Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Hauptmann Waring war ohne Sang und Klang nach England abgereist, hatte seine Schulden unbezahlt gelassen und allem Anscheine nach war sein Vetter diesem Beispiele gefolgt. Dieser war nicht einmal den Gesetzen der gewöhnlichsten Höflichkeit nachgekommen, das heißt er hatte nirgends, nicht einmal im Kost- und Klubhause, Abschiedskarten abgegeben und hatte sich außerdem, das wußte die ganze Kolonie, gegen Honor Gordon ganz abscheulich benommen, ein Betragen, für das er, wie ältere Damen versicherten, in früheren, besseren Zeiten ohne Frage erschossen oder mit der Reitpeitsche bestraft worden wäre.
Von den veränderten Lebensplänen des jungen Mannes und seinem jetzigen Aufenthalte erfuhr man nichts Verläßliches; denn Clarence hatte das, was er davon wußte, klugerweise für sich behalten, und Mutter Brande, die von allem unterrichtet war, schwieg ebenfalls. Was konnte es denn nützen, davon zu sprechen? Ihre Niedergeschlagenheit drückte sich in dieser Zeit sogar in der herabgestimmten Farbenwahl ihrer Kleider aus. Im Klub erschien sie nur höchst selten, denn sie fürchtete, gewissen unbarmherzig fragenden Blicken in der schrecklichen Veranda zu begegnen, und trat lieber für eine Weile ganz in den Hintergrund zurück. Aber sie hatte ihre heimlichen Pläne und bereitete sich vor, wie ein Phönix aus der Asche ihrer früheren Hoffnungen zu erstehen, und zwar mit Hilfe einer zweiten Nichte. Auch Honor brauchte ja Erholung und Trost, und ein Gesicht aus der Heimat, noch dazu ein so hübsches, konnte nur von der besten Wirkung auch auf ihre Stimmung sein.
»Wir dürfen uns das schon gestatten, Pel,« sagte sie zu ihrem Gatten. »Ob wir ein oder zwei Mädchen hier haben, ist ganz gleich, wir brauchen für zwei auch nur eine Dienerin!««
»Na, so thue, was du willst!« rief Pel endlich ungeduldig. »Aber Honor wird immer meine Lieblingsnichte bleiben, und niemand soll seine Nase zwischen uns stecken.«
»Will auch gar niemand! Ich möchte es keinem raten, bei mir einen solchen Versuch zu machen!« rief Madame Brande zustimmend. »Aber welche reizende Nase hat Fee! Das ganze Gesichtchen wie aus Wachs modelliert!«
Auch zu Honor sprach sich Tante sehr begeistert über Fee aus, fand bei ihr aber kein rechtes Echo. Im Gegenteil verhielt sich das junge Mädchen dem Plane der Tante gegenüber höchst zurückhaltend, gab nur ungenügende Antworten und sah aus, als ob sie sich sehr peinlich davon berührt fühle. Mama Brande begriff die sonst so offene, freimütige Honor nicht. Sie selbst erfüllte der Gedanke an eine Nichte, die nicht nur ein hübsches, angenehmes und beliebtes junges Mädchen, sondern ein wahres Wunder von Schönheit sein mußte, mit Entzücken, besonders da Honor jetzt kaum noch hübsch zu nennen war und seit dem traurigen Ende ihres Liebesromans bedeutend an Frische und gutem Aussehen verloren hatte. Sie konnte es jetzt mit keiner ihrer Nebenbuhlerinnen mehr aufnehmen, was ja auch gar nicht zu verwundern war. Der arme Mark! Von allen ihren Pfleglingen hatte keiner dem Herzen der alten Dame so nahe gestanden, wie er! Ihrer Meinung nach trieb er die Sohnespflicht viel zu weit, und sie fand es empörend, daß er, Honor und ein großes Vermögen einem verrückten alten Einsiedler zum Opfer fallen sollten.
Bei der geringen Unterstützung, die sie bei den Ihrigen fand, beschloß Sara Brande, von diesen Plänen künftighin so wenig als möglich zu sprechen; aber sie steckte Fees Porträt in den silbernen Rahmen, der früher das Bildnis des armen Ben umschlossen hatte, stellte es an einem bevorzugten Platze des Empfangszimmers auf und beschäftigte sich in Gedanken lebhaft mit dem Entwurfe zu einem zweiten Briefe nach Hoyle.
Ehe dieser Brief aber noch feste Form und Gestalt gewann, empfing sie einen feierlichen Besuch von Ida Langrishe, die in ihrer besten Besuchstoilette erschien. Nachdem die Dame auf dem Sofa Platz genommen hatte und die ersten landläufigen Redensarten ausgetauscht waren, fing sie an, von ihrem »lieben Pfleglinge«, Sir Gloster, in einem Tone zu erzählen, als spräche sie zu ihrer teilnehmendsten Freundin, und nicht zu einer Nebenbuhlerin auf Tod und Leben.
»Er ist ein so netter Mann, so zufrieden mit allem, und so leicht zu unterhalten. Ich habe ihn jetzt mit Lalla, die ihm etwas vorliest, allein gelassen.«
»Halten Sie das für ganz schicklich?« fragte Frau Brande etwas spitz.
»Warum nicht? Was würde man zum Beispiel dagegen haben, wenn Lalla eine junge Krankenwärterin von Profession wäre?«
»Na, ich weiß doch nicht, ob ich's Honor erlauben würde,« bemerkte Mama Brande nachdenklich.
»Mag sein! Alles kommt natürlich auf die Persönlichkeit und die Umstände an. Aber ich will einmal die Rolle des bekannten kleinen Vogels spielen und Ihnen ein Geheimnis ins Ohr flüstern,« fuhr die andre fort, indem sie ihre Hand leicht auf Saras runden Arm legte.
Diese fuhr zurück, als hätte eine Klapperschlange sie berührt.
»Die Sache soll zwar erst in einigen Tagen bekannt werden; aber Ihnen kann ich's ja anvertrauen: Lalla und Sir Gloster sind verlobt.«
Sir Gloster hatte sich erst am vergangenen Abend erklärt und hatte gebeten, man möchte noch nichts davon in die Oeffentlichkeit bringen, bis er seiner Mutter telegraphiert und ihre Antwort empfangen habe, was etwa acht Tage Zeit in Anspruch nehmen konnte.
Ja, der dicke, phlegmatische Mann war Lallas Künsten erlegen. Er sah es gern, wenn man ihn angenehm unterhielt und aufheiterte, Lalla hatte ihr Möglichstes gethan, und der Gedanke, daß er, wenn sie erst seine Frau war, immer jemand haben würde, der für sein Vergnügen und seine Unterhaltung sorgte, gefiel ihm. Sie sang allerliebst, las hübsch vor, trug ihm Neuigkeiten zu, hatte ein wunderbares Nachahmungstalent, verstand es, in angenehmer Weise zu schmeicheln, und war dabei ein sehr hübsches Mädchen. Der von Natur schwerfällige Mann hatte den Schlag, den seine Eitelkeit durch Honor empfangen hatte, nie ganz überwunden. Nicht ohne Schadenfreude vernahm er nun, daß sie jetzt dieselbe Erfahrung gemacht hatte, daß sie, wie die Leute sagten, gleichfalls verschmäht worden sei, und es machte ihm Vergnügen, ihr zu beweisen, wie schnell er sich getröstet habe.
Ida Langrishe hatte, als sie das Haus der Todfeindin betrat, keineswegs die Absicht gehabt, ihr die große Neuigkeit zu verraten: aber ihre Natur hatte sich diesmal stärker erwiesen, als ihr Wille, und wahrscheinlich wäre sie ernstlich krank geworden, wenn sie in diesem Falle der Stimme der Natur nicht Folge geleistet hätte.
Mama Brande riß bei dieser überraschenden Nachricht ihre blauen Augen so weit auf, als sie konnte. Ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich also erfüllt! Dennoch gewann sie es über sich, mit einem Lächeln auf den Lippen zu sagen: »Das wird Ihnen gewiß große Freude machen!« Damit blieb sie der Wahrheit getreu, fügte dann aber, von der Wahrheit abweichend, hinzu: »Und ich freue mich unendlich, es zu hören!«
»Wir wollen das frohe Ereignis noch etwa acht Tage geheim halten,« flüsterte Ida Langrishe, »aber einer alten Freundin wie Ihnen, deren herzlicher Teilnahme wir sicher sind, durfte ich es schon anvertrauen. Mein Bruder und alle Verwandten werden sehr glücklich sein, und der Brautstand soll nicht lange dauern. Die Hochzeit wird wahrscheinlich schon in vier Wochen stattfinden.«
»Ein Aufschub könnte auch gefährlich werden!« schwebte auf Saras Zungenspitze, aber sie hielt den Mund.
»Wo steckt denn Honor?« fragte Frau Langrishe dann im liebevollsten Tone.
»Sie ist in den Wald gegangen, um frisches Laubwerk für die Vasen zu holen.«
»Wie hübsch sie das immer zu ordnen und aufzustellen weiß,« fuhr Ida in bewunderndem Tone fort. »Sie ist Ihnen wohl sehr nützlich?«
»Ja, sie nimmt mir so vieles ab, und ich wüßte gar nicht, wie ich noch ohne sie fertig werden sollte.«
»Dann trifft sich's ja sehr glücklich, daß die Gefahr sie zu verlieren, vorüber ist,« gab die andre zurück. »Liebste Freundin, was war das doch für eine dumme Geschichte mit dem jungen Jervis!«
»Wieso, was wollen Sie damit sagen?« fragte die alte Dame, deren Galle sich zu regen begann, in scharfem Tone.
»Nun, es war doch gewiß nicht angenehm, daß er Honor in auffallendster Weise den Hof machte und dann auf einmal, noch dazu mit Hinterlassung beträchtlicher Schulden, verschwand. Kein Mensch weiß, was aus ihm geworden ist.«
»Bitte um Entschuldigung, wir wissen es,« entgegnete Sara Brande, während ihr Doppelkinn in zitternde Bewegung geriet.
»Ah, wo hält er sich denn auf, liebste Freundin, was hat er vor?«
»Eine gute, edle Handlung. Er opfert seine eigenen Wünsche dem Wohle andrer!« versetzte Mama Brande erregt.
»So, so!« erwiderte Ida etwas betreten. »Na, wenn Sie und Honor mit ihm zufrieden sind, und wenn besonders Herr Brande mit seiner Handlungsweise einverstanden ist, so läßt sich darüber weiter nichts sagen.«
»In der That nicht das Geringste!« versetzte Sara mit aller Entschiedenheit und fuhr dann mit einem verzweifelten Versuche, das Gespräch in andre Bahnen zu lenken, fort: »Aber haben Sie denn schon die Photographie meiner andern Nichte, Honors Schwester, gesehen?« Dabei langte sie nach dem silbernen Rahmen und reichte Frau Langrishe das Bild. »Nun, was sagen Sie dazu?«
»Was ich dazu sage, liebe Freundin? Sie ist ja eine vollkommene Schönheit!« rief Ida, die es ganz ungefährlich fand, einem jungen Mädchen, das jenseits des Wassers lebte, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
»Sie sollte eigentlich zuerst zu uns kommen, wird aber nun die Reise im November mit den Hadfieldschen Mädchen machen.«
Frau Langrishe betrachtete das Porträt, das auf ihren Knieen lag, eine Weile aufmerksam. Hatte sie nicht kürzlich durch ihren Vetter Crabbe von einer Frau Gordon, einer Witwe mit drei Töchtern, gehört, wovon die jüngste ihm zu einer Rowena, einer idealen Rowena, gesessen hatte, aber ein Zwerg, ein so merkwürdig kleines Ding war, daß man sie für Geld hätte sehen lassen können?
»Wohnt Ihre Nichte in Hoyle und heißt sie Fee?« fragte sie endlich.
»Ja, wissen Sie etwas von ihr?«
»Mein Vetter, Oskar Crabbe, erwähnte ihrer kürzlich,« lautete die mit spöttischem Lächeln gegebene Antwort. »Und warum kam die junge Dame nicht zuerst, anstatt der Schwester?«
»Sie war nicht ganz wohl, und es gab außerdem noch einen zweiten Grund, den man mir aber nicht mitgeteilt hat.«
»Ich kenne diesen Grund und kann ihn Ihnen verraten, wenn Sie wünschen,« sagte Frau Ida mit wohlwollendster Zutraulichkeit: bot sich doch hier die erwünschte Gelegenheit, der Nebenbuhlerin einen scharfen Speer in die Seite zu stoßen.
»Die Sache ist übrigens gar kein Geheimnis, sondern allgemein bekannt. Jedermann in Hoyle weiß, daß Fee Gordon ungewöhnlich schön ist, aber, aber ...«
»Sie ist doch nicht verrückt? Sie wollen doch nicht sagen, daß sie verrückt ist?« rief Mama Brande in höchster Aufregung.
»Nein, nein, so schlimm ist's nicht, aber,« fuhr sie fort, indem sie der Gegnerin fest ins Gesicht sah, »aber sie ist ein Zwerg! Sie ist, wie man mir sagte, seit ihrem zehnten Jahre nicht mehr gewachsen und sieht, so lange sie sitzt, ganz und gar aus, wie andre Menschen; steht sie aber auf, so scheint es, als habe sie keine Beine.«
»Ein Zwerg! Keine Beine! Und sie denkt daran, zu mir zu kommen! Ich wollte ihr eben jetzt schreiben und sie auffordern, im November abzureisen!« rief Tante Sara mit stockendem Atem.
»Na, welches Glück, daß der Brief noch nicht abgeschickt ist. Was hätten Sie denn hier mit ihr machen sollen? Sie hätten ja nur im Finstern mit ihr ausgehen können.«
Das war eine furchtbare, aber nicht zu bestreitende Wahrheit. Tante Sara vermochte sich zu keiner Antwort aufzuschwingen.
Ein Zwerg! Sie erinnerte sich eines fetten, kleinen Ungetüms, das ein Eingeborener, um milde Gaben dafür zu sammeln, auf den Schultern in Shirani herumgetragen hatte, und ein solches sollte ihre Nichte sein, auf deren Schönheit sie so stolz war, deren Bildnis sie in einen massiv silbernen Rahmen gesteckt, auf deren Triumphe sie sich so gefreut hatte!
»Ich wundere mich nur, daß Honor mir das nie gesagt hat,« stammelte sie endlich.
»Das nimmt mich gar nicht wunder,« lautete die im bestimmtesten Tone gegebene Antwort. »Nach allem, was ich höre, haben Mutter und Schwestern das kleine Ding so verhätschelt und verzogen, daß es der Meinung ist, es sei ganz wie andre Menschen. Die Kleine soll so lächerlich eitel und von sich selbst eingenommen sein, daß ich glaube, Sie, liebe Freundin, würden, selbst wenn sie nicht ein Zwerg wäre, keine Seide mit ihr gesponnen haben,« schloß Frau Langrishe ihre Rede, indem sie die Hand ihrer Gegnerin herzlich drückte. Mit dieser ärmlichen Trostspende rauschte sie triumphierend davon. Sie durfte in dem Bewußtsein schwelgen, »Mutter Brande« völlig zu Boden geschmettert zu haben; denn die gute Frau war nicht nur gezwungen gewesen, in den Triumphgesang über Lalla Paskes famosen Erfolg einzustimmen und das Bedauern der Freundin über Honors Mißgeschick entgegenzunehmen, sie hatte auch erfahren, daß sie die Tante eines Zwerges war.
Die Besiegte saß noch eine Weile wie erstarrt und zerbrochen in ihrem Zimmer, dann raffte sie sich auf, nahm Fees Photographie aus dem Rahmen und verschloß sie in einen Kasten, wo sie vor jedermanns Augen und selbst vor den neugierigen Fingern der braunen Dienerin sicher war.
Honor bemerkte das Verschwinden des Bildes von dem Ehrenplatze, den es nie wieder einnehmen sollte. Ebensowenig konnte es ihr entgehen, daß Fees Name kaum noch im Gespräch erwähnt wurde, sowie daß die alte Dame nicht mehr das geringste Interesse an der Reise der »Hadfieldschen Mädchen« nahm, und zog daraus den ganz richtigen Schluß, irgend eine barmherzige Seele habe sich der Unwissenheit Tante Saras angenommen, und diese kenne jetzt den zweiten Grund, der Fees Kommen seiner Zeit verhindert hatte.