; doch als sich der erste Taumel der Empfindungen gelegt hatte, so fiel der Gedanke an die Lebensgefährlichkeit, die Urbino drohete, schwerlastend auf ihre Brust. Sie sah ihren Bruder in Begleitung des weisen Alberti und des treuen Diego's; sie reichte Beiden noch immer sprachlos ihre Hand, sah den Letztern mit einem sprechenden Blicke, der die tödliche Angst ihres Herzens lebhaft malte, an und zeigte auf den Halbentseelten im Winkel des Gefängnisses.

Diego verstand dieses Zeichen und eilte zum Beistande des Unglücklichen hinzu; kaum hatte er ihn aber beim Fackelschein betrachtet, so stieß er einen Schrei des Erstaunens und der Freude aus, stürzte neben dem Gefangenen auf seine Knie, warf die Fackel von sich, drückte ihn mit der Zärtlichkeit eines Bruders und stürmischen Entzücken an seine Brust, und nannte ihn hundertmal seinen geliebten, theuersten Freund, seinen einzigen, unvergeßlichen Theodor, den Gegenstand seiner zärtlichsten Anhänglichkeit. Denn wirklich erkannte er in Urbino, jenen Theodor, dessen Tod sowohl er, als auch Therese lange schon beweint hatten, jenen liebenswürdigen Knaben, der unter ihren Augen aufgewachsen war, den interessanten Jüngling, von welchem sie unaufhörlich erzählten, und dessen Andenken nie in ihr Gedächtniß zurückkehrte, ohne einen Tribut an Thränen zu fordern. Nie hatte Diego geahnet, daß der schwarze Hippolit, mit dem er sich täglich zusammen befunden, derselbe Theodor gewesen sei, dessen Verlust er ewig betrauerte, so täuschend war die Verkleidung und so künstlich hatte dieser die Farbe und Gesichtsbildung eines Afrikaners nachzuahmen gewußt, daß selbst die aufmerksamen Augen der Freunde hintergangen wurden.

Diego's Ausruf und seine Liebkosungen unterrichteten Victoria von der Entdeckung; sie hatte sich völlig erholt, entschlüpfte den Armen ihres Bruders und näherte sich diesem rührenden Auftritte.

Hier seht Ihr, Diego, sprach sie, Euren geliebten Theodor; ach, verliert keinen Augenblick, erweckt ihn aus seinem Todtenschlummer, noch lebt der Theure! --

Ihn vom Tode erwecken? antwortete Diego, erhob sich, schüttelte den Kopf und blickte sie mit Augen, die sich in Thränen badeten, zweifelnd an. Ach, Sennora, die Ungeheuer werden triumphiren; wir haben den Theuren nur gefunden, um seinen letzten Odemzug zu empfangen.

Händeringend, laut wehklagend sank Victoria zurück in ihres Bruders Arme, der wie Alberti, unbekannt mit den obwaltenden Verhältnissen, umsonst sie zu bewegen suchte, den ungesunden Kerker zu verlassen. Der Letztere näherte sich dem Kranken und ergriff seine Hand. Dieser Pulsschlag, ist nicht der Puls eines Sterbenden, sprach er, obgleich er den gefährlichen Zustand des Kranken verbürgt; doch ist noch Hoffnung vorhanden. Am Nöthigsten ist ihm in diesem Augenblicke reine Luft, die er lange nicht geathmet zu haben scheint, denn man muß mit Grund befürchten, daß ein längeres Verweilen in diesem vergifteten Dunste, seinen Tod unfehlbar herbei ziehen müsse.

Sogleich hoben der junge Graf Ariosto und Diego den Leidenden auf und trugen ihn beim Scheine der Fackeln, die Victoria und Alberti vorantrugen, sanft bis zu dem eisernen Lehnsessel. Da inzwischen die Maschine nur Raum für drei Menschen enthielt, und sich Victoria von dem Geliebten, der ihre Hand ergriffen hatte und diese fest hielt, nicht trennen wollte, so sah man sich genöthigt, zuerst ihn, Victoria und Diego, welche den Schwachen unterstützen sollten, durch den engen Canal hinaufwinden zu lassen, zu welchem Ende man das verabredete Zeichen gab, den Sessel sich bewegen sah, und nun die seltsame Reise langsam antrat. Sobald Victoria aus der obersten Oeffnung emporstieg und den Augen der erstaunten Menge sichtbar wurde, empfing sie ein einstimmiges, betäubendes Freudengeschrei ihrer Bewunderer, die seit ihrer Abfahrt in tödlichster Angst geschwebt hatten und denen jetzt der Anblick Urbino's, den sie in diesem zum Triumphwagen umgeschaffenen Marterstuhle zur Oberwelt zurückführte, den glücklichen Erfolg ihres edlen und gefährlichen Wagstücks verkündigte. Der geräuschvolle Empfang verwirrte die Bescheidene, zwar fühlte sie still die Seligkeit, den Theuren gerettet zu haben; doch beschäftigte sie sein Wohl jetzt, als ihm die reine Luft eine Ohnmacht zugezogen hatte, mehr als vorher, und erst als sie spähend auf die Umherstehenden blickte und den heilkundigen Pater Peter unter ihnen erkannte, da wich alle Angst von ihrem Herzen, denn sie war fest überzeugt, daß es seinen Kenntnissen und Erfahrungen gelingen würde, den Kranken wiederherzustellen.

Wärend man nun auf des Paters Geheiß den Grafen Urbino ins Schloß trug, rasselte der eiserne Stuhl noch einmal in den Schlund hinab, die Zurückgebliebenen zu erlösen.

 


Sechstes Kapitel.

Zur Zeit als Victoriens Brief an ihren Bruder, in welchem sie ihm ihre Ankunft in Frankreich meldete, in Cadix angekommen war, befand sich derselbe mit seinem unzertrennlichen Freunde, dem weisen Alberti, auf dem Meere, um mit der spanischen Flotte, zu der Beide gehörten, die englischen Besitzungen in Ostindien anzugreifen. Da indeß die Unternehmung schon früh scheiterte, und die Seetruppen bald darauf wieder zurückkehrten und ausgeschifft wurden, so fand der Graf Ariosto kurz nachher den Brief der theuren Schwester. Sogleich hatte er nun einen unbestimmten Urlaub erbeten, denselben erhalten und sich auf den Weg nach dem Kloster der heiligen Margarita begeben, wo er einige Tage nach der Abreise derjenigen, die er suchte, angelangt war. Durch die Priorin von allem, was Victorien seit ihrem Schiffbruche begegnet war, wie auch dem Ereigniß, das ihre Reise nach Spanien bestimmt hatte, unterrichtet und nach vorhergegangenen Erkundigungen säumte Alfons nicht, mit einem Empfehlungsschreiben des Priors vom heiligen Ludwig für den Unter-Vikarius des heiligen Offiziums zu Gerona versehen, in Begleitung seines Freundes sogleich dorthin abzugehen. --

Bei seiner Ankunft in gedachter Stadt fand er die Beamten der heiligen Inquisition versammelt und erhielt von dem Pater Peter die neuesten Nachrichten von seiner Schwester; trieb nun die Inquisitoren zur Rückkehr nach dem Schlosse der Pyrenäen dringend an und begleitete sie in steter ängstlicher Besorgniß, welche Diego, der sich zu ihm gesellte, theilte. In Don Manuels Schlosse war die Verwirrung allgemein, denn da man nach Verlauf mehrerer Stunden noch immer dem, mit Victorien verabredeten Zeichen an der Kette vergebens entgegen sah und auf das wiederholte Hinabrufen aus der Tiefe keine Antwort erfolgte, so zweifelte man nicht länger, daß wie man vorhergesagt und gefürchtet hatte, Victoria in ihrem tollkühnen Unternehmen den Tod gefunden haben müsse.

Kaum erfuhr der Graf Ariosto das unbesonnene Wagstück der zärtlich geliebten Schwester und die Zaghaftigkeit der Inquisitoren, so ließ er sich auf des Thurmes Spitze führen, wo er beim Anblicke des schauerlichen Brunnenrandes erschrack, schauderte und in Thränen ausbrach, doch ohne einen Augenblick zu schwanken, dem Inquisitor, der beständig die Bewegung der Kette beobachtete, die Fackel aus der Hand riß, ohne ein Wort zu sprechen in den eisernen Lehnstuhl, den man wieder hinaufgewunden hatte, sprang, und durch einen Wink zu verstehen gab, daß man ihn hinablassen sollte.

Alberti folgte seinem Beispiele und ohne des Widerstrebens und der Bitten seines Zöglings zu achten, stieg er in den einen der beiden zur Seite des Sessels befestigten, eisernen Eimer und beharrte bei seinem Entschlusse, Alfons zu begleiten. Mittlerweile war auch Diego heraufgestiegen, als man schon im Begriff stand, die Maschine hinabrollen zu lassen, hatte inständigst gebeten ihm den zweiten, noch leeren Platz zu überlassen, und war, als es die beiden Freunde ihm nicht verweigern konnten, so glücklich gewesen, an der Rettung Victoriens und des Grafen Urbino Theil zu nehmen.

Der wohlthätige Einfluß der reinen Luft, die Ruhe und der Gebrauch glücklich erwählter Mittel entzogen Urbino in kurzer Zeit aller Gefahr, aber seine Genesung ging demungeachtet mit langsamen, beschwerlichen Schritten vor sich; und nachdem längst schon alle Symptome des Fiebers verschwunden waren, war er doch noch immer gezwungen, das Zimmer zu hüthen, so sehr hatten seine Gesundheits-Umstände und die Beschaffenheit seines Körpers von der grausamen Behandlung gelitten. Was inzwischen mehr noch als des guten Paters Wissenschaft und seine sorgfältigen Bemühungen die Wiederherstellung des Jünglings beschleunigte, war, daß die peinlichen Gedanken, die ihn bei seiner Abreise vom Kloster der heiligen Margarita so schmerzlich betrübt hatten, allmälig verschwanden, und er zwar ohne eine vollkommene Gewißheit über Victoriens Gefühle zu seinen Gunsten erlangt zu haben, sich doch zu glauben berechtigt hielt, daß er ihr nicht gleichgültig sei; denn wenn auch wirklich aus ihrer heldenkühnen That allein, ein Beweis von Liebe nicht hergeleitet werden konnte, weil die Pflicht und Dankbarkeit schon hinreichend waren in einem Herzen, wie Victoriens, solche Wunder hervorzubringen, so hatte sie doch in den dringendsten Augenblicken der Gefahr und Angst und bei vielen andern Gelegenheiten, deren er sich theils selbst erinnerte, und andern, die ihm Diego mit Begeisterung erzählte, wider ihren Willen und ohne ihr Wissen so deutliche Merkmale von theilnehmender Besorgniß und zärtlicher Neigung verrathen, daß er selbst bei der spärlichsten Eigenliebe eine günstige Vorbedeutung für sich darin entdecken durfte.

Victoriens Gemüthsstimmung war indeß von ganz anderer Art. Die heimliche, tiefe Wunde ihres Herzens war jetzt schmerzlicher aufgebrochen und brannte heftiger als je. So lange noch die Größe der Gefahr ihre Geistesfähigkeiten beschäftigt und solche in einem hohen Grade in steter Spannung erhalten hatte, schlief der Gram in ihrer Seele; nun aber war er von neuem erwacht und trübte die Wonne des errungenen Sieges. Urbino's früher Umgang mit Mathilden, sein zärtliches Betragen gegen sie, seine anscheinend fortdauernde Zuneigung waren für Victoriens wundes Herz eine unversiegbare Quelle von Bitterkeit, deren Strom kein beruhigender Gedanke hemmen konnte. Die einzige Vertraute war ihre theure Ursula, welche in Begleitung Rosaliens dem treuen Diego, als er sie von dem Aufenthalte der entschwundenen Gräfin unterrichtet hatte, nach dem Pyrenäen-Schlosse gefolgt war; aber diese Vertraulichkeiten, diese Mittheilungen waren nur eine vorübergehende Linderung, die den Ursprung ihrer Leiden nicht berührte und also nicht verhindern konnte, daß sie mit reißenden Fortschritten um sich griffen.

Alfons war nur mit der geliebten Schwester beschäftigt und kannte keinen andern Wunsch, als sie glücklich zu wissen; ihre Neigung zu Urbino hatte ihm nicht entgehen können; sie schien ihm der heißesten Liebe, so würdig, daß es ihm nicht einfallen konnte, daß derjenige, welcher solche Gefühle ihr eingeflößt hatte, sie nicht mit der zärtlichsten Gegenliebe erkennen würde. Und doch zeigte sich der Abdruck der Betrübniß mit jedem Tage sichtlicher, in den Zügen der theuren Schwester; Alfons mußte daher ein geheimes, absichtlich verborgenes Herzeleid vermuthen und obgleich es ihm uns möglich war, die Ursache desselben zu ergrübeln, so zweifelte er doch nicht länger, daß der Graf Urbino der Gegenstand ihrer stillen, dem Auge des Beobachters sorgfältig unterdrückten Traurigkeit sei.

Beide Jünglinge hatten von dem ersten Augenblicke, da sie sich sahen, Geschmack und freundschaftliche Neigung für einander empfunden; die Uebereinstimmung ihres Alters, ihrer Gefühle und ihres Benehmens, dieselben Tugenden und gleiche anziehende Gesichtsformen, alles hatte sich vereinigt ihre wachsende Freundschaft zu befestigen; und bald fand ein gegenseitiges Vertrauen unter ihnen statt. Der Graf Ariosto verlebte einen großen Theil des Tages neben dem Bette, oder dem Lehnsessel Urbino's und man kann leicht errathen, daß die liebenswürdige Victoria der gewöhnliche Gegenstand ihrer Unterhaltung war.

Eines Tages, als wie gewöhnlich das Gespräch nur ihrer gedachte, und Urbino von Alfons schöner Schwester mit einer Wärme, einer Bewunderung und begeistertem Gefühle sprach, die in dem Geiste seines Freundes jeden Zweifel verbannten, sah dieser kein Hinderniß weiter, was dem Glücke der beiden Liebenden im Wege stehen konnte, überließ sich seiner Freude und wünschte den glücklichen Tag herbei, wo vereint im Schlosse Palino die jungen Vermälten mit allen gewöhnlichen Zurüstungen und der üblichen Feierlichkeit diejenigen Schwüre erneuern konnten, welche ihnen Arglist, Gewalt und Verrätherei in der Klosterkirche des heiligen Ludwigs entrissen hatten.

In diesem Augenblicke trat Diego mit einem Briefe in der Hand herein.

Sennor, sprach er und reichte ihn Urbino, er kommt von der Donna Mathilde, die sehr ungeduldig ist, den Augenblick zu erfahren, wo sie so glücklich sein kann, Euch zu sehen.

Mathilde! rief Urbino mit einem Tone aus, der seine Rührung und Theilnahme zeigte. Ach, sag ihr, Diego, daß sobald ich mein Zimmer werde verlassen können, ich sogleich zu ihr eilen werde.

Hierauf entsiegelte er mit zitternder Hand das Billet, seufzte und durchlief es mit unruhiger Hast.

Wärend des Lesens beobachtete der über dieses Benehmen verwunderte Graf Ariosto seinen Freund mit Aufmerksamkeit und bemerkte, daß er gerührt schien, daß er von Zeit zu Zeit seufzte und eine Thräne trocknete, die er nicht zurückhalten konnte; endlich blickte er auf, begegnete den auf ihn gerichteten, forschenden Augen Alfons, ward verlegen, erröthete und gerieth in Verwirrung. Dieses Erröthen und diese Verlegenheit bemerkte sein Beobachter und plötzlich erwachten in seiner Brust tausend scheinbare Muthmaßungen; doch jeden unedlen Verdacht hassend, fragte er, gestützt auf die Vorrechte der Freundschaft, mit Freimüthigkeit:

Graf Urbino, diese Donna Mathilde ist wahrscheinlich von Euch eine nahe Verwandte?

Eine nahe Verwandte! wiederholte Urbino mit dem Tone und den Gebärden eines Erschreckten, der einen peinlichen, empörenden Gedanken zu entfernen strebt. Großer Gott!

Und die Röthe seines Gesichts verwandelte sich in Todtenblässe, er schauderte und blieb eine Weile in Träumerei versunken.

Der Pater Anselm und der Pater Peter die jetzt ins Gemach traten, gaben dem jungen Grafen Ariosto Gelegenheit sich zu entfernen und über das sonderbare Benehmen Urbino's nachzudenken. Wenn nun auch zum Nachtheil seines Freundes nicht der leiseste Verdacht bei ihm rege wurde, weil keine kränkende Meinung von der Ehre Urbino's Eingang in seinem Herzen fand, so war er doch in Ansehung des Zartgefühls und Stolzes seiner Schwester beunruhigt. Er theilte die Empfindungen seiner theuren Victoria, dachte sich statt ihrer gekränkt, und konnte sich einer Anwandlung von Eifersucht und Unwillen, die auch sie gewiß würde empfunden haben, sobald sie Zeuge dieses Auftritts gewesen wäre, nicht enthalten.

Diese drückende Ungewißheit war für des Grafen Ariosto's grades, aufrichtiges Herz eine unerträgliche Last, von der er sich dadurch befreien mußte, daß er die nächste Gelegenheit zu einer genügenden Erklärung zwischen ihm und seinem Freunde benutzte; und in der Erwartung, daß sich eine solche Gelegenheit bald darbieten würde, ging er zu seiner Schwester. Victoria war eben im Begriff, den Besuch Mathildens anzunehmen, die sich von den für ihre Gesundheit so nachtheiligen Folgen ihrer Einkerkerung fast ganz wieder erholt hatte, nicht länger dem Drange widerstehen konnte, Victorien ihre Dankbarkeit zu bezeigen, und sich in dieser Absicht von Octavien in das Gemach ihrer Befreierin führen ließ.

Beim ersten Anblick erkannte Victoria, was sie vermuthet hatte, in Mathilden jene junge Nonne, die von den Räubern durch die Fallthür in ihr Schlafgemach geschleppt und wenige Augenblicke darauf von Franzisko wieder befreit war. Damals waren ihre Gesichtszüge von Schrecken und Verzweiflung entstellt, jetzt aber, wo entgegengesetzte Gefühle sie mit neuem Glanze belebten, zeigte sie sich als eine der vollkommensten Schönheiten.

Sobald Mathilde die Retterin ihres Lebens bemerkte, flog sie ihr entgegen, sank vor ihr nieder, umfaßte ihre Knie, Thränen stürzten aus ihren Augen, und in Ermangelung der Sprache, die von lautem Schluchzen erstickt wurde, drückte sie durch Gebärden, Blicke, und das Feuer ihrer in Thränen schwimmenden Augen die Gefühle ihrer Dankbarkeit und Bewunderung auf die lebhafteste Weise aus.

Ein solcher Empfang verwirrte Victorien; die vorsichtige Ursula bemerkte es kaum, so kam sie ihr zu Hülfe und fand Mittel, die Heftigkeit der Empfindungen Mathildens zu mäßigen. Diese setzte sich nun auf Ursula's wiederholte Einladung, betrachtete Victorien, auf deren bleichem, matten Gesichte die Spuren innerlicher Leiden entfaltet lagen, und konnte ihre Theilnahme und Betrübniß nicht verheelen.

Ach, Sennora, sprach sie, ich sehe es deutlich, die unbegreiflichen Anstrengungen Eurer seltnen Kühnheit haben Eure Gesundheit geschwächt und im Eifer Edelmuth und Menschlichkeit zu üben, habt Ihr Eure Kräfte nicht zu Rathe gezogen; ich fühle um desto mehr, wie viel Dank ich Euch schuldig bin. Ach, und doch wißt Ihr nicht, was Ihr für mich gethan habt; die Erhaltung meines Lebens ist die geringste Eurer Wohlthaten; aber Ihr habt mir meinen Theodor wiedergegeben, der mir hundertmal theurer ist als meine eigne Existenz, und --

Ursula, die ihren Zögling nicht aus den Augen verlohr, gewahrte die Wirkung, welche diese letzten Worte bei Victorien hervorbrachten; sie unterbrach daher Mathilden und bemerkte ihr auf schonende Weise, daß, da der Nervenzustand der Kranken gegenwärtig noch sehr reizbar sei, ihr jede Gemüthsbewegung schädlich werden müsse, und es ihrer Gesundheit zuträglicher sein werde, wenn das Gespräch gleichgültige Gegenstände wähle.

Mathilde dankte für diesen freundschaftlichen Rath und versprach ihn mit Gewissenhaftigkeit zu befolgen; aber man konnte aus ihren funkelnden Augen beurtheilen, wie wenig sie daran gewöhnt war, ihre Gefühle zurückzuhalten; ihre ganze Seele spiegelte sich in ihnen, und man überzeugte sich bei weniger Menschenkenntniß, daß sie mit den Täuschungen der Welt nicht vertraut, alle Verstellung ihr fremd und es für sie unendlich schwer sei, von einem andern Gegenstande als dem, der ihr Herz ausfüllte, zu reden. Diese natürliche, arglose Aufrichtigkeit und das Aufwallen ihrer Empfindungen, die sie nur mit Mühe im Zwange hielt, waren für Victorien ungewöhnlich anziehend; und ungeachtet der peinlichen Gedanken, die Mathildens Gegenwart in ihr erweckte, mußte sie ihre Nebenbuhlerin doch sehr liebenswürdig finden, und sich es eingestehn, daß sie alle Reize und herrlichen Eigenschaften vereine, den Geliebten zu fesseln und die Freundin zu gewinnen.

Wärend der Unterredung öffnete der Graf Ariosto, welcher aus Schonung für den kränklichen Zustand seiner Schwester, jedes Geräusch vermied, leise die Thür und näherte sich ihnen. Victoria, gegen der Thür übersitzend, bemerkte ihn zuerst und auf seinem Gesichte Spuren von Unruhe und Mißmuth.

Was ist Dir, theurer Bruder, fragte sie besorgt, Du scheinst traurig; dem Grafen Urbino ist doch wohl, sein Zustand hat sich doch hoffentlich nicht verschlimmert?

Im Gegentheil, erwiederte Alfons, er befindet sich vollkommen wohl, so wohl, daß wir sogar, als ich ihn verließ, von den Maasregeln sprachen, die uns nöthig schienen, die feierliche Bestätigung Eurer Vermälung zu beschleunigen.

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, so zog Mathilde die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich, sie erblaßte plötzlich, sank auf Ihren Stuhl zurück, schloß die Augen und blieb unbeweglich.

Dieser Zufall und die wahrscheinliche Veranlassung dazu, verwandelten in Victoriens Seele die bisher noch immer gehegten Zweifel in schreckliche Ueberzeugung und senkten den giftigen Pfeil, der ihre Brust zerriß, tief in ihr Herz; sie neigte ihr Gesicht an den Busen der weisen Vertrauten, um die bittern Thränen, die sie nicht zurückhalten konnte, zu verbergen.

Die nöthigen Hülfeleistungen erweckten Mathilden bald aus ihrem gefühllosen Zustande, dem Unruhe und Verwirrung folgten; sie bat, daß man sie in ihr Zimmer zurückführen mögte, nahm auf eine gezwungene, verlegene Weise Abschied von Victorien, schützte ein Uebelbefinden, die Folge der Krankheit vor, und schwankte von Octavien und Rosalien unterstützt aus dem Gemache.

Dieses Ereigniß, das Alfons richtig zu deuten vermeinte, erschöpfte seine Geduld, er beschloß sogleich zu der beabsichtigten Erklärung zu schreiten und begab sich ohne Säumen zu dem Grafen Urbino, den er allein und in einer so schwermüthigen Stimmung fand, daß er eine Weile zögerte und zweifelhaft war, ob er jetzt einen Gegenstand berühren dürfe, der nur seine Traurigkeit vermehren würde; doch überwand seine Zärtlichkeit für Victorien alle andere Rücksichten, er nahm dieserhalb einen Stuhl, setzte sich zu dem Lager Urbino's, ergriff seine Hand und sagte ernst, aber im Tone der gutmüthigen Aufrichtigkeit:

Ich schmeichle mir, daß ich die Hand eines Freundes drücke; in diesem Vertrauen will ich Euch mein Herz öffnen: Ich ehre Eure Geheimnisse, sobald Ihr solche mir zu verschweigen, Gründe zu haben glaubt; was jedoch das Glück, die Ehre und das Zartgefühl meiner Schwester anbetrifft, so ist dieses ein mir heiliger Gegenstand, der mir zu nahe liegt und zu wichtig für mich ist, um nicht eine aufrichtige Erklärung von Euch zu erbitten, eine Erklärung, wie sie zwei Freunden geziemt. Eure Gefühle für Victorien, Eure Absichten und Wünsche sind ein Gegenstand, worüber Ihr Euch zu oft und zu deutlich gegen mich erklärt habt, als daß noch irgend ein Zweifel bei mir zurückgeblieben sein könnte. Nun aber sagt mir, Urbino, bildet Ihr Euch ein, daß Victoria ein Herz empfangen werde, von dem sie nicht überzeugt ist, daß sie es allein und ohne Theilung besitzt?

Was wollt Ihr damit sagen, Alfons, sicher haftet ein so kränkender Verdacht nicht auf mir? --

Wenn Ihr also nicht so denkt, was ich gern von Euch glauben will, so erklärt mir doch, wie ich es reimen soll, daß Mathilde, die mit Euch nicht verwandt ist, einen so großen Theil Eurer Neigung und Zärtlichkeit erworben hat, über Euch so viel Macht besitzen kann, daß sie sogar Eurer Verbindung mit meiner Schwester hinderlich wird, und bei dem einzigen, in ihrer Gegenwart ausgesprochenen Worte Eurer Vermälung mit Victorien, ohnmächtig niedersinkt.

Urbino sah seinen Freund mit starren, verwunderten und erschreckten Blicken an.

Mathilde könnte ohnmächtig werden, sprach er zweifelhaft, sobald die Rede von einer Verbindung ist, die das Glück meines Lebens mir verspricht? Graf Ariosto, das ist unmöglich!

Und doch ist es wahr, denn vor wenigen Augenblicken war ich selbst Zeuge ihrer Ohnmacht. --

Urbino sank von Wehmuth ergriffen auf den Sessel zurück und der Schmerz benahm ihm die Sprache; nach einer Weile sprach er mit bebender Stimme:

Wenn Ihr Euch in Rücksicht der Veranlassung zu dieser Ohnmacht nicht getäuscht habt, Alfons, so versetzt mir das Schicksal jetzt durch Euch einen Schlag, der alle meine frühern Leiden zehnfach überwiegt. O theure, unglückliche Mathilde, hätte uns der Himmel nie zusammen geführt! Warum mußten wir uns sehen?

Bei diesen Worten entstellten Entsetzen, Angst und Wehmuth seine Züge und schaudernd verhüllte er sein Gesicht, als ob er den Anblick eines schrecklichen Gemäldes vermeiden wollte.

Alfons fühlte, daß der Zorn in seiner Brust entbrannt und dem Ausbruche nahe sei; doch erstickte er ihn mit Ueberwindung und sprach gemäßigt:

Graf Urbino, ich hörte genug. Jetzt bereue ich, eine Erklärung verlangt zu haben, die mir nicht behagen kann, und welche die Würde meiner Schwester zu kränken scheint; nur die großen Verpflichtungen, die meine Familie Euch schuldig und die Verbindung, welche Victoria mit Euch gezwungenerweise eingegangen ist, sind zwei kräftige Bewegungsgründe, die den gethanen Schritt entschuldigen werden.

Und hierauf wollte er sich entfernen, als Urbino sich von seinem Sessel erhob und ihn zurückhielt. Bleibt, rief er aus, ungerechter, grausamer Freund; verurtheilt mich nicht, ohne mich zu kennen und mich zu verstehen. -- Glaubt Ihr, daß ich unedle Gesinnungen hegen, daß ich eines Betragens fähig sein könnte, das die Ehre misbilligt? Seid überzeugt, wenn ich die Vermessenheit haben konnte, mein Herz der liebenswürdigen Victoria anzubieten, so ist auch dieses Herz ihrer würdig, wenigstens besitzt sie es allein, und kein anderes Weib hat Theil daran; und schwören kann ich, so lange in meinem Herzen noch ein Hauch von Leben sich erhält, so lange wird sie in ihm, wie jetzt, allein und ohne Theilung herrschen!

Die Anstrengung und die Heftigkeit beim Reden überstieg Urbino's Kräfte, er schwankte und sank erbleichend auf den Lehnstuhl, der ihm den Tag über zum Bette diente. Alfons stürzte voll Rührung zu seinem Beistande herzu!

Verzeiht, o Freund, sprach er, wenn ich Euch beleidigt habe; wie aber soll ich Eure Neigung zu Mathilden mir erklären, was soll ich davon denken?

Mathilde, antwortete Urbino mit schwacher, aber überzeugender Stimme, hat in meinem Herzen Ansprüche auf die dauerhafteste, zärtlichste Freundschaft; andere hat sie nie gehabt und wird solche nie geltend machen.

In diesem Augenblicke fiel wie von der Decke des Zimmers herab, ein zusammengefaltetes, versiegeltes Papier zu Alfons Füßen, dieser hob es auf, laß in undeutlichen, eine Weiberhand verrathenden Schriftzügen, die an Urbino gerichtete Aufschrift und reichte es demselben mit den Worten:

Graf Urbino, an Euch ist diese geheimnißvolle Gunst gerichtet.

Kaum hatte Urbino das Billet gelesen, so heiterte sich dessen bleiches, leidendes Gesicht auf und die Farbe des Entzückens überzog es plötzlich. Er hob seine Augen und Hände dankend zum Himmel und sprach zu seinem verwunderten Freunde:

Der Augenblick meiner Rechtfertigung ist näher, als ich zu hoffen wagte; diese Zeilen sendet mir der Mann, der mein Schicksal in seinen Händen hält und dessen Abwesenheit mich das Schrecklichste befürchten ließ. Bald werde ich von dem mir auferlegten Geheimnisse, das meine Aufrichtigkeit drückend fesselt, befreit sein, und mich dem holden Angesichte Victoriens und ihres würdigen Bruders so zeigen, wie es mir gebührt, daß ich vor ihnen erscheine.

Bis zu diesem Augenblicke, entgegnete Alfons, nach welchem ich eben so sehnsuchtsvoll verlange als ihr, erlaubt mir, daß ich Eure Gesellschaft meide. Zurückhaltung gegen diejenigen, welche ich liebe, ist mir zu peinlich, sie macht mich wider meinen Willen ungerecht und mißtrauisch; ich mag nicht so unglücklich sein, Euch ferner zu betrüben.

Ihr habt recht, Alfons, sagte Urbino. Auch meinem Herzen ist es eine unerträgliche Qual, im Geiste der mir Theuren, Zweifel und Verdacht zu erwecken, die ich nicht ganz zerstreuen kann. In kurzem wird, hoffe ich, alle Zurückhaltung unter uns verbannt sein, dann werde ich laut das Glück, Euer Freund zu sein, fordern.

Nicht allein Freund, sondern auch mein Bruder, fiel Alfons lächlend ein, drückte dem Freunde mit aufrichtiger Herzlichkeit die Hand, und verließ ihn.

 


Siebentes Kapitel.

Da sich Alfons der Gesellschaft seines Freundes beraubt hatte, so hielt er sich den größten Theil des Tages in den Zimmern seiner Schwester auf, wo er sehr oft Mathilden begegnete, obgleich er sie, die in seinen Augen das einzige Hinderniß, was der von ihm so sehr gewünschten Verbindung entgegen stand, und die Ursache, der zwischen ihm und dem Grafen Urbino eingetretenen Kälte war, so oft als thunlich vermied, seine Abneigung gegen sie nicht überwinden konnte und sein Betragen daher nur auf die Beobachtung der vorgeschriebenen Höflichkeit beschränkte.

Mathilde zog sich ungeachtet dessen nicht zurück; sie bemühete sich, Victorien zu zerstreuen, ihr Gemüth aufzuheitern, und durch ein Zuvorkommen, eine Aufmerksamkeit und tausend kleine Dienstleistungen und Gefälligkeiten, die nur eine zärtliche Freundschaft erfinden kann, ihre Gunst zu erwerben. Des Grafen Ariosto's kaltes, gezwungenes Benehmen betrübte sie zwar, indeß ertrug sie es mit einer Geduld und Sanftmüthigkeit, die mit ihrem von Natur empfindlichen, und sogar heftigen Character schwer zu vereinigen standen. Sie unterdrückte ihren Unmuth, hielt jeden dem Entschlüpfen nahen Seufzer zurück, verbarg mit Sorgfalt jede Thräne, die sich aus ihrem Auge stehlen wollte, und schien sich zum erstenmale unter das Joch des Zwanges und der Verstellung beugen zu wollen.

Daß ein so schönes Mädchen, dessen unglückliches Schicksal und kühnes Benehmen gegen Don Manuel allein schon Aufmerksamkeit und Bewunderung verdiente, wenn es auch keine Reize und weniger Tugenden geschmückt hätten, bei Alfons, dessen Benehmen natürlich wohlwollend und theilnehmend war, eine kalte, beinahe kränkende Aufnahme fand, würde für Victorien schwer zu begreifen gewesen sein, wenn sie nicht geglaubt hätte, einen Bewegungsgrund dazu aufgefunden zu haben; da sie aber nach Art aller Unglücklichen die Sachen aus einem falschen Gesichtspuncte betrachtete, der nur ihre Leiden vermehren mußte, so dachte sie:

Mein Bruder hat Urbino's Liebe zu Mathilden entdeckt; vielleicht hat ihm Urbino sogar sein Vertrauen über diesen Gegenstand geschenkt, und diese Entdeckung, die er aus Schonung und Zärtlichkeit mir verschweigt, ist die Ursache, daß er Mathilden haßt, und Urbino vermeidet.

Dieser Gedanke bestärkte sie in ihrem schon zu Santa Margarita gefaßten Entschlusse, sich auf immer von ihrem Gemal zu trennen, nach Frankreich zurückzukehren, und sich zu den Benedictinerinnen zu begeben, wo sie früher bereits Aufnahme gefunden hatte.

Als sie sich eines Tages mit ihrem Bruder unterredete, und mit den Vorkehrungen zu ihrer nahen Abreise beschäftigte, seufzte Mathilde, die gegenwärtig war, tief, und sprach bekümmert:

Ach, wohl durfte ich von dem Schicksal, das mich seit meiner Geburt mit so vieler Erbitterung verfolgt, erwarten, daß es mir das Glück, mit Euch zu leben, nicht lange genießen lassen würde. Wenigstens werdet Ihr Euch, mit Urbino verbunden und die verdiente Glückseligkeit in langen Zügen schlürfend, zuweilen der unglücklichen Mathilde erinnern, und wenn einst selbst vom Genusse der Wonne ermüdet, und mit allen Gunstbezeugungen des Glücks überschüttet Eure Herzen das Bedürfniß fühlen werden, den Leiden des Unglücklichen eine Thräne des Mitleids zu weihen, dann werdet Ihr an die arme Verlassene denken, deren dankbare Wünsche Euch überall folgen, wo Ihr auch immer sein mögt. Thränen unterbrachen sie eine Weile, dann fuhr sie fort:

Was soll an diesen traurigen Orten aus mir werden, wenn Ihr sie verlassen habt? Mein theurer Urbino wird Euch folgen, er erwartet mit Ungeduld den Augenblick, wo seine Kräfte ihm die Reise erlauben werden. Sennor Don Sebastian verlangt gleichfalls darnach, in den Schooß seiner Familie zurückzukehren, und seine Freunde wieder aufzusuchen, von denen er so lange Jahre getrennt gewesen. Und der Edle; der bis jetzt der Beschützer meiner Jugend war, ist fern, fern von hier, und fast muß ich zittern, ihn auf immer verlohren zu haben. Ich nur werde also von Allen verlassen und ohne Schutz übrig bleiben.

Donna Victoria, setzte sie hinzu, Ihr sprachet oft von der Priorin des Klosters der heiligen Margarita; ihr rühmtet sie als eine Geistliche voll Menschenfreundlichkeit und immer bereit Wohlthaten zu spenden; könnte ich nicht durch Eure Verwendung in ihrem Kloster einen Zufluchtsort finden?

Alfons, der in seiner Schwester Augen die Bereitwilligkeit las, ihren Wunsch zu erfüllen, aber keinesweges gesonnen war, eine Gesellschafterin länger um sie zu dulden, die nur ihre Schwermuth vermehren konnte, antwortete schnell:

Donna Mathilde, gesetzt auch, der Mann welcher bei Euch Vormunds- oder Vatersstelle vertreten hat, erschiene nicht wieder, so werdet Ihr doch gewiß in Spanien Anverwandte besitzen, die, ohne Euch persönlich zu kennen, sich glücklich schätzen werden, Euch den schuldigen Beistand und Schutz anzubieten, sobald Ihr Euch an sie wenden werdet. Oder auch, warum kehrt Ihr nicht sogleich zu Euren Freundinnen in das Kloster, wo Ihr erzogen wurdet, zurück? Warum wollt Ihr Eurer Familie, allen Euren Bekanntschaften entsagen, warum Euch selbst aus Eurem Vaterlande verbannen?

Graf Ariosto, antwortete die Betrübte, ich besitze keine Freunde, keine Verwandte und kein Vaterland, ich kenne den Fleck Erde, wo ich auf dieser weiten Welt gebohren ward, nicht. Auf Erden lebt mir kein Geschöpf, dem ich meine bittenden Hände entgegenstrecken und ihm zurufen könnte: Ich gehöre Dir zu, nimm mich bei Dir auf!

Nach diesen Worten sprang sie auf; es schien, als ob ihr Stolz es nicht ertragen könnte, ihre unglückliche Lage entdeckt zu haben; und sie verließ das Gemach mit einer Würde, die ihre Verwirrung adelte und ihren Schmerz noch rührender darstellte.

Dieser Auftritt erschütterte Bruder und Schwester. Von diesem Augenblicke an änderte Alfons sein Betragen gegen Mathilden gänzlich; er zeigte sich in seiner wahren Gestalt, ward zuvorkommend, gefällig, theilnehmend, bemühte sich ihr zu gefallen und vermied alles sorgfältig, was ihr unangenehm sein konnte.

Beide beschlossen nun, sich der Unglücklichen anzunehmen, ihre Freunde und Anverwandten zu vertreten; doch hielten sie es nicht für rathsam, daß sie Victorien nach dem Kloster der heiligen Margarita begleitete. Beide waren hierüber einerlei Meinung, wiewol aus verschiedenen Ansichten. Der Graf glaubte, ihre Gesellschaft könnte der Ruhe und Zufriedenheit seiner Schwester gefährlich werden, und diese wollte Mathilden die Hoffnung nicht rauben, sich mit dem von ihr Geliebten zu verbinden, auf die sie ältere Rechte als die ihrigen geltend machen konnte. Sie war überzeugt, Mathilde würde großmüthig ihre Liebe zu Urbino der Pflicht und Dankbarkeit opfern; aber dieser Gedanke, den ihr Stolz nicht ertragen konnte, und mit dem sich ihr feines Gefühl für Ehre und Delikatesse verband, gebot ihr, sich der Entsagung Mathildens aus allen Kräften zu widersetzen.

Man beschloß in Folge dieser Berathung, Mathilden einstweilen in dem Kloster, wo sie ihre erste Erziehung erhalten hatte, unterzubringen, und ihr Octavien, welche diesen Vorschlag annehmlich fand, als Gesellschafterin beizugeben. -- Dieser Plan wurde Mathilden mit möglichster Vorsicht mitgetheilt und fand ihren vollkommnen Beifall, den sie in dankbaren Herzensergießungen zu erkennen gab.

Victoria drang nun in ihren Bruder, den Tag der Abreise festzusetzen; sie hatte in Erfahrung gebracht, daß Urbino so weit hergestellt sei, sein Zimmer verlassen zu können, daß er mehrere Male schon den noch immer kranken Don Sebastian besucht und mit Mathilden verschiedene besondere Unterredungen gehabt habe. Und doch hatte er nicht einen Schritt gethan, um bei derjenigen, welche von allen Bewohnern des Schlosses seine erste Huldigung mit Recht zu verdienen schien, zugelassen zu werden; er begnügte sich, Nachrichten von ihrem Wohlsein durch Diego oder Theresen einzuziehen, suchte sich dem Bruder nicht zu nähern und sein ganzes Benehmen gegen Alfons und Victorien gewann mit jedem Tage einen größern Anstrich von Gleichgültigkeit. Es schien also, als wolle er zu seinen frühern Verbindlichkeiten zurückkehren, den vorgeschriebenen Weg der Ehre und Pflicht von neuem betreten, und sich so zeigen, wie ihn Victoria zu sehen gewünscht haben würde, wenn sie als unbefangener Theil nur die Stimme der Gerechtigkeit und strengsten Gewissenhaftigkeit gehört hätte; so aber war ihr Herz zerrissen und ihre eignen Empfindungen vermischten sich wider ihren Willen mit den reinen Lehren, die sie aus ihrer Tugend und ihren unerschütterlichen, edlen Grundsätzen schöpfte.

Endlich erschien der Tag, welcher ihrer unabänderlich bestimmten Abreise vorherging und der Augenblick der schrecklichsten Prüfung, die sie zu bestehen hatte, rückte immer näher. Sie hatte dem weisen Alberti und ihrer guten Ursula entdeckt, daß sie bei ihren nächtlichen Untersuchungen und Wanderschaften im Schlosse an einem verborgenen Orte einen sterbenden Greis gefunden, und von ihm heimlicherweise Schriften von der größten Wichtigkeit unter dem feierlichen Versprechen erhalten habe, solche nur in Urbino's Hände allein abzuliefern. Sie war der Meinung, daß, so heilig auch in ihren Augen dieses, einem Manne auf seinem Sterbebette geleistete Versprechen immer sei, sie doch in ihrer gegenwärtigen Lage, ihre Verbindlichkeit nicht übertreten würde, wenn sie ihrem Bruder die Einhändigung der Papiere übertrug, und denselben als ihren jetzigen natürlichen Vormund zugleich beauftragte, dem Grafen Urbino in ihrem Namen zu erklären, daß ihre Absicht sei, die vollzogene Vermälung als ungültig anzuerkennen und zu trennen.

Aber Alberti, der Alfons Erbitterung gegen Urbino hinsichtlich Mathildens, und seines Zöglings ungestümen Character kannte, fürchtete die Folgen einer Unterredung zwischen beiden Jünglingen, und machte daher Victorien begreiflich, daß sie sich auf keine Weise der Verpflichtung überheben könne, ihr Versprechen so gewissenhaft, als sie es abgelegt habe, zu erfüllen, weil sie nur unter dieser Bedingung die Papiere erhalten hätte, sie also ohne Abänderung dem Willen des Sterbender genügen und solche in die Hände desjenigen, dem sie bestimmt wären, selbst überliefern müsse. Er bemerkte ihr ferner, daß sie alle Rücksichten übertreten und die Pflichten der Dankbarkeit verletzen würde, wenn sie durch Vermittlung eines Dritten, selbst wenn er auch ihr Bruder sei, eine Erklärung von sich geben wolle, die an sich selbst schon kränkend und peinlich für denjenigen sei, der sie hören müsse.

Victoria unterwarf sich geduldig, aber seufzend diesem strengen Ausspruche in der Hoffnung, daß der Himmel, der ihr den gesetzten Entschluß eingeflößt habe, ihr auch die Kraft verleihen würde, daß Bittere der Ausführung bis ans Ende zu ertragen. Die Zusammenkunft wurde in dieser Absicht eingeleitet und Sebastians ehemaliges Kabinet, welches an Victoriens Zimmer stieß, dazu bestimmt.

Die festgesetzte Stunde schlug. Victoria hörte Urbino eintreten, wartete einige Augenblicke, sammelte Fassung, darauf trat auch sie bleich, zitternd und von Ursulen, die bei der Unterredung allein zugegen sein sollte, unterstützt in das Kabinet. Ihre Augen waren gesenkt und betrachteten den Fußboden; sie wagte es nicht, den Gatten, von welchem sie sich auf ewig trennen wollte, anzuschauen. -- Nachdem sie sich gesetzt hatte, entstand ein langes Stillschweigen, bis sie sich endlich zur Fassung zwang und mit leiser, unsicherer Stimme zu dem Erwartungsvollen sprach:

Graf Urbino, weil ich Morgen dieses Schloß verlasse, um nach dem Kloster von Santa Margarita zurückzukehren, so habe ich Euch um diese Unterredung gebeten, damit ich im Stande sein könnte, Euren eignen Händen ein heiliges Pfand zu überliefern, das mir ein sterbender Greis, zu welchem mich die Vorsehung führte, unlängst anvertrauete. Ich würde diese Verpflichtung eher schon erfüllt haben, wenn sich die Gelegenheit früher dazu angeboten hätte.

Urbino warf einen Blick auf die Ueberschrift des Umschlags, sobald er aber die Schriftzüge erkannt hatte, so entfuhr ihm ein unwillkürlicher Ausruf der Verwunderung und Freude.

Victoria, rief er gerührt aus und drückte ehrerbietig seine Lippen auf die Hand, die ihm das Paquet reichte, Euch hat der Himmel erkoren, mir alle Wohlthaten, die er mir bewilligt, zufließen zu lassen. Ihr habt mich den schrecklichen Qualen eines unvermeidlichen Todes entrissen, aber heute schenkt ihr mir mehr noch, als das Leben. -- Ja, ich darf nicht zweifeln, diese Schriften enthalten mein Verhängniß, sie werden die Ketten des Geheimnisses und der Verstellung, in denen ich so lange schon schmachte, zerbrechen, mir zu Eures Bruders Freundschaft wieder verhelfen, und erst jetzt kann sich mein Herz der schmeichelhaften Hoffnung öffnen, ohne welche das Leben keinen Werth für mich hat.

Er schwieg einen Augenblick, dann fügte er hinzu: Erlaubt mir, Donna Victoria, daß ich mich einen Augenblick entferne, um meine gerechte Ungeduld zu befriedigen und die wichtigen Geheimniße, deren Entdeckung mir bevorsteht, zu erfahren.

Urbino war im Begriff das Gemach zu verlassen, aber Victoria wollte ihr schweres Tagewerk nicht unvollendet sehen; sie fühlte daß eine zweite, der gegenwärtigen gleiche Unterredung mit ihm, ihr das Leben kosten würde; es bedurfte jetzt nur noch einer letzten Anstrengung und das ganze große Opfer war gebracht, der grausame Kampf zwischen der Pflicht und ihrem Gefühle geschlichtet; sie raffte daher ihre schwindende Standhaftigkeit zusammen, sammelte Fassung und sprach:

Nur noch einen Augenblick verweilt, Graf Urbino, und ich werde geendet haben.

Sie verlohr den Odem, ihre zitternden Lippen konnten kaum eine Silbe hervorbringen; der schreckliche Zustand ihrer Seele klärte sich mit jedem Pulsschlage deutlicher in ihren Zügen auf; unbeweglich, stumm und von schrecklicher Ahnung gepeinigt erwartete Urbino sein Urtheil.

Nur mit Mühe kann ich meiner Rührung gebieten, fügte sie mit halbleiser, kaum vernehmbarer, unsicherer Stimme hinzu, ich zittere bei dem Gedanken, daß Ihr mich der Undankbarkeit beschuldigen werdet. -- Graf Urbino, hört mich an, ich habe die Stimme meines Herzens um Rath gefragt, alle Gefühle, die Hochachtung, Erkenntlichkeit und Bewunderung einflößen können, empfindet dieses Herz für Euch, es ist von ihnen durchdrungen und wird es ewig sein; aber fest bin ich überzeugt, daß mich eine eheliche Verbindung mit Euch nie glücklich machen kann.

Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, so fühlte sie, daß sie der Heftigkeit ihrer Anstrengung nicht widerstehen konnte, warf sich von ihr überwältigt in Ursula's Arme, die sie aus dem Zimmer führte; sobald sich aber die Thür hinter ihr geschlossen und ihr den Anblick des argen Feindes ihrer Ruhe entzogen hatte, sank sie auf ihre Knie, streckte ihre Hände zum Himmel und erflehte übermenschliche Kraft, um mit Standhaftigkeit ihres Herzens Pein ertragen zu können.

Wie von Blitze getroffen stand Urbino eine Weile im Zustande des Erstarrens und gänzlicher Gefühllosigkeit; der Gebrauch der Zunge stellte sich erst spät wieder ein, aber vor seinen Augen schwamm dichter Nebel; er bemerkte die Abwesenheit Victoriens nicht, glaubte sie noch gegenwärtig und schüttete sein Herz in den schmerzlichsten Klagen aus:

Grausame Victoria, mußtet Ihr mich darum dem Kerker, wo der Tod meine Leiden zu beschließen im Begriff war, entreißen, um mein Dasein fortdaurender Marter und Verzweiflung zu weihen? Doch darf ich mich beklagen, kann Euch ein Vorwurf treffen? Ich allein habe mir mit thörigter Hoffnung geschmeichelt; der Schein der Eigenliebe hat mich verführt, billig ist's, daß meine Vermessenheit bestraft werde. -- Die Täuschung ist verschwunden, der Reiz auf ewig zerstört!

Nein, nein fügte er mit Abscheu hinzu, Ihr achtet mich nicht mehr und Euer Herz kann demjenigen nicht zu Theil werden, der Eure Hochachtung nicht hat bewahren können. Lange schon hat mich der Himmel mit dieser unglücklichen Entdeckung bedroht, heute trifft er mich mit dem zerstörenden Strahl der Ueberzeugung. Ihr zweifelt an meiner Ehre und argwöhnt in meinem Herzen eine Quelle von Lügen und Betrug. -- Das ist die Wirkung des unglückseligen Geheimnisses, worin ich mein Leben bis zu diesem Augenblicke zu verhüllen, vom Schicksal gezwungen war; -- wird der Schleier nie fallen, der wie ein feindseliger Dämon an meine Schritte gefesselt, meine Jugend mit Widerwärtigkeiten und meine Jünglingsjahre mit Gefahren umstrickte und mir jetzt die Liebe meiner Gattin raubt?

Diese Betrachtung erinnerte ihn an die ihm von Victoria überlieferten Schriften, durch sie durfte er Aufschlüsse erwarten, die seine Schwüre lösen, die Triebfeder seiner zweideutigscheinenden Handlungen ins klare Licht setzen und sein Betragen rechtfertigen konnten. Seine Stimmung ward ruhiger; er bemerkte jetzt, daß er allein sei; nur die Hoffnung war nicht von ihm gewichen, sie blickte freundlich lächelnd auf ihn herab, und ließ ihn nicht verzagen; mit zitternden Händen entsiegelte er das verhängnißvolle Paquet, las einige Zeilen und eilte dann von Ungeduld und Neugierde getrieben in sein Zimmer, um ungestört den wichtigen, Glück oder Verderben verschließenden Inhalt zu erforschen.

 


Achtes Kapitel.

Als Alfons sich zu seiner Schwester begab, fand er sie in Thränen; den heftigen Sturm ihrer Seele hatten Gebet und die tröstende Ueberzeugung, der Tugend ein schweres Opfer gebracht zu haben, gemildert. -- Ruhiger geworden, fühlte sie das Bedürfniß, ihre Brust durch Thränen zu erleichtern und ihrem Schmerze in zwangloser Wehmuth freien Lauf zu lassen.

Der Graf war von der stattgefundenen Unterredung mit Urbino nicht unterrichtet gewesen; um so mehr mußte ihn der Zustand seiner Schwester betrüben. Er ergriff ihre Hand, drückte sie sanft, eine theilnehmende Thräne vermischte sich mit den ihrigen, die im Ueberfluß über ihre bleichen Wangen strömten.

Meine gute Victoria, sprach er mit verheimlichter Empfindlichkeit, hat sich also entschlossen, mir die Ursache ihrer Leiden zu verbergen? --

Weiter in sie zu dringen war unnöthig, ihr Herz lechzte darnach sich zu öffnen; die Bande des ehlichen Vertrages waren zerrissen, das Wort der Trennung und Entsagung ausgesprochen; es bedurfte jetzt keiner fernern Zurückhaltung gegen den Vertrauten ihrer geheimsten Gedanken und leisesten Wünsche mehr, sie wollte ihm alles sagen und mit ihm den Verlust ihrer schönsten Hoffnungen, ihres geträumten Glücks, und ihrer Ruhe beweinen.

Sie erzählte ihm also in genauer Wiederholung die Geschichte ihrer Leiden, kehrte zu dem Tage zurück, wo sie im Bogengange der Kirche verborgen, Urbino's Worte, zu Mathilden gehört hatte, entdeckte ihm alle ihre Gedanken, die Entstehung ihres Argwohns, ihrer Qual, die untrüglichen Beweise seiner getheilten Liebe, seine anscheinende Erkältung, Folge der Regung des Gewissens, verheelte dem treuen Bruder nicht, daß er, den sie nicht hassen könne, auf immer ihr Herz besitzen würde, daß sie aber mit ihrer Zärtlichkeit und Pflicht gekämpft und verzweifelt habe, und daß es ihr endlich nach langem Zagen und schrecklicher Ueberwindung gelungen sei, in einer Unterredung seinem Besitze im Leben zu entsagen. Seinerseits vertrauete ihr hierauf Alfons seine Unterredung mit Urbino, und als er ihr dessen eigene Worte:

»Mathilde hat in meinem Herzen Ansprüche auf die dauerhafteste, zärtlichste Freundschaft, aber nie wird sie andere Ansprüche geltend machen!«

wiederholte, strahlte Freude aus Victoriens in Thränen schwimmenden Augen und die Farbe des Entzückens verdrängte die Blässe ihres Gesichts. -- Eine so bündige Erklärung mußte viele Zweifel zerstören. Sie war überzeugt, Urbino, der Wahrheit wärmster Verehrer, konnte ihren Bruder mit keiner lügenhaften Versicherung hintergehen; die wohlthätige Hoffnung, längst schon ihrem Herzen entflohen, goß köstlichen Balsam in ihren Busen. -- Wie sehr beklagte sie es, daß diese Erklärung nicht vor der unglückseligen Zusammenkunft stattgefunden hatte; jetzt konnte sie das gegen sich selbst gefällte Urtheil nicht widerrufen, sie konnte nicht einmal die verhängnißvolle Abreise, wozu alle Vorbereitungen getroffen waren, länger verschieben; mit sich selbst zürnend, ihre ungestüme Eile verwünschend, klagte sie sich der Unbesonnenheit, der Ungerechtigkeit an, und Urbino war ihr theurer als jemals.

Noch vor ihrer Abreise wollte sie den Sennor Don Sebastian sehen, um diesem achtungswerthen Freunde durch die Wiederholung ihres wärmsten Dank bezeigen, wie empfänglich sie für alle, die von ihm erhaltenen Beweise seiner Theilnahme und Anhänglichkeit sei, und ihn um die Fortdauer seiner Freundschaft, die ihr immer schätzbar bleiben würde, zu bitten. Ihrem Wunsche zu genügen, begab sich Alfons zu Don Sebastian, in der Absicht, den kranken Greis auf ihren Besuch vorzubereiten, und begegnete Mathilden, die zu ihm gerufen war.

Ach, Graf Ariosto, rief ihm diese zu, sobald sie ihn bemerkte, Donna Victoria hat den unglücklichen Urbino der Verzweiflung preis gegeben; wie konnte ich mir einbilden, daß sie einen so schrecklichen Entschluß fassen würde, da alle Umstände zu beweisen schienen, daß sie für die Liebe, die sie ihm eingeflößt, nicht gleichgültig geblieben. Ihr beiderseitiges Glück wäre allein schon hinreichend gewesen, mich für alle die ausgestandenen Leiden zu trösten und zu entschädigen, ach, und nun versetzt sie uns den tödtlichsten Streich!!

Schöne Mathilde, antwortete Urbino, zwischen Euch Beiden findet ja meines Erachtens eine so lebhafte, so wohl vertheilte Zärtlichkeit statt, daß wir fast überzeugt sein mögten, sie würde zu Eurem beiderseitigen Glücke ohne fremde Einmischung schon hinreichend sein?

Ich verstehe Euch, erwiederte Mathilde lebhaft. Urbino's Tugenden haben mir eine so hohe Achtung eingeflößt, daß ich zur Anbetung geneigt sein könnte; meine Freundschaft für ihn würde keinen Augenblick wanken, sein Glück mit meinem Leben zu erkaufen. Aber vernehmt nun auch, daß ich lieber alle Arten des Todes, die schrecklichsten Qualen, ertragen würde, ehe ich seine Gattin werden mögte!

Sie sprach dieses mit einer so heftigen Anwandlung von Abscheu und Entsetzen, daß alle ihre Züge davon entstellt wurden und sich ihr Gesicht mit Todtenblässe überzog.

In diesem Augenblicke näherte sich der Pater Anselm. Donna Mathilde, redete er sie mit theilnehmender Rührung an, der Sennor Sebastian erwartet Euch mit Ungeduld, um Euch die wichtigsten Entdeckungen mitzutheilen, die Euer Schicksal unerwartet und günstig ändern werden. Meine Tochter, ich sah, daß Ihr mit Standhaftigkeit das Unglück ertragen könnt, werdet Ihr nun auch wol mit gleicher Stärke, das Euch vorbehaltene Glück und die verlohrene Ruhe wieder empfangen können?

Glück und Ruhe! wiederholte Mathilde, wird auch mein theurer Urbino sich ihrer zu erfreuen haben?

Ich hoffe es, antwortete der würdige Geistliche.

Alfons machte nun dem Pater seiner Schwester Verlangen, mit Don Sebastian zu reden, bekannt. In diesem Augenblick, entgegnete dieser, ist er gänzlich außer Stande, ihren Besuch anzunehmen, aber sagt der Donna Victoria, daß der Himmel sie zum Engel des Friedens und Trostes erkohren hat, daß sie auserlesen worden, die jahrelangen Leiden der verfolgten Unschuld zu enden, und einer eben so tugendhaften als erlauchten Familie ihre Existenz und ihren Glanz wieder zu verleihen.

Alfons kehrte zu Victorien zurück, und theilte ihr des Paters Anselm befremdende Aeußerung mit. Mathilde, die des Tages größte Hälfte sonst in Victoriens Gesellschaft verlebte, erschien nicht, und ließ ihre Abwesenheit entschuldigen. Alfons erkundigte sich nach Don Sebastians Gesundheitsumständen, und erhielt zur Antwort, daß er schlummere und Urbino bei ihm wache.

Gegen Abend fand sich der Pater Anselm bei ihnen ein, um sie zu benachrichtigen, daß der Sennor Don Sebastian sie am andern Tage Morgens bei sich zu sehen wünsche, und wenige Augenblicke darauf überbrachte man dem Grafen Ariosto ein Billet von Urbino, worin dieser ihm schrieb:

»Die Ungeduld verzehrt mich, bis ich Euch sehe, und doch muß ich dieses Glück bis Morgen verschieben; dann aber werde ich mich, meinem Versprechen gemäß, gegen Euch erklären, auch ohne Zweifel meine Handlungsweise rechtfertigen, und wenn dann mein grausames Geschick, Euer Bruder zu sein, mir verbietet, so bin ich wenigstens überzeugt, daß Ihr mir den Namen Eures Freundes nicht versagen werdet.«

Urbino.

Am andern Morgen erschien der Pater Anselm, und führte den Grafen Ariosto, und seine Schwester in das von Don Sebastian bewohnte Zimmer, der nach ihrer Ankunft mit der lebhaftesten Sehnsucht verlangte. Beim Eintritt fielen Victoriens Augen zuerst auf Urbino, welcher bleich und niedergeschlagen neben dem Lehnsessel stand, auf welchem Sebastian ruhete. Bei diesem Anblicke konnte sie ihre Thränen nicht zurückhalten, und warf sich in ihres Bruders Arme; sogleich eilte Mathilde auf sie zu, führte sie zu dem Greise, der seiner Schwäche halber nicht vermögend war aufzustehn, um sie zu empfangen, aber ihre Hand ergriff, sie an sein Herz drückte, und mit gerührtem Tone zu ihr sprach:

Meine Tochter, ich nenne Euch so, denn Ihr habt es mir erlaubt in den unglücklichen Tagen unserer Gefangenschaft. Euch verdanke ich mein Leben und mehr noch, die Wonne, den kurzen Ueberrest desselben in Ruhe zu genießen. Ihr habt der langen Reihe von Bedrückungen, unter denen ich und meine Familie ohne Hoffnung schmachteten, ein Ziel gesetzt. Darf ich, nach so vielen Wohlthaten, die ich von Euch empfing, jetzt, wo ich mich nur bemühen sollte, die Gefühle meiner Dankbarkeit laut werden zu lassen, darf ich von dem mir übrig bleibenden, einzigen Gegenstande der Betrübniß zu Euch reden? Ich habe mich thörigterweise mit der schönen Hoffnung gewiegt, Euch einst noch mit meinem Theodor vereinigt zu sehen; dann aber würden des Greises letzte Lebensjahre zu glücklich gewesen sein, das Verhängniß, dessen Tücke mich unaufhörlich verfolgt haben, kann eine Vollkommenheit meines Glücks nicht dulden; es hat beschlossen, daß mir immer noch Thränen zu vergießen übrig bleiben sollen.

Alfons der sich von betrübten Gesichtern umgeben sah, wo seiner Meinung nach, noch keine Veranlassung zu verzweifeln vorhanden war, suchte die Anwesenden zu er heitern, indem er statt Victorien lächelnd antwortete:

Sennor Don Sebastian, ich hoffe, es wird sich noch ein Mittel finden, das letzte Unglück von welchem Ihr redet, zu verhüten. Es muß zwischen Urbino und mir zu einem Zweikampfe kommen; er selbst hat mir gestern die Ausforderung zugeschickt, und nun denke ich, wird alles von der Art abhängen, wie er sich aus dieser mißlichen Angelegenheit heraushilft.

Urbino drückte zum Zeichen seiner Dankbarkeit seines Freundes Hand und die ungestüme Mathilde nickte ihm vertraulich Beifall zu, erröthete jedoch, sobald sie es gethan, und eilte, ihre Verwirrung und Schaam hinter dem Lehnsessel Don Sebastians zu verbergen.

Dieser hatte Alfons Worte mit sichtbarer Zufriedenheit vernommen, blickte ihn aufmerksam an und sagte gerührt:

Ihr seid Eurem Vater sehr ähnlich; bei Euch findet man in der That seine Züge, seine Gestalt und sein Benehmen wieder.

Ihr habt also meinen Vater gekannt, Sennor? Fragte Alfons.

Sehr genau, antwortete Don Sebastian seufzend, dann wandte er sich zu Victorien:

Es ist mein Wunsch, theure Tochter, Euch vor Eurer Abreise aus diesem Schlosse noch in den Stand zu setzen, den ganzen Umfang der Eurem alten Freunde Sebastian geleisteten Dienste zu kennen. Eine zahlreiche Familie, von schändlichen Anschlägen, geheimen Verbindungen und Meutereien, die nur der unversöhnlichste Haß erdenken, und die niedrigste, durchtriebenste Bösartigkeit ausführen konnten, in einen entsetzlichen Abgrund von Schmach und Elend hinabgestürzt und aller Mittel des Wiederemporstrebens beraubt, gelangt heute von neuem zu ihrer entschwundenen Existenz, ihrer Ruhe, ihren Glücksgütern und dem ehrenvollen Range, den sie in der Welt mit Glanz zu führen, berechtigt ist. Ein unglücklicher, untröstlicher Vater findet heute zwei geliebte Kinder wieder, deren Tod er seit zwanzig Jahren beweinte, und Euch Victoria, Euren Muth und Eure edle Ausdauer hatte die Vorsehung dazu vorbehalten, solche Wunder zu vollbringen. -- Ich bin nicht, theures Kind, wie ich es selbst lange Zeit geglaubt habe, auf dieser Welt ein verlassenes, aller Stütze und jedes Trostes in meinen alten Tagen entfremdetes Wesen; ich bin jetzt nicht mehr verurtheilt, in das kalte Grab hinabzusinken, ohne eine wohlthätige Hand zu besitzen, die meine Augen schließen könnte. -- Mein Schicksal ist plötzlich verändert und kein Vater kann sich über den, ihm bestimmten Antheil glücklicher preisen als ich, weil dieser theure Theodor und diese liebenswürdige Mathilde meine Kinder sind.

Theodor und Mathilde sind Eure Kinder? fragte Victoria beschämt und mit Verwirrung.

Beide, antwortete Don Sebastian, sind von meiner theuren Viola, der tugendhaftesten aller Frauen gebohren.

Victoria, welche in diesem Augenblicke Urbino beobachtete, konnte den Ausdruck der tiefen Betrübniß auf seinem Gesichte nicht länger ertragen, sie ergriff seine Hand und sagte gerührt:

Ach, Theodor, so war ich sehr ungerecht und undankbar!

Urbino ließ ihr nicht Zeit mehr zu sagen; er bedeckte ihre theure Hand mit Küssen und Thränen, aber die seligen Gefühle seines Glücks schlossen ihm den Mund. Alfons hingegen hielt ihre beiden Hände fest in einander geschlossen:

Ich aber, liebe Victoria, in der Eigenschaft Deines Vormunds will, daß diese Hände auf immer vereinigt bleiben sollen, und ich schenke die Deinige meinem Freunde, weil er sie verdient, und ihn, gestehe es nur, Dein Herz gewählt hat.

Victoria erröthete und schlug die Augen nieder, doch widersprach sie ihrem Bruder nicht, zog auch ihre Hand, die Urbino immer noch hielt, nicht zurück; Alfons fuhr fort:

Dies sei nur das Vorspiel zu den Feierlichkeiten, welche ich im Schlosse von Palino bei Toskana veranstalten werde, wo diese glückliche Verbindung mit aller unserer Familie gebührenden Pracht gefeiert werden soll. Habe ich dann meine gute Schwester dem rechtmäßigen Schutze eines Gemals anvertrauet, dem die Pflicht obliegt, für ihre Ruhe und irdische Glückseligkeit zu sorgen, so will ich mich aus den Armen der Glücklichen reißen, zum Heere zurückkehren und mich nur damit beschäftigen, Ruhm im Dienste meines Vaterlandes zu erwerben.

Ich hoffe, nahm Don Sebastian das Wort, mein theurer Alfons, daß der Jüngling, den Ihr zu Eurem Freunde, Eurem Bruder wählt, in Euren Augen immer noch würdig sein werde, es zu bleiben, sobald Ihr seinen wahren Namen und Stand kennen werdet. Ich hoffe gleichfalls, meine Victoria wird den Gatten ihrer Wahl nicht weniger lieben, wenn sie ihren Theodor von Urbino, den vermeinten Neffen des Grafen von Vizenza, in Roland von Treviso, Markis von Palermo, den Erben des Namens und der Güter des edlen Hauses von Manfredonia vertauschen muß. -- Ja, ich schmeichle mir endlich, theure und würdige Kinder des Grafen Altidoro Ariosto, daß die zärtliche Anhänglichkeit, die Ihr Beide dem armen Sennor Sebastian geschenkt habt, nicht geschmälert sein wird, sobald Ihr in ihm den unglücklichen Lorenzo, Herzog von Manfredonia, den ältesten und besten Freund Eures Vaters erkennen werdet.

Bei diesem Namen, den Alfons und Victoria in ihrer Kindheit so oft gehört hatten, den man ihnen nach ihren Eltern am höchsten zu achten, und am innigsten zu lieben lehrte, sanken Beide von gleicher Ueberraschung und gleichen kindlichen Gefühlen neben dem ehrwürdigen Greise auf ihre Knie, drückten ihre Lippen auf seine zitternden Hände und befeuchteten sie mit ihren Thränen. Urbino und Mathilde folgten ihrem Beispiele und der reizbare Lorenzo, in der Mitte dieser rührenden Gruppe, von allen Seiten fast in den Umarmungen so theurer Wesen, deren Entzückten er theilte, erdrückt, vergaß in diesem köstlichen Augenblicke die zwanzigjährigen Leiden.

Haltet ein! meine Kinder, seufzte er endlich mit fast erstickter Stimme, es ist zu viel Glück auf einmal; meine Kräfte sind dieser Prüfung nicht gewachsen, und einige Augenblicke Ruhe und Erholung mir durchaus nöthig. Victoria, ein wenig Bewegung im Parke wird Euch wohlthun, Euer Bruder und mein Sohn werden Euch begleiten; Mathilde aber bleibt bei mir. Nach Mittag findet Euch sämmtlich wieder bei mir ein, damit ich Euch im genauen Zusammenhange die Geschichte Eurer Eltern, und das teuflische Gewebe der Boßheit, in welchem das Elend meiner Familie gesponnen worden, mittheile. Ich weiß jetzt alles, jene wichtigen Papiere, welche die gütige Vorsehung in Victoriens Hände hat fallen lassen, haben mir alles entdeckt und die Dunkelheit mit schrecklichem Glanze erleuchtet. Ach, liebe Kinder, ich bedarf aller möglichen Fassung, um Euch diese traurige Geschichte zu erzählen, und Ihr rüstet Euch mit Standhaftigkeit, damit Ihr die Schilderungen schrecklicher Begebenheiten ertragen könnt. Du, Victoria, vorzüglich wirst schaudern, sobald Du die Ruchlosigkeit gewisser Geschöpfe wirst kennen lernen, denen Dein aufrichtiges und zutrauliches Herz lange Zeit Hochachtung und Zärtlichkeit schuldig zu sein glaubte. Jetzt verlaßt mich, damit ich mich erhole, denn schwer zu ertragen für den Greis ist des Glückes schnelle, unerwartete Fülle.

Victoria und die beiden Freunde gehorchten dem Willen des Herzogs und verließen ihn. Die Erstere beeilte sich, Ursulen und Rosalien die Ereignisse dieses glücklichen Morgens, und der Sohn Lorenzo's, seinen treuen Freunden Diego, Therese und Thomas mitzutheilen; durch diese gelangten solche bald zur Kenntniß der sämmtlichen Bewohner des Schlosses, und da die Haupttheilnehmer der Folgen dieser erfreulichen Entdeckungen von allen geliebt wurden, so war die Freude allgemein, und in Don Manuels Raubschloß, das lange Jahre hindurch nur ein Wohnort des Schreckens und der Leiden gewesen, verweilte in diesem Augenblicke nicht ein einziges Geschöpf, das nicht über sein eignes, oder das Glück der Andern frohlockt hätte.

Wärend des Spazierganges offenbarte Urbino, den wir von jetzt an Roland nennen wollen, Victorien, und ihrem Bruder die verschiedenen Vorfälle, in Folge welcher er Mathildens Bekanntschaft gemacht und sich in beider Herzen eine reine, zärtliche Freundschaft eingeschlichen habe; und wenn jetzt auch noch in der Geliebten Geiste einige Zweifel zurückgeblieben waren, so würde seine aufrichtige, kunstlose Erklärung sie davon befreiet haben.

Rolands aufrichtiges Bekenntniß mahnte Victorien an die Vergeltungspflicht; sie entdeckte daher dem Gatten die Qualen ihres Herzens seit dem Tage, wo sie ihn mit Mathilden in der Kirche zufällig beobachtet hatte, ihre Besorgniß und Zweifel, ihren Verdacht, den Kampf zwischen Pflicht und Liebe und ihren Entschluß, ihm zu entsagen. In der einfachen, schmucklosen, aber gehaltreichen Art, wie sie den damaligen Zustand und Wechsel ihrer Seele schilderte, entwickelte sie so viel Zartgefühl und vorzügliche Geistesgaben, daß Rolands Bewunderung mit jedem Augenblicke wuchs, er sich nicht getraute, sie zu unterbrechen, und nur in der Stille sein Glück prieß, sie zu besitzen.

Nach dem Mittagsessen begaben sie sich zum Herzoge zurück, den sie so ruhig, heiter und im Vergleich mit den vorhergegangenen Tagen, von so gesundem Aeußern fanden, daß sie die größte Hoffnung daraus herleiten konnten, ihn bald wieder hergestellt zu sehen. Er reichte ihnen seine Hände, zog sie zu sich her, ließ sie und Mathilden in einen traulichen Kreis setzen, dessen Mitte sein Lehnstuhl ausfüllte und begann nun die nachfolgende Erzählung, in der wir, um den Leser für die Langeweile der Wiederholung zu entschädigen, nach Gelegenheit andre, ihm bis daher unbekannt gebliebenen Begebenheiten einmischen werden, welche wir aus sichern Quellen geschöpft haben und die zur Beleuchtung und Aufklärung einiger früher erzählten Vorfälle durchaus nöthig sind.

 


Neuntes Kapitel.

Geschichte
des Herzogs von Manfredonia.

Angelina und Julie von Rossano waren die liebenswürdigsten weiblichen Wesen in ganz Sizilien. Von einer alten adelichen, aber unbemittelten Familie abstammend, blieben sie von zarter Kindheit an, unter der Vormundschaft ihrer Mutter, die alle ihre übrigen Anverwandten überlebt hatte, und da sie von einer übertriebenen, abergläubischen Frömmigkeit beherrscht wurde, für die Erziehung ihrer Kinder nicht zweckmäßiger zu handeln glaubte, als wenn sie dieselbe lediglich und ohne Einschränkung der Sorgfalt der Priorin vom Kloster der Karmeliterinnen zu Palermo überließ.

Sie wurden daher in diesem Kloster dem mütterlichen Willen gemäß in den klösterlichen Grundsätzen und Gewohnheiten erzogen und ihnen nach Verlauf der ersten Kinderjahre von ihrer Erzieherin angekündigt, daß sie im achtzehnten Jahre den Schleier nehmen würden. Sobald indeß Angelina das sechszehnte Jahr erreicht hatte, erklärte sie feierlich, daß sie, da sie keine Neigung und keinen Beruf zum Nonnenleben fühle, entschlossen sei, dieser tyrannischen Verfügung den kindlichen Gehorsam zu verweigern und mit allen Mitteln, die ihr zu Gebote stehen könnten, ihre und ihrer Schwester Freiheit zu vertheidigen.

Die Priorin ward über diesen Ungehorsam, den sie ruchlos und gotteslästerlich nannte, eben so erstaunt als verwirrt. Sie berief alle Geistlichen, die dem Kloster beigesellt waren, zusammen; diese schleuderten ihren Kirchenbann auf die widerspenstige Tochter herab, legten ihr mehrere Büßungen auf, droheten mit der ewigen Verdammniß und erdrückten sie fast mit Glaubensstreitigkeiten und der Belehrungssucht, die zu weiter nichts dienten, als die Arme zu verwirren und ihre eigne theologische Unwissenheit in helles Licht zu setzen. Diese übermäßige Strenge erbitterte nur Angelinen, änderte aber ihren philosophischen Entschluß nicht; sie unterwarf sich allen Befehlen der Priorin und ihres geistlichen Anhanges, aber ihre Beweisgründe und Religionssätze machten keinen Eindruck auf ihren Geist, wahrscheinlich weil sie wenig davon verstand, und sie befestigten nur ihren Vorsatz, eher alle Strafen und alles Ungemach zu erdulden, als ein meineidiges Opfer vor dem Altare ihres Schöpfers zu erscheinen.

Dieser ungewöhnliche Kampf eines sechszehnjährigen Mädchens mit der geistlichen Gewalt, erfüllte die Stadt Palermo mit Erstaunen, und ward bald der Lieblingsgegenstand aller Gespräche. Angelinens Schönheit, die Kraft und Ausdauer ihrer Empfindungen gewannen ihr den allgemeinen Beifall der Jugend, aber unter den bejahrtern und durch ihre Frömmigkeit berühmten Einwohnern beiderlei Geschlechts, fanden sich weniger Bewunderer.

Der Erzbischoff von Montreal war der einzige von allen sizilianischen Prälaten, der sich frei von Vorurtheilen und Fanatismus zeigte; er war ein gerechter, sehr unterrichteter und wahrhaft frommer Geistlicher. Angelina hörte ihn mit Ehrfurcht wärend der langen und oft wiederholten Unterredungen, die zwischen Beiden statt fanden, an, und als sie endlich so viel über ihn erlangte, daß sie ihn überzeugte, daß ihre Abneigung gegen das klösterliche Gelübde und ihr Entschluß, nie den Schleier zu nehmen, ihren Gesinnungen und der Stimmung ihrer Seele ganz angemessen war, so blieb er weit entfernt, daran zu arbeiten, sie zu einer Nachgiebigkeit zu bewegen; er bediente sich im Gegentheile seines vollen Einflusses, um sie von den Verfolgungen zu befreien, die ein übel angewandter und zu weit getriebener Eifer ihr zuzog; auf diese Weise gelang es ihm, die Streitigkeiten beizulegen, aus denen jene Verfolgungen erwachsen waren, und den Beschluß zu erwirken, daß beide Schwestern im Kloster verbleiben und es von ihrem freien Willen abhängen sollte, ob sie sich dem Dienste Gottes weihen wollten, in so fern sie der Himmel zu diesem Stande berief, daß aber kein gewaltsames Mittel angewandt werden dürfte, um sie dazu zu zwingen.

Der Markis von Palermo war damals zwei und dreißig Jahr alt und gewiß in Ansehung seines Gesichts und der Anmuth seines Benehmens einer der liebenswürdigsten Männer seiner Zeit; aber seine verführerische Aussenseite verbarg einen heftigen Character, ungeregelten Stolz und den eigensinnigsten Geist. Neffe, von Seiten seiner Mutter, des Erzbischoffs von Montreal, sah er in der Zeit, daß die theologischen Unterredungen dauerten, oftmalen die beiden liebenswürdigen Schwestern bei demselben. Juliens theilnehmende Sanftmuth besaß so viel Reiz für ihn, daß sie ihn anfänglich fesselte, aber Angelinens majestätische Schönheit zog die allgemeine Bewunderung auf sich; der Ruf erkannte ihr die Palme zu, und alle Jünglinge in Palermo strebten darnach, ihr zu gefallen. Sie ihren zahlreichen Bewerbern zu entführen, war sein Unternehmen, dessen Glanz den stolzen Markis, dem überall der Vorzug eingeräumt wurde, reizte; vergebens gestand er sich innerlich, daß ihn Julie glücklicher machen würde; die Stimme des Herzens mußte schweigen und die Eitelkeit trug den Sieg davon. Von diesem einzigen Bewegungsgrunde beseelt, entfaltete er alle ihm zu Gebote stehenden Mittel, Angelinen zu gefallen, und erschien vor ihr in der Gestalt des leidenschaftlichsten Anbeters; Angelinens Sanftmuth war leicht zu täuschen, längst schon des klösterlichen Lebens überdrüssig, erwiederte ihre empfindsame aufrichtige Seele bald mit der zärtlichsten Neigung, die Liebe, welche sie eingeflößt zu haben glaubte, und ihre über alle Ziererei erhabene Arglosigkeit legte der zum Tage der Vermälung anberaumten, nahen Frist kein Hinderniß in den Weg.

Noch standen die Vermälten vor dem Altar und schon überließ sich der Markis, dessen Stolz zur Genüge befriedigt war, den frühern Empfindungen seines Herzens, die jetzt von Reue begleitet zu ihm zurückkehrten. Wärend der Erzbischof von Montreal mit heiliger Begeisterung den ehelichen Segen aussprach, wurzelten die Blicke des Markis auf Julien, und mit Entzücken betrachtete er ihre anziehende Gesichtsbildung, die in diesem Augenblicke von dem Eifer ihrer Wünsche, für das Glück ihrer Schwester, und von der Begeisterung ihrer lebhaften und zärtlichen Theilnahme an dieser erhabenen Feierlichkeit mit der unwiderstehlichsten Anmuth beseelt wurden. Nie hatte Julie schöner geschienen, in ihren Zügen lag ein himmlischer Ausdruck von Hoffnung und Freude. Ach, nicht das leiseste Vorgefühl verrieth dem unschuldigen Mädchen, daß es selbst dem Glücke, das es seiner Schwester so innig wünschte, hinderlich sein werde. Und doch war es leider nur zu wahr, denn von diesem Zeitpunkte an und nach Verlauf der ersten Flitterwochen sah der Markis von Palermo in seiner schönen und tugendhaften Gattin, nur ein unübersteigbares Hinderniß, das ihn von Julien trennte, und in ihr den Gegenstand seines ungerechten Widerwillens.

Wenige Zeit nach dieser unglücklichen Verbindung erhielt Lord Friedrich Stanhope, der jüngste Sohn des Herzogs von Riversdale, das Herz und die Hand Juliens. Diese Begebenheit steigerte des Markis Verzweiflung und Wuth bis zum Wahnsinne. Unfähig sich langer zu mäßigen, stürmten die bis jetzt noch in der Brust verschlossen gewesenen Leidenschaften mit Ungestüm hervor und erfüllten der unglücklichen Gattin Seele mit Angst und Betrübniß. Er gestand ihr mit bittern Worten, daß vom ersten Augenblicke an Julie ihm die heißeste Liebe eingeflößt habe, daß diese Leidenschaft mit jedem Tage an Heftigkeit gewonnen hätte und nie erkalten werde, ja er warf der unglücklichen Markise vor, daß sie die Feindin seines Glücks und seiner Ruhe sei, und schwur ihr ewigen Haß. Kein Vorwurf, keine Klage entschlüpfte den Lippen Angelinens, sie betrachtete sich als ein dem Unglück geweihetes Opfer, und verschloß ihren Schmerz in dem stummen Busen; aber ihre Gesundheit litt zusehends, ihre liebenswürdige Lebhaftigkeit verschwand und in kurzer Zeit blieb nur noch der Schatten von der einst so herrlichen Angeline übrig. Die Blässe ihres Gesichts, auf welchem sich Schwermuth und Duldung in rührender Mischung malten, die Mattigkeit ihrer früher so feurigen Augen, ihr trauriges, vor kurzem noch so munteres, oft listiges Lächeln und das Beben ihrer Stimme, deren sanfte Töne jedes Herz rührend ansprachen, erregten das Mitleid aller gefühlvollen Seelen und entlockten den Augen derjenigen, die sie kannten und Theil an ihrem Schicksale nahmen, Thränen.

Mittlerweile war Julie mit dem liebenswürdigen Gatten, der sie anbetete, nach England abgereiset. Aber wäre sie auch in Sizilien geblieben, sie würde doch das Schicksal Angelinens nicht haben lindern, eher noch verbittern können. Noch ehe diese Unglückliche ihr siebenzehntes Jahr erreicht hatte, schien für sie alles zeitliche Glück und alle Hoffnung auf eine bessere Zukunft unwiderbringlich verlohren; nur die Freundschaft des Erzbischofs von Montreal und ihre mütterliche Zärtlichkeit für ihre Tochter, die kleine Viola, blieben ihr einziger Trost. Bei der Geburt dieses Kindes fühlte sie eine Bewegung von Freude, die bis in ihr Herz drang; aber der Stolz des Markis, der einen Erben seines Namens und seiner Güter wünschte, gerieth, als er seine Hoffnung vernichtet sah, in die heftigste Wuth, klagte in seiner ungerechten Erbitterung Mutter und Kind als die Ursache seiner Widerwärtigkeiten an -- und verbannte Beide aus seiner Gegenwart.

Das unfern Palermo gelegene Kloster der Benedictinerinnen der heiligen Rosalia, ward nun unter dem Schutze des wohlthätigen Erzbischofs von Montreal, nach der Trennung von ihrem Gemal, für Angelinen ein angemessener Zufluchtsort, wo sie still und eingezogen lebte. Der Markis dagegen suchte die Erinnerung an sein Unrecht und seine unglückliche Leidenschaft im Strome eines geräuschvollen Lebens und allen erdenklichen Zerstreuungen, deren Uebermaas ihm bald die Achtung aller Gutgesinnten raubte, zu versenken.

Mit väterlicher Sorgfalt beschäftigte sich der Erzbischof von Montreal von der zärtlichsten und aufgeklärtesten Mutter unterstützt, mit der Erziehung der jungen Viola, er hielt ihr die vorzüglichsten Lehrer in Palermo, und dieses liebenswürdige Kind hatte schon, ehe es sein unnatürlicher Vater, der es verlassen hatte, kannte, alle Vollkommenheiten und Reize sich zugeeignet, die ihm die tugendhaftesten und zärtlichsten Eltern nur immer hätten wünschen können.

Die Familie des Lords Friedrich Stanhope empfing Julien mit Höflichkeit, aber ohne ein Merkmal von Zuneigung; der Herzog Riversdale, ein geiziger Mann, den der zwiefache Fanatismus für Vaterlandsliebe und für die Religion zur Ungerechtigkeit gegen Julien verleitete, konnte eine fremde, katholische und unbemittelte Schwiegertochter mit keinem günstigen Auge betrachten. Seine Liebe für seinen Sohn hatte ihn nur vermögen können, ihm diese Heirath zu verzeihen; da er aber überzeugt war, daß Luthers Lehrsätze allein nur tugendhafte Menschen bilden können, so konnte selbst Juliens sittsamer, frommer Lebenswandel und ihre schätzbaren Eigenschaften, so tief eingewurzelte Vorurtheile nicht besiegen. Jedes Mitglied der Familie richtete seine Handlungsweise und seine Meinungen nach den Grundsätzen und dem Betragen Mylords, und also fand die liebenswürdige Julie Niemand, der ihr gewogen gewesen. Doch Friedrichs Characterfestigkeit, so wie die Achtung, die er in seinem Vaterlande genoß, theilten sich seiner Gattin mit und so lange er sie noch beschützen konnte, nahete man sich ihr nur mit Ehrerbietung. Leider trennte der kriegerische Stand, den er als jüngster Sohn hatte ergreifen müssen, ihn oft von seiner Julie, und fünf Jahre nach seiner Vermälung fand er mit Lorbeeren bekränzt, in einem Seegefechte, wo er anfänglich mit wenigen Streitkräften über eine weit überlegene Macht gesiegt hatte, seinen Tod.

Juliens Schmerz war mit der Größe ihres Verlustes verhältnißmäßig; auf immer von ihrem Gatten, der ihre ganze Zärtlichkeit besaß, getrennt, ihres einzigen Beschützers beraubt, sah sie sich von einem neuen Unglücke bedroht, das ihr nun auch gern den letzten Trost entführt hätte. Von mehrern Kindern, die sie gebohren, blieb ihr nur die kleine Clementine übrig, und auch diese wollte ihr der Herzog von Riversdale in der Absicht entreißen, um sie in dem Glauben der väterlichen Familie erziehen zu lassen. -- So lange ihr Gatte lebte, hatte Juliens Glück weder darnach verlangt, über den Jammer einer ewigen Trennung reiflich nachzudenken, noch ihr Zeit zu dieser traurigen Beschäftigung übrig gelassen; jetzt da er nicht mehr war, suchte sie vergebens in der Hoffnung einer zukünftigen Wiedervereinigung, Linderung für ihren Schmerz. Nun wollte man ihr noch ihr einziges Kind entreißen, es in einem Glauben erziehen, den ihr Gewissen verwarf, und sie also in jener Welt, wie hier, von ihrem Gatten und ihrer Tochter trennen!

Alle Vorschriften der katholischen Gotteslehre und die Androhungen göttlicher Strafen peinigten ihr von Drangsalen schon zerrissenes Herz; allmälig schwanden ihre Geisteskräfte wie ihre Gesundheit; unfähig selbst einen Entschluß zu ergreifen, überließ sie sich den Rathschlägen ihres Beichtvaters, der seinerseits von dem Einflusse der in London anwesenden bigotten Katholiken gestimmt, endlich die schwache und leichtgläubige Julie überredete, daß sie dem ewigen Seelenheil ihrer Tochter, das zeitliche Glück, welches die Gegenwart ihres Kindes ihr verschaffte, wenigstens eine zeitlang aufopfern müsse. Und als er ihre Einwilligung erhalten, wußte der eifrige Priester sich heimlicherweise der jungen, damals vier Jahr alten Clementine zu bemächtigen, brachte sie nach Palermo und überlieferte sie den Händen des Erzbischofs von Montreal.

Die unglückliche Julie, trostlose Wittwe und Mutter, stand nun allein, in der Blüthe ihrer Jugend und Schönheit, ohne Trost, ohne Führer und Stütze, unaufhörlich von der Familie ihres Gatten verfolgt, die sie zwingen wollte, der Vormundschaft über ihre Tochter zu entsagen, und sah sich leider in die herbe Nothwendigkeit versetzt, in England zu bleiben, wenn sie dem letzten Willen ihres sterbenden Gemals, dessen Andenken sie vergötterte, gehorchen wollte.

Auf seinen öftern Seefahrten hatte nämlich Friedrich seit seiner Vermälung verschiedentlich Palermo besucht, dort die Ursache der Uneinigkeit des Markis und seiner Gattin erfahren und sich entschlossen, Julien den Gram über diese Nachricht dadurch zu ersparen, daß er sie, so lange der Markis lebte, von Sizilien entfernt hielt; da er aber diese Vorsicht bis nach seinem, etwa früher erfolgenden Tode ausdehnen wollte, so verordnete er in seinem Testamente auf die feierlichste Weise, daß es seiner Gattin, nur erst, sobald sie das vierzigste Jahr erreicht haben würde, gestattet sein sollte, in ihr Vaterland zurückzukehren. Ueber den Bewegungsgrund zu diesem sonderbaren Verbote beobachtete er ein tiefes Stillschweigen; Julie schrieb ihn daher auf Rechnung des National-Vorutheils, das in der Familie ihres Gatten so gebieterisch herrschte, und obgleich sie willig mit ihrem Leben das Glück bezahlt haben würde, ihre Clementine zu begleiten, an dem Busen ihrer Schwester weinen und das Heil ihrer Seele der Leitung des frommen Erzbischofs von Montreal anvertrauen zu können, so erfüllte sie doch mit Gewissenhaftigkeit den Willen des sterbenden Gemals, und wollte lieber ihre Leiden vermehren, als gegen eine so heilige Verpflichtung sündigen. Daß der Zweck des Verbots ein Mittel war, ihr den Schmerz über die Nachricht zu ersparen, den sie bei dem Gedanken empfinden mußte, daß sie unvorsätzlich und unwissend ihrer Schwester Unglück verursacht habe, blieb ihr unbekannt.

Der gute Erzbischof von Montreal führte die junge Clementine ins Kloster der heiligen Rosalia, und da er überzeugt war, daß Angelinens liebendes Herz sie wie eine zweite Tochter aufnehmen würde, so vertrauete dieser zärtliche und getreue Vormund ihr das ihm überlieferte, kostbare Pfand unbedenklich an, und unterrichtete sie mit aller möglichen Schonung von dem unglücklichen Schicksale ihrer Julie.

Die Markise errieth sogleich den Grund der seltsamen Testamentsklausel, sie vergoß heiße Thränen über das beweinungswürdige Loos der geliebten Schwester, und verwünschte die grausame Nothwendigkeit, die sie von einander trennte. Ihre zärtliche, durch die Zeit nicht geschmälerte Neigung für Julien, ging mit neuer Stärke auf das verlassene, von der Vorsehung zu ihr gesendete Kind über; und ihre unermüdete Sorgfalt und zärtlichen Liebkosungen entschädigten Clementinen für den Verlust der entfernten Mutter. Angelina ließ zwischen ihr und ihrer eignen Tochter auch dem schärfsten Auge keinen Unterschied entdecken; und als Juliens früher Tod ihrem trostlosen Herzen den letzten Stoß versetzte, da schöpfte sie in der Kraftfülle der sie verelendenden himmlischen Gefühle diejenige Stärke, welche sie in ihrer schon schwindenden Gesundheit nicht finden konnte. Ihre Zärtlichkeit, ihre Aufmerksamkeit und rege Wachsamkeit verdoppelten sich; sie bot alles auf, das Andenken an die geliebte, ewig betrauerte Schwester nach ihren Kräften dadurch zu ehren, daß sie Clementinen die früh verblichene Mutter ganz ersetzte; aber auch Clementinens gefühlvolle erkenntliche Seele empfand bald, wie viel sie ihrer Tante verdankte, sie erwiederte alle diese Beweise mütterlicher Liebe mit kindlichem Gehorsam und der zärtlichsten Anhänglichkeit, und nie beklagte sie in Angelinens Gegenwart den Verlust ihrer Mutter. Die liebenswürdigen Eigenschaften und gegenseitige Zuneigung beider jungen Mädchen wuchsen mit ihrem Alter und wurden als Muster einer vollkommenen, dauerhaften Freundschaft und nie getrübten Einigkeit allgemein gepriesen.

Der ehrwürdige Erzbischof gewann die beiden Kinder des Unglücks so lieb, daß er nur den innigsten Wunsch hegte, sie so glücklich zu machen, als es seinen Kräften angemessen war. Alles, was ihnen nur Vergnügen verschaffen, nur ihren Beifall und ihr Gelüste reizen konnte, ward ihnen verschwenderisch mitgetheilt, und sein Reichthum war nur in so fern ein Genuß für ihn, als er ihn in den Stand setzte, ihre Wünsche und ihren Geschmack zu befriedigen. Nie war er froher und glücklicher, als wenn Angelina seinen Lieblingen erlaubte, ihn nach seinem Pallaste zu begleiten. Bald nahm er seine Nichte mit sich, dann seine junge lebhafte Mündel, oft auch Beide zugleich, und eines Jünglings Heiterkeit wandelte ihn an, sobald er bemerkte, daß die Vergnügungen, welche er den jungen Mädchen verschaffte, und ihr oft ausgelassener Frohsinn, das kummervolle Herz Angelinens erleichterten.

Einstmals, als Viola das funfzehnte Jahr erreicht hatte, und mit ihrem Onkel vom Kloster der heiligen Rosalia nach dem bischöflichen Pallaste fuhr, ward ihr Wagen von einer der zahlreichen Prozessionen, die in den katholischen Ländern so oft die Gassen ausfüllen, in einer der engsten Straßen Palermo's aufgehalten. Wärend der allgemein geliebte Prälat die Wagenfenster niederließ, um den von dem Volke mit stürmischem Geschrei verlangten Segen zu ertheilen, wurde Violens Aufmerksamkeit auf die andere Seite hingezogen. Ihre Blicke fielen auf einen offenen Wagen, der neben dem ihrigen hielt und in welchem sie einen dem Anscheine nach vornehmen Edlen von Palermo bemerkte, der sie mit der größten Aufmerksamkeit betrachtete, obgleich Violens zarte Sittlichkeit seine Blicke zu vermeiden suchte. Aber ungeachtet sie den Unbekannten nur mit furchtsamen, schnell abgewandten Auge angesehen hatte und sich, seine Züge gesehn zu haben, nicht erinnerte, so erröthete sie doch und gerieth in Verwirrung. Unvermögend ihre Unruhe und ein seltsames Gefühl von Beklemmung, das ihre Brust beengte, zu erklären, ergriff sie unwillkührlich mit zitternder Hand den Arm des Erzbischofs, gleichsam als ob er sie von dieser sonderbaren Gemüthsbewegung befreien könnte. Dieser erstaunte, warf dem Unbekannten einen Blick zu, der in Ernst und Verachtung überging, und als jener dabei beharrte, Violen mit auffallender Aufmerksamkeit zu betrachten, so befahl er dem Kutscher, schnell fortzufahren. Dieser gehorchte, kaum hatte aber der Wagen den Hof des bischöflichen Pallastes erreicht, so entstand in der Straße ein heftiges Gerassel, dem lautes Rufen und Geschrei folgte, und die erschreckte Viola erfuhr von dem, nach der Ursache desselben ausgeschickten Diener, daß ein Wagen, der dem Erzbischöflichen gefolgt war und demselben hatte zuvorkommen wollen, durch des Kutschers Ungeschicklichkeit umgestürzt sei. Sogleich schickte der Erzbischof seine Leute mit dem Auftrage ab, denjenigen, die etwa von dem Falle gelitten haben könnten, Hülfe zu leisten, und wenn Jemand unglücklicherweise verwundet worden, ihn in seinen Pallast zu bringen; gern hätte Viola dem Drange ihres mitleidigen Gefühls gehorcht und sich von dem Unfalle selbst überzeugt, der Schreck hatte sie aber gelähmt und genöthigt, von dem Anrathen des Erzbischofs, einige niederschlagende Tropfen zu nehmen, Gebrauch zu machen.

Von der Wirkung derselben beruhigt, war sie im Begriff, ihren Wohlthäter zu fragen, ob ihm der unbescheidene Unbekannte, dessen Blicke sie so sehr verwirrt hatten, bekannt sei, da öffnete sich die Thür und der Unbekannte selbst trat auf zwei Diener des Erzbischofs gelehnt ins Zimmer. Seine Mienen verriethen Stolz, der Zorn blitzte aus seinen Augen und machte seine Stimme beben.

Der Unfall, welcher mir so eben begegnet ist, redete er mit bitterm, beinahe spöttischen Tone, wird meine Zudringlichkeit entschuldigen, daß ich es gewagt habe, hieher zu kommen und den wohlthätigen Erzbischof von Montreal bitte, daß er mir hier so lange zu verweilen erlaube, bis ich mich von dem harten Sturze etwas erholt haben werde.

Markis, antwortete der Erzbischof, Ihr wißt sehr wohl, wie unnöthig diese Einleitung hier ist, da Euch bekannt sein wird, daß meine Thür, so wenig wie mein Herz, weder dem Leidenden, noch dem Reuigen verschlossen sind.

Der Unbekannte schien empfindlich, das Feuer der Erbitterung entzündete sich in seinen Augen; doch schwieg er und sank erschöpft auf einen nahen Sopha. Viola, eben so erstaunt als verlegen über die kalte Härte ihres Onkels, blieb unentschlossen und verwirrt. Die Menschlichkeit befahl ihr, dem Leidenden beizustehen, und doch schien ihr, nach den wenigen Worten des Erzbischofs, als ob der Unbekannte ihres Mitleids nicht würdig sei.

Ihr Onkel ließ sie nicht lange in dieser ungewissen Stimmung, er ergriff ihre Hand und sprach: Komm, meine Tochter, hier länger zu verweilen, wäre für Dich nicht schicklich; komm, wir wollen den Markis der Sorgfalt der Diener überlassen.

Bei diesen Worten hielt er ihre Hand noch immer und wollte sie wegführen, aber Viola konnte unmöglich folgen; es betrübte sie, ihn in diesem Augenblicke so gefühllos zu finden, wie sie ihn noch nie gesehn hatte; sie blickte ihn traurig an und sagte im sanften Tone des Vorwurfs:

Kann sich der Erzbischof von Montreal wirklich entschließen, einen verwundeten Unbekannten, der seine Hülfe in Anspruch nimmt, zu verlassen? --

In dem Augenblicke als Violens Stimme das Ohr des Unbekannten berührte, wechselten Verachtung und Wuth auf seinem schönen Gesichte mit Bewunderung und Dankbarkeit, die in seinen Augen glänzten, wärend Violens rührende Blicke von ihrem Oheim Mitleid und Theilnahme erbaten.

Der gute Prälat, sichtbarlich bewegt, sah bald auf seine Nichte, bald auf den Unbekannten und schien ungewiß, was er thun sollte; endlich wandte er sich zu der Erstern und sagte, mit seiner gewöhnlichen Gutmüthigkeit:

Ich kann dem Drange Deines rührenden Mitleids nicht widerstehen; bleibe bei ihm, mein Kind, Deine sanfte, christliche Theilnahme kann vielleicht seine Schmerzen lindern, bis ich Wundärzte habe kommen lassen, die seine Wunde untersuchen mögen.

Hierauf entfernte er sich mit den Dienern und ließ Violen und den Unbekannten allein. Anfänglich war sie betreten, allein bald verbannten ihre natürliche Unbefangenheit und das edle Bestreben nützlich zu sein, allen Zwang, und sie bot dem Unbekannten mit lieblichem Anstande, obgleich bebender Hand, ihres Onkels beruhigendes Elixir an.

Erlaubt mir, daß ich Euch diese Tropfen empfehle, sprach sie sanft, auch ich habe davon genommen; sie werden Euch gewiß wohl thun und Eure Schmerzen stillen, denn fast fürchte ich, daß Ihr ernstlichen Schaden genommen habt.

Der Unbekannte verschluckte die ihm gereichten Tropfen und seine Hand zitterte noch stärker als Violens Hand. Er dankte ihr ehrerbietig, sah sie nochmals mit seinen ausdrucksvollen Augen voll Anmuth an, bedauerte, dass er sie erschreckt habe, und versicherte, daß er sich über seine unbedeutende Verwundung nicht beklagen könne, da sie der Gefahr entronnen sei, welche durch diesen Zufall beiden Wagen gedroht habe, und dem ihrigen eben so leicht hätte zu Theil werden können; zugleich wünschte er ihr in voraus Glück zu der Freude, die diese glückliche Nachricht unter ihren Freunden und Freundinnen in Palermo verbreiten würde.

Ich habe weiter keinen Freund in Palermo, Signor, antwortete Viola seufzend, als den Erzbischof von Montreal.

Der Unbekannte blickte sie mit Aengstlichkeit an und fuhr fort:

Glaubt mir, liebenswürdige Signora, ich will weder Euer gefühlvolles Herz verwunden, noch durch meine Fragen unbescheiden Euch erscheinen, doch läßt mich der Ton Eurer Antwort beinahe fürchten, daß Ihr Eure Eltern verlohren habt?

O Gott sei gelobt, nein, ich besitze eine vortreffliche Mutter.

Der Unbekannte erblaßte, geriet in merkliche Unruhe und seine zitternden Lippen lispelten kaum hörbar: Also Euer Vater lebt nicht mehr?

Mein Vater lebt, Signor, aber -- es ist der Markis von Palermo, und -- -- -- Weiter konnte Viola nichts sagen, es fiel ihr centnerschwer auf's Herz, daß sie unbedachtsamerweise ihren nicht väterlich gesinnten Vater genannt habe; sie schwieg, bedeckte ihr Gesicht mit den schönen Händen, um die Rührung der schmerzlichen Erinnerung zu verbergen, und Thränen stürzten aus ihren Augen auf ihren Busen herab.

Mit einer so ungestümen Aengstlichkeit, die Violen in Schrecken setzte, fragte nun der Unbekannte:

Ohne Zweifel verachtet und verleugnet Ihr auf immer einen Nichtswürdigen, der seine Tochter auf eine so schändliche Weise verläßt?

Mein Vater ist kein Nichtswürgiger, antwortete Viola mit Würde, blickte den Fremdling gekränkt und mit Verachtung an und und ging der Thür zu.

Ach bleibt! rief der Verwundete mit einer zuckenden Bewegung, bleibt, ich beschwöre Euch!

Viola konnte der Macht des flehenden Blickes, der diese Bitte begleitete, nicht widerstehen, sie kehrte zurück.

Sagt mir, fuhr Jener ungeduldig fort, ich beschwöre Euch, sagt mir aufrichtig, flucht Ihr Eurem Vater nicht, hat Euch Eure schwer gekränkte Mutter nicht gelehrt, die göttliche Rache auf das Haupt dieses unwürdigen Gatten herab zu rufen?

Viola schauderte, aber voll Eifer diese boshafte Beschuldigung gegen ihre theure Mutter zu zernichten, antwortete sie mit festem, zürnenden Tone:

Ihr hättet mir diese Kränkung ersparen sollen, aber ihr kennt ja meine Mutter nicht, ihr Herz ist der Sitz allen christlichen Tugenden und von dem Tage an, wo ich denken und begreifen lernte, hat sie Sorge getragen, mir alle Achtung, die eine Tochter ihrem Vater schuldig ist, zu lehren und tief ins Herz zu prägen. Hätte mir der Markis von Palermo das Glück bewilligt, seine väterliche Hand zu küssen, so würde ich ihn überzeugt haben, daß diese weise Erzieherin ihrem Zöglinge nie andere Lehren und Gefühle eingeflößt hat. Ach, Signor, wie wie konntet Ihr so ungerecht, so grausam sein zu muthmaßen, daß diese fromme Mutter mir es zur Pflicht machen würde, meinem Vater zu fluchen?

Nach diesen Worten wollte sie sich blaß von Unwillen und mit thränenvollen Augen entfernen, als der Unbekannte in der lebhaftesten Unruhe, besorgt, daß [sie] ihn verlassen könnte, ängstlich ausrief:

Meine Tochter, verweile, meine Tochter, jetzt bin ich von der Güte Deines Herzens überzeugt und von nun an soll mich nichts von meinem theuren Kinde trennen! Und hierauf drückte er die zitternde, halb ohnmächtige Viola mit Zärtlichkeit an seine Brust.

Das Andenken an die Leiden ihrer verstoßenen Mutter reizte sie unwillkührlich, sich den Umarmungen ihres Vaters zu entwinden, aber bei der Erinnerung an die Lehren dieser zärtlichen, Mutter, die den Undankbaren immer noch liebte und diese Liebe in den Busen ihrer Tochter fortpflanzte, empfand sie ihr Unrecht, überließ sich den Gefühlen ihres Herzens, sank zu den Füßen ihres Vaters und bat mit bebender Stimme um seinen Segen.

Der Markis hob sie zu sich auf und sprach begeistert: Vereinige Deine Bitten mit den meinigen, theure Viola, damit ich vom Himmel Verzeihung für meine Ungerechtigkeit und Grausamkeit gegen Dich erhalte.

In diesem Augenblicke trat der gute, ehrwürdige Erzbischof ins Zimmer und beobachtete Vater und Tochter. -- Entzückt, wenn gleich über die vorhergesehene Wendung nicht erstaunt, näherte er sich Beiden mit frommer Freude im Herzen, und sprach auf feierliche Art den Segen für die Zukunft über die Vereinigten aus.

Der Markis von Palermo hatte die Zeit des Carnavals in Venedig, seiner Geburtstadt, zugebracht und war erst einige Tage vor der Prozession, die seinen und des Erzbischofs Wagen aufgehalten, nach Palermo zurückgekehrt. Da er sich zufällig einem Anverwandten, dessen nähere Berührung er zu vermeiden strebte, genähert sah, so war er im Begriffe, seine Blicke, aus denen bereits Erbitterung leuchtete, wegzuwenden, als Violens seltene Schönheit und blühende Gestalt seine Aufmerksamkeit fesselte.

Die plötzliche Unruhe seines Herzens schien ihm verrathen zu wollen, daß dieses liebenswürdige Wesen seine Tochter sein könnte, weil sie ihn zu gleicher Zeit an Julien, seiner heißen Liebe ersten Gegenstand in der Zeit, als diese noch unter Vormundschaft des Erzbischofs von Montreal lebte, erinnerte. Da er sie aber erröthen und mit unverkennbarer Bestürzung den Arm des Erzbischofs ergreifen sah, da ward die anfänglich leere Vermuthung zur Gewißheit. Ja, es mußte sein Kind sein, denn es bezeigte für ihn nur Abscheu und Widerwillen. Vergebens sagte ihm sein Gewissen, daß er sie verdient habe; sein Stolz war demungeachtet verwundet und die Qual des innerlichen Vorwurfs, erbitterte ihn nur noch mehr gegen die unschuldige Ursache seiner Verwirrung. Als er daher hörte, daß der Erzbischof seinem Kutscher auftrug, die Pferde zur schnellen Rückkehr nach dem Pallaste anzutreiben, so wuchs sein Haß und er befahl nun dem Seinigen neben dem erzbischöflichen Wagen vorbei und diesem vor zu fahren; aber die Eile, womit jener seines Herrn Befehle befolgen wollte, war die Veranlassung zu dem Unfalle, der den Markis zwang, bei seinem Oheim einzukehren. Von dem Umschlagen des Wagens nur wenig beschädigt, obgleich anfänglich betäubt, litt er mehr von Aerger und Unmuth, den er empfand, als er sich in Gegenwart derjenigen sah, die er auf eine so empfindliche Weise gekränkt hatte. Noch wußte er nicht, ob die liebenswürdige Viola, deren Vollkommenheiten er nun in der Nähe betrachten konnte, wirklich seine eigene oder Juliens Tochter war und ob er nicht etwa dieser letztern Vermuthung, die unwillkührliche, innere Bewegung beim Anblicke des Kindes, und dem Andenken an eine Leidenschaft zuschreiben sollte, die ihn mit so schrecklicher Macht beherrscht hatte. Er beschloß daher, den gezwungenen Aufenthalt in des Erzbischofs Behausung zu benutzen und sich hierüber Aufklärung zu verschaffen.

Es hatte der Scharfblick des Erzbischofs, geübt die Tiefen des menschlichen Herzens zu ergründen und den Kampf der Leidenschaften zu unterscheiden, ihm sogleich entdeckt, was in der Seele des Markis vorging, und Hoffnung hegen lassen, eine nahe Aussöhnung zu bewirken. In dieser Erwartung verließ er das Zimmer mit dem Vorsatze, an dieser ersehnten Wiedervereinigung nicht eher Theil zu nehmen, als bis solche durch den Drang der Natur und den unwiderstehlichen Werth seiner vielgeliebten Viola herbei geführt sein würde.

Der Markis, in Entzücken über die unerwartete Wendung der bisherigen unglücklichen Verhältnisse, hatte sich bemüht, das Gespräch auf Violens Angehörige hinzulenken und als er erfuhr, daß die von ihm Gekränkten für sein Wohl beteten, so ward seine erste Absicht, die vielleicht die Anerkennung Violens nicht bezielte, von den wieder auflebenden, edlen Gefühlen seines Herzens unterdrückt. Violens reine, kindliche Tugenden ließen die schlafenden Triebe der Natur erwachen und dieser Vater, der für die Stimme des Bluts so lange taub geblieben war, drückte jetzt mit Entzücken und stürmischer Zärtlichkeit die dem frühern Anscheine nach, auf immer verstoßene Tochter in seine Arme.

 


Zehntes Kapitel.

Der Erzbischof äußerte den Wunsch, seinen Neffen bis zur vollständigen Genesung bei sich zu behalten, der Markis willigte gern in sein Verlangen und Viola ward nun seine stete Gesellschafterin und sorgsamste Pflege. Dieses eben so unerwartete als glückliche Ereigniß erfüllte das Herz der unglücklichen Markise mit langentbehrter Freude; aber leider ward sie nun der süßen Gesellschaft ihrer Tochter beraubt, wärend ein Vater, der ihrer Zärtlichkeit weniger würdig war, jeden Tag und jede Stunde das liebenswürdige Kind betrachten und bewundern konnte. Und in Wahrheit, der Markis konnte auch nicht einen Augenblick ohne seine Viola verleben, die geringste, zufällige Abwesenheit, die unbedeutendste Zögerung waren hinreichend, Unruhe und Argwohn bei ihm entstehen zu lassen. Eifersüchtig über Violens Zärtlichkeit für ihre Mutter, fürchtete er, daß seine Tochter nicht wieder zu ihm zurückkehren würde, sobald er es ihr erlaubte, die Markise zu besuchen.

Als nun die Zeit und ärztliche Pflege den anfänglich gefährlichen Folgen des stattgehabten Unfalls gänzlich abgeholfen hatten, dankte der Markis dem Erzbischof für die herrliche Erziehung, die dieser seiner Tochter hatte genießen lassen, rühmte mit dem Urtheil eines Kenners und Bewunderers die zahlreichen Vollkommenheiten und vorzüglichen Eigenschaften dieses liebenswürdigen Kindes, und erbat sich dann, nicht ohne Furcht vor einer Weigerung, seine Einwilligung seine Tochter, in das väterliche Haus einführen zu dürfen, fest entschlossen Gewalt zu gebrauchen, sobald man sich seinem Begehren widersetzen würde. Da indeß sowohl der Erzbischof, als auch die liebevolle Markise über die glückliche Zukunft der Viola entgegen sah, sich innig freueten, so gaben sie gern ihre Einwilligung und Viola folgte ihrem Vater in dessen prachtvolle Wohnung mit Wonne im Herzen und von der Hoffnung begleitet, oft ihre gute Matter besuchen zu dürfen.

Es ist schon früher bemerkt worden, daß der Markis von Palermo ein eitler, allen Glanz mit Leidenschaft liebender Mann war. Viola besaß alle Eigenschaften, die öffentliche Bewunderung zu erobern und in kurzer Zeit der neue und interessante Gegenstand aller Gespräche zu werden. Ihr Vater, den die Ungeduld verzehrte, bis er von dem, ihr gespendeten Beifall mit genießen konnte, führte, so oft sich nur die Gelegenheit erhaschen ließ, seine Tochter, geschmückt mit der Pracht und dem auserlesenen Geschmack, die mit Schönheit vereint an allen Orten Huldigungen erzwingen, in die ersten Gesellschaften Palermo's.

Bald fand Viola von Avellino Gefallen an dem für sie so neuen Getümmel der großen Welt. Die Menge folgte ihr überall und hatte nur Blicke für sie; ihre Kleidung, ihr Benehmen, ihr Gang, der Ton ihrer Stimme, ihr edles und doch anmuthiges Betragen, alles an ihr ward zum Muster, daß jede Schöne, die gefallen wollte, nachzuahmen sich bestrebte. Von allen Seiten erschallte das Lob ihrer Schönheit und bald hatte die Königin der Feste, ohne es zu wissen, eine Schaar Anbeter an ihren Triumphwagen gefesselt, die alle nach der Gunst schmachteten, von ihr ausgezeichnet zu werden. In diesen Strudel, den er weislich hätte vermeiden sollen, stürzte der Markis, seine liebenswürdige, damals funfzehn Jahr alte Tochter.

Monate waren bereits verstrichen und so sehr sich auch Viola nach den Umarmungen ihrer Mutter sehnte, so hatten doch eines Theils die Vergnügungen und Festlichkeiten des Tages, an denen sie Theil nehmen mußte, ihr noch wenig Zeit übrig gelassen an einen Besuch im Kloster zu denken, andern Theils hielt sie eine gewisse Bangigkeit ab, ihren Vater, der seiner Gattin gegen die Tochter nie gedachte, um die Erlaubniß dazu zu bitten. Der Zufall trat ins Mittel und indem er die Wiedervereinigung getrennter Herzen bewirkte, ahndete er auf strenge Weise die Vernachlässigung der kindlichen Liebe.

Viola war zu einem glänzenden Balle, den die Mutter des Prinzen von Romando, des vornehmsten von ihren Anbetern, veranstaltet hatte, eingeladen. Sie erschien hier strahlend von ihrer eignen Schönheit und dem Schmucke kostbarer Diamanten, die sie bedeckten; alle Blicke waren nur ihr allein zugewendet, alle männlichen Herzen flogen ihr entgegen, und jeder schien eifersüchtig über das Glück des Prinzen, dem sein Rang und seine Eigenschaft als Wirth heute ein besonderes Recht gaben, in der Nähe des Gegenstandes seiner Bewunderung zu verweilen. Violen belustigte die Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der Characterzüge, so wie die Art und Weise, wie der in diesem Zirkel herrschende, lebhafte Geist in steter Schwungkraft erhalten wurde. --

Der Prinz hatte sich ihr genähert und ein Gespräch mit ihr angeknüpft, worin er sich als ein leidenschaftlicher Verehrer ihrer Schönheit zeigte und seine ganze Liebenswürdigkeit aufbot, ihre Gleichgültigkeit zu rühren. In muntern Scherzen, seine Huldigungen unbeachtend, wechselte Viola öfters den Gegenstand der Unterredung die feinen geistreichen Anspielungen des Prinzen, der ihr seine Wünsche zu entdecken bemüht war, zu vermeiden; und der bezauberte Vater betrachtete mit Entzücken diese köstliche Blume, die ihm zu versprechen schien, daß sie alle seine Hoffnungen verwirklichen werde; als plötzlich die Munterkeit auf Violens Gesicht einem Anfalle von Bestürzung und Entsetzen wich, die Rosen ihrer Wangen mit Todtenblässe wechselten und ihre Augen sich mit Thränen füllten. Der erschrockene Markis, ihr Leben fürchtend, schrie in Verzweiflung und Angst: Man führe sie fort, fort von hier.

Mitten durch die allgemeine Verwunderung und Bestürzung führte man Violen und ihren besorgten Vater aus dem Saale in den Wagen, der sie nach ihrer Wohnung fuhr, wohin der unglückliche, über alle Begriffe beängstigte Markis sogleich einen Arzt beschied, welcher sich über Violens Unpäßlichkeit dahin erklärte, daß sie die Wirkung der Ermüdung und Gemüthsbewegung sei, und sie der Ruhe bedürfte, weshalb er sie zu Bette bringen ließ und ihr ein einfaches, niederschlagendes Mittel verordnete. Obgleich nun zwar der Doctor Balsamico dem ungeduldigen Markis die feste Versicherung gab, daß durchaus nichts zu fürchten sei, so glaubte dieser doch noch immer seine Tochter in der augenscheinlichsten Gefahr, behielt den lächelnden Arzt die Nacht über in seinem Pallaste, befahl der sämmtlichen Dienerschaft wach zu bleiben, um erforderlichen Falls Beistand zu leisten, und durchwanderte die Nacht über alle Gemächer, bei jedem Geräusch zusammenschreckend und fürchtend, daß der Augenblick der gerechten Vergeltung erscheinen, und der Himmel ihm seine Tochter rauben würde um ihn für seine Grausamkeit gegen ihre Mutter zu bestrafen.

Nach einigen Stunden benachrichtigte man den Markis, daß die Kranke vollkommen ruhig geworden sei, und ihr die verordnete Medizin einen sanften und tiefen Schlummer verschafft habe.

Ist es nicht etwa der Todesschlaf? rief der unglückliche Vater zitternd vor Schrecken aus, eilte in Begleitung des Doctor Balsamico in das Schlafzimmer seiner Tochter, näherte sich behutsam, aber bebend ihrem Bette, und fand sie wie man ihm angezeigt hatte, im ruhigen Schlafe. Ihr Kopf ruhete auf ihrem Arme und in der Hand hielt sie ein Miniaturgemälde, das sie im Augenblicke, wo sie der Schlaf überfallen hatte, an ihre Lippen gedrückt zu haben schien.

Ich Unglücklicher, was muß ich sehen! rief der Markis bei diesem Anblicke mit Bestürzung und Heftigkeit aus, denn er glaubte in diesem Gemälde den Beweis einer heimlichen Liebe und den Schlüssel zu der Violen auf dem Balle zugestoßenen, räthselhaften Unpäßlichkeit zu entdecken.

Seine stolze Eitelkeit, die nur Glanz und Hoheit zu würdigen verstand, ließ für einen Augenblick den Gedanken bei ihm entstehen, daß es das Bildniß des Prinzen von Romando sein könne; aber diese flüchtige Idee war nur vorübergehend; er erinnerte sich mit Verachtung, in welcher Classe von Menschen Viola die ersten Jahre ihrer Kindheit verlebt hatte, und zweifelte nun nicht länger, daß irgend ein Verwegener von niedrigem Stande und dunkeler Geburt, vielleicht der Bruder, Neffe oder sonstiger Anverwandter einer Layenschwester im Kloster das unbewachte Herz seiner Tochter entführt habe. Was glaubte er nicht alles, was für wunderliche, selbst thörigte Muthmaßungen brütete seine verwirrte Einbildungskraft nicht aus? Zwanzigmal verfluchte er das Kloster der heiligen Rosalie als die Ursache seines Unglücks, das ihn jetzt in Raserei versetzte. Dann erst, als sein Gehirn des Tobens müde, erschlafft und ruhiger geworden war, jetzt erst fiel ihm ein, daß er das Gemälde zuvor untersuchen müsse, ehe er sich dem peinlichen Spiele der Vermuthungen preis gab. Er entwand daher mit Vorsicht das Bildniß der Hand seiner Tochter, ohne sie zu erwecken, näherte sich einer Wachskerze, die das Schlafzimmer schwach erhellte und erkannte mit Erstaunen und dem Andrange seltsamer Empfindungen das schöne, schwermüthige Gesicht seiner Gattin. Fast entfiel das Gemälde seiner zitternden Hand, beschämt, verwirrt und von dem Stachel des Vorwurfs verwundet, verließ er Violens Gemach mit eben der Eile, die ihn zu ihr geführt hatte.

Gegen Morgen verlohr der Violen verordnete, kühlende und einschläfernde Trank seine Wirkung und sie erwachte, -- aber der Schlaf hatte ihr Herz nicht erleichtert, kaum schlug sie die Augen auf, so war ihr erstes Geschäft, vom Himmel für ihre strafbare Undankbarkeit gegen ihre Mutter Verzeihung zu erbitten. Warum sich Viola dieses Lasters selbst anklagte? wird dem Leser klar werden, sobald er die Ursache ihres plötzlichen Erbleichens und ihrer sonderbaren Unpäßlichkeit auf dem Balle der Prinzessin von Romando erfahren wird:

In dem Augenblicke, wo sie mit der Eigenliebe, von der kein junges Mädchen ganz frei sein mag, die zärtlichen Betheurungen des Prinzen anhörte und mit ihm scherzte, vernahm sie hinter sich lautes Lachen, das ihre Aufmerksamkeit auf sich zog und dem ein Urtheil folgte, das ihr galt. -- Ich bin vollkommen Eurer Meinung, Signora, sprach eine weibliche Stimme in einiger Entfernung, daß Donna Viola von Avellino noch schöner als ihre Mutter sei. Daran wird Niemand zweifeln, erwiederte eine andere Stimme, indeß ist sie ihr in mancher Hinsicht sehr unähnlich. Donna Viola ist eitel, leichtsinnig, gefühllos und undankbar. Wenn das Unglück ihrer edeln Mutter bei ihr den tiefen Eindruck verursacht hätte, den jedes zärtliche, kindliche Herz empfinden muß, würde sie, wie sie thut, ihre Zeit im Getümmel der Vergnügungen und Zerstreuungen verleben können, wärend herbe Leiden und eine kränkende Verbannung das Loos ihrer unvergleichlichen Mutter sind? --

Diese schrecklichen, nicht ganz unverdienten Worte zerschnitten Violens Herz und umhüllten ihre Sinne mit Scham und Betrübniß; ihre strengen Richter konnten sie nicht empfindlicher anklagen, als es jetzt die Vorwürfe ihres Gewissens thaten; eine schnelle Prüfung sagte ihr, daß diese Beschuldigung sie treffe und sie diese Kränkung aus fremden Munde verdiene; jetzt war es ihr unbegreiflich, wie sie, die Undankbare, so lange der zärtlich geliebten Mutter hatte entbehren können, deren Thränen vielleicht der langen Trennung halber reichlich flossen. O, in diesem Gedanken lag unendliche Pein und nur der innerliche, feste Entschluß ihren Fehler zu verbessern, nicht des Ortes Glanz und Festlichkeit gab ihr Kraft, ihre lauten Klagen zurückzuhalten und den Saal schwankend zu verlassen.

Als sich am andern Tage Vater und Tochter wiedersahen, fand keine Frage und keine Erklärung statt. Der Markis schien verlegen und Viola seufzte; erst als er sich wieder entfernen wollte, faßte sie Muth, erzwang ein zuversichtliches Aeußere und entdeckte ihrem Vater mit heimlicher Furcht, aber unter heißen Bitten ihren Wunsch, daß er ihr erlauben mögte, ihre Mutter zu besuchen.

Stumm und nachdenkend verließ der Markis das Zimmer und Viola erhielt nach einigen Tagen eine Antwort über diesen Gegenstand, die ohne bestimmt zu sein, ihr doch nicht alle Hoffnung raubte; aber die Ungewißheit, ihre Ungeduld und die mit jeder Stunde wachsende Sehnsucht nach der geliebten Mutter, schadeten ihrem gewöhnlichen Frohsinn und untergruben ihre Gesundheit. Ihre Gesichtsfarbe verlohr mit jedem Tage etwas von dem blühenden, frischen Ansehn; ihren Gang, ihre Sprache und ihr ganzes Benehmen beseelte jene liebenswürdige Lebhaftigkeit nicht mehr, die ihr so viele Reize verlieh. Nichts konnte sie zerstreuen, an keinem Vergnügen wollte sie Theil nehmen, und mit ängstlicher Besorgniß vermied sie jede Gelegenheit, den Pallast ihres Vaters zu verlassen und in Gesellschaften zu erscheinen. -- Diese Veränderung mußte dem Markis auffallen, und da er sie der Trennung von der Mutter nicht gern allein zuschreiben wollte, so regten sich seine Unruhe und frühern Vermuthungen von neuem.

Als er eines Morgens in Violens Zimmer mit ihr frühstückte, sie mit Zärtlichkeit und Liebkosungen überhäufte, ergriff er ihre Hand und benutzte den Augenblick, wo sie dem kindlichen Gefühle sich ganz hingab, zu der Bitte ihm ihr völliges Zutrauen zu schenken, und nur der väterlichen Liebe das Verlangen beizumessen, die Ursache ihrer zunehmenden Schwermuth und den Verlust ihrer natürlichen Munterkeit zu erfahren.

Ich habe keine weitere Ursache betrübt zu sein, theurer Vater, antwortete Viola, und zwang sich, ihre Thränen zurückzuhalten, als eine zu lange Trennung von meiner Mutter. Ich darf Euch nicht verhehlen, daß meine Sehnsucht sie zu sehen, mit jedem Tage sich verstärkt, und daß ich mir die bittersten Vorwürfe machen würde, wenn ich nur den Gedanken in meinem Herzen Raum geben könnte, diese Sehnsucht durch einen noch so leisen Gang nach Vergnügungen zu zerstreuen.

Der Markis schwieg einige Augenblicke, dann antwortete er mit düsterm Blicke:

Die Zärtlichkeit Deines Vaters scheint Dir lästig zu werden, Viola, Du bist also entschlossen, ihn zu verlassen.

Euch verlassen? rief Viola lebhaft aus. O möge mich der Himmel dafür bewahren, mein sehnlichster Wunsch ist, daß es mir vergönnt sein möge, meine Zärtlichkeit und kindliche Pflicht unter meine guten Eltern zu theilen und abwechselnd hier und im Kloster bei meiner Mutter zu leben.

Violens Stimme sank merklich, als sie die letzten Worte aussprach; sie sah ihren Vater erbleichen, er ging mit starken Schritten im Zimmer umher und schien ein Spiel innerlicher stürmischer Kämpfe; der rasche Wechsel seiner Gesichtsfarbe und die Entstellung seiner Züge, verriethen die Unruhe seines Geistes; zitternd erwartete Viola den weitern Erfolg. Endlich blieb er stehen, näherte sich seiner Tochter und sprach mit erzwungener gelassener Stimme:

Ich verkündige Dir mit innerm Bedauern, meine Tochter, daß Dein löblicher Wunsch nicht erfüllt werden könne. Der unglückselige Gegenstand unserer Mißhelligkeit, der zwischen mir und Deiner Mutter trennend obwaltet, erlaubt solches nicht. Diese heillose Feindseligkeit würde zum tödlichsten Hasse anwachsen, wenn ich die Demüthigung erleiden müßte, alle die Angriffe zu bekämpfen, die man versuchen mögte, Deinem empfänglichen Herzen eben solche Gesinnungen einzuimpfen und Dich von mir zu entfernen. Glaube mir, Viola, dieser abwechselnde Aufenthalt, von dem Du träumst, würde eine gegenseitige Eifersucht zwischen Deinen Eltern erregen und ihnen beiderseitig das Leben auf eine schreckliche Art vergiften. Deine Mutter in Vereinigung aller Betschwestern des Klosters wird tausend Verführungen und Ueberredungen anzuwenden wissen, um Dich von mir zu entfernen; und ich würde meine Tochter nicht wiedersehen. -- Nein, das soll nicht geschehen, den Triumph soll sie nicht haben, ich will meine Tochter für mich behalten!

An allen Gliedern zitternd vernahm Viola diesen schrecklichen Beschluß, sie sank auf ihre Knie, streckte ihre Hände bittend dem strengen Vater entgegen und rief aus:

O mein Vater, widerruft diesen schrecklichen Urtheilsspruch, laßt Eure unglückliche Tochter nicht vor Schmerz sterben, wenn sie sich zwingen und ihr Gefühl ersticken müßte, um Euch zu gehorchen.

Der Markis blickte sie mit zornigen Augen an. Entschließe Dich, sprach er heftig, stößt Du mich von Dir? -- Wählst Du mich zum Opfer? -- Wohlan, ich willige ein, aber bedenke reiflich, thörigtes Mädchen, wenn Du durch Deine Aufführung die Zärtlichkeit, die ich Dir zugewendet, von Dir freventlich entfernst, so wird mir doch immer noch die Macht bleiben, Dich dafür zu bestrafen; und wenn Du dabei beharrest, den Schutz der Markise von Palermo vorzuziehen, so wird Dein Vater Dich hassen und sich auf ewig von Dir trennen.

Viola umklammerte mit ihren schwachen Händen des unerbittlichen Vaters Knie und rief im höchsten Tone des Schmerzes:

O Gott, mein Vater, bringt mich nicht zur Verzweiflung durch die Drohung, dass Ihr mir Eure Zärtlichkeit versagen könntet. -- Nie, nein nie wird in meinem Herzen meine Liebe zu Euch erkalten; ich will mich Eurer väterlichen Gewalt nicht entziehen, aber ich bitte Euch um des Erlösers Willen, erwägt, daß meine unglückliche und alles Trostes beraubte Mutter gleiche heilige Ansprüche auf dieselben Gefühle hat, die in meiner Brust für Euch reden; daß sie nur mich allein besitzt, um ihre Thränen zu trocknen, daß sie mich erzogen und bis jetzt mit mütterlicher Sorgfalt bei sich gepflegt und an meine Gegenwart sich gewöhnt hat, und daß der Himmel selbst mir befiehlt, alle diese Wohlthaten, die ich ihr verdanke, mit einer unbegrenzten Anhänglichkeit und Liebe zu erkennen. --O mein theurer Vater, trennt mich nicht auf immer von ihr! --

Also kann nichts Deinen Entschluß ändern, sprach der Markis erbittert, meine väterliche Liebe, die zärtliche Sorgsamkeit, mit der ich Dich überhäufe, die Pracht, den Ueberfluß, die Vergnügungen, die Du bei mir genießt, Alles verschwindet vor der mächtigen Lockung, die Dich nach Santa Rosalia zieht; und alle diese Geschenke stößt Du von Dir und giebst der Abhängigkeit, dem armseligen Dunkel und der todten Einsamkeit, die Dich erwarten, den Vorzug?

Die Verächtlichkeit, mit welcher der Markis seine letzten Worte betonte, empörte Violens zerknirschtes Herz.

Bei meiner Mutter in dunkeler Abgeschiedenheit leben, antwortete sie ruhig, aber fest, kann ein Herz nicht abschrecken, das den Gedanken, sich undankbar und entartet zu zeigen, über alles fürchtet. Das unglückliche Schicksal dieser zärtlichen Mutter durchdringt mich schmerzlich, aber meine Achtung für sie ist deshalb nicht geschwächt; und nie werde ich das unschätzbare Glück, ihr Elend zu theilen und es nach Kräften zu mildern, als eine Schande betrachten.

Der Zorn des Markis hatte sich gelegt, er betrachtete Violen mit Rührung, sein Herz war erweicht, ihre Worte hatten sogar den Stachel des Vorwurfs in seine Brust gesenkt, die Erinnerung an die ersten Lage seiner Liebe, an Angelinens stille Duldung, an seine Grausamkeit gegen die Schuldlose und das verscherzte Glück, stimmten den Verblendeten zu des Nachdenkens sanftern Gefühlen; die Furcht vor der zeitlichen oder ewigen, himmlischen Vergeltung in dem Verluste der geliebten Tochter, lenkte ihn auf den Weg zur Reue und versprach ihm der Versöhnung göttlichen Genuß. Er fühlte jetzt zum ersten Male seine Ungerechtigkeit in ihrer wahren Gestalt und warnend rief des Gewissens erwachte Donnerstimme: Gnade dem Reuigen, ewige Verdammniß dem verstockten Sünder, der die Unschuld kränkt!

 


Eilftes Kapitel.

Du hast gesiegt, sprach der Markis mit nassem Auge, nachdem er lange unschlüssig im Zimmer nachdenkend umhergegangen war, und drückte Viola an seine Brust; sehen sollst Du, daß meine Zärtlichkeit für Dich keine Grenzen kennt. -- Ich habe Dich betrübt, Du leidest, Viola; ich will Dich entschädigen, mich mit Dir aussöhnen. Errathe, von allen Deinen Wünschen, welcher ist es, den Dein nachgiebieger Vater zu erfüllen, Dir verspricht?

Hoffnung und Freude färbten Violens bleiche Wangen. Möge der gnädige Vater im Himmel verhüthen, daß ich mich täusche, sprach sie ängstlich; Eure Versöhnung -- mit meiner Mutter --

Der Markis unterbrach sie mit lebhafter Ungeduld. Ja, sprach er auch diese Wohlthat, will ich, soll sie Dir danken. Kann die Markise die Vergangenheit vergessen, so will ich alles, was Du liebst, um Dich vereinigen, und meinen Haß, mein ganzes Leben nur dem Glücke des Deinigen opfern.

Viola sank zum zweiten Male an ihres Vaters Brust und dankte ihm mit den glühendsten Umarmungen, denn an Worten gebrach es dem Entzücken. Dann flog sie, ungeduldig die ersehnte Versöhnung baldigst zu bewirken, nach dem Kloster der heiligen Rosalia und fand ohne Mühe Erhörung bei der duldsamen, erbittlichen Mutter, die den ungetreuen Gatten noch immer liebte.

Das Herz der guten Markise war für des Hasses Eindruck eben so wenig empfänglich als das Herz der Tochter; die Zärtlichkeit ihres Gatten für Violen war in ihren Augen ein hinreichender Beweis, daß er sein früheres Unrecht erkannt habe. Der fromme Erzbischof von Montreal blieb auch nicht unversöhnlich; und als Viola ihre Mutter dem reuigen Gatten in die Arme führte, genoß sie endlich das namenlose Glück, die zerrissenen, ehelichen Bande von neuem zu knüpfen; aber leider lehrte sie bald eine traurige Erfahrung, daß eine wolkenleere Glückseligkeit das Erbtheil der Bewohner dieser Erde nimmer sein wird.

Der Markis behandelte Angelinen mit Freundschaft und Achtung, aber dieser trügerische Schein konnte ein Herz, das Liebe und Zärtlichkeit erwartete und heischen durfte, nicht bestehen. Es war ihr nicht genügend, daß ihr Gemal sie zu hassen aufgehört hatte; ihre liebende Seele fühlte das Bedürfniß Empfindungen zu begegnen, die den ihrigen gleichförmig waren und solche waren längst in des Markis Herzen erloschen. Er hing nur an ihr, seiner Tochter wegen, und diese Ueberzeugung trübte das Glück ihrer neuen Verhältnisse. -- Von jahrelangen Leiden geschwächt, war es unmöglich, daß ihre Gesundheit dem heftigen Drange so entgegengesetzter Gefühle, welche die letzten Ereignisse in ihr erweckten, und die tägliche Nahrung finden mußten, noch lange widerstehen konnte. Ihre Körperkräfte schwanden merklich, sie verlohr die Lust zum Essen und zum Schlafe, und ohne Wirkung blieb die Anwendung aller ärztlichen Hülfe.

Violens Angst und Betrübniß rührten das Herz des Markis mehr als das Hinwelken seiner Gattin; und als der Doctor Balsamico erklärte, daß seine Wissenschaft erschöpft sei, er weiter keine Hülfe, als in der Veränderung des Himmelstriches sähe, und Violens flehender Blick forschend auf ihm ruhete, war er sogleich entschlossen.

Lissabon war der Ort, den der Arzt als den angemessensten und zuträglichsten für die Gesundheitsumstände Angelinens bezeichnete; es ward daher beschlossen, daß diese, so schnell es die zur Reise nöthigen Vorkehrungen erlauben würden, dorthin abreisen sollte, und als sie es abzulehnen suchte, aus Furcht, dem Gatten und der Tochter zu viel Unruhe und Unbequemlichkeit zu verursachen, erklärte der Markis, daß diese Besorgniß sie nicht abhalten könne, weil, ihr persönliches Interesse unberücksichtigt, er selbst genöthigt sei, sich zu entfernen, indem ihn wichtige Familien Angelegenheiten nach Rom riefen und es ihm sehr angenehm sein werde, sie zuvor nach Lissabon zu begleiten, wo er alsdann über ihren Zustand beruhigt, sie einen oder zwei Monate zu lassen beabsichtige, um die Angelegenheit, welche seine Gegenwart erfordere, zu beenden.

Angelinen rührte die Bereitwilligkeit und anscheinende Theilnahme ihres Gemals; wohlthätig wirkte dieser Eindruck auf ihren Geist und stärkte ihre schwindenden Kräfte, so daß Viola, die sie zu aufmerksam beobachtete um diese Veränderung nicht zu bemerken, ihr Herz der süßesten Hoffnung öffnete, und sich in froher Begeisterung mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigte. Kaum vernahm die gute Priorin von Santa Rosalia die beabsichtigte Entfernung von Palermo, so drang sie darauf, daß die Schwester Constantia, als Reisegefährtin mit angenommen würde. Durch die lange Gewohnheit, die kränkliche Markise zu pflegen, war diese Nonne ihr unentbehrlich geworden, und das ganze Kloster, wo Angelina nur Freundinnen besaß, willigte gern ein, sich dieser herrlichen Krankenwärterin auf eine Zeitlang zu berauben.

Keiner hatte bis jetzt der liebenswürdigen Clementine, die noch immer im Kloster zurück geblieben war, erwähnt. Sie besuchte ihre Wohlthäterin oft, aber der Markis behandelte sie stets mit einer zwar zuvorkommenden, aber einer Art von Kälte vermischten Höflichkeit, was die Markise und ihre Tochter wol bemerkten, sich darüber betrübten, jedoch keine Klage erlauben wollten. Inzwischen war es Angelinen eben so unmöglich, eine Waise, die ihrem Schutze von der zärtlich geliebten Schwester anvertraut war, zu verlassen, als sich von einer Nichte zu trennen, die sie ihrer Zärtlichkeit so würdig fand, und die ihr Herz wie ihre eigne Tochter mit gleicher Neigung zu lieben, sich längst gewöhnt hatte.

Ohne Clementinen abzureisen, wäre für das Herz der Markise und ihre Tochter ein Opfer gewesen, dem ihre Standhaftigkeit nicht gewachsen war. Sie vereinigten daher ihre Bitten, um von dem Markis die Erlaubniß zu erlangen, daß Clementine sie begleiten dürfe. Aber entweder erinnerte Juliens Tochter ihn auf eine zu empfindliche Weise an seine glühende, unglückliche Liebe zu der Mutter, oder besorgte er Violen, deren Schönheit und Reize der Vater mit stolzer Eigenliebe betrachtete, in dieser jungen, mit allen Vollkommenheiten ausgestatteten Brittin eine zu gefährliche Nebenbuhlerin beizugesellen, die ihren Glanz verdunkeln und theilen konnte, weil er selbst sie zu verführerisch fand; genug, anfänglich nahm er Anstand, den vereinigten Bitten nachzugeben, als aber Viola die Macht der zärtlichsten Liebkosungen aufbot, und der Güte seines Herzens schmeichelte, so besiegte sie endlich seine Weigerung, die ohnehin von keinen triftigen Gründen unterstützt werden konnte, und er gab seine Einwilligung, Man fand in Kurzem ein sicheres, mit allem Nöthigen zur Bequemlichkeit der Reisenden versehenes Fahrzeug, einen kühnen und erfahrnen Seemann, der es befehligte, und kaum wehete ein günstiger Wind, so schiffte sich die ganze Familie mit dem Doctor Balsamico, begleitet von dem Seegen und den frommen Wünschen der Priorin und des guten Erzbischofs, die ihnen noch am Gestade ihre letzten Umarmungen schenkten, zur Abfahrt nach Lissabon ein.

Die Seeluft schien auf die Gesundheit der Markise günstig einzuwirken; sie ertrug die unvermeidlichen Unbequemlichkeiten der Ueberfahrt besser, als es der Arzt gehofft hatte; und ohne Unfall, mit stillem Frohsinne erreichten die Seefahrer die Hauptstadt Portugals. Für ihr Unterkommen war durch Briefwechsel vorläufig gesorgt, der Markis wartete nur die Zeit der nöthigen Einrichtung seiner Familie ab, genoß einige Tage der bedürftigen Ruhe von den Geliebten umgeben, und reisete dann mit dem Versprechen nach Rom ab, die Abwesenheit möglichst zu kürzen.

Dem tröstlichen Anschein nach besserten sich die Gesundheitsumstände Angelinens täglich, und ließen eine baldige Wiederherstellung hoffen. Die heilsame Eigenschaft des milden Clima's, die sorgsame Pflege ihrer beiden Töchter, denn auch Clementinen nannte sie ihre Tochter, und der Anblick des Entzückens, der aus ihren Augen strahlte, so oft sie die Mutter bei ihren Tändeleien und unter ihren Liebkosungen lächlen sahen, alles dieses breitete neue Schwungkraft über ihre zerrütteten Lebensgeister aus, machte sie für die Genüsse der Welt von neuem empfänglich, und ließ sie die Heiterkeit ihrer Kinder theilen. Bald konnte ihr der Doctor Balsamico alle Morgen einen kurzen Spaziergang erlauben, und von dem Tage an, wo sie zum ersten Male in Begleitung ihrer beiden Töchter öffentlich erschien, erscholl durch ganz Lissabon das Gerücht, daß der Schönheit, den Reizen und der Liebenswürdigkeit dieser beiden unbekannten Sizilianerinnen nichts gleich komme. Clementine war in der That vermöge der Zartheit und feinen Regelmäßigkeit ihrer Züge das reizendste, weibliche Geschöpf, dagegen besaß Violens blendende Schönheit den Glanz, der überall Bewunderung befiehlt und die stolzesten Herzen beugt.

Zu jener Zeit lebte in Lissabon ein spanischer Krieger, dessen Ruf die ganze Stadt geräuschvoll durchdrang. Durch glänzende Waffenthaten hatte er sich als Seemann in den Gewässern Schottlands und Westindiens ausgezeichnet, und zur Belohnung für die Wichtigkeit seiner geleisteten Dienste von seinem Monarchen die Grandezza, den Orden des goldenen Vlieses und den Rang eines Unter-Admirals erhalten.

Dieser Seeheld, der Abgott Spaniens und Portugals war nur sechs und zwanzig Fahr alt; sein Gesicht war schön, sein Wuchs vortheilhaft und Niemand besaß ein so anziehendes, liebenswürdiges Benehmen und einen ausgebildetern Verstand. Wenige Weiber sahen ihn ungestraft, und die klügsten, erfahrensten Männer widerstanden seiner hinreißenden Beredsamkeit nur mit Mühe. Leider wurden diese von der Natur erhaltenen, so seltenen Geschenke nicht immer zu Handlungen, die der strenge Begriff von Ehre billigen konnte, angewendet. Seine Leidenschaften waren kraftvoll und brausend, aber kein moralischer Grundsatz leitete sie. Gleichgültig für die Tugend wie für das Laster, warf er sich unbedenklich beiden in die Arme, je nachdem sie dazu dienen konnten, die Begierde des Augenblicks zu befriedigen: und auf eine unbegreifliche Weise von einem Extreme zum andern übergehend, überließ er sich vom Gefühle für Ehre und Tugend hingerissen, mit gleichem Eifer und gleicher Bereitwilligkeit der edelsten und heldenmüthigsten Handlung, wie der Ausübung der ungerechtesten und selbst strafbarsten Unternehmung.

Auch er bewohnte wärend seines Aufenthaltes in Lissabon einen Theil des Hotels Don Philipp von Sintra, des Wirths der Markise von Palermo; dieser lebte mit unserm modernen Alcibiades im freundschaftlichen Umgange und als ihn Don Ambrosio von Montalvan, (so nannte sich der Spanier) bat, ihn als Mitbewohner des Hauses den schönen Sizilianerinnen vorzustellen, so war jener sogleich dazu bereitwillig; auch fand er von Seiten der Markise, die ihren Wirth als einen achtungswerthen Mann kennen gelernt zu haben glaubte, und ihre für die Freuden des geselligen Umgangs nicht unempfindlichen Töchter, nicht in gänzliche Zurückgezogenheit begraben wollte, keine Schwierigkeiten, den Besuch des jungen Admirals anzunehmen. Sein edler und sittlicher Anstand, sein ehrerbietiges, obgleich ungezwungenes Benehmen und sein vortheilhaft ausgebildeter Verstand, erwarben ihr die Gunst der Markise, und das Angenehme seiner Unterhaltung, den freundschaftlichen Beifall ihrer muntern Töchter, und machten ihn bald in ihrem beschränkten Zirkel, wohin ihn die Schönheit und vortreffliche Erziehung der jungen Sizilianerinnen nur zu öfters lockte, unentbehrlich. Der lüsterne Don Ambrosio fand beide Nichten gleich liebenswürdig und geistreich, aber Clementine hatte nur die Reize, die ihr die Natur gegeben, zu ihrem Antheil bekommen, ihre Glücksgüter waren unbedeutend; dagegen verband Viola mit allen Vortheilen, die Herz und Auge fesseln, die Eigenschaft, den Ehrgeiz zu befriedigen. Ambrosio's Wahl war daher bald getroffen; was inzwischen anfänglich nur Finanzspeculation gewesen, ward stufenweise zur glühendsten Leidenschaft, welche eintretende Hindernisse bis zur Raserei steigern konnten.

Wundern darf sich wol Niemand, daß es dem jungen, in der Kunst zu gefallen erfahrnen Spanier, nach der guten Seite des Gemäldes, was wir von ihm entworfen haben, in kurzer Zeit gelingen mußte, einen tiefen Eindruck auf Violens Herz hervorzubringen. -- Alles, was ihre jugendliche Fantasie sich bildlich als das vollkommenste erdenken und darstellen konnte, fand sie ihrem Urtheil nach in Montalvans Person vereint und verwirklicht; jeder, den sie sprach, redete von den Verdiensten dieses jungen Kriegers, erzählte Thaten, die ihm die allgemeine Hochachtung erworben, nannte ihn den Helden seines Zeitalters und seines Vaterlandes; und dieser mit Ruhm gekrönte Mann, den alle Mütter ihren Töchtern zum Gatten wünschten, war nur mit ihr allein beschäftigt und zeigte sich seiner Kriegsglorie ungeachtet in ihren Augen unter der Gestalt des liebenswürdigsten Wesens, das sie je gesehn hatten.

Demungeachtet vermuthete Viola noch immer nicht, daß dieses in ihrem Herzen aufgekeimte Gefühl, Liebe genannt werde, und ihre Unschuld flößte ihr nichts ein, was sie ihrer Mutter hätte vertrauen sollen. Glücklich wenn sie Montalvan alle Tage sehen, seine Huldigungen und seinen Beifall zu Allem, was sie sagte und that, empfangen konnte, erstreckten sich ihre Wünsche noch nicht weiter, und obgleich ihr die Markise unbeschränkte Freiheit ließ mit Don Ambrosio zu plaudern, so hatte er selbst doch es noch nicht gewagt, sich über einen Gegenstand deutlicher zu erklären, der Violen in Ansehung der Art ihrer gegenseitigen Empfindungen, helleres Licht hätte verschaffen können.

Die Markise war die erste, welche eines Tages die Augen Don Ambrosio's überraschte, als er ihre Tochter mit einem Blicke voll Leidenschaft und Ausdruck betrachtete, der ihr auffallen mußte. Violens Erröthen und Verwirrung bestärkten in dem mütterlichen Geiste den schnell erhaschten Verdacht und die Verlegenheit des jungen Spaniers, als er sich beobachtet sah; und die Eile, mit welcher er sich unter irgend einem paßlichen Vorwande gleich darauf entfernte, flößten ihrer mütterlichen Zärtlichkeit traurige Ahnungen ein.

Warum schien er den forschenden Blick der Mutter zu fürchten und zu vermeiden? -- Fühlte er sich von reiner Liebe zu Violen durchdrungen, war es seine Absicht, ein eben so glückliches als ehrenvolles Ziel zu erreichen, so durfte er es offen gestehen, und auf die mütterliche Zärtlichkeit rechnen, die eine nachsichtsvolle Aufnahme dem tadelsfreien Manne versprach, der sich bei ihr, um ihrer Tochter Hand bewarb. -- Doch vielleicht vermuthete er, daß der Markis diese nur in Sizilien zu verheirathen gedenke und fürchtete eine Weigerung? -- -- Ach, und durfte denn auch Angelina selbst erwarten, daß ihrer Bewilligung gleiche Denkart ihres Gemals folgen werde? Sie war weit entfernt, sich mit diesem Gedanken zu schmeicheln und in der Ungewißheit, die ihre Meinung fesselte, faßte sie den einzigen der Lage der Sachen angemessenen und weisen Entschluß, Violen zu beobachten, allmälig und so unmerklich als möglich ihre Unterhaltungen mit Don Ambrosio zu verkürzen, seine Besuche nicht so oft anzunehmen, und alle Mittel anzuwenden, durch Zerstreuungen den ersten Eindruck in Violens Herzen um so eher zu verwischen, als sie denselben noch nicht tief eingewurzelt glaubte.

Dieser Entschluß befreiete sie inzwischen keinesweges von aller Unruhe. Der Markis konnte nicht lange mehr abwesend bleiben; wenn nun in der wenigen Zeit, die ihr übrig blieb, es ihr nicht gelang, ihrer Tochter die verlohrne Ruhe wiederzugeben, was mußten Beide von dem erzürnten, in diesem Punkte so empfindlichen Vater nicht fürchten, sobald er bemerken würde, daß seiner Tochter Herz ohne sein Wissen und seine Einwilligung verschenkt sei?

Wärend die beklommene Angelina in steter Aengstlichkeit ihre Tage verlebte und ihre Nächte schlaflos durchwachte, vermehrte ein unerwartetes Ereigniß die Pein ihrer Seele. Don Ambrosio erhielt plötzlich von Madrid den Befehl, sich ohne Verzug nach Gibraltar zu begeben; und kaum war diese Nachricht angelangt, so verbreitete sie sich schnell im ganzen Hause. Die Dienerschaft, die ihm seiner ungewöhnlichen Freigebigkeit halber, sehr gewogen war, erzählte es allenthalben, und der Markise Kammerfrau beklagte in ihrer und Violens Gegenwart die bevorstehende Abreise des großmüthigen Admirals.

Die Markise wagte es kaum, einen verstohlenen Blick auf ihre Tochter zu werfen, aus Furcht, sie in einem Augenblicke zu sehr zu verwirren, wo die Bestürzung und die Unruhe ihrer Seele auf ihrem Gesichte zu lesbar sein mögten; doch sah sie genug, um sich zu überzeugen, daß Don Ambrosio inniger geliebt werde, als sie sich eingebildet hatte; schnell fand ihre sinnreiche Zärtlichkeit einen Vorwand, ihre Tochter mit Clementinen zu entfernen; und Viola, die das Bedürfniß allein zu sein, selbst fühlte, trennte sich von ihrer Nichte Viola kann noch keine Nichte haben; gemeint ist wohl Clementine, die jedoch Violas Cousine ist. Merkwürdig auch, dass zuvor die Markise ›ihre Tochter mit Clementine‹ entfernt haben soll: von wo? von wem? und wohin? Im englischen Original finden sich zu alledem keine Entsprechungen; bei dem vorliegenden Text handelt es sich eben nicht eigentlich um eine ›Übersetzung‹ -- die Formulierung »frei nach dem Englischen« auf dem Titelblatt ist zu damaliger Zeit sehr weit auszulegen: vielfach gibt Brancalio eher ›großzügige‹ Paraphrasen des Originaltextes und verbindet dann die betreffenden Passagen durch eigene Ergänzungen, bei denen anscheinend bisweilen der Kontext verloren geht. [ Anm.d.Hrsg.] und schloß sich ein, um ungestört weinen zu können.

Ueber den Befehl, welcher Don Ambrosio nach Gibraltar rief, gerieth dieser außer sich; nichts konnte ihn von der pünctlichsten Folgeleistung entbinden, und doch war eine Trennung von Violen, so gut als ihr entsagen, und diesen Gedanken konnte er nicht ertragen. Er war unschlüssig, was er thun sollte, sein brennendes Gehirn erfand tausend wunderliche, thörigte Pläne; der Gedanke sie zu entführen, reizte ihn besonders; doch blieb ihm nicht Zeit genug übrig, ein so schwieriges Unternehmen einzuleiten und am hellen Tage auszuführen. Endlich beschloß er sich zu überzeugen, ob das, was er in den Blicken und dem Benehmen Violens zu seinen Gunsten zu entdecken geglaubt hatte, nicht die Wirkung einer Liebe sei, die nur eine deutlichere Erklärung von seiner Seite erwartete, um sich zu entfalten. Sein Einfluß bei allen Ständen, und eine bedeutende Geldsumme machten ihm bald diejenigen Diener der Markise geneigt, welche eine Zusammenkunft mit der Geliebten erleichtern konnten, und ohne daß sie selbst dazu die Hand geboten, noch die mindeste Ahnung davon haben konnte, überraschte er sie in ihrem Zimmer, in einem Augenblicke, wo sie sich allein befand.

Alles, was seine glühende Leidenschaft dem beredsamen Spanier Ueberzeugendes und Rührendes einflößen konnte, bot er auf, Violen zu beweisen, daß der sie liebe, wie man noch nie geliebt habe; und als die Ueberraschung, die Unruhe, Theilnahme und Rührung der schwachen Viola, das halblaute Geständniß der Gefühle, die er begierig verlangte, entrissen hatten, schwur er ihr, daß er nicht ohne sie leben könne, und vor ihren Augen sterben müsse, so bald sie sich nicht entschließen würde, ihm zu folgen und sich mit ihm heimlich zu vermälen, weil dieses der einzige Weg zur Erlangung ihrer Hand sei, da er befürchten müsse, daß der Markis seine Einwilligung zu einer Verbindung, die seine Tochter aus dem Vaterlande und dem Schooße der Familie entführe, stets versagen würde. Aber die rührendsten Bitten, die kräftigsten Betheurungen, selbst die Drohung sich vor ihren Füßen zu tödten, der Ueberredungskunst meisterlichste Anwendung konnten in Violens Herzen die Grundsätze einer tugendhaften, weisen Erziehung und die Macht der kindlichen Zärtlichkeit nicht erschüttern. Beleidigt durch die verwegene Zumuthung, daß ein so strafbarer Vorschlag bei ihr Eingang und Erhörung finden könnte, erhielt sie ihre Geistesfestigkeit wieder, und betheuerte dem argen Verführer, daß der Schmerz über seinen Verlust sie tödten könne, daß sie aber nie ihre Eltern heimlicherweise verlassen und gegen den ihnen schuldigen Gehorsam fehlen werde. Eine so bestimmte Weigerung raubte Don Ambrosio alle Hoffnung, in Verzweiflung aber verliebter als jemals, verließ er Violen, bewunderte die Reinheit ihres Herzens, ihren Kampf und tugendhaften Widerstand und reisete von Lissabon mit dem festen Vorsatze ab, alles zu versuchen und aufzubieten, um rechtmäßigerweise in den Besitz eines Kleinods zu gelangen, das er auf eine andere Art zu erhalten sich nicht schmeicheln durfte.

 


Zwölftes Kapitel.

Zwei Tage nach des Spaniers Abreise traf der Markis von Palermo bei seiner Familie ein. In der Zwischenzeit hatte Viola, von einer lobenswerthen Ermahnung ihres Gewissens angespornt, der Mutter ihr Herz geöffnet und die zärtlichste Nachsicht gefunden. Die Aufrichtigkeit ihrer eignen Absichten und die Richtigkeit ihres Urtheils bürgten Angelinen dafür, daß ihre Tochter ihrer würdig und keines Fehltritts fähig sei; doch ließ sie sich von ihr versprechen, daß sie der mütterlichen, erfahrnen Leitung sich überlassen und in Zukunft nichts mehr vor ihr geheim halten wolle. Als sie sich nun von dem Zutrauen und der Nachgiebigkeit ihrer Tochter überzeugt hatte, war ihr Herz um vieles erleichtert, obgleich es ihrem Scharfblicke nicht entgangen war, daß Viola bereits mit einem Feuer liebe, dessen Flamme sie verzehren könne, im Falle sie die Hoffnung einer geträumten Verbindung mit Montalvan entsagen müsse. Zwar tadelte sie dessen Verfahren; doch rechnete sie es keinem absichtlichen Vorsatze der Verführung zu, vielmehr glaubte sie nur in ihm die Heftigkeit einer stürmischen, zur Verzweiflung gereizten Leidenschaft zu erkennen. Der spanische Held hatte nun einmal ihre Achtung erworben, sie war zu sehr für ihn eingenommen und zweifelte nicht, daß er seine Gattin immer lieben und glücklich machen werde.

Einige Fragen und Bemerkungen des Markis über die Veränderung, welche er an seiner ungewöhnlich ernsten und oft schwermüthig scheinenden Tochter entdeckt zu haben glaubte, zeigten seiner Gattin die Möglichkeit, ihn in Ansehung Don Ambrosio's auszuforschen, und ohne ihm die wahre Gestalt der Sachen zu gestehen, sagte sie ihm so viel, daß er daraus schließen konnte, seine Tochter habe diesen jungen Spanier liebenswürdig gefunden, und jenen nur das allgemein verbreitete Gerücht, daß sie von ihrem Vater dem Prinzen Romando bestimmt sei, von der Bewerbung um ihre Hand abgeschreckt.

Anfänglich hatte der Markis wirklich die Absicht gehegt, seine Viola mit jenem Prinzen zu vermälen; aber seine Veränderlichkeit und der üble Eindruck, welcher in seiner Seele von dem Balle, wo Viola von der Unpäßlichkeit befallen wurde, zurückgeblieben war, hatten ihn vermogt, diesen Plan aufzugeben. Denn obgleich der Prinz an dieser Begebenheit nicht den mindesten Theil haben konnte, so empfand doch der Markis seit dieser Zeit eine Art von Abneigung gegen ihn. Aus diesem Grunde misbilligte er auch die Bemühungen Don Ambrosio's, seiner Tochter zu gefallen, nicht; sein Reichthum, sein Rang und das vortheilhafte Gemälde von seiner Gestalt und seinem edlen Betragen schmeichelten seiner Eitelkeit und konnten seine Erwartungen befriedigen; doch empfahl er seiner Gattin das strengste Stillschweigen über diesen Gegenstand, bis er von mehrern seiner Freunde in Madrid, bei denen er über Don Montalvan zuvor nähere Erkundigungen einziehen werde, Nachricht erhalten haben würde. Er schrieb ihnen auch noch am selbigen Tage; Angelinens Herz aber fühlte sich von einer drückenden Last befreit, denn sie zweifelte nicht, daß der vortreffliche Ruf ihres Lieblings durch ihres Gatten Freunde volle Bekräftigung erhalten werde.

Einige Wochen nach dieser Unterredung ließ Don Philipp von Sintra die Markise bitten, seinen Besuch in einer wichtigen Angelegenheit auf einige Augenblicke anzunehmen. Sie war allein und befahl, ihn eintreten zu lassen. -- Don Philipp überreichte ihr nun einen Brief von Don Ambrosio, worin ihn dieser beauftragt hatte, sich für ihn um Donna Violens Hand unter Beobachtung aller üblichen Förmlichkeiten zu bewerben. Nicht befugt, über das Schicksal ihrer Tochter eigenmächtig zu verfügen, führte Angelina den Brautwerber zu ihrem Gatten, den sie mit dem Lesen mehrerer Briefe beschäftigt fanden. Don Philipp machte ihn mit dem Gegenstande seiner Sendung und der Art seines, ihm von Montalvan ertheilten Auftrags bekannt; aber zur größten Bestürzung Angelinens antwortete der Markis nur dadurch, daß er dem Abgesandten die vor ihm liegenden Briefe las, welche sämmtlich Don Ambrosio von Montalvan als einen sittenlosen Wüstling, dessen Verstand, seltene Bildung und äußere Liebenswürdigkeit das verdorbenste Herz verbargen, schilderten. Der diensteifrige Freund stammelte verlegen eine schwache Rechtfertigung, da er sich aber nicht schmeicheln durfte, durch sein Zeugniß die Glaubwürdigkeit so vieler angesehener Männer vom ersten Range, deren Namen ihm der Markis gezeigt hatte, Lügen zu strafen, so empfahl er sich gleich darauf mit dem Bemerken, daß er es Don Ambrosio überlassen müsse, seine Sache zu verfechten und seine Vertheidigung gegen diese Beschuldigungen selbst zu übernehmen.

Sobald die Familie des Markis versammelt war, verrieth Violens Aengstlichkeit und das unruhige Wallen ihres Busens, daß ihr Don Philipps Bewerbung nicht unbekannt geblieben sei; den zärtlichen Vater bekümmerte ihr Zustand, es schien ihm heilsam, die Pein der Ungewißheit zu zertheilen; dieserhalb rief er Violen und ihre Mutter in sein Zimmer, eröffnete ihr mit möglichster Schonung, daß sie den Spanier vergessen müsse, weil er ihrer Zärtlichkeit nicht würdig sei, und theilte ihr behutsam den wesentlichsten Inhalt der unglücklichen Briefe mit.

Von Erstaunen und Entsetzen erstarrt sank Viola an den mütterlichen Busen; ihr nasses Auge aber hing an des Vaters Munde, der die Unglücksbothschaft langsam verkündete und jedes Wort, daß des geträumten Ideals Laster enthüllte, durchschnitt ihr armes getäuschtes Herz.

Glaube mir mein theures Kind, sprach der Markis seufzend, es wird nie meine Absicht sein, meine väterliche Gewalt über Dich zu misbrauchen, um der Neigung Deines Herzens Fesseln anzulegen. Ich würde mein Glück darin gefunden haben, sie zu befriedigen, aber die Freunde, die mir diese schreckliche Aufklärung verschafften, verdienen meine ganze Achtung und völliges Zutrauen, vermöge ihres tadellosen Lebens, ihres zarten Begriffes von Ehre und einer Biederkeit, der niemand zumuthen wird, jemand ohne hinlängliche Beweise zu beschuldigen; und ich würde der strafbarste aller Väter sein, wenn ich den Grund zu Deinem Unglücke dadurch legte, daß ich mir eine Zustimmung entreißen ließe, die Deine Schande und den Schimpf meines eignen Bluts besiegeln müßte.

Ein tiefer Seufzer und halb unterdrücktes Schluchzen waren Violens Antwort.

Meine Tochter, sagte mit Zärtlichkeit Angeline, drückte sie an sich und befeuchtete ihr Gesicht mit der Tochter Thränen, fasse Dich, antworte Deinem Vater; Du siehst unsere Bekümmerniß. Versprich uns nur, alles anzuwenden, um aus Deinem Herzen das Bild eines Mannes zu verstoßen, der nicht werth es zu besitzen ist.

Zweifelt nicht daran! rief Viola und sank zu ihren Füßen. O mein guter Vater, meine zärtliche Mutter, nicht umsonst überhäuft Ihr mich mit so viel Nachsicht und Güte; mein Herz wird die nöthige Standhaftigkeit zu finden wissen, Eure Wünsche zu befriedigen. Ja, ich werde daraus das Andenken desjenigen zu vertilgen wissen, der sich nur darin einschleichen konnte, weil ich ihn eben so tugendhaft glaubte, als Euch. Die Täuschung ist verschwunden, doch muß ich den besten Eltern meine ganze Schwachheit gestehen: Ich verwerfe ungezwungen und ohne Reue den Antrag Don Ambrosio's; aber mein Herz blutet bei der Ueberzeugung, den verächtlichsten der Menschen in einem Manne zu entdecken, den ich lange Zeit als das vollkommenste Werk der Schöpfung in jeder Hinsicht bewundert habe. Meine kindische Fantasie kann ihn in diesem Augenblicke noch nicht aller Verdienste, mit welchen ich ihn geschmückt hatte, berauben, und trauren werde ich noch lange über den Verlust meiner schönsten Hoffnungen. Aber seid überzeugt, ich werde diesen unglücklichen Eindruck bekämpfen, und mich bemühen, bald meine frühere Ruhe und Munterkeit wiederzugewinnen, damit auch in Euren Herzen die Zufriedenheit wieder aufleben möge.

Der Markis und seine Gattin umarmten Viola mit Entzücken, beklagten ihr Schicksal, aber versicherten ihr, daß sie ihnen noch theurer geworden sei und sie fest auf ihre Standhaftigkeit, ihre Tugend und ihre Versprechungen vertrauen würden.

 

Aber leider zog diese Begebenheit noch weit unglücklichere Folgen, als Violens stille Schwermuth nach sich. Die Gesundheit der Markise, die das Gebäude ihrer schönsten Hoffnungen zertrümmert und ihre Tochter sich still grämen sah, litt bedeutend; bald welkte sie so sichtlich dahin, daß die Aerzte, welche sich von dem Aufenthalte in Lissabon keine heilsame Wirkung weiter versprechen durften, zur schnellen Rückkehr nach Sizilien anrathen mußten, ohne jedoch Hoffnung blicken zu lassen, dass die vaterländische Luft die Genesung der Kranken hervorbringen würde. Ihre traurige Vorhersagung ging in Erfüllung; wärend der Ueberfahrt griff das Uebel mit reißenden Fortschritten um sich, und die Markise erreichte Palermo nur, um in den Armen ihrer trefflichen Tochter und ihres Gemals, von ihren Freundinnen umgeben und neben dem ehrwürdigen Erzbischof von Montreal, mit welchem sie mit der Andacht einer frommen, christlichen Seele betete, zu erbleichen.

Erst in dem Augenblicke, als Angelina zu leben aufgehört hatte, lernte der Markis den Werth des Kleinods schätzen, das er an ihr verlohren. Bittere, nagende Vorwürfe gesellten sich zu seinem Schmerze, denn sein Gewissen klagte ihn an, daß er seit den ersten Tagen ihrer Vermälung durch sein grausames Benehmen die blühende Gesundheit Angelinens, die ihrer Schönheit in der Zeit, als er sie zur Gattin erkor, so viel Glanz verlieh, vergiftet und den Keim des Todes in ihrem Busen zu früh geweckt habe. Ihre engelreine Seele hätte ihm aufrichtig verziehen, aber konnte er es sich verzeihen? -- --

Das Herz des guten Erzbischofs von Montreal blieb von einer stillern und duldsamern Betrübniß durchdrungen; er hatte seine beste Freundin, die ihm in den letzten Tagen seines dahinschwindenden Lebens alle Sorgfalt, die er in ihrer Jugend an ihr verwandte, durch Liebe und Anhänglichkeit reichlich vergolten hätte, verlohren; doch unterdrückte er seinen Schmerz, verschloß in der Tiefe seiner Brust seinen stillen Kummer, und auf der ehrwürdigen Stirn des Greises las der schärfste Beobachter nur wahre Frömmigkeit und duldsame Fügung in die Vorschriften des Verhängnisses.

Oft schon hatten herbe Leiden Violens Augen Thränen entlockt, und sie hatte sich zu trösten gewußt, aber der Tod ihrer Mutter griff sie zu heftig an; nur einer neuen Erschütterung ihres Gemüths, das sich in Schmerz aufzulösen schien, bedurfte es, und sie würde den Verstand verlohren haben. Hätten die von der Mutter in der Tochter Seele früh eingeprägten reinen Begriffe von Frömmigkeit und Unterwerfung sie in dieser grausamen Prüfung nicht aufrecht erhalten und gestärkt, so wäre sie ein Opfer der Verzweiflung geworden, da auch Clementinens Trauer ihren Schmerz noch vermehrte. In den ersten Wochen vertraute der Erzbischof die beiden unglücklichen Waisen der theilnehmenden Sorgfalt der guten Priorin von Santa Rosalia an, besuchte sie täglich und ließ sie Trost im Genusse der Freundschaft und Lehre Gottes schöpfen. Seine zärtlichen Ermahnungen, blieben nicht ohne Wirkung; und wenn auch Viola nicht aufhörte ihre Mutter zu beweinen, so milderte sich ihr Schmerz doch allmälig, und ging in eine stille Schwermuth über, die nur der alles besiegenden Herrschaft der Zeit weichen konnte.

Der Markis hatte diese kurze Trennung auf Anrathen des Erzbischofs zugebilligt, aber lange konnte er die schauerliche Oede seines Hauses nicht ertragen; der Erzbischof fand bei seiner Rückkehr den unglücklichen, verlassenen Vater einsam in seinem weiten Pallast und jammernd, sein Zustand rührte ihn; mitleidsvoll lieh er den überflüssigen Klagen und der zu späten Reue ein geduldiges Ohr, vergaß seine eignen Leiden und tröstete den Bedaurungswürdigen durch die Erinnerung an die geliebte Tochter, die ihm geblieben.

 

In stiller Trauer verstrich die Zeit bis zum Winter; Viola war zu ihrem Vater zurückgekehrt und Beide suchten sich gegenseitig zu erheitern. -- Einst speisete dieser bei seinem Onkel, und da ihm bekannt war, daß jener den Abend über mit einer wichtigen Angelegenheit, die sein heiliges Amt betraf, beschäftigt sein würde, so verließ er ihn früh und in der Erwartung, daß sein Wagen angekommen sein werde, lehnte er das Anerbieten des Erzbischofs, sich des seinigen zu bedienen, ab. Da er inzwischen in der Vorhalle des Erzbischöflichen Pallastes weder seine Diener, noch seine Kutsche bemerkte, so erkundigte er sich bei einem von seines Onkels Leuten, ob sein Wagen noch nicht vorgefahren sei, erfuhr aber, daß derselbe, bereits seit einer Stunde sich wieder entfernt habe, um auf seinen eignen Befehl den Doctor Balsamico so schnell als möglich zu einem Kranken zu holen. Eine schreckliche Angst befiel bei dieser Antwort den armen Markis, er glaubte seine Tochter gefährlich krank und ohne den Diener des Prälaten weiter zu befragen, eilte er bei finsterer Abendzeit zu Fuße seiner Wohnung zu. Von peinlichen Gedanken rastlos getrieben, gab er auf das, was um ihn her vorging, wenig acht, bis er sich in einer dunkeln Gasse unweit seines Pallastes von vier vermummten Banditen, die man in Italien mit dem Namen Bravos bezeichnet, überfallen sah. Der Markis vertheidigte sich eine Zeitlang mit vieler Geistesgegenwart und Tapferkeit, doch hätte er der Uebermacht unbezweifelt unterliegen müssen, insofern nicht ein Unbekannter zu seinem Beistande herbeigeeilt wäre, dessen muthigen Angriffe es bald gelang, die feigen Mörder, die ohnehin den Zusammenlauf des Volks fürchten mußten, zur Flucht zu zwingen. -- Leider war aber der Markis an verschiedenen Stellen seines Körpers bereits, wenn auch nicht tödlich, doch bedeutend verwundet, und von dem Blutverluste und der Anstrengung so erschöpft, daß ihn auf Geheiß des Unbekannten einige Männer, die der Lerm herbeigezogen hatte, nach seinem Pallaste tragen mußten, wohin ihm jener folgte.

Viola befand sich in diesem Augenblicke in dem Gemache ihrer verstorbenen Mutter, und erleichterte ihr armes Herz durch leise Klagen und das Vergießen häufiger Thränen, die sie dem theuren Andenken der Verewigten zollte. Verwundert und beängstigt über das ungewöhnliche Geräusch in den angrenzenden Zimmern und die verwirrten Stimmen so vieler Menschen, verließ sie den Aufenthalt ihrer Wohlthäterin, fragte nach der Ursache der Unruhe zur ungewöhnlichen Zeit und erfuhr ohne schonende Vorsicht von einem bestürzten Diener, den mörderischen Ueberfall und die Verwundung ihres Vaters. Zitternd und von Entsetzen ergriffen wankte sie hin nach dem Zimmer des Markis, und erstarrte vor Schauder und Schreck, als sie den geliebten Vater ausgestreckt auf seinem Bette, bleich und blutig und neben ihm Don Ambrosio von Montalvan sitzend erblickte. Eine unglückliche, dunkle Ahnung sagte ihr, daß der Mörder ihres Vaters vor ihr sei, -- alle ihre Glieder bebten, ihre Kräfte schwanden, sie sank besinnungslos zur Erde; und obschon schnelle ärztliche Hülfe sie aus der langen, tiefen Ohnmacht wieder in's Leben zurückriefen, so blieb sie doch noch immer in einem Zustande gänzlicher, dumpfer Gefühllosigkeit, der sie verhinderte, die Leiden des sterbenden Vaters zu sehen, und es ihren Dienerinnen erlaubte, sie von ihm zu trennen und auf ihr Zimmer zurückzuführen, wo neue Ohnmachten ihre Lebenskräfte zu erschöpfen droheten.

Inzwischen hatten die Wundärzte des Markis Wunden untersucht und die schauderhafte Entdeckung gemacht, daß die Spitzen der Dolche, die solche verursacht hatten, in ein tödliches Gift getaucht waren, gegen welches kein Hülfsmittel von Wirkung war. -- Der Erzbischof langte noch zur rechten Zeit an, um seinen Neffen zu dem nahen Tode vorzubereiten, ihn mit dem Himmel zu versöhnen, und das Schreckliche der letzten Augenblicke dem sterbenden, unglücklichen Vater erträglicher zu machen. Auch übernahm er den schwierigen, für sein gefühlvolles Herz so erschütternden Auftrag, die unglückliche Viola mit möglichster Schonung auf die schreckliche Nachricht, dass sie nun Waise sei, vorzubereiten, sobald er sie stark genug sah, diesen neuen, harten Schlag des Schicksals zu ertragen.

Gleich nach dem Tode des Markis von Palermo wurden die strengsten Maaßregeln ergriffen und die sorgsamste Untersuchung angestellt, um seine Mörder, oder den heimlichen Feind, der sie gedungen, zu entdecken. Es ergab sich, daß ein Diener in der Livree der Prinzessin Camerino dem Kutscher des Markis auf dessen angeblichen Befehl aufgetragen hatte, den Doctor Balsamico aus seiner Wohnung abzuholen und nach dem Kloster der heiligen Rosalia zu fahren, dann aber den Markis bei der Prinzessin Camerino zu erwarten. Dieser Vorfall hatte grade einige Minuten vor der Trennung des Markis von seinem Onkel statt gefunden, und auf solche Weise war dieser ohne weitere Begleitung, besorgt für seines Kindes Wohl, seinem eignen unglücklichen Schicksal entgegen geeilt. Als nun die Beamten der Polizei die sämmtlichen Diener der Prinzessin Camerino in Gegenwart des Kutschers versammelten und ihm befahlen, den Betrüger aufzufinden, erklärte dieser, daß der Mann, welcher ihm den bewußten Auftrag im Namen seines Herrn ertheilt habe, nicht unter ihnen befindlich sei; eben so wenig gelang es allen Bemühungen, den Diener aufzufinden, welcher dem Markis an der Pforte des erzbischöflichen Pallastes auf sein Befragen Auskunft über die Entfernung seines Wagens gegeben hatte.

Viola allein verschloß in der Tiefe ihres Herzens einen Verdacht, den die schnelle Entfernung Don Ambrosio's nur verstärken konnte. Nach dem Tode des Markis hatte man seinen Beschützer im Pallaste nicht wieder auffinden können; und wärend jedermann die Bescheidenheit bewunderte, mit welcher sich der großmüthige Unbekannte dem Danke für seinen thätigen, wiewol fruchtlos gebliebenen und vereitelten Beistand zu entziehen wußte, glaubte Viola in diesem Verschwinden das Entsetzen zu entdecken, was gewöhnlich auf die Ausführung des Verbrechens folgt; aber so gegründet das Urtheil ihres Herzens über diesen Vorfall auch immer sein mogte, so fehlte ihr doch die Ueberzeugung; sie konnte keine Beweise herbeischaffen, und ihre Seele die nicht nach Rache zu dürsten gewohnt war, belehrte sie, daß die Verfolgung und Bestrafung des Schuldigen, ihr nur eine traurige, nutzlose Genugthuung versprechen, den verlohrnen Vater aber von den Todten nicht erwecken konnte.

In der dunkeln Ahnung, die sie früherer Rücksichten halber so gern aus ihrer Seele verbannt hatte, offenbarte sich jedoch der Fingerzeig des Himmels, der sie erleuchtete, denn diese Ahnung hatte sie nicht getäuscht; und wenn auch Don Ambrosio nicht selbst seine eignen Hände in das Blut des Markis getaucht hatte, so waren doch dessen Mörder von ihm gedungen und dafür bezahlt, es zu vergießen. Des Markis Weigerung, in seine Verbindung mit Violen einzuwilligen, hatte diesen heftigen und rachsüchtigen Spanier, der sie mit rasender Leidenschaft liebte, zur äußersten Wuth gereizt. Mit dem Vorsatze sich zu rächen, verband er den Plan, die geschworne Rache zum Vortheile seiner Liebe zu drehen, war deshalb den Banditen gefolgt und hatte sich früh genug gezeigt, damit der Markis in ihm seinen Retter erkennen konnte, hoffend, daß er alsdann von seiner und Violens Dankbarkeit Alles erlangen würde. In dieser Erwartung ließ er den Verwundeten unverzüglich nach seinem Pallaste tragen und folgte ihm dahin, begierig, die Früchte seiner Schandthat einzuerndten, aber die Vorsehung wollte damals nur ein Opfer in seine blutigen Hände liefern.

Ohne sein Wissen hatten sich die Mörder vergifteter Dolche bedient, die in jener Zeit in Sizilien nicht selten zur sichern Erreichung des mörderischen Ziels gewählt wurden. Als Montalvan aus dem Urtheile der Wundärzte aber entnahm, daß der schon röchlende Markis in wenigen Augenblicken eine Beute des Todes sein werde, als er hörte, daß man bei den Gerichten diese Mordthat sofort anzeigen und polizeiliche Hülfe zur Verfolgung der Thäter requiriren müsse; so begriff er wol, daß er verlohren sei, sobald man einen seiner Mitschuldigen habhaft werden könnte, hielt es daher für das Klügste, die weitern Verhaftungen und Verhöre nicht abzuwarten, benutzte die durch diesen Vorfall in ganzen Pallast herrschende Verwirrung, schlich sich behutsam davon und entzog sich durch eine schnelle Flucht allen weitern Nachstellungen.

Der Tod des Markis überhäufte seine Erbin mit Reichthümern und Glanz; in ganz Sizilien war jetzt kein weibliches Geschöpf von höherm Range und vorzüglicherer Schönheit. Aber alle diese Vortheile konnten ihr Herz nicht rühren; nur des Vermögens Gutes zu thun und Wohlthaten zu spenden, konnte sie allein mit dem Reichthum aussöhnen, der ihr durch die traurigste Entwickelung des Verhängnisses zugefallen war. Sie verließ so bald als möglich den Pallast, wo der Markis gestorben war, und wo die entstellte blutige Gestalt des entseelten Vaters unaufhörlich vor ihrer Fantasie schwebte; um sich aber nicht zu weit von dem ehrwürdigen Erzbischof zu entfernen, wählte sie zu ihrem Aufenthalte das unfern der Stadt gelegene Schloß von Palermo, wohin sie sich mit Clementinen begab, nachdem sie zuvor einige Tage im Kloster der heiligen Rosalie zugebracht hatte. Das Andenken der Markise war bei allen Bewohnern dieses Monasteriums in heiliger Verehrung, und Viola fühlte sich getröstet, wenn sie mit diesen guten Nonnen, welche die Tugenden ihrer unvergleichlichen Mutter, nach Verdienst zu schätzen wußten, weinen und ihr gepreßtes Herz erleichtern konnte.

Clementine Stanhope war ein Jahr jünger als ihre Cousine; sie glich ihr, obschon ihre Schönheit aus zarterm und weicherm Stoffe gebildet zu sein schien; aber ihr Blick besaß gleichen Ausdruck von Sanftmuth und Zärtlichkeit, ihr Wuchs enthüllte dem Auge gleiche Zierlichkeit, und in ihrem Benehmen sprach sich bei Beiden derselbe Adel und dieselbe Liebenswürdigkeit aus, welche für die Uebereinstimmung ihrer Gefühle bürgten und von der Unschuld und vortrefflichen Denkart beider Waisen zeugten, die der zärtlichsten Freundschaft Bande seit ihrer frühen Kindheit eng umkettet hielten.

Clementine hatte ihre Eltern in einem Alter verlohren, wo sie den Umfang ihres Unglücks noch nicht empfinden konnte. Ihre ganze Zärtlichkeit hing daher an Angelinen und deren Tochter; und der Tod der Erstern, war der erste Kummer, der ihr jugendliches Herz schmerzlich durchdrang. Sie betrauerte das Hinscheiden ihrer Wohlthäterin mit eben dem Gefühle wie Viola, und auch hierdurch offenbarte sich die Wirkung der Sympathie, die beide junge Freundinnen vereinigte. Die Natur hatte Clementinen mit einem frühreifen Fassungsvermögen und einer Neigung zu den schwierigsten Wissenschaften ausgestattet, welche die Fortschritte ihres Unterrichts beschleunigte und ihre Lehrer oft in Erstaunen setzte. Violens Gelehrigkeit und ihre Geisteskräfte entwickelten sich langsamer, sie bedurfte mehr Zeit zum Nachdenken und Begreifen; hatte sie aber einmal eine Sache durchdrungen, so war die Richtigkeit ihres Urtheils in der Art vollkommen, daß sie sich selten täuschte. Jede benutzte nach ihrer Weise die herrliche Erziehung, die sie genossen hatten und der Erfolg lehrte, daß Beide in einem vorzüglichen Grade Alles besaßen, was das Leben sowohl im glänzenden Kreise der Gesellschaften, als in der Einsamkeit beschäftigen und bezaubern kann.

 


Dreizehntes Kapitel.

Kaum war ein Monat nach dem Absterben des Markis von Palermo dahin geschlichen, so erschien in dem Schlosse, das Viola mit ihrer Freundin bewohnte, grade der Mann, den sein Gewissen davon entfernt gehalten haben würde, wenn er nicht der verwegenste der Menschen gewesen wäre. -- Es war Don Ambrosio von Montalvan. -- Als Viola seinen Namen hörte und ihn dem Diener, der ihn ankündigen wollte, ohne weiteres ungestüm folgen sah, konnte sie kaum den Abscheu, der sie bei dem Andenken an ihres Vaters Ende anwandelte, zurückhalten; Don Ambrosio schien ihre Stimmung nicht bemerken zu wollen, und ohne ihr Zeit zu lassen ihn anzureden, sprach er zu ihr: Es habe ihn zwar die Erfüllung der Pflichten seines Standes genöthigt, nach dem schrecklichen Ereigniß, von welchem er leider wider seinen Willen Zeuge gewesen sei, an der Küste Siziliens zu verweilen; er hätte jedoch aus Achtung für das Andenken des Markis, den ersten Trauermonat verfließen lassen; da er aber dem Drange seiner Ungeduld nicht länger gebieten könne, so bitte er die Geliebte seines Herzens, seinen verwegenen Schritt der Furcht, daß ihr seines Zartgefühl ihm noch fernere Trennung auferlegen könne, zu verzeihen, und ihn nicht länger nach Erhörung schmachten zu lassen, wenn er jetzt von ihr, der alleinigen Gebieterin ihres Herzens und ihrer Hand, die gerechte Belohnung für seine Liebe und Beständigkeit zu fordern, sich unterfange.

Um ihm antworten zu können, rüstete sich Viola mit alle der Ehrfurcht erzwingenden Würde, die ihrem Character so eigen war, so bald sie sich gekränkt glaubte. Sie warf ihm vor, daß er die kaum erkaltete Asche desjenigen verhöhne, dessen Namen er auszusprechen wage, indem er sie zum Ungehorsam zu verleiten strebe; sie forderte den Himmel zum Zeugen ihres Schwurs auf, nie eine Verbindung zu schließen, die ihrer Eltern Zustimmung nicht erhalten habe; und da sie den Abscheu, den ihr Montalvans Gegenwart verursachte, nicht länger ertragen konnte, so verließ sie entrüstet und mit Schaudern das Zimmer. Auch Don Ambrosio eilte gedemüthigt, verwirrt, aber mit Wuth im Herzen von dannen, und sann auf eine Rache, die seiner würdig war.

Einige Tage später erzählte man Violen, daß ein unglücklicher kranker Fremdling, in einer elenden Fischerhütte auf dem Stroh liegend, mit Hartnäckigkeit alle Hülfe und selbst die wenige Nahrung, die ihm die ärmlichen Bewohner der Hütte anbieten konnten, von sich weise; daß man gekommen sei, den Beistand des Wundarztes im Schlosse für ihn in Anspruch zu nehmen, daß man weder den Namen, noch den Stand des Unglücklichen kenne, und er selbst das halsstarrigste Stillschweigen auf alle Fragen über diesen Gegenstand beobachtete.

Violens Menschlichkeit konnte keinen Elenden, der ihres Beistandes bedurfte, einen Augenblick schmachten sehen. Sie beschied den Pater Leopold, den Caplan des Schlosses, zu sich und trug ihm auf, den Unbekannten zu besuchen, Alles was sein Zustand erfordern konnte, nach der Hütte bringen zu lassen, auch die armen Leute, die sich, von Barmherzigkeit geleitet, seiner angenommen hatten, mit Lebensmittel und Geld zu versorgen; ihr großmüthiges Herz seufzte, als sie erfuhr, daß das Elend so nahe bei ihr wohne. -- Sie war der beständige Gegenstand der Freigebigkeit ihres Vaters gewesen, und hatte bis jetzt geglaubt, daß er sich gegen seine Vasallen nicht weniger wohlthätig und liebreich gezeigt haben werde. Ach, die gefühlvolle Viola beurtheilte die Menschheit nach sich selbst, und dieser falsche Wahn, verbunden mit der Sanftmuth ihres Herzens, bereitete ihr grausame Täuschungen, deren verderbliche Macht sie bis ins Grab verfolgte.

Nach der Rückkehr des Paters Leopold vernahm sie, daß der Fremdling kein anderer als Don Ambrosio sei, der im Zustande kläglicher Entkräftung, sowohl alle Nahrung als auch die Anwendung stärkender Medikamente verweigere und entschlossen sei aus Verzweiflung zu sterben, weil er nicht hoffen dürfe, daß sie ihren Entschluß und ihren Haß gegen ihn ändern werde. Bei der Erzählung des gerührten Pater Leopold, konnte sie sich nicht enthalten, den Unglücklichen zu bemitleiden.

Montalvan war ihrer unwürdig, auch selbst dann noch, wenn er ungeachtet der ahnenden Stimme ihrer Seele, unschuldig gewesen wäre an dem entsetzlichen Morde; aber ungewöhnliche, glänzende Eigenschaften standen den Lastern dieses außerordentlichen Mannes zur Seite; und was noch mehr zu seinen Gunsten in ihrem Herzen sprach, war ihre frühere Liebe für ihn, und die Gewißheit, daß seine Liebe ihn in der Blüthe seiner Jahre ins Grab hinabstoße. War dieses, keine hinlängliche Büßung für die Verirrungen seines frühern Lebens?

Geht, Ehrwürdiger, sprach sie zu dem Pater Leopold, kehrt zu dem Unglücklichen zurück, erweckt durch fromme Ermahnungen die Tugenden, welche früher seine Seele belebten. Sagt ihm, daß derjenige, der Alles sieht, der des Menschen geheimste Gedanken kennt, allein nur zwischen uns richten kann; sagt ihm, daß ich seinen Tod nicht wünsche, daß ich ihn bedaure; und wenn der Himmel seinem Leben ein Ziel gesetzt hat, so bewirkt durch Eure heiligen Kräfte, daß er reuig und der göttlichen Gnade würdig dort erscheine.

Der Pater Leopold that mehrere Gänge nach der Hütte noch an demselben und wärend der folgenden Tage, und jedesmal, berichtete er, sei Don Ambrosio schwächer und seinem Ende näher gewesen. Der Erzbischof von Montreal, welcher gewohnt war, die Waisen wenigstens einmal in der Woche zu besuchen, wurde leider durch Amtsverrichtungen, die seine Abwesenheit nicht gestattete, in Palermo gefesselt; dieser Umstand betrübte seine Nichte, sie fühlte daß seine Gegenwart in einer so wichtigen Angelegenheit ihr um so nöthiger und unentbehrlicher sein müsse, als sie dem Pater Leopold unmöglich ihr ganzes Zutrauen schenken konnte. Einige dem Vater entschlüpfte Aeußerungen, hatten sie wider diesen Geistlichen eingenommen und sie auf die Vermuthung geleitet, daß derselbe, statt den Markis in jüngern Jahren nach den reinen Grundsätzen der Tugend zu leiten und sich als einen strengen Richter seiner Verirrungen zu zeigen, niemals für die Sache der unschuldigen und unglücklichen Angelina das Wort geredet und den Markis zur Aussöhnung zu bewegen gesucht hatte. -- Ueberdem wußte Viola daß ihr Vater nach der glücklichen Wiedervereinigung seiner Familie, ein zweites Testament aufgesetzt hatte, um das erstere, worin ein ansehnliches Legat für den Pater Leopold enthalten, zu entkräften, und daß der Mönch von dieser Zeit an seinen geheimen Groll über die ihm zufällig bekannt gewordene, neue, für ihn weniger günstige Bestimmung nie habe ganz verbergen können. Diese vereinten Gründe hatten Violens Hochachtung für den Pater Leopold merklich herabgestimmt; und wenn sie denselben noch so lange im Schlosse duldete, bis sich ein angemessenes Unterkommen für ihn finden würde, so geschah dies aus der Ursache, einen Mann, dem ihr Vater doch in mancher Hinsicht Verpflichtungen schuldig war und den er immer zu beschützen geschienen, nicht ohne Belohnung für die Zukunft zu entlassen.

Die Nachrichten, welche sie jeden Morgen regelmäßig von dem Gesundheitszustande Don Ambrosio's erhielt, erhöheten mit jeder Stunde ihre von Natur so reizbaren Gefühle für Mitleid und Theilnahme. Endlich kündigte ihr eines Tages der Pater Leopold an, daß nach des Arztes Meinung der Kranke nur noch wenige Stunden zu leben Hoffnung habe, weil er die Stärkungsmittel, welche ihn bis jetzt kümmerlich erhalten hatten, nicht mehr nehmen wolle; auch fügte der Pater hinzu, daß er seine letzte Beichte abgelegt, sich jedoch geweigert habe, von seinen Sünden sich lossprechen zu lassen, bevor ihn nicht Viola einen Besuch zugestehen würde. Er habe, spreche er, ein wichtiges Geheimniß, das mit dem Heile seiner Seele nahe verwandt sei, zu entdecken, doch könnte er sein Herz nur allein vor ihr ausschütten.

Viola gedachte der Mordthat, ahnte den Gegenstand des Geheimnisses, doch konnte sie sich nicht entschließen, Ambrosio's letzte Bitte zu gewähren. Nun bewieß ihr der Pater, daß sie gegen diesen Sterbenden, dem Gott die Gnade verliehen hatte, Reue zu fühlen, eine heilige Pflicht zu erfüllen habe, daß grade sie ihm solche nicht weigern könne, da ihr Gewissen ihr unfehlbar gestehen müsse, daß Montalvans Tod die Folge der Verzweiflung sei, der sie, zwar ohne ihren Willen, ihn preis gegeben, und daß kein frommes Werk in jener Welt ihr angerechnet werden würde, sobald sie einem gläubigen Christen auf seinem Sterbebette die letzte Bitte versage und dadurch verhindere sich zu entsündigen.

Eine so feierliche Aufforderung aus dem Munde eines Mannes, der sich Gott geweiht hatte, besiegte Violens Abneigung gegen diesen Schritt; sie erwiederte dem Caplan, daß sie ihm folgen werde, daß sie indeß von Clementine begleitet zu werden wünsche. Der Pater Leopold machte ihr indeß begreiflich, ihre Cousine sei zu jung und viel zu reizbar, um den schrecklichen Anblick eines sterbenden Sünders zu ertragen, und fügte hinzu, daß sie selbst ihrer völligen Standhaftigkeit, und des Beistandes ihrer Begleiter bedürfe, sich aber Clementine hierzu nicht eigne, weil ihrer Freundinn Angst nur die ihrige vermehren würde. -- Bei diesem Vorhaben, sprach er, wird Euch niemand nützlicher sein können, Signora, als die körperstarke, Zingareska, Eure Dienerin.

Viola bedachte sich eine Weile und fand, daß der Caplan Recht habe. Man rief nun Zingareska und ein Diener, der dem Pater sehr gewogen war, weil er ihm zu seinem Dienste bei dem Markis verholfen hatte, begleitete sie.

Jeder Augenblick ist kostbar, sprach Leopold und bot Violen seinen Arm, als er bemerkte, daß sie von einem Zittern befallen wurde, das sie fast außer Stand setzte, ihm zu folgen. -- Von ihm geführt, ging sie nun mit wankenden Schritten und steigender Angst durch den Park des Schlosses, am Ufer des Flusses hinauf, bis sie und ihre Begleitung nach einer Viertelstunde die Fischerhütte erreichten, wo Viola zu ihrem unbeschreiblichen Erstaunen Don Ambrosio ruhig auf einer Bank sitzend fand; er war blaß, entstellt, aber doch immer weit entfernt von dem Todeskampfe, in welchem sie ihn zu finden glaubte. Sobald er sie erblickte, warf er sich ihr zu Füßen und beschwor sie, ihn durch die Erhörung seines heißen Wunsches vom Tode zu retten. Alles was Beredsamkeit und seine Fertigkeit in der Kunst, sich zu verstellen und zum Mitleid zu rühren, nur erdenken konnte, wandte er an, die Aengstliche zu erschüttern und sie zu überreden, daß nur ein schwacher Hoffnungsfunken sein Leben bis jetzt gefristet habe; doch strafte die Stärke seiner Stimme und das Feuer in seinen Augen, seine Worte Lügen.

Viola bemerkte die Gefahr und Verrätherei, in die sie ihre Arglosigkeit und ihr Mitleid gestürzt hatten; aber sie zwang sich ihre Unruhe zu verhehlen, und ohne Don Ambrosio zu antworten, warf sie auf den Pater Leopold einen verächtlichen, unwilligen Blick und fragte:

Was bedeutet dieser Auftritt, und welcher Bewegungsgrund kann Euch vermogt haben, die Heiligkeit Eurer Würde durch Unwahrheiten zu entehren?

Meine Versprechungen gegen Euren Vater! antwortete der freche Mönch -- In seinen letzten Augenblicken beichtete er mir und gestand, daß er jene Briefe, die Don Ambrosio von Montalvan so schändlich verläumdeten, selbst geschmiedet habe, um eine Verbindung, die Euch von ihm entfernen mußte, zu hintertreiben; als er aber in dem Manne, den er so schwer, so ungerechterweise verläumdet hatte, den Retter seines Lebens, seinen Beschützer wiedererkannte, da wachte sein Gewissen auf und die Reue fand Eingang in seinem Herzen. Er beschloß ihm zur Entschädigung Eure Hand anzubieten, und noch im letzten Todeskampfe ließ er mich, bei Allem was unsere Religion Heiliges enthält, schwören, Eure Vermälung mit Don Ambrosio zu bewirken, und alle Mittel aufzubieten, Euch mit ihm zu vereinen, damit er Ruhe finden möge im Grabe und Erlösung aus dem Fegefeuer.

Die Achtung, die ich Eurem Stande schuldig bin, antwortete Viola empört, kann mich der heiligen Pflicht, das Andenken meines Vaters zu ehren und von dem Schlangengifte der Verläumdung zu reinigen, nicht entbinden. Ihr aber seid es, der ihn durch die erbärmlichsten Erdichtungen verläumdet; nie war mein Vater einer solchen Niederträchtigkeit fähig, wie Ihr ihn beschuldigt und womit Eure Undankbarkeit den bis jetzt ehrenvollen Lauf seines Lebens befleckt. Der Erzbischof von Montreal war der einzige, der seine letzte Beichte vernahm; hätte er wirklich über seine Tochter bestimmen wollen, so würde mein Vater diesen ehrwürdigen Prälaten zum Vertrauten und Vollstrecker seines letzten Willens gewählt und keinem Untergeordneten sein Herz geöffnet haben, den er längst aus seinem Dienste hatte entlassen sollen, gegen den er aber zu nachsichtig gewesen ist.

Ungeachtet Violens Entschlossenheit den Pater verwirrte, so bestand er doch frech darauf, die Wahrheit gesagt zu haben; ja, er erkühnte sich ihr selbst im Namen des hohen Gottes zu befehlen, dem Willen des sterbenden Vaters zu gehorchen, und als er sah, daß sie ihn keiner Antwort würdigte und sich mit Abscheu und Verachtung von ihm wandte, so nannte er sie eine gottlose, entartete Tochter und sprach den Fluch und Kirchenbann über sie aus. Doch alles dieses erschütterte Violen nicht; ihre aufgeklärte Frömmigkeit schützte sie vor der Furcht, daß der Himmel ein von dem unwürdigsten seiner Diener gegen sie geschleudertes Urtheil bestätigen könnte. Sie wandte sich zu Don Ambrosio, der noch immer schwieg und mit einem heimlichen, unwillkürlichen Entzücken diesen Kampf der Tugend mit dem Laster betrachtete, in welchem die erstere ihre ganze Stärke und Größe entfaltete und das Laster betäubt und knirschend sich seiner Ohnmacht schämte.

Don Ambrosio, redete sie ihn an, ohne Erröthen darf ich Euch die Gefühle, die ich früher für Euch empfand, gestehen, -- sie sind dahin, -- jetzt beseelt mich nur der innigste Wunsch, Euch mit der Tugend wieder auszusöhnen, damit ich nicht gezwungen werde, einen Mann, den mein Herz geliebt hat, dem Schändlichsten und Verächtlichsten, das je die Erde getragen, beizugesellen. Ja, ich habe Euch geliebt, denn ich liebte in Euch die Tugend, und glaubte in Euch ihren eifrigsten Verehrer zu erkennen. Ich weiß, nicht immer habt Ihr sie verkannt; viele Eurer Handlungen tragen ihr Gepräge und wenn auch die Heftigkeit Eurer Leidenschaften Euch oft zu Verirrungen hingerissen hat, die sie tadelnd verwirft, so will ich doch zu meiner eignen Beruhigung den Wahn nicht unterdrücken, daß ihre Macht auch jetzt noch auf Euch wirkt. Gebt mir einen Beweis, daß Ihr mich, daß Ihr die Tugend ehrt, befreit mich von den Gewaltthätigkeiten, die mir hier zu drohen scheinen. Ihr wißt, mein Herz und meine Hand könnt Ihr nie besitzen.

Dieses sprach sie mit einem ausdrucksvollen strengen Blicke, der Montalvan's Antlitz mit Blässe überzog.

Wenn Ihr mich aber jetzt beschützt, und die bösen Absichten dieses Elenden vereitelt, der das heilige Gewand entehrt, so soll meine Seele den Gedanken fest verwahren, daß Ihr für die Stimme der Ehre und Großmuth nicht ganz gefühllos geworden seid.

Der Anfang ihrer Anrede hatte Don Ambrosio lebhaft erschüttert, die an seine Großmuth und seinen Schutz gerichtete Aufforderung, der deutlichste Beweiß, daß noch eine Spur von Zutrauen zu ihm sich bei ihr rege, schmeichelte dem stolzen Spanier und war ein mächtiger Reiz für ihn, sich dieses Zutrauens würdig zu zeigen; aber ihre letzten Worte, ihr bedeutungsvoller Blick erstickten den tugendhaften Funken, noch ehe er bei ihm aufgeglimmt war. Viola verstand sein düsteres Stillschweigen nur zu gut; sie wollte daher einen letzten Versuch wagen.

Zingareska, sprach sie zu ihrer Dienerin, öffnet die Thür und folgt mir nach dem Schlosse und Ihr, Pater Leopold, hüthet Euch, dort wieder zu erscheinen. Nach diesen Worten war sie im Begriff sich zu entfernen, aber Zingareska, die ihre Stellung mit dem Rücken gegen die Thür genommen hatte, schien nicht geneigt ihr zu gehorchen.

Habt Ihr mich nicht verstanden? fragte auch von dieser Seite Verrath ahnend Viola.

Ich verstand Euch wohl, Signora, antwortete jene, aber Ihr seid hieher geführt, um den letzten Willen Eures Vaters zu erfüllen, und dürft Euch daher nicht eher entfernen, als bis der Zweck erreicht sei.

Allmächtiger Gott, beschütze mich! schrie Viola voll Entsetzen.

Nein, fing der Pater an, Gott beschützt keine ungehorsame Tochter, unterwerft Euch seinem und Eures Vaters Willen, aller Widerstand ist vergeblich; Niemand wird Euch hören und ich bin mit Allem versehen, um sogleich Eure Vermälung vollziehen zu können.

Ihr schreckt mich nicht, antwortete Viola, fest entschlossen, auch der äußersten Gewalt zu widerstreben, die schrecklichsten Qualen sollen mir meine Einwilligung nicht entreißen.

Ohne ihr zu antworten, bedeckte sich der Pater gelassen mit dem kirchlichen Gewande und zog das Buch der üblichen Gebete hervor. Beginnt nur, heiliger Vater, rief ihm Zingareska, zu beendet die heilige Handlung, das Seelenheil des Markis will ich gern mit einem Eide bekräftigen, daß sich seine Tochter freiwillig vermält hat.

In diesem Augenblicke erschienen zwei Fischer an der Thür der Hütte und erklärten, daß auch sie ihr Zeugniß anzubieten, bereitwillig wären.

Jetzt mangelt nichts mehr, fing der satanische Pater an, damit diese Verbindung gesetzlich vollzogen und constatirt werde. Ich als Caplan und Priester, beauftragt für die Vollziehung des väterlichen letzten Willens zu sorgen, knüpfe das eheliche Bündniß und segne die Vermälten ein, und diese rechtliche Frau mit diesen einfachen, wahrheitsliebenden Männern dienen als Zeugen und werden vor dem geistlichen Gerichte erforderlichen Falls das Einverständniß der Verlobten eidlich erhärten. -- Wohlan denn, Signora, laßt uns eilen, reicht mir Eure Hand. --

Jetzt war Violens Angst auf's Höchste gestiegen, aber der Himmel erhörte ihr leises Flehen und ließ sie nicht verzagen. Standhaft trat sie zurück, blickte Don Ambrosio mit unwilligem Blicke an und und forderte ihn auf, sich zu erklären, ob er Theil nehmen könne, an diesem schändlichen Verrath?

Ambrosio konnte den heldenmüthigen Widerstand des jungen Mädchens gegen die vereinten Anstrengungen der Ruchlosigkeit nicht sattsam bewundern; aber je mehr er sie bewunderte, desto heftiger tobte seine Leidenschaft in den glühenden Adern und voll Begierde ein so vollkommnes Wesen als Gattin zu besitzen, hielt ihn der Gedanke, ein Verbrechen mehr zu begehen, nicht ab. Er erklärte also, daß ihr Beispiel ihn begeistert habe und er entschlossen sei, seinen Vorsatz mit gleicher Standhaftigkeit zum Ziele zu fördern, daß, da sie unwürdigen Verdacht auf ihn geworfen, auch nicht gefürchtet habe, solchen durch ihre Blicke und Gebärden zu verrathen, er sich rächen müsse, und von der Süßigkeit dieser Rache doppelten Genuß erwarten dürfte.

Kaum hatte Don Ambrosio geendet, so näherte sich Zingareska ihrer Gebieterin, umfaßte sie mit kräftigen Armen und hielt sie auf dem Sessel, auf den sie hingesunken war, gefesselt. Der Pater Leopold begann die Vermälungsformel und schon näherte sich Montalvan der Halbohnmächtigen, ihrer zitternden Hand den unglücklichen Trauring aufzudringen, als die Thür plötzlich aufgerissen wurde und die Erlöste mit einem lauten Schrei in Clementinens und des Erzbischofs von Montreals Arme stürzte. -- Schnell entzog eine Thür im Winkel der Hütte die Schuldigen dem Zorne des Prälaten.

Als Viola sich entschloß den Pater Leopold nach der Hütte zu begleiten, beschäftigte sich Clementine mit einem Briefe an eine Freundin im Kloster der heiligen Rosalie, und in ihrer unruhigen Gemüthsbewegung vergaß Viola, jener ihr Vorhaben mitzutheilen; bis endlich Clementine die Unentbehrliche überall, sogar im Parke suchend, von dem Gärtner erfuhr, daß sie in Begleitung des Paters Leopold und Zingaresken den Garten verlassen habe und nach der Gegend des Flusses gewandert sei. Clementine, die unzertrennliche Begleiterin Violens, erstaunte darüber, daß jene wider Gewohnheit ohne sie gegangen sein konnte, folgte indeß der Spur im Sande, rief Violen mehrere Male und als sie nach einer Weile die am Schilfe liegende Hütte und nicht weit von derselben Fußstapfen entdeckte, so erinnerte sie sich jetzt erst des erkrankten Spaniers; und besorgt, daß dieser lasterhafte, unternehmende Mann zu allem fähig sein könnte, eilte sie der Thür zu, um sich zu überzeugen, ob Viola im Innern sei. Zwar fand sie diese von innen verschlossen, aber Violens klagende Stimme, die in ihr Ohr tönte, obgleich solche bald von den Stimmen ihrer Verfolger betäubt wurde, überzeugte sie, daß hier Noth vorhanden sei und schändliche Gewaltthaten verübt werden sollten. Clementinens Angst und Bestürzung droheten bei dem Gedanken an ihre Ohnmacht mit ihren Sinnen zu entfliehen, als das Rollen eines Wagens, der über die unferne Heerstraße von Palermo her fuhr, ihren Muth und ihre Hoffnung wieder belebte. Schnell die Entfernung mit einem Blicke beurtheilend eilte sie mit beflügelten Schritten dem Wagen entgegen und bat um Beistand. Grenzenlos war aber ihre Freude beim Anblick des Erzbischofs von Montreal, den der glücklichste Zufall vorüberführte, um seine jungen Freundinnen im Schlosse zu besuchen; mit wenigen Worten unterrichtete sie den edlen Greis von der Gefahr, in welcher sich Viola befinden mußte, und sogleich verließ der zürnende Prälat, stets ein Schutzengel des Bedrängten, den Wagen, befahl seinen Dienern, die Thür der Hütte zu zerbrechen, und befreiete auf solche Weise Violen aus der Gewalt des Lasters, das nur noch wenige Augenblicke bedurfte, um über die Unschuld zu triumphiren.

Nach ihrer gemeinschaftlichen Rückkehr ins Schloß wollte sogar das Gefühl sich gerettet zu wissen, Violens heftig wallendes Blut nicht beruhigen; sie so wenig wie ihre theure Clementine konnte sich von der ausgestandenen Angst den Tag über wieder erholen, und unmöglich war es ihnen an dem Abendessen des Erzbischofs, der den Tadel über die Unbesonnenheit seiner Nichte bis Morgen verschob, Theil zu nehmen. Er aß daher allein, verließ sie bald darauf, um ihnen die nöthige Ruhe nicht länger zu entziehen, ermahnte sie der Vorsehung für die Befreiung, welche man nur ihrem mächtigen Schutze allein zuschreiben könnte, zu danken, umarmte sie zärtlich, segnete die Gerührten und trennte sich dann von ihnen, ach! um sie nur in der Ewigkeit wiederzusehn. --

Am andern Morgen fand der Kammerdiener des Prälaten im Augenblicke, als er die Bettvorhänge des verehrten, ungewöhnlich lange ruhenden Greises öffnete, seinen Herrn entseelt. -- Welch ein Zuwachs zu dem Schmerze und der Angst der unglücklichen Nichten!

Der heilige Mann hatte sich im Genusse einer für sein Alter vortrefflichen Gesundheit niedergelegt, sein Gesicht war wenig entstellt und an seinem Körper entdeckte man keine Spur von Verletzung oder sonstiger Gewaltthätigkeit. Sogleich schickte man zuverlässige Bothen an den Clerikus in Palermo, und um die erfahrensten Wundärzte herbeizuholen, deren Untersuchung die Ursache eines so schnellen Todes vielleicht enthüllen konnte; auch unterrichtete man das Kloster von St. Rosalia von dem unglücklichen Ereigniß. Vier und zwanzig Stunden verstrichen indeß, ohne daß man weder von Palermo, noch aus dem Kloster Nachricht erhielt, oder einen von den Abgesandten zurückkommen sah. Es stand nicht zu vermuthen, daß die Geistlichkeit den entseelten Leichnam ihres geliebten Hirten freiwillig so lange ohne priesterliche Bewachung lassen würde, es musste sich daher den unglücklichen Waisen und selbst den übrigen Bewohnern des Schlosses der Argwohn aufdrängen, daß irgend ein geheimes Hinderniß die Verbindung des Schlosses mit der Stadt aufgehoben habe, und dieser erste,Argwohn fiel anklagend auf Don Ambrosio und seine schändlichen Verbündeten; mithin war der Tod des Erzbischofs ihr abscheuliches Werk. Die Maasregeln, die sie ergriffen hatten, die Verbreitung der Nachricht von dem plötzlichen Absterben des Prälaten zu verzögern, die Leichtigkeit, die sich ihnen dargeboten, das Verbrechen zu vollbringen und die Absicht, warum es vollzogen, bewiesen deutlich, daß noch andere Frevelthaten folgen sollten, und daß die beiden unglücklichen Waisen auch jetzt noch der schrecklichen Gewalt ihrer grausamen Feinde ausgesetzt waren.

In dem Augenblicke, wo der Erzbischof in der Thür der Hütte sichtbar wurde, hatte sich die Räuberrotte, wie erzählt, schnell durch die Flucht gerettet, und Ambrosio mit Hülfe der bereitstehenden Pferde Palermo erreicht, wo er sich im Hafen auf einem Schiffe, das zur Entführung Violens bestimmt vor Anker lag, verbarg. Die andern Uebelthäter hatten sich nach verschiedenen Seiten zerstreut, aber der schändliche Leopold schied mit der Versicherung von Don Ambrosio, daß er den Anschlag nicht für verlohren halte, und er bald Kunde von ihm und seiner Wirksamkeit erhalten sollte.

Wirklich gelangte der abscheuliche Mönch auf selten betretenen, engen Pfaden durch das dichte Gehölz bis in den Park des Schlosses, verbarg sich bis zur Dunkelheit im Gebüsch und schlich sich dann durch eine Hinterthür in die Burg, die Blicke derjenigen, die er fürchten mußte, sorgfältig vermeidend. Die Anzahl derselben war aber leider nicht groß, weil fast alle in der frühern Zeit seines Einflusses von ihm gewählte oder durch seine Freunde empfohlene Diener von ihm abhängig waren, und er daher nur zu leicht Nichtswürdige fand, die, wenn sie auch gleich seinen strafbaren Handlungen keine hülfreiche Hand leisteten, doch den Unhold verbargen, statt ihn der strafenden Gerechtigkeit auszuliefern. Von diesen erfuhr der Pater die Absicht des Erzbischofs, am nächsten Morgen seine Nichten nach dem Kloster der heiligen Rosalia zu geleiten und sie dort so lange zu lassen, bis Don Ambrosio, in so fern man seiner nicht habhaft werden könnte, Siziliens Boden verlassen hatte, und daß er in Palermo zugleich bei den geistlichen und weltlichen Gerichten die Verfolgung und Bestrafung des Paters Leopold und der übrigen Mitschuldigen einzuleiten, entschlossen sei. -- Um sich zu retten, zögerte Leopold keinen Augenblick, zu den schrecklichsten Verbrechen seine Zuflucht zu nehmen. -- Am Abende ließ er durch einen getreuen Anhänger den Wein des Prälaten mit Opium vermischen, wonach denselben bald darauf ein betäubender Schlaf überfiel, und als nun der Ruchlose sich überzeugt hatte, daß alle Bewohner des Schlosses zur Ruhe gegangen waren, so schlich er sich, vom Dunkel der Nacht begünstigt, in das Schlafzimmer des Erzbischofs und erstickte mit Hülfe eines Dieners, den er bestochen hatte, den unglücklichen Greis mit seinen Kissen. Dann begaben sich die Mörder gegen Morgen, zu den übrigen Pflichtvergessenen, die sie im Stalle erwarteten, und verließen mit denselben, ohne ihnen jedoch die begangene Greuelthat zu entdecken, das Schloß; Leopold vertheilte sie an verschiedene Stellen der Heerstraße nach Palermo und befahl ihnen, mit dem Versprechen reichlicher Belohnung, wärend des Tages und der darauf folgenden Nacht, auf alle mögliche Weise zu verhindern, daß Jemand aus dem Schlosse die Stadt erreiche, ja er verhieß ihnen Vergebung ihrer Sünden für das ganze Leben, im Fall etwa die Vollstreckung der von ihm angeordneten Maasregeln, sie dazu zwingen sollte, Blut zu vergießen. Hierauf spornte er das aus dem Schlosse entwendete Pferd, und jagte der Gegend zu, wo er den reichen Spanier, der seine Dienste erkauft und königlich zur belohnen gelobt hatte, zu finden hoffte.

Viola und Clementine beweinten inzwischen den unersetzlichen Verlust ihres Vaters und Beschützers und haderten trostlos mit dem Schicksale, daß in so kurzer Zeit sie mit so vielen Unglücksfällen heimgesucht hatte, und sie in einem Augenblicke alles Beistandes beraubte, wo unbekannte Gefahren um sie her gelagert waren und die Furchtsamen, durch arge Erfahrung Belehrten, von ihrer Umgebung Niemandem trauen zu dürfen, glaubten. Arm in Arm standen beide Freundinnen mit bleichen, feuchten Wangen an einem offenen Fenster, schauten mit ängstlichen Blicken nach den Thurmspitzen des nahen Palermo's, woher sie Hülfe erwarten konnten und unterhielten sich in Trauer versenkt über ihre grausame Lage, als ein kleiner Stein, der von unten heraufgeworfen zu sein schien, in die Mitte des Gemaches fiel. Die erschreckte Clementine bemerkte zuerst, daß ein Streifen Papier um denselben gewickelt gewesen sei, sie hob ihn auf und fand auf demselben mit undeutlicher Schrift, die des Verfassers Ungewohnheit im Schreiben verbürgte, folgende Zeilen:

Verehrungswürdige, theure Signora Viola und Clementine!

Ein treuer Diener, der über die hier vollbrachte, gräuliche That mit Mühe nur seine Bestürzung und seinen Umwillen verbirgt, der aber leider selbst die Rache der Boshaften fürchten muß, hält es für seine Pflicht, Euch zu benachrichtigen, daß Euch das Verbrechen umgiebt, und dieses Schloß der Unschuld nicht länger zum Schutzorte dienen kann.«

In ängstlicher Verwirrung starrten beide Freundinnen auf die anonyme Warnung, die außer ihrer eignen mit jedem Augenblicke steigenden Gefahr, auch die Todesart des unglücklichen Oheims, deutlich bezeichnete.

Wen anders sollten sie des Mordes anklagen als Ambrosio und Leopold, und wie konnten sie, ohne Zittern sich dem Gedanken überlassen, daß sie Beide noch immer im Bereiche der Nachstellungen dieser Ungeheuer eingeschlossen und ohne Mittel waren, irgend einen Freund zur Rettung herbeizurufen, da ihre Bothen nach Palermo aufgefangen wurden, die Verbindung mit der Stadt abgeschnitten zu sein schien und sogar unter der Zahl ihrer Diener sich bestochene Verräther befinden mußten?

Was soll aus uns werden? -- klagte händeringend Viola.

Laß uns fliehen, antwortete Clementine, unser Verderben ist unausbleiblich, wenn wir nicht augenblicklich Sizilien verlassen.

Wie können wir fliehen, wie dieses Schloß verlassen? glaubst Du, daß es uns leichter sein werde, nach Palermo zu gelangen, als unsere Abgeschickten?

Wir vermeiden die große Straße nach der Stadt, folgen dem Wege am jenseitigen Ufer, damit wir die schändliche Fischerhütte umgehen, täuschen so die auflauernden Verräther, suchen eine Fischerbarke und lassen uns in kurzer Zeit über den Fluß setzen.

Ach, liebe Cousine; Deine lebhafte Fantasie verirrt Dich. Wir müssen tausend Hindernisse fürchten; und selbst wenn wir Muth genug finden könnten, ihnen zu trotzen, bietet sich uns ein Zufluchtsort in der Welt an? -- Wohin sollen wir uns wenden? --

Nach Neapel, wo wir mächtigen Schutz finden.

Nach Neapel -- und welchen Schutz?

Die Protection der Herzogin von Manfredonia. Erinnere Dich doch, Viola, was wurde nicht Gutes in Palermo von ihr erzählt, wie viel Achtung und Bewunderung hegte der Erzbischof nicht für sie. Nannte er sie nicht die Mutter der Nothleidenden, die Beschützerin der Unglücklichen?

Ja, Clementine, Alles dieses ist mir noch sehr wohl erinnerlich. Unser Name ist ihr bekannt, ich weiß sogar, daß eine entfernte Verwandschaft unserer Familie statt findet; aber hält sich nicht der junge Herzog, ihr Enkel, bei ihr auf?

Nun ja, aber was thut das?

Vielleicht mögte es sich nicht ganz mit der Wohlanständigkeit vertragen, wenn wir in einem Hause einen Zufluchtsort suchen wollten, das beständig von einem jungen, unverehligten Manne bewohnt wird?

Theure Cousine, mein Gott, wie kann Dich eine solche Bedenklichkeit in der schrecklichen Lage, worin wir uns gegenwärtig befinden, wol aufhalten? Die Herzogin wird besser als wir die Gesetze der Wohlanständigkeit zu unterscheiden wissen; findet sie es dann nicht angemessen, uns bei sich zu behalten, so giebt es ja Nonnenklöster genug in Neapel.

Du hast vollkommen recht, Clementine; aber getraust Du Dir es auch wol, uns zu versprechen, daß wir mit einiger Sicherheit nur den Versuch wagen können, das Schloß zu verlassen?

Diese Kühnheit habe ich freilich nicht, aber sollen wir denn hier in Erwartung des Schrecklichsten, vor Angst vergehen? Diese Aussicht muß uns Muth einflößen und uns Mittel finden lassen, an die wir gar nicht denken. Zum Beispiel -- ja, dieser Gedanke stärkt mich mit Hoffnung, der Verfasser des warnenden Billets, Viola, wäre das nicht der Mann, von dem wir Hülfe erwarten dürfen?

Ohne Zweifel, aber wer ist er, sein Billet giebt uns keine Spur? -- Ich kenne auch keinen, dem ich so viel Edelmuth -- -- doch halt, o mein Gott, ich vergaß Bernardo, den guten Bernardo. Ja, wenn dieser ehrliche Mann uns helfen will und kann, so sind wir gerettet.

Er ist es, er ist's gewiß! fiel Clementine mit einer Lebhaftigkeit ein, die Viola belächeln mußte. Aber wer ist denn dieser Bernardo, ich habe ja nicht von ihm reden gehört?

Du machst mir da, ohne es zu wollen, einen Vorwurf, Clementine, den ich verdiene, denn dieser brave Mann hat einst meinem Vater auf einer Seereise das Leben gerettet. Er war Matrose, erhielt schwer verwundet seinen Abschied und Dienste bei meinem Vater, der ihn für seine Anhänglichkeit, der er die Erhaltung seines Lebens verdankte, zu belohnen beabsichtigte. Später hat sich Bernardo, in der Zeit als ich das Kloster bewohnte, die Ungnade des Markis zugezogen, durch welche Veranlassung, ist mit nicht genau bekannt. Er war dem Pater Leopold nicht hold und dieser haßte ihn.

Er ist es ohne allen Zweifel, unterbrach sie Clementine, ist er hier?

Ja, der Caplan hatte ihn aus Palermo hieher verweisen lassen und -- --

Meine liebe Viola, Du hast Dich nicht getäuscht, Bernardo ist ein treuer Diener, er wird, den schändlichen Caplan durchschaut und uns dieses Billet geschrieben haben, doch fahre fort.

Als ich Besitz von diesem Schlosse nahm, befand er sich unter der Dienerschaft, die mich empfing, nicht, und als ich den Caplan deshalb befragte, antwortete mir dieser, daß er sich fürchte, Allmosen annehmen zu müssen, weil er von meinem Vater hinlänglich versorgt sei und keiner weitern Unterstützung bedürfe.

Kein Zweifel mehr, liebe Viola, Bernardo ist der Mann, den wir suchen; laß uns bemüht sein ihn aufzufinden, ich bin gewiß, er wird den Augenblick bereit sein, uns selbst nach Neapel zu begleiten. Aber kennst Du sein Gesicht?

Ja, ich habe ihn zweimal gesehn; die Ehrlichkeit ist auf seinem Gesichte ausgedrückt und seine Antworten haben mir damals sehr gefallen.

Wo wohnt er?

In dem Pavillon bei den Ställen, welcher vom Schlosse der entfernteste ist. Aber, Clementine, laß uns vorsichtig handeln, und ja nicht vergessen, daß wir aufmerksam beobachtet werden.

Ich denke unaufhörlich daran, indeß muß man etwas wagen, Viola, sonst läßt sich nichts erlangen. Die Nacht ist schon weit vorgerückt, wir wollen nicht schlafen gehn, laß uns den Anbruch des Morgens hier am Fenster erwarten, vielleicht sind wir so glücklich, Bernardo zu sehen. Ist er es, der uns geschrieben hat, was ich fest glaube, so wird er eben so sehr darnach verlangen uns zu erblicken, als wir ihn, und zu erfahren, welchen Entschluß wir ergreifen wollen.

Violen schien dieser Rath ihrer Cousine um so richtiger, als ihre Fenster die Aufsicht nach dem Garten hatten, die Dienerschaft aber auf dem Hofe wohnte. Unter ihren Fenstern breitete sich ein laubiges Bosket aus und über die Gipfel der Bäume ragten in der Ferne Palermo's Thürme hervor. Noch sah man kaum einen schwachen Schimmer der Morgendämmerung, als Clementine zitternd zu der Freundin flüsterte:

Ach, sieh doch, Viola, ich erblicke einen Schatten der sich bewegt, es muß Jemand im Gebüsche sein.

Bedenke daß es ein Verräther sein kann, liebe Clementine.

Bedenke ebenfalls, liebe Viola, daß sich eine Gelegenheit nicht wiederfinden mögte, die wir aus zu großer Furchtsamkeit verlieren. Doch laß mich machen, verbirg Dich hinter mir, ich will den einen Flügel des Fensters öffnen, anscheinend der frischen Luft halber, und Du betrachtest über meine Achsel den frühen Wanderer; erkennst Du Bernardo, so sind wir geborgen.

Viola willigte ein und ließ den Vorschlägen ihrer Freundin, wie auch ihrem Muthe bald volle Gerechtigkeit widerfahren. Kaum grauete der Morgen, so erblickte sie deutlich eine männliche Gestalt, die sich vorsichtig näherte, und bald erkannte Viola den ersehnten Bernardo. Die Entzückten legten Beide mit gleicher Bewegung ihre Hände auf's Herz, Bernardo ahmte ihnen nach, fiel auf seine Knie und zeigte zum Himmel hinauf. Die lebhafte Clementine gab ihm hierauf durch Zeichen zu verstehen, daß sie schreiben wolle, Bernardo nickte beifällig mit dem Kopfe und nach einigen Minuten warf sie ihm ein Billet, mit den wenigen Worten zu:

»Der Allmächtige hat Euch zu unserer Hülfe gesandt. Verschafft uns eine Barke, zeigt uns den Weg, den Tag, die Stunde, Gold und kostbare Steine sind in unsern Händen, und unsere Dankbarkeit wird nie von Euch weichen.«

Bernardo las das Billet, schrieb mit einem Bleistift einige Worte auf dessen Rückseite und warf es mit dem Steine wieder zurück.

Clementine laß:

»Habt die Gnade und begebt Euch diese Nacht um ein Uhr in das kleine Kabinet der Markise, und überlaßt das Weitere dem Manne, dem sein Leben nichts gilt, sobald er der Tochter des Markis von Palermo dienen kann.«

Sie gaben ihm nun durch einen Wink zu verstehen, daß sie bereit sein würden, worauf Bernardo sich schnell entfernte, die frohen Waisen aber hielten sich fest umarmt und sanken auf ihre Knie, der Vorsehung zu danken.

Der Tag däuchte ihnen ungewöhnlich lang, bei jedem Geräusche zitterten die Aengstlichen, aus Furcht, Ambrosio oder seinen schändlichen Vertrauten erscheinen zu sehen. Niemanden befremdete es, daß sie in ihrer jetzigen traurigen Lage, Beide nur ein Zimmer bewohnen wollten; aber sobald das Abenddunkel sich auf die Erde herabgesenkt, ihre Dienerinnen sie verlassen, und sie sich, um diese zu täuschen, niedergelegt hatten, stellte sich ihre Furchtsamkeit in verstärkterm Maaße wieder ein. Es schien ihnen, als ob ihr Vorsatz zu entfliehen, entdeckt sei, und die Verräther ihre Schritte belauerten, um sie zu verhindern, ihr Zimmer zu verlassen. Indeß wagte Clementine, herzhafter als ihre Cousine, es zuerst aufzustehen und behutsam an allen Thüren zu horchen, ob nicht etwa noch irgend einer der Bewohner wach, oder wol gar in der Nähe lauschend verborgen sei. Als sie nun nicht das mindeste Geräusch hörte und Violen beruhigt hatte, kleideten sich Beide wieder an, steckten so viel Gold als sie verbergen konnten und ihren Schmuck zu sich, schlichen in das bewußte Kabinet, empfahlen sich dem Schutze des Himmels und erwarteten, sich umschlungen haltend, den Augenblick der Befreiung.

Nach einer Stunde hörten sie die Uhr im Schlosse eins schlagen und gleich darauf ein leises Geräusch an einer kleinen Thür, die dem Eingange des Kabinets gegenüber befindlich war. Es schien, als ob Jemand mit Vorsicht und Vermeidung alles Geräusches einen Schlüssel im Schlosse versuchte. Die zitternden Mädchen wagten es nicht, sich von der Stelle zu rühren und fragten sich zuflüsternd:

Ist es unser Befreier der nahet, oder sind es feindlich gesinnte Verräther?

Endlich ging die Thür langsam auf und der ehrliche Bernardo erschien. Kommt, flüsterte er, wir dürfen keine Zeit verlieren; fürchtet die Dunkelheit nicht, ich kenne die Treppe und will zuerst hinabsteigen. Aber beobachtet ums Himmelswillen das strengste Stillschweigen.

Sie folgten ihm bebend; am Fuße der Treppe befand sich eine Thür, die in einen Gartensaal führte, wo ein Fenster geöffnet stand. Bernardo ließ sie durch dieses Fenster in den Garten hinabsteigen, und ihnen vorangehend geleitete er sie ins dichte Gebüsch, bis zu dem Eingang einer Grotte, aus der ihnen rabenschwarze Nacht entgegenquoll. Ihr Führer ermahnte sie treuherzig, nicht furchtsam zu sein und ihm ihre Hände zu reichen, damit er sie führen könne, ihm sei der Weg wohlbekannt und Licht könne sie verrathen. -- Stillschweigend fügten sich die Flüchtlinge in ihr Schicksal und folgten dem Matrosen, der sie durch eine lange, finstre Höhle über eine Viertelstunde hinter sich her zog, bis sie sich endlich wieder im Freien sahen und am Ufer befanden, auch nicht weit davon eine geräumige Barke bemerkten.

Das Wetter ist sehr schön, sprach der treue Diener, der Wind ist uns günstig, ich kenne das Meer und verbürge mich, daß unsere Ueberfahrt glücklich sein werde.

Ach, antworteten Beide einstimmig, wir fürchten nichts mehr. Der Tod würde nicht so schrecklich sein, als das Schicksal, was uns bedrohet hat.

Er ließ sie hierauf in die Barke einsteigen und benachrichtigte sie, daß er sie nach einem größern Fahrzeuge rudern werde, das sie in einer kleinen Entfernung erwarte. Wärend dieser kurzen Ueberfahrt erzählte er ihnen zugleich, wie er es angefangen hatte, die für sie gelegten Schlingen zu entdecken, und sie der Gefahr zu entziehen.

Von Natur still, einsilbig und anscheinend mürrisch, und mit der übrigen Dienerschaft, die er nicht leiden konnte, wenigen Umgang pflegend, hielt man im Allgemeinen sein Stillschweigen für eine Art von Einfalt und Keiner setzte Mistrauen in ihn oder war in seiner Gegenwart vorsichtiger; so sehr hielt man sich überzeugt, daß er von dem, was man redete, nichts verstehen würde. Bernardo kannte die Meinung, die man von ihm hegte; er hüthete sich, die Uebrigen eines Bessern zu belehren, sondern entschloß sich, diese Meinung zu benutzen und über das Wohl der Familie, der er mit ganzer Seele zugethan war, zu wachen. Da er nun zufällig bemerkte, daß der Pater Leopold verschiedentlich mit Zingareska heimlicherweise flüsterte und verkehrte, auch die beiden Diener, welche früher des Markis völliges Vertrauen besessen, diesen Zusammenkünften beiwohnten, so entstand bei ihm Verdacht, und er fand es gerathen, sich dem Hause mehr zu nähern, um nöthigenfalls der jungen Markise dienen zu können. Freiwillig half er bei allen Arbeiten, verlangte nie Belohnung und war unermüdet; dieses fanden die Diener im Schlosse so bequem, daß sie ihn unaufhörlich zu beschäftigen wußten, und die einfältige Bereitwilligkeit des gutmüthigen Alten belächelten. Das in der Fischerhütte angestiftete Komplott war ihm inzwischen doch entgangen; kaum erfuhr er aber den Vorfall, so schlug er unter irgend einem Vorwande seinen Wohnort im Bezirke des Schlosses auf; und da ihm die Gesinnungen des dienenden Personals genau bekannt geworden waren, und er die Gefährlichen von den Unschädlichen zu unterscheiden wußte, so konnte er unbemerkt ein lauschendes Ohr und Auge für alles, was vorging, haben.

In der Nacht also, wo der Erzbischof starb, hatte Bernardo den Verräther Leopold und seinen Spießgesellen aus dem Flügel des Schlosses, den der Prälat gewöhnlich bewohnte, kommen und den Weg nach den Ställen nehmen sehen; er war ihnen im Dunkel nachgeschlichen, hatte sich an einem Orte, wo er ihr Gespräch hören konnte, versteckt, und auf solche Art die schändlichen Vorkehrungen entdeckt, welche man nehmen wollte, um Violen und Clementinen in der zweiten Nacht zu entführen.

Nachdem sich die beiden Verräther entfernt hatten, ließ es sich der erschrockene Matrose angelegen sein, das bewußte Billet so gut es ihm gelingen wollte, zu schreiben, und in der Voraussetzung, daß der traurige Vorfall den beiden Waisen alle Neigung zum Schlafe benehmen würde, hatte er im Parke unter ihren Fenstern den Augenblick abgelauert, wo er die Warnung ihnen zuwerfen konnte. Seine Hoffnung hatte ihn nicht getäuscht, seine Absicht gelang ihm vollkommen und da er unter den herrschenden, mislichen Umständen wohl einsah, daß nur Flucht die Schandthat verhüthen konnte, so hatte er sich vorläufig mit den Anstalten dazu beschäftigt. Noch immer leidenschaftlicher Verehrer des Seewesens, wußte er, daß an der Küste ein nach Neapel bestimmtes Fahrzeug vor Anker liege; der Untersteuermann war aus frühern Zeiten sein vertrauter Freund, deshalb zweifelte er nicht, daß dieser ihm von dem Schiffsherrn die Erlaubniß auswirken werde, die beiden letzten Zweige einer so erlauchten Familie an Bord aufzunehmen. In dieser Zuversicht hatte er Violen und Clementinen benachrichtigt, daß sie sich um Mitternacht bereit halten mögten, und sich eine Barke zu verschaffen gewußt, die er bis zum Augenblicke, wo er sie nöthig haben würde, im Schilfe verbarg. Den dunkeln Höhlengang und dessen Verbindung mit der Grotte im Parke hatte ihm einst sein alter Freund, der seit einigen Jahren verstorbene Gärtner gezeigt und er damals oft diesen finstern Pfad benutzt, um ungesehn und auf näherm Wege an den Strand zu gelangen, wo er in müßigen Stunden seiner Lieblingsbeschäftigung, der Fischerei, nachhing. Er wußte, daß aus dem Gartensaale eine Treppe in das Zimmer der Markise hinaufführe, weil er oft dem alten Gärtner bei dem Begießen der seltnen Gewächse, die zu Winterszeit in diesem Saale aufbewahrt wurden, geholfen hatte. Aber die größte Schwierigkeit bestand darin, sich des Schlüssels zu der Kabinetsthür zu bemächtigen. Glücklicherweise kam ihm der Zufall zu Hülfe, denn im Begriff das Schloß von der Thüre zu brechen und zu diesem Behufe ein festes Werkzeug suchend, fand er unter altem, abgenutzten Eisengeräthe ein rostiges Schlüsselbund und an diesem einen Schlüssel, der, nachdem er ihn vom Roste gereinigt und mit Oel bestrichen hatte, zu dem Schlosse paßte. Zu der verschlossenen Thür des Gartensaals bedurfte er keines Schlüssels; vorsichtig zerbrach er eine Scheibe, öffnete ein Fenster und stieg ohne Mühe hinein. Als nun auf diese Weise solche Maaßregeln zur bevorstehenden Flucht getroffen waren, die einen günstigen Erfolg zu sichern schienen, und die zur Erlösung bestimmte Stunde heranrückte, so schlich Bernardo auf Kundschaft umher und fand zu seiner Beruhigung diejenigen von der Dienerschaft, welche mit dem Pater Leopold im Einverständniß und zur Entführung der Nichten des Erzbischofs hülfreiche Hand zu leisten, bestochen waren, bei den Weinflaschen beschäftigt und der Ankunft ihres saubern Verführers harrend. -- Noch ehe der Glockenschlag durch die Nacht verhallte, lauschte der treue Matrose mit einem scharfen Messer, statt des Dolches, bewaffnet, im Gartensaale, rief seinen Schutzheiligen um Beistand an, öffnete behutsam die Thür und war so glücklich in der Entführung beider liebenswürdigen Waisen, es dem geistlichen Verräther zuvorzuthun.

Ohne Weigerung nahm man sie, wie Bernardo gehofft hatte, am Bord des Fahrzeugs auf und behandelte sie mit der größten Ehrerbietung. -- Der ehrliche Matrose voll Jubel über das Gelingen und daß er noch einmal vor seinem Ende das geliebte Meer befahren konnte, sorgte für die Bequemlichkeit seiner jungen Gebieterinnen; die Ueberfahrt war glücklich, und ohne Unfall erreichten sie Neapel und ließen sich nach dem Pallaste der Herzogin von Manfredonia führen.

Kaum nannten sie der freundlichen Herzogin ihre Namen, so streckte ihnen diese die offenen Arme entgegen und drückte sie abwechselnd an ihre Brust. Die Nichte und Mündel ihres würdigen Freundes, des Erzbischofs von Montreal, hatten in den Augen dieser achtungswerthen Frau, eben so viel Anspruch auf ihre Zärtlichkeit als ihre eignen Kinder. Sie fühlte sich von einer wahrhaft mütterlichen Neigung zu ihnen hingezogen, und dieses Gefühl drückte sich so lebhaft durch die Liebkosungen, die sie an Beiden verschwendete, aus, daß die jungen Waisen, gerührt und unter Vergießung dankbarer Thränen der Herzogin ihre Herzen, wie der zärtlichsten und geliebtesten Mutter öffneten.

Bereits in einem Alter von sechs und siebenzig Jahren, hatte die Herzogin weder die Lebhaftigkeit noch die Geistesstärke früherer Zeiten verlohren und ihre vortrefflichen Tugenden schärften die Hochachtung, welche die Festigkeit ihres Charakters und ihre seltene Thätigkeit jedem, der sie kannte, abgewinnen mußten. Bei dieser Gelegenheit äußerten sich diese, durch den großmüthigsten Schutz, den sie ihren beiden jungen Freundinnen feierlich versprach. Obgleich ihr Enkel, der Herzog, sich zu selbiger Zeit auf seinen Reisen mit dem Grafen Elfridi, seinem vertrauten Freund, im toskanischen Gebiete befand, so wollte sie doch in einer Angelegenheit von solcher Wichtigkeit durch keine fremde Hülfe zum Vortheil der gekränkten Unschuld wirken; sie warf sich vielmehr in eigner Person zu den Füßen des Monarchen, um seine Gerechtigkeit zur Bestrafung der Schandthaten, die sie mit Grausen vernommen hatte, zu erflehen.

Diese Gerechtigkeit blieb dasmal wider Gewohnheit nicht lange unthätig. Der König ernannte sogleich Commissarien, welche mit der nöthigen Vollmacht ausgerüstet, unverzüglich nach Sizilien abreiseten. -- Zwar hatten die Schuldigen sich durch schnelle Flucht einer körperlichen Strafe entzogen, doch konnten sie die Schande, welche die Gesetze über sie verhängten, nicht vermeiden. Ueber den Pater Leopold wurde der Kirchenbann ausgesprochen, er seiner geistlichen Würde beraubt, auf Lebenszeit aus dem Königreiche verbannt, und das Urtheil nach seiner Publikation an allen Orten angeschlagen. Dann brachten die Commissarien die Vermögensumstände der Markise von Palermo in Ordnung, verwalteten solche eine Zeitlang, worauf der König zu Vormündern über Violen und die junge Miß Stanhope, einen sizilianischen Edelmann von unbescholtenem Rufe und die Herzogin von Manfredonia ernannte. Ueberzeugt, daß sie das Glück ihrer edlen Beschützerin vermehren würden, wenn sie, worum sie so inständig bat, in ihr die Mutter liebten, von der sie nur der Tod trennen konnte, dachten die beiden Nichten nicht weiter an die, im ersten Augenblicke in der Jugend des Herzogs ihnen aufgestoßene Schwierigkeit, noch weniger aber an ihren Vorsatz, ein Kloster zum Aufenthalte zu erwählen.

 


Vierzehntes Kapitel.

Der Herzog von Manfredonia und sein Freund, der Graf Elfridi, kehrten nach einiger Zeit von ihren Reisen zurück, beide gleich begierig, die schönen Flüchtlinge zu sehen, von denen die Herzogin in ihren Briefen das reizendste Gemälde entworfen hatte.

Violens Angst für ihre persönliche Sicherheit und ihre Besorgniß, daß sie die Verfolgungen noch ereilen könnten, hatten ihrem regen immer gespannter Geiste nicht gestattet, sich mit ihrem Grame zu beschäftigen; dieser war aber deshalb nicht geschwächt, und als sie nun nichts mehr zu fürchten brauchte und sie ungestört ihrer Schwermuth nachhängen und über die Reihe der Unglücksfälle, die sie in kurzer Zeit betroffen hatten, ruhige Betrachtungen anstellen konnte, empfand sie erst, wie viel sie verlohren, wie viel sie zu betrauern hatte; und selbst die liebreiche Aufnahme, die Zärtlichkeit der theilnehmenden Herzogin konnte ihr das Verlohrne nicht ersetzen. Der schreckliche Auftritt in der Fischerhütte, die unglücklichen Folgen desselben und die ausgestandene Angst mußten ihrer Gesundheit nachtheilig werden, daher sie denn mehrere Wochen nach ihrer Ankunft in Neapel noch so schwach und leidend war, daß sie ihr Zimmer nicht verlassen konnte.

Clementine theilte mit schwesterlicher Liebe ihren Gram; da sie aber der Gedanke nicht peinigte, die unschuldige Ursache an der Ermordung ihres Vaters und Oheims geworden zu sein, ein Vorwurf der mit schrecklichen Traumbildern Violens nächtliche Ruhe störte, so erholte sie sich bald wieder, leistete der Herzogin mehrere Stunden des Tages Gesellschaft und sah bei ihr den jungen Herzog und seinen Freund, ehe noch Viola vor ihnen erscheinen konnte.

Clementinens Verstand und ihre Schönheit entzückten den Herzog, schwächten inzwischen seine Ungeduld, Violen, die er als eine seltene Erscheinung betrachtete, nicht, und mit jedem Tage stieg sein Verlangen, ein siebenzehnjähriges Mädchen kennen zu lernen, das den schrecklichsten Gefahren trotzen konnte, einzig in der Absicht, einem jungen, schönen und mit Leidenschaft liebenden Anbeter zu entfliehen. -- Endlich erfüllte der Himmel seinen Wunsch, aber von dem Augenblick an, wo er Violen sah und ihre bezaubernde Stimme hörte, liebte auch er sie mit gleichem Feuer und verzweifelte, daß es ihm gelingen werde, ihr zu gefallen.

Eine fast übertriebene Bescheidenheit schien den liebenswürdigen Eigenschaften, wodurch sich der Herzog vor vielen Andern auszeichnete, einen besondern Glanz zu gewähren. Seine Schönheit, wenn gleich weniger regelmäßig als Don Ambrosio's, besaß noch mehr Anziehendes und Sanftes, sie sprach mehr zum Herzen als zur Einbildungskraft. Sein gefälliges Aeußere war jedoch nur der geringste seiner Vorzüge; sein Geist, seine Herzensgüte und sein reiner Begriff von den menschlichen Tugenden, verbunden mit dem aufrichtigen Bestreben, sie zu üben, waren hinreichend, ihm die Liebe eines jeden Weibes, das in seiner Seele Neigung für das Beste, das Liebenswürdigste auf der Welt empfand, zu gewinnen. Dieses Vortheils unbewußt, bewunderte der Herzog die schöne und gute Viola, doch hielt er sich nicht würdig, ihre Hand zu besitzen, und fürchtete mit so vielen andern Bewerbern, deren Antrag von ihr auf die schonungsvollste Weise abgelehnt worden, gleiches Schicksal zu theilen. Und dennoch irrte sich der Bescheidene; zwei Monate eines täglichen Umgangs waren kaum verstrichen, so erstaunte Viola, daß sie außer dem Herzoge von Manfredonia noch einen andern Mann hatte liebenswürdig finden können, und kannte nichts Angenehmeres als seine Gesellschaft, die sie stundenlang fesselte. Mit jedem Tage entdeckten Beide gegenseitig neue Veranlassung, sich zu bewundern und zu lieben, und empfanden nur den Reiz des Lebens in dem Glücke vereinigt zu sein. Dieses stille Einverständniß ihrer Herzen blieb aber Beiden noch immer ein Geheimniß.

Umsonst drang die Herzogin darauf, daß sich Lorenzo erklären sollte; er konnte seine Zweifel an dem Erfolge nicht überwinden, und wenn er sich auch überreden wollte, daß ihm in der Erfüllung seines heißen Wunsches nichts weiter, als die Verschiedenheit des Alters entgegen stehen mögte, so glaubte er doch, ein vier und dreißig jähriger Liebhaber dürfe sich, aller sonstigen Vorzüge ungeachtet, nicht schmeicheln, den Widerwillen eines Mädchens von siebenzehn Jahren zu besiegen, und dessen glühende Fantasie zu täuschen. Zudem war seine Eigenliebe und Schüchternheit nicht der einzige Grund, der ihn davon abhielt, den entscheidenden Schritt zu wagen, er fürchtete daß eine Weigerung bei der Herzogin einen für Violen ungünstigen Eindruck verursachen, und dadurch ihr der Aufenthalt bei seiner Großmutter drückend und unangenehm werden könnte.

Aber ein Ereigniß, das der mitleidige Zufall herbeiführte, diente dem Herzoge wider seinen Willen. Viola hegte einen angebornen, unüberwindlichen Eckel für den Geruch der Tuberosen, der ihre Nerven reizte und sie jedesmal in einen krankhaften Zustand versetzte. Lorenzo, dem dieser Umstand nicht bekannt war, bemerkte einst ein schönes Exemplar dieser Blume im Garten, pflückte es, und überreichte die duftende Blume der Heimlichgeliebten. Wie hätte Viola ein Geschenk von ihm zurückweisen können? Sie nahm die Blume, steckte sie an ihren Busen, sank aber nach wenigen Augenblicken ohnmächtig auf eine nahe Rasenbank. Auf des Herzogs Angstgeschrei, eilte Clementine, die sich in der Nähe befand, herbei, erblickte die Tuberose, riß sie von ihrer geliebten Viola Busen und warf sie mit den Worten:

Diese häßliche Blume hat ihr die Uebelkeit verursacht! weit von sich.

Jetzt erwachte die Ohnmächtige, hörte Clementinens Beschuldigung und sprach mit vieler Lebhaftigkeit:

Laß mir diese Blume, ich möchte mich für alles Gold der Welt nicht von ihr trennen!

Für alles Gold der Welt? wiederholte Clementine erstaunt; wie, hast Du denn nicht immer die Tuberosen verabscheuet, warum ist denn grade diese Dir so theuer?

Diese Frage, von einem bedeutungsvollen Blicke begleitet, färbte Violens Gesicht mit Rosenröthe; und wärend sie sich zwang, irgend einen Vorwand zu erdenken, um die schnelle Aenderung ihres Geschmacks zu entschuldigen, entdeckte sie durch ihre Verwirrung und ihre ängstlichen Blicke dem glücklichen Lorenzo ein Geheimniß, das ihm für die Erfüllung seiner heißesten Wünsche bürgte. Sechs Wochen nach dieser Ohnmacht ward die Markise von Palermo Herzogin von Manfredonia.

 

Der Graf Elfridi gehörte zu der Zahl verarmter Edelleute, wovon Neapel wimmelte. Nicht gewöhnliche Talente und ein gefälliges, einschmeichelndes Benehmen hatten ihm des arglosen Lorenzo's Freundschaft erworben. Der großmüthige Herzog war ihm oft in seinen zerrütteten Vermögensumständen und allen andern Gelegenheiten, wo er ihm dienen konnte, von großer Hülfe gewesen.

Elfridi war eins von jenen biegsamen Geschöpfen, die bei den Großen immer wohl gelitten sind, und denen alles, was sie wollen, gelingt, weil sie klüglich ihre Wünsche den Umständen anzupassen wissen, sich durch keine Hindernisse zurückschrecken lassen, und nie unbescheiden oder zudringlich werden. Gewandt, verschmitzt und die Gabe, des Menschen schwache Seite zu überraschen, in einem meisterlichen Grade besitzend, errieth er bei der ersten Bekanntschaft, was den Launen eines jeden schmeichelte; und Niemand konnte ihn in dem Bestreben, sich beliebt und unentbehrlich zu machen, übertreffen. Aufmerksam auf Alles, was anderen gefallen und ihm nützen konnte, war er es nicht minder zu Gunsten seines eignen Interesse und verstand die arge Kunst, seine Laster unter einer erborgten, schwer zu durchdringenden Hülle von anziehenden Eigenschaften zu verbergen. Seine Gesellschaft war so angenehm, unterhaltend und belehrend, daß die Herzogin und ihr Enkel ihn nicht entbehren konnten; und weder die Eine noch die Andere ahnete, daß ein so rechtliches und einnehmendes Aeußere die schwärzeste Seele und das verdorbenste Herz bedecke.

Clementinens Munterkeit, ihr Verstand und reizendes Gesicht gefielen dem Grafen Elfridi ungemein; und es wäre ihm ganz gelegen gewesen, wenn er die Bande der Freundschaft mit dem Herzoge durch eine Heirath seiner Verwandten noch fester knüpfen, und sich die Aussteuer hatte zueignen können, welche die junge Herzogin ihrer Nichte von dem Tage an zugesichert hatte, wo ihre Vermählung sie berechtigte, über ihr Vermögen zu verfügen. Aber der Graf war vier Jahr älter als Lorenzo; Clementine hatte oft mit ihm über sein Alter gescherzt, und er besaß eine sehr reizbare Eigenliebe, die er vor einer so bittern Kränkung verwahren mußte. Dieses Gefühl hielt eine Zeitlang dem geträumten Vortheil das Gleichgewicht, endlich aber wich es der Macht des letztern, wozu sich vielleicht auch eine Regung von Liebe, die ihn überlistet hatte, gesellte.

Eine gesuchte Wahl der Kleidung und des übrigen männlichen Putzes, ein auffallendes Bestreben, jugendlicher zu scheinen, unermüdete Aufmerksamkeit, ein unaufhörliches, ängstliches, oft lästiges Bemühtsein seiner Schönen zu dienen, ihr zu gefallen und ihren Wünschen zuvorzukommen, zärtliche Redensarten und schmachtende, mit Seufzern untermischte Blicke, alles dieses verkündigte auf klare Weise die Absichten des Grafen; aber Clementine blieb demungeachtet immer geneigt seiner zu spotten, und beantwortete seine Erklärungen nur mit Scherzen. Ihre lebhafte Einbildungskraft ließ ihr tausend Mittel finden, einen beinahe vierzigjährigen Mann, der einem funfzehnjährigen Mädchen zu gefallen strebt, unter den lächerlichsten Gestalten auftreten zu lassen.

Der Graf verlohr über dieses Betragen oft seine Fassung, und hielt es endlich für rathsam, sich Scherzen nicht weiter auszusetzen, die, so unschuldig sie auch immer an sich waren, doch seine Eigenliebe schmerzlich verwundeten. Demungeachtet gab er indeß seine Pläne keinesweges auf. Er hielt sein Gesicht für angenehm, seinen Wuchs und sein Benehmen für ausgezeichnet, wer ihn sah fand ihn liebenswürdig; wie konnte er sich also einbilden, daß er Clementinen misfallen könne? Er fand daher in ihrem Benehmen gegen ihn nichts weiter als jugendlichen Muthwillen, und hoffte, daß die junge Herzogin ihrer Nichte über die Verschiedenheit des Alters um so eher vernünftige Vorstellungen machen würde, als sie selbst einen Gemal gewählt hatte, der noch einmal so alt war, als sie selbst.

Dieserhalb wandte er sich an Violen, mit der Bitte, ihren Einfluß auf ihre Nichte zu seinem Vortheile zu gebrauchen; aber er irrte sich in seiner Berechnung. Die Herzogin behandelte ihn mit vieler Achtung und Höflichkeit, weil er Lorenzo's Freund war. Diese Eigenschaft allein unterdrückte bei ihr eine gewisse heimliche Abneigung, die sie für den Grafen fühlte und welche ihr den Glauben benahm, daß er geschaffen sein könnte, ihre Clementine glücklich zu machen; aber wenn sie auch wirklich geneigter gewesen wäre, ihn zu begünstigen, so würde ihr Zartgefühl sie doch stets verhindert haben, sich in eine Herzensangelegenheit zu mischen, aus Besorgniß, daß ihre Nichte Siehe oben; in Wahrheit ist sie ihre Cousine. [ Anm.d.Hrsg.], die Freundschaft und Dankbarkeit an sie schmiegten, sich überreden lassen könnte, Violens Wünschen ihre Neigung und Freiheit zu opfern.

Elfridi war inzwischen zu weit gegangen, als daß ihn diese Schwierigkeiten hätten zur Umkehr bewegen können. So viel Hindernisse vermehrten nur sein Verlangen, auch zweifelte er nicht, daß der Herzog, sein Freund, ihm gewogener sein werde; und doch fand er auch von dieser Seite einen Widerstand, den er nicht erwartet hatte. Lorenzo erklärte ihm mit Bestimmtheit, daß er Clementine bereits zur Gattin einem Jünglinge versprochen habe, der mit Jugend, Schönheit und dem besten Herzen ausgestattet, einer günstigen Aufnahme und Erhörung dreist entgegen sehen dürfte. Wüthend schwur der verschmähte Elfridi sich zu rächen; aber immer Herr seiner Leidenschaften, verbarg er seinen Grimm und sein rachsüchtiges Vorhaben.

Elfridi's Nebenbuhler war Altidoro, der einzige Sohn des Grafen Ariosto. Obgleich er zehn Jahre weniger als der Herzog zählte, so verband sie doch eine dauerhafte und zärtliche Freundschaft inniger, als die Verwandschaft ihrer Familie. Sobald der junge Graf Ariosto Erfahrung genug besaß, die Menschen zu beurtheilen, hatte ihm Lorenzo ein Vorbild geschienen, dem er nachzuahmen und gleich zu kommen, sich bestreben müsse. Seinen Beifall zu erhalten, erfüllte alle Wünsche seines jungen Herzens, und ihm an Vollkommenheiten ähnlich zu werden, war das einzige Streben seines edlen Ehrgeizes. -- Jedes Jahr brachte ihn diesem Ziele näher und an dem Zeitpuncte, von dem wir reden, konnte man seinem Benehmen, seinen Geistesgaben und seinem Herzen kein schmeichelhafteres Lob beilegen, als durch einen Vergleich mit Lorenzo.

In der Absicht, Altidoro über den Tod seiner Mutter zu trösten, war der Herzog nach Toskana gereißt. Seit seiner Rückkehr nach Neapel sprach er in den vielen Briefen, die der junge Graf von ihm erhielt, nur von den reizenden Nichten, welche die Herzogin bei sich aufgenommen hatte, und das letzte Schreiben, das ihm seine Vermälung mit Violen anzeigte und ihn dringend einlud, der hochzeitlichen Feierlichkeit beizuwohnen, drückte den von der Freundschaft ausgesonnenen und durch nähere Bekanntschaft mit Clementinen zur völligen Reife gediehenen Wunsch aus, daß Altidoro von den Reizen der liebenswürdigen Brittin nun auch gefesselt werden, und bald ein gleiches Glück theilen mögte.

Altidoro kam mit vortheilhaften Begriffen von der unbekannten Schönen, die dieser Brief hervorgebracht hatte, nach Neapel, sah Clementinen, fand sie liebenswürdig und vertraute bald dem lächlenden Freunde, daß er sich glücklich preisen werde, ihre Hand zu verdienen. Die Herzogin beobachtete Clementinen und fand sie zu dieser Verbindung geneigt, auch ihr Herz war für Altidorens glänzende Verdienste und Vorzüge nicht unempfindlich geblieben; und als die Einwilligung des Grafen Ariosto anlangte, hielt schon gegenseitige Neigung das liebenswürdige Paar innig umarmt. --

Niemand wunderte sich, daß der Graf Elfridi Neapel verließ, sobald er erfuhr, daß Altidoro's Bewerbung angenommen sei. Etwas heimlichen Groll durfte man einem verschmäheten Liebhaber schon verzeihen; aber keiner hätte es sich im Traume einfallen lassen, daß er sich den Tag vor der bestimmten Vermälung wieder einfinden werde. Und doch geschah es; er zeigte sich ruhig und beinahe eben so fröhlich und gesprächig als vor einigen Wochen. Man glaubte daher, daß ihm unterdrückter Unmuth dieses Betragen vorgeschrieben habe und er von seiner Liebe geheilt scheinen wolle; aber diese Ruhe war ein schrecklicher Vorbote tiefdurchdachter und ihrer Ausführung naher Rache. Sogar am Fuße des Altars, wo die Vermälung gefeiert wurde, erneuerte Elfridi den entsetzlichen Schwur, Lorenzo's und Violens Glück zu zerstören, so wie sie seiner Meinung nach, das Seinige verhindert hatten.

 


Funfzehntes Kapitel.

Kurze Zeit nach der Vermälung, rief eine Krankheit des Grafen Ariosto, seinen Sohn und dessen junge Gattin nach Toskana, wo diese kaum angelangt waren, als sie auch schon den letzten Odemzug des Kranken empfingen. Vermächtniß-Angelegenheiten fesselten sie eine Zeitlang daselbst; und bei ihrer Rückkehr erführen sie mit herzlicher Theilnahme, daß durch die Geburt eines Sohnes das Glück ihrer Freunde einen neuen Zuwachs erhalten habe. Die verwittwete Herzogin überlebte die Geburt ihres Urenkels, Roland von Palermo, und das Entzücken, ihn auf ihren Knien zu wiegen, nur wenige Monate. Aufrichtige Thränen folgten ihrem Sarge und ihr Tod verursachte eine allgemeine Trauer. Der Herzog und seine Gemalin konnten sich jetzt in einem Hause nicht länger gefallen, wo Alles sie an den Verlust dieser theuren, gutmüthigen und ehrwürdigen Großmutter erinnerte; sie verließen daher Neapel und begaben sich nach dem Schlosse von Manfredonia. Hier müssen wir uns eine Zeitlang von ihnen trennen; mögen sie sich dem ersten Schmerze, der seit ihrer Vermälung ihre Glückseeligkeit trübt, überlassen, mögen sie ihr wohlgebildetes Kind liebkosen und ihren Kummer durch die Beweise einer, mit jedem Lage zärtlichern und heißern Liebe, gegenseitig zu lindern suchen; es ist Zeit, daß wir dem Leser noch unbekannt gebliebene Mitglieder dieser tragischen Geschichte kennen lehren.

 

Der Graf Ariosto, Altidorens Vater, hatte sich in seinen Jünglingsjahren durch Leichtsinn, Verschwendung und leidenschaftliche und ungeregelte Huldigung des schönen Geschlechts unrühmlichst ausgezeichnet. Einer der unglücklichsten Misgriffe, den die Unbesonnenheit der Jugend ihn begehen ließ, bestand in der Wahl eines sehr schönen Mädchens, von niedriger Geburt, aber fein und arglistig genug, den oberflächlichen Beobachter zu hintergehen, das er ohne Wissen seiner Eltern ehligte. Anfänglich schien das geträumte Glück an seiner Hand durchs Leben wandeln zu wollen; als aber nach einigen Monaten peinlichen Zwangs, dieses in der Verstellungskunst, früh geübte Weib seine Herrschaft gegründet sah, enthüllte es seine wahre, mit der Muttermilch eingesogene Denkungsart, und der unglückliche Graf schauderte über den begangenen Fehltritt. Die stolze Aurora beherrschte ihn bald despotisch, doch konnte ihr ganzer Zorn den Gatten nicht dazu zwingen, daß er seinem frühern Vorsatze, seine Vermälung bei Lebzeiten des Vaters zu verheimlichen, ungetreu geworden wäre; aus diesem Grunde wurde daher die junge Elwire, die einzige Frucht dieser Verbindung, der Sorgfalt ihrer Mutter allein überlassen, und erhielt auf diese Weise in der Schule des Lasters und der Verstellung den ersten Unterricht.

Elwire war erst fünf Jahr alt, als der Tod, des alten Grafen Aurorens ungestümsten Wunsch, als Gräfin zu glänzen, befriedigte. Zwei Jahre hindurch entehrte sie den Namen Ariosto durch die strafbarste Aufführung und starb vergiftet in ihrem sieben und zwanzigsten Jahre, als Opfer der Eifersucht eines ihrer zahlreichen, heimlichen Geliebten.

Elwire war schon als Kind ein zu treues Ebenbild ihrer Mutter, als daß sie dem Vaterherzen hatte theuer sein können. -- Ariosto hatte von einem Kloster in Frankreich reden gehört, nach dessen strengen Regeln die Kostgängerinnen in großer Abhängigkeit und Eingezogenheit gehalten wurden, glaubte hiernach, daß den Nonnen desselben seiner Tochter lasterhafte Neigungen nicht entgehen und sie solche mit Ermahnungen und Strenge unterdrücken würden; und ohne diese Angelegenheit reiflicher zu erwägen, sorgte er dafür, daß Elwire dort aufgenommen und erzogen wurde.

Leider fand aber die schon nach der Geburt Vernachlässigte hier die günstigste Gelegenheit, die von der Mutter ererbten gefährlichen Talente anzuwenden; statt ihr Herz den strengen, aber rein tugendhaften Grundsätzen, die im Kloster gelehrt wurden, zu öffnen, befleißigte sie sich, die schärfste Aufsicht zu täuschen, behielt ihre Mängel bei, weil sie solche zu verstecken wußte und benutzte weder die guten Lehren noch Beispiele, die sie hätten bessern können.

Isabelle, die zweite Gemalin des Vaters Elwirens, rief sie aus dem Kloster nach Toskana zurück. -- Man fand sie von Schönheit strahlend, und da sie die Kunst ihren Hang zum Bösen zu verhüllen, in einem hohen Grade besaß, so hielt sie Jeder für das sanfteste und liebenswürdigste Geschöpf. Ihre Stiefmutter und ihr jugendlicher Bruder Altidoro liebten sie bis zur Uebertreibung; und selbst der, von der Tochter getäuschte Vater, machte sich innerlich Vorwürfe über seine frühere Härte und bemühete sich, solche durch die zärtlichsten Beweise seiner väterlichen Liebe wieder zu verbessern. Durch den Schein betrogen, ahnte der unglückliche Vater nicht, daß seiner Tochter Herz nie verzeihen, ihr boßhafter Mund aber lächlen konnte, wärend sie auf Rache sann.

Ein Jahr nach dem Tode Aurorens hatte sich der Graf wieder verheirathet und zur Vertilgung der Schmach seines ersten Ehebündnisses, eine Gemalin am spanischen Hofe gewählt, wohin ihn seine Reisen oft führten. Hochadeliches Blut und der unbescholtenste Ruf hatten seine Wahl geleitet und ihn zu Gunsten Isabellens gestimmt; ein einziges Kind entsproß aus dieser glücklichen Verbindung, dieses war Altidoro, Alfons und Victoriens Vater und Diego's Beschützer.

Zur Zeit als Elwire aus dem Kloster zurück ins väterliche Haus berufen ward, wurde der Graf Ariosto zum Vormund Polidors, Grafen von Vizenza ernannt. Die Natur hatte ein sonderbares Gefallen daran gefunden, diesen Jüngling mit allen äußerlichen Vorzügen und Reizen zu überhäufen; aber nichts glich dagegen der Verdorbenheit seines Herzens, wenn man sie nicht etwa mit Elwirens Denkart vergleichen wollte. Eine so vollkommene Uebereinstimmung der Gesinnungen verband in Kurzem Beide durch gegenseitige Neigung, die jedoch keinen tugendsamen Zweck haben konnte. Polidors Erbtheil war noch weniger als mittelmäßig und Elwirens Schicksal hing von dem Willen ihres Vaters ab. Ueberdem fühlte sie gar keinen Beruf, ihren Stolz der Liebe zu opfern, ihre schamlose Seele rechnete darauf, beide zu befriedigen; und ohne ihrer strafbaren Neigung zu Polidor Fesseln anzulegen, faßte sie den Entschluß, den Herzog von Manfredonia zu umstricken und sich, den Rechten ihres Geliebten unbeschadet, mit ihm zu vermälen. Aber Lorenzo's Herz konnte der Verführung künstliches Gewebe nicht umfangen, er blieb kalt und ungerührt, und bald darauf zerstörte seine Vermälung mit Violen, Elwirens geträumte Erwartungen. Durch den Tod ihrer Stiefmutter, der einige Monate später erfolgte, war sie sich selbst überlassen geblieben, hatte bald diese Freiheit gemisbraucht und war ein Opfer ihrer eignen Sittenlosigkeit und der unreinen Liebe ihres Verführers, des Grafen von Vizenza geworden. Jetzt sah sie sich gezwungen, ihre ehrsüchtigen Pläne aufzugeben und sich nur mit dem Mittel zu beschäftigen, die Aergerniß verbreitenden Folgen ihrer Schwachheit zu verbergen; und da doch einmal der Herzog ihr entschlüpft war, so blieb kein Ausweg für sie übrig, als durch eine unverzügliche Vermälung mit ihrem Geliebten ihre Schande zu bedecken.

Dieser, kaum zur Volljährigkeit gelangt, hatte bald das väterliche Erbtheil und die Ersparnisse seines wirthschaftlichen Vormunds vergeudet, sah nun in der Aussteuer, die Elwire von ihrem Vater erwarten durfte, eine neue Quelle, seine dringendsten Gläubiger und seinen Hang zur Verschwendung zu befriedigen, und zögerte daher nicht, den Vater um seine Einwilligung zu einer Verbindung mit Elwiren zu bitten; aber er fand bei diesem die Bereitwilligkeit, welche er erwartet hatte, nicht. -- Der Graf Ariosto hatte bisher nur mit Ueberwindung seinen Unwillen über die Aufführung seines Mündels unterdrückt; auch war er von dessen heimlichem Einverständniß mit Elwiren besser unterrichtet, als dieser wähnte; er blieb daher in seiner Weigerung nicht allein unerschütterlich, sondern er befahl auch Beiden unter Bedrohung seines Zorns, allen weitern Umgang, von diesem Augenblicke an, einzustellen, denn der unglückliche Vater hoffte von seiner Tochter Tugend, daß dieses Verbot nicht zu spät kommen würde.

Der Nothwendigkeit müssen jetzt alle andern Rücksichten weichen, sprach Elwire, als sie den Ausgang dieser Unterredung erfuhr; und schon am folgenden Tage erkrankte der Graf und verließ sein Bette nicht wieder. Eine Mattigkeit und eine Entkräftung, deren Ursprung kein Arzt entdecken konnte, senkten ihn einige Zeit nach der Vermälung seines Sohnes mit Clementinen ins Grab.

Elwire verließ das Krankenzimmer ihres Vaters keinen Augenblick; alles erhielt der Leidende aus ihrer Hand; ihre Sorgfalt, ihre Aengstlichkeit und ihre tiefe Schwermuth waren ein Gegenstand der allgemeinen Bewunderung. Als aber der Graf ausgelitten hatte, ging ihr Schmerz in Verzweiflung über, und ließ für ihr Leben fürchten. Drei Wochen blieb sie eingeschlossen in ihrem Zimmer, sie sah Niemand, wollte von keiner ärztlichen Hülfe hören und nahm fast gar keine Nahrung.

So tief auch Altidoro über den Tod seines Vaters trauerte, und so sehr auch er selbst des Trostes bedurfte, so blieb er doch bei dem noch immer heftigen Schmerze seiner Schwester nicht gleichgültig. Ihr Zustand erregte seine brüderliche Theilnahme und Besorgniß; er wollte versuchen, ob vielleicht eine Veränderung des Orts und der Lebensart, ihren außerordentlichen Gram dadurch mildern konnte, daß sie an Zerstreuungen gezwungen Antheil nehmen mußte; und Clementine, die seinen Vorschlag billigte, vertraute ihre Schwägerin Violens Sorgfalt und edelmüthigen Theilnahme an.

 

Ehe wir in der Erzählung fortfahren, müssen wir eine peinliche Aufgabe lösen, und dem schaudernden Leser ein Ungeheuer ohne Hülle zeigen, bei dessen Anblick sogar die Natur sich entsetzt!

Elwire hatte ihren Vater gemordet! Ein langsames, aber untrügliches, in das Getränk des Unglücklichen gemischtes Gift, mußte in einer kaum merklichen Stufenfolge seine Krankheit täglich verschlimmern. Die grausame Elwire beobachtete von einem Augenblicke zum andern die fortschleichende Wirkung des Giftes, und leitete sie nach Gefallen. Altidorens Vermählung hielt ihn in Neapel zurück; niemand hinderte sie, das übernommene Amt, ihren Vater unausgesetzt zu pflegen, pünktlich zu erfüllen; ihre kindliche Liebe berechtigte sie ja, für alles, was ihm heilsam sein konnte, selbst zu sorgen. Lange Zeit schien sie die Hoffnung, daß er bald wieder hergestellt sein werde, zu nähren, und zögerte Altidorens Glück durch eine niederschlagende, vielleicht ganz ungegründete Nachricht zu stören; als aber die Todesstunde immer näher rückte, erklärte sie händeringend, daß ihre frühern günstigen Anzeichen und ihre letzte Hoffnung verschwunden sei, überhäufte sie die Aerzte mit Vorwürfen und Verwünschungen über ihre Unwissenheit und Unfähigkeit und sandte einen Eilboten nach Neapel, den Bruder aus den Armen der jungen Gattin zum Sterbelager des Vaters herbeizurufen.

Noch in der letzten Stunde segnete der Graf seine, um ihn versammelten Kinder und starb in ihren Armen. In Schmerz vergehend, warf sich Elwire über den entseelten, durch sie seines Lebens beraubten Leichnam, zerraufte sich in Verzweiflung das Haar und bestand darauf, daß man den Körper öffnen solle, um über die unwissenden Aerzte, die den so zärtlich geliebten Vater nicht retten konnten, Gericht zu halten, und sie zu verurtheilen.

Sie wußte wol, die schändliche Vatermörderin, daß ihr Vater aus einem Grunde, welcher der Familie nicht unbekannt war, in seinem Testament streng verboten hatte, mit seinem Leichnam eine Section vorzunehmen und sein Sohn ihm feierlich versprechen mußte, dieses Verbot nicht zu übertreten.

Die Veranlassung dazu war folgende: die Gräfin Isabelle besaß das Patronat eines Hospitals für weibliche Kranke, das sie oft und gewöhnlich in Begleitung der arglistigen Elwire, die der Stiefmutter aufrichtige Liebe zu erschleichen gewußt hatte, besuchte. Eines Tages traten sie aus Versehen in ein Gemach, wo die Wundärzte grade mit dem Oeffnen eines Leichnams beschäftigt waren. Isabelle erschrack heftig und schon am Abende fühlte sie sich von einem hitzigen Fieber befallen, dessen Fortschritte gefährlich wurden. Auch bei ihr verrichtete die bereitwillige Elwire das Amt einer Krankenwärterin, vertauschte die vorgeschriebene Medizin, mit einer Mischung von Milch und Wasser, das eben dieselbe Farbe hatte und tödtete dadurch, daß sie dem Fortschreiten des verzehrenden Fiebers, diejenigen Medikamente entzog, die seine Glut dämpfen sollten, auch ihre tugendhafte Stiefmutter, die nie stiefmütterlich an ihr gehandelt hatte.

Aber nicht ungestraft hatte die Elende bei dem Tode ihres Vaters die Rolle der untröstlichen Tochter gespielt; ihre erkünstelten Verzuckungen, ihr erzwungenes Hülfsgeschrei, alle diese widernatürlichen Anstrengungen beschleunigten ohne Rücksicht auf den Gang der Natur die bedenkliche Stunde, wo sie büßen sollte, für den Verlust der Unschuld; und eingeschlossen in das Innerste ihrer Gemächer gebar sie Polidors Sohn, wärend die ganze Stadt sie mit dem Uebermaaße ihres Schmerzes im Kampfe wähnte.

Bianka, ihre vertrauteste Zofe, half ihr durch Beistand und Erfahrung, und trug dann heimlicherweise das Kind zu dem Pater Gregorio, dem nachsichtsvollen Beichtvater Elwirens, der, ohne das wahre Geheimniß seiner Geburt zu erfahren, den kleinen Theodor taufte und zu der Schwester eines seiner Bekannten in Languedock schickte, welcher man reichliche Belohnung und sattsame Ernährungskosten versprach, ihr aber tiefe Verschwiegenheit geloben ließ.

Der Graf Altidoro hatte das Elwiren von ihrem Vater testamentarisch ausgesetzte Erbtheil großmüthigerweise verdoppelt; aber auch diese Vermehrung genügte der Habsucht des Grafen von Vizenza nicht; er glaubte, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen sei, durch Schwierigkeiten von seiner Seite, den so gefühlvollen und großmüthigen Bruder dazu zu vermögen, daß er seine Wohlthaten noch weiter ausdehnen mögte; aber Altidoro, der noch immer Polidors Fehltritte und dunkle Characterflecken mit der Freundschaft nachsichtsvollem Schleier bedeckt hatte, fand diese Berechnung so verachtungswürdig, daß er bei der Abreise seiner Schwester nach Neapel, diese auf das nachdrücklichste ermahnte, den eigennützigen Geliebten aus ihrem Andenken zu vertilgen.

Elwirens Seele war inzwischen nicht zartfühlend genug, um ihres Bruders Unwillen zu theilen; zudem regte sich eine neue Empfindung in ihrem Busen, die mütterliche Liebe dämmerte in ihrem bisher immer gefühllosen Herzen auf, und sie beschloß daher, ihres Kindes Vortheils halber über kurz oder lang sich mit dem Verführer zu vermälen. Mit diesem Gedanken, an den sich noch eine Reihe boßhafter Entwürfe anschlossen, begab sie sich nach dem Schlosse von Manfredonia.

 


Sechszehntes Kapitel.

Die öffentliche Stimme unterrichtete Spaniens König in kurzer Zeit von den durch Don Ambrosio in Sizilien begangenen Schandthaten. Tausend Ankläger, die des Günstlings Rang und Ansehn bisher zum Schweigen und zur stillen Duldung gezwungen hatten, erhoben sich nun gegen ihn und klagten den Flüchtigen mehrerer Verbrechen an. Demungeachtet wollte der König einen Mann, der dem Staate so viel wichtige Dienste geleistet hatte, dem Blutgerichte nicht überliefern; er begnügte sich, ihn seiner Ehren und Würden für verlustig zu erklären und aus dem Reiche zu verbannen.

Nun erlosch in dem tapfern Herzen Don Ambrosio's alle Liebe für Ruhm und Hang zu kühnen Waffenthaten; nur ein bitterer Haß gegen die ganze Menschheit, wilde Verzweiflung, Violen verlohren zu haben, und Durst nach Blut und Rache, der alles Gefühl für Ehre und Tugend vernichtete, blieben zurück.

Kurz vor jener Zeit hatte sich eine ungeheure Verbrüderung größtentheils von rohen, kriegerischen Männern gebildet, die durch den allgemeinen Frieden, der Unthätigkeit, dem Mangel und mit unter auch der Verachtung ihrer früher bedrückten Mitbürger bloßgestellt waren. Mit bewundrungswürdiger Leichtigkeit erstreckten sich zahlreiche Arme dieser gefährlichen Rotte, die in den unzugänglichen Gebirgen Spaniens ihren Hauptsitz hatte, durch Spanien und Portugal, ja sogar bis nach Frankreich, Italien und Deutschland. Anfänglich fand bei der Aufnahme der Mitglieder noch eine gewisse minder strafbare Auswahl statt, bald war aber jeder, weß Standes und Alters er auch sein mogte, wenn er nur der Tugend entsagt hatte, und nöthigenfalls den Tod nicht scheuete, willkommen. Der nächtliche Räuber, der kühne Bandit und der blutdürstige Mörder ward mit offenen Armen empfangen, erhielt seinen Theil von der Beute und konnte seine Ansprüche auf die zum allgemeinen Nutzen angehäuften Schätze, geltend machen. Eine furchtbare Bande Seeräuber wurde auf Kosten des ganzen Bundes ausgerüstet und unterhalten; mit falschen Kaperbriefen versehen, kreuzte sie in allen Meeren, ging Verträge mit andern Piraten ein, und jedes Mitglied fand, vermöge der ausgebreiteten Verbindungen in jedem Lande seinen sichern Unterhalt.

Dieser Schrecken und Abscheu erregenden Räuber-Horde boten die flüchtig umherziehenden Geächteten Ambrosio und der Pater Leopold ihre Dienste an, denn hier fand die blutgierige Wuth, die sie verzehrte, hinlängliche Nahrung; der Name und die Thaten Don Ambrosio's von Montalvan waren jedem Spanier bekannt; der erloschene Glanz seiner vormaligen Größe diente ihm auch unter Banditen, die sich geschmeichelt, geehrt fühlten, dem Helden ihres Vaterlands einen Schutzort anbieten zu können; und einstimmig wählte ihn das Räubercorps, das in den Pyrenäen haußte, zu seinem Obersten. Er nahm nun den Namen Don Manuel von Baskara und Leopold den Namen Garzias an, und nachdem sie alle Schlupfwinkel der Bande in der Gebirgskette besucht hatten, begaben sie sich nach dem Hauptorte, jenem Schlosse in den Pyrenäen, wo die ersten Vorfälle dieser Geschichte sich ereignet haben.

Zur Belehrung des Lesers dürfen wir nicht länger verschweigen, daß auch Polidor, Graf von Vizenza, zu diesem Räuberbunde gehörte, und daß er, der innigste Freund des Grafen Elfridi, und der Vertraute seiner Leidenschaften und Verbrechen auch diesen überredet hatte, sich darin aufnehmen zu lassen. Obgleich beide durch thätige Unterstützung der Räuber-Horde keinen Vortheil gewährten, so waren sie derselben auf heimlichen Wegen, und durch ihre Bekanntschaften mit den Großen des Landes, doch von wesentlichem Nutzen; ihnen verschaffte dagegen diese Verbindung zur Bestreitung ihrer Ausgaben für Spiel und hundert andre Arten von Verschwendung eine neue Quelle; dieses kam dem verarmten Grafen Elfridi so gelegen, daß er der Bande, das ihm zugehörige Schloß in den Pyrenäen, den letzten Rest der Besitzungen seiner immer mehr gesunkenen Familie, zu ihrem Aufenthalte überließ. Es war ihm dieses Grundstück durch eine unerwartete Erbschaft, jedoch auf rechtliche Art zugefallen. Des Schlosses fürchterliche Lage, seine geheimnißvolle Bauart, und die alten Befestigungswerke, die es umgaben, sicherten es vor jedem Ueberfalle. Ein alter Neger, namens Gago, der darin aufgezogen war, bewohnte es seit langen Jahren und diente allein als Aufseher desselben; auch selbst als die Räuber Besitz von dem Schlosse nahmen, wollte er es nicht verlassen und also ging die unerschütterliche Ehrlichkeit dieses alten Dieners, gleich einer von der Besitzung abhängigen Meubel, zu den neuen Eigenthümern mit über.

Der Graf Elfridi hatte es sich vorbehalten, den neuen Räuberchef, Don Manuel von Baskara, in die alte Burg, das antike Erbstück aus den Zeiten der Prinzen von Catalonien, selbst einzuführen; er zeigte ihm alle Geheimnisse dieses schauerlichen Orts, die unterirdischen Gewölbe, Fallthüren und eine Menge kleiner Eingänge durch dicke Mauern und versteckte Treppen; aber er verschwieg ihm absichtlich andere heimliche Gänge und Schlupfwinkel, welche zu Gewölben führten, die undurchdringlicher und verborgener als alles Uebrige waren; eben so verschwieg er ihm aus besondern Gründen die Existenz einer zu dem Schlosse gehörigen Kirche.

Die mistrauische Seele Elfridi's, der sich eine nicht gewöhnliche Menschenkenntniß erworben hatte, entdeckte bei Don Manuel noch einige wenige gute Eigenschaften und zu viel Anmaßlichkeit; er hielt es daher für zu gefährlich, ihm alles zu vertrauen; und da er schon über den Plänen zur Ausführung der geschwornen Rache brütete, so war ihm sehr daran gelegen, sich Mittel vorzubehalten, unbemerkt in das Innere des Schlosses zu gelangen, und einen Theil desselben ohne Wissen der gegenwärtigen Besitzer zu bewohnen.

In der ganzen Welt lebte nur ein Mann, für den Elfridi aufrichtige und uneigennützige Zuneigung fühlte; dieses war sein Erzieher, der Mönch Franzisko Gassendi.

Dieser Mönch, obschon in mancher Hinsicht seinem Zöglinge ähnlich, besaß doch noch einige Tugenden; er war großmüthig, theilnehmend und herzhaft. Es wäre gewiß ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft aus ihm geworden, hätten seine bigotten Eltern den Neigungen ihres Sohnes nicht Zwang auferlegt, indem sie ihn mit unerbittlicher Strenge zum geistlichen Stande bestimmten. Er fügte sich in sein Verhängniß, versuchte es, den Pflichten seines Standes treu zu bleiben aber seine heftigen Leidenschaften verleiteten ihn oft wider seinen Willen zum Ungehorsam; und da er seinen Stand bald mit vollem Herzen haßte, ohne jedoch diesen Abscheu laut werden zu lassen, so war ihm der Antrag Elfridi's, sich dem Zwange seiner Amtsverrichtungen zu entziehen und im Pyrenäen-Schlosse einen Zufluchtsort zu suchen, nicht unwillkommen, doch war er viel zu ehrsüchtig, um sich damit zu begnügen, ein gewöhnliches Mitglied dieser seltsamen Brüderschaft zu werden; auch hielt er es nicht für rathsam, sich durch offenbaren Bruch mit der Kirche zu entzweien und ihren Zorn auf sich zu laden. Seine Gelehrsamkeit und sein anscheinend strenger Lebenswandel, denen er es verdankte, zum Erzieher des Grafen Elfridi ausgewählt zu sein, hatten ihm auch einigen Einfluß in Rom verschafft; und da er mit diesem die Unterstützung einiger Großen in Neapel, deren Beichtvater er war, verband, so bewirkte er die erbetene Versetzung in ein Dominikaner Kloster zu Gerona; um aber Don Manuel und seiner schrecklichen Rotte, mit welcher er bereits Verbindung eingegangen war, zu zeigen, daß er Macht genug besitze, ihnen zu schaden, und sie sich bei gutem Vernehmen, von seinem Beistande erhebliche Vortheile versprechen durften, so bemühete er sich, einen Grad beim Inquisitionstribunale zu erlangen, den er auch nach einigen Schwierigkeiten erhielt. Nun vertauschte er Neapel mit Gerona; als er aber dort im Kloster den Orden der Dominikaner nicht streng genug für seine Frömmigkeit und Bußübungen fand, so bezog er eine einsame finstre Höhle im waldigen Gebirge, richtete sich dort abgesondert von der Welt als Einsiedler ein, und eignete sich in Kurzem den unverdienten Ruf eines heiligen Mannes zu, nach dessen Felsenklausel die Bewohner der umliegenden Gegend mit frommer Andacht und zerknirschten Herzen wallfahrteten, und um seinen Segen baten.

Des Lesers Scharfsinn hat sicher schon errathen, daß die Höhle des einsamen Betrügers mit dem Raubschlosse in Verbindung stand. Der Graf Elfridi, welcher zur Ausführung seiner Pläne eines Mannes bedurfte, der die tiefsten Falten seines boshaften Herzens, als er noch Kind war, durchschaut hatte, gegen den er sich nicht mehr verstellen konnte, und den dieselbe Furcht und gleiches Interesse an ihn knüpfte, hatte ihm alle Geheimnisse des Schlosses, die er Don Manuel verschwiegen, entdeckt, und ihn in den Stand gesetzt, von seiner Klause aus durch einen unterirdischen Felsengang, den auch Elfridi benutzte, ins Schloß zu gelangen, und dort auch die verborgensten Oerter aufzufinden. Durch die genaue Bekanntschaft aller dieser Geheimnisse, verbunden mit einigen zur gehörigen Zeit glücklich angewendeten physikalischen und chemischen Kenntnissen, bemächtigte sich Franzisko in kurzer Zeit der Oberherrschaft in der Räuberhöhle; seine Eigenschaft als Inquisitor sicherte die Bewohner des Schlosses nur so lange vor Gefahr, wie sie sich in seiner Gunst erhielten; dies wußten alle, zitterten vor ihm, und Niemand wagte es, gegen seine Befehle Widerspenstigkeit zu zeigen. Selbst Don Manuel befand sich von dem Augenblicke an in seiner Gewalt, wo er zum Chef der Bande erwählt worden war; er fühlte solches und ergrimmte heimlich; da inzwischen der Mönch sich nie Eingriffe in seine Rechte erlaubte, und Don Manuel die Wichtigkeit der Dienste, die er seiner persönlichen Sicherheit leistete, erwog, auch selbst ihn zuweilen ein Grauen in Gegenwart des Geheimnißvollen anwandelte, so duldete er das Uebergewicht, das dieser zu erlangen gewußt hatte, um so mehr, als es ihm ja frei stand, sich seiner zu jeder Zeit zu entledigen.

Durch seinen regelmäßigen Briefwechsel und seine Verbindungen mit dem furchtbaren Tribunal der Inquisition, dessen Versammlungen Franzisko beizuwohnen selten versäumte, erfuhr er früh genug die gegen Don Manuel und seine Rotte gerichteten Anklagen und die in Folge derselben ergriffenen Maasregeln. Alsbald benachrichtigte er die Bedroheten von der nahen Gefahr mit Hülfe einer ungeheuren, aus verschiedenen Metallen verfertigten Trommel, die an eisernen Ketten in einer Felsenhöhle unter den Grundmauern des Schlosses hing, und ein entsetzliches Getöse verursachte. Durch die verabredete Art, wie er diese sonderbare Trommel schlug, warnte er die Räuber, und gab ihnen zu erkennen, ob sie zu den Waffen greifen, entfliehen, und sich im Gebirge verbergen, oder schnell einschiffen sollten.

Franzisko's natürliche Gutmüthigkeit schimmerte oft noch zwischen seinen nicht zu unterdrückenden schrecklichen Neigungen hervor; und die gräßlich tönende Trommel ward mehr als einmal in seiner Hand zu einer siegreichen Waffe, die den Schwachen und die Unschuld dadurch rettete, daß sie die Räuber zur schnellen Flucht trieb. Auch Victoria empfand dieses in der ersten Nacht ihrer Gefangenschaft; und das donnernde Getöse, von welchem das Schloß erbebte, schützte sie vielleicht vor den Mißhandlungen des rohen Haufens. Von dieser Zeit an glaubte ein großer Theil der Bande, die von dem, Don Manuel allein bekannten Geheimnisse der Trommel nichts erfuhr, daß die Gefangene der göttlichen Obhut anvertraut sei, und fürchterliche Rache demjenigen drohe, der es wage, diese unsichtbare Warnung zu verhöhnen.

 

Bei seiner Rückkehr nach dem Schlosse von Manfredonia fand der Graf Elfridi die untröstliche Elwire bei dem Herzoge und seiner Gemalin. In kurzer Zeit entspann sich zwischen Beiden eine genaue Bekanntschaft und ein vollkommnes Einverständniß; jeder fand in dem Andern, für die Ausführung seiner schwarzen Pläne, einen würdigen Gehülfen. Elfridi hatte durch den Grafen von Vizenza, in einer traurigen Stunde die Todesart des alten Grafen erfahren; er wußte, wozu Elwire fähig sein konnte; da er aber bei ihr Trotz dieser Schandthat eine wahre mütterliche Zärtlichkeit für ihren Sohn entdeckte, so beschloß der Verräther, sich des Kindes als einer Geißel zu bedienen, die ihm auf immer für die Bereitwilligkeit und Verschwiegenheit der Mutter sichere Bürgschaft leisten sollte; er überredete zu diesem Ende den habsüchtigen Grafen von Vizenza mit dem Bemerken einer Ersparung unnöthiger Kosten, den kleinen Theodor der Frau, die ihn in Languedok erzog, nicht länger zu lassen, und ihn dagegen den Händen Franziszko's, eines erklärten Kinderfreundes und vortrefflichen Erziehers zu überliefern.

Polidor, der nur bei dieser Einrichtung seinen Vortheil berücksichtigte, ging den Vorschlag ein; Franzisko erhielt den Knaben, und nachdem für seine Erziehung gesorgt war, verbarg sich Polidor in der Nähe von Manfredonia, um seinen Verbündeten bei ihren beabsichtigten Unternehmungen nöthigen Falls sogleich Beistand leisten zu können.

 


Achtzehntes Kapitel.

Wir haben des Herzogs von Manfredonia Bescheidenheit schon früher gerühmt; weit entfernt, Eigenliebe zu besitzen, beurtheilte er sich vielmehr mit einer Strenge, die ihm einen großen Theil seiner anerkannten Vorzüge verhehlte. Kaum konnte Violens volle Zärtlichkeit, ihre Besorgniß für sein Wohl und ihre Liebkosungen ihn überzeugen, daß er einem Mädchen von siebenzehn Jahren wirklich Liebe eingeflößt habe. Diese übertriebene Geringschätzung seiner selbst war dem Grafen Elfridi bekannt; er gründete sein Vorhaben darauf und äußerte in gleichgültigen Gesprächen oftmalen hingeworfenerweise Meinungen, die Jener begierig erhaschte.

Die jungen Weiber, sprach er, können gewiß für einen, nicht mehr jugendlichen Mann eine Art von reiner Zuneigung und Freundschaft empfinden, aber Liebe schleicht sich bei ihnen nur durch die Augen ein. Schönheit und Jugendfülle allein können sie einflößen, und die Ausnahmen sind so selten, daß es beinahe Thorheit sein mögte, daran zu glauben.

Obgleich nun sein Abentheuer mit Clementinen auf dieses im Allgemeinen von dem weiblichen Geschlechte gefällte Urtheil einigen Einfluß haben konnte, so fand doch Lorenzo in ihm zu viel Beziehung mit seinen eignen Verhältnissen, und wandte es also innerlich auf sich selbst an.

Sobald Elfridi auf diese Art die Bahn geebnet hatte, benutzte er die erste Gelegenheit, einen unmittelbaren Angriff zu wagen, indem er einst bei Tische die Unterhaltung auf die Gewalt der Leidenschaften leitete, und Beispiele anführte, nach welchen Männer ohne Grundsätze und Tugend bloß durch die unwiderstehliche Macht der Jugend und Schönheit die glühendste Liebe eingeflößt hatten. Zum Beweis seiner Behauptung berief er sich wie von ungefähr auf den Spanier Don Ambrosio von Montalvan, erzählte mit der größten Umständlichkeit von seinen zahlreichen Liebschaften in Spanien und Portugal, kannte genau seine Ausschweifungen und Verbrechen, und rief dadurch die grausame Erinnerung an die vergangenen Zeiten in Violens Gedächtniß zurück. Die Röthe des Unwillens und der Schaam bei dem Gedanken, solch ein Ungeheuer einst geliebt zu haben, überzog anfänglich das Gesicht der Herzogin, und sich nach dem Ende dieses peinlichen Gesprächs sehnend, versuchte sie demselben andere Gegenstände einzuschieben; als aber der Graf Elfridi immer noch fortfuhr, die von Ambrosio begangenen Schandthaten mit den grellsten Farben abzumalen, und jeder einzelne Umstand, den er berührte, ihren ersten Verdacht in Ansehung des Mordes ihres Vaters und seines Mörders, immer mehr bestätigte, da bemächtigte sich eine unerträgliche Beängstigung ihres Herzens. Ihre beunruhigte Fantasie rief das Bild eines Mannes, dem sie ihre Liebe einst gestanden, und dadurch vielleicht zum Morde gereizt hatte, weil sie ihm ihr Herz versagte, aus dem Dunkel, wohin die Zeit es geworfen, lebhaft wieder herauf; alles Schreckliche, was sie an jenen unglücklichen Tagen empfunden, fühlte sie jetzt mit erneuerter Stärke, und außer Stand, die fortgesetzten, grausigen Schilderungen, womit der unbarmherzige Graf ihr Herz langsam quälte, länger zu ertragen, sank sie ohnmächtig in ihres Gatten Arme. Obgleich der erschreckte Herzog in der größten Bestürzung nur mit seiner zärtlich geliebten Viola beschäftigt war, so konnten ihm doch die bedeutungsvollen Blicke und das heimliche Flüstern des Grafen und Elwirens nicht entgehen; und als die Herzogin, von diesem Zufalle gänzlich befreit, und mit erzwungener Ruhe sich in ihr Zimmer begeben hatte, blieb der unglückliche Lorenzo in trauriges Nachdenken versenkt zurück, worin ihn die Verbündeten aus Gründen nicht stören wollten. Er fühlte wol, daß die treue Wiederholung aller dieser schrecklichen Begebenheiten auf Violens reizbares Herz einen widrigen Eindruck verursachen mußte; wie konnte aber die Erinnerung an die Vergangenheit so heftig auf sie wirken, da sie doch außer der Wahrscheinlichkeit, daß Don Ambrosio ihres Vaters Mörder sei, nichts Neues in dem Gespräche erfuhr. War es vielleicht diese Ueberzeugung, die ihr die Besinnung raubte, und in diesem Falle konnte es nicht etwa noch ein Ueberrest der frühern Liebe sein, der ihr diese Entdeckung so schrecklich machte? Der Herzog konnte hierüber keine Gewißheit erlangen, aber er fürchtete es; zum ersten Male erblickte er eine dunkle Stelle in Violens Herzen; und von diesem Augenblicke an, war die Ruhe des seinigen auf immer verlohren.

Kurze Zeit nachher fand man Violens Namen in mehrere Bäume des Parks eingeschnitten, später entdeckte man zufällig in einem Winkel ihres Zimmers verschiedene Devisen und verliebte Verse, die nur ihr zugeeignet sein konnten. Nachdem sie der Herzog gelesen hatte, suchte er jeden Tag mit steigender, ängstlicher Sorgfalt und fand stets neue Ursache zur Vermehrung seiner Unruhe. Einige seiner Vasallen hatten bereits mehrere Male einen jungen, schönen Fremdling bei nächtlichem Dunkel in abwechselnder Verkleidung in der Gegend des Schlosses umherschleichen gesehn; eine weibliche Gestalt, von Wuchs und Kleidung der Herzogin ähnlich, schien ihn nach Untergang der Sonne, zuweilen auch mitten in der Nacht aufzusuchen. Die durch diese nächtliche Erscheinungen und das verdächtige Umherschleichen beunruhigten Diener, hatten diese Nachtwandler näher beobachtet, sich überzeugt, daß es keine Täuschung gewesen, und hielten es für ihre Pflicht, ihrem Gebieter diesen Umstand anzuzeigen. Kurz, nach Verlauf einiger Wochen, war das schändliche Werk Elwirens und Polidors, die beide die Rollen dieser geheimnißvollen Gestalten spielten, so weit gediehen, daß der betrogene Lorenzo kaum mehr zweifeln konnte, daß er verrathen und der unglücklichste der Gatten sei.

Doch hielt er noch immer Violens reine Seele über jeden Tadel erhaben, seine Liebe zu ihr war so leidenschaftlich, daß er die schönen verklärten Züge ihres Gesichts nicht betrachten konnte, ohne den Einfluß einer unwiderstehlichen Macht zu empfinden, der so gleich in seinem Geiste jeden unedlen Verdacht widerlegte. Der umherirrende, schutzlose, reuevolle Ambrosio hatte vielleicht auf die Großmuth der Herzogin gerechnet, und sich heimlicherweise nach Manfredonia gewagt, um von ihr Beistand und die Mittel zu erflehen, in fernem Lande die verlohrne Heimath wieder aufzusuchen. Zu menschlich und zu mitleidig gesinnt, auch zu schwach, den Mörder der strafenden Gerechtigkeit zu überliefern, hatte sie sich herabgelassen, mit ihm zu reden und ihn zur Reue zu ermahnen. Nur Violens Frömmigkeit konnte ihr diesen Gedanken einflößen und ihr den Muth verleihen, ihn auszuführen.

Auf diese Art tröstete sich der Herzog zuweilen mit eignen beruhigenden Auslegungen, die er aber bald wieder von sich stieß, weil er sie zu schwach fand, seinen langsam steigenden Verdacht zu bekämpfen; denn die teuflischen Seelen, die den Untergang seiner Ruhe geschworen hatten, waren zu ergiebig in Hülfsmitteln und schwarzen Erfindungen, als daß der himmlische Blick der Herzogin und die Unschuld ihres bezaubernden Lächelns fortwärend den Sieg über ihre abscheuliche Bosheit und List hätten erringen können. Was die Schändlichen vorhergesehn hatten, traf leider ein: Sie führten den Herzog von seinen Zweifeln zur Gewißheit; aber immer noch zu sehr Verehrer ihrer Vorzüge, fand er den Gedanken unerträglich, die Geliebte mit Vorwürfen zu überhäufen, oder Schaamröthe aus einem Gesichte zu erpressen, das stets den Schein der Tugend getragen; [er] faßte daher den unglücklichen Entschluß, sich ohne Erklärung von ihr zu entfernen, und am Busen der Freundschaft, bei dem Grafen Ariosto, diejenige Ruhe zu suchen, die ihm sein Herz und sein Geist in Manfredonia versagten.

Die Herzogin von Manfredonia war kein gewöhnliches Wesen. Das unbarmherzige Triumvirat hatte dieses wol eingesehn, und da es bei ihr keine Schwächen und Mängel entdecken konnte, die es zu seinen Plänen hätte benutzen können, so suchten die Feindlichgesinnten an ihren Tugenden eine reizbare Stelle, an welcher das Schlangengift haften mußte. Der Eindruck, den ihrer Mutter langjährige Leiden bei ihr zurückgelassen hatten, erfüllte sie bei der bloßen Erwähnung von ehelichem Unfrieden mit Schaudern, und eines Gatten Gleichgültigkeit schien ihr der erste Funken, welcher unausbleiblich die Flamme der Uneinigkeit entzünden mußte. Hätte man ihr die Untreue Lorenzo's ohne Umschweife beweisen wollen, so würde sie dem Ankläger Stillschweigen auferlegt, und mit edlem Unwillen jeden Verdacht, der sich ihrem Herzen genähert hätte, von sich gestoßen haben; aber Elwirens verschmitzter, boshafter Geist fand Mittel, unvermerklicher Weise und ohne ihre Absicht zu verrathen, bei Violen Zweifel in die Zuneigung ihres Gemals aufkeimen zu lassen. Die Arglist und unermüdliche Schlauheit ihrer tückischen Beobachter führten so lange Umstände und scheinbare Beweisgründe herbei, die anscheinend vom Zufalle allein entstanden waren, bis Viola endlich in ihrem eignen Schicksal und dem Unglücke ihrer Mutter eine schreckliche Aehnlichkeit zu finden glaubte.

Wolan, sprach sie oft, wenn sie allein war, und ihre Thränen fließen wollten, ich unterwerfe mich dem Willen des Allmächtigen, mögen die Schicksale der Mutter und Töchter sich in Allem gleichen. Keine Klage, kein Vorwurf trat über die Lippen meiner unvergleichlichen Mutter; wie sie, will ich meinen Schmerz verheimlichen, meine Thränen unterdrücken und mein Unglück stillduldend tragen.

Bald fand die unglückliche Viola nur Trost in den Umarmungen und kindlichen Tändeleien ihres zärtlich geliebten Sohnes und der traurigen Vergleichung der Aehnlichkeit seiner Züge mit dem Gesichte des kaltsinnigen Vaters. So oft sich Lorenzo nahete, zwang sie sich zum Lächeln, und überreichte den Sohn seinen Liebkosungen, aber das erzwungene Lächeln konnte die natürliche Traurigkeit nicht bedecken. Die Veränderung ihrer blühenden Gesichtsfarbe, ihr leidendes Ansehn und ihre öftere Niedergeschlagenheit, zeigten mit jedem Tage deutlicher, daß ein heimlicher Gram an ihrem Herzen nage. Lorenzo konnte diesen schmerzlichen Anblick nicht länger ertragen, er floh die Gattin, um ihr seine Rührung zu verbergen, und bestärkte sie in der Ueberzeugung, daß er sie nicht mehr liebe, und nur schonende Gewohnheit allein ihn vermogt habe, ihrer Gesellschaft einige Augenblicke den Tag über zu schenken.

Ende des dritten Bandes.

 


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